Examens-Repetitorium Familienrecht

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Erster Teil Grundlagen › § 1 Zum System des Ehe- und Familienrechts

§ 1 Zum System des Ehe- und Familienrechts

Inhaltsverzeichnis

I. Objektives Recht (Rechtsgrundlagen)

II. Subjektives Recht

1

Die Einteilung des BGB in seine fünf Bücher folgt keiner einheitlichen Gliederung. Treffend sprach Ernst Zitelmann von einer „Kreuzeinteilung“, die unser Privatrechtsgesetzbuch beherrscht.[1] Während sich Schuld- und Sachenrecht systematisch an den Rechtswirkungen orientieren, nämlich den je und je besonderen subjektiven Rechten (Ansprüche und dingliche Rechte), liegen der Einteilung im Familien- und Erbrecht besondere Tatsachen (Tatbestände) zugrunde: Ehe und Abstammung (§§ 1303 ff., §§ 1589 ff.; sowie früher[2] eingetragene Lebenspartnerschaft nach dem LPartG[3]) einerseits, und der Tod eines Menschen als Vermögensinhaber andererseits (Erbfall, § 1922 Abs. 1).

Dogmengeschichtlich liegt dieser Zweiteilung des BGB (Fünf-Bücher-System) eine doppelte systematische Ausrichtung zugrunde. Schuld- und Sachenrecht gehen auf das römischrechtliche Aktionensystem (actio, lat. Klage) zurück: actio in personam (Klage gegen eine bestimmte Person, Schuldrecht) und actio in rem (Klage auf eine Sache, Sachenrecht). Familien- und Erbrecht entstammen als (eigenständige) Rechtsbereiche dem (deutschen) Naturrechtsdenken des 18. Jahrhunderts, das die Rechtsstellung des Einzelnen als Mitglied bestimmter Gemeinschaften einer besonderen Regelung unterworfen hat (eheliche „Gesellschaft“, elterliche „Gesellschaft“).[4] – Zum Teil wird auch heute noch an einer von der Pandektenwissenschaft des 19. Jahrhunderts (insbesondere G. F. Puchta, 1798–1846) entwickelten monistischen Systemauffassung festgehalten, wonach einziges Systemkriterium des BGB das subjektive Recht sei. Auch im Familienrecht gehe es demnach um ein Herrschaftsrecht an und über die Person eines anderen (Ehegatten, Kind).[5] Demgegenüber ist zu sagen: Mit der (heute unbestrittenen) Stellung eines jeden Menschen als eigenständiges Rechtssubjekt ist die Vorstellung, dieses Rechtssubjekt selbst (also die Person) könne gegenständliches Objekt der Willensherrschaft eines anderen sein, nicht vereinbar.

2

Die Ausrichtung von Familien- und Erbrecht an Rechtstatsachen führt im Bereich der Rechtswirkungen dazu, dass sich an die „Ehe“, „Familie“ und den „Erbfall“ sowohl schuldrechtliche als auch dingliche Rechtsfolgen anschließen. Darüber hinaus stellen sich jedoch schwierige Fragen, wenn es um die einzelnen Rechtswirkungen (subjektive Rechte) geht: Gibt es im Familienrecht über schuld- und sachenrechtliche Wirkungen hinaus auch spezifische „familienrechtliche“ Konsequenzen und Rechtslagen? Wie sind diese gegebenenfalls dogmatisch zu behandeln (Anlehnung an Schuld- und Sachenrecht oder Rechtswirkungen sui generis)?[6]

3

Das Familienrecht einschließlich des Eherechts lässt sich – wie die anderen Teile der Rechtsordnung – auf der einen Seite als Zusammenfassung der Normenkomplexe verstehen, die sich mit Ehe und Familie beschäftigen (Familienrecht im objektiven Sinne). Auf der anderen Seite beschäftigt es sich mit den innerhalb von Ehe, Familie und Verwandtschaft existierenden subjektiven Rechten (Familienrecht im subjektiven Sinne). Während außerhalb des Familienrechts der (subjektive) Anspruch (vgl. § 194) das Rechtsdenken dominiert, gilt das im Ehe- und Familienrecht primär nur für die vermögensrechtlichen Aspekte. Hier existieren einklagbare und durchsetzbare Ansprüche im Sinne des allgemeinen Anspruchsrechts (vgl. §§ 194 Abs. 2, 207[7]), die ihrerseits wiederum schuldrechtlicher[8] oder dinglicher Art[9] sein können. – Grenzen sind dem subjektiven Recht und dem zivilrechtlichen Anspruchsdenken im Bereich des persönlichen Familienrechts gezogen. Der Ausschluss der Vollstreckung im Ehepersonenrecht (§ 120 Abs. 3 FamFG) ist dafür seit jeher Beleg. Aber die Frage reicht, insbesondere im Hinblick auf die stetigen Entwicklungen im Familienrecht, weiter: Gibt es etwa eine „schuldrechtliche“ Bindung von Ehegattenabsprachen (§ 1356 Abs. 1) oder „verpflichtende“ Sorgerechtsvereinbarungen oder einen durchsetzbaren Anspruch des Kindes auf Auskunft über seine genetische Abstammung (gemäß § 1618a oder § 242, dazu Rn. 599)[10]? Zweifelhaft und strittig ist deshalb, ob und in welchem Umfang im Bereich des persönlichen Ehe- und Familienrechts von Rechtswirkungen im Sinne der „klassischen“ subjektiven Rechte (Ansprüche, absolute Rechte, Rechtsgüter) gesprochen werden kann. Außerdem wird diskutiert, ob die im objektiven Familienrecht vorgesehenen Ansprüche quasi als Annex von Schuld- und Sachenrecht auftreten, oder ob nicht darüber hinaus eine eigenständige Kategorie subjektiver Familienrechte angenommen werden muss, die immer dann in den Blick rückt, wenn der Inhalt eines Rechts einen spezifisch familienrechtlich-immateriellen Gehalt aufweist.[11]

Erster Teil Grundlagen › § 1 Zum System des Ehe- und Familienrechts › I. Objektives Recht (Rechtsgrundlagen)

I. Objektives Recht (Rechtsgrundlagen)

4

Das Familienrecht im objektiven Sinn umfasst Regelungen, die sich an die Tatbestände (vgl. Rn. 1) von Ehe und Verwandtschaft sowie deren rechtliche Vorformen (z.B. Verlöbnis) und Ersatzformen (z.B. Vormundschaft) anschließen. Die Normen des BGB-Familienrechts sind aber weder abschließend in dem Sinne, dass das Familienrecht alle an Ehe und Verwandtschaft anknüpfenden Rechtsfolgen umfassend regeln würde,[12] noch auch nur in der Hinsicht, dass es ausschließlich familienspezifische Tatbestände aufgreift.[13] Trotzdem bleiben die Kernmaterien des Familienrechts die durch Eheschließung und Verwandtschaft bedingten Rechtsfolgen. Die wichtigste Rechtsquelle des Familienrechts, das Vierte Buch des BGB, lässt dies deutlich hervortreten. Seine drei Abschnitte behandeln das Eherecht (§§ 1297–1588), das Recht der Verwandtschaft (§§ 1589–1772) und das Vormundschafts-, Betreuungs- und Pflegschaftsrecht (§§ 1773–1921). Zum Familienrecht des BGB treten maßgebliche zivilrechtliche Nebengesetze hinzu: Das Eheschließungsrecht wird durch das Personenstandsgesetz (PStG) ergänzt. Für den Fall der Scheidung ist das Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG) zu beachten.[14] Im Kindschaftsrecht sind neben den §§ 1626 ff. das Achte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VIII), das die (öffentlich-rechtliche) Kinder- und Jugendhilfe regelt, zu berücksichtigen.[15] Zum Schutz von Familienmitgliedern zu beachten ist schließlich das Gewaltschutzgesetz (GewSchG). Wichtige verfahrensrechtliche Vorschriften für das Ehe- und Familienrecht enthält das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG).[16] Die Familiensachen werden in § 111 FamFG aufgelistet und in den folgenden Abschnitten einzeln genauer geregelt: Ehesachen (§§ 121 ff. FamFG, darunter Scheidungs- und Folgesachen §§ 133 ff. FamFG), Kindschaftssachen (§§ 151 ff. FamFG), Abstammungssachen (§§ 169 ff. FamFG), Adoptionssachen (§§ 186 ff. FamFG), Ehewohnungs- und Haushaltssachen (§§ 200 ff. FamFG), Gewaltschutzsachen (§§ 210 ff. FamFG), Versorgungsausgleichssachen (§§ 217 ff. FamFG), Unterhaltssachen (§§ 231 ff. FamFG), Güterrechtssachen (§§ 261 ff. FamFG), sonstige Familiensachen (§§ 266 ff. FamFG) und Lebenspartnerschaftssachen (§§ 269 ff. FamFG).

5

Die immer stärker werdende Auslandsberührung familienrechtlicher Sachverhalte verlangt zur Ermittlung des anwendbaren Rechts die Beachtung der kollisionsrechtlichen Normen des EGBGB (Art. 13-24 EGBGB), soweit sie nicht durch EU-Recht oder völkerrechtliche Verträge verdrängt werden. Vorrangig vor dem EGBGB zu beachten sind:

 


6

In grenzüberschreitenden Fällen der Kindesentführung ist das HKEntfÜ[23] zu beachten. Es verdrängt im Rahmen seines Anwendungsbereichs das KSÜ (Art. 50 S. 1 KSÜ). Es enthält jedoch keine Kollisionsnormen, sondern nur Sachnormen und Verfahrensvorschriften für die Rückführung eines Kindes, das widerrechtlich ins Ausland verbracht worden ist.

7

Die Internationale Zuständigkeit bestimmt sich für deutsche Gerichte in Ehesachen und Kindschaftssachen nach Art. 3 ff. bzw. Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO[24] (ab 1.8.2022 nach Art. 3 ff. bzw. Art. 7 ff. Brüssel IIb-VO[25]), für Güterrechtssachen nach Art. 4–19 EuGüterVO/EuPartVO, für Unterhaltssachen nach Art. 3–14 EuUntVO, und im Übrigen nach §§ 97 ff. FamFG.

8

Auf europäisch-völkerrechtlicher Ebene bedeutsam ist schließlich die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)[26] mit dem Recht des Einzelnen auf Achtung des Familienlebens (Art. 8 EMRK) und dem Recht auf Eheschließung (Art. 12 EMRK), sowie die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Art. 7, 9, 24, 33 GRCh).[27]

Erster Teil Grundlagen › § 1 Zum System des Ehe- und Familienrechts › II. Subjektives Recht

II. Subjektives Recht

Erster Teil Grundlagen › § 1 Zum System des Ehe- und Familienrechts › II. Subjektives Recht › 1. Familienrechtliche Ansprüche

1. Familienrechtliche Ansprüche

9

Über weite Teile wird auch das Familienrecht von Ansprüchen i.S.d. § 194 Abs. 1 beherrscht (Ansprüche, die aus einem familienrechtlichen Rechtsverhältnis resultieren). Das gilt vor allem für das Familienvermögensrecht. Ansprüche zwischen Ehegatten aus dem Ehegüterrecht oder Ansprüche auf Ehe- oder Verwandtenunterhalt unterscheiden sich strukturell in nichts von anderen einklagbaren und durchsetzbaren subjektiven Rechtsansprüchen. Soweit Sondervorschriften nicht existieren, finden hier die allgemeinen Schuldrechtsregeln als allgemeines Anspruchsrecht Anwendung.[28] Allerdings tragen die im Familienrecht geregelten Anspruchsgrundlagen den Besonderheiten von familienrechtlichen Verhältnissen Rechnung: Der künftige Anspruch auf Ausgleich des Zugewinns ist beispielsweise (entgegen allgemeinem Recht) nicht übertragbar (vgl. § 1378 Abs. 3 S. 1); die allgemeine Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 wird für das Elternverhältnis in § 1684 Abs. 2 konkretisiert.[29] Die dem subjektiven Recht eigene Möglichkeit des Verzichts (vgl. § 397)[30] ist im Familienrecht vielfach ausgeschlossen (z.B. § 1614 Abs. 1). Grundsätzlich aber gilt, dass familienrechtliche Ansprüche, deren Inhalt auch der eines (nicht familienrechtlichen) Schuldrechtsverhältnisses sein könnte, den Regeln des (subjektiven) Anspruchsrechts voll unterfallen. Dass die Geltendmachung auch dieser Ansprüche in einer dem Familienrecht adäquaten Art und Weise zu geschehen hat (§§ 1353 Abs. 1 S. 2, 1618a), ist keine Besonderheit dieser Rechtsmaterie, sondern die selbstverständliche Konkretisierung des in § 242 niedergelegten Grundsatzes von Treu und Glauben für den familienrechtlichen Bereich.[31]

10

Besonderheiten weisen familienrechtliche Ansprüche auf, deren Inhalt vorwiegend personenrechtlich ausgestaltet ist. Hierzu zählen in erster Linie die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 Abs. 1 S. 2), die Pflicht der Eltern zur Wahrnehmung der Sorge für ihr Kind (§ 1626 Abs. 1) und das (mit dieser Pflicht korrespondierende) subjektive Recht des Kindes auf Sorge sowie die Verpflichtung von Eltern und Kindern zu gegenseitiger Rücksichtnahme (§ 1618a). Während die herrschende Meinung (mit dem historischen Gesetzgeber) immer noch von einem einklagbaren, wenn auch vollstreckungsrechtlich nicht durchsetzbaren (§ 120 Abs. 3 FamFG) Anspruch auf Herstellung der Ehe bis in intimste Bereiche ausgeht,[32] stand sie bis in die jüngste Zeit einem Anspruch des Kindes auf Wahrnehmung der elterlichen Sorge oder des Umgangsrechts (§ 1684 Abs. 1; insofern bestätigt vom BVerfG[33]) skeptisch gegenüber.[34] Wo und wie auch immer hier die Grenzen eines subjektiven familienrechtlichen Anspruchs zu ziehen sind – im Ausgangspunkt hat auch im Familienpersonenrecht die oben angedeutete Überlegung zu gelten: Könnte der konkrete familienrechtliche Anspruchsinhalt auch Inhalt eines sonstigen schuldrechtlichen Anspruchs sein, so hindert grundsätzlich nichts, einen subjektiven Rechtsanspruch auch in familienrechtlichen Verhältnissen zu bejahen. Wo sich familienrechtliche Inhalte ihrem Kern nach auf die Wahrnehmung einer (lediglich willensabhängigen) äußeren Handlungspflicht zentrieren, besteht ein durchsetzbarer Rechtsanspruch des anderen Teils. Wo sich eine Forderung dagegen ihrem Inhalt nach auf ein dem höchstpersönlichen Bereich zuzuordnendes Tun oder Unterlassen richtet (eheliche Gesinnung, elterliche Liebe und Zuneigung), kann es schon aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) keinen unbedingten Rechtsanspruch geben.[35]

Erster Teil Grundlagen › § 1 Zum System des Ehe- und Familienrechts › II. Subjektives Recht › 2. Absoluter Rechtscharakter

2. Absoluter Rechtscharakter

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Rechtsprechung und Literatur erkennen als absolut geschützte „sonstige Rechte“ i.S.d. § 823 Abs. 1 für Ehegatten den „räumlich-gegenständlichen Bereich der Ehe“ (Rn. 135 f.) und für Eltern die elterliche Sorge und das Umgangsrecht (Rn. 718, 723) an. Diese dogmatisch-systematische Einordnung wird den persönlichen Familienrechten nur bedingt gerecht, denn das „sonstige“ Recht impliziert seiner Struktur nach (im Anschluss an das Eigentum) die (absolute) Zuweisung eines Rechtsobjektes zum alleinigen Haben und Nutzen (Ausschlussfunktion). Dem entzieht sich das personale Familienrecht a limine, denn es gibt kein Recht an Personen. Kinder wie Ehegatten sind in jedwedem familienrechtlichen Kontext ausschließlich Rechtssubjekte. Familienrechtliche Handlungsbefugnisse (insbesondere der Eltern gegenüber dem Kind) sind in ihrem „Dürfen“ wie in ihrer „Pflicht“ deshalb besser als ein dem Inhaber zugewiesenes Schutzgut (statt als sonstiges „Recht“) fassbar – vergleichbar dem auf Entfaltung nach außen angelegten, also mit Handlungsbefugnissen verbundenen allgemeinen Persönlichkeitsrecht. So werden die Grenzen des elterlichen Sorge- und Umgangsrechts durch die Person und Persönlichkeit des Kindes (bzw. durch das Kindeswohl) bestimmt – nicht als eine das (bestehende) Recht beschneidende Grenze, sondern als ein das elterliche Recht in Umfang und Inhalt von vorneherein konkretisierender Maßstab (Rahmenrecht). Die Rechtssubjektivität der am familienrechtlichen Rechtsverhältnis Beteiligten erlaubt eine Rechtsstellung jedes einzelnen nur insoweit, als diese mit der personalen Subjektstellung des anderen in Einklang zu bringen ist. Deshalb wird man den absoluten Eheschutz vollständig versagen müssen, weil an Ehestörungen regelmäßig ein Ehegatte beteiligt ist und dessen Persönlichkeitsrecht der Anerkennung einer absolut geschützten Rechtsposition des anderen „an der Ehe“ entgegensteht.

12

Im Hinblick auf das Elternrecht spricht das BVerfG von einer besonderen, einzigartigen Rechtsstruktur; das Recht der Eltern wird durch ihre Pflichtbindung nicht eingegrenzt, sondern konstituiert sich inhaltlich erst in dieser Pflichtbindung.[36] Die so umrissene Rechtsstellung der Eltern genießt allerdings zurecht absoluten deliktischen Schutz. Bei klassischem Verständnis des „sonstigen Rechts“ als eigentumsähnlicher Rechtsposition lässt sich dies nur schwer begründen (Rn. 11), allerdings wird die Begrenzung des Begriffs auf Herrschaftsrechte zunehmend in Frage gestellt und darauf verwiesen, dass der Begriff auch die in § 823 Abs. 1 vorgenannten Rechtsgüter mit in Bezug nimmt;[37] das ist nicht nur mit dem Wortlaut der Norm ohne Weiteres vereinbar, sondern dafür spricht auch, dass Persönlichkeitsrechte – wie das Namensrecht (§ 12) oder das Recht am eigenen Bild (§ 22 KunstUrhG) – seit jeher unter das „sonstige Recht“ gefasst werden. Eingriffe durch Dritte in die Elternrechte können demnach Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 auslösen, allerdings nur soweit der entstandene Schaden auch vom Schutzzweck des betroffenen Schutzgutes erfasst ist. Dies wird man zum Beispiel beim Umgangsrecht in Fällen eines schuldhaft vereitelten Umgangstermins in Bezug auf vergeblich getätigte Aufwendungen wiederum verneinen müssen, weil das Umgangsrecht zwar das persönliche Verhältnis zwischen Elternteil und Kind, nicht aber den Umgangsberechtigten vor finanziellen Einbußen in seinem Vermögen schützen will.[38]

Erster Teil Grundlagen › § 1 Zum System des Ehe- und Familienrechts › II. Subjektives Recht › 3. Rechtsgeschäftliche Disposition

3. Rechtsgeschäftliche Disposition

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Rechtsgeschäftliche Disponibilität und Verfügbarkeit über familienrechtliche Positionen folgen der besonderen Struktur dieser Rechte. Auch hier setzt sich im Familienvermögensrecht privatautonome Disposition in weitem Umfang durch,[39] während die personenrechtliche Sphäre rechtsgeschäftlicher Freiheit und Bindung weitgehend verschlossen ist: dies ist eklatant für das einem Elternteil zustehende Recht der elterlichen Sorge, bei der eine (auch nur teilweise) Übertragung durch Rechtsgeschäft ausgeschlossen ist.[40] Denkbar ist hier lediglich die – jederzeit widerrufliche[41] – Überlassung der Sorgeausübung (z.B. an eine Pflegeperson). Das entspricht nicht nur dem Pflichtcharakter des Elternrechts, sondern auch dem Charakter eines Rechtsgutes, dessen man sich nicht durch Verzicht begeben und von dem man auch nicht durch Verwirkung ausgeschlossen werden kann.[42] Ein Eingriff ist allenfalls bei (erlaubter) Gestattung des Rechtsinhabers oder im Rahmen des staatlichen Wächteramtes (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG) möglich. Die (erstmalige) Erlangung der elterlichen Sorge bei nicht miteinander verheirateten Eltern kann dagegen durch rechtsgeschäftliche Sorgeerklärungen erlangt werden (§§ 1626a Abs. 1 Nr. 1, 1626b–e). Eine (rechtsgeschäftliche) Bindung an Sorgerechtsabsprachen zwischen Elternteilen ist aber ebenso zu verneinen[43] wie eine schuldrechtliche Bindung an eheliches Einvernehmen (§ 1356)[44] oder eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung zur Abgabe einer Sorgeerklärung; davon zu unterscheiden ist eine mögliche allgemein-schuldrechtliche Haftung bei Nichteinhaltung von Absprachen wegen schuldhafter Verletzung der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 (vgl. dazu noch Rn. 147 f.).

 

Anmerkungen

[1]

E. Zitelmann (1852–1923), Der Wert eines „allgemeinen Teils“ des bürgerlichen Rechts, in: ZsfprivöffR (GrünhutsZ) 33 (1906), 1 ff., 11; für die Gegenwart MüKoBGB/Säcker, 82018, Bd. 1, Einl. Rn. 24 ff.

[2]

Seit Einführung der „Ehe für alle“ durch das Gesetz v. 20.7.2017 zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts (BGBl. I 2017, S. 2787) können keine neuen Lebenspartnerschaften mehr geschlossen werden (das LPartG wurde aufgehoben). Nach altem Recht geschlossene Lebenspartnerschaften bleiben nach Maßgabe des alten Rechts wirksam bestehen, sie können aber in eine gleichgeschlechtliche Ehe umgewandelt werden, müssen dies aber nicht (vgl. § 20a LPartG).

[3]

Vgl. zur Begründung, Aufhebung und zu den Wirkungen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft die Ausführungen in Lipp, Examens-Repetitorium Familienrecht, 42013, Rn. 496 ff.

[4]

Andere europäische Zivilrechtskodifikationen ordnen das Ehepersonen- und Familienrecht dem „Personenrecht“ zu, das Ehegüter- und Erbrecht dem Vermögensrecht (Arten des Eigentums- und Vermögenserwerbs); so etwa das österreichische ABGB (§§ 15 ff. – §§ 285 ff.) und der französische Code civil (Art. 63 ff., 144 ff. – Art. 720 ff., 1387 ff.).

[5]

In diesem Sinne Muscheler, Familienrecht, 42017, Rn. 16–18.

[6]

Man denke etwa an den besonderen „familienrechtlichen Vertrag sui generis“, wie ihn der BGH in immer stärkerem Maße zur Grundlage in Bereichen des Ehevermögensrechts macht (näher Rn. 485) oder an die Frage nach einer besonderen güterrechtlichen causa bei Eheverträgen: Ist die Vereinbarung einer Gütergemeinschaft eine Schenkung des begüterten an den bereicherten Ehegatten? (dazu BGH, NJW 1992, 558).

[7]

Die frühere 30-jährige Sonderverjährung für familienrechtliche Ansprüche ist seit 1.1.2010 aufgehoben; es gelten §§ 195, 199. Zurecht sehr kritisch zur Sonderverjährungsregelung in § 207 Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2019, § 207 Rn. 2, die gegen § 207 auch verfassungsrechtliche Bedenken vorbringen.

[8]

So beispielsweise die Zugewinnausgleichsforderung gemäß § 1378 Abs. 1, dazu Rn. 363 ff.

[9]

So (nach h.M.) der Herausgabeanspruch gemäß § 1361a Abs. 1, dazu Rn. 342 ff.

[10]

Zu § 1618a (i.V.m. Art. 6 Abs. 5, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) als Anspruchsgrundlage für Auskunftsansprüche des Kindes gegen Mutter und Vater betreffend seine biologische Abstammung vgl. AG Schöneberg, FamRZ 2018, 1096 m.w.N. Zum Anspruch auf Einwilligung in eine genetische Untersuchung zur Klärung der leiblichen Abstammung vgl. § 1598a (s. auch § 194 Abs. 2).

[11]

Zu dieser Problematik Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 72020, § 3 Rn. 1 ff., 11 ff., 28 ff.; vgl. noch Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 92004, § 15 Rn. 26 ff. („eigener Typus subjektiver Rechte“); ähnlich, aber weniger konturiert jetzt Wolf/Neuner, 112016, § 20 Rn. 16. Hier wird darauf näher nur im jeweiligen Sachzusammenhang eingegangen; allgemein dazu unten Rn. 9 ff.

[12]

Vgl. nur das ebenfalls an Verwandtschaft, Ehe und Lebenspartnerschaft anknüpfende gesetzliche Erbrecht gemäß §§ 1924 ff., 1931; § 10 LPartG.

[13]

Das zeigt etwa das Rechtsinstitut der Betreuung (§§ 1896 ff.), das gewisse Handlungsdefizite einer Person ausgleichen will und deshalb systematisch eher dem Recht der natürlichen Person zuzuordnen ist (§§ 1 ff.).

[14]

Seit 1.9.2009 ist das Recht des Versorgungsausgleichs aus dem BGB ausgegliedert, vgl. § 1587.

[15]

Etwa wenn es um Familienpflege geht (§ 1630 Abs. 3; §§ 43 f. SGB VIII).

[16]

Mit Inkrafttreten des FamFG am 1.9.2009 wurden das 6. Buch der ZPO („Verfahren in Familiensachen“) und das FGG aufgehoben. Zur Übergangsregelung vgl. Art. 111 FGG-RG.

[17]

Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts vom 20.12.2010, ABl. EU 2010 Nr. L 343, S. 10; abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 192018, Nr. 34.

[18]

Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands vom 24.6.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 183, S. 1; abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 192018, Nr. 33.

[19]

Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften vom 24.6.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 183, S. 30; abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 192018, Nr. 39.

[20]

Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen vom 18.12.2008, ABl. EU 2009 Nr. L 7, S. 1; abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 192018, Nr. 161.

[21]

Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007, ABl. EU 2009 Nr. L 331, S. 19; abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 192018, Nr. 42.

[22]

Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996, BGBl. II 2009, S. 603; abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 192018, Nr. 53.

[23]

Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980, BGBl. II 1990, S. 207; abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 192018, Nr. 222.

[24]

Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung, ABl. EU 2003 Nr. L 338, S. 1; abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 192018, Nr. 162.

[25]

Neufassung der Brüssel IIa-VO in der Verordnung (EU) 2019/1111 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen, ABl. EU 2019 Nr. L 178, S. 1; in Kraft seit 22.7.2019.

[26]

EMRK vom 4.11.1950, BGBl. II 1952, S. 685, 953. Zur Berücksichtigung der Entscheidungen des EGMR durch innerstaatliche Organe, insb. deutsche Gerichte, vgl. BVerfG, FamRZ 2004, 1857 (Art. 8 EMRK, Art. 6 GG).

[27]

ABl. EU 2010 Nr. C 83, S. 389.

[28]

Näher dazu Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 72020, § 3 Rn. 28–30. Zur Anwendbarkeit des allgemeinen Schuldrechts (insb. § 280) auf familienrechtliche Paarbeziehungen vgl. Mayer, Haftung und Paarbeziehung, 2017, S. 55 ff.

[29]

Vgl. dazu Mayer, FamRZ 2019, 1969.

[30]

Beachte: Ein einseitiger Verzicht ist bei Einreden und Gestaltungsrechten möglich, MüKoBGB/Schlüter, 82019, § 397 Rn. 19.

[31]

Zu § 1353 Abs. 1 etwa Palandt/Brudermüller, BGB, 792020, § 1353 Rn. 3.

[32]

Zur heutigen Situation MüKoBGB/Roth, 82019, § 1353 Rn. 18 ff., 40 ff. Dezidiert a.A. Mayer, Haftung und Paarbeziehung, 2017, S. 140 ff., und unten Rn. 128 ff.

[33]

BVerfG, NJW 2008, 1287.

[34]

Für ein auch zwangsweise durchsetzbares Recht des Kindes auf Umgang aber z.B. OLG Brandenburg, FamRZ 2005, 293 (betreuter zweistündiger Umgang alle drei Monate). Das BVerfG, NJW 2008, 1287, hat die Entscheidung aufgehoben und hält eine erzwungene Umgangsverpflichtung der Eltern nur dann für möglich, wenn (ausnahmsweise) „hinreichende Anhaltspunkte“ dafür vorliegen, der erzwungene Umgang könne dem Kindeswohl dienlich sein; näher dazu Rn. 726.

[35]

Das gilt nicht erst für das Vollstreckungsrecht, auch wenn der Gesetzgeber hierfür Regelungen getroffen hat, vgl. § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO (unvertretbare Handlungen, die „ausschließlich von dem Willen des Schuldners“ abhängen); gleiches gilt für § 120 Abs. 3 FamFG sowie §§ 89, 90 FamFG. Zu diesem Problem noch genauer Rn. 128 ff.

[36]

BVerfG, NJW 1968, 2233 (2235).

[37]

MüKoBGB/Wagner, 72017, § 823 Rn. 363 m.w.N.

[38]

Vgl. dazu und zu einem alternativen Lösungsvorschlag über einen allgemein-schuldrechtlichen Schadensersatzanspruch Mayer, FamRZ 2019, 1969, und unten Rn. 727 f.

[39]

Zu Notwendigkeit und Grenzen einer richterlichen Inhaltskontrolle von Eheverträgen vgl. Rn. 286 ff.

[40]

Nur durch gerichtliche Entscheidung kann das Sorgerecht übertragen (§ 1671) oder eingeschränkt werden (§§ 1666 ff.).

[41]

Grenzen des Widerrufs ergeben sich nur aus Sicht der Persönlichkeit des Kindes (z.B. § 1632 Abs. 1, Abs. 4).

[42]

Das frühere Recht kannte die Verwirkung der „elterlichen Gewalt“ (§ 1680 urspr. F.; § 1676 i.d.F.d. GleichberG 1957); davon unberührt blieb aber das Elternrecht i.Ü.

[43]

Dazu Hammer, FamRZ 2005, 1209 m.w.N.; ders., Elternvereinbarungen im Sorge- und Umgangsrecht, 2004, passim.

[44]

Zur Problematik der Bindung an Ehevereinbarungen vgl. MüKoBGB/Roth, 82019, § 1353 Rn. 5 ff.; ausführlicher Rn. 147 f.