Drehschluss

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8

»Ich soll den Fall zu den Akten legen? Das ist doch nicht Ihr Ernst?«, fragte Frank Schütte ungläubig. Aus seiner Sicht war der neue Leiter des LKA, in dessen Büro er gerade zitiert worden war, eine glatte Fehlbesetzung. Er hatte den knapp 20 Jahre jüngeren Akademiker von Anfang an nicht ausstehen können. Was auf Gegenseitigkeit beruhte, wie er deutlich spürte.

»Das ist mein voller Ernst, Schütte«, erwiderte Dr. Peter Wieser und rührte dabei monoton in seiner Kaffeetasse.

Dieser emotionslose Schnösel ging ihm auf den Geist. Nur weil er studiert hatte, war er noch lange nicht klüger als er. Die meisten jungen Akademiker empfand er als Plage, die sich wie ein Krebsgeschwür ausbreitete. »Hören Sie«, sagte er, »wir können diesen Fall doch nicht einfach auf sich beruhen lassen.«

»Gibt es denn neue Hinweise, von denen ich noch nichts weiß?«, bohrte Wieser nach.

»Nein.« Schütte lehnte sich im Besucherstuhl vor dem Schreibtisch seines Vorgesetzten zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Ich habe meine Weisungen von höchster Stelle. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, Herr Schütte, dass Mona Ettinghaus für tot erklärt wird. Der Antrag läuft bereits. Was für ihre Familie recht ist, wird für Sie doch wohl billig sein.«

Was für ein dämlicher Spruch, dachte Schütte und zwang sich, Wieser nicht in die Augen zu sehen. Er hätte zweifellos bemerkt, was er von seinen Worten hielt. Aber wahrscheinlich ahnte er das auch so.

»Dieser Fall ist keiner mehr. Haben wir uns verstanden?«

»Ja«, meinte Schütte zerknirscht.

»Und, Schütte, noch etwas«, fuhr Wieser fort. »Lassen Sie die Familie Ettinghaus in Ruhe. Die Leute haben genug durchgemacht. Sie haben rein gar nichts gegen sie in der Hand.«

Ach, daher wehte der Wind! Die ehrenwerte Verlegerfamilie hatte ihren Einfluss geltend gemacht, um nicht weiter mit unangenehmen Ermittlungen belästigt zu werden. Alles klar. Es war ja auch bequemer, Mona Ettinghaus für tot erklären zu lassen. Schon allein aus rechtlichen Gründen. Um Machtkämpfe im Familienunternehmen zu vermeiden, mussten die Positionen neu geordnet werden. Und dafür brauchte es Monas Testament. So gesehen war eine tote Verlagschefin doch viel nützlicher als eine vermisste. Vermutlich lag die privilegierte Mischpoche auch noch richtig. Mona Ettinghaus war längst tot, da war sich Schütte ziemlich sicher. Verdammt noch mal, fluchte er innerlich. In seiner 37-jährigen Polizeilaufbahn war noch niemand dermaßen spurlos verschwunden wie diese Ettinghaus. Und er war noch niemals so frustriert gewesen wie in diesem Moment, als er Wiesers Büro ohne Fall verlassen musste. Noch dazu, wo dieser viel zu mysteriös war, als dass er ungelöst im Archiv verstauben durfte.

9

Jackies gellender Schrei hatte die Finca mitten in der Nacht schlagartig mit Leben erfüllt. Jetzt wartete alles auf die Ankunft der Polizei.

Conny, die Produktionsleiterin, dachte wohl, dass die Beamten schneller eintreffen würden, wenn sie wie ein gefangener Tiger in der Eingangshalle auf und ab lief. Reimann und sein Kameramann Martin Rosen saßen Kette rauchend auf der steinernen Treppe und schmissen mit wilden Theorien um sich, wer da wohl über die Terrassentür in die Räume der Benz eingedrungen war.

Clara war als Erste in Jackies Suite gewesen, um nachzusehen. Dabei hätte sie die Angst vor einem Verbrecher, der sich möglichweise noch hier aufhielt, beinahe gelähmt. Dennoch schaffte sie es barfuß und mit schlotternden Knien bis ins Schlafzimmer zu gelangen, wo sie die nackte Schauspielerin in ihrem Bett vorfand. Arme und Beine waren an die Bettpfosten gebunden. So viel konnte Clara im fahlen Mondlicht erkennen. Jackie zappelte und zerrte an ihren Fesseln wie ein Fisch, der an Land gezogen worden war. Sie lebte noch, Gott sei Dank! Clara hatte bereits das Schlimmste befürchtet. Als plötzlich das Licht im Zimmer anging, erschrak sie fast zu Tode.

Reimann stürmte an ihr vorbei ans Bett und riss Jackie die Schlafmaske von den Augen. Jackie blinzelte kurz, warf dann ihren Kopf hin und her.

»Ruhig, Jackie. So halt doch still!«, sagte Reimann. Mit der Linken griff er sich ihr Kinn, mit der Rechten zog er das lila Seidenhöschen aus ihrem Mund. Bei allem Schrecken konnte er nicht umhin, das Ding zwischen seinen Fingern amüsiert zu betrachten, ehe er es vorsichtig beiseitelegte.

Jackie hustete und schnappte nach Luft, während Clara versuchte, eine der Fußfesseln aufzuknoten.

Reimann hatte wohl zu viele Krimis gesehen oder auch selbst gedreht, denn er schlug vor, die Stricke so zu belassen, wie sie waren, bis die Polizei am Tatort eintraf.

»Du hast sie wohl nicht mehr alle, Reimann? Willst du mich hier allen Ernstes so liegen lassen, bis die Bullen kommen? Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, ich bin verdammt splitterfasernackt!«, schimpfte Jackie. »Mach mich sofort los, Clara!«

»Warte einen Moment.« Reimann zog ein Taschenmesser aus seiner Hosentasche, während Jackie lauthals weiterschimpfte.

»Jetzt macht schon! Und ihr dort drüben schert euch zum Teufel! Raus hier! Ruft lieber die Polizei!«, rief sie ihrem Co-Star und der Produktionsleiterin zu, die wie festgenagelt im Türrahmen standen und sie fassungslos anstarrten.

»Schon erledigt, Jackie. Die Polizei wird gleich hier sein«, antwortete die sonst so resolute Conny Krämer kleinlaut, ehe sie Ben Schlesinger aus dem Zimmer schubste und die Tür von außen schloss.

»Wird’s jetzt endlich?«, schnauzte Jackie den Regisseur an, der sich an ihrem Handgelenk zu schaffen machte.

»Du musst schon still halten. Ich kann sonst die Stricke nicht durchschneiden, ohne dich zu verletzen. Und die Knoten will ich auch nicht zerstören. Die könnten, wie gesagt, ein wichtiger Hinweis auf den Täter sein.«

»Mann, Reimann! Dreh hier keinen Film!«, schrie Jackie ihn an und rieb sich die rot gescheuerten Handgelenke, als diese endlich befreit waren. »Jetzt mach meine Beine los! Worauf wartest du denn?«

»Was ist hier eigentlich passiert?«, wollte Clara wissen, während Reimann an Jackies rechter Fußfessel herumsäbelte.

»Autsch! Pass doch auf, du Idiot! Jetzt hast du mich geschnitten!«, fuhr sie ihn an.

»Höchstens gepiekst hab ich dich … Sorry, Jackie. Aber dein Bein ist total glitschig«, murmelte er.

»Was soll das?«, fragte Jackie wütend, während Reimann mit den Fingerkuppen zuerst über das eine, dann über ihr anderes Bein strich.

»Es fühlt sich an, als ob du gerade rasiert worden wärst. Guck mal, da ist noch Seife dran«, sagte er verwundert und rieb etwas zwischen seinen Fingern.

»Zeig her«, meinte Clara und inspizierte zuerst seine feuchten Finger, bevor sie sich über Jackies Bein beugte. »Darf ich mal?«, fragte sie.

»Aber sicher doch. Lasst euch ruhig Zeit, ihr beiden. Ich laufe euch schon nicht davon«, meinte Jackie süffisant und beobachtete, wie Claras Finger langsam über ihre Beine glitten.

Das Rechte war glatt wie ein Kinderpopo, beim Linken war der Täter wohl durch ihren Schrei gestört worden, denn das Schienbein war nur zum Teil spiegelglatt. »Verdammt, Jackie, da hat dir wirklich jemand die Beine rasiert«, bestätigte Clara.

»Was? Wozu das denn?« Jackie versuchte, sich aufzusetzen, um selbst nachzusehen. »Hilf mir mal«, befahl sie Clara und streckte ihr die Arme entgegen, um sich von ihr hochziehen zu lassen.

»Das ist voll pervers«, murmelte Reimann und sah zu, wie Jackie ihre gespreizten Beine, die noch immer an die Pfosten gefesselt waren, mit Claras Unterstützung begutachtete. Es war ein Bild für die Götter, wie sich die pudelnackte Benz in mühsamen Verrenkungen wie ein Walross im Bett wälzte. Reimann fiel es sichtlich schwer, sich zurückhalten, um nicht lauthals loszulachen.

»Perverses Schwein«, stellte Jackie fest und ließ ihren Oberkörper zurück in die Laken plumpsen. »Mach weiter mit den Fesseln, Reimann. Aber pass gefälligst auf«, ordnete sie an.

»Also, was ist passiert?«, wiederholte Clara ihre Frage und bedeckte Jackies nackten Körper mit dem Morgenmantel, der zuvor auf der Truhe am Fußende ihres Bettes gelegen hatte.

»Woher soll ich das denn wissen? Ich wurde plötzlich wach und bemerkte, dass ich gefesselt war. Durch meine Schlafmaske konnte ich ja nichts sehen. Also habe ich geschrien, und dann wurde mir etwas in den Mund gesteckt. Fast wäre ich daran erstickt.«

»An dem sexy Ding da.« Reimann zeigte mit seinem Messer auf Jackies Höschen, das nun neben ihren Schlaftabletten auf dem Nachtkästchen lag.

»Klappe, Reimann! Schneid lieber weiter!«

»Und dann?«, fragte Clara.

»Dann seid ihr aufgetaucht. Mehr weiß ich auch nicht.«

»Und was ist das?« Clara deutete zu der emaillierten Schüssel, die neben dem Bett umgestürzt in einer Pfütze auf den Holzdielen lag.

Jackie beugte sich hinunter. »Die Schüssel stand vorher auf der Kommode. Ich hab das olle Teil noch nie angerührt.«

»Dann hat er sie wohl für die Rasur benutzt«, meinte Clara nachdenklich.

Reimann klappte sein Messer zu.

»Na endlich.« Jackie setzte sich auf, um ihre rot gescheuerten Fußknöchel zu untersuchen.

»Brauchst du einen Arzt?«, fragte Reimann.

»Wofür denn? Du kannst dich verziehen, Reimann. Bitte«, fügte sie hinzu und schlüpfte in ihren Morgenmantel, ohne das Bett zu verlassen.

»Nur, wenn ihr mir versprecht, dass ihr nichts anrührt, bis die Polizei kommt. Schon gar nicht diese Schüssel.« Reimann verließ das Schlafzimmer.

»Scheiße. Wer war das, Clara?«, fragte Jackie, nachdem die Tür ins Schloss gefallen war.

»Derselbe, der dir die SMS geschickt hat?«, vermutete Clara.

 

Jackie nickte nachdenklich. »Anzunehmen.«

»Vielleicht sollten wir deine Biografie doch lieber ad acta legen«, schlug Clara vor.

»Kommt gar nicht in Frage.«

»Er hat dich ausgezogen, Jackie. Und rasiert.« Clara setzte sich auf die Truhe.

»Ich muss ziemlich tief geschlafen haben«, stellte Jackie fest.

Clara fröstelte, während Jackie weitererzählte.

»Er hat mir über die Wange gestreichelt und mich beim Namen genannt«, erinnerte sie sich mit geschlossenen Augen. »Es klang zärtlich.«

»War er ein Deutscher oder ein Spanier? Ist dir ein Akzent aufgefallen?«

Jackie schüttelte den Kopf. »Er hat ja nur meinen Namen genannt … warte mal … nein, ich weiß es nicht.«

»Kam dir seine Stimme bekannt vor?«

»Nein, aber jetzt erinnere ich mich an ein Scheppern.« Jackie öffnete die Augen und sah Clara an. »Er muss über die Schüssel gestolpert sein, als er floh«, fuhr sie fort.

»Das ist ziemlich beängstigend, Jackie. Der Typ spaziert mitten in der Nacht in dein Zimmer, zieht dich aus, fesselt dich und rasiert dir die Beine. Wer weiß, was er sonst noch alles mit dir angestellt hätte, wenn du nicht aufgewacht wärst?«

»Nur gut, dass ich heute keine Schlaftablette genommen habe.«

»Ja, das war wohl dein großes Glück. Lass uns die Biografie lieber vergessen, bevor er wiederkommt und dir was Schlimmeres antut.«

»Kommt gar nicht infrage. Der wollte mir doch nur einen Schrecken einjagen.«

»Was mich anbelangt, so ist ihm das gelungen. Der meint es ernst, Jackie. Das ist ein Irrer. Ehrlich gesagt, habe ich Angst.«

»Du hast Angst? Und ich habe dich für eine taffe Frau gehalten.«

»Denk doch an das Ultimatum. Ich glaube, dieser Wahnsinnige ist mitten unter uns und beobachtet dich.«

»Möglich«, räumte Jackie ein.

»Es muss einer von der Filmcrew sein.«

»Oder eine.«

»Du meinst, es steckt eine Frau dahinter? Na ja, warum nicht?«, meinte Clara nachdenklich. »Eve de Angeli zum Beispiel … Die hätte doch ein Motiv, deine Biografie zu verhindern«, fuhr sie fort. Vielleicht hatte sie einen männlichen Handlanger.

»Eve?« Jackie lachte und schüttelte energisch den Kopf. »Niemals. Das war nicht Eve.«

»Und warum bist du dir da so sicher?«

»Die hätte sich nicht mit meinen Beinen aufgehalten, sondern mir gleich die Kehle aufgeschlitzt.« Jackie lachte herzlich über den eigenen Galgenhumor.

Clara war überhaupt nicht zum Lachen zumute.

Als es plötzlich an der Tür klopfte, fuhren beide Frauen erschrocken zusammen.

Eine uniformierte Polizistin steckte den Kopf herein und bat sie zur Zeugeneinvernahme in die Halle. In der Zwischenzeit wollte sich die Spurensicherung dem Tatort widmen.

Kurz vor 6 Uhr morgens hatten die Beamten ihre Arbeit in der Finca fürs Erste erledigt und entließen die erschöpften Filmleute in ihre Betten. Claras Angebot, die restlichen zwei Stunden bis zum Aufstehen bei ihr zu verbringen, lehnte Jackie dankend ab. Clara hätte in dieser Horrorsuite kein Auge mehr zugetan. Jackie hingegen schien den nächtlichen Vorfall einfach wegzustecken. Leider. Wäre es nach Clara gegangen, hätte sie die Arbeit am gemeinsamen Buchprojekt lieber heute als morgen abgebrochen. Doch Vertrag war Vertrag. Und Clara würde ihn erfüllen. Selbst wenn sie die Vorstellung, im Schlaf ausgezogen, gefesselt und rasiert zu werden, beängstigend fand. Wer immer das getan hatte, hätte Jackie auch umbringen können. Und vielleicht kam er schon bald zurück, um dort fortzufahren, wo er aufgehört hatte. Oder er stattete zur Abwechslung ihr, der Autorin der unerwünschten Biografie, einen Besuch ab. Clara fröstelte unter ihrer dünnen Sommerdecke. An Schlafen war noch immer nicht zu denken. Sie knipste das Nachttischlämpchen an, um eine Wolldecke aus dem Schrank zu holen. Und eine der Pillen, die ihre Angst betäuben würde.

***

Berauscht von deinem himmlischen Duft,

betört von deiner samtenen Haut,

begeb ich mich denn zur Ruh’,

die ich doch erst finde,

wenn du mir gehörst.

***

10

Clara wartete seit 20 Minuten mit ihrem Laptop im Mercedes und widmete sich ihren E-Mails, als Jackie endlich mit einem muskelbepackten Hünen im Schlepptau auftauchte.

»Guten Morgen, meine Liebe«, zwitscherte sie quietschfidel. »Das ist Sven, mein Bodyguard. Der Produzent besteht darauf, dass ich ab sofort rund um die Uhr bewacht werde«, erklärte sie gut gelaunt.

Der Zweimetermann mit den kurz geschorenen Haaren hatte zwischen den Frauen auf dem Rücksitz Platz genommen.

Über den Rückspiegel nickte Pedro dem blonden Riesen respektvoll zu.

»Morgen«, murmelte Sven und sah aus dem Fenster, um die Gegend auf mögliche Gefahren zu scannen.

»Hallo, Sven! Ich bin Clara Bodenstein. Freut mich sehr, dass Sie hier sind.« Clara war ehrlich erleichtert, dass der Koloss zu Jackies Schutz engagiert worden war. Solange er bei ihr war, würde sich kaum jemand in ihre Nähe wagen. So viel war sicher. Bloß auf der Rückbank war es ein wenig eng geworden. »Was dagegen, wenn ich mich nach vorn setze? Dann habt ihr beiden mehr Platz«, schlug sie vor.

»Nur zu«, erwiderte Jackie, während ihr Bodyguard weiterhin aus dem Fenster glotzte.

Clara hatte am Beifahrersitz Platz genommen, als Jackie ihr verriet, dass es Conny schon in aller Herrgottsfrüh gelungen war, Sven von Claudia Schiffer abzuziehen. »Ist das nicht nett von Claudia?«, fragte sie, als sich die Limousine in Bewegung setzte.

»Frau Schiffer ist immer sehr nett«, warf Sven ein, als müsse er das deutsche Supermodel vor dem losen Mundwerk der ihm anvertrauten Schauspielerin schützen.

»Habe ich etwas anderes behauptet, guter Mann? Ich bin Frau Schiffer sehr dankbar, dass sie sich bereit erklärt hat, in den nächsten Tagen auf Ihre wertvollen Dienste zu verzichten«, mimte Jackie die Grande Dame.

Clara war froh, dass der Bodyguard hinter ihr saß, sodass ihm ihr Grinsen nicht verriet, dass er gerade aufgezogen wurde. Während er nach einer angemessenen Antwort suchte, wechselte Jackie das Thema.

»Mark ist auf dem Weg hierher. Er möchte sich wohl überzeugen, dass an mir noch alles dran ist. Und dann wird er mir wieder mal meine Memoiren ausreden wollen«, sagte sie und seufzte theatralisch.

»Ist doch nur verständlich. Er macht sich bestimmt große Sorgen um dich«, meinte Clara.

»Das ist doch aber gar nicht mehr nötig. Wo wir jetzt doch unseren starken Sven haben.« Sie boxte den Riesen in den baumstammdicken Oberarm.

Sven reagierte überrascht. »Ja, Frau Benz. Ich meine, nein Frau Benz«, stammelte er.

»Na, was denn nun?« Jackie lachte. »Bereitet euch schon mal darauf vor, dass wir heute Abend nach Palma fahren. Mark will mit uns ausgehen, Clara.«

»Gerne, falls ich nicht einschlafe.« Clara gähnte aufs Stichwort. Vielleicht gelang es ihr ja zusammen mit Mark, Jackie von der Biografie abzubringen. Er schien zwar sterbenslangweilig zu sein, aber dafür umso vernünftiger. Clara gähnte noch einige Male, bis der Mercedes am Set eintraf. »Darf ich in deiner Suite bleiben, während du drehst?«, fragte sie, nachdem alle außer Pedro ausgestiegen waren.

»Sicher, meine Liebe. Ruh dich ein wenig aus, damit du abends fit bist«, schlug Jackie vor.

Unterwegs spürte Clara Sven in ihrem Rücken. Ob man sich jemals daran gewöhnte, ständig beobachtet zu werden? Für sie war das jedenfalls nichts, stellte sie fest.

Lucy und Jackies Kostümbildnerin Rebekka warteten bereits auf die Hauptdarstellerin. Sie mussten sich beeilen, um Jackie trotz ihrer verspäteten Ankunft rechtzeitig drehfertig zu bekommen. Nichts war schlimmer, als für teure Stehzeiten verantwortlich gemacht zu werden. Die beiden jungen Frauen würden zur Rechenschaft gezogen werden, wenn der Star nicht rechtzeitig am Set erschien. Selbst wenn es nicht ihre Schuld war, dass Jackie zu spät kam.

Lucys Hände zitterten, während sie die tiefen Augenschatten, die die kurze, aufregende letzte Nacht bei Jackie hinterlassen hatte, mit Camouflage abdeckte. Als die hysterische Stimme der Assistentin der Aufnahmeleiterin aus dem Walkie-Talkie plärrte, fuhr Lucy vor Schreck zusammen und rutschte mit dem Eyeliner aus.

»Verdammt noch mal! Pass doch auf!«, herrschte Jackie sie an.

Lucy brach in Tränen aus.

»Schon gut. Ist ja nicht so schlimm«, lenkte Jackie ein. »Was ist denn heute bloß los mit dir, Mädchen?«

Während Lucy zuerst den kohlschwarzen Ausrutscher, danach die eigenen Tränen wegwischte, erzählte Rebekka, dass sie heute Morgen erfahren hatten, was vergangene Nacht vorgefallen war.

Lucy schnäuzte sich lautstark.

»Man sollte euch allen einen Maulkorb verpassen. Wenn die Presse davon Wind bekommt, dann gnade euch Gott. Clara ausgenommen. Die war ja fast live dabei.« Jackie blickte über den großen Schminkspiegel zu ihrer Co-Autorin, die am Sofa hinter ihrem Rücken kurz vor dem Einnicken war.

»Keine Sorge«, erwiderte Rebekka. »Conny hat uns heute Morgen schon eine Standpauke gehalten. Wer nicht dichthält, fliegt nach Hause.«

»Worauf du deinen Hintern verwetten kannst. Vergesst die Geschichte ganz rasch mal wieder. Mir ist nichts passiert. Außerdem wacht Sven jetzt über mich.« Jackies Daumen wies über ihre Schulter zum Bodyguard, der mit verschränkten Armen und stoischer Miene die Tür blockierte. Ein lautes Knacken aus dem Walkie-Talkie kündigte die nächste dringliche Anfrage an. »Was ist jetzt mit der Benz, Lucy? Wir sind gleich drehfertig«, bellte die Stimme des Aufnahmeleiters aus dem Gerät.

Jackie nahm es Lucy aus der Hand. »Jetzt hab dich mal nicht so! Gib uns noch zehn Minuten. Dann bin ich unten bei euch«, schnauzte Jackie ihn über das Walkie-Talkie an.

»In Ordnung, Jackie. Exakt zehn Minuten«, gab sich der Aufnahmeleiter geschlagen.

Als Jackie zwölf Minuten später am Set erschien, war der große Innenhof mit der steinalten Zisterne fertig eingeleuchtet. Alle warteten auf ihren Plätzen. Während Reimann seiner Hauptdarstellerin Regieanweisungen gab, warf Ben Schlesinger ihr wütende Blicke zu, um klarzustellen, dass er Jackies Verspätung missbilligte.

»Straße ohne Schatten, Szene 56, die Erste!«, rief der Materialassistent und zauberte damit einen zu Tode betrübten Ausdruck auf Bens bleich geschminktes Gesicht.

»Und bitte, los!«, kommandierte Reimann.

Jackie sah Sekunden lang schweigend in die graublauen Augen ihres Filmpartners, wie es der Regisseur angeordnet hatte. Mit dem Blick eines weidwunden Rehs. Es war mucksmäuschenstill am Set, bis auf die schrillen Rufe der Mauersegler, die ihre Kreise am wolkenlosen Himmel zogen. Jackie sprach mit zittriger Stimme, als würde sie um Fassung ringen. »Du hast dich also entschieden?«

Ben nickte stumm und blickte betroffen zu Boden.

»Und ich? Darf ich denn gar nichts mehr für dich tun?«, fuhr Jackie fort, wobei sie ihre Stimme beinahe kippen ließ, um noch einen Tick verzweifelter zu klingen.

Ben hob langsam seinen Blick, sah ihr in die Augen und antwortete mit trauriger Miene: »Ich möchte nicht, dass du mit ansehen musst, wie mich die Krankheit allmählich dahinrafft.«

Jackies Augen hatten sich inzwischen mit Tränen gefüllt, die nun über ihre Wangen rollten. »Schick mich nicht weg von dir, Manuel, bitte! Ich liebe dich so sehr. Lass mich stark sein für dich. Für uns«, flehte sie verzweifelt.

Ben schluckte, strich sanft über ihre Wange, um eine Träne wegzuwischen. »Es gibt kein uns mehr. So versteh doch, Liebes. Es gibt nur noch dich. Sei stark für dich selbst, und lebe dein Leben weiter«, mimte er den Kraftlosen.

»Oh, Manuel«, antwortete Jackie mit erstickter Stimme, fiel ihm leise schluchzend um den Hals.

»Schnitt! Großartig, Jackie!«, rief Reimann und näherte sich Ben, während Lucy zu Jackie eilte, um mit der Puderquaste über Kinn und Nase zu gehen.

»Ben, dieser leere Blick am Ende war sehr gut, aber danach schließ langsam die Augen. Wie ich es dir vorhin erklärt habe. Okay?«

Ben nickte. »Ja, ja. Schon verstanden«, bestätigte er dem Regisseur.

»Alles wieder auf Anfang!«, rief der Regieassistent, bevor die Klappe erneut geschlagen wurde. Nach drei Takes war die Einstellung im Kasten. Das Licht wurde für die nächste Szene umgebaut.

Nach einem kurzen Nickerchen arbeitete Clara in Jackies Suite an ihrer Story über die Dreharbeiten weiter. Die passenden Setfotos hatte sie bereits ausgewählt.

Schade, dass es vom Zwischenfall der vergangenen Nacht keine Bilder gab, überlegte sie. Sie hätten der UP mit Sicherheit eine neue Rekordauflage beschert. Wenngleich gewisse Stellen der gefesselten Diva verpixelt werden müssten, um der Leserschaft keine allzu nackten Details zu präsentieren. Die wenigen Persönlichkeitsrechte, die eine öffentliche Person wie Jackie Benz noch hatte, mussten schließlich gewahrt bleiben. Ob Clara solche Fotos veröffentlicht und eine einstweilige Verfügung riskiert hätte? Zu einem späteren Zeitpunkt ganz bestimmt, musste sie sich selbst eingestehen. Als Chefredakteurin der UP hätte sie gar nicht anders können. Fotos einer nackt ans Bett gefesselten Jackie Benz wären der Knüller des Jahres gewesen. Ach was, des ganzen letzten Jahrzehnts. Ein Paparazzo hätte mit solchen Fotos ein Vermögen verdient, überlegte sie und fühlte sich auf einmal ziemlich schäbig.

 

***

So schenk es mir,

dein tapferes Herz.

Es schlägt für uns,

uns, uns, uns …

im Rhythmus der Ewigkeit.

***

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