Schwarzes Geld für schwarze Schafe

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„Genau. Und dadurch erscheint die Angelegenheit in einem anderen Licht. Jetzt muss ich tatsächlich davon ausgehen, dass Simonis ernsthaft bedroht ist. Andererseits kann ich ihn wohl kaum dazu befragen, geschweige denn Schutzmaßnahmen mit ihm absprechen, weil ich sonst die verdeckte Ermittlung gefährden würde. Alles, was wir tun, muss absolut unauffällig und mit äußerster Vorsicht geschehen.”

Ich lehnte mich zurück, starrte an die Decke und gab mich den boshaften Einflüsterungen eines Teufelchens namens „Rachegelüste” hin. Das wäre ja ein Ding: Simonis, der mich so erniedrigt hatte und, was ja viele wichtiger war, der eine Schande für unseren Berufsstand darstellte, als Drahtzieher einer Homejacking-Bande. Ich sah schon die Schlagzeilen vor mir: „Altruistischer Steuerberater überführt kriminellen Kollegen.” Ob das für unseren Berufsstand wirklich förderlich war? Ach was, dachte ich trotzig, meine Kollegen und ich werden bei der Öffentlichkeitsarbeit hinsichtlich dessen, was wir wirklich für unsere Mandanten tun und bewirken können, so erbärmlich unprofessionell und inkonsequent von unseren Standesorganisationen unterstützt, dass jede Schlagzeile nach dem Motto: Only bad news are good news, nur hilfreich sein kann.

Ich weiß nicht, welcher Teufel mich in diesem Moment tatsächlich ritt, jedenfalls habe ich meine Entscheidung später mehrmals bereut. Aber das Kind im Manne war geweckt. Unsere Praxis lief dank Carlo Dornhagen, unserer Mitarbeiter und einer fortschrittlichen, systematisch funktionierenden Kanzleiorganisation für einige Wochen auch ohne mich. Was hatte ich also zu verlieren? An mein Leben dachte ich dabei allerdings nicht, obwohl ich es seit meinem letzten Ausflug in die praktische Welt der Kriminalistik hätte besser wissen müssen.

„Koman”, erklärte ich daher ebenso pathetisch wie naiv, „ich bin dabei!”

„Ich wusste es, besser gesagt, ich hatte es inständig gehofft. Wie gedenken Sie nun vorzugehen?”

„Wenn ich es recht verstehe, geht es um zwei Ziele: Erstens soll der Urheber oder die Urheberin der Drohbriefe ermittelt und damit ein möglicherweise geplanter Mord verhindert werden. Und zweitens soll, bei großzügiger und freier Auslegung Ihrer BKA-Story, eine etwaige Verbindung zu einer Tätergruppe aufgedeckt werden, die sich auf Homejacking spezialisiert hat.”

„Die gleichen Fragen, um zu zwei unterschiedlichen Zielen zu gelangen, korrekt. Man könnte auch sagen, zwei Fliegen mit einer Klappe. Kümmern Sie sich bitte ausschließlich um das Kanzleiumfeld, Mitarbeiter, Mandanten, Kollegen. Somit nur um den Personenkreis, mit dem er aufgrund seiner Tätigkeit zu tun hat und mit dem Sie auch unter normalen, typischen Arbeitsbedingungen Kontakt aufnehmen könnten. Am ergiebigsten wäre es, wenn Sie dabei auf Personen treffen, die auf Simonis nicht gut zu sprechen sind. Aber”, Koman beugte sich nach vorn und fixierte mich mit leicht zusammengekniffenen Augen, „lassen Sie um Gottes Willen die Finger von allen anderen, die sie nicht einordnen können. Die fallen ausschließlich in mein Ressort, das lässt sich ja auch gut trennen.”

In diesem Moment glaubte ich das auch noch, aber schon wenige Wochen später sollten sich diese Gruppen überschneiden, ohne, dass wir es zu diesem Zeitpunkt ahnen konnten.

„Wir treffen uns sporadisch in meinem Büro und tauschen aus, was wir erfahren haben. Sie zu einhundert Prozent und ich, das, was ich vertreten kann und was für Sie wichtig ist. Informieren Sie mich umgehend, wenn Ihnen irgendetwas suspekt vorkommt! Ganz gleich um welche Uhrzeit, bei Tag und Nacht.” Dabei reichte er mir seine Visitenkarte mit der Büro- und der Handynummer über dem Tisch. „Machen Sie außer den besprochenen Recherchen nichts auf eigene Faust!”

Um es nicht zu vergessen, speicherte ich seine Telefonnummern sofort in meinem Handy ab und setzte sie außerdem für die Kurzwahl auf eine Zahlentaste.

Irgendwie kam etwas wie eine Verschwörerstimmung auf, die wir zum Abschluss mit einem Ramazotti würdigten. Dieser denkwürdige Moment, der dazu angetan schien, in die Analen der deutschen Kriminalgeschichte einzugehen, rechtfertigte die Ausnahme von der Regel und den minimalen Alkoholabusus vor 18.00 Uhr.

Noch am Nachmittag des gleichen Tages informierte ich Carlo Dornhagen, soweit ich es für richtig hielt, über meine Unternehmung. Der kleine, etwas dicklich geratene, Mann, mit dem mich inzwischen ein wunderbares Vertrauensverhältnis verband, saß aufrecht und in gespannter Haltung in seinem Stuhl und hörte meinen Schilderungen stillschweigend zu.

Still? Schweigend? Carlo besitzt die besondere Begabung alle Register der Körpersprache so einzusetzen, dass er in seinen Reaktionen und Meinungen einfach nicht missverstanden werden kann. Da wird das „Stillschweigen” zur Qual!

Wortlos und damit ohne mir eine Chance der Korrektur oder Verteidigung zu geben, bedeutete er mir mit Gestik, Mimik und Körperhaltung: Klar, mach du nur. Wenn es dem Esel zu wohl wird … Mensch Darius, du bist einer aus dem letzten Jahrhundert, such dir lieber eine Frau, wenn du nach Aufregung suchst, das macht bestimmt mehr Spaß … Hält uns Eichel nicht genug in Trab? … Aber bitte: Fall du nur wieder auf die Schnauze. Hast eben nichts gelernt beim letzten Mal. … Aber, du lässt dich eh nicht zurückhalten!

Was er wortwörtlich von sich gab, reduzierte sich auf die Frage: „Wie kann ich dir dabei helfen?”

Carlo erhielt von mir eine Liste mit den Besprechungsterminen, die keinen Aufschub duldeten und die er für mich wahrnehmen sollte. Die dazu notwendigen Unterlagen würde ich ihm bis Montag vorbereiten.

Außerdem erbat ich mir von ihm eine Aufstellung von Personen, von denen er noch aus seiner Tätigkeit als Betriebsprüfer wusste, dass sie von Simonis vertreten wurden.

„Nur die Namen und den Wohnort, keine weiteren Daten”, erleichterte ich ihm diesen „Verstoß”.

„Selbst das ist eine Gratwanderung. Du weißt, dass ich über das, was mir aufgrund meiner Tätigkeit im Finanzamt zugänglich war, auch nach meinem Ausscheiden zum Stillschweigen verpflichtet bin. Aber gut, in diesem Fall, und mit dieser Einschränkung, kann ich das tun. Du missbrauchst ja diese Datenkenntnis nicht.”

„Vielleicht benötige ich deine Informationen auch gar nicht. Ich werde ohnehin erst einmal bei einem Kollegen anfangen”, beruhigte ich ihn.

Drittes Kapitel Montag, 7. bis Sonntag, 13. April 2003

Während der nächsten Tage musste ich feststellen, dass es gewisser Fertigkeiten und Erfahrungen bedarf, unauffällig zu recherchieren und dennoch ein Maximum an schlüssigen und lückenlosen Informationen zu beschaffen.

Andererseits hätte ich mir vorher nie vorstellen können, wie leichtfertig sich selbst Menschen, bei denen man ein überdurchschnittliches Maß an Intelligenz voraussetzen darf, über andere äußern und dabei sogar Intimes nicht aussparen. Selbstredend wurden mir diese Indiskretionen stets mit dem eindringlichen Hinweis: „Aber das bleibt natürlich unter uns!” überreicht. Und nicht nur das, bereits bei der ersten investigativen Unterhaltung, die ich mit Gerd Seckler, einem Kollegen, führte, präsentierte man mir ungefragt, auf einem silbernen Tablett die nächste interessante Adresse, inklusive Hintergrundinformationen. So, als ob auf der Kollegenebene die Verschwiegenheitsverpflichtung keine Geltung hätte.

Dank dieser Art von Mitteilsamkeit entwickelte ich im Laufe der Zeit eine immer größere Routine bei der Beschaffung von Fakten über alle Lebenslagen des Peter Simonis. Vor allem entfaltete ich die stetig wachsende Fertigkeit, meine jeweiligen Gesprächspartner mit einer derart kaltschnäuzigen Scheinheiligkeit auszuhorchen, dass ihnen die wahren Beweggründe meines schmeichelnden Interesses an ihnen verborgen blieben.

Meinen Kollegen traf ich, anscheinend zufällig, auf der Straße vor seiner Kanzlei in Alzey, als er gerade auf dem Weg zu einer Konditorei am Rossmarkt war, der er jeden Tag Punkt 15.00 Uhr einen Besuch auf ein Kännchen Mokka und ein Stück Eierlikörtorte abstattete. Natürlich war das kein Zufall, sondern ich nutzte mein Wissen über Secklers tägliches Ritual, von dem er mir bei einem unserer Kollegenstammtische selbst erzählt hatte. Überschwänglich begrüßte ich ihn und den Zufall, ihn zu treffen und … begleitete ihn auf eine Tasse Kaffee. Dabei lenkte ich sehr schnell das Gespräch auf Simonis, was keinerlei rhetorischer Kunstfertigkeit bedurfte. Ich fabulierte über einen Mandanten, der kürzlich von dem „lieben” Kollegen zu mir gewechselt sei und er ging, wie erwartet, gleich darauf ein.

„Ich habe vor einem Jahr einen ehemaligen Mitarbeiter von Simonis angestellt”, erklärte er. „Ein tüchtiger und absolut vertrauenswürdiger junger Mann. Der kam mit dem merkwürdigen Geschäftsgebaren unseres Kollegen nicht mehr klar und kündigte. Bis heute hat er noch kein qualifiziertes Arbeitszeugnis und das Gehalt für die letzten beiden Monate steht auch noch aus. Er hat mir im Laufe der Zeit so einiges über Simonis erzählt, was ich teilweise kaum glauben mochte.”

Trotzdem ich mich Seckler aufmerksam zuneigte und mein Interesse durch aufmunterndes Zunicken bekundete (es mag jedoch sein, dass ich dabei übertrieb), schwenkte er von diesem hochinteressanten Gesprächspfad ab und erzählte von einem Winzer aus Eckelsheim, den Simonis in riskante Investitionen verwickelt und fast finanziell ruiniert hatte. Dieser Winzer war seit einigen Monaten das Sorgenkind meines Kollegen. Der Name, der ihm während seiner Schilderung rausrutschte, ließ sich leicht behalten; er kommt in unserer Gegend häufig vor: Lahr.

Eckelsheim ist ein idyllisches Örtchen, mit einem liebevoll restaurierten historischen Ortskern, typischen Bruchsteinhäusern und einladenden Winzergehöften. Siegbert Lahr wohnte in einem davon, an der Hauptstraße, die von der Beller Kirche, einem spätgotischen Bauwerk aus dem 15. Jahrhundert, nach Wöllstein führt. Meinen Besuch begründete ich mit dem Kauf einiger Kartons Grauburgunder. Bei der Verkostung entwickelte sich naturgemäß ein Gespräch, das vom Hundertsten zum Tausendsten führen kann. Und so kamen wir, während er mit seinem PC, der heute in kaum einem Weinbaubetrieb fehlt, die Fakturierung abwickelte und meine Rechnung ausdruckte, auch wie „beiläufig” auf die wirtschaftliche Situation der Land- und Weinwirtschaft zu sprechen und dabei im Besonderen auf die Nachfolgereglung. An dieser Stelle warf ich ein, wie wichtig es sei, dabei von einem qualifizierten Steuerberater betreut zu werden. So, wie sich das Gespräch dann entwickelte, war der Rest ein Kinderspiel.

 

Simonis hatte Lahr dazu überredet, sich an der Sanierung eines denkmalgeschützten Anwesens zu beteiligen, das zu einem Weinrestaurant umgebaut und nur von ihm – so die mündliche Absprache – mit Wein und Sekt beliefert werden sollte. Alleine die Restaurierungsmaßnahmen waren ein Fass ohne Boden, sodass Lahr Geld nachschießen musste. Als das Projekt endlich fertig gestellt war, zeigte sich, dass noch von anderen Winzern Wein eingekauft wurde, was ein entsprechender von Rechtsanwältin Ulmer geschickt verklausulierter Vertragspassus auch tatsächlich vorsah. Zu allem Übel wurde das Lokal außerdem von schlecht ausgebildetem Personal geführt. Schnell blieben die Gäste aus, das gesamte Anwesen wurde versteigert; gewonnen hatten lediglich die Unternehmen, die mit dem Umbau beauftragt waren – alles Mandanten von Simonis. (Allen voran ein gewisser Josef Kaimann aus Bad Kreuznach, den ich vor einigen Jahren bereits von seiner schlechtesten Seite kennen gelernt hatte.)

75.000 Euro hatte Siegbert Lahr verloren. Davon hatte er 30.000 Euro – natürlich durch die Vermittlung von Simonis – finanziert. Der Rest von 45.000 Euro kam aus dem „Sparstrumpf”. Mit anderen Worten, es handelte sich um so genanntes Schwarzgeld, also nicht deklarierte Umsätze von mehreren Jahren – einen nicht unerheblichen Teil davon hatte er von seinem Vater „geerbt”. Daher konnte er auf rechtlichem Weg nichts gegen Simonis unternehmen, ohne sich selbst anzeigen zu müssen. Er hatte nun Probleme, der Bank das Geld zurückzuzahlen. Seine Tochter musste er von der Weinbaufachschule in Geisenheim auf den Hof zurückrufen, weil er das Studium nicht mehr finanzieren konnte und sie im Betrieb brauchte; denn er hatte auch Mitarbeiter entlassen müssen. Dabei redete sich Lahr schon beim bloßen Gedanken an Simonis in Rage. Wäre das Objekt seines Zorns anwesend gewesen, hätte der Weinbergsdraht, den er wie unbewusst um den imaginären Hals von Simonis legte und dann mit einem kräftigen Ruck seiner starken Hände zusammenzog, die Funktion einer Guillotine erfüllt.

Über Siegbert Lahr stieß ich auf den Namen einer weiteren Person, der Simonis unauslöschlich in Erinnerung bleiben würde: Uwe Wieland.

Ich hatte den Eindruck, dass so mancher durch diese Indiskretionen zur Linderung des eigenen Ungemachs beitragen wollte: „Ich war ja schon ganz schön blöd, auf Simonis reingefallen zu sein, aber (zum Glück) gibt es noch viel Dümmere, die noch erheblich schlimmer dran sind, als ich.”

Wieland war Immobilienmakler in Heimersheim und ebenfalls einer der Kapitalgeber bei dem gestrandeten Projekt gewesen. Er hatte Konkurs anmelden müssen und arbeitete nun in dem Maklerbüro, das unter dem Namen seiner Frau firmierte. Nur war er inzwischen geschieden, was zusätzliche Probleme für ihn aufwarf.

Das alles erzählte mir Wieland bereits während der ersten viertel Stunde meines Besuches, den ich in seinem Büro mit ihm vereinbart hatte. Ich hatte vorgegeben, auf der Suche nach Praxisräumen zu sein, weil wir angeblich unsere Kanzlei vergrößern wollten, um unserer Konkurrenz im Raum Alzey und, wie ich ausdrücklich betonte, speziell Simonis Paroli bieten zu können.

Das Resultat war ähnlich, wie bei Lahr – ich brauchte nur interessiert und mit teilnahmsvollen Nicken zuzuhören. Während er in seinem Computer meine dargelegten Raumvorstellungen mit seinen Angeboten abglich, gab er mir zu verstehen, dass er zu meinem Berufsstand ein gespaltenes Verhältnis habe. Als Erklärung schilderte er freimütig, dass und wie ihn sein Steuerberater in mehrere obskure Immobilieninvestitionen verwickelt hatte. Und wieder war es eindeutig, dass es darum gegangen war, Schwarzgeld unterzubringen. Zudem hatte Simonis sein nimmermüdes Engagement noch dahin gehend gekrönt, dass er Wieland, der mit seiner Frau zum engeren Kreis der Simonis-Clique gehörte, Hörner aufgesetzt hatte. Wieland kommentierte das mit der Bemerkung: „Der bumst doch alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist”, ohne sich dessen bewusst zu sein, welches entwürdigende Urteil er damit über seine Frau und gleichzeitig sich selbst fällte.

„Hat er denn so viel Glück bei den Frauen?”, wunderte ich mich, wobei ich mir meinen Kollegen, der ja nun wirklich kein Adonis war, auf der Balz vorstellte.

„Die erotische Ausstrahlung des Geldes und der Macht! Was will man da machen?”, erklärte mein Gegenüber resigniert. „Sogar seine junge Rechtsanwältin soll es ja mit ihm treiben.”

„Und seine Frau, lässt die sich das gefallen?”

„Die ist froh, wenn er sie nicht anrührt; hat sie meiner einmal selbst gesagt. Die interessiert sich nicht für seine Eskapaden, Hauptsache, sie und ihr Sohn sind versorgt. Der Simonis nimmt ja seine Gspusis sogar mit nach Malta. Da hat er ein Ferienhaus und eine Segelyacht. Soll ganz toll sein, sagt meine Frau.”

Was für eine Ehe muss das gewesen sein, fragte ich mich und dachte einmal mehr, dass die Ursachen für ein Scheitern meistens bei beiden Partnern zu suchen waren – da konnte ich ja schließlich ein Wörtchen mitreden.

Wieland jedoch gab Simonis die alleinige Schuld an seiner zerstörten Ehe und seinem existenziellen Desaster und wünschte ihm, wie er sagte, die Pest an den Hals. Und obwohl ich für ihn lediglich ein potenzieller Kunde war, den er ansonsten nicht kannte, war auch er in seinem Zorn nicht mehr in der Lage, sich zu beherrschen. Während Siegbert Lahr seine Aggressionen in einer symbolischen Handgreiflichkeit auslebte, erging sich Wieland außerdem in verbalen Drohungen: „Der wird seine gerechte Strafe bekommen, glauben Sie mir.” Seine Worte bekräftigte er, indem er dabei seinen Bleistift, den er spielerisch zwischen Daumen und Zeigefinger der beiden Hände drehte, zerbrach. „Das kann nicht mehr lange dauern! An dem könnte ich mir sogar höchstpersönlich die Hände schmutzig machen. Aber das brauche ich vielleicht gar nicht, da gibt es noch ganz andere, die ihn abgrundtief hassen. Sie sollten mal hören, wie er den Tilo Sommer von der Kreis-Bauaufsichtsbehörde gelinkt hat.”

Natürlich musste ich mir das anhören, jedoch: Weder kannte ich Tilo Sommer, noch hatte ich irgendeine Idee, wie ich zu einem unverfänglichen Gespräch an ihn herankommen konnte. Während ich noch fieberhaft überlegte, wie das anzustellen sei, legte mir die vom Zorn angestachelte Geschwätzigkeit Wielands die Lösung praktisch vor die Füße.

„Simonis”, quasselte er weiter, „hat den Sommer mit seinen krummen Touren eiskalt ins offene Messer laufen lassen. Man hat ihn zum Bauernopfer gemacht und wegen Bestechung entlassen. Seit zwei Jahren ist er auf der Suche nach einem Neustart. Aber wo soll er hin? Kein Bauamt wird ihn mehr nehmen, und selbst wenn die freie Bauwirtschaft nicht am Boden wäre, würde ihm auch da keiner einen Job geben. Mit denen hat er doch bereits von Amts wegen verschissen. Er hat das jedenfalls nicht verkraftet und seit einem halben Jahr sieht man ihn jeden Abend in einer billigen Eckkneipe am Obermarkt, wo er seine Stütze in Alkohol umsetzt.”

„Sommer?”, fragte ich ins Blaue hinein, „ist das so ein Mittelgroßer, Halbglatze und untersetzt?”

„Nein, ich nehme an, den verwechseln Sie mit Bruhns vom Liegenschaftsamt” (den ich ebenso wenig kannte wie Sommer). Ich nickte jedoch zustimmend. „Sommer ist etwa einen Kopf größer als Sie, volle blonde Haare und klapperdürr. Em-Tot-sein-Dörrfleischreisende ist sein Spitzname hier in Alzey.”

Wieland hatte ich an einem Donnerstag besucht; freitagabends, dachte ich mir, war ein guter Zeitpunkt, um jemanden wie Tilo Sommer mit hoher Wahrscheinlichkeit in seiner Stammkneipe anzutreffen. Da waren schauspielerische Fähigkeiten gefragt. Um die Regie der Situation gemäß vorzubereiten, verabredete ich mit Frau Dengler, dass Sie mich an diesem Freitag um Punkt 19 Uhr 30 auf meinem Handy anrufen und mir meinetwegen etwas aus der Zeitung vorlesen sollte. Obwohl sie sich inzwischen dazu durchgerungen hatte, meine Ausflüge ins Unbegreifliche mit stoischer Gelassenheit und vor allem ohne lästige Rückfragen hinzunehmen, fügt ich doch noch hinzu, Sie möge sich bitte nicht über meine Beiträge bei dem Telefonat wundern.

Am nächsten Freitagvormittag rief ich Koman in seinem Büro an und berichtete ihm in Stichworten über das, was ich bereits unternommen hatte und informierte ihn über mein Vorhaben am Abend.

„Klingt doch schon ganz gut”, lobte er. „Nächste Woche sollten wir uns treffen, um einen Zwischenstatus zu umreißen und weitere Maßnahmen zu besprechen.”

„Und”, trieb mich die Neugierde an, „auch schon weitergekommen?”

„Ja, etwas. Ich müsste wissen, welche Kontakte Simonis in den Niederlande, unter Umständen auch in Belgien, hat.”

„Ich habe gehört, dass er im westlichen Nordrhein-Westfalen, zum Beispiel in Vreden, Bocholt, Kevelaer und Emmerich, Mandate betreuen soll. Von dort aus ist es ja nur ein Katzensprung zur Grenze. Aber ich werde mich umhören. Weshalb ist denn das wichtig?”

„Da kommen, wie immer, mehrere Dinge zusammen. Erstens macht der Innenminister dem BKA Dampf. Nachdem die Kollegen in Nordrhein-Westfalen zur Bekämpfung des Homejacking letztes Jahr Sonderkommissionen mit einer zentralen Auswertungsstelle in Aachen eingerichtet hatten, haben die Sokos innerhalb weniger Wochen Anreisewege der Täter ermittelt, die Typen oft schon beim Auskundschaften von Zielen beobachtet, gestohlene Autos bei der Übergabe an Kurierfahrer auf Autobahn-Parkplätzen oder auf dem Weg zur Grenze sichergestellt und sage und schreibe 84 Täter gefasst. Die Fallzahlen gingen auf Null zurück. Daraufhin hat man die Sokos und die Zentrale Auswertungsstelle aufgelöst. Prompt ging es wieder los mit den nächtlichen Besuchen. Und inzwischen schießt Santa Justitia immer häufiger einen Bock. Ein Paradebeispiel dafür ist ein 23-jähriger Bosnier, dem die Kölner Kollegen zwei Fälle von Homejacking nachweisen konnten. Der Haftrichter entschied, die U-Haft könne durch eine Kaution von 10.000 Euro vermieden werden. Der Täter, übrigens Sozialhilfeempfänger, zahlte und kam frei. Danach stellte er sich, wie Nachbarn berichten, vor seinem Übergangswohnheim auf die Straße und schrie: ‚Mich kriegt ihr nie!‘ und ging nachweislich wieder seinem Job nach.”

„Tja, irgendwie scheint sich die ehemals so gut funktionierende Gewaltenteilung – Legislative, Judikative und Exekutive – so verselbständigt zu haben, dass sich das beabsichtigte ausgleichende Zusammenspiel in ein lähmendes Gegeneinander gewandelt hat, falls sie verstehen, was ich meine”, sinnierte ich.

„Da fühle ich mich weniger zu philosophischen Denkansätzen inspiriert, lieber Schäfer, sondern schlichtweg verarscht, falls Sie verstehen, was ich meine.”

„Klar doch, klar doch”, bescheinigte ich ihm freimütig, „was meinen Sie, wie wir mehrmals in der Woche jubeln, wenn wir uns die Änderung der Änderung der Änderung eines Gesetzes reinziehen und in der Kanzlei umzusetzen versuchen. Aber … Sie sprachen von mehreren Dingen, die zusammenkommen. Was ist das zweite?”

„Das betrifft wieder unseren Freund direkt. Wie Sie wissen, sind die Kollegen einer internationalen Bande auf der Spur, die nach dem altbewährten Strickmuster verfährt. Speziell Luxusautos der Marken Audi, Mercedes und BMW werden mit den Originalschlüsseln entwendet, teilweise sogar mit Originalpapieren. – Dabei ist es sogar schon zu einem Mord, Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung gekommen. – Die Autos werden offenbar nach Holland und Belgien geschleust, erhalten dort falsche Papiere und Kennzeichen und werden dann wieder durch Deutschland nach Polen, Russland oder in andere Ostblockländer verbracht. Der Bundesgrenzschutz achtet nicht so intensiv auf Autos mit holländischen oder belgischen Kennzeichen. Und jetzt kommt es: Der Verdacht hat sich inzwischen bestätigt, dass fast alle, die von dieser speziell observierten Bande bestohlen wurden, Mandanten desselben Steuerberaters sind. Die Operation läuft immer noch verdeckt, da man nicht nur die Frontsoldaten, sondern die Generäle und Strategen Hintermänner dingfest machen möchte. Inwieweit unser gemeinsamer Freund einer dieser Paten ist, wird sich noch ergeben.”

 

„Das klingt ja nun doch gefährlicher, als ich es zu Anfang vermutete.”

„Eigentlich nicht, diese Dimension hat sich von vornherein abgezeichnet. Daher bitte ich Sie nochmals um absolute Vorsicht – bleiben Sie bei Ihren Leisten! Sie können aber auch jederzeit aussteigen”, bot Koman mir mit neutralem Ernst an.

„Danke, ich werde zu gegebener Zeit drauf zurückkommen … falls ich dann noch kann”, lachte ich verhalten. „Wir sprechen nächste Woche darüber.”

„Gerne, und viel Vergnügen heute Abend, bei Ihrem Lokalbummel”, beendete Koman spöttisch das Telefonat.

Ich nutzte den Rest des Tages, indem ich unter den verschiedensten Vorwänden bei einigen Kollegen anrief, um meinen Informationsfundus zu vervollkommnen. Während meine Berufsgenossen freimütig und ohne erkennbaren Argwohn alles Mögliche über Simonis auszuplaudern gewillt waren, hatte ich Probleme, zu trennen, was sie definitiv wussten und was lediglich ein Produkt der Gerüchteküche war. Nach ein paar Stunden hatte ich aber dennoch ein Dossier deckungsgleicher, authentisch wirkender Auskünfte zusammengetragen, welches ein betrübliches Bild dieses Vertreters unserer Zunft bot.

Carlo übergab mir eine Aufstellung von Mandanten, die von der Kanzlei Simonis betreut worden waren und an die er sich noch erinnerte. Er hatte noch ein Übriges getan und sich unter vorgeschobenen Gründen gleichartige Informationen von früheren, vertrauten Kollegen zweier Finanzämter aus Nordrhein-Westfalen besorgt. Er überreichte mir die Liste mit dem eindringlichen Hinweis: „Du weißt, dass man mich auch im Nachhinein noch wegen Verletzung des Steuergeheimnisses drankriegen kann – also Vorsicht mit den Informationen, die sind wirklich sind nur für Dich!”

Gegen 19.00 Uhr betrat ich die besagte Pinte mit dem bedeutungsvollen Namen Karlas Pilsstübchen. Fünf runde Tische mit Resopaloberfläche und jeweils 4 Stühlen, die aussahen, als hätte man sie vom Sperrmüll aussortiert, waren ungleichmäßig mit Männern besetzt. Am Tresen hockten zwei weitere Gäste. Einer hielt sich auf der linken Seite an der Tresenstange fest und zeigte durch leichtes, fast rhythmisches Schwanken, dass er sich auf dem besten Weg zu seinem Freitagabend-Pegel befand. Der andere, auf den die Beschreibung, die Wieland mir gegeben hatte, zutraf, saß rechts außen auf einem wackligen Barhocker und starrte auf seine leer getrunkene Flasche. Ohne Ausnahme tranken die Gäste ihr Bier aus der Flasche. Gläser waren entweder verpönt oder stellten hinsichtlich ihres Reinheitsgrades selbst für abgehärtete Naturen, zu denen ich das Stammpublikum zählte, einen massiven Angriff auf die körpereigenen Abwehrkräfte dar.

Ich platzierte mich neben dem Mann, in dem ich Tilo Sommer vermutete, und orderte ebenfalls eine Flasche Bier. Die schmuddelige Dame hinter dem Tresen, Typ Mutter Courage, deren Alter wohl seit Jahren nicht mehr zu schätzen war, entfernte den Kronkorken mit einer blitzschnellen, geübten Handbewegung und stellte die Flasche mit neutralem Nicken vor mir auf einen bereits von mehreren früheren Gästen durchfeuchteten Bierfilz.

„Ooch noch eene, Tilo?”, kurbelte sie in ihrer, die brandenburgische Herkunft nicht verleugnenden, Mundart ihren Umsatz an und gab mir damit die Gewissheit, mein „Zielobjekt” identifiziert zu haben.

Während sie die leere Flasche gegen eine volle austauschte, sah sie über meine Schulter hinweg auf einen Fernseher, dessen Ton weggedreht war. Aufmerksam las sie das Textband des Nachrichtensenders, den sie eingeschaltet hatte.

„Die ham se wirklich nich mehr alle, die Amis, wa?”, kommentierte sie zornig. „In Bagdad wird jeplündert, selbst Krankenhäuser, und die kieken bloß zu. Aber dett Öl, dett bewachen se. Und … nee, dett is ja der Hammer. Da hamm se tatsächlich Kartenspiele anne Soldaten verteilt, wo uff jede Karte dett Konterfei vonnen irakischen Politika abjedruckt iss. Iss dett nich pervers? Wie mies müssen sich denn die Irakis vorkommen, wenn mit die Köppe von ihre Politiker Quartett jespielt wird?! Ooch wenn dett noch so’ne Bummsköppe war’n. Dett sollte ma ena mit Bush, Blair, Aznar und dem Berlusconi machen. Ob die sich dann ooch freuen, wie Bolle?”, tönte die Volksseele aus Karla, wobei sie mich zustimmungsheischend ansah.

„Was wollen Sie anderes verlangen von einer Staatsadministration, deren Kriegsminister Rummms … feld heißt?”, ging ich auf ihre Ablehnung ein. (Der Gag war damals noch neu.)

„Rummms … feld, dett ist jut. Hassde jehört, Tilo?” Und so kamen wir über den Irak-Krieg ins Gespräch über Alles und Nichts, Karla, Tilo und ich. Obendrein, wie das so ist, wenn Menschen mit gleicher Weltanschauung (auch wenn einer den anderen bewusst nach dem Maul redet) an Orten, wie Karlas Kneipe, zusammentreffen, glitten wir auf der alkoholschlüpfrigen Straße übereinstimmender Gesinnung unmerklich hinüber zum vertrauensselige Du.

Auf Frau Dengler war Verlass; Punkt 19 Uhr 30 klingelte wie vereinbart mein Handy. Mit gespieltem Ärger nahm ich das Telefonat entgegen, wobei ich mich mit dem Rücken zum Tresen drehte. Ich sprach so leise, dass eine angemessene Diskretion angedeutet wurde, aber wiederum so laut, dass Sommer alles verfolgen konnte. Ich achtete überhaupt nicht auf das, was Frau Dengler sagte, sondern spielte konzentriert meine Rolle, wobei ich hoffte, nicht zu dick aufzutragen und mich dadurch zu enttarnen.

„Das wird aber auch Zeit, dass Sie anrufen, halb acht schon!”, begann ich meinen Einpersonensketch.

Zuhören, Stirnrunzeln, verzweifelter Tonfall: „Aber er hat doch gesagt, dass es da keine Schwierigkeiten geben kann und dass er alles unter Kontrolle hat … Ich habe da doch alles reingesteckt, was ich habe. Wie soll ich das denn meiner Frau beibringen, Herr Kramer? … Das gibt es doch nicht! Ich habe ihm doch fest vertraut … Ist Simonis noch da? Ich muss ihn unbedingt sprechen!”

Kurze Pause, umschwenken und weiter in ungläubigem Tonfall: „Was denn, übers Wochenende nach Malta geflogen? Wo die ganze Sache den Bach runtergeht? Und da fliegt der einfach nach Malta?! Aber der Simonis kommt mir da nicht ungeschoren davon. Das kann er mit mir nicht machen … Sind Sie noch dran? … Hallo … Herr Kramer?”

Ich drehte mich um, schaltete das Handy ab und steckte es wieder ein. „Aufgelegt, einfach aufgelegt! Scheiß Steuerberater, alles Ganoven! Karla, mach mir ´nen Schnaps und für dich und Tilo auch einen.”

„Für mich nicht, danke, lieber noch ein Bier”, winkte Sommer ab und fuhr interessiert fort: „Hast wohl Trouble mit Simonis, mit Herrn Steuerberater Peter Simonis? Dem größten Schwein, das die Welt je gesehen hat?” Sommer begann sich zu ereifern, wenn auch mit inzwischen leicht beschwerter Zunge.

„Du kennst ihn?”

„Kennen? Kennen, fragst du? Hast du gehört, Karla?”, wandte er sich an die Wirtin, „ob ich Simonis kenne, fragt er.”

„Lass das doch, Tilo”, versuchte Karla ihn zu beruhigen und rutschte dabei, als ob sie die aufkommende Dramatik der Situation damit unterstreichen wollte, ins Schriftdeutsch, „das interessiert den Darius bestimmt nicht.”

Aber es half nichts, Tilo hörte gar nicht mehr zu – zum Glück!

„Der gehört aus’sem Weg geschafft. Der verbraucht nur den Sauerstoff von anständigen Leuten”, schimpfte er und ruderte mit den Armen. „Weißt du, was dieser blödquatschende, arrogante, rotznäsige Riesenschweinepriester, dieser größenwahnsinnige Arschprolet, dieser …”, jetzt gingen ihm wohl die Ausdrücke aus,” … weißt du, was der mir und meiner Familie angetan hat? Weißt du das? Dem gehört …”, und dabei fuhr er mit seinem Zeigefinger quer über seine Kehle. „Genau das. Dauert nicht mehr lange. Kannst du einen drauf lassen.”

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