Steirerland

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Bergmann setzte an, sie zu unterbrechen, doch Josefine war schneller. »Der mobile Pflegedienst ist halt doch um einiges günstiger als ein Pflegeheim. Deshalb hab ich den Opa zu Hause behalten und hoff, dass ihm nix passiert, wenn er grad allein ist. Ich kann ihn ja schwer ans Bett anbinden.«

»Als Enkelin sind Sie doch gar nicht regresspflichtig«, warf Sandra ein.

»Ich nicht, aber mein Vater. Der schwimmt auch nicht grad im Geld, und Platz hat er sowieso keinen fürn Opa. Außerdem hat der sein Lebtag aufm Hof hier gewohnt.«

»Ja dann vielen Dank.« Bergmann beendete die Befragung, die, soweit Sandra dies beurteilen konnte, keine wesentlichen Ermittlungsfortschritte gebracht hatte. Wenngleich der Chefinspektor einen durchaus zufriedenen Eindruck machte.

Auf dem Weg zurück zum Parkplatz sah sich Sandra noch einmal um. Der Koglerhof lag verschlafen in der Mittagssonne, idyllisch umringt von Obstgärten und Äckern, die um diese Jahreszeit bereits abgeerntet waren. Hinter dem Hof begann der Wald. Von der anderen Straßenseite leuchtete das gelbe Laub der Weinstöcke des Nachbarn herüber, dessen Weingarten direkt ans Gehege der Schweine grenzte. Sandras Blick streifte das Nebengebäude. Hinter dem gekippten Fenster glaubte sie einen Schatten wahrgenommen zu haben, der sich wegbewegt hatte. Als sie hinsah, war er fort. Nur der Vorhang bewegte sich leicht. »Ich glaube, wir wurden eben beobachtet«, sagte sie. Trotz der warmen Mittagstemperatur hatte sie plötzlich eine Gänsehaut.

»Von wem?«, fragte Bergmann und sah sich um.

Sandra deutete auf das Fenster. »Dort drüben ist gerade jemand hinter dem Vorhang verschwunden.« Oder hatte sie sich das nur eingebildet? War sie einer optischen Täuschung aufgesessen?

»Ich seh nix«, sagte Miriam.

Bergmann zuckte mit den Schultern. »Wenn du keine Halluzinationen hast, war das bestimmt nur der alte Haselbacher. Der wohnt ja im Nebengebäude«, meinte Bergmann und setzte den Weg zum Parkplatz fort.

Wahrscheinlich hatte er recht. Wenn dort überhaupt jemand gestanden war, war es wohl der Altbauer gewesen. Daran war nun wahrlich nichts ungewöhnlich, schon gar nicht unheimlich. Sandra öffnete die hintere Tür des Dienstwagens und nahm auf der Rückbank Platz. Miriam startete den Wagen und lenkte ihn auf die Straße.

»Check doch mal, ob der vermisste dritte Mann inzwischen wieder aufgetaucht ist. Oder ob sich die beiden Jazzmusiker um einen neuen Akkordeonspieler umsehen müssen«, sagte Bergmann zu Miriam gewandt.

Nach der Kurve konnten sie bereits die Einsatzfahrzeuge und den Leichenwagen am Feldweg neben dem Wald stehen sehen.

»Mach ich dann auf dem Rückweg nach Graz«, antwortete Miriam. »Soll ich gleich einen Vernehmungstermin mit ihnen ausmachen? Für den Fall, dass es noch immer kein Lebenszeichen von Maric gibt?«

Sandra sah den Chefinspektor von hinten nicken.

»Warte, bleib doch mal dort vorn bei Jutta stehen. Ich frage sie rasch wegen des Obduktionstermins.« Bergmann sprang aus dem Audi, kaum, dass dieser zum Stillstand gekommen war.

»Na der hat’s aber eilig«, bemerkte Miriam grinsend.

Auch Sandra sah dem Chefinspektor hinterher und beobachtete, wie er auf der anderen Seite des Feldwegs die Gerichtsmedizinerin ansprach. Das letzte Mal, als sie die beiden miteinander erlebt hatte, hatte Gewitterstimmung geherrscht, erinnerte sie sich nur allzu gut. Was zwischen den beiden vorgefallen war, hatte sie damals wie heute nicht interessiert. Es nervte sie auch so schon gewaltig, dass Bergmann Berufliches und Privates nicht trennen konnte. Weniger wegen der Ärztin, die er ungeniert hofiert und wohl auch außerhalb des Dienstes getroffen hatte, sondern viel mehr, weil er anfangs versucht hatte, bei Sandra zu landen. Erst hatte sie es gar nicht kapiert, dann hatte sie ihn abblitzen lassen. Aber das war eine andere Geschichte, die längst verjährt war. Der Transportsarg, der eben in den Leichenwagen geschoben wurde, raubte Sandra die Sicht auf Bergmann und die Gerichtsmedizinerin.

Miriam wandte sich zu ihr um. »Ich bin echt froh, dass du wieder da bist.«

»War’s denn so schlimm mit Bergmann?« Sandra rutschte auf der Rückbank nach vorn. Der Leichenwagen setzte sich langsam in Bewegung. Doktor Kehrer redete, während Bergmann ihr zuhörte. Dabei kaute er am Bügel seiner Sonnenbrille und nickte wiederholt.

»Nein. Der ist doch eh ganz handzahm. Meistens jedenfalls. Aber wir sind einfach zu wenige Ermittler. Im ersten Mordfall stecken wir ganz am Anfang. Und jetzt passiert auch noch ein zweiter …« Miriam seufzte.

Bergmann setzte die Sonnenbrille auf und strebte federnden Schrittes auf den Audi zu.

»Vielleicht hilft uns der zweite Mord ja, beide Fälle aufzuklären«, sagte Sandra. Das war aber auch schon der einzige mögliche Vorteil an einem Serienmord. Der große Nachteil war, dass der Täter jederzeit wieder zuschlagen konnte. Wenn es ihnen nicht rechtzeitig gelang, ihn auszuforschen und von einem dritten Mord abzuhalten.

6.

Miriam bremste den Dienstwagen ab und ließ die ranghöheren Kollegen aussteigen, um anschließend allein nach Graz zurückzufahren.

Bergmann schwang seine Jacke über die Schulter und überquerte neben Sandra die Fahrbahn. Von der Funkstreife, hinter der sie vorhin den Toyota geparkt hatte, war nichts mehr zu sehen.

»Das ist jetzt aber nicht dein Ernst.« Bergmann hob seine Sonnenbrille einige Zentimeter von der Nase und betrachtete den Kleinwagen argwöhnisch.

»Was denn? Ist dir das Auto etwa nicht gut genug?«

Die Sonnenbrille landete wieder auf Bergmanns Nasenrücken. »Was heißt gut? Du weißt doch, dass mir Autos ziemlich wurscht sind. Aber das hier ist zweifellos ein bisschen zu klein geraten, findest du nicht?«, meinte er spöttisch.

Sandra drückte den Entriegelungsknopf am Autoschlüssel. Die Schlösser sprangen klackend auf. »Dann passt es ja perfekt zu mir«, murmelte sie.

»Was? Wieso?«

»Ach vergiss es.«

Bergmann grinste. »Hast du jetzt auch noch einen Minderwertigkeitskomplex wegen der beiden groß gewachsenen jungen Damen aufgerissen?«

Wie so oft hatte er zielsicher den wunden Punkt getroffen. Aber daran war Sandra selbst schuld. Hätte sie mal den Mund gehalten, wäre ihr sein sarkastischer Kommentar erspart geblieben. Rein äußerlich ließ sie die Bemerkung an sich abprallen und blieb sachlich. »Es ist nur ein Leihwagen, Sascha. Ab morgen chauffiere ich dich wieder im Dienstauto herum. Aber steig doch erst einmal ein. Da drinnen ist nämlich mehr Platz, als du glaubst.«

»Klein, aber oho«, hauchte Bergmann und packte sein anzüglichstes Grinsen aus.

»Du musst es ja wissen«, konterte Sandra und stieg in den Wagen.

Bergmann fuhr mit dem Beifahrersitz so weit wie möglich nach hinten und gurtete sich an. Während der Fahrt nach Graz beschwerte er sich kein einziges Mal mehr über mangelnden Komfort. Stattdessen weihte er Sandra endlich in den ersten Mordfall ein.

Markus Haselbachers Leiche war am 21. Oktober um 11.50 Uhr unweit des zweiten Fundortes, der sich auf der anderen Seite des Hügels, auf dem sich der Koglerhof befand, entdeckt worden. »Der ermordete Winzer lag im Laderaum seines BMW Kombi auf der umgeklappten Rückbank«, berichtete Bergmann. »Das Auto stand auf dem Parkplatz eines stillgelegten Gasthofs. Einem Bauern, der morgens und mittags mit dem Traktor vorbeifuhr, kam es seltsam vor, dass der Wagen so lange mitten in der Pampa parkt.«

»Wo liegt denn der Winzerhof der Haselbachers?«

»In Tieschen, keine zehn Kilometer vom Leichenfundort entfernt.«

»Tieschen. Kenne ich.«

»Das war ja klar.«

Es war offensichtlich, dass Bergmann nicht wegen ihrer guten Ortskenntnisse grinste, sondern über ihre Herkunft aus einem abgelegenen Dorf im steirischen Krakautal. Einen Kommentar ersparte sich Sandra. Schließlich hatte sie sich vorgenommen, nicht mehr alles persönlich zu nehmen. Selbst, wenn Bergmann es so gemeint hatte.

»Jutta konnte die Todeszeit auf den Vorabend zwischen 19 und 22 Uhr eingrenzen«, fuhr er fort. »Todesursache war ein tiefer Halsschnitt, der ihm mit einem sehr scharfen Messer oder einem Skalpell zugefügt wurde. Der Täter muss hinter seinem Opfer gestanden sein und die Tatwaffe von links nach rechts über den Hals geführt haben.«

»Demnach ein Rechtshänder.«

Bergmann nickte.

»Waren Markus Haselbachers Hände ebenfalls amputiert?«

»Nein. Die Hände waren unversehrt. Dafür haben ihm beide Unterschenkel gefehlt. Die Amputationen wurden oberhalb der Kniegelenke durchgeführt. Nicht gerade nach dem Lehrbuch, meint Jutta. Dennoch ist der Täter sehr sorgfältig und mit einigem anatomischen Knowhow vorgegangen.«

»Sorgfältig?«

»Na ja, ein Unkundiger hätte einfach eine Säge angesetzt oder mit einer Hacke zugeschlagen und die Gliedmaßen durchtrennt, fertig. In diesem Fall wurden die Haut und das subkutane Fettgewebe mit einem Skalpell oder einem sehr scharfen Ausbeinmesser bearbeitet. Beide haben eine gebogene Klinge, die spitz zuläuft. Ebenso wurde die Muskulatur durchtrennt, wobei bei Operationen ein Elektrokauter eingesetzt wird, um die Blutungen in Schach zu halten. Das war hier nicht der Fall. Die großen Gefäße wurden durchgeschnitten, allerdings ohne wie bei OPs vorher vernäht zu werden. War vermutlich eh schon egal, denn der Patient«, an dieser Stelle malte Bergmann Gänsefüßchen in die Luft, »war zu diesem Zeitpunkt schon verblutet. Die Knochen wurden dann, wie vom Chirurgen, mit einer Knochensäge durchtrennt.«

»Merkwürdig.«

»Am merkwürdigsten war die Schnittführung: Von den beiden Oberschenkeln wurden Hautlappen entnommen. Normalerweise ist das umgekehrt.«

 

»Was heißt umgekehrt?«

»Üblicherweise verbleibt bei einer Amputation ein ausreichend großer Hautlappen samt Gewebe, um das Knochenende damit vollständig bedecken zu können. Dieser Lappen verheilt dann zum Stumpf, der in weiterer Folge in der Prothese sitzt. Bei Haselbachers Leiche hat dieser nicht nur gefehlt, sondern es wurden oberhalb der Amputationsstellen solche Teile entfernt. Als würde man die abgetrennten Gliedmaßen damit bedecken wollen.«

Sandra runzelte die Stirn. »Das ist wirklich seltsam und legt nahe, dass wir es mit einem medizinisch geschulten Täter zu tun haben.«

»Kann gut sein.«

»Ein Arzt oder Pfleger, eine Krankenschwester …«, überlegte Sandra laut. »Oder eine Hebamme?«

»Du traust diese Taten doch nicht etwa Waltraud Krenn zu?«

»Nicht wirklich. Einmal abgesehen vom fehlenden Mordmotiv: Warum sollte sie die zweite Leiche im Laub verscharren, um sie nach Tagen wieder aufzufinden und die Polizei zu verständigen? Vor allem aber: Wie soll sie den Transport der Leiche bewerkstelligt haben? Allem Anschein nach ist der Mann an einem anderen Platz als am Fundort verblutet. War das bei Haselbacher eigentlich auch der Fall?«

»Yep. Darüber hinaus konnte das Labor Chloroformrückstände in seiner Leiche nachweisen. Dafür hat die restliche Blutmenge noch ausgereicht. Wir müssen demnach davon ausgehen, dass das Opfer betäubt wurde, bevor es starb und ausblutete. Danach wurde amputiert.«

»Aber nicht in seinem Wagen?«, vermutete Sandra.

»Ausgeschlossen bei dieser Spurenlage«, bestätigte Bergmann. »Die Kriminaltechnik konnte ein paar Fingerabdrücke und Haare von Haselbacher und zwei seiner Bekannten, die irgendwann einmal mitgefahren sind, sicherstellen. Kaum Blut.«

»Dann sind also sowohl die beiden Morde als auch die Amputationen woanders erfolgt. Wäre noch zu klären, wie die Leichen an die Fundorte gelangt sind.«

»Im ersten Fall mit dem Auto des Opfers. Ansonsten konnten auf dem Parkplatz keine relevanten Spuren sichergestellt werden.«

»Hm … Und wie ist die Leiche in den Laderaum gekommen? Wie schwer war der Mann ohne seine Beine? Und kaum noch Blut im Körper?«, fragte Sandra.

»Restlos ausgeblutet war seine Leiche nicht. Ein wenig Blut verbleibt immer im Körper«, bestätigte Bergmann. »Ein Unterschenkel samt Fuß wiegt an die sechs bis sieben Kilogramm. Ohne diese und ohne die etwa fünf Liter Blut, die der Leiche gefehlt haben, hat er noch immer stolze 75 Kilogramm auf die Waage gebracht. Haselbacher war ursprünglich 1,90 Meter groß«, wusste er von der letzten Autopsie, der er beigewohnt hatte.

»Zu schwer für eine Frau. Es sei denn, sie hätte einen Komplizen gehabt. Oder eine Komplizin. Was ist mit Josefine Haselbacher? Sie hatte es jedenfalls nicht weit zu den beiden Fundorten.«

»Das ist doch nicht dein Ernst.«

Dass es das nicht war, behielt Sandra vorerst für sich. Erst einmal wollte sie Bergmann eine Lektion erteilen. Sein allzu offensichtliches Interesse an der jungen Landwirtin war alles andere als professionell gewesen. Das wollte sie ihn nun spüren lassen. »Ich spiele zwar kein Lotto, aber wie heißt es so schön …?«, meinte sie mit ernster Miene.

»Alles ist möglich«, vervollständigte Bergmann spontan den Werbeslogan der Österreichischen Lotterien. »Aber das? Josefine Haselbacher? Warum denn? Welches Motiv sollte sie gehabt haben? Oder meinst du etwa, sie hätte die abgetrennten Körperteile zu Sugo, Chutney und Pastete verarbeitet?« Bergmann schüttelte ungläubig den Kopf.

»Ja, genau … Das ist es! Du bist ein Genie, Sascha! Der Fall ist so gut wie gelöst«, zeigte sich Sandra begeistert.

»Du verarschst mich doch, oder?«

»Aber warum denn? Nein«, meinte sie aufgeregt. »Wir sollten die angeblichen Mangalitza-Spezialitäten ins Labor schicken und auf menschliche DNS überprüfen lassen. Mein Instinkt sagt mir, dass du recht hast, Sascha.«

»Dein Instinkt war auch schon mal besser«, murmelte Bergmann und kam aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Sandra starrte auf die Fahrbahn. Ein Blick in sein verdutztes Gesicht hätte sie bestimmt die Beherrschung verlieren lassen. Sie biss sich auf die Lippen.

»Du spinnst doch, Sandra. Was ist denn bloß los mit dir? Haben sie dir Drogen verabreicht?« Bergmann schien ernsthaft an ihrem Verstand zu zweifeln.

Bei so viel Besorgnis in seiner Stimme konnte sich Sandra nicht länger beherrschen.

»Das ist doch …« Im nächsten Moment stimmte Bergmann in ihr Gelächter ein.

»Der Punkt geht an mich«, sagte Sandra, nachdem sie sich wieder einigermaßen gefangen und die Tränen aus dem Gesicht gewischt hatte. »Was musst du auch immer so unverschämt flirten. Noch dazu mit einer Zeugin?«

»Ich hab nicht mit ihr geflirtet«, protestierte Bergmann.

»Doch, hast du … Sie ist aber auch ziemlich hübsch, diese Josefine.« Sandra kicherte noch immer.

Bergmann seufzte. »Jaaa«, hauchte er. »Das ist sie …«

»Bist du etwa verknallt in sie?« Sandra grinste in sich hinein, den Blick auf die Fahrbahn gerichtet.

»Ich befürchte es«, bestätigte Bergmann mit einem weiteren Seufzen.

Das hatte er jetzt aber nicht ernst gemeint. Oder doch? »Lass bloß die Finger von ihr, Sascha«, warnte Sandra ihn.

»Aber sie ist doch so schön …« Wieder folgte ein sehnsüchtiges Seufzen.

»Sascha, bitte! Seit wann stehst du überhaupt auf so junges Gemüse?«

»Wieso denn Gemüse? Frischfleisch …«

»Du bist unmöglich.«

»Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich …?«

»O ja. Dir traue ich alles zu«, sagte Sandra.

Bergmann lachte auf. »Schön, dass du wieder da bist, Sandra.«

»Danke. Ich freue mich auch wahnsinnig.« Sandra zog die Mundwinkel nach oben, um sie gleich wieder fallen zu lassen. »Sind die Beine des Jungwinzers eigentlich aufgefunden worden?« Sie setzte den Blinker.

»Nein. Sie müssen aber recht muskulös gewesen sein. Haselbacher war Stürmer beim SV Karla.«

»Ein Fußballer …«

Bergmann nickte. »Unterliga Süd. Deshalb haben wir die Ermittlungen im Dunstkreis seines Vereins begonnen, für den er am Nachmittag vor seinem Tod gegen Gleisdorf II im Einsatz war.«

»Haselbacher hat nach dem Brunch in Neusetz Fußball gespielt?«

»Ja, warum denn nicht?«

»Leistungssport nach dem Essen?«

Bergmann zuckte mit den Schultern. »Er hat dort kaum etwas zu sich genommen, erst später. Jutta hat seinen Mageninhalt untersuchen lassen. Er hat wohl erst abends Schinken, Brot und ein wenig Weißwein zu sich genommen. Aber nochmal zurück zu dem Match: Seine Mannschaft hat verloren, weil Haselbacher einen Elfmeter vergeben und danach auch noch ein Eigentor geschossen hat. War wohl nicht sein Tag.«

»Das kann man so sagen«, spielte Sandra auf seine Ermordung wenige Stunden später an.

»Ursprünglich haben wir erwogen, dass ihm sein sportliches Versagen jemand übel genommen hat und er deshalb sterben musste«, spekulierte Bergmann über das Tatmotiv.

»Ziemlich drastische Maßnahme«, fand Sandra.

»Ist aber schon vorgekommen. Ein kolumbianischer Fußballer wurde in seiner Heimat auf einem Parkplatz regelrecht hingerichtet, weil er Tage zuvor mit seinem Eigentor beim WM-Spiel in den USA eine 2:1-Niederlage eingeleitet hatte. Sein Mörder soll ihn mit einem ›Gooool!‹-Ruf im typischen Stil der südamerikanischen TV-Reporter verhöhnt haben, während er sechs Kugeln abfeuerte.« Offenbar hatte Bergmann gründlich recherchiert. Dass er inzwischen Fußball-Fan geworden war, schloss Sandra aus. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte er noch nie über diesen Sport gesprochen.

»Erschießen ist eine Sache. Aber ein so blutrünstiger Mord? Und die Amputation? Andererseits, warum eigentlich nicht?«, gab sie sich gleich selbst die Antwort. Leider hatte sie schon in zu vielen Mordfällen ermittelt, als dass sie irgendeine Tat oder ein Motiv von vornherein ausschließen wollte. Manche Menschen waren zu allem fähig. Oftmals wegen nichts und wieder nichts. »Gibt es denn einen Verdächtigen?«, fragte sie weiter.

Bergmann schüttelte den Kopf. »Nein. Und nachdem es nun ein weiteres verstümmeltes Mordopfer gibt, dem die Hände fehlen, können wir dieses Tatmotiv wohl getrost ad acta legen. Es sei denn, der Mann war Handballer und hat ebenfalls in einem Match versagt.«

Sandra warf einen kurzen Seitenblick auf den Chefinspektor. Nichts an seiner Mimik verriet ihr, ob die letzte Bemerkung Ernst oder als schlechter Scherz gemeint war. Also erzählte sie ihm, was ihr angesichts der zweiten Leiche im Wald spontan in den Sinn gekommen war.

Bergmann überlegte eine Weile, ehe er antwortete. »Dass Dieben in manchen Kulturkreisen die Hände amputiert werden, ist mir schon bekannt. Aber die Beine?«

Sandra setzte erneut den Blinker und verließ den Kreisverkehr. »Von Fußamputationen habe ich in diesem Zusammenhang schon gehört. Ich werde mich morgen mal schlaumachen. Vielleicht weiß Paul ja mehr über Amputationen in Zusammenhang mit Bestrafungsritualen.«

»Paul? Welcher Paul?« Bergmann beäugte Sandra von der Seite.

»Paul Stadler vom Raubdezernat.«

»Ach, der Stadler … Ich wusste nicht, dass ihr euch so nahe steht.«

»Tun wir ja gar nicht«, widersprach Sandra. »Ich habe lediglich ein besseres Namensgedächtnis als du.« Dass der Kollege vom Raub sie tatsächlich gern privat getroffen hätte, verschwieg sie Bergmann lieber. Schließlich hatte sie Paul Stadlers Wunsch nicht nachgegeben. Sie hatte sich bei ihm lediglich für die Blumen bedankt, die er ihr nach ihrem Zusammenbruch ins Krankenhaus geschickt hatte, ihn danach aber nie wieder angerufen. Er hatte sich seinerseits auch nicht mehr bei ihr gemeldet. »Hat Markus Haselbacher eigentlich ein Musikinstrument gespielt?«, wechselte sie das Thema, bevor Bergmann allzu neugierig wurde.

»Nicht, dass ich wüsste. Warum?«

»Vielleicht gibt es irgendeine Parallele, die uns auf eine Spur bringt. Irgendeine Gemeinsamkeit zwischen den beiden Männern, ein Hobby, eine Eigenschaft, gemeinsame Bekannte. Irgendetwas, das sie zum geeigneten Opfer gemacht hat und das uns zum Täter führen könnte.«

»Außer dem Zufall und der Tatsache, dass sich beide zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten haben, meinst du? Wenn dem so ist, werden wir es früher oder später herausfinden.«

»Hoffentlich, bevor der Täter noch einmal zuschlägt. Was ist mit dieser Verkäuferin im Hofladen, Irmgard …« Sandra fiel der Nachname nicht ein.

»Kolleritsch«, sagte Bergmann. »Na? Wer hat denn nun das bessere Namensgedächtnis von uns beiden?«

»Schon gut, Sascha. Bleib doch bitte mal ernst.« Der Mann war ein solcher Kindskopf.

»Der Name Irmi taucht einige Male in Markus Haselbachers Kalender, in seinen Anruflisten und E-Mails auf. Wir wissen inzwischen, dass ihre Beziehung nicht nur geschäftlich war. So was soll ja vorkommen … Paul Stadler, ts, ts …« Bergmann wurde von den Klingeltönen seines Handys unterbrochen.

Noch ehe Sandra ihm sein Verhältnis mit der Gerichtsmedizinerin unter die Nase reiben konnte, hatte er das Gespräch angenommen. »Gut«, sagte er, nachdem er eine Weile zugehört hatte, »bis morgen.«

»Und? Was Neues?«

»Wie nicht anders erwartet, wird Christian Maric noch immer vermisst. Miriam hat die beiden Jazzmusiker für morgen um 14 Uhr zur Einvernahme ins LKA bestellt. Das sollte sich mit der Obduktion am Vormittag ausgehen.«

Sandra verkniff sich die Retourkutsche, die Bergmann und die Gerichtsmedizinerin betraf. Sie war heilfroh, dass er wie üblich der Obduktion beiwohnen würde. Auf Leichensektionen konnte sie gut und gern verzichten. Ihr reichte es vollkommen, die Obduktionsbefunde zu studieren. »Wenn wir es wirklich mit einem Serientäter, nicht mit einem Mörder und einem Nachahmungstäter, zu tun haben, finde ich noch etwas auffällig«, sagte sie stattdessen.

»Und zwar?«

»Zwischen den beiden Morden liegen keine zwei Wochen. Normalerweise warten Serientäter länger ab, ob man ihnen auf die Schliche kommt. Erst, wenn sie sich einigermaßen sicher fühlen, schlagen sie erneut zu.«

»Und mit jeder weiteren Leiche werden die Zeiträume zwischen den Morden kürzer«, ergänzte Bergmann.

»Gab es denn schon früher mal einen ähnlichen Mord? Woanders als in der Steiermark, meine ich.« Sandra war kein solcher Fall in ihrem Bundesland unterkommen, seit sie beim LKA arbeitete.

»Das haben wir noch nicht überprüft. Wir müssen ja erst seit heute Morgen davon ausgehen, dass wir es mit einem Serientäter zu tun haben. Bisher haben wir uns nur die Straftaten angesehen, die in den letzten fünf Jahren im Bezirk Südoststeiermark, beziehungsweise vor der Fusionierung in den Bezirken Feldbach und Radkersburg vorgefallen sind. Vor allem jene, bei denen Menschen verletzt oder getötet wurden. Von Kindesmisshandlungen, über Wirtshausschlägereien bis hin zu Raub mit Körperverletzung und Vergewaltigung ist alles vertreten. Aber nur ein einziger Mord in Hatzendorf im April 2010, eine Beziehungstat. Ein Landwirt hat seiner Ehefrau den Kopf mit einer Sense beinahe abgetrennt.«

 

»Richtig. Damals war ich auf Schulung«, erinnerte sich Sandra vage an den Fall, der nach ihrer Rückkehr vom Kriminalpsychologie-Seminar auf der Lassnitzhöhe bereits von den Kollegen aufgeklärt worden war. »Demnach leben hier keine weiteren einschlägig Vorbestraften?«

»Nicht unter den gemeldeten Personen. Dass der Täter ein Tourist ist, halte ich für unwahrscheinlich. Er scheint sich rund um Straden sehr gut auszukennen.«

»Es könnte auch sein, dass es für das straffe Timing zwischen den Taten einen bestimmten Grund gibt. Vielleicht wählt der Täter die Zeitpunkte ganz gezielt aus. Wie Vollmond, Neumond oder so was. Sieh doch mal im Mondkalender nach«, schlug Sandra vor.

Bergmann zückte prompt sein Smartphone. »Heute ist Neumond«, meinte er nach einer Weile.

»Dann war vor 14 Tagen Vollmond …«

»Am 18. Oktober.«

»So lange ist das zweite Opfer auf keinen Fall tot. Es sei denn, die Leiche hätte einige Tage auf Eis gelegen.«

»Und Haselbachers Ermordung hat zwei Tage nach Vollmond stattgefunden. Nein, der Mondzyklus spielt wohl keine Rolle.«

»Mir kommt da gerade eine andere Idee in den Sinn …« Sandra hing ihren Gedanken nach.

»Erzählst du sie mir auch?«

»Ach so, na klar … Gehen wir mal davon aus, dass die Amputation der Hände dieselben Merkmale wie die der Beine aufweist«, redete Sandra weiter. »Was, wenn die Gliedmaßen abgenommen wurden, um sie jemand anders zu transplantieren, der dafür viel Geld bezahlt?«

Bergmann richtete sich in seinem Sitz auf. »Illegaler Handel mit Gliedmaßen, meinst du? Ist zumindest ein neuer Ansatz …«

»Von Beintransplantationen habe ich allerdings noch nie etwas gehört. Nur von Handtransplantationen. Einem der Opfer des Bombenlegers Franz Fuchs haben sie damals doch erfolgreich die Hände eines Spenders transplantiert. Er fährt damit sogar wieder Motorrad.«

»Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass transplantierte Beine zum Gehen taugen.«

Sandra zuckte mit den Schultern. »War auch nur so ein Gedanke. Andererseits schreitet die Medizin stetig voran. Wir hatten es ja auch schon mal mit einem Herztransplantierten zu tun, der kräftig genug war, um mehrere Frauen zu töten und ihre Leichen fortzuschaffen«, erinnerte sie sich an jenen Fall, den sie vor zwei Jahren in der Weststeiermark gelöst hatten.

»Ich werde Jutta morgen dazu befragen. Stell dir vor, wir haben uns…«

»Bitte nicht, Sascha«, hielt Sandra den Chefinspektor von einem privaten Geständnis ab.

Bergmann grinste breit. »Ganz meine alte Sandra.«

»Weder deine noch alt«, sagte sie und stieg aufs Gas, um den Traktor zu überholen.

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