Examens-Repetitorium Familienrecht

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2. Folgen fehlerhafter Eheschließung

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Das Eheschließungsrecht unterscheidet zwischen vollgültiger Ehe, aufhebbarer Ehe und Nichtehe. Die Mängel der Eheschließung können so gravierend sein, dass sie keinerlei Rechtsfolgen zeitigt (rechtliches nullum); es liegt eine Nichtehe vor, wie etwa bei einer nicht vom Standesbeamten durchgeführten Eheschließung (Rn. 81), wenn nicht beide Ehegatten eine Erklärung i.S.d. § 1310 Abs. 1 S. 1 abgegeben haben (dazu Rn. 84, 86) oder bei der Eheschließung mit einem Ehegatten unter 16 Jahren (§ 1303 S. 2, dazu Rn. 91). Um eine aufhebbare Ehe geht es, wenn der Rechtsverstoß zwar den gegenwärtigen Bestand unberührt lässt, aber Grund bietet, die Ehe für die Zukunft aufzulösen (Rn. 117 ff.); dies gilt etwa bei einem Verstoß gegen die Vorschrift des § 1311, der die Wirksamkeit der Ehe nicht hindert, sondern lediglich einen Aufhebungsgrund nach § 1314 Abs. 1 bildet. Schließlich können Ordnungsvorschriften bzw. „Soll-Vorschriften“ (z.B. § 1309, § 1312) unbeachtet geblieben sein, deren Nichteinhaltung aber keine irgendwie gearteten negativen Rechtsfolgen nach sich zieht; es kommt eine vollgültige Ehe zustande. Die Mängel, die zu einer Nicht- oder einer aufhebbaren Ehe führen, sind im Eheschließungsrecht erschöpfend geregelt (vgl. § 1313 S. 3). Es entfallen damit insbesondere die Anfechtungsmöglichkeiten nach §§ 119 ff., ebenso die Vorschriften der §§ 116–118.

Zweiter Teil Eheschließung und Eheaufhebung › § 3 Eheschließung › IV. Fehlerquellen im Einzelnen

IV. Fehlerquellen im Einzelnen

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Fehlt es an einer auf Schließung der Ehe gerichteten Willensbekundung i.S.d. § 1310 Abs. 1 S. 1 (Ehekonsens), etwa weil ein Beteiligter die Frage, ob er mit dem anderen die Ehe eingehen wolle, verneint, liegt eine Nichtehe vor. Liegen dem Ehekonsens Willensmängel zugrunde, kommt die Ehe zustande, sie ist in ihrem Bestand aber durch einen möglichen Aufhebungsgrund gefährdet (§ 1314 Abs. 2 Nr. 1 bis 4). Auch die Frage, unter welchen näheren persönlichen Voraussetzungen es möglich ist, die Ehe zu schließen (personenrechtlicher Vertrag), ist durch das Gesetz speziell in den Vorschriften über die Ehefähigkeit (§§ 1303, 1304) sowie den Eheverboten (§§ 1306–1308) geregelt.

Zweiter Teil Eheschließung und Eheaufhebung › § 3 Eheschließung › IV. Fehlerquellen im Einzelnen › 1. Ehefähigkeit

1. Ehefähigkeit

a) Ehegeschäftsfähigkeit (§ 1304)

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Die Ehefähigkeit (vgl. die Überschrift vor § 1303) beschreibt die beiden persönlichen Voraussetzungen für eine Eheschließung, nämlich die Ehemündigkeit (§ 1303) und die Geschäftsfähigkeit (§ 1304). Nach § 1304 kann eine Ehe nicht eingehen, wer geschäftsunfähig ist (§ 104 Nr. 2). Das ist in mehrfacher Hinsicht missverständlich:

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(1) Ist ein Eheschließender geschäftsunfähig, gilt nicht etwa § 105 Abs. 1 mit der Folge einer Nichtehe, sondern es liegt nach § 1314 Abs. 1 Nr. 2 lediglich eine aufhebbare Ehe mit der Begrenzung durch § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 (Bestätigung; beachte aber S. 2) vor.

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(2) Im Falle einer vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit i.S.v. § 105 Abs. 2 gilt ebenfalls nicht § 105 Abs. 1, aber auch nicht §§ 1304, 1314 Abs. 1 Nr. 2, sondern §§ 1314 Abs. 2 Nr. 1, 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 3: die Ehe ist wirksam, aber aufhebbar. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass § 1314 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 ebenfalls missglückt ist, denn wer bewusstlos ist, handelt überhaupt nicht; es fehlt also am Ehekonsens mit der Folge einer Nichtehe.

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(3) Die Geschäftsunfähigkeit kann partiell sein und hat womöglich keinen Einfluss auf die Eheschließungsfähigkeit. Der maßgebliche Grund, eine in diesem Sinne besondere Ehegeschäftsfähigkeit anzuerkennen, liegt in dem spezifischen Typus der hier vorliegenden personalen Willenserklärung und in einer durch Art. 6 Abs. 1 GG gebotenen Auslegung. Dies hat das OLG Braunschweig lehrbuchartig zusammengefasst:[21]

„Geschäftsunfähig ist gemäß § 104 Nr. 2, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist. Die Anordnung der Betreuung ist auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten ohne Einfluss. Trotz erheblicher Zweifel an der Geschäftsfähigkeit kann eine partielle Geschäftsfähigkeit für die Eheschließung gegeben sein.[22] Selbst bei einer partiellen Geschäftsunfähigkeit kann der Betroffene für die Eingehung einer Ehe geschäftsfähig bleiben, wenn er insoweit zu der notwendigen Einsicht und freien Willensbestimmung fähig ist (sog. Ehegeschäftsfähigkeit[23]). Für die Ehegeschäftsfähigkeit kommt es darauf an, ob der Eheschließende in der Lage ist, das Wesen der Ehe zu begreifen und insoweit eine freie Willensentscheidung zu treffen. Bei der Ehegeschäftsfähigkeit geht es um ein besonderes „Rechtsgeschäft“, dessen Inhalt mehr als sonstige typische Rechtsgeschäfte von in der Gesellschaft fest verankerten Vorstellungen geprägt wird. Es muss deshalb im Einzelfall geprüft werden, ob sich die Beeinträchtigung der Geistestätigkeit auch auf die Ehe erstreckt und ob der Ehewillige insoweit die notwendige Einsichtsfähigkeit besitzt und zur freien Willensentscheidung in der Lage ist, mag diese Einsichtsfähigkeit auch für andere Rechtsgeschäfte fehlen (…). Nach § 104 Nr. 2 sind für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit nicht so sehr die Fähigkeiten des Verstandes ausschlaggebend, als die Freiheit des Willensentschlusses.[24] Eine Person, die in der Lage ist, ihren Willen frei zu bestimmen, deren intellektuelle Fähigkeiten aber nicht ausreichen, um bestimmte schwierige rechtliche Beziehungen verstandesmäßig zu erfassen, ist deswegen noch nicht geschäftsunfähig.“

b) Ehemündigkeit (§ 1303)

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Ehemündig ist, wer die natürliche, körperliche und die notwendige persönlich-charakterliche Reife aufweist, um eine Ehe einzugehen. Dabei orientiert sich das Gesetz an der Volljährigkeit (§ 2): Eine Ehe „darf nicht“ vor Eintritt der Volljährigkeit eingegangen werden (§ 1303 S. 1) und mit einer Person, die das 16. Lebensjahr nicht vollendet hat, „kann“ eine Ehe nicht wirksam eingegangen werden (§ 1303 S. 2). In letzterem Fall handelt es sich automatisch um eine Nichtehe; bei Zweifelsfällen kann das Bestehen oder Nichtbestehen der Ehe über einen Feststellungsantrag (§ 121 Nr. 3 FamFG) geklärt werden. Das Standesamt muss die Ehemündigkeit vorab klären und wird keinen Minderjährigen trauen (§ 1310 Abs. 1 S. 1). Wird die Ehe trotzdem von einer 16 oder 17 Jahre alten Person eingegangen, so ist die Ehe aufhebbar (§ 1314 Abs. 1 Nr. 1), wobei die zuständige Behörde den Aufhebungsantrag stellen „muss“ (§ 1316 Abs. 3 S. 2). Diese strikte Regelung wurde mit Wirkung zum 22.7.2017 durch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen[25] eingeführt, vor allem um Zwangsheiraten von eingereisten ausländischen Minderjährigen zu verhindern bzw. die Wirksamkeit zu versagen. Die Regelung ist nicht ohne Kritik geblieben, zumal ausländische Rechtsordnungen das Ehemündigkeitsalter teilweise sehr viel früher ansetzen (zu den Konsequenzen im Internationen Privatrecht vgl. Rn. 114). Dass man 16- und 17-Jährigen nun den Zugang zur Ehe ausnahmslos (insb. ohne Prüfung im Einzelfall) untersagt, kann deshalb problematisch werden, weil man ihnen damit auch alle mit der Ehe verbundenen Rechte vorenthält und damit nicht immer den bezweckten Schutz des Minderjährigen erreicht.[26]

 

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Schon nach bisherigem Recht „sollte“ eine Ehe nicht vor Eintritt der Volljährigkeit eingegangen werden. Allerdings konnte einem Minderjährigen nach § 1303 Abs. 2 a.F. auf seinen Antrag durch das Familiengericht Befreiung vom Erfordernis der Ehemündigkeit erteilt werden, wenn er selbst das 16. Lebensjahr vollendet hatte und sein zukünftiger Ehepartner volljährig war. Widersprach der gesetzliche Vertreter des Antragstellers dem Antrag, so durfte das Familiengericht die Befreiung nur erteilen, wenn der Widerspruch nicht auf triftigen Gründen beruht (§ 1303 Abs. 3 a.F.). Erteilte das Familiengericht die Befreiung, so bedurfte der Antragsteller zur Eingehung der Ehe nicht mehr der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters.

Zweiter Teil Eheschließung und Eheaufhebung › § 3 Eheschließung › IV. Fehlerquellen im Einzelnen › 2. Eheverbote

2. Eheverbote

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Die vom Eheschließungsrecht negativ formulierten Eheverbote[27] (§§ 1306–1308) teilen sich in so genannte trennende (bzw. dauerhafte) und aufschiebende Eheverbote. Im Gesetzestext kommt die Unterscheidung durch die Formulierung „darf nicht geschlossen werden“ (trennendes Eheverbot, §§ 1306, 1307) und „soll nicht geschlossen werden“ (aufschiebendes Eheverbot, § 1308 Abs. 1) zum Ausdruck. Der rechtliche Unterschied besteht darin, dass der Verstoß gegen trennende Eheverbote einen Eheaufhebungsgrund bedeutet (vgl. § 1314 Abs. 1), während der Verstoß gegen aufschiebende Eheverbote keine rechtlichen Konsequenzen nach sich zieht (vollgültige Ehe). Allerdings kann und muss der Standesbeamte bei Vorliegen solcher Verbote die Mitwirkung an der Eheschließung ablehnen (vgl. § 1310 Abs. 1 S. 2; §§ 13 Abs. 1, Abs. 4 S. 1, 49 PStG).

a) Verbot der Doppelehe (§ 1306)

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Das Eheverbot der Doppelehe ist Ausdruck des in unserem Kulturkreis selbstverständlich gewordenen Prinzips der Monogamie (vgl. § 172 StGB). Eine Doppelehe ist nach § 1314 Abs. 1 Nr. 2 aufhebbar, soweit keine Heilung nach § 1315 Abs. 2 Nr. 1 eintritt. Antragsberechtigt ist jeder Ehegatte und die zuständige Verwaltungsbehörde, die sogar antragsverpflichtet ist (§ 1316 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3: „soll“).

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Skurril ist außerdem das Antragsrecht der „dritten Person“ in dieser Konstellation. Geschaffen ist hier die Möglichkeit eines Ehegatten (der Erstehe), die von seinem Partner entgegen § 1306 geschlossene (spätere) Ehe zur Aufhebung zu bringen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob diese Antragsberechtigung auch dann noch besteht, wenn die Erstehe des „Dritten“ mit dem jetzt zum zweiten Mal verheirateten Partner inzwischen bereits geschieden wurde. Einen solchen Fall hatte der BGH zu entscheiden:[28]

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Ein russisches Paar hatte 1984 in Russland die Ehe geschlossen; diese war auf Antrag der Ehefrau 1995 in Moskau geschieden worden. Nach wenigen Monaten heiratete sie in Deutschland einen deutschen Mann. Ein Jahr später wurde das Moskauer Scheidungsurteil für unwirksam erklärt und im selben Jahr diese Ehe erneut und endgültig geschieden. Der frühere (russische) Ehemann beantragte nun Aufhebung der mit dem deutschen Partner geschlossenen Zweitehe, weil – rechtlich zutreffend – seine (frühere) Frau im Zeitpunkt der zweiten Eheschließung (1995) noch mit ihm verheiratet war. Die Vorinstanzen gaben dem Antrag statt.

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Der BGH hat dem Antrag mit überzeugender Begründung nicht stattgegeben: zwar sei auch ein inzwischen geschiedener Ehegatte antragsberechtigt,[29] allerdings führe ein Verstoß gegen das Verbot einer bigamischen Ehe nur noch ex nunc zur Aufhebung, sodass ein Nebeneinander von zwei Ehen in der Vergangenheit nicht mehr verhindert werden kann. Existiert nun aber aufgrund einer zwischenzeitlichen Scheidung die Erstehe nicht mehr, kann das Ziel des Eheverbots nicht mehr erreicht werden, der „dritten Person“ durch Beseitigung der bigamischen Ehe ihre Rechtsposition aus der Erstehe zu sichern. In diesem Fall – so der BGH – muss der die Aufhebung beantragende (frühere) Ehegatte besondere, objektiv-eigene Interessen geltend machen, um die Aufhebung zu erreichen (etwa Belange der aus der Erstehe hervorgegangenen Kinder). Das Interesse an der Wahrung der staatlichen Ordnung (Grundsatz der Einehe) genüge dafür nicht. Werden solche eigenen Interessen nicht vorgetragen, stelle sich der Aufhebungsantrag als unzulässige Rechtsausübung dar. Deshalb war der Antrag unzulässig.

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Einen Sonderfall der Doppelehe regeln §§ 1319, 1320 bei Wiederverheiratung nach fälschlicher Todeserklärung. Dieser Fall ist nicht als Eheverbot, sondern nur als Aufhebungsgrund geregelt; die alte Ehe wird mit der Schließung der neuen Ehe aufgelöst und bleibt aufgelöst, selbst wenn die Todeserklärung aufgehoben wird.

b) Inzestverbot (§ 1307)

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Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie sowie zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern (vgl. § 1589). Dies gilt auch, wenn das Verwandtschaftsverhältnis durch Annahme als Kind erloschen ist. Der Beischlaf zwischen Verwandten (nicht die Eheschließung) ist außerdem strafbar (§ 173 StGB). Eine Heilung dieses Fehlers ist nicht möglich; die Verwaltungsbehörde soll auch hier einen Aufhebungsantrag stellen (§ 1316 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3). Die Regelung ist – insbesondere in Bezug auf den Straftatbestand bei Geschwisterinzest – verfassungs- und EMRK-konform.[30]

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Dieses Eheverbot spiegelt ein in der Gesellschaft tief verwurzeltes Tabu. Es begründet sich zum einen daraus, dass es bei einer Fortpflanzung innerhalb des Familienverbands statistisch zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von genetischen Defekten kommt, zum anderen soll die Rolle jedes Familienmitglieds nicht durch das Nebeneinander von unterschiedlichen statusrechtlichen Verbindungen unklar werden.[31]

101

Ist die Verwandtschaft i.S.v. § 1307 durch Adoption begründet worden und liegt damit eine rein rechtliche, keine biologische Verbindung der Eheschließenden vor, „soll“ ebenfalls eine Ehe unterbleiben, aber es kann Befreiung erteilt werden, § 1308. Ein Verstoß ist sanktionslos, aber der Standesbeamte muss die Trauung verweigern, wenn er das Eheverbot erkennt.

Zweiter Teil Eheschließung und Eheaufhebung › § 3 Eheschließung › IV. Fehlerquellen im Einzelnen › 3. Willensmängel

3. Willensmängel

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Fall 8:

M und F haben 2018 geheiratet, um einem wenige Monate vorher von F geborenen, vermeintlich von M stammenden und von ihm anerkannten Kind eine Familie zu geben. Zwei Jahre später bringt F ein zweites Kind zur Welt. Nun wird rechtskräftig festgestellt, dass M nicht der Vater des ersten Kindes ist. M will sich von der inzwischen arbeitslos gewordenen F „augenblicklich scheiden“ lassen.

103

Willensmängel nach § 1314 Abs. 2 Nr. 2–4 berechtigen zur Aufhebung der Ehe, es sei denn, die Ehe wurde bestätigt, indem der betroffene Ehegatte nach Entdecken des Irrtums oder der Täuschung oder nach Aufhören der Zwangslage zu erkennen gegeben hat, dass er die Ehe fortsetzen will, § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 4.

a) Irrtum (§ 1314 Abs. 2 Nr. 2)

104

Die Ehe kann aufgehoben werden, wenn ein Ehegatte bei der Eheschließung nicht gewusst hat, dass es sich um eine Eheschließung handelt. Fälle dazu sind selten. Das AG Prüm wurde berühmt, als es einem Aufhebungsantrag stattgegeben hat, weil eine der deutschen Sprache unkundige Vietnamesin an einer Zeremonie teilgenommen und erst Jahre später erfahren hat, dass es sich um ihre eigene Trauung und nicht – wie gedacht – um den Erwerb einer Lebensversicherung handelte.[32]

105

Sind türkische Eheleute bei der standesamtlichen Trauung in Deutschland trotz der Erläuterungen des Standesbeamten der Meinung, dass diese noch keine Rechtsfolgen erzeuge, sondern die Ehe erst mit der traditionellen religiösen Hochzeitsfeier zustande komme, liegt kein zur Aufhebung berechtigender Irrtum nach § 1314 Abs. 2 Nr. 2 vor.[33] Auch bei einem Irrtum über die Identität des anderen Ehegatten (z.B. eines Zwillings) oder einem Irrtum über dessen Eigenschaften liegt kein Aufhebungsgrund nach Nr. 2 vor (ggf. aber Nr. 3).

b) Arglistige Täuschung (§ 1314 Abs. 2 Nr. 3)

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Die Aufhebung der Ehe kann ferner verlangen, wer durch arglistige Täuschung zur Eingehung der Ehe bestimmt wurde, und zwar über solche Tatsachen, die ihn bei Kenntnis und „richtiger Würdigung des Wesens der Ehe“ von der Eheschließung abgehalten hätten. Anders als bei § 123 sind Täuschungen hinsichtlich der Vermögensverhältnisse irrelevant und bei der Täuschung durch einen Dritten reicht es nicht, wenn der andere Ehegatte die Täuschung hätte kennen müssen (so § 123 Abs. 2), sondern es kommt auf die positive Kenntnis des Ehegatten an. Eine Täuschung über die Religionszugehörigkeit soll bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe kein Grund zur Aufhebung sein.[34]

107

Problematisch sind Fälle, in denen – wie in Fall 8 – bestimmte Umstände verschwiegen wurden (z.B. Vorstrafen,[35] Homosexualität, Erbkrankheiten[36]). Eine arglistige Täuschung durch Verschweigen bestimmter Tatsachen kann nur dann angenommen werden, wenn eine Offenbarungspflicht besteht; eine solche kann sich zwischen den Verlobten aus § 241 Abs. 2 ergeben (vgl. Rn. 67). Vorhandene voreheliche Kinder sind nach h.M. ebenso ungefragt zu offenbaren[37] wie der Umstand, dass das erwartete Kind nicht von dem Mann abstammt, der anlässlich der Schwangerschaft die Ehe eingeht.[38] Man wird zwar keine generelle Offenlegung vorehelicher Intimbeziehungen verlangen können, aber auf eine mögliche anderweitige Vaterschaft muss die Frau (auch wenn sie selbst nicht sicher weiß, wer der Vater ist) aufgrund der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 jedenfalls dann hinweisen, wenn der Mann davon ausgeht, selbst der Vater zu sein und vor allem deshalb zur Eheschließung bereit war.

 

c) Drohung (§ 1314 Abs. 2 Nr. 4)

108

Eine Ehe unterliegt auch dann der Aufhebung, wenn ein Ehegatte durch den anderen oder durch einen Dritten widerrechtlich durch Drohung zur Eingehung der Ehe bestimmt worden ist. Um Zwangsheiraten stärker als bisher als strafwürdiges Unrecht zu ächten, wurde 2011 ein eigener Straftatbestand in § 237 StGB geschaffen.[39] Zugleich wurde § 1317 Abs. 1 S. 1 neu gefasst und die Antragsfrist für einen Eheaufhebungsantrag auf drei Jahre verlängert, um Betroffenen zu helfen, die infolge Traumatisierung vielleicht erst nach Ablauf der vormals vorgesehenen Jahresfrist in der Lage sind, die Aufhebung der Ehe zu beantragen.

Zweiter Teil Eheschließung und Eheaufhebung › § 3 Eheschließung › IV. Fehlerquellen im Einzelnen › 4. Einvernehmliche Scheinehe

4. Einvernehmliche Scheinehe

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Wollen die Ehegatten insgeheim keine eheliche Lebensgemeinschaft begründen, liegt eine aufhebbare Scheinehe vor. Der Mangel wird geheilt, wenn die Ehegatten nach der Eheschließung doch miteinander gelebt haben, § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 5; ansonsten „soll“ die zuständige Verwaltungsbehörde den Aufhebungsantrag stellen (§ 1316 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3), wenn die Scheinehe ans Licht kommt. Von § 1311 S. 2 werden Fälle der Scheinehe nicht erfasst, weil dort nur solche Bedingungen und Befristungen gemeint sind, die für den Standesbeamten erkennbar dem Ehekonsens zugrunde gelegt werden (dazu Rn. 84). Es fehlt auch nicht am Ehekonsens i.S.v. § 1310 Abs. 1 S. 1, da hierfür allein die formal übereinstimmenden Erklärungen genügen und das inhaltlich Gewollte belanglos ist – § 117 Abs. 1 findet keine Anwendung; die Rechtsfolgen der Eheschließung treten kraft Gesetzes ein. Liegen konkrete Anhaltspunkte für eine Scheinehe vor, kann (und muss) der Standesbeamte die Heiratswilligen im notwendigen Umgang (einzeln oder gemeinsam) befragen (§ 13 Abs. 2 PStG). Lassen sich Zweifel nicht beseitigen (auch nach Anordnung der Beibringung weiterer Nachweise oder einer Versicherung an Eides statt, § 13 Abs. 2 PStG), muss der Standesbeamte die Eheerklärungen entgegennehmen. Abzulehnen hat er sie nur, wenn die Aufhebbarkeit gem. § 1314 Abs. 2 Nr. 5 offenkundig ist, also keine (vernünftigen) Zweifel an diesem Ergebnis bestehen (§ 1310 Abs. 1 S. 2 Hs. 2).

Zweiter Teil Eheschließung und Eheaufhebung › § 3 Eheschließung › V. Internationales Privatrecht