Elvis - Mein bester Freund

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Dewey Phillips war nicht nur verrückt und äußerst unterhaltsam, er hatte auch ein ausgesprochen gutes Ohr für Musik. Er kostete die Freiheit bei der Musikauswahl voll aus, stellte aber anderseits auch eine Sendung zusammen, die Jungs wie ich nicht verpassen durften, wenn sie wissen wollten, was in der Musikszene passierte. Durch die Zusammenarbeit mit Dewey erfuhr ich ein Geheimnis seines Erfolges – er war einer der ganz wenigen DJs, die regelmäßig zu den Vertrieben fuhren, um sich dort vor allen anderen die neusten Singles anzuhören. Den Bestelllisten konnte er entnehmen, welche Singles bald im ganzen Land angesagt wären. Außerdem konnte er in den Vertrieben Exemplare mitnehmen, bevor eine andere Radiostation sie hatte. Immer wieder war er der erste Diskjockey in der Stadt, der die neuesten Hits von Chuck Berry, Bo Diddley und anderen Stars spielte.

Als ich meine eigene Radiokarriere begann, folgte ich Deweys Beispiel. Ich machte es mir zur Gewohnheit, dieselben Lagerhallen aufzusuchen, und sondierte dort die neuen Platten, sobald sie eintrafen. Auf diese Weise bekam ich viele spätere Rock’n’Roll-Hits in die Finger, darunter auch Elvis’ bis dato größten Erfolg, die Single »Don’t Be Cruel« mit »Hound Dog« auf der Rückseite. Die Platte war im Sommer 1956 in aller Munde, und als Elvis Anfang September nach Hollywood ging, um sein zweites Album aufzunehmen, konnte ich es kaum erwarten, mehr von seinem Rock’n’Roll-Zauber zu hören.

Ich musste nicht halb so lange warten, wie ich vielleicht gedacht hatte. Eines schönen Herbsttages entdeckte ich beim Vertrieb der RCA sein zweites Album – mehrere Wochen vor dem offiziellen Veröffentlichungstermin. Das Album (wie sein erstes schlicht betitelt mit Elvis) hatte ein tolles Coverfoto, das ihn vor einem goldenen Hintergrund zeigte. Er trug ein grau-rosa gestreiftes Hemd, spielte auf seiner Gitarre und blickte gen Himmel. Ich bemerkte sofort, dass unter den Songs auch »Paralyzed« von Otis Blackwell war, dem Verfasser von »Don’t Be Cruel«, und »Love Me« von Jerry Leiber und Mike Stoller, einem genialen Songschreiber-Duo, das schon für »Hound Dog« verantwortlich zeichnete. Daneben war ich ein wenig überrascht, als ich feststellte, dass sich auf dem Album auch der erste Song fand, den ich Elvis je hatte singen hören – die Ode an einen treuen Hund, die er damals an der Humes High in Fräulein Marmanns Unterricht zum Besten gegeben hatte, »Old Shep«.

Ich ging direkt zum WMC-Studio und spielte in einem leeren Regieraum das komplette Album, um es in aller Ruhe genießen zu können. Als ich zu »Ready Teddy« auf Seite zwei gelangte, wurde mir plötzlich eines klar: Immer dann, wenn ich dachte, ich hätte Elvis nun in absoluter Topform erlebt, verblüffte er mich aufs Neue. Sofort nach dem Ende des letzten Stücks (»How Do You Think I Feel« von Webb Pierce) griff ich zum Telefon und rief Elvis zu Hause an. Ich wusste, dass er gerade von den Dreharbeiten zu Love Me Tender in die Stadt zurückgekehrt war. Seine Mutter holte ihn an den Apparat, und ich teilte ihm mit, was ich von dem neuen Album hielt. Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille, dann sagte er: »Von welcher Platte sprichst du, GK?«

»Von deinem zweiten Album, Elvis.«

»Du machst wohl Witze. Wo hast du das denn her?«

»Ich bin einfach zum Vertrieb gegangen und habe dort eine Platte mitgenommen. Dann bin ich gleich zum Sender rüber, um sie zu spielen, und sie ist einfach klasse.«

»Mensch, GK – ich wusste nicht mal, dass das Ding schon raus ist, und habe selbst noch kein Exemplar«, sagte er. »Könntest du mir die Platte nicht rasch vorbeibringen?«

Selbstverständlich sagte ich gerne zu. Ich bat Elvis zwar nur selten um einen Gefallen, doch an jenem Tag fragte ich ihn, ob es in Ordnung wäre, wenn ein Fotograf von WMC mitkäme, wenn ich ihm die Platte überreichte. Elvis war einverstanden. Am Ende hatte ich phantastische Bilder, auf denen wir gemeinsam das Album hielten. Entweder saßen wir dabei auf seiner dicken Harley Davidson oder standen neben seinem blitzblanken Mark II Lincoln Continental.

An einem Nachmittag Anfang Dezember 1956 besuchte mich Elvis bei WMC und lud mich zu einer Spazierfahrt in einem Auto ein, wie ich noch keines gesehen hatte – einem brandneuen Cadillac Eldorado. Während dieser Fahrt erwähnte ich ihm gegenüber, dass WDIA am Abend seine alljährliche Wohltätigkeitsveranstaltung »Goodwill Revue« im Ellis Auditorium veranstalten werde. Es handelte sich dabei um eines von zwei großen Benefizkonzerten, die der Sender jedes Jahr organisierte, um Geld für bedürftige schwarze Kinder und Familien zu sammeln. Bei dieser Wohltätigkeitsveranstaltung traten regelmäßig schwarze Topstars vor einem riesigen schwarzen Publikum auf, und die Veranstaltung war entsprechend bekannt. Die Liste der Künstler umfasste diesmal Ray Charles, den ehemaligen DIA-DJ B.B. King, einen aufregenden Pianisten namens Phineas Newborn und mehrere Gospelgruppen. Moderiert wurde das Ganze von Rufus Thomas, der als »Häuptling Schaukelpferd« verkleidet war. Elvis war sofort Feuer und Flamme und schlug vor, gemeinsam hinzugehen.

Ein paar Stunden später war es so weit, und wir betraten den Garderobenbereich des Ellis Auditorium. Einer der Ersten, die uns über den Weg liefen, war Rufus Thomas, der kürzlich reichlich Schelte bezogen hatte, weil er die Rassengrenze überschritten und Elvis-Platten auf WDIA gespielt hatte. Er eilte mit breitem Grinsen herbei, packte Elvis und dankte ihm für sein Kommen.

»Du singst also heute Abend was für uns, Elvis?«, fragte Rufus.

Elvis’ Hauptinteresse beim Besuch der Show war es, so unauffällig wie möglich zu bleiben und nichts zu tun, was den planmäßigen Ablauf des Konzerts in irgendeiner Form stören konnte.

»Das ist dein Abend, Rufus«, sagte er. »Ich habe auf dieser Bühne nichts verloren.«

»Wenn ich dich schon nicht zum Singen bewegen kann, dann lass mich dich doch wenigstens vorstellen, und du verbeugst dich kurz«, sagte Rufus. »Viele Leute da draußen würden sich wahnsinnig freuen, dich zu sehen.«

»Na gut«, sagte Elvis. »Von mir aus gerne.«

Wir hingen eine Weile backstage herum, wo wir die Künstler des Abends trafen. Wir begegneten B.B. King, mit dem sich Elvis eine Weile unterhielt – ein Augenblick, den der große Fotograf Ernie Withers festhielt (dessen Bilder von der Bürgerrechtsbewegung später um die Welt gingen). Mit wem er auch sprach, so horchte Elvis doch stets mit einem Ohr auf die Musik, die von der Bühne kam. Ich hatte mittlerweile sehr viel Zeit damit zugebracht, Elvis’ Musik zu hören. Nun war es hochinteressant zu sehen, wie ungeheuer stark die Musik von anderen auf ihn wirkte.

Als Rufus Thomas Elvis endlich ankündigte, musste er ihn buchstäblich auf die Bühne zerren. Sobald ihn die Menge erblickte, begann der Saal zu toben. Ich glaube nicht, dass Elvis bewusst war, dass er damit eine Rassengrenze überschritt, denn in solchen Dimensionen dachte er nicht. Er war einfach nur zur »Goodwill Revue« gegangen, weil er Ray Charles und all die anderen Künstler hören wollte. Freilich muss es ihm gutgetan haben, dass man ihn dort so freundlich und begeistert empfing. Elvis erwiderte das stürmische Willkommen mit einer seiner kleinen Beinbewegungen, woraufhin die Menge in ein Geschrei ausbrach, dass die Wände erzitterten. Junge schwarze Mädchen drängten sich vor die Bühne, wie es bei anderen Auftritten die weißen Mädchen taten.

Im Radio hatte Dewey Phillips die Frage der Hautfarbe ignoriert und einfach »gute Musik für gute Leute« gespielt. Ich hatte seinem Beispiel zu folgen versucht, indem ich großartige Rock’n’Roll-Musik auflegte, ohne mich darum zu kümmern, ob der jeweilige Künstler oder sein Publikum nun schwarz oder weiß waren. Nun führte Elvis ganz locker sämtliche dummen Vorurteile ad absurdum, welche die Menschen angeblich voneinander trennten: Er musste nur auf der Bühne des Ellis Auditorium mit dem Bein wackeln.

Ja, es waren »unkontrollierte Gefühle« damit verbunden. Aus dem Geschrei zu schließen, das diese Mädchen von sich gaben, waren auch »sexuelle Inhalte« nicht ganz von der Hand zu weisen. Vielleicht war Elvis tatsächlich eine Bedrohung für die etablierten gesellschaftlichen Normen und Werte, aber vielleicht war das gar nicht so schlecht. Vielleicht hatten die Leute, die sich so sehr vor dem Rock’n’Roll fürchteten, ja Recht: Er besaß tatsächlich die Macht, die Welt zu verändern.


Soweit ich weiß, bin ich der einzige Mann, der je mit Elvis Presley geschlafen hat. Und ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass er der einzige Mann war, mit dem ich je geschlafen habe.

Ich glaube, das sollte ich jetzt aber besser erklären.

Als der Frühling 1957 vor der Tür stand, war Elvis längst keine lokale Berühmtheit mehr, sondern ein waschechter Superstar. Er hatte gerade seinen zweiten Hollywoodfilm Loving You fertiggestellt, und sein dritter, der den Titel Jailhouse Kid tragen sollte, war bereits in Planung. Außerdem schickte er sich an, mit »All Shook Up« erneut den ersten Platz der Charts zu erobern. Im Januar hatte er seinen dritten und letzten Auftritt in der Ed Sullivan Show gehabt, an deren Ende es sich Ed nicht hatte nehmen lassen, den amerikanischen Fernsehzuschauern mitzuteilen, dass Elvis ein »richtig netter Junge« sei. Sogar durch die Kameralinse – und vielleicht gerade durch die Kameralinse – sah Elvis genauso aus wie seine Musik klang: stark, sexy, cool und ein bisschen verrückt. Er hatte das Geheimnisvolle von Brando, die Intensität eines James Dean und konnte singen wie kein anderer. Er war die vollkommene Verkörperung des Rock’n’Roll. Es gab immer noch Diskussionen darüber, welche Wirkung er auf die Jugend der Nation haben könnte, und manch einer äußerte laute Zweifel an seinen musikalischen Fähigkeiten. Doch praktisch alles, was Elvis nun machte, wurde am Ende populärer und erfolgreicher als das, was er zuvor gemacht hatte.

 

Es lief bestens für Elvis, und, wie ich fand, auch für mich. Mit meiner Sendung George Klein’s Rock’n’Roll Ballroom auf WMC war ich immer noch einer der beliebtesten Nachmittags-DJs von ganz Memphis. Es machte mir einen Riesenspaß, für meine Zuhörer die heißesten neuen Rock’n’Roll-Platten zu spielen – von »My Prayer« von den Platters über »Blueberry Hill« von Fats Domino bis hin zu Elvis’ neuesten Singles.

Ende 1956 wurde ich erneut Teil eines kleinen Abschnitts der Rock’n’Roll-Geschichte, als mir zwei Mitarbeiter des Produzenten Sam Phillips – der A&R-Beauftragte Jack Clement und der für Sun tätige Studioschlagzeuger J.M. Van Eaton – eine frischgepresste, noch unveröffentlichte Platte vorbeibrachten. Die Scheibe war ein paar Tage zuvor in Louisiana von einem Pianisten aufgenommen worden, der nach vielen Absagen in Nashville schließlich bei Sun gelandet war. (Clement erzählte mir, der Pianist und dessen Vater hätten Eier von ihrem Hof nach Memphis zum Verkauf mitgenommen, damit der Ausflug wenigstens nicht ganz umsonst wäre.) Es war eine Coverversion von Ray Prices »Crazy Arms«, eingespielt mit der Energie des Rockabilly und einem subtilen Country-Feeling, begleitet von einem äußerst kraftvollen Piano.

Ich bemerkte sofort, dass dieser neue Pianist Talent hatte, sah in dem Song aber nicht unbedingt einen Hit. Trotzdem spielte ich ihn in meiner Sendung, um zu sehen, was die Hörer dachten. So wurde ich der erste Diskjockey der Welt, der jemals Jerry Lee Lewis auflegte. (Der Vollständigkeit halber: Die Hörer flippten bei »Crazy Arms« nicht gerade aus, aber es sollte nicht mehr lange dauern, bis Jerry Lee mit »Whole Lotta Shakin’ Goin’ On« seinen Durchbruch schaffte.)

Das Leben war prima: Elvis hatte ausverkaufte Konzertsäle und Kinos und behauptete sich an der Spitze der Charts, ich hatte eine tolle Zeit beim Radio, und der Rock’n’Roll feierte einen unaufhaltsamen Siegeszug. Dann wurde ich eines Tages ins Büro des Geschäftsführers gerufen. Bill Grumbles hatte den Sender WMC verlassen, um einen Job bei RKO anzunehmen. Ich erwartete zwar, dass es unter der neuen Sendeleitung ein paar Programmänderungen geben würde, doch war ich keineswegs auf das vorbereitet, was ich im Büro des neuen Geschäftsführers zu hören bekam. Ich war fristlos gefeuert.

»Was ist denn los?«, fragte ich. »Was habe ich falsch gemacht?«

»Sie haben gar nichts falsch gemacht, George«, teilte man mir mit. »Das Problem sind nicht Sie, das Problem ist vielmehr die Musik.«

»Aber ich spiele die heißesten Rock’n’Roll-Scheiben im ganzen Land.«

»Das ist es ja gerade«, sagte der Geschäftsführer. »Es sind Rock’n’Roll-Platten. Heute sind sie angesagt, aber wir glauben nicht, dass diese Rock’n’Roll-Geschichte Zukunft hat. Es ist eine vorübergehende Modeerscheinung wie Mambo oder Calypso, und der Sender glaubt, dass das Ganze eine sehr kurze Halbwertszeit hat. Wir müssen aber an die Zukunft denken, daher müssen wir Ihre Sendung einstellen. Tut mir leid, George.«

Somit war DJ GK wieder nur der alte GK, und meine strahlende Zukunft verwandelte sich plötzlich in ein großes Fragezeichen. Nach diesem harten Tag brauchte ich ein wenig Abwechslung, und ich ging rüber ins Hotel Chisca, um Dewey im Studio von WHBQ ein wenig Gesellschaft zu leisten.

»Diese verdammten Erbsenzähler haben keine Ahnung, oder?«, wetterte er, als ich ihm von meiner Lage berichtete. Er hatte selbst ein paar Meinungsverschiedenheiten mit seinem Management gehabt, weil dieses fand, Deweys lockere Art passe nicht mehr ganz zu den streng abgegrenzten Formaten, die der Sender zunehmend bediente. Während er seine Platten spielte, unterhielten wir uns, und als ich ihm so bei der Arbeit zusah, begann ich mich langsam besser zu fühlen. Meine Laune besserte sich noch mehr, als gegen Ende von Deweys Sendung Elvis in der Tür des Regieraums erschien. Er war nach den Arbeiten an Loving You wieder in der Stadt und hatte beschlossen, ein wenig Zeit mit seinem alten Freund Daddy-O Dewey zu verbringen. Ich ging hinaus auf den Gang, um ihm hallo zu sagen und das Neueste zu erfahren.

»Na, Elvis, wie geht’s, wie steht’s?«

»Gut, richtig gut, GK.« Er sah mich mit einem leicht fragenden Blick an. »Mann, was ist denn mit dir passiert? Du warst ja heute gar nicht auf Sendung.«

»Tja, Elvis, du wirst es kaum glauben: Man hat mich gefeuert.«

»Gefeuert?« Er wirkte fast ein wenig wütend und beleidigt – genau wie ich.

»Ja. WMC stellt seine Rock’n’Roll-Sendungen ein, also haben sie mich gefeuert.« Ich glaube, ich versuchte ein kleines Lächeln, in der Hoffnung, mit Elvis über die ganze Angelegenheit lachen zu können. Sein ernster Gesichtsausdruck blieb jedoch unverändert. Er sah einen Augenblick zu Boden, dann blickte er mich wieder an.

»Du bist nicht mehr arbeitslos, GK.«

»Was meinst du damit?«

»Du arbeitest ab jetzt für mich.«

Ich war einen Moment lang sprachlos. Dann sammelte ich mich wieder und stellte eine ziemlich wichtige Frage. »Äh, Elvis, was genau soll ich denn für dich tun?«

Er zögerte keinen Augenblick. »Nichts. Du bist ein Reisebegleiter.«

»Ein Reisebegleiter?«

»Genau. Nächste Woche brechen wir zu einer großen Tournee quer durchs ganze Land auf. Dann gehen wir nach Hollywood und drehen einen weiteren Film. Dann gehen wir nach Hawaii. Du kommst mit und bist mein Reisebegleiter. Du musst nichts weiter tun, als Zeit für mich zu haben.«

Nur eine Stunde zuvor hatten mich noch Sorgen geplagt, hatte ich mich gefragt, wie es nun weitergehen sollte. Ich war deprimiert gewesen, weil ich keine Möglichkeit mehr hatte, Rock’n’Roll-Platten zu spielen. Nun jedoch bekam ich durch ein paar Worte aus Elvis’ Mund plötzlich die Chance, die Platten hinter mir zu lassen und selbst ein Teil des Rock’n’Roll-Geschäfts zu werden. Ich brauchte nicht lange zu überlegen – auf eine Einladung wie diese gab es nur eine Antwort.

»Mensch, Elvis! Was muss ich unterschreiben?«

»Nichts. Du bist dabei, Mann, du bist dabei.«

Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was Dewey davon abhielt, an jenem Abend mit uns auszugehen. Ich erinnere mich nur, dass Elvis und ich gemeinsam den Sender verließen. Wir fuhren in seinem weißen Mark II Continental durch die Stadt und hielten schließlich am Variety Club, um ein paar kalte Softdrinks zu trinken und der Jukebox zu lauschen. Als die Sperrstunde heranrückte, fragte Elvis, ob ich Lust hätte, bei ihm noch ein bisschen weiter zu feiern.

Er und seine Familie lebten mittlerweile am Audubon Drive im Osten von Memphis. Sie waren im Mai 1956 dorthin umgezogen, als Elvis genügend Geld verdient hatte, um ein Haus zu kaufen. Es war ihr erstes wirklich hübsches Haus, geräumig, im Stil einer texanischen Ranch, und lag in einem sehr guten Wohngebiet. Zwar war es beileibe nicht das größte Haus in der Gegend, aber dafür das einzige mit Swimmingpool. Elvis war kein großer Schwimmer, aber er verkündete, dass die Nachbarskinder jederzeit vorbeikommen und seinen Pool benutzen könnten. (Eines der Nachbarskinder, die dieses Angebot annahmen, war Fred Smith, der spätere Gründer und Geschäftsführer von Federal Express.)

Obwohl es schon spät war, als wir bei Elvis zu Hause eintrafen, standen seine Eltern auf, um uns zu begrüßen. Ich hatte Frau Presley bereits während meiner Highschool-Zeit kennengelernt, und es schien sie sehr zu freuen, mich wiederzusehen. Die Ereignisse überschlugen sich im Leben ihres Sohnes, der neuerdings mit lauter lächelnden Fremden Geschäfte machte. Ich glaube daher, sie war erleichtert, ihn in Begleitung eines alten Schulkameraden zu sehen, weil sie wusste, dass sie mir vertrauen konnte. Als ich zu einem festeren Bestandteil von Elvis’ Leben wurde, sagte uns Frau Presley häufig, dass sie sich nicht gar so sehr um Elvis sorge, wenn sie wisse, dass ich bei ihm sei (und obwohl es schon Jahre her war, erzählte sie mir oft, wie sehr sie meine Rede als Jahrgangssprecher bei der Abschlussfeier an der Humes High beeindruckt habe).

Als Herr und Frau Presley an jenem Abend zu Bett gegangen waren, zogen Elvis und ich nach draußen um und setzten uns auf die Veranda beim Pool. Er erzählte viel von seinen Erlebnissen in Hollywood: »Wo man auch hinsieht, gibt es hübsche Mädchen, GK – eine hübscher als die andere. Du wirst es ja selbst sehen. Da ist ordentlich was los.« Außerdem führte er mir eine seiner neuesten Freizeitaktivitäten vor. Er nahm eine Schachtel Blitzwürfel, wie man sie beim Fotografieren verwendet, warf die Würfel in den Pool und schoss dann mit einer Luftpistole darauf. Er war ein ausgezeichneter Schütze. Wenn er einen Würfel traf, leuchtete dieser im Wasser auf, was ein wirklich schöner Anblick war (wenngleich es jede Menge Unrat verursachte, den Herr Presley nachher wieder aus dem Pool entfernen musste). Irgendwann gingen wir wieder hinein und hörten Platten, bis wir schließlich müde wurden und beschlossen, den Abend zu beenden.

»Könntest Du mich noch in den Norden von Memphis fahren, Elvis?«, fragte ich ihn.

»Puhhh, GK, das ist mir jetzt zu weit. Bleibt doch einfach hier bei mir.«

»Gerne, Elvis. Wo soll ich denn schlafen?«

Im Haus gab es drei Schlafzimmer, die er selbst, seine Eltern und seine Großmutter Minnie nutzten. Ich erwartete, dass mir Elvis einen Sessel, ein Sofa oder eine Stelle auf dem Boden zuweisen würde, wo ich mir ein provisorisches Nachtlager bereiten könnte.

»Du schläfst bei mir im Bett, Mann. Du nimmst die eine Seite, ich die andere. Es ist Platz genug.«

Er hatte Recht – eines der ersten Luxusgüter, die er sich im neuen Haus gegönnt hatte, war ein Riesenbett, das einen guten Teil seines Zimmers einnahm. So kam es, dass ich mich in einer Frühlingsnacht des Jahres 1957 anschickte, mit dem größten Rock’n’Roll-Star der Welt ins Bett zu gehen.

Wie ich bald feststellte, war es nicht unbedingt erholsam, neben Elvis Presley zu schlafen. Fast im selben Augenblick, als wir uns auf unseren beiden Seiten des Bettes hinlegten, vernahm ich ein seltsames, leises, regelmäßiges Klopfgeräusch, das von der Wand kam, die Elvis’ Bett am nächsten lag.

»Was ist das, Elvis?«

»Was ist was?«

»Dieses komische Klopfgeräusch.«

»Ach, das sind nur die Mädchen da draußen. Sie kommen von überall her. Sie haben herausgefunden, wo sich mein Schlafzimmer befindet, also sitzen sie jetzt auf der anderen Seite der Wand.«

Ich hörte genauer hin. Außer dem Klopfen konnte ich die Mädchen auch flüstern hören: »Elvis, wir lieben dich.« »Elvis, können wir nicht reinkommen?«

»Was willst du dagegen machen?«, fragte ich.

»Nichts. Passiert jede Nacht. Deshalb muss ich hier auch wieder ausziehen.«

Er war an den Rummel um seine Person derart gewöhnt, dass es ihm offenbar keinerlei Schwierigkeiten bereitete, trotz des Klopfens und Flüsterns einzuschlafen. Mir hingegen fiel es nicht ganz so leicht, doch muss auch ich schließlich eingenickt sein, denn irgendwann erwachte ich plötzlich und bemerkte, dass jemand im Schlafzimmer stand. Mit einem Ruck setzte ich mich im Bett auf und wollte Elvis wecken, doch seine Seite des Bettes war leer. Als sich meine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, stellte ich fest, dass die Gestalt, die da im dunklen Schlafzimmer stand, Elvis war.

»Alles klar, Elvis?«

Er murmelte etwas vor sich hin und schlurfte ein bisschen im Zimmer umher. Er schlafwandelte.

Früher am Abend hatte mich Frau Presley beiseite genommen und mir gesagt, falls ich über Nacht bliebe, müsse ich wissen, dass Elvis oft schlafwandle. Sie hatte mir einige Ratschläge gegeben, wie man freundlich mit ihm sprechen musste, um ihn wieder ins Bett zu bekommen. Genau das tat ich jetzt.

»Elvis, warum gehst du nicht wieder schlafen?«, fragte ich leise.

»Hm?«

»Geh wieder schlafen, Elvis.«

Er murmelte noch etwas und schlurfte vom Bett weg. Jetzt begann ich mir langsam Sorgen zu machen. Ich stand auf, näherte mich ihm jedoch nicht allzu sehr, um ihn nicht zu erschrecken. Er redete weiter, als wäre er in Gedanken versunken und versuchte, eine Antwort auf irgendeine Frage zu finden. Ich bat ihn wieder und wieder, zurück ins Bett zu kommen. Nach ein paar nervösen Minuten meinerseits ging er schließlich anstandslos zum Bett, legte sich hin und schlief weiter. Was mich betraf, so fand ich es zwar spannend, bei Elvis zu übernachten, doch schlief ich in meiner ersten Nacht wirklich nicht besonders gut.

 

Am nächsten Morgen sagte Elvis kein Wort über seine Schlafwandlerei, und ich auch nicht. Er stand immer noch am Beginn seiner Karriere. Auch unsere Freundschaft war noch jung, doch wusste ich bereits, dass er ein sehr stolzer Mann war und ihm so etwas eher peinlich gewesen wäre, als dass er gerne Witze darüber gemacht hätte. Anfangs musste er von Seiten der Presse und der breiten Öffentlichkeit eine ganze Menge einstecken, und wenn er jemandem Zugang zu seiner Privatsphäre gewährte, dann nur einem Menschen, dem er unbedingt vertraute. Ich wollte ihm nicht das Gefühl geben, dass es ein Fehler war, mir zu vertrauen.

Ein paar Tage später war ich früh am Abend erneut am Audubon Drive. In guter Südstaaten-Tradition saßen Elvis und seine Eltern gewöhnlich nach dem Abendessen noch eine Weile auf der Veranda zusammen und unterhielten sich. Oft kamen Autos voller Mädchen vorbeigefahren, die ihm »Elvis, wir lieben dich« zuriefen, ganz so, wie die Mädchen, die nachts an die Wände klopften. An diesem Tag aber waren Elvis und ich im Haus, und Herr und Frau Presley saßen allein auf der Veranda. Plötzlich hörten wir, wie ein Wagen mit quietschenden Reifen vorfuhr. Dann war ein hässliches, bedrohlich klingendes Geschrei zu hören, bis der Wagen endlich wieder davonbrauste. Elvis eilte hinaus auf die Veranda und konnte den Gesichtern seiner Eltern ansehen, dass sie ein wenig verstört waren.

»Was haben die gesagt, Mama?«

»Mach dir keine Sorgen, Elvis, das ist nicht wichtig«, antwortete sie.

»Mama – was haben die gesagt?«

Sie kniff die Lippen zusammen und zuckte ein wenig mit den Schultern. »Sie sagten: ›Elvis, wir machen dich fertig!‹ Aber das waren doch nur dumme Jungs, Elvis.«

»Haben sie dich beleidigt?«

Frau Presley wandte die Augen ab, aber sein Vater antwortete: »Es war nur ein Haufen Halbstarker, Elvis. Uns geht’s gut.«

Elvis hastete ins Haus zurück und kehrte kurz darauf mit einem Gewehr in der Hand zurück. Er setzte sich, legte die Flinte auf seinen Schoß und blieb mit kaltem, versteinertem Gesichtsausdruck sitzen. Er starrte die Straße hinab. Unnötig zu sagen, dass eine entspannte Konversation danach kaum noch möglich war. Wir warteten zwei Stunden lang darauf, dass das Auto mit den Rowdys zurückkam, vergeblich. Bis heute weiß ich nicht, ob Elvis tatsächlich auf sie geschossen hätte oder nicht.

Später erzählte er mir, dass er vor kurzem seinen ersten Brief mit einer Morddrohung erhalten habe. Er war zwar in einem anderen Bundesstaat abgestempelt worden, doch der Verfasser schrieb, er werde nach Memphis kommen, um Elvis zu töten. Man übergab den Brief dem FBI, doch auch dort konnte man ihn nicht eindeutig bis zu einem Absender zurückverfolgen. Es geschah zwar nichts weiter, aber die Drohung erklärte, warum Elvis’ Nerven derart blank lagen.

Die geballte Aufmerksamkeit, die Elvis zu Hause zuteil wurde, hatte auch Auswirkungen auf seine Nachbarschaft. Obwohl er den Kindern aus dem Viertel seinen Pool zur Verfügung stellte, hatten seine Nachbarn irgendwann die Nase voll von zertrampelten Gärten, verstellten Einfahrten und dem Verkehr bis spät in die Nacht. Einige von ihnen hatten ein Komitee gebildet und ersuchten Herrn Presley um ein Gespräch. Sie sagten, es freue sie zwar sehr, wie prächtig sich Elvis’ Karriere entwickle, sie seien aber der Meinung, dass er für ihre ruhige Anwohnerstraße inzwischen zu prominent sei. Sie hatten ihr ganzes Geld zusammengelegt, um den Presleys einen weit über dem Marktwert liegenden Preis für ihr Haus bieten zu können. Sie waren sicher, Elvis und seine Familie würden nur zu gerne umziehen und etwas zurückgezogener leben. Es war schwer, etwas gegen die Argumente der Nachbarn einzuwenden, aber wenn es etwas gab, das Elvis hasste, dann war es das Gefühl, dass man ihn gängelte. Als er von dem Angebot der Nachbarn hörte, hatte er prompt ein Gegenangebot parat: Er würde sämtliche Häuser im Viertel kaufen und die anderen wegziehen lassen.

Vernon Presley musste seinen Nachbarn Elvis’ Vorschlag jedoch gar nicht unterbreiten. Denn während dieser sich im März 1957 für die Dreharbeiten zum Film Loving You in Los Angeles aufhielt, hatten Herr und Frau Presley ein Anwesen in Whitehaven besichtigt, das nahe der Grenze zwischen Tennessee und Mississippi ein wenig abseits des Highway 51 in Richtung Süden lag. Es war ein über fünfeinhalb Hektar großes Waldstück mit einem wunderschönen Herrenhaus aus Stein. Das Objekt stand leer, und es war eine Menge Arbeit nötig, aber die Presleys fanden, es wäre das perfekte neue Zuhause für ihre Familie. Elvis hatte es noch nicht gesehen, doch die Schönheit, die Ruhe und der Frieden des Anwesens ließen sich bereits aus seinem Namen ablesen: Graceland.

Nur wenige Tage, bevor ich mit Elvis die Stadt verließ, um meine neue Laufbahn als »Reisebegleiter« einzuschlagen, fuhren wir eines Nachmittags gemeinsam den Highway 51 gen Süden, damit er einen Blick auf das Anwesen werfen konnte, von dem seine Eltern so begeistert waren. Als wir Graceland zum ersten Mal sahen, war es kaum mehr als das »Gerippe« eines Hauses, doch Elvis verliebte sich auf der Stelle. Damals gab es in der gesamten Umgebung keinerlei Wohnbebauung. Wenn man die Einfahrt zum Haus hinauffuhr, hatte man daher das Gefühl, als näherte man sich einem verborgenen, längst vergessenen Palast. Das wirklich Besondere aber war die Atmosphäre des Anwesens, das merkte man schon bei diesem ersten Besuch. Es herrschten Ruhe und tiefer Frieden, die es einladender machten als alle anderen Orte, an denen ich je gewesen war. Ich wusste, dass auch Elvis so empfand, denn nur wenige Tage später war der Kaufvertrag unter Dach und Fach. Sogleich begann er, Designer und Handwerker für die Arbeit an seinem neuen Heim zu verpflichten.

Am letzten Freitagabend vor Tourneebeginn saß ich wieder einmal in Elvis’ Lincoln Continental. Irgendwann kam es mir in den Sinn, dass es vielleicht Spaß machen würde, unseren letzten Abend in Memphis mit einer alten Lieblingsbeschäftigung aus Highschool-Zeiten zu verbringen. Ich schlug ihm vor, auf der Main Street »auf die Pirsch zu gehen«.

»Auf die Pirsch zu gehen« bedeutete, dass man den beliebtesten Abschnitt der Main Street zwischen Beale Street und dem Suzore Thetare entlangfuhr, nach Autos mit Mädchen Ausschau hielt und versuchte, eine Art Party in Gang zu bringen. Man schlich also die Main entlang, drehte um und fuhr über die Third Street wieder zurück, dann fuhr man erneut die Main hinunter, bis man mit dem richtigen Auto und den richtigen Mädchen Kontakt aufgenommen hatte. Elvis sagte die Idee zu, also verwendeten wir einige Zeit darauf, uns herauszuputzen. Wir zogen Sakkos und Tuchhosen an, und ab ging’s zur Pirsch auf die Main Street.

Am Freitagabend war die Main Street ziemlich stark befahren, aber es war nicht so viel los, dass der Anblick von Elvis in seinem weißen Lincoln lange unbemerkt geblieben wäre. Nach ein paar Blocks folgten uns bereits fünf oder sechs Autos voller Mädchen. Elvis fuhr langsam bis zum Ende der Main und bog dann in die Third Street ein. Ein paar der Autos voller Mädchen blieben uns auf den Fersen. Als wir an einer Ampel hielten, wandte er sich an mich.

»GK, geh und sag diesen ganzen Mädchen, sie sollen zum Audubon Drive kommen. Wir schmeißen eine kleine Party. Sag ihnen aber, sie sollen keine Typen mitbringen.«

»Klasse, Elvis.« Ich sprang aus dem Wagen und rannte zurück, um die Einladung auszusprechen und dafür zu sorgen, dass alle die richtige Adresse kannten und die Keine-Typen-Regelung verstanden hatten. Die Mädchen kreischten und kicherten und begannen, sich die Haare zu zupfen und ihr Make-up aufzufrischen. Es sah aus, als hätten wir einen großartigen Freitagabend vor uns.