Steirertanz

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»Die Lex-Schwestern sind eh andauernd in der Zeitung und im Fernsehen«, erklärte die Polizistin weiter.

Sandra musste dennoch passen. Klatsch und Tratsch zählten ebenso wenig zu ihrem Metier wie Mode. Dazu konsultierte sie meistens ihre Freundin, die eine Boutique in der Grazer Altstadt führte. Ganz bestimmt kannte An­drea Lilli & Luise.

Die heimischen Trachtenproduzenten waren allesamt nicht erfreut gewesen, als die zwei Wienerinnen die alteingesessene Trachtenmanufaktur übernahmen, erfuhren sie von der Polizistin. Noch dazu, wo sich die Lex-Schwestern kaum den traditionellen Schnitten, Stoffen und Mustern unterwarfen. Ihre Trachtenmode trug eine eigene Handschrift, die vor allem bei den Gästen des Ausseerlandes und außerhalb der Region sehr gut ankam, plauderte die Polizistin aus dem Nähkästchen. Dass der große Erfolg der Schwestern Neider auf den Plan rief, die sie zum Teufel wünschten, lag nahe. Aber hasste jemand sie so sehr, dass er eine von ihnen getötet hatte?

»Kannst du mir eine vollständige Liste der Trachtenbetriebe im Salzkammergut zukommen lassen?«, fragte Sandra.

Die Landpolizistin versprach ihr diese für den nächsten Tag.

Sandra bedankte sich. »Und wie sieht es mit dem Privatleben der Verstorbenen aus?«, fragte sie weiter. »War Luise Lex liiert?«

»Nicht, dass ich wüsste.« Die Uniformierte sah ihren Kollegen an.

Ihr Kollege zuckte mit den Achseln.

»Gibt es Kinder?«, fragte Sandra.

»Zum Glück nicht.«

»Zum Glück?«, fragte Bergmann.

»Die Kinder wären jetzt ohne Mutter.«

»Und Lilli Lex hat auch keine Kinder?«

Die Polizisten schüttelten ihre Köpfe.

»Die Lilli war vielleicht ein halbes Jahr verheiratet. Mit dem Sulzbacher Otto, einem Geschäftsmann aus Wien«, erzählte sie.

»Auch ein Zweiheimischer?«, fragte Bergmann.

Die Landpolizistin verneinte. »Der Otto war immer nur sporadisch da. Er hat was mit dem geplanten Chalet-Dorf zu tun. Was genau, weiß ich nicht. Du?« Sie warf ihrem Kollegen einen fragenden Blick zu.

Der verneinte.

»Fragt’s am besten die Lilli, die weiß bestimmt mehr.«

»Waren die Lex-Schwestern auch in dieses Feriendorf-Projekt involviert?« Sandra kreuzte die Arme, um ihre klammen Hände am Körper zu wärmen.

»Die beiden wollten das Feriendorf in ihrer Nachbarschaft verhindern.«

»Und wie war das Verhältnis der Schwestern untereinander?«

Die Polizistin zuckte mit den Achseln. »Was ich weiß, waren sie unzertrennlich. Wie man sich das bei Zwillingsschwestern eben vorstellt.«

»Ach, die beiden waren Zwillinge?«, hakte Sandra nach.

»Hab’ ich das noch nicht erwähnt?«

Sandra verneinte. »Eineiige Zwillinge?«

»Kann sein. Sie haben sich schon recht ähnlich geschaut. Aber nicht zum Verwechseln. Die Lilli hat kürzere blonde Haare, die Luise längere braune gehabt.«

Falls sie es mit einem gezielten Mordanschlag zu tun hatten, war demnach auszuschließen, dass die Zwillingsschwestern verwechselt worden waren. Aber vielleicht hätten ja auch beide beseitigt werden sollen, und die eine hatte ihr Leben nur ihrer Abwesenheit zu verdanken. »Wo hält sich Lilli Lex zurzeit auf?«, erkundigte sich Sandra.

»In ihrer Wohnung in der G’wandschneiderei.«

»Gewohnt hat sie aber hier mit ihrer Schwester?« Sandra wies mit dem Daumen über ihre Schulter zur Brandruine.

Die Provinzpolizistin bestätigte die Frage und nannte ihr die Geschäftsadresse in Aussee.

»In Bad Aussee?«, vergewisserte sich Sandra.

»Aussee is immer Bad Aussee«, bestätigte der Landpolizist. »Altaussee hoaßt bei uns Olt’nausee«, erklärte er im Dialekt.

»Die Lilli ist ziemlich fertig mit den Nerven. Wir haben ihr jemanden vom KIT vorbeigeschickt, der sie psychologisch betreut. Vielleicht solltet’s lieber bis morgen mit der Befragung warten«, meinte die Polizistin.

»Das lass unsere Sorge sein.« Bergmann bohrte seine Hände tiefer in die Jackentaschen.

Zitterte er vor Kälte, oder täuschte sich Sandra? »Sollte Frau Lex heute nicht mehr vernehmungsfähig sein, versuchen wir es morgen«, sagte sie. »Ansonsten werden wir sie in den nächsten Tagen nach Graz vorladen.«

»Gibt es noch etwas, was wir wissen sollten?«, fragte Bergmann ungeduldig.

»Ich weiß nicht, ob es relevant ist«, zauderte die Polizistin.

»Wenn es relevant ist, werden wir es überprüfen. Also raus mit der Sprache«, forderte Bergmann sie zum Reden auf.

Er schepperte vor Kälte, stellte Sandra fest.

»Die Lilli soll ein Pantscherl mit dem Köberl Fabian haben«, gab die Polizistin zögerlich preis.

»Mi’m Fabian? Dem Fischer vom Grundlsee?«, entrüstete sich ihr Kollege. »Der ist doch viel zu jung für sie.«

Wie die anderen überhörte Sandra das Vorurteil, zog einen Handschuh aus und zückte ihr Handy. »Wo wohnt Herr Köberl?«

Der Polizist nannte ihr eine Adresse im Dorf Gößl, die Sandra in ihr Handy sprach. Zwar wusste sie nicht, was der junge Mann mit dem Tod der Schwester seiner Geliebten zu tun haben sollte, aber irgendwo mussten sie mit den Ermittlungen ansetzen. Warum also nicht bei dem Fischer, der ihr vielleicht ein paar frische Fische verkaufen würde, wenn sie schon einmal am Grundlsee war. Der Gedanke an gebratenen Saibling ließ sie den brandigen Geschmack in ihrem Mund kurzfristig vergessen. Für das kompakte, gleichwohl zarte Fleisch der Fische aus den Salzkammergutseen ließ sie jeden Meeresfisch stehen.

Die LKA-Ermittler verabschiedeten sich von den Landpolizisten. Ebenso vorsichtig, wie sie hergekommen waren, rutschten sie zum Dienstwagen zurück.

»Was hältst du davon, wenn wir zuerst unser Gepäck in die Wohnung bringen und anständig einheizen?«, wandte sich Sandra an Bergmann. Ferienwohnungen wurden häufig auf Sparflamme beheizt, wenn sie gerade nicht bewohnt waren, wusste sie aus leidvoller Erfahrung. »Anschließend könnten wir nach Bad Aussee weiterfahren, um Lilli Lex zu befragen«, schlug sie vor. »Vorausgesetzt, sie ist vernehmungsfähig. Und danach gehen wir Abendessen.«

Bergmann zeigte sich einverstanden. »Jetzt sperr schon auf, Sandra! Ich frier mir noch den Hintern ab.«

»Das wundert mich nicht.« Sandra öffnete den Skoda mit dem Funkschlüssel.

Kaum lief der Motor, drückte Bergmann den Knopf, der seine Sitzheizung aktivierte.

Sandra schaltete ihre ebenfalls ein, ehe sie den Schlüssel für die Ferienwohnung aus der Jackentasche holte. »Hast du kein wärmeres Gewand mit? Wir sind hier in den Bergen.«

»Scheiß Berge«, schimpfte Bergmann. »Und hör auf, mich zu bemuttern.«

»Nichts liegt mir ferner als das. Aber jammere mich nicht an, wenn du dir eine Erkältung einfängst.«

Bergmann griff zu seinem Gurt. »Ich fang mir schon nichts ein. Ich werde heute nämlich noch in die Sauna gehen. Willst du mir nicht Gesellschaft leisten?«

Sandra ignorierte sein Angebot. »Kannst du die Adresse bitte ins Navi eingeben?« Sie überreichte Bergmann den Schlüssel der Ferienwohnung und fuhr los.

4.

Lilli Lex konnten sie heute nicht mehr befragen. Sie sei völlig durch den Wind, erklärte sie Sandra am Telefon, während Bergmann unter der Dusche der Ferienwohnung stand, um sich aufzuwärmen. Ihr Haus und ihr gesamtes privates Hab und Gut waren verbrannt. Am allermeisten aber machte ihr der Tod ihrer Schwester zu schaffen. Sie wollte gleich ein Schlafmittel nehmen und zu Bett gehen.

Sandra zeigte Verständnis für ihre Gemütslage. Dennoch bat sie um einen möglichst zeitnahen Termin, um ihr eine Vorladung nach Graz zu ersparen.

Lilli Lex willigte ein, sie am nächsten Vormittag in der G’wandschneiderei zu empfangen.

Um die Nerven der Frau nicht noch weiter zu strapazieren, erwähnte Sandra vorerst nichts von der Brandursache. Anscheinend hatte sie von der Brandstiftung noch nichts mitbekommen. Sie fragte auch nicht nach.

Für heute war Feierabend. Sandra wählte die Nummer des Restaurants, von dem Andrea nach ihrem letzten Sommerurlaub so geschwärmt hatte, um dort einen Tisch zu reservieren.

Eine Dreiviertelstunde später wurde ihnen der empfohlene Saibling in der Salzkruste mit Kapern-Zitronen-Pesto und Petersilerdäpfel serviert. Dazu gönnte sich Sandra ein Achtel Sauvignon Blanc aus der Südsteiermark. Ein zweites war für sie leider nicht mehr drin. Die Strecke bis zur Ferienwohnung musste sie noch mit dem Auto zurücklegen.

Vor dem Dessert überraschte Bergmann sie mit einem Geburtstagsgeschenk, das er ihr bereits bei der Feier in Graz hätte überreichen wollen, wäre ihnen nicht der Einsatz im Ausseerland dazwischengekommen.

Dass er ihr ausgerechnet einen Strickschal schenkte, den er selbst bitter nötig gehabt hätte – wenn auch nicht unbedingt in diesem Himbeerfarbton –, amüsierte Sandra. »Hast du den selbst gestrickt?«, zog sie ihn auf, was der Macho nicht besonders witzig fand.

An der Garderobe wickelte sie ihm ihren alten Wollschal um den Hals, sich selbst den neuen aus kuscheliger Kaschmirwolle, der farblich zu ihrem Anorak passte. Wahrscheinlich hatte Bergmann sich von Andrea beraten lassen, vermutete sie, fragte aber nicht nach.

Zurück in der bacherlwarmen Ferienwohnung schaltete Bergmann die Sauna an. Gemeinsam schauten sie die ZIB an, die unter anderem von Ausschreitungen bei einer Demonstration in Paris und vom Hausbrand am Grundlsee berichtete. Bei der Frau, die ums Leben gekommen war, handle es sich mutmaßlich um eine Hausbewohnerin, deren Leiche in den kommenden Tagen obduziert werden würde, berichtete Armin Wolf, was die Polizeipressestelle unmittelbar nach dem Brand offiziell gemeldet hatte. Zudem erwähnte der ORF-Anchorman, dass die Brandexperten des LKA Steiermark ermittelten, um die Brandursache zu klären, während ein kurzer Videobeitrag vom nächtlichen Feuerwehreinsatz gezeigt wurde.

 

Nach den Nachrichten bot Bergmann ihr an, die Sauna zu benützen, die inzwischen auf 90 Grad Celsius aufgeheizt war. Wenn sie sich vor ihm schämte, würde er solange draußen warten. Einmal mehr lehnte sie sein Angebot ab. Auf Gluthitze konnte sie auch ohne den nackten Chefin­spektor gut und gerne verzichten. Lieber schwitzte sie aktiv beim Sport als passiv in der Sauna. Aber nicht mehr heute.

Während Bergmann im eigenen Saft schmorte, schaute sie sich die Wiederholung eines steirischen Landkrimis an und trank dazu Muskateller, den sie im Kühlschrank gefunden hatte. Die heimische Filmreihe gefiel ihr wesentlich besser als die meisten Tatort-Folgen. Wenngleich sie auch bei diesem Film über einige realitätsferne Szenen den Kopf schütteln musste.

Andererseits wollte bestimmt niemand sehen, wie langwierig die Polizeiarbeit mit all dem Papierkram und unzähligen Vorschriften wirklich war, meinte Bergmann, der ihr nach dem Saunagang Gesellschaft leistete. Immer wieder mussten sie über die beiden TV-Ermittler schmunzeln, die sie verblüffend an sie selbst erinnerten. Noch bevor der Täter überführt werden konnte, den sie übereinstimmend längst zu kennen glaubten, war Bergmann auf der Couch eingeschlafen.

Sandra schaltete den Fernseher aus und spülte die Weingläser ab. Auf Socken schlich sie ins Badezimmer und machte sich fürs Bett fertig, um anschließend am schnarchenden Chefinspektor vorbei in ihr Schlafzimmer zu gelangen. Sollte er ruhig auf der Couch liegen bleiben, bis er von allein aufwachte. Bequem war sie ja.

Sie selbst fiel in ihrem frisch überzogenen Bett rasch in den Schlaf.

Kapitel 2

Sonntag, 3. Jänner

Grundlsee

1.

Als Sandra die Schlafzimmertür öffnete, stieg ihr Kaffeeduft in die Nase. Wiewohl sie Teetrinkerin war, mochte sie diesen Geruch. Sie schaltete das Deckenlicht im Wohnzimmer aus, das noch brannte, obwohl die Sonne inzwischen aufgegangen war.

»Guten Morgen, Liebling!«, begrüßte sie der Chefin­spektor gut gelaunt.

Ein anlassiger Bergmann auf nüchternen Magen hatte ihr gerade noch gefehlt. Verschlafen rieb sie sich die Augen. Während der notorische Frühaufsteher geschnäuzt und gekampelt mit einem Kaffeehäferl in der Hand an der Küchenzeile im Wohnzimmer lehnte, schlich sie barfuß im langen T-Shirt an ihm vorbei, um ins Badezimmer zu gelangen. »Morgen«, knurrte sie, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. Dass er ihr hinterherstarrte, spürte sie auch so auf ihrem Rücken respektive in dessen Verlängerung.

»Möchtest du ein weiches Ei oder Ham and Eggs zum Frühstück?«, fragte er.

Erstaunt hielt Sandra an der Badezimmertür inne und wandte sich um. »Sag bloß, du warst einkaufen. Am Sonntag?«

Bergmann verneinte. »Jemand hat alles fürs Frühstück in einem Korb vor der Wohnungstür abgestellt. Mitsamt der Sonntagszeitung. Kaffee hab’ ich im Küchenschrank gefunden.«

»Woher hast du denn gewusst, dass ein Korb vor der Tür steht?«

»Mit Körben kenne ich mich aus«, meinte Bergmann süffisant.

Sandra war klar, worauf er anspielte. Nach ihrem ersten gemeinsamen Fall hatte er bei ihr zu landen versucht und war kläglich gescheitert. Lange Zeit hatte sie ihn für einen Hallodri gehalten, der er im Grunde gar nicht war. Sie wollte sich abwenden, um ins Bad zu gehen, als er fortfuhr.

»Jemand hat in der Früh ein Grußkärtchen mit einem Hinweis auf den Frühstückskorb unter der Tür durchgeschoben.«

Sandra gähnte. »Ach so. Kannst du mir bitte Teewasser aufstellen, während ich im Bad bin?«

»Ist das alles?«

Sandra lehnte sich am Türrahmen an, überkreuzte die nackten Beine und Arme. »Gibt’s auch Müsli und Joghurt?«

»Joghurt war im Frühstückskorb. Aber kein Müsli. Vielleicht finde ich welches im Küchenkasten.« Bergmann öffnete einen der Oberschränke.

»Ja, schau bitte nach. Eine Eierspeise hätte ich auch gern. Von zwei Eiern. Schön fluffig, nicht matschig, wenn’s geht. Ohne Schinken.«

Schmunzelnd schloss Sandra die Badezimmertür hinter sich. Bergmann als Frühstückskoch. Wer hätte das gedacht? Verkühlt war er jedenfalls nicht. Die Sauna hatte ihm gutgetan, überlegte sie unter der Dusche, die wie die übrige Ausstattung der Ferienwohnung nicht gerade dem modernsten Standard entsprach. Aber immerhin war alles blitzsauber. Und es prasselte warmes Wasser aus dem Duschkopf.

Während sie sich die Zähne putzte und Bergmann das Frühstück machte, kam ihr erneut der Vergleich mit einem alten Ehepaar in den Sinn. Kein Wunder, dass es anfangs im LKA Gerüchte gegeben hatte, die ihr und dem Chefinspektor ein Verhältnis unterstellten. Im Gegensatz zu früher regte sie solches Gerede heute kaum mehr auf. Im Laufe der Jahre war sie um einiges gelassener geworden. Sollten die Leute doch glauben, was sie wollten.

Zurück in ihrem Zimmer zog Sandra die Vorhänge auf. Der Blick aus dem Fenster ließ ihr Herz höher schlagen. Kaum eine Wolke stand am azurblauen Himmel. Die schneebedeckten Berge des Toten Gebirges säumten den Grundlsee. Da und dort blitzten dunkelblaue Stellen durch die dünne Schneedecke auf der Eisfläche. Einige Blesshühner watschelten in der Nähe des Bootshauses am Seeufer entlang. Direkt vor dem Gästehaus glitzerte der Schnee in der Sonne. Vom Balkon, der über ihrem lag, tropfte Schmelzwasser.

Sie zog ihre Jeans und den Rollkragenpulli an, warf einen Blick auf ihr Handy. Keine verpassten Anrufe, dafür eine neue Nachricht mit der Liste heimischer Trachtenbetriebe, die ihr die Landpolizistin versprochen hatte. Die konnte sie sich später noch genauer ansehen. Jetzt wollte sie erst einmal frühstücken.

Bergmann saß am gedeckten Frühstückstisch, trank Kaffee und las die Kleine Zeitung. Mit dem Essen hatte er auf sie gewartet. So zuvorkommend wie heute hatte er sich in all den Jahren nicht gezeigt. Daran hätte sich Sandra bestimmt erinnern können.

Auf ihrem Platz wartete ein Häferl mit heißem Wasser, dazu mehrere Teebeutel zur Auswahl. Sandra entschied sich für Pfefferminztee. »Hey, du hast ja sogar Müsli gefunden«, freute sie sich über die Flocken, Körner und Nüsse im Rexglas.

Bergmann brummte zustimmend, weiterhin in die Zeitung vertieft.

Wenngleich Sandra ihn und seine provokanten Sprüche manchmal zum Teufel wünschte, hatte er durchaus auch seine netten Seiten. Für eine Überraschung war er sowieso immer gut. Diesmal sogar für eine positive. Während sie den Joghurtbecher öffnete, schlug er die Zeitung zu. Sandra leerte das Naturjoghurt über ihr Müsli.

»Dann mache ich uns jetzt die Eierspeise.« Bergmann erhob sich.

»Soll ich das übernehmen?«, bot sich Sandra an.

Bergmann winkte ab. »So weit reichen meine Kochkünste. Bleib sitzen und lies die Zeitung. Seite 18.«

»Geht es um den Brand?« Sandra leckte ihren Zeigefinger ab, der einen Klecks Joghurt abbekommen hatte.

Bergmann wandte sich wortlos ab.

Neugierig blätterte sie in der Zeitung bis zur genannten Seite.

Bergmann hantierte an der Küchenzeile.

»Da schau an!«, meinte sie überrascht. »Dein Herr Sohn ist ›Steirer des Tages‹! Wow!«, überschlug sie sich fast vor Begeisterung. Wie schön, dass David diese Ehre zuteilwurde, freute sie sich ehrlich für ihn. Endlich einmal stand der junge Musiker nicht im Schatten der steirischen Volkspop-Sängerin, in deren Band er die Lead-Gitarre spielte. Seit dem Tauschkonzert im Fernsehen waren Jessica Wind und ihre Hits auch in Deutschland bekannt. Jedoch nicht die Bandmitglieder, die stets im Hintergrund blieben. Nicht zuletzt, um möglichst austauschbar zu bleiben. Der Star war einzig und allein Jessica Wind.

»Was habt ihr eigentlich alle mit diesem ›Steirer des Tages‹?«, wunderte sich Bergmann, die Hand am Pfannengriff. »Als gäbe es nicht 365 oder sogar 366 Tage im Jahr.«

»Na und?« Sandra tauchte den Löffel in ihr Müsli, um es mit dem Joghurt zu vermengen. »›Steirer des Tages‹ zu sein, kommt beinahe einem Ritterschlag gleich. Wir sind eben stolz auf unsere Landsleute, die für ihre herausragenden Leistungen vor den Vorhang geholt werden.« Sie schleckte den Löffel ab.

»In Wien wären die Leute maximal neidisch«, meinte Bergmann, die Eier verquirlend.

»Mag sein. Und jetzt lass mich weiterlesen«, erwiderte sie. Im Bericht über David wurde erwähnt, dass er während der ersten Corona-Welle die Krankheit mit leichten Symptomen überstanden hatte. Sein Blut zu spenden, in dem Antikörper nachgewiesen worden waren, um dadurch abwehrgeschwächten Covid-19-Patienten lebensrettende Behandlungen zu ermöglichen, sei für ihn selbstverständlich gewesen. Davon hatte ihr Bergmann gar nichts erzählt. Doch die Gesundheit seines Sohnes war schließlich Privatsache.

Während Sandra weiterlas, brutzelte es in der Pfanne. Der Duft von gebratenem Schinken stieg ihr in die Nase. »Wie bitte? David hat die Band verlassen?« Auch davon hatte Bergmann kein Sterbenswörtchen erwähnt. »Ist er privat auch nicht mehr mit Jessica zusammen?«

»Privat haben sich die beiden bereits bei den Dreharbeiten in Südafrika getrennt, nachdem sich Jessica mit einem anderen prominenten Sänger vergnügt hat.« Bergmann verteilte die Eierspeise auf den Tellern.

»Ach ja?« Sandra überlegte, welcher der Musiker infrage kam. Einige Folgen der unterhaltsamen Sendung hatte sie sich damals wegen David angesehen.

Bergmann kam mit den Tellern an den Tisch zurück. Für sich selbst hatte er Schinken abgebraten. Auf die Beziehung seines Sohnes oder auf deren Ende ging er nicht näher ein.

Und Sandra wollte nicht nachfragen. Sie wusste auch so, dass der Chefinspektor heilfroh war, dass sich David von der egozentrischen Sängerin getrennt hatte. Vor einiger Zeit hatten sie in ihrem Umfeld ermittelt, nachdem der Bassist der Band in ihrem Haus über die Treppe in den Tod gestürzt war. Und David sich in Jessica verliebt hatte.

Sandra trank einen Schluck Tee und machte sich über die Eierspeise her. »Perfekt«, lobte sie den Chefinspektor. »Danke, Sascha!«

»Nichts zu danken. Nach unserer nächsten gemeinsamen Nacht bist du mit dem Frühstückmachen dran«, meinte er mit vollem Mund.

Sandra schnitt eine Grimasse »Sag bloß, du willst noch eine Nacht hierbleiben.«

»Habe ich nicht vor. Aber die nächste Übernachtung auswärts kommt bestimmt, Liebling!«

Sandra widmete sich wieder der Zeitung, anstatt ihn für den verhassten Kosenamen zu rügen, worauf er ohnehin nur wartete. Prompt blieb sie an einem Foto der nächtlichen Löscharbeiten am Grundlsee hängen. Wie die ORF-Nachrichten hielt sich auch dieser Artikel an die Fakten der Polizeimeldung. Allerdings konnte sich jeder, der die Umgebung gut kannte, anhand der Fotos ausmalen, dass eine der Lex-Schwestern in den Flammen ums Leben gekommen war. Vor Ort hatte sich bestimmt längst auch herumgesprochen, welche der beiden.

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