Mythen, Macht + Menschen durchschaut!

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5. Juli 2013

Nr. 89

Machtwechsel

Das neue digitale Zeitalter wirft seine Schatten voraus. Über Chancen und Gefahren informieren zwei Branchenschwergewichte aus den USA. Sie haben ihre Sicht in einem Buch dargestellt.

In früheren Zeiten kontrollierten die Religionsväter die Menschen. Allmählich übernahmen die Staaten respektive ihre politischen Vertreter und Institutionen die Hoheit über Bürgerinnen und Bürger. (Wenigstens in den westlichen Demokratien; auch wenn heute da und dort gemunkelt wird, inzwischen diktiere die Wirtschafts- und Finanzelite die Politik des Alltags.) Doch jetzt taucht eine neue Macht auf: In Zeiten des Epochalen Neubeginns, des aufkommenden Digitalen Zeitalters wird alles anders. Die große Informations- und Technologie-Revolution führt dazu, dass die Karten neu gemischt werden. Geht die Macht gar an die Bürgerinnen und Bürger?

Im kürzlich erschienenen Buch »The New Digital Age« werden solche provokativen Fragen gestellt und spannende Antworten gegeben. Dass es sich hier nicht um gossip handelt, widerspiegelt – erstens – die ausführliche Besprechung des Buches im Economist (4.5.2013). Und zweitens: Die Autoren sind Schwergewichte ihrer Domäne. Eric Schmidt ist Executive Chairman von Google und Jared Cohen Direktor von Google Ideas. Ihre professionellen Analysen der Gegenwart und gut begründeten Visionen der Zukunft sollten uns nicht kalt lassen. Sie sind natürlich nicht immer neutral, was nicht verschwiegen sein soll. Ihr Insiderwissen befähigt sie aber, Chancen und Gefahren der kommenden Dekaden zu antizipieren. Inspirierend und pragmatisch zugleich zeigen sie, wohin die Reise gehen könnte und welches die Konsequenzen für Menschen, Staaten und Wirtschaft sein werden.

Basis der spannenden Lektüre liefert die eindrückliche Recherchearbeit der beiden Autoren. Mit der Schilderung des rasenden Tempos der Kommunikationsentwicklung beginnt ihr Tour d’horizon. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts explodierte die Zahl der mit dem Internet verbundenen Menschen von 350 Millionen auf mehr als 2 Milliarden. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Smartphonenutzer von 750 Millionen auf weit über 5 Milliarden (aktuell: 6 Milliarden). Im Jahr 2025 wird die Mehrheit der Erdbevölkerung — innerhalb einer Generation — Zugang zu praktisch allen öffentlichen Informationen der Welt haben. Dannzumal werden geschätzte 8 Milliarden Erdbewohner online sein. Aufgrund des »Mooreschen Gesetzes« verdoppelt sich die Geschwindigkeit der integrierten Schaltkreise (chips) alle 18 Monate. Das heißt nichts anderes, als dass die Computer des Jahres 2025 64-mal schneller sein werden als unsere heutigen.

Das Internet ist das größte Experiment der Geschichte. Hunderte von Millionen Menschen erschaffen und konsumieren jede Minute digitale Inhalte in der neuen Welt ohne territoriale Grenzen und Gesetze. Damit ist das Internet der Welt größter »unregierter« Raum. In der Folge werden sich fast alle Aspekte unseres Lebens verändern. Jahrhundertealte Kommunikationsbarrieren verschwinden. Im Gegensatz zu früheren »Revolutionen« wird dies die erste sein, die es praktisch allen Menschen erlaubt, an Informationen und Wissen zu gelangen und dieses weiterzuentwickeln, ohne auf »Zwischenhändler« angewiesen zu sein. (Unserem rührigen Datenschützer in Bern muss es schwindlig werden.)

Mit dem beispiellosen Vorrücken der globalen Online-Welt werden viele herkömmliche Gebilde und Hierarchien Gefahr laufen, in der modernen Gesellschaft obsolet oder irrelevant zu werden. Es sei denn, sie adaptierten sich rechtzeitig. Gleichzeitig werden sich die alten Machtstrukturen von Staaten und Institutionen weg und hin zu Individuen verlagern. (Einen Vorgeschmack dessen erleben wir zurzeit mit den Volksaufständen im Mittelmeerraum.) Für autoritäre Regierungen wird es schwieriger werden, ihre online-informierte Bevölkerung zu kontrollieren. Demokratisch regierte Staaten werden in Betracht ziehen müssen, dass viele neue Stimmen (neben den »alten« politischen Parteien und Verbänden) mitreden werden. Die alten Machtzirkel zerfallen.

Natürlich werden die neuen Technologieplattformen von Google, Facebook, Amazon, Apple dazu führen, dass diese Konzerne immer mehr subtile Macht ausüben können. Umso wichtiger scheint, dass der technologische Wandel rechtzeitig einigen humanverbindlichen Richtlinien unterstellt wird. Schließlich wird davon abhängen, wieweit die guten, aufbauenden Resultate gegenüber den schlechten, zerstörerischen Einflüssen Oberhand behalten werden.

In der Pipeline ist bereits der nächste Entwicklungsschritt. Verbesserte voice recognition (Spracherkennungssoftware) wird zur Sofort(v)erfassung von E-Mails, Notizen, Reden führen. Diese erneute Effizienzsteigerung (die meisten Menschen reden schneller, als sie schreiben – allerdings oft auch, als sie denken) wird das Eintippen auf der Tastatur ablösen. Ins gleiche Kapitel gehören die stark verbesserten tools, die Sprachen sofort in gewünschte, andere Sprachen übersetzen. Dies wiederum wird die Interaktivität in Firmen und Organisationen mit ihren Kunden, Partnern und Mitarbeitern revolutionieren.

Und natürlich: Das Bildungswesen wird erneut durchgeschüttelt. Individuelle Lehrprogramme, die sich selbst anpassen an die Lernfähigkeit einzelner Kinder (statt des Lehrers Lehrfähigkeit), werden Tatsache.

Was das Autofahren betrifft, tut sich bekanntlich einiges. Einen Vorgeschmack dessen, wie es dereinst auf unseren Straßen zugehen wird, gibt Google’s Flotte von driverless cars, die von einem Team in Zusammenarbeit mit Ingenieuren der Stanford University entwickelt wurde. Diese führerlosen Pilotautos haben bereits Hunderttausende von Kilometern auf Straßen und Autobahnen ohne Zwischenfälle absolviert.

Die Autoren sind keinesfalls blinde Verfechter ihrer Theorien. Ausdrücklich verweisen sie in den einzelnen Kapiteln (Zukunft für Gesellschaft, Staat, Revolution, Terrorismus, Konflikt und Krieg) auf neue Gefahren, die mit der Entwicklung einhergehen. Ihre Zuversicht für die Chancenseite der Medaille (Rückseite: Gefahren) ist intakt. Im neuen Transparenzgebot weltweit sehen sie alte, gesellschaftliche Forderungen erfüllt. (Das schweizerische Bankgeheimnis lässt grüßen.) In der brave new world werden bereits heute innert zweier Tage mehr digitale Aussagen (digital contents) gemacht als seit Beginn der Menschheitsgeschichte bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Ob dieser quantitative Informationstsunami die Welt vorwärtsbringt? Ich hoffe, zumindest in Ansätzen.

Abschließend, sozusagen als Verdauungshilfe, hier die Schilderung eines durchschnittlichen Morgens zuhause: »Statt des Weckers wird dich das feine Aroma des automatisch frischgebrühten Kaffees sanft aufwecken. Während die Rollläden hochgehen, wird dir das High-tech-Bett noch eine subtile Rückenmassage applizieren. Du wirst erfrischt ans Tageswerk gehen, da ein in der Matratze eingebauter Sensor in Übereinstimmung mit den REM-Phasen deinen Schlafrhythmus reguliert hat. Per Handklick oder verbale Aufforderung werden Temperatur, Feuchtigkeit, Licht und Hintergrundmusik gesteuert …«

Wie der Tag weitergehen wird, lesen Sie am besten selbst. Denn in dieser Kolumne kann ja nur rudimentär und selektiv berichtet werden. Sicher wird auch bald eine deutsche Übersetzung des Buches vorliegen.

15. Juni 2013

Nr. 87

Transparenz als System

Philosophisches Update nach 2500 Jahren (Teil 5)

Die Geburtsstunde der Demokratie liegt 2500 Jahre zurück. Transparenz und Information, jene Grundlagen dieses Systems und die Anforderungen an Politiker, sind geradezu beunruhigend modern.

»Programme entwerfen, Perspektiven aufzeigen, Visionen eröffnen. Dies ist die Domäne der Politiker. Transparenz bildet die selbstverständliche Grundlage dieses Systems. Hohe Anforderungen gelten für jene, die das Wort ergreifen. Zu diesen Tugenden zählen: Intelligenz, Schlagfertigkeit, Sachkunde, Selbstbewusstsein. Die guten Rhetoriker sind gewaltig im Vorteil. Allerdings: Die Redefertigkeit von Demagogen, Volksführern ohne Rechenschaftspflicht, kann dazu führen, dass in Lebensfragen Rhetorik statt Sachverstand und Karrieredenken statt Verantwortungsbewusstsein den Ausschlag geben« (»Perikles«, Carl Wilhelm Weber).

Kurz und bündig, hochaktuell und unbestritten, liest sich diese »zeitgemäße« Charakterisierung eines demokratischen Systems. Doch Achtung! Formuliert wurde sie zur Glanzzeit Athens, als die einzigartige Kultur der griechischen Antike erblühte. Vor 2500 Jahren …

Perikles hat jener Epoche den politischen Stempel aufgedrückt. In dieser Kolumne ist diesmal nicht die Rede von den Überlieferungen der großen Philosophen. Vielmehr geht es um den umstrittenen Politiker und Strategen – jenen Menschen, der sich während 40 Jahren an der Spitze des Staates bewegte, davon 15 als Stratege – im Besitz der höchsten Macht und Gewalt. Obwohl die Amtsdauer nur ein Jahr betrug. Für eine Wiederwahl mussten die Wahlberechtigten einverstanden sein.

Seit 451 v. Chr. stand Perikles im Vordergrund der attischen Politik. Er verfügte über eine quasi monarchische Position innerhalb der jungen Demokratie. Doch nochmals: In aller Offenheit und Öffentlichkeit hatte das Volk einverstanden zu sein mit seiner Amtsführung. Neidlos mussten die Korinther eingestehen: Wenn man es mit einer Stadt wie Athen zu tun hat, die ständig Neues hervorbringt, kann man nicht am Alten festhalten. Man muss sich vielmehr seinerseits verändern. Zweifellos eine kluge Einschätzung.

Als Visionär und Macher ging Perikles in die Geschichte ein. Er ließ die Akropolis erbauen, jenes Monument Athens, das einer steinernen Staatsidee gleichkommt. Er machte Ernst mit der Demokratie (allerdings nicht vergleichbar mit unserem heutigen demokratischen Verständnis) und sein Name stand für ein liberales, kunstliebendes und wohlhabendes Gemeinwesen. Gleichzeitig haftete Perikles ein Negativbild an. Als glänzender Ideologe zeichnete er 431 v. Chr. hauptverantwortlich für den Bruderkrieg gegen Sparta, später bekannt als der Peloponnesische Krieg. Dieser endete nach dreissig Jahren mit dem Sieg Spartas, was gleichbedeutend war mit dem Ende des klassischen Zeitalters Athens und der attischen Demokratie.

 

Perikles war ein begnadeter Rhetoriker. »Reden zu können wurde in der Demokratie zur wichtigsten Erfordernis einer politischen Karriere« (Carl Wilhelm Weber). Perikles fühlte die Stimmung im Volk und setzte diese geschickt zum eigenen Vorteil ein. Er bezahlte Taggelder und machte so Geschworene und Richter zu Parteigängern. Der Bau der Akropolis und der Betrieb der Flotte bot Tausenden von ärmeren Bürgern eine Beschäftigung, förderte aber deren Abhängigkeit. Auch die Verschärfung des »Asylrechts« trug seine Handschrift. Er gewann damit viele Stimmen unter der einfachen Bevölkerung. Fortan durfte nur noch Bürger von Athen werden, wessen beide Eltern bereits Athener waren.

Geradezu bildhaft sehen wir ein Urmuster aus der alten Zeit vor unserem geistigen Auge, wenn wir über Erfolgsrezepte der Politiker lesen: »Sie appellierten an die im Volk tief verwurzelten [von Aberglauben gespeisten] Ängste und spielten das Unwissen und die daraus hervorbrechenden Emotionen der breiten Masse gegen den Rationalismus voll aus« (Carl Wilhelm Weber).

Wer heute Schlüsse ziehen möchte aus den Demokratieanfängen vor 2500 Jahren, stellt nüchtern fest, dass allein die Tatsache, dass ein Gemeinwesen demokratisch organisiert ist, noch keine Garantie für vernünftige Politik darstellt. Wenn Perioden wirtschaftlicher Blüte und erfolgreicher Politik zustande kommen, ist dies allzu oft durch die wirtschaftliche Großwetterlage bedingt und weniger das viel beschworene Resultat der politischen Ideologen, Institutionen oder gar der parteipolitischen Fahnenschwinger.

Damals wie heute laufen erfolgreiche Politiker Gefahr, die Fähigkeit zu verlieren, auf sich ändernde Herausforderungen mit kreativen Lernprozessen zu reagieren. Ihr Vermögen, dazuzulernen, scheint mehr und mehr gelähmt. Sie – auch heute gibt es sie, die begnadeten Rhetoriker – beschwören das »mehr desselben«, das einstmals Erfolgreiche, die Vergangenheit. Anders formuliert: Ein »Perikles« des 21. Jahrhunderts, der eine jahrzehntelange Geschichte des Erfolgs hinter sich hat, übersieht gerne alle Zeichen, die eine Richtungsänderung nahelegen. Somit halten sie schließlich das Falsche für das Richtige. Doch wer weiss schon, wann eine Erfolgsgeschichte zu Ende ist?

Transparenz und Information waren also die Säulen der attischen Demokratie. Während unser Informationszeitalter zumindest quantitativ alles Bisherige in den Schatten stellt, lässt sich das von der Transparenz nicht behaupten. Vor einer Massenversammlung mit Tausenden von Bürgern mit südländischem Temperament seinen Ideen zum Durchbruch zu verhelfen ist offensichtlich noch anders verstandene Transparenz. Gar nicht so altmodisch? Unser Ständerat ist angesprochen: Kopfschüttelnd lasen wir noch Anfang 2013 Professor Yvan Lengwilers (Uni Basel) Kolumne in der NZZ: »Individuelles Abstimmungsverhalten im Parlament sollte nicht offengelegt werden.«

Und wie steht es mit »Programme entwerfen, Perspektiven aufzeigen, Visionen eröffnen«? Das war doch die Domäne der Politiker, damals, vor langer Zeit?

5. Juni 2013

Nr. 86

Die organisierte Lüge

Die globale Klimaerwärmung ist Tatsache. Die nächsten Generationen werden uns dankbar sein, wenn wir das heute akzeptieren und unsere persönliche Verantwortung wahrnehmen: Wir »sollten« nicht, sondern wir »müssen« handeln.

Mit Hunderten von Millionen Dollar ausgerüstete Lobbyorganisationen bestreiten in den USA lautstark ihren hinterhältigen Kampf gegen die Klimaforscher dieser Welt. »Die Erderwärmung findet nicht statt«, heißt eine ihrer absurden Kampfansagen. Diese Lüge wird auch vom Committee for a Constructive Tomorrow verbreitet, wobei allein schon der einlullende Name dieses von Erdölkonzernen mitfinanzierten PR-Stoßtrupps eine gewaltige Desinformation darstellt. Auch in unserem Land sind ähnliche Stimmen zu hören. Für die neutrale Fachwelt steht fest: Das langfristig schwerwiegendste Problem unserer Zeit ist die globale Erwärmung.

»Das nächste Jahrhundert dürfte er kaum erleben«, prognostiziert ein ETH-Glaziologe. Er – gemeint ist der Titlisgletscher, der jährlich ein bis zwei Meter an Dicke verliert (von seinen verbleibenden 40–50 Metern). Jetzt prüfen die Engelberger, den Gletscher im Sommer künstlich zu beschneien. Bereits dieses Jahr investieren sie zudem eine Million Franken in ein Kühlsystem, das die Eisgrotte künstlich herabkühlen soll. Neuralgische Stellen des Gletschers werden mit Vlies abgedeckt. Derweil macht sich der Marketingchef der Titlisbahnen Gedanken … über die Zeit nach dem Gletscher.

In der Arktis steigt die Temperatur zweimal so schnell wie im globalen Durchschnitt. Seit 1951 um 1.5° Celsius, gegenüber 0.7° Celsius weltweit. Als Folge des Schmelzens arktischer Gletscher sagte das IPCC, Intergovernmental Panel on Climate Change, ein Ansteigen der Weltmeere um 59 cm voraus, allein für dieses Jahrhundert. Angesichts des Albedo-Effekts dürfte diese Schätzung zu konservativ sein: Erst in letzter Zeit lokalisierten nämlich die Forscher den Hauptgrund für die drastische Eisschmelze. Aperes Land und das Wasser der Meeresoberfläche sind dunkel gefärbt, während Schnee und Eis natürlich hell sind. Dunkle Oberflächen absorbieren aber mehr Wärme als helle, die lokale Erwärmung steigt dadurch und ein eigentliches Perpetuum mobile wird in Gang gesetzt. Die Küstenlinie von Alaska schwindet zurzeit um 14 Meter jährlich. Interessierte können dies und noch viel mehr nachlesen im Special Report des Economists »The Arctic«.

Im tropischen Teil der Anden sind seit 1970 die Gletscher um 30 bis 50 Prozent geschrumpft. Der Rückgang sei »beispiellos in den vergangenen 300 Jahren«, hat ein internationales Forscherteam aus Südamerika kürzlich berichtet.

Neueste Messungen ernstzunehmender Klimaforscher deuten an, dass die Klimaerwärmung in den letzten zehn Jahren flacher verläuft, als die Voraussagen es suggerierten. Dies soll an dieser Stelle nicht unterschlagen werden. Ehrlicherweise können die Forscher für diese vorläufigen Werte auch keine plausiblen Gründe finden. Es gibt jedoch keine Entwarnung. Die Kohlenstoffdioxid-Emissionen steigen weiter, seit 1997 haben sie um 50% zugenommen. Und eine andere, aktuelle Studie, die 131 Jahre umfasst, zeigt, dass die Monate mit rekordhohen Temperaturen weltweit immer öfter vorkommen. 80% dieser Hitzespitzen sind durch den Menschen verursacht, erklären die Forscher.

Auch in der Schweiz kennen wir das Phänomen. Gewaltige Unwetter mit »Jahrhundert-Überschwemmungen« finden mittlerweile beinahe jährlich statt. Dass ganze Berghänge in den Alpen ins Rutschen geraten, auch in Gegenden außerhalb der offiziellen Gefahrenzonen, versetzt die betroffenen Bewohner in Angst und Schrecken. Der auftauende Permafrost ist für die Kurdirektoren notabler Winterkurorte seinerseits zum Schreckensszenario mutiert: Die Masten der Bergbahnen bewegen sich langsam talwärts, unabhängig davon, ob dies voraussehbar war oder nicht.

Seit 20 Jahren scheitern die Versuche, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Es war zu erwarten, dass deshalb Stimmen laut werden, die die Klimaschutzpolitik als Fiasko darstellen würden. Einer dieser Exponenten, der Däne Björn Lomborg, meint die Gründe dafür gefunden zu haben: Die Alternativenergien fassten nicht Fuß, da sie zu teuer wären. Der wahre Grund dahinter: Die Wirtschaft konsumiere fossile Energien nicht, um die Umweltschützer zu ärgern, sondern weil diese Energien das Wirtschaftswachstum trügen.

Diese Milchbüchleinrechnung suggeriert: Teure Energie = geringes Wachstum. Auch wenn diese Gleichung vordergründig zuträfe und lehrbuchökonomisch sogar begründbar wäre – sie ist eine Bankrotterklärung. Das Wohlergehen der Weltbevölkerung allein auf Wirtschaftswachstum zu reduzieren, ist eine zu einfache Weltsicht.

Dass in all den Studien behauptet wird, die Öffentlichkeit sei nicht bereit, höhere Energiekosten zu bezahlen, ist eine unbewiesene These. Als in den 1970er-Jahren die Weltmarktpreise für Erdöl explodierten, konnte in keinem Land festgestellt werden, dass die Konsumenten nicht bereit waren, diese hohen Preise auch zu bezahlen.

Desillusioniert muss heute akzeptiert werden, dass die weltweite Verpflichtung gemäß Kyoto-Protokoll, die Treibhausgase zu reduzieren, bisher nichts als heiße Luft geblieben ist. Ziel nicht erreicht. Klimaexperten, Politiker, Aktivisten und engagierte Menschen suchen deshalb nach neuen Wegen.

In der Schweiz wurde eine Volksinitiative eingereicht, die eine staatsquotenneutrale ökologische Steuerreform anstrebt. Die Grünliberale Partei (GLP) versucht auf diesem Weg einer Energiewende näherzukommen: »Energie- statt Mehrwertsteuer« heißt die Parole. Ohne die Gesamtsteuerbelastung zu erhöhen, würden gleichzeitig Chancen und Wettbewerbsvorteile für den Werk- und Denkplatz Schweiz entstehen.

Klimaexperten können sich vorstellen, dass die weltweite Einführung einer CO2-Steuer (Emissionssteuer, eine Art Zoll auf Produkte, die bei der Herstellung viel CO2 produzieren) die Lösung sein könnte. Beispielsweise würden Produkte wie Stahl, Papier und Zement damit belastet.

Beide Vorschläge dürften es schwer haben, jemals realisiert zu werden. Die Wirtschaft wird sich dagegen wehren, da sie prinzipiell alles ablehnt, was ihre Produkte verteuern würde.

Können neue Lösungen eine Klimakatastrophe verhindern, fragt sich der Ökonom und Soziologe Jeremy Rifkin. Er plädiert für eine dringend nötige, dritte industrielle Revolution. Die Idee: So viele Häuser wie möglich (es gibt deren 100 Millionen in der EU) in kleine, grüne Kraftwerke zu verwandeln. Diese würden aus nachhaltigen Quellen mehr Energie produzieren, als sie verbrauchen. Ein solcher ökologischer Umbau würde gleichzeitig Millionen neue Arbeitsplätze schaffen.

Ökonomen des CCC (Copenhagen Consensus on Climate) sind der Ansicht, dass die beste langfristige Strategie darin bestünde, erheblich mehr Geld in die Entwicklung grüner Technologien zu investieren, damit diese radikal billiger würden. Vorgeschlagen wird eine weltweite Steigerung um das Zehnfache auf 100 Milliarden Dollar jährlich. Als Beispiel ziehen sie die Computerentwicklung seit 1950 heran. Den Durchbruch verdanken wir Fortschritten in Forschung und Entwicklung, die zu neuen Innovationen führten. Grüne Energie könnte letztlich so billig werden, dass jeder sie haben wollte.

Die gewaltigen Chancen für die Weltwirtschaft bei der Anpassung an den Klimawandel sind Hoffnung für viele. Gesamtnachfrage und Beschäftigung würden steigen, davon ist zum Beispiel auch Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger für Ökonomie, überzeugt.

Wir tun uns schwer mit der Klimadiskussion. Auf der einen Seite die Klimawandel-Leugner mit ihren Diffamierungen und großmundigen Statements wie: »Die Klimakatastrophe findet nicht statt – es kommt zu einer Abkühlung« (Fritz Vahrenholt). Auf der anderen Seite engagierte Klimaphysiker wie der Berner Thomas Stocker, einer der 1400 Gutachter aus der Wissenschaft, die seit Jahren die ganze, vielfältige Indizienkette des Klimawandels beurteilen.

Es liegt an uns allen, im persönlichen Umfeld klimaschonend zu handeln. Die Selbstverantwortung kann an keine Institution ausgelagert werden.