Schwarzes Geld für schwarze Schafe

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„Ja also”, sie schluckte und setzte erneut an, „also, das war vor ein paar Wochen. Ich hatte mich mit einer Kollegin, die ich noch von der Berufsschule her kenne, zum Abendessen beim Griechen in der Hospitalstraße getroffen. Und da kam ihr Chef rein – Herr Simonis. Er setzte sich dazu, gab einen Retsina aus und unterhielt sich mit uns. Er machte einen sehr sympathischen Eindruck. Bevor er dann an einen anderen Tisch ging, wo er schon erwartet wurde, drückte er mir seine Karte in die Hand und sagte, dass er für solche Mitarbeiterinnen wie mich immer einen Platz in seiner Kanzlei hätte. Ich habe den Vorfall bald wieder vergessen, bis er gestern Abend bei mir zu Hause anrief.”

Dabei betonte sie das Wort zu Hause, als würde sie es mit einem unsittlichen Antrag verbinden.

„Ich weiß gar nicht, wo der meine Telefonnummer her hat”, brüskierte sie sich kopfschüttelnd.

„Na, da gibt es zum Beispiel Telefonbücher … oder die Auskunft und auch Ihre Bekannte, die bei ihm arbeitet”, spielte ich ihr des Rätsels Lösung zu.

Entweder war die Ironie dezent genug oder sie hatte meinen sanften Tonfall absichtlich überhört. Sie fuhr jedenfalls unvermittelt fort: „Da fragte der mich doch glatt, ob ich nicht bei ihm arbeiten möchte. Er hätte gerade eine Stelle frei und würde mir sofort 500 Mark mehr bezahlen, als ich bei Ihnen bekäme. Das ist doch eindeutig Abwerbung. Darf der denn das überhaupt?”

„Hat jemand bei Ihnen zu Hause dieses Telefonat mitgehört?”, forschte ich nach, ohne erst einmal auf ihre Frage einzugehen.

„Nein, ich war alleine.”

„Wären Sie bereit, das, was sie mir eben erzählt haben, vor einem Vertreter der Steuerberaterkammer auszusagen?”

„Nun, ich weiß nicht … das ja nicht gerade”, zierte sie sich.

„Sehen Sie” (ich unterstrich meine Antwort mit einem Schulterzucken) „dann darf der das. Sie wissen doch: Wo kein Kläger, da kein Richter. Aber”, lenkte ich mit freundlichem Blick ein, „ich finde es toll, dass Sie mir das gesagt haben. Danke für Ihr Vertrauen. Darf ich wenigstens Herrn Simonis darauf ansprechen?”

„Ja”, kam es zögerlich. Und dann verließ sie doch sichtlich erleichtert mein Büro.

Ich war schon immer für klare Verhältnisse. Also wartete ich nicht lange ab, sondern packte den Stier bei den Hörnern und wählte Simonis Kanzleinummer. An der ersten Dame kam ich problemlos vorbei. Die Nennung meines Namens mit Titel schien ihren Zweck nicht zu verfehlen – dachte ich. Sie vermittelte mich weiter, allerdings zu einem Herrn Kramer, der sich als Büroleiter vorstellte und mich fragte, worum es denn gehe.

„Eine Angelegenheit zwischen Kollegen”, versuchte ich mein Glück mit der Autorität meines Berufsstandes.

Es half nichts. Er verlangte Genaueres zu erfahren und in mir begann es langsam zu kochen. ’Nun gut’, dachte ich, ’gib dem Affen seinen Zucker.’

„Es gibt da Probleme mit einem Ihrer ehemaligen Mandanten und zudem muss ich mich wegen eines merkwürdigen Telefonats mit ihm unterhalten. Genügt das jetzt!?”

„Einen Moment, bitte.”

Für etwa 10 Sekunden hörte ich gar nichts mehr, bis ich endlich verbunden wurde. Es meldete sich … nein, nicht der „ersehnte” Kollege, sondern eine Frauenstimme, mit diesem sinnlich-dunklen Timbre, das einen halbwegs empfindsamen Mann selbst bei bester Gesundheit in lebensbedrohliche Atemnot stürzen konnte.

„Ulmer, guten Tag, Herr Schäfer, sie wollen Herrn Simonis sprechen? In welcher Angelegenheit denn bitte?”

Jetzt platzte mir doch der Kragen. Daran änderten auch die freundlichen Phrasen und die betörende Klangfarbe dieser Stimme nichts.

„Sind Sie in der Lage, mir ohne Ausflüchte, wahrheitsgemäß und in allgemein verständlichem Deutsch eine Frage zu beantworten?”, blaffte ich.

„Aber natürlich.”

Sie war weiterhin freundlich, was ich diesem Moment als geschmacklos empfand. Wenn ich wütend sein wollte, hatte sie mir nicht mit ihrer penetrant ekelhaften Freundlichkeit den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ich kam mir vor wie bei einem Rollenspiel in einem Konfliktbewältigungs-Seminar.

„Als Juristin und Geschäftspartnerin von Herrn Simonis sollte ich dazu durchaus in der Lage sein – fragen Sie!”

Paff! Das hätte eigentlich sitzen sollen. Jedoch, anstatt heilfroh zu sein, ihr in diesem Moment nicht – mit beiden Füßen im Fettnapf – persönlich gegenüberstehen zu müssen, zog ich meine Masche ungerührt durch.

„Ist Herr Simonis im Büro?”

„Ja. War das die ganze Frage?”

„Ist er in einer halben Stunde auch noch da?”

„Wenn nichts dazwischenkommt, ja.”

„Dann werde ich in etwa dreißig Minuten bei Ihnen in der Kanzlei sein und ich will ihn sprechen. Persönlich, ohne Bodyguard. Sagen Sie ihm das.” Ich hängte ohne Gruß auf und … ärgerte mich. Was machte mich so zornig? Ich wusste es nicht – noch nicht.

Simonis wohnte in einem Bungalow unweit der Landesnervenklinik und des Rheinhessen-Einkaufscenters. Er hatte ihn sich vor etwa 20 Jahren in dem damals üblichen Baustil auf dem hinteren Teil eines über 2.000 Quadratmeter großen Grundstückes errichten lassen. Wuchtige Bäume, ein künstlicher Bachlauf und der obligatorische Pool vor der riesigen Terrasse – natürlich mit Hollywoodschaukel – vermittelten einen zwar üppigen, aber auch protzigen Eindruck. Das Areal hatte er, laut Hörensagen, mitsamt ehemaligem Wohngebäude und Kanzlei seinem Vorgänger, dem Steuerbevollmächtigten Albrecht Comenius, für einen Spottpreis abgekauft. Er soll den älteren Kollegen, der zwar bereits 79 Jahre alt, aber geistig und körperlich noch topfit war und der endlich seinen Ruhestand hatte genießen wollen, mit allerhand Versprechungen, die er aber nie eingehalten hatte, ziemlich unverschämt über den Tisch gezogen haben. Simonis soll damals über Comenius’ Tochter, die mit ihrem Mann irgendwo am Niederrhein lebte, Einfluss auf ihn genommen haben – gegen „angemessene Beteiligung” selbstredend. Soweit berichtete es zumindest die Gerüchteküche, und dass Comenius ziemlich plötzlich wenige Monate nach Übergabe gestorben war.

Das ehemalige zweigeschossige Wohnhaus von Simonis’ Vorgänger war bedarfsgemäß umgebaut worden und beherbergte nun die Kanzlei. Davor hatte man einen zweistreifigen Parkplatz angelegt. Links parkten offensichtlich, wie an den Marken und Größen der Wagen zu erkennen war, die Angehörigen der Kanzleileitung, rechts die Mitarbeiter. Ich stellte meinen vom Ackerstaub verschmutzen VW Variant zwischen einem silbergrauen, blitzenden S-Klasse-Mercedes und ein ebenso sauberes schwarzes BMW Cabriolet ab. Zum Glück hatte ich mich noch nie über die Größe meines Autos definiert, sonst hätte mein Selbstbewusstsein jetzt wohl einen Knacks bekommen.

Auf mein Klingeln hin ertönte schnarrend der Türöffner. Ich trat in einen modern eingerichteten, klimatisierten Vorraum ein, der mich in seiner sterilen Nüchternheit woran erinnerte? An eine Arztpraxis, eine Bankschalterhalle? Was es auch gewesen sein mag, es nahm gleichermaßen gefangen, wie es befangen machte. Wie konnte man in einer solchen Atmosphäre nur arbeiten? Keine Bilder an den Wänden, keine Pflanzen. Kaltes Neonlicht wurde von den überdimensionierten, grellweiß glänzenden Fliesen reflektiert, dass es in den Augen schmerzte. Der älteren Dame, die Mühe hatte, ihren Kopf über eine tresenähnliche Balustrade zu heben, verlieh die schonungslose Beleuchtung eine ungesunde Hautfarbe.

„Guten Tag, Sie sind Herr Schäfer?”, stellte sie unsicher fest.

Mein telefonischer Auftritt war also nicht unbeachtet geblieben.

„Korrekt”, versuchte ich freundlich, aber bestimmt meine Position bereits im Vorfeld zu festigen. Nur keine Verbindlichkeit zeigen, auch nicht hier am Empfang.

„Ich sage Herrn Simonis sofort …”, weiter kam sie nicht, denn aus dem hinteren Teil des Flures schallte mir eine freundliche Stimme entgegen:

„Kollege Schäfer, seien Sie herzlich willkommen in meiner bescheidenen Kanzlei.” Das konnte nur Simonis sein, der mit diesen Worten auf mich zukam. Ich musste mich konzentrieren, um sein Äußeres, das, was er sagte, wie er es sagte und was er tatsächlich meinte in einen möglichst von jeder Missinterpretation freien Zusammenhang zu bringen. Ein extrem schwieriges Unterfangen, welches meine Reagibilität auf ein für mich unangenehmes Minimum reduzierte. Mit anderen Worten, ich war total verunsichert, durfte mir aber nichts anmerken lassen.

Da streckte mir ein kleiner, drahtiger Mann – ich schätzte ihn auf Ende vierzig, einen Meter fünfundsechzig groß und circa 60 Kilo schwer –, von dem ich bisher nur Schlechtes gehört hatte, mit einer herzlichen Geste beide Hände mit nach oben geöffneten Handflächen entgegen.

Die Hand, die ich zum Gruß ergriff, war feucht, seine in einem dreckigen Braun nachgefärbten Haare glänzten, wie bei einem Gigolo der dreißiger Jahre. Ob gegelt oder nur ungepflegt fettig, konnte ich nicht beurteilen. Schweiß, der sogar hinter den Gläsern seiner schwarzen Hornbrille perlte, die ihm ein strenges Aussehen verlieh, komplettierte das irritierende Bild. Meine Objektivität wurde bei diesem Wechselbad an ersten Eindrücken auf eine unerwartet harte Probe gestellt.

„Es tut mir Leid”, plapperte er mit augenfälliger Lebhaftigkeit, „dass man Sie am Telefon anscheinend missverstanden hat. Natürlich hätte man Sie sofort zu mir durchstellen sollen. Na ja, Sie wissen ja, wie das heute mit den Mitarbeitern so ist.”

„Eigentlich nicht, meine Mitarbeiter …”, versuchte ich entgegenzuhalten – sinnlos, er schwatzte weiter, als hätte ich bestätigend genickt.

„Ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Ich weiß natürlich, dass sich ein neuer Konkurrent in meinen Pfründen eingenistet hat.” Die Ausdrücke „Konkurrent” und „Pfründe” begleitete er mit einem meckernden Gelächter, womit er wohl verdeutlichen wollte, dass es sich um scherzhafte Bemerkungen handelte.

 

„Aber”, fuhr er unbeirrt fort, „Platz ist in der kleinsten Hütte, sag’ ich immer. Wir haben doch alle genug Arbeit, da braucht der eine dem anderen nichts zu neiden. Und außerdem”, inzwischen hatte er mich zutraulich beim Arm gefasst und zog mich den Gang, aus dem er kurz zuvor aufgetaucht war, „werden wir alle nicht jünger. In unserem Alter muss man anfangen etwas kürzer zu treten. Wenn die Kerzen auf der Geburtstagstorte teurer sind, als die Torte selbst, sag’ ich immer, wird es Zeit, an sich selbst zu denken.” Dabei bekam sein Gesicht kurzfristig einen derart abwesenden und verklärten Ausdruck, dass ich in diesem Moment geneigt war, ihm abzunehmen, dass er glaubte, was er sagte. Doch diese Anwandlung sollte sehr schnell auch wieder verfliegen.

Wir waren in seinem Büro angekommen. Büro? Ein Tanzsaal von mindestens 60 Quadratmetern stellte einen eklatanten Kontrast zu Vorraum und Flur dar. Die Gigantomanie dieser innenarchitektonischen Entgleisung drohte mich zu erschlagen. Riesiger Schreibtisch, riesiger Besprechungstisch mit zehn Stühlen und riesig vergrößerte Aufnahmen an den Wänden. Simonis mit Helmut Kohl, Simonis mit Bernhard Vogel, Simonis mit Hans-Otto Wilhelm. Weitere unzählige, Fotos in Postkartengröße bedeckten die Wände: Simonis auf seiner Segelyacht, vor seinem Haus auf Malta (die Besitzverhältnisse wurden dem Betrachter durch in Bronzeschildchen gepresste Hinweise erklärt). Aber auch Simonis mit Landräten, Präsidenten des Landwirtschafts- und Weinbauverbandes, mit Roberto Blanco, Mary Roos, Mario Adorf, Heinz Schenk, Hans-Dieter Hüsch, mit Franz Beckenbauer beim Golfturnier, mit Margit Sponheimer und Ernst Neger bei einer Fernsehsitzung und so vielen anderen Sternen und Sternchen, dass ein flüchtiger Blick zur Verinnerlichung dieser Galerie nicht genügte. So viel aber sagte dieses Sammelsurium aus: Simonis war nicht gerade zimperlich und anspruchsvoll, wenn es darum ging, sich mit der Reputation anderer zu schmücken, wobei er dem Motto zu folgen schien: Qualität schadet nichts, aber Quantität nützt mehr.

Daneben hingen die Leitlinien des Lions Clubs als hölzerne Intarsienarbeit, die Ehrenurkunde für 25-jährige Mitgliedschaft beim HSV Alzey und andere Auszeichnungen – alles sichtbare Beweise, für die bedeutende Rolle, die Simonis spielen wollte, und seine weit reichenden Verbindungen.

Ich bemühte mich, mir nicht anmerken zu lassen, dass mich diese geballte Ladung Public Relation nicht unberührt ließ. Und er war bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, dass ihm meine gespielte Gleichgültigkeit nicht entging.

„Käffchen?”, fragte er, nachdem wir uns auf seine einladende Geste hin am Schreibtisch einander gegenüber platziert hatten. „Cappuccino, Espresso, Latte Macchiato? Alles da.” Er deutete auf einen chromblitzenden, natürlich ebenfalls überdimensionalen Kaffeeautomaten.

„Ach wissen Sie was, wir trinken zur Feier des Tages einen Napoleon – Spitzencognac, garantiert 20 Jahre alt, habe da so meine Quellen. Direktimport, Sie verstehen? Wenn sie mal was brauchen, Peter Simonis hilft gerne aus.”

Dabei drückte er die Taste zu einer archaisch anmutenden Rufanlage und forderte ohne weitere Einleitung: „Bienchen, bringen Sie uns mal zwei Ladungen vom feinen Gebrannten, Sie wissen schon.”

Es gehörte bis dahin zu meinen unumstößlichen Prinzipien, während der Arbeitszeit keinen Alkohol zu trinken. Ja, einmal ein Glas Sekt, wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin Geburtstag hatte. Außerdem mochte ich keinen französischen Cognac. Meine Geschmackspapillen schienen selbst beim Genuss der erhabensten Vertreter dieser Weinbrandspezies derart missverständliche Signale an mein Gehirn zu leiten, dass es auf diese offensichtlich mit dem Fehlalarm: „Achtung, Seifenlauge!” reagierte.

Die überschwängliche Art von Simonis nahm mich jedoch so gefangen, dass ich nicht im Geringsten an Abwehr dachte. Es war nicht so, dass er mich positiv einnahm, eher paralysierte mich seine faszinierende Exzentrik.

„Ich habe ja sonst so gar keinen Kontakt zu den Kollegen hier. Weiß auch nicht, was die gegen mich haben. Ich würde mich freuen, wenn wir vielleicht in Verbindung bleiben würden. Man muss doch ab und zu mal jemanden zum Quatschen haben, der die gleiche Sprache spricht. Ich vermisse das immer mehr. Können Sie das verstehen?”

Und wieder veränderte sich seine Mimik für den Bruchteil einer Sekunde. Die zuvor gezeigte Munterkeit und Souveränität verschwanden auf einen Schlag. Er sah kurz nach unten auf seine Fingernägel, seufzte und richtete dann wieder seinen Blick auf mich.

Während ich noch überlegte, ob er eine Antwort erwartete, und wenn ja, was ich sagen sollte, wurde die Tür ohne vorheriges Anklopfen geöffnet. Ein Tablett mit zwei gefüllten Cognacschwenkern wurde hereingetragen von … Mirielle Mathieu, als sie noch um die 30 war. Die gleiche Körpergröße, auffällig passend zu Simonis, die schwarzen Haare zum charakteristischen Pagenkopf geschnitten, ein schwarz-weißes Kostüm, welches aus der Kollektion einer Mary Quant (oder war es Courege?) hätte stammen können und dessen Rock kurz über den Knien ihrer sportlich gebräunten, wohlgeformten Beine endete.

„Ich möchte, dass sie meine Rechtsanwältin kennen lernen, Sabine Ulmer”, stellte Simonis die Erscheinung aus den Siebzigerjahren vor, und fügte dann völlig unmotiviert hinzu, „einen Luxus, den ich mir leiste. Aber man gönnt sich ja sonst nichts, sag’ ich immer.” Und wieder dieses Meckern, mit dem er das Feudalistische seiner letzten Bemerkung mildern wollte. Dann zeigte er mit einer fast theatralischen Handbewegung auf mich. „Und das ist …”

„Herr Schäfer, ich weiß. Wir hatten bereits das Vergnügen”, unterbrach sie ihn, lächelte mich dabei aber so freundlich an, dass ihrer Erklärung jeder Anflug einer Doppeldeutigkeit genommen war. Am Telefon hatte der Klang ihrer Stimme etwas ausnehmend Erotisches, aber in Verbindung mit ihrer Erscheinung wirkte er geradezu drollig, wenn nicht sogar grotesk. Sie stellte die Gläser vor uns ab, wobei ich ihre prunkvolle Damenrolex bewundern konnte, die sie am linken Handgelenk trug.

„Na, Bienchen, dann wieder ab an die Arbeit”, schäkerte Simonis und unterstrich seine launische Bemerkung mit einem schwungvollen Klaps auf ihr Hinterteil. Ich hatte einen scharfen Protest gegen diese Aufdringlichkeit erwartet, die umso beleidigender war, als sie in meinem Beisein stattfand; aber sie kicherte stattdessen wie ein kleines Mädchen und verschwand durch die Tür, nicht ohne mir noch ein „Tschüs” zuzuwinken.

„Mein Büroleiter hat sie mir empfohlen”, nickte Simonis Bienchen hinterher, „und als ich sie dann sah, konnte ich einfach nicht nein sagen. Außerdem, dachte ich mir, ist ihr juristisches Staatsexamen gut für das Renommee. Macht sich gut im Briefkopf. Aber, wie sagten schon die alten Römer? Honit soit qui mal y pense. Doch nun, Herr Kollege” – endlich kam er zur Sache – „was führt Sie so quasi aus dem Stegreif zu mir?” Dabei hob er den Cognacschwenker, prostete mir zu, kippte den Weinbrand mit einem Schluck hinunter und schmatzte mehrmals genüsslich. Es fehlte nur noch das befreite „Aaahhhhh”, wie man es von durstigen Pilstrinkern in den Vorstadtkneipen kennt.

Ich setzte mein Glas, ohne davon getrunken zu haben, mit einer übertrieben langsamen Bewegung ab, lehnte mich zurück und faltete die Hände vor meinem Bauch. Jetzt war ich dran, das war mein Auftritt.

„Sie wissen, dass wir das Mandat Krüger von Ihnen übernommen haben. Da fehlen noch Unterlagen, die sich in Ihrer Kanzlei befinden müssen. Meine Mitarbeiterin hat mehrmals vergeblich …”

„Larifari!”, unterbrach er mich mit einer unwirschen Handbewegung. Seine Augen begannen auf einmal hin und her zu wandern, so als ob die Kontrolle über sie verloren hätte. Peter Simonis hatte sich seiner höflichen, ja, fast liebenswürdigen Maske von einer auf die nächste Sekunde entledigt. Was dabei heraus kam war die Bestätigung des Bildes, das man mir von ihm schon so oft gezeichnet hatte.

Ich hatte es erwartet, darauf gelauert und wollte doch eigentlich gar nicht, dass es geschah. Oder hatte ich es unbewusst provoziert, um mir meine unterschwellig vorhandene, schlechte Meinung bestätigen zu lassen? Jetzt verstand ich auch auf einmal, weshalb mich bereits am Telefon die ganze Angelegenheit so zornig gemacht hatte: Ich hatte – zu Recht – befürchtet, dass die beharrlichen Einflüsterungen auch bei mir, dem ach so toleranten, objektiven Darius Schäfer, ihre Wirkung nicht verfehlt hatten.

„Was war das andere, was Sie von mir wollten. Sagen Sie schon, ich habe meine Zeit nicht gestohlen, also raus mit der Sprache”, bellte er, wobei er ich besonders betonte und dadurch, so ganz nebenbei, eine Gehässigkeit abfeuerte.

„Sie haben versucht, eine Mitarbeiterin von mir abzuwerben, das kann …” und wieder fiel er mir ins Wort.

„Versucht? Mein lieber Herr Kollege, versucht? Wenn ich wen will, bekomme ich ihn auch. Einem Peter Simonis entzieht man sich nicht! Haben Sie das verstanden? Aber mal der Reihe nach.

Wie Sie es geschafft haben, mir das Mandat Krüger abspenstig zu machen, will ich gar nicht wissen. Ich sage nur eines: Noch einmal machen Sie das nicht! Dann werde ich Ihnen eine Anzeige bei der Kammer hinhängen, die sich gewaschen hat. Ich habe meine Connections”, dabei zeigte er mit einer raumgreifenden Handbewegung auf die Bildergalerie, „und die werde ich erbarmungslos einsetzen. Also, Vorsicht!

Im Übrigen gibt es bei mir keine Unterlagen mehr. Es wurde alles ordnungsgemäß an Sie überstellt. Ich kenne meine Pflichten!” Und wieder die Betonung auf ich. „Wenn tatsächlich etwas fehlt, kann es nur bei Ihnen verschlampt worden sein. Bei mir herrscht Ordnung.”

Einer derartigen Impertinenz war ich einfach nicht gewachsen. Ich sah ihn mit ungläubigen Augen an. Das war doch ein böser Traum, oder? Doch der Albtraum, der keiner war, ging weiter.

„Und nun noch einmal zu der angeblichen Abwerbung. Ich kann mich an nichts Derartiges erinnern. Würde ich ja auch nie tun. Oder haben Sie etwa Beweise?”

Ich zuckte mit den Schultern.

„Sehen sie”, missverstand er absichtlich meine Geste, „ich glaube ja eher, Sie haben einfach nur Schiss, dass es eine Ihrer Mitarbeiterinnen, die ich zufällig einmal in einem Restaurant kennen gelernt habe, in Ihrem Dorfbüro nicht mehr aushält und endlich in einer niveau- und anspruchvollen Qualitätskanzlei arbeiten möchte. So sieht es für mich aus.”

Dabei hatte er gleichzeitig die Lautstärke und sich erhoben und war, da es ihm aufgrund seiner geringen Größe nicht gelungen wäre, sich bedrohlich über seinen Schreibtisch zu recken, neben meinen Stuhl getreten. Die despotische Geste und das Widersinnige seiner Worte waren für mich das Signal aufzustehen. Dabei überragte ich ihn natürlich auf eine für ihn so unangenehme Art, dass er automatisch einen Schritt zurückwich. Diese Gesprächspause nutzte ich zum Gegenschlag.

„Woher wissen Sie denn, dass es sich um die Mitarbeiterin handelt, die Sie, wie Sie selbst erklärten, bereits kennen gelernt haben? Das habe ich doch mit keinem Ton erwähnt.”

Kurzfristig hatte ich ihn aus dem Tritt gebracht und in die Ecke gedrängt. Mit zusammengekniffenen Lippen sah er, meinem Blick ausweichend, irritiert zu Boden, als suche er dort die Antwort. Sie kam schnell, rücksichtslos und routiniert, wie bei einem gestandenen Industrie- oder Gewerkschaftsboss, dem unwiderlegbar Verfehlungen und dunkle Machenschaften nachgewiesen worden waren: Seine Körperhaltung straffte sich, der Größenwahn hatte ihn wieder im Griff. Er stützte sich mit der Rechten auf seinen Schreibtisch und wies mit einer ausladenden Geste der ausgestreckten Linken zur Bürotür.

„Jetzt aber raus hier. Ich brauche mich doch nicht in meinem eigenen Büro verleumden zu lassen! Und dann noch mit solch üblen, manipulativen Tricks. Schleicht sich hier ein, macht einen auf Kollege und jetzt das! Gestapomethoden nenne ich das, jawohl, Gestapomethoden oder meinetwegen auch Stasimethoden, Sie können sich’s aussuchen. Und jetzt raus, aber sofort!”

Ich setzte zwar noch einmal zu einer Erwiderung an, verkniff sie mir aber, schüttelte stattdessen den Kopf und verließ, vorbei an der konsternierten Dame am Empfang, die Kanzlei. Draußen schlug mir die brutale Hitze dieses Sommertages entgegen, aber ich konnte endlich wieder aufatmen. Auf der Rückfahrt nach Bernheim kramte ich mein Gedächtnis durch, nach allem, was ich jemals über Paranoia und Schizophrenie gehört oder gelesen hatte. Die Beschimpfungen, mit denen ich ihn jetzt in seiner Abwesenheit zur Erleichterung meines malträtieren Egos bedachte, waren auch nicht ohne! Da wusste ich jedoch noch nicht, dass ich eines Tages mit dem Anblick seines leblosen Körpers, seines von entsetzlichen Qualen verzerrten Gesichts konfrontiert werden würde Und ich wusste auch noch nicht, dass ich mich einmal für meine Verwünschungen schämen würde.

 

Seitdem habe ich Peter Simonis nie mehr getroffen. Auf eine Mitteilung an die Steuerberaterkammer hatte ich übrigens verzichtet. Die Sache war mir einfach zu dumm. Außerdem, so meine hässlichen Vorurteile, hatte der dafür zuständige Justitiar bestimmt Bedeutungsvolleres zu tun, als seine mit meinem Pflichtbeitrag subventionierte Zeit mit derart „belanglosen Dingen” zu verschwenden. Er beschäftigte sich lieber mit der Abmahnung von Kollegen, deren Kanzleischild ein paar Zentimeter größer war, als die damals gültige Fassung unseres „Standesrechtes”, als dessen auserwählter und wehrhafter Gralshüter er sich verstand, es gestattete.

Wir fertigten die fehlenden Unterlagen so gut es ging mit Hilfe der Handaufzeichnungen des Mandanten nach und ich machte einen diesbezüglichen Einschränkungsvermerk in der Abschlussbescheinigung.

Kriminalhauptkommissar Koman hatte im Gebäude der Polizeiinspektion Alzey ein anderes Büro am Ende eines Flures im zweiten Obergeschoss bezogen. Es war nicht nur größer als das, in dem ich ihn das letzte Mal besucht hatte, es war sogar merklich besser ausgestattet. Das zweiflügelige Fenster bot einen beruhigenden Blick auf den Hof einer gegenüberliegenden Schule, von dem Pausenlärm durch das geöffnete Fenster drang.

Die rachitischen Möbel von dem letzten Jahr waren durch einen funktional geschnittenen Schreibtisch ersetzt worden, der sowohl für Besprechungen geeignet war als auch einem neuen PC Platz bot, von dem man allerdings nur Bildschirm, Tastatur und eine Funk(!)maus sah – der Rest war wohl unter dem Tisch verborgen. Sogar seine Akten, die in mehreren Stößen unterschiedlicher Höhe aufgetürmt waren und die Koman nach einem – für nicht Eingeweihte zwar mysteriösen – auf blitzschnellen Zugriff zugeschnittenen System geordnet hatte, ließen noch Platz für spontan geforderte Bewegungsfreiräume.

Für drei Besucher gab es bequeme Stühle, und Koman fühlte sich in seinem ergonomisch geformten Chefsessel sichtlich wohl; zumindest ließ sein zufriedenes Grinsen, mit dem er mich begrüßte, keinen anderen Rückschluss zu. Freilich, nicht alles war neu. Seine alte IBM-Kugelkopfmaschine hatte zwar ausgedient, aber einen Ehrenplatz auf einem Beistelltisch erhalten, wo ihr immer noch frisches IBM-Mattrot in Konkurrenz mit dem Glanzgrau eines nagelneuen Saecco-Espressoautomaten trat.

Mit kindlich anmutendem Stolz fragte er: „Na, wie gefällt Ihnen mein neues Reich?”, und fügte, bevor ich noch antworten konnte, hinzu: „Um es gleich vorwegzunehmen, die Espressomaschine habe ich selbst bezahlt, kein Cent Steuergelder steckt da drin, Herr Paragraphenreiter.”

„Und den Kaffee”, frozzelte ich zurück, „bringen sie den auch von zu Hause mit? Wahrscheinlich klammheimlich, damit Ihre Frau nichts merkt.”

Ich schien, ohne es zu wollen, einen schmerzhaften Schlag gelandet zu haben. Koman nahm seine Brille ab und schloss die Augen. Mit Daumen und Zeigefinger fuhr er unter kräftigem Druck zwei, drei Mal von der Nasenwurzel bis zur Nasenspitze. Dann wuchtete er seine 1,95 Meter große, hagere Gestalt mit einer müden Bewegung aus seinem Stuhl und baute sich, ohne ein Wort zu sagen, mit dem Rücken zu mir vor der Espressomaschine auf. Geistesabwesend pickte er ein paar Kaffeekrümel aus der Tropfschale, bevor er sich mit einer heftigen Bewegung zu mir umdrehte.

„Für den Kaffe”, begann er schleppend, „da haben wir tatsächlich ein Budget. Der gehört bei uns zum Geschäft, gewissermaßen. Unterstützt den Aufbau einer erlaubenden Atmosphäre. Lockert Blockaden bei Vernehmungen und Protokollierungen. Dafür gibt es sogar ein Kontingent Zigaretten. Hilft natürlich nicht bei jedem. Und ist auch nicht typisch für jede Dienststelle, aber wir handhaben das so. Betrieblich notwendige Verbrauchsgüter könnte Ihr Fachbegriff dafür lauten.”

Es war weder eine Frage, noch eine wichtige Feststellung, also korrigierte ich ihn nicht, sondern nickte ihm nur aufmerksam zu. Da musste doch noch etwas kommen – und es kam:

„Und was das zu Hause betrifft. Das war einmal. Ich wohne seit drei Monaten in einem 1-Zimmer-Appartement. Tja, lieber Herr Schäfer, da sind wir wohl Schicksalsgenossen. Nur, dass wir keine Kinder haben. Aber glauben Sie nicht, dass es deswegen leichter ist. Auch meine Frau wollte oder konnte mich nicht mit meinem Beruf teilen. Zu viele Überstunden, zu viele plötzliche Einsätze. Vor allem aber zu viel Angst. Wir dienen ja nur noch als Blitzableiter für die aufgestauten Aggressionen eines Teiles unserer Gesellschaft, der die jahrzehntelang verschleppten Strukturreformen auszubaden hat, aber letztlich nicht kriminell wird.

Und dann sind da die anderen in unserer an sich begrüßenswerten, multikulturellen Gesellschaft. Diejenigen, die unseren glatzköpfigen und rassistischen Neonazis als willkommene Argumente für ihre dumpfen nationalistischen Parolen haargenau ins Konzept passen. Ihre Gewaltbereitschaft und so selbstverständliche Brutalität, die kaum nachvollziehbar ist, erreichen ungeahnte Dimensionen. Der Begriff Bulle wird zwar als Schimpfwort geahndet und die Verwendung mit einer Geldstrafe belegt, aber der Mensch Bulle ist für sie Freiwild, Zielscheibe. Die haben sich hemmungslos und ungehindert mit Waffen aufgerüstet. Dealer, Waffenschieber, Mädchenhändler, Autoschieber, Einbrecher, die keine Hemmschwelle kennen und kaltschnäuzig zur Waffe greifen, wenn sie ertappt werden.

Und dann werden sie, kaum, dass wir sie unter Einsatz unseres Lebens, nach akribischen Recherchen – immer einen Fuß in einer Dienstaufsichtsbeschwerde, die eine Beförderung hemmt – endlich dingfest gemacht haben, innerhalb kürzester Zeit wieder auf freien Fuß gesetzt. Manche erwischen wir in einer Woche gleich mehrmals. Mafiöse Strukturen werden verleugnet, nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Da kann man doch nach dem Dienst nicht nach Hause gehen und alles ablegen! Das bleibt doch in den Klamotten stecken! Sagen Sie mir, lieber Schäfer, welche Frau ist so bekloppt, oder sagen wir besser, so überirdisch stark, das auf Dauer mitzumachen? Meine zumindest war es nicht, und ich kann es ihr auch nicht verübeln.”

Nach diesem Wortschwall war ich für einen Moment perplex. Ich vergaß immer wieder nur zu gerne, dass nicht nur wir Steuerberater uns mit anscheinend unüberbrückbaren Konflikten zwischen Familie und Beruf zu arrangieren hatten und nicht die Einzigen unter der Sonne waren, die unter den Verstrickungen der Gesetzgebung und dem Ausbleiben einer längst überfälligen Revidierung zu leiden hatten, und dafür, weil die wahren „Täter” nicht haftbar gemacht werden konnten, zur Verantwortung gezogen, ja sogar angegriffen wurden. Und nun musste ich erkennen: Es gab noch andere arme Würstchen! Was sollte ich sagen?

Am besten das: „Tja, was soll ich da sagen?”

„Nichts. Wie lange haben Sie Zeit?”

„Na, so bis gegen drei Uhr.”

„Gut, wie wäre es dann mit einem Mittagessen beim Italiener um die Ecke?”

Dafür war ich immer zu haben, zumal Koman sogar die Begleichung der Rechnung auf „Staatskosten” in Aussicht stellte.

Wir fanden einen freien Tisch in einer kleinen Nische und beschäftigten uns stillschweigend mit den gereichten Speisekarten.

„Spaghetti al la Casa”, fragte ich den Kellner, „was ist das?”

„Isse, Spesialität vonne unsere Seffe de Kutschina. Isse prima.” Er küsste dabei mit einer ausladenden Geste das Rund, das er mit Zeigefinger und Daumen seiner rechten Hand geformt hatte, wobei er die restlichen drei Finger geziert abspreizte. Eben die typische Gebärde, die man von einem normalen Italiener erwarten durfte.