Gailana und die frommen Männer

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Der Ort mit seinen Pfahlbauten und Hütten wirkte wie ausgestorben, wären da nicht die Geräusche aus Saitenspiel, Trommel und Stimmengewirr gewesen sowie die von der Schwärze der Nacht reflektierte Ahnung eines Feuerscheins. Kilian und seine jungen Gefährten Totnan und Kolonat folgten dem Weg ihrer Sinne.

Schon von weitem drang derbe Fröhlichkeit immer lauter in die Ohren der Neuankömmlinge. Das Tor des großen Gutes oberhalb der Sumpfseite des Flusses stand weit offen, Wachen oder wenigstens doch Knechte, die aufpassten, waren nicht zu sehen. Wie ungewöhnlich. Dafür umso mehr lachende Menschen, Männer wie Frauen, die in die Dunkelheit hinaus torkelten, um sich gleich irgendwo in der Nähe zu erleichtern oder gerade wieder durch das Tor hindurch in einer Masse aus feiernden Menschen zu verschwinden. Wohin sollten sie sich in diesem Durcheinander nur wenden? War der Fürst Gosbert, den Kilian an diesem unheimlichen und offenbar gottlosen Ort zu finden hoffte, überhaupt hier? Würde jemand sein Begleitschreiben des königlichen Hausmeiers lesen können?

„Ist euer Herr, der Fürst Gosbert hier anwesend?“, schrie Kilian einen Mann gegen den Lärm an, „ich muss ihn sprechen.“ Ein Lachen, ein Schulterzucken war die Antwort. Dann tanzte der Angesprochene mit seiner Liebsten davon, den Spielleuten entgegen.

„Dort Bruder, sieh nur“, nahm ihn Kolonat beim Arm, „könnte dies nicht derjenige sein, den wir suchen?“ Auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes sah man zwischen den Leibern hindurch bei der Stiege des Herrenhauses für kurze Augenblicke immer wieder einige herrschaftlich Gekleidete an einer Tafel schmausen. Ja, das war eine Möglichkeit, aber seltsam genug, keine erhöhte Position, keine Ehrentafel für Edle und die Geistlichkeit, und sowieso war dies gewiss kein christliches Fest. An diesem Ort wartete viel Arbeit auf sie. Es galt das Werk Gottes zu verrichten.

„Seid ihr Fürst Gosbert?“, wandte sich Kilian in dem fränkischen Dialekt, dessen er mächtig war, überwiegend aber weiter im Westen gesprochen wurde, an den Edelsten der Tafel, „König Theuderich III. schickt uns. Wir führen ein Begleitschreiben seines Hausmeiers Pippin mit uns.“ Kilian, wie auch seine Begleiter, neigten leicht das Haupt vor dem vermuteten Fürsten. Totnan schielte verstohlen nach den vielen saftigen Bratenstücken bei einem der nahen Feuer, Kolonat vermochte dagegen den Blick nicht von der herrlichen Erscheinung einer Frau zu nehmen, welche kaum drei Schritte entfernt an dieser Tafel thronte.

„Herzog Gosbert, ich bin Herzog Gosbert. Herr über die alten fränkischen Besitzungen Austrasiens. Und wie darf ich dich ansprechen, hat man dir auch einen Namen gegeben?“ Das Gelächter der Umgebung beantwortete er mit einem Grinsen. Gleichzeitig ließ ihn aber der Gedanke daran, was diese unübersehbar fremdländischen Wanderer an seinen Hof führen mochte, nüchtern werden. Bestenfalls würde er es mit Abgaben oder Frondiensten zu tun bekommen, schlimmstenfalls musste er sich auf einen erneuten Kriegszug begeben.

„Verzeih Herr, ich bin Kilian und dies sind meine Begleiter und Schüler Kolonat und Totnan. Wir wurden aus Aghagower auf Irland entsandt, um in den fränkischen Reichen das Werk Gottes zu …“

„Mönche! Ihr seid nur ein paar Mönche …“, brüllte Gosbert unterbrechend los und schlug sich vor Lachen auf die Schenkel. „Geht! Nehmt euch vom Wildbret. Nehmt euch vom Wein und dann geht eures Weges!“ Gosbert verschluckte sich am eigenen Gelächter und am Wein. „Geht zurück auf eure Insel oder geht zu meinen Nachbarn, den Thüringern, aber geht und vergesst nicht, euren Gott mitzunehmen. Hier gibt es für eure Sorte nichts zu tun.“

Kilian rührte sich nicht von der Stelle.

„Was noch? Willst du ein Almosen? Ich habe keines für dich und deinen Gott. Nehmt euch an Speis und Trank, was ihr tragen könnt und dann wandert weiter, bevor ich die Geduld mit euch verliere.“

„König Theuderich verlangt von seinen Gefolgsleuten nicht nur die Treue, sondern auch den wahren Glauben. Dieses Schreiben bezeugt seine Wünsche.“ Kilian hielt nun ein überaus wertvolles Pergament in seinen Händen, das er seinem Beutel entnommen hatte.

„Genug!“, herrschte Gosbert den Fremden an, sprang auf, gebot mit einer Geste dem Spiel und Tanz Einhalt. Ruhe kehrte indess erst nach einer kleinen Weile im ganzen Hof ein. Aus der fröhlichen Ausgelassenheit der Neuen Jagd war innerhalb weniger Augenblicke eine gefährliche Anspannung erwachsen. Auch das Weib an Gosberts Seite hatte sich erhoben, die Blicke des jungen Kolonat folgten ihren anmutigen Bewegungen.

„So hör ihn dir doch an, Liebster. Wir sollten erfahren, was er zu sagen hat. Und auch was auf dem Pergament steht, das er in seinen Händen hält. Ist es an uns gerichtet?“ Gailana griff begütigend nach Gosberts Arm. Gleichzeitig vertiefte sich ihr Blick in das Antlitz des Fremden. Stolz drückte es aus, edel gezogen waren die Linien seines unerschrocken gleichmütigen Ausdrucks, die Stirn, die Wangenknochen, das scharfe, endlich einmal bartlose Männerkinn, die lange gerade Nase, die klaren Augen und dazu das volle, auch im Dunkel der Nacht rötlich schimmernde Haar. Ihr gefiel, was sie sah.

„Das verstehst du nicht, Weib. Er will uns die Regeln seines Christengottes aufzwingen. Das ist ein Gott, der unseren Glauben einen Alten Glauben, einen falschen Glauben nennt und vertreiben will. Ich habe es auf meinen Kriegsfahrten gesehen.“ Durch Gailana spielend vom Aufruhr zur Ruhe gebracht, wandte sich Gosbert nun an seine Gefolgsleute. „Ruhe, ihr lieben Leute! Heute Abend am Tag der ersten Jagd des neuen Jahres sind drei Männer aus fremden Landen zu uns gekommen, die uns sagen, wir seien nicht des rechten Glaubens.“ Unruhe, Pfui-Rufe und Gelächter erschallten aus dem Volk.

„Bleibt ruhig!“, rief der Fürst, „was meinst du dazu, Sigbert? Sind wir hier in Virtestat eines falschen Glaubens?“ Wieder erschallendes Gelächter, der Angesprochene schüttelte grinsend den Kopf. Und an Kilian gewandt: „Sigbert ist unser Druide, Christenmönch, er hat viele Schüler. Hier in meinem Haus findest du den Schrein der Diana, der Göttin der Jagd, Beschützerin unserer Kinder und Frauen, welche uns das Fest dieser Nacht schenkt.“ Jubel. „Dort jenseits des Flusses aber steht auf dem Virteberg das Heiligtum der Stammesgötter der zweiten Welt. Wir bitten sie mit einem Opfer um ihren Beistand, wenn morgen der neue Tag anbricht. Unsere Götter kommen gut miteinander aus. Wir brauchen keinen weiteren. Ganz besonders nicht einen, der Zwietracht in meiner Herrschaft sät, weil er die Götter anderen Glaubens schmäht.“ Tosender Jubel.

Kilian zeigte sich inmitten der nicht freundlich gesinnten Menge unbewegt, standhaft. Ganz anders war seinen Begleitern zumute, Totnan brannte im Angesicht der Köstlichkeiten dieses Ortes vor Angst und Hunger der Bauch, Kolonat fürchtete noch immer seine vielleicht wegsackenden Knie beim Anblick des erstrahlenden Weibes an der Seite dieses fränkischen Unholds.

„Und doch fürchtest du das Wort des einen Gottes so sehr, dass du ihn in deinem Reich nicht sprechen lassen willst“, sagte Kilian mit lauter, fester Stimme und einer Drehung zu den Menschen hin, damit diese ihn hörten. „Du fürchtest die von der Not befreiende Wahrheit des einzigen und gegen alle Welt barmherzigen Gottes!“

„Ich fürchte überhaupt nichts. Weder deinen Gott noch den Tod.“

„Dann erweise deinem König Treue und gehorche seiner Anweisung. Auf diesem Pergament steht es besiegelt.“

„Du meinst meinen Verwandten Theuderich? Der ist doch nicht viel mehr als eine Puppe des gefräßigen Arnulfingers.“

„Er ist dein König, und du bist ihm zu Treue und Lehen verpflichtet. Die Worte auf diesem Pergament wurden durch des Königs Hausmeier Pippin selbst gesprochen und niedergeschrieben. Du musst sie ebenso achten, wie meine Gefährten und ich es tun. Sie fordern, dass ich das Werk Gottes in deinen Landen wirke. Lies sie.“

„Steck das wieder weg. Es ist nur Gekritzel. Nichts wert.“

„Lasst mich etwas vorschlagen“, sagte Gailana halblaut zu den sich gegenüberstehenden Männern, „besteht nicht auf der Urkunde des Königs, und mein Gemahl und ich gewähren euch das Gastrecht. Nehmt Platz an unserer Tafel“. Und leise zu Gosbert gewandt: „Wir sollten Gesandte des Arnulfingers nicht im offenen Streit fortschicken. Die Zeiten verändern sich.“

Gosbert schüttelte den Kopf. „Mein kluges und schönes Weib. Wie könnte ich mich deinem Rat verschließen?“ Laut sprach er: „Die Herzogin sagt, dass wir die Mönche an unsere Tafel bitten sollen. Nur um ihnen zu zeigen, wie schwach ihr einsamer Gott ist gegen die Kraft unserer gemeinsamen Welten. Setzt sie dort ans Ende zu den Schülern des Sigbert. Ich will mir die Lust an der Neuen Jagd nicht nehmen lassen.“ – Jubel im Volk.

Gosbert drückte Gailana an sich und ihr unter dem Gejohle der Menschen einen derben Kuss auf die Lippen. Das Fest nahm seinen Fortgang wie zuvor.

Totnan stillte seine Leibesbedürfnisse, Kolonat trank abwesend einen Schluck Wein und Kilian versuchte das Ziel ihrer Reise zu bewerten. Er war davon ausgegangen, den Glauben dieser austrasischen Grenzlande zu stärken und zu festigen. Niemals hätte er erwartet, dass der Verwandte der fränkischen Herrscher und der Nachkomme des großen Chlodewig noch den Alten Glauben duldete und gar selbst teuflischen Göttern jener vergangenen Römer huldigte.

„Du musst wissen, es ist so, dass niemand hier dein Schreiben des Königs lesen kann“, sprach ein Schüler des Sigbert Kilian unvermittelt an.

„Ich hätte es verlesen können.“

„Das hätte Gosbert nicht gefallen. Er mag nicht belehrt werden. Kein Herr mag das.“

„Er hätte nicht den Streit suchen müssen. Wir kamen in Frieden an seine Tafel.“

 

„Ich glaube, er fürchtete die Aufforderung des Pippin zu einem Kriegszug.“

„Du bist ein kluger junger Mann und aufmerksamer Bobachter.“

„Ich bin auch ein gelehriger Schüler. Werdet ihr bei uns bleiben?“

„Ja, das ist unser Auftrag. Der Wunsch des Königs und unseres Herrgottes.“

„Kannst du mich dann lehren, ein Pergament wie das deine zu lesen?“

„Auch es zu schreiben.“

„Das würde ich gerne. Ich lerne schnell.“

„Wie lautet dein Name?“

„Ottokar.“

„Ottokar, ein guter Name. Wirst du denn auch das Wort Gottes hören wollen?“

„Ich weiss es nicht. Lehrt mich das Wort deines Gottes lesen und schreiben?“

Als zum Ende der langen Nacht des Jagdschmauses der neue Morgen graute, zog das Volk von Virtestat mit dem Druiden und dem Fürstenpaar an ihrer Spitze zum Fluss. Das Übersetzen auf einem großen, für diesen Anlass alljährlich erbauten Floß loser verbundener Baumstämme nahm mehrere Fahrten in Anspruch und war auch nicht ungefährlich. Deshalb teilte sich der Aufstieg zu dem Heiligtum in mehrere Züge und wurde das Opferritual eines lebenden Schafes durch Sigbert bis zum Aufstieg der Sonne siebenmal ausgeführt. Kilian und seine Gefährten nahmen an der zweiten Opferung teil, es kam ihnen in der Zeremonie dieser kultischen Handlung vor wie die Anbetung des goldenen Kalbes durch die vom Glauben abgefallenen Israeliter. Eine Herausforderung des wahren Glaubens wie auch ein Schicksal, dem ihre Leben unterworfen waren.

5

Gailana fand seit Tagen schon keine Ruhe mehr im Schlaf. Das Abbild des fremden Gottespredigers spukte durch ihre Träume. Die im Schlaf grobe Hand des Gosbert auf ihrer Brust war ihr mit einem Mal lästig, sein an sie herangedrängter Körper gar abstoßend. Sie konnte es sich nicht erklären, bis vor kurzem noch hatte sie jede dieser Berührungen genussvoll in sich aufgenommen. Sie öffnete die Augen und sah dennoch das edel und bartlos geschnittene Gesicht des Kilian gerade so nah und deutlich vor sich, als könnte sie es mit Händen greifen.

„Was ist mit dir?“, fragte Gosbert schlaftrunken.

„Nichts. Warum?“

„Du trittst nach mir.“

„Oh, verzeih Liebster. Es ist nichts, schlaf weiter.“

Das Frühstück an diesem sonnigen, jungen Frühlingstag bestand aus in der Frühe frisch gebackenem Brot, einem mit Speck aufgeschlagen gebratenen Ei, aus Wurst sowie Butter und Käse. Gailana hatte gerade die Portionen für Hetan und Immina gerichtet, ihre bisher überlebenden Kinder, wobei der ältere Hetan ein Spross der kurzen früheren Ehe des Gosbert war. Das zu schwache Weib war im Kindbett gestorben, Hetan hatte nie eine andere Mutter gekannt als sie selbst, auch seine Amme war schon längst in die Nachwelt gegangen. Es war aber ein ganz anderer Gedanke, der sie seit Tagen nicht mehr losließ.

„Was wirst du wegen Kilian und seiner Anhänger bestimmen?“

„Ich weiß es noch nicht. Er bringt Unfrieden unter die Leute. Sie sollen arbeiten, Weib und Brut ernähren, den Hof bestellen, ihre Fron leisten. Nicht dem Hader des streitenden Glaubens folgen.“

„Hast du denn seine Worte schon einmal angehört?“

„Wozu denn? Ich kenne die Geschichte. Ein Gott, der Andersgläubige und Ungehorsame straft, und den man fürchten soll. Ein Schwächling von Sohn, nicht einmal ein Gott, der sich Christ nannte und von den Römern wohl zu Recht gerichtet wurde. Irgendwelche Himmelfahrten, ein Geist, der nichts tut und Mönche wie dieser Kilian, deren höchstes Glück es ist, irgendwo zum Unfrieden anzustiften, um schließlich selbst gerichtet zu werden. So endet das mit denen. Ist nicht das erste Mal. Tut mir leid, mein Herz. Besser, man schickt sie fort, solange noch Zeit ist.“

„Heilige Männer, die man hinrichtet?“ Gailana blieb der Bissen nur halb gekaut erschrocken im Hals stecken, so dass sie ihn hustend wieder hervorwürgen musste.

Gosbert klopfte ihr sanft auf den Rücken. „Ach Liebes, das geschieht immer wieder. Wenn jemand Ärger macht und die Gefolgsleute aufwiegelt, was bleibt dem Herrn oder gar Fürst dann schon anderes übrig? Oft legen es diese Mönche geradezu darauf an, das ist das Wundersame an ihnen.“

„Aber der König und viele seiner Gefolgsleute sind doch dieses neuen Glaubens. Sollten wir da nicht auch …“

„Ja, das sind sie. Schon lange. Aber ebenso lange sind die verschiedenen Lande der fränkischen Reiche auch ihren eigenen Traditionen und Göttern gefolgt. Das ist gut für den Frieden. Wir haben genug damit zu tun, hereindringende Stämme zurückzuschlagen und das Land zu bestellen. Ich will keinen Glaubenshader in meiner Herrschaft. Ist doch ganz egal, welche Götter die Leute haben, solange sie folgsam sind.“

„Aber dann ist es doch auch gleich, wenn sie dem neuen Glauben folgen wollen. Damit schaden sie doch nicht.“

„Du verstehst es nicht. Du und ich, wir huldigen auch dem Kult der Diana. Nur wenige tun es uns gleich, aber wir fordern nicht, dass es alle tun. Dein Mönch aber schon, er will alle bekehren, wie er sagt. Stell dir vor, einer folgt, der nächste aber nicht. Zuerst entsteht der Hader, dann kommt das Blutvergießen. Willst du das?“

„Er ist nicht mein Mönch!“ Gosbert lachte. „Ich kann aber dennoch nicht glauben, dass Kilian und seine Gefährten danach trachten die Leute zu entzweien, bis das Blut fließt.“ Gailana stand auf, lief in der lichten Halle hin und her. Für Gosbert ein Zeichen, dass es angeraten war, sein Weib zu besänftigen.

„Sei unbesorgt, Liebes. Ich lasse es nicht soweit kommen. Sie werden schon morgen weiterziehen, ich habe es sie bereits wissen lassen. Der Ire soll es sehr gefasst aufgenommen haben.“

„Nein!“, brach es aus Gailana heraus. „Das ist nicht der Weg! Es muss eine andere Möglichkeit geben, um den Hader zu vermeiden.“

„Der Weg?“, fragte Gosbert verwundert und etwas belustigt zugleich. "Gibt es da etwas, das ich wissen sollte? Sind die säuselnden Worte von der Barmherzigkeit seines Gottes etwa schon zu dem Busen deiner weibischen Empfindsamkeit vorgedrungen, oder ist es der Mann, der dich rührt?“

Wie vom Schlag getroffen blieb Gailana stehen, die Röte des Zorns und noch etwas Anderes schossen ihr ins Gesicht: „Du elender Bauer! Du Nichtswürdiger in einer Herrschaft ohne jede Macht oder auch nur irgendeinen Glanz. Ich bin Ebroins Tochter, ein Mächtiger des Reiches! Du bist nur ein Bauer, der sich mit seinen Gefolgsleuten gemein macht.“

Gailanas Fäuste trommelten auf den Gescholtenen ein, Tränen flossen, die Stimme erstickte. Ein Aufbrausen des Zorns, wie ihn Gosbert nur zu gut kannte, und wie er auch diese Eigenschaft an seiner schönen Gemahlin voll des Feuers und der Leidenschaften seltsamerweise genoss. Er fasste ihre Arme, hielt mit seiner eigenen Stärke das Trommelfeuer ihrer Fäuste zurück und ließ sie im Erlahmen der Kräfte in die eigenen Arme sinken.

„Liebes, wenn ich die Mönche nicht fortschicke, wird es nun einmal Ärger geben.“

Gailana hob den Kopf von seiner Schulter. „Aber dann wird Kilian sicher Klage führen bei dem Arnulfinger oder sogar bei dem König selbst.“

„Woher willst du das wissen. Hat er dir das gesagt?“

„Nein. Aber er hat mir sein Pergament gezeigt, und er hat mir vorgelesen, was dort steht.“

„Das hat nichts zu bedeuten. Ich bin ein treuer Gefolgsmann, nur darauf kommt es für den Arnulfinger an. Wenn er Klage führt, steht sein Wort gegen meines.“

„Du wirst dort mit Namen benannt. Du oder dein Nachfolger. Du wirst zum Gehorsam aufgefordert. Das Pergament droht uns an, das Herzogtum zu verlieren, wenn wir die Mission seines Überbringers nicht gestatten.“

Gosbert dachte nach. „Das kann er erfunden haben. Wir sind des Lesens dieser Worte nicht kundig. Vielleicht ist es nicht einmal die Urkunde des Königs.“

„Das glaube ich nicht. Ich habe das Siegel gesehen.“

„Gut, du hast das Siegel gesehen. Anstatt sie fortzuschicken, was soll ich mit den Mönchen also tun?“

„Lass sie zu den Leuten reden. Sag dem Volk, dass niemand streiten darf um Alten oder Neuen Glauben. Und gestatte ihnen eine Heimstatt ihres Glaubens zu errichten. Hier in unserer Mitte.“

„Was!“

6

Kilian und seine Gefährten erhielten ein Stück Grasland am Rande der Siedlung, gerade dort, wo während der trockenen Perioden des Jahres die Leute ihre Tiere weiden ließen. Ziegen, Schafe, auch Kühe. Alle Proteste halfen nichts, Herzog Gosbert wies an, zur Richtung des Sand genannten Gebietes für das Vieh weiteres Gelände urbar zu machen. Manche mussten gar mühsam zu den Ufern der Bäche im Norden ausweichen und den weiten Weg in Kauf nehmen. Gerne tat der Landesherr dies nicht. War der darüber entstandene Unmut seiner Gefolgsleute schon ein erstes Zeichen des befürchteten Haders?

Kilian indess machte sich mit seinen Gefährten sogleich daran den zugewiesenen Grund zu erschließen. Eine kleine Hütte auf Pfählen über dem teilweise sumpfigen Untergrund entstand für ihn und seine Gefährten, ein weiteres Langhaus für zukünftige Anhänger. Es stellte sich heraus, dass die Fremden aus dem fernen Irland die Arbeit mit Silber bezahlen konnten. Jedenfalls anfangs. Am wichtigsten aber war ein Platz mit einem Podest und Schrein, den sie im Boden feststampfen ließen, und von dem aus Kilian jeden Tag zweimal zu den Menschen sprach. Jeweils zur Mittagsstunde und wieder mit dem Hereinbrechen der Nachtdämmerung. Anfangs hörten nur die gewonnenen Arbeiter in der entstandenen Pause zu, mit dem Fortschreiten der Zeit jedoch auch ihre Anverwandten, schließlich Nachbarn und zuletzt solche, die nur von dem Wort der fremden Gottesmänner gehört hatten. Die Zahl der Zuhörer wuchs rasch an, aber es waren damit noch keine Neugläubigen gefunden, sondern nur Neugierige. Auch der Druide Sigbert kam mit seinen Schülern des öfteren, um zu hören, was dieser Verkünder eines dreifach gespaltenen Glaubens aus Vater, Sohn und dazu einem Geist wieder einmal Neues sagen würde.

Unter den häufig wiederkehrenden Zuhörern fand sich auch Gailana. Zunächst allein, nach einer Weile immer öfter gemeinsam mit ihren Kindern Hetan und Immina.

„Was hat es zu bedeuten, dass du sagst, Selig seien die Friedfertigen, weil sie Gottes Kinder seien? Hat dein Gott denn noch weitere Kinder außer diesem Jesus?“ Gailana bemühte sich ehrlich um das Verständnis der Worte, hatte dabei aber nur Augen für den Mann, dessen Regungen und Bewegungen sie bis ins letzte Detail fixierte, und war es auch nur ein Blinzeln der Augen oder das Fahren der Finger über trockene Lippen.

„Nein, meine Tochter. Der eingeborene Sohn ist der einzige von Gott gesandte Messias. Wir alle sind Gottes Kinder, wenn wir seine Botschaft und sein Wort beherzigen. So wie die Friedfertigen, welche das Wort Gottes gehört und verstanden haben. Sie sind die Kinder Gottes, seine Anhänger.“

„Du meinst also, das ist so wie mit dem Auge um Auge. Gott sagt, anstatt einen Schlag ins Gesicht mit einer Rauferei zu vergelten, sei es besser auch die andere Wange hinzuhalten. Ich verstehe, aber Du wirst niemanden hier finden, der dir in so törichten Worten folgt. – Warum nennst du mich übrigens deine Tochter?“

Der kleine Hetan kicherte los und fing sich sogleich eine Kopfnuss ein. „Ich halte dir aber bestimmt nicht auch noch die andere Wange hin“, grinste der Junge unerschrocken weiter und holte sich umgehend noch einen Nasenstüber ab.

„Ich nenne dich Tochter, Herzogin, in Vertretung der Apostel, der Jünger unseres Herrn, welche einst den wahren Glauben in die Welt getragen haben. Ich bin der Stellvertreter ihrer Kirche, und die Kinder der Kirche sind ihre Söhne und Töchter.

Was nun die Friedfertigen betrifft, so sehe ich mit Wohlgefallen, dass du die Worte des Herrn verstanden hast. – Wenngleich es gewiss noch Zeit erfordert, auch im Handeln die Gebote zu achten.“

Hetan kicherte erneut, denn er hatte das Augenzwinkern des Fremden in seine Richtung bemerkt.

In der Zwischenzeit waren sie schon einige Schritte in Richtung der Siedlung gegangen, während Totnan und Kolonat sich um das Aufräumen des Predigtpodiums und um die rituellen Utensilien kümmerten, welche Kilian dabei stets verwendete. Sigbert und seine Schüler sowie eine Handvoll weiterer Männer und Frauen begleiteten sie auf dem Weg hinunter zum Fluss, wo sie in zwei Booten übersetzten und schließlich in völliger Dunkelheit den Weg zum Heiligtum des Alten Glaubens hinauf auf den dortigen Virteberg nahmen. Kilian war nach der Neuen Jagd nicht mehr dort gewesen und wollte längst schon sehen, womit er es im Kampf um den rechten Glauben zu tun haben würde. Vor allem interessierte ihn, ob die Götter und Rituale denen der Inseln seiner Heimat ähnelten.

 

Das war nicht der Fall. In diesen Landen war es so, dass im Lauf der Zeit viele durchziehende Stämme und Glaubensvorstellungen ihre Spuren hinterlassen hatten. Was der Druide Sigbert ihm hier bei diesem sogenannten Heiligtum – nur ein herangeschaffter Opferstein mit einem weiteren Steinkreis um den Platz herum – präsentierte, war jedoch nicht viel mehr als ein Sammelsurium heidnischen Aberglaubens. Zauberische Kräuter, deren Rauch im Feuer Schwindel erzeugte. Knochen und mit Runen bemalte Steinchen, die geworfen in ihrer Anordnung Zeichen und Prophezeiung gaben, in Trance beschworene Götter, Ahnen und Geister, Formeln und Symbole alter Sprachen. Nichts womit er nicht fertig würde. Als er genug gesehen hatte, wandte er sich inmitten des laufenden Kults wortlos zum Gehen und machte der Herzogin ein Zeichen, ihm zu folgen. Gailana blickte erschrocken und für einen Augenblick bis ins Mark entsetzt zwischen dem Druiden und dem aufbrechenden Kilian hin und her, folgte aber schließlich letzterem den Berg hinab.

Sigbert, seine Schüler und die an diesem Tag hinzugekommenen Anhänger beendeten in Trance und Konzentration ihren Ritus, dann aber besprachen sie ihr Vorgehen.

Zurück in der Siedlung jenseits des Flusses sagte Gailana zum Abschied: „Nenn mich nur Tochter. Solange du nicht vergisst, die Frau zu sehen.“

„Wo bist du nur gewesen, Liebes? Wir warten mit dem fertigen Essen, die Arbeit unter deiner Aufsicht ist liegen geblieben und nicht einmal Bertrada weiß, wo du dich in letzter Zeit herumtreibst. Doch nicht etwa wieder bei diesem Predigermönch?“ Gosbert gab sich mehr Mühe um ein ruhiges, freundliches Gespräch, als ihm zumute war.

„Wir waren mit dem großen Mönch und dem Druiden auf dem Virteberg“, krähte die kleine Immina dazwischen, bevor Gailana sich überhaupt nur eine Antwort zurechtlegen konnte, „ich habe genau gesehen, wie die Runen geworfen wurden. Zum ersten Mal. Ich bin jetzt auch groß.“

„Ja, das bist du, mein Schatz. Aber warum wart ihr denn überhaupt dort oben? Es ist keine heilige Zeit, und die Hohen Maien kommen erst noch.“

Bevor Immina oder Hetan etwas sagen konnten, bedeutete Gailana den Kindern still zu sein. „Kilian wollte den Kult des Alten Glaubens kennenlernen, wie er hier in Virtestat praktiziert wird.“

„Des Alten Glaubens?“

„Ja, des Alten Glaubens! Denn das ist er: Alt! – Der Neue Glaube sagt: Selig sind die Sanftmütigen‚ denn sie werden das Erdreich besitzen. Gerade vor drei Tagen hat Kilian es den Menschen gepredigt. Verstehst du? Raubeine, wie du einer bist, werden die Welt nicht länger beherrschen.“

„Ah, und du denkst nun, der Arnulfinger und Christ Pippin sei kein Raubein, sondern ein ganz Sanftmütiger!“

„Ich kenne den Hausmeier des Königs nicht, aber ich höre die Worte, welche der ausgesandte Stellvertreter des Herrn zu uns spricht.“

„Welcher Herr? Was soll das? Ich bin dein Herr und ich bin der Herzog über meine Herrschaft!“

„Gott hat den Menschen seinen Sohn zur Wahrhaftigkeit und zur Erlösung gesandt. Und die Jünger des Sohnes trugen die Botschaft in die Welt und erbauten seine Kirche. Kilian ist heute sein Stellvertreter und wir alle sind die Kinder seiner Kirche.“

„Verdammt! Siehst du, das ist der Hader, von dem ich dir gesprochen habe. Jetzt haben wir den Zwist unter unseren Leuten.“

„Nein, wir lernen endlich das Wort des einen Gottes kennen, das so viele schon gehört haben. Nur wir eben nicht an diesem vergessenen Ort am Ende des Reiches.“

Gailana ließ das Essen stehen und entschwand in Richtung der Stiege zu ihrer Kammer. Bertrada kümmerte sich um die Kinder, Gosbert blieb ratlos zurück. Wie sollte er der Lage mit dem Unfrieden dieser Mönche des Neuen Glaubens Herr werden, wenn selbst sein eigenes Weib schon dem Hader erlegen war? Er wusste es nicht. Vielleicht sollte er sich bei Gelegenheit mit diesen Männern einmal zusammensetzen, um zu versuchen ein paar Gebote für das Zusammenleben festzulegen. Nach allem, was er wusste und gehört hatte, klappte das bei diesen ausgesandten Mönchen nicht, aber den Versuch war es immerhin wert. An diesem Ort lebten schon oft verschiedene Glauben nebeneinander, wie auch jetzt gerade wieder. Vielleicht könnte ein weiterer friedlich hinzukommen. Er nahm sich vor, es für Gailana und diejenigen, die dem Mönch schon zuhörten, bei nächster Gelegenheit versuchen zu wollen.

Als Herzog Gosbert schließlich in die gemeinsame Schlafkammer hinaufstieg, um Herzogin Gailana beizuwohnen, wie er es in häufigen Nächten tat, stieß diese ihn in Heftigkeit von sich weg, als er sie gerade voll erwachter Lust besteigen wollte. So etwas war bis dahin noch nie zwischen ihnen passiert. Weder der Herzog noch die Herzogin fanden in dieser Nacht zu einem echten Schlaf, sondern träumten beunruhigende Bilder sehr unterschiedlicher Natur.

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