Examens-Repetitorium Familienrecht

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Zweiter Teil Eheschließung und Eheaufhebung › § 4 Aufhebung der Ehe

§ 4 Aufhebung der Ehe

Inhaltsverzeichnis

I. Aufhebungsverfahren

II. Aufhebungsfolgen

117

Um die auf Lebenszeit geschlossene eheliche Verbindung (vgl. § 1353 Abs. 1 S. 1) vorzeitig durch gerichtlichen Beschluss aufzulösen, stehen Eheaufhebung (§§ 1313 ff.) und Ehescheidung (§§ 1564 ff., dazu Rn. 355 ff.) zur Verfügung.[1] Beide Institute haben unterschiedliche Funktionen. Die Ehescheidung ermöglicht die Auflösung einer fehlerfrei zustande gekommenen, inzwischen aber gescheiterten Ehe (§ 1565). Die Eheaufhebung knüpft dagegen an Fehler bei der Eheschließung an (Rn. 85, 86 ff.). Die Bedeutung der Eheaufhebung ist durch die Einführung des Zerrüttungsprinzips im Scheidungsrecht (§ 1565 Abs. 1: „Scheitern der Ehe“), die Reduzierung der Aufhebungsgründe[2] und durch die für beide Auflösungstatbestände weitgehend gleichen Rechtsfolgen zurückgegangen. Trotzdem bleibt es im Einzelfall wichtig, beide Möglichkeiten zu beachten und zu unterscheiden. Denn in welchem Umfang und für welchen Ehegatten die scheidungsrechtlichen Folgen eintreten, bestimmt im Falle der Eheaufhebung § 1318 für die einzelnen Aufhebungsgründe unterschiedlich.

Zweiter Teil Eheschließung und Eheaufhebung › § 4 Aufhebung der Ehe › I. Aufhebungsverfahren

I. Aufhebungsverfahren

118

Die Eheaufhebung erfolgt auf Antrag durch gerichtliche Entscheidung (§ 1313 S. 1), soweit sie nicht ausnahmsweise ipso iure erfolgt (§ 1319 Abs. 2). Im Gegensatz zur Ehescheidung ist die Aufhebung der Ehe an keine Trennungsfrist gebunden. Sie kann sofort beantragt werden, sofern ein Aufhebungsgrund gegeben ist (§§ 1313 S. 3, 1314) und die Aufhebung nicht nach § 1315 ausgeschlossen ist. Die Antragsberechtigung folgt aus § 1316 und steht jedem Ehegatten sowie der zuständigen Verwaltungsbehörde und ausnahmsweise auch der „dritten Person“ zu (dazu Rn. 96 f.). Der Antrag muss fristgerecht (§ 1317) und beim zuständigen Gericht erfolgen. Für das Verfahren ist sachlich das Amtsgericht als Familiengericht (§ 23a Abs. 1 Nr. 1 GVG[3] i.V.m. §§ 111 Nr. 1, 121 Nr. 2 FamFG) zuständig (vgl. auch die ausschließliche örtliche Zuständigkeit gemäß § 122 FamFG); es handelt sich um ein Verfahren in Ehesachen (§§ 121 ff. FamFG). Verfahrensrechtlich ergibt sich das Antragserfordernis aus § 124 FamFG; Antragsgegner ist entweder der andere Ehegatte oder sind (im Falle des Antrags eines Dritten bzw. der Behörde) beide Ehegatten (§ 129 FamFG).

Zweiter Teil Eheschließung und Eheaufhebung › § 4 Aufhebung der Ehe › II. Aufhebungsfolgen

II. Aufhebungsfolgen

119

Die Aufhebung der Ehe erfolgt mit Rechtskraft, und zwar mit Wirkung ex nunc, wirkt also nur für die Zukunft. Die Rechtsfolgen bestimmen sich grundsätzlich nach modifiziertem Scheidungsfolgenrecht (§ 1318 Abs. 1), beschränkt aber nach Maßgabe des § 1318 Abs. 2 bis 5: Geschiedenenunterhalt (§ 1318 Abs. 2); Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich (§ 1318 Abs. 3); Ehewohnung und Haushaltsgegenstände (§ 1318 Abs. 4); gesetzliches Ehegattenerbrecht (§ 1318 Abs. 5).

120

Was dies bedeutet, soll anhand des obigen Falls 8 (Rn. 102) verdeutlicht werden. F hat grundsätzlich keinen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt (§ 1318 Abs. 2 Nr. 1),[4] insbesondere nicht entsprechend § 1570 (Pflege eines gemeinschaftlichen Kindes) oder § 1573 (Unterhalt bis zur Erlangung einer angemessenen Erwerbstätigkeit). Allenfalls kann sich für F ein Unterhaltsanspruch nach § 1318 Abs. 2 S. 2 ergeben, wenn es im Hinblick auf die Pflege des (zweiten) gemeinsamen Kindes (§ 1570) wegen der Belange dieses Kindes grob unbillig wäre, einen Unterhalt zu versagen. Ein solcher Fall ließe sich etwa annehmen, wenn ein (gemeinsames) behindertes Kind zu pflegen ist, das ohne (maßgebliche) Nachteile nicht in einer Kinderkrippe etc. untergebracht werden könnte und eine andere Versorgung (z.B. durch Dritte) nicht möglich oder ausreichend ist. Ob vorliegend für F eine solche Situation zu bejahen ist, lässt sich nach dem Sachverhalt nicht beurteilen; jedenfalls kann nicht der Maßstab des § 1570 ausschlaggebend sein. – Die Vorschriften über den Zugewinnausgleich im gesetzlichen Güterstand (dazu Rn. 363 ff.)[5] sowie über den Versorgungsausgleich (dazu Rn. 469 ff.) finden dagegen grundsätzlich zugunsten der F Anwendung (§ 1318 Abs. 3). Etwas anderes gilt nur, falls ihre arglistige Täuschung dies im Hinblick auf die Umstände der Eheschließung als grob unbillig erscheinen ließe.[6] Auch die Verteilung der Ehewohnung und der Haushaltsgegenstände findet wie im Scheidungsfolgenrecht statt (§ 1318 Abs. 4), wobei die Umstände bei der Eheschließung hier nur „besonders zu berücksichtigen sind“.

121

Eher verwirrend ist die Vorschrift des § 1318 Abs. 5, der das Ehegattenerbrecht regelt. Systematisch verständlich wird die Regelung nur, wenn man sieht, dass sie tatsächlich keine Aufhebungsfolgen trifft, sondern den Ausschluss des Ehegattenerbrechts beim Tode eines Ehegatten in noch nicht aufgehobener Ehe zum Inhalt hat: Das Ehegattenerbrecht entfällt eo ipso mit Aufhebung der Ehe (vgl. §§ 1931, 1933). Bestand die Ehe beim Tod eines Ehegatten noch, war der Verstorbene aber berechtigt, die Aufhebung zu verlangen und hatte er bei Gericht einen Antrag auf Aufhebung gestellt, entfällt das Erbrecht des überlebenden Ehegatten nach § 1933 S. 2. Liegt ein solcher Antrag nicht vor, verbleibt es grundsätzlich bei der Erbberechtigung (§ 1931). Davon, also bei bloßem Vorliegen des Aufhebungsgrundes (ohne Aufhebungsantrag), macht § 1318 Abs. 5 eine Ausnahme für die dort genannten Fälle (Bösgläubigkeit des überlebenden Ehegatten). – Mit Eheaufhebung würde das gesetzliche Erbrecht der F (Fall 8) also entfallen.

122

Ein Sonderproblem stellt sich, wenn Aufhebungsgründe (etwa die arglistige Täuschung über eine Vaterschaft) erst nach Ehescheidung bekannt werden. Kann dann, um die vermögensrechtlichen Folgen des § 1318 zu erreichen, der frühere Ehegatte nachträglich (auch) noch Aufhebung der Ehe beantragen?[7] Aufhebungs- und Ehescheidungsbeschluss entfalten dieselbe rechtsgestaltende Wirkung ex nunc (§§ 1313 S. 2, § 1564 S. 2: Auflösung der Ehe mit Rechtskraft des Beschlusses). Deshalb ist ein Rechtsschutzinteresse dahingehend, diese durch Scheidungsbeschluss bereits eingetretene rechtsgestaltende Wirkung ein zweites Mal durch einen Aufhebungsbeschluss zu erreichen, abzulehnen; ein Aufhebungsantrag ist nach § 1317 Abs. 3 unzulässig. Ein nachträglicher Aufhebungsbeschluss scheidet damit aus.[8] Der BGH hat aber die Würdigung eines solchen Antrags dahingehend für möglich gehalten, dass nicht erneut die Auflösung der Ehe, sondern der Eintritt der vermögensrechtlichen Folgen nach den Vorschriften über die Eheaufhebung begehrt werde. Der Zulässigkeit eines solchen Antrags stehe nichts entgegen.[9] Durch „prozessuales Gestaltungsurteil oder […] durch Gestaltung in Form eines Feststellungsurteils“ werde „die rechtliche Tragweite der Eheauflösung in dem Scheidungsurteil nachträglich um die Rechte“ der Eheaufhebung erweitert. Allerdings ging es dort um den jetzt weggefallenen Anspruch eines Ehegatten, nach § 37 Abs. 2 EheG a.F. die vermögensrechtlichen Wirkungen der Ehescheidung (§ 37 Abs. 1 EheG a.F.) auszuschließen. Nach neuem Recht wird man davon auszugehen haben, dass mit Rechtskraft eines auf fristgemäßen Antrag (§ 1317) hin ergangenen rechtsgestaltenden Beschlusses die Rechtsfolgen der Ehescheidung nach Maßgabe des § 1318 korrigiert werden.[10]

 

Anmerkungen

[1]

Zum „Beschluss“ (früher: Urteil) vgl. § 38 FamFG; §§ 116 Abs. 1, 111 Nr. 1, 121 Nr. 1 und Nr. 2 FamFG.

[2]

Weggefallen ist insbesondere der Aufhebungsgrund des § 32 EheG a.F. (Irrtum über persönliche Eigenschaften des anderen Ehegatten); er stand bislang im Mittelpunkt der Aufhebungsverfahren.

[3]

§ 23b GVG (hier: § 23b Abs. 1 GVG) ist keine Zuständigkeitsnorm, sondern eine bloß innergerichtliche Organisationsnorm.

[4]

Nachehelicher Unterhaltsanspruch nur zugunsten des Getäuschten.

[5]

Die Inbezugnahme auch der §§ 1363–1371 ist ein redaktionelles Versehen; verwiesen sein muss auf §§ 1372–1390.

[6]

Diese Einschränkung wird insbesondere im Falle des § 1314 Abs. 2 Nr. 5 zu prüfen sein.

[7]

So der Fall BGH, NJW 1996, 2727 = JuS 1996, 1133.

[8]

BGH, NJW 1996, 2727 (mit Hinweisen zur Gegenansicht) = JuS 1996, 1133; vgl. dazu G. Lüke, JuS 1997, 397.

[9]

BGH, NJW 1996, 2727 (2729).

[10]

Keine Konkurrenz ergibt sich zwischen Ehescheidungsbeschluss und nachträglicher Feststellung einer Nichtehe.

Dritter Teil Eheliche Lebensgemeinschaft

Dritter Teil Eheliche Lebensgemeinschaft

Inhaltsverzeichnis

§ 5 Ehe als gesetzliches Schuldverhältnis

§ 6 Eheliche Pflichten und Haftung bei Pflichtverletzungen

§ 7 Besitzrecht der Ehegatten

§ 8 Eheliches Unterhaltsrecht

Dritter Teil Eheliche Lebensgemeinschaft › § 5 Ehe als gesetzliches Schuldverhältnis

§ 5 Ehe als gesetzliches Schuldverhältnis

Inhaltsverzeichnis

I. Schuldrechtliche Sonderverbindung

II. Ehe als Statusverhältnis

Dritter Teil Eheliche Lebensgemeinschaft › § 5 Ehe als gesetzliches Schuldverhältnis › I. Schuldrechtliche Sonderverbindung

I. Schuldrechtliche Sonderverbindung

123

Infolge der wirksamen Eheschließung sind die Ehegatten in personenrechtlicher Hinsicht nach § 1353 Abs. 1 S. 2 einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet und sie tragen füreinander Verantwortung. In Letzterem wird der Unterschied der Ehe zu anderen Lebensgemeinschaften deutlich, bei denen die Verpflichtung, füreinander Verantwortung zu tragen, lediglich psychologisch-moralischer Natur ist. Die Ehegatten gehen dagegen wechselseitig rechtliche Bindungen ein, die das Verhältnis der Ehegatten zueinander zu einer Verantwortungsgemeinschaft werden lassen. Die nähere Ausgestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft bleibt jedoch den Ehegatten überlassen, wobei sie insbesondere die Aufgabenverteilung innerhalb der Ehe im gegenseitigen Einvernehmen festlegen (vgl. § 1356). Nach überwiegender Auffassung wird die Generalklausel des § 1353 Abs. 1 S. 2 nicht nur als echte Rechtspflicht verstanden, sondern es werden aus ihr eine Reihe konkreter Einzelpflichten abgeleitet, deren Umfang und inhaltliche Bestimmung je nach zugrunde gelegtem Eheverständnis divergieren.

124

Angesichts der Tatsache, dass die Ehe durch Vertrag, wenn auch unter staatlicher Mitwirkung, begründet wird, liegt die Idee, dass es sich bei der ehelichen Lebensgemeinschaft um ein Schuldverhältnis bzw. eine schuldrechtliche Sonderverbindung handelt, eigentlich nahe. Dennoch wird dies bislang – in dieser Deutlichkeit – nur ganz vereinzelt[1] vertreten. Vielmehr finden sich seit langem tradierte Ehelehren zum „Wesen“ der Ehe,[2] obwohl sich aus diesem Meinungsstreit keine konkreten rechtsdogmatischen Erkenntnisse zur Art des Rechtsverhältnisses und zur Konkretisierung des Regelungsgehalts und des Umfangs der Pflichten aus § 1353 Abs. 1 S. 2 gewinnen lassen.

125

Ein Schuldverhältnis zeichnet sich durch die in § 241 genannten Pflichten aus. Zwischen Ehegatten besteht schon wegen der beiderseitigen vermögensrechtlichen Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen (§§ 1360, 1360a, dazu Rn. 170 ff.), eine Leistungspflicht i.S.v. § 241 Abs. 1, die ein Schuldverhältnis begründet.[3] Daneben gebietet das besonders enge persönliche Verhältnis der Ehegatten zueinander, dass jeder auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des jeweils anderen i.S.v. § 241 Abs. 2 Rücksicht nimmt. Diese Pflichten sind Kennzeichen eines Schuldverhältnisses. Die Regelungen des allgemeinen Schuldrechts sind auf familienrechtliche Schuldverhältnisse deshalb im Grundsatz gleichermaßen anwendbar, soweit sich nicht im Familienrecht speziellere Vorschriften finden, die den allgemeinen Regelungen als leges speciales vorgehen.[4]

126

Der Begriff der „Sonderverbindung“ wurde herkömmlich zur Umschreibung jeder Beziehung verwendet, „in der (mindestens) eine außerdeliktische Schutzpflicht besteht, deren Verletzung eine (außerdeliktische) Schadensersatzpflicht auslöst“.[5] Seit § 241 Abs. 2 bestimmt, dass das Bestehen von Schutz- bzw. Rücksichtnahmepflichten ausreicht, um ein Schuldverhältnis zu begründen, weicht der Begriff „Sonderverbindung“ inhaltlich nicht mehr von einem Schuldverhältnis ab. Wenn hier dennoch für familienrechtliche Rechtsverhältnisse weiterhin der Begriff „Sonderverbindung“ verwendet wird, soll damit dem Umstand Rechnung getragen werden, dass zwischen Ehegatten kein klassischer (auf wirtschaftlichen Interessen beruhender) Austauschvertrag besteht, sondern primär eine personenrechtliche Beziehung, auf die die schuldrechtlichen Vorschriften zu Austauschverträgen zwar im Grundsatz, aber eben nicht unbesehen übertragen werden können.

Dritter Teil Eheliche Lebensgemeinschaft › § 5 Ehe als gesetzliches Schuldverhältnis › II. Ehe als Statusverhältnis

II. Ehe als Statusverhältnis

127

Familienrechtliche Rechtsverhältnisse zeichnen sich dadurch aus, dass sie zwei Personen in spezifischer und besonders stabil ausgestalteter Weise einander zuordnen.[6] Man kann insofern auch von einem personenrechtlichen Statusverhältnis sprechen, das zwei Familienmitglieder (Verlobte, Ehegatten, Verwandte und Eltern) status- bzw. personenstandsrechtlich miteinander verbindet.[7] Welche familienrechtlichen Faktoren statusbestimmend sind, ist abhängig von gesellschaftlichen und rechtspolitischen Wertungen und lässt sich daher nicht für alle Zeiten verallgemeinernd feststellen.[8] Letztlich wird den Beteiligten dadurch eine relational zu verstehende personenstandsrechtliche Eigenschaft, der formale Status, zugewiesen (z.B. „X ist Ehegatte von A“ oder „Y ist das Kind von B“), der die besondere personale Verbindung zwischen den Beteiligten zum Ausdruck bringt, das Rechtsverhältnis in besonderer Weise charakterisiert und die aus dem Rechtsverhältnis folgenden Rechte und Pflichten, also das materielle Statusrecht, inhaltlich beeinflusst, ohne diese jedoch (indisponibel) zu determinieren. Statusrechtliche Verfasstheit der ehelichen Lebensgemeinschaft bedeutet nicht, dass die Ehegatten den Inhalt des Statusverhältnisses in keiner Weise autonom beeinflussen könnten. Da es allerdings nicht der Status als solcher ist, der Rechte und Pflichten begründet, sondern allein das Rechtsverhältnis zwischen den am Statusverhältnis Beteiligten, lassen sich aus der Qualifizierung der Ehe als Statusverhältnis weder für die personalen ehelichen Pflichten noch sonst rechtliche Schlussfolgerungen ziehen.

Anmerkungen

[1]

Mayer, Haftung und Paarbeziehung, 2017, S. 112 ff.; Löhnig/Preisner, NJW 2013, 2080.

[2]

Dazu ausführlich Mayer, Haftung und Paarbeziehung, 2017, S. 113 ff.

[3]

 

Zur Begründung eines Schuldverhältnisses bei anderen Lebensgemeinschaften vgl. Rn. 142.

[4]

Mugdan, Motive zum BGB II, S. 4.

[5]

Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, 2000, S. 6.

[6]

Muscheler, Familienrecht, 42017, Rn. 183 ff.

[7]

Zum Statusbegriff auch Mayer, Haftung und Paarbeziehung, 2017, S. 121 ff.

[8]

Rauscher, Familienrecht, 22008, Rn. 65.

Dritter Teil Eheliche Lebensgemeinschaft › § 6 Eheliche Pflichten und Haftung bei Pflichtverletzungen

§ 6 Eheliche Pflichten und Haftung bei Pflichtverletzungen

Inhaltsverzeichnis

I. „Verpflichtung“ zur ehelichen Lebensgemeinschaft

II. Pflicht zur Rücksichtnahme

III. Pflichten kraft Parteivereinbarung?

IV. Haftungsmaßstab

Dritter Teil Eheliche Lebensgemeinschaft › § 6 Eheliche Pflichten und Haftung bei Pflichtverletzungen › I. „Verpflichtung“ zur ehelichen Lebensgemeinschaft

I. „Verpflichtung“ zur ehelichen Lebensgemeinschaft

Dritter Teil Eheliche Lebensgemeinschaft › § 6 Eheliche Pflichten und Haftung bei Pflichtverletzungen › I. „Verpflichtung“ zur ehelichen Lebensgemeinschaft › 1. Keine Rechtspflicht

1. Keine Rechtspflicht

128

Die Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft in § 1353 Abs. 1 S. 2 erscheint wie ein „zahnloser Tiger“: es ist die einzige im Eherecht gesetzlich explizit geregelte personenrechtliche Pflicht zwischen den Ehegatten, aber eine zwangsweise Durchsetzung gegen den Willen eines Ehegatten scheidet aus (§ 120 Abs. 3 FamFG) und auch sekundäre Ansprüche werden im Falle einer Pflichtverletzung nach einhelliger Meinung abgelehnt. Dennoch geht die überwiegende Ansicht davon aus, dass es sich bei § 1353 Abs. 1 S. 2 um eine echte Rechtspflicht handelt[1], welche die Ehe von anderen Lebensgemeinschaften unterscheidet;[2] es werden deshalb verschiedene Einzelpflichten aus der Norm abgeleitet, wie insbesondere die Pflicht zur häuslichen Gemeinschaft und die Pflicht zur sexuellen Treue.[3]

129

Dies überzeugt nicht: Eine Rechtsordnung, die den Ehegatten im höchstpersönlichen Bereich rechtliche Pflichten allein „um der Ehe willen“ auferlegt, ohne ein Durchsetzungsinstrumentarium zur Verfügung zu stellen, erzeugt langfristig totes Recht.[4] Nach hier vertretener Ansicht steht schon der Gewährleistungsgehalt von Art. 6 Abs. 1 GG, der den Ehegatten eine autonome inhaltliche Ausgestaltung der Ehe im personalen Bereich garantiert (vgl. Rn. 33 ff.), einer verbindlichen Rechtspflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft entgegen.[5] Eine solche würde ohne hinreichenden Rechtfertigungsgrund in den von Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten (Intim-)Bereich der Persönlichkeit und in die Privatsphäre jedes einzelnen Ehegatten eingreifen. Zustimmung verdient vielmehr die Ansicht, dass „[d]as Recht (…) seine Grenzen nicht erst (dann überschreitet), wenn es ‚eheliche Gesinnung‘ oder gar Liebe befiehlt. Es hat vielmehr in allen überwiegend persönlichen Fragen die Autonomie der Partner zu respektieren d.h. deren Freiheit von fremder Setzung der Eheinhalte, aber auch von staatlicher Festschreibung der selbst gesetzten Inhalte.“[6] Leben die Ehegatten einvernehmlich an unterschiedlichen Wohnorten oder pflegen sie eine „offene Ehe“, dann ist diese Absprache von ihrem Recht zur autonomen Ausgestaltung der Ehe gedeckt. Selbst wenn die Ehegatten in Bezug auf die inhaltliche Ausgestaltung der Ehe, insbesondere die eheliche Treue, unterschiedlicher Auffassung sind, so verstößt derjenige, der außereheliche Sexualkontakte unterhält, nicht etwa gegen seine „Pflicht“ aus § 1353 Abs. 1 S. 2, vielmehr ist sein Verhalten von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gedeckt. Bei unterschiedlichen Vorstellungen der Ehegatten von der Ehe in diesen Fragen hilft kein gerichtliches Verfahren auf „Herstellung des ehelichen Lebens“, das sich auf § 1353 stützt, sondern die Ehe wird auf kurz oder lang scheitern.

130

Bei verfassungskonformer Auslegung ist § 1353 Abs. 1 S. 2 vorzugsweise allein dahingehend zu verstehen, dass die Norm das persönliche Wesenselement der Ehe – die Lebensgemeinschaft – als Tatbestandsmerkmal statuiert, aber keine Rechtspflicht normiert. Mangels einer Rechtspflicht scheidet auch jede Art von Haftung bei einem Verstoß gegen § 1353 Abs. 1 S. 2 aus.

Dritter Teil Eheliche Lebensgemeinschaft › § 6 Eheliche Pflichten und Haftung bei Pflichtverletzungen › I. „Verpflichtung“ zur ehelichen Lebensgemeinschaft › 2. Rechtsschutz bei Ehestörung nach der Rechtsprechung