Handbuch Wirtschaftsprüfungsexamen

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IV. Eigentum

1. Doppelte Zuständigkeit des Eigentümers

983

Eigentum ist nach BGB ein absolutes dingliches Recht an einer Sache (oder an einem nichtwesentlichen Sachbestandteil) mit dem Inhalt einer umfassenden Berechtigung an ihr. Dazu gehört die Zuständigkeit zu jeder möglichen Einwirkung auf die Sache (vgl. § 903: „mit der Sache nach Belieben verfahren“, sie also zu gebrauchen oder verbrauchen, zu erhalten oder zu zerstören). Zum Eigentum gehört aber ebenso die Verfügungsberechtigung und mit ihr die Verfügungsmacht über das Eigentumsrecht selbst.

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Beide Zuständigkeiten haben unterschiedliche Gegenstände: Erstere die Sache, auf die eingewirkt werden kann; Zweitere das Eigentumsrecht an dieser Sache. Beide Zuständigkeiten sind aber Inhalt desselben dinglichen Rechts.

Beispiel:

Deshalb führt eine rechtsgeschäftliche Übertragung des Eigentums „im Voraus“, noch bevor der Veräußerer es seinerseits erworben hat (zum antizipierten Besitzkonstitut vgl. nachfolgend Rn. 1129), zu Durchgangseigentum bei ihm (für eine sog. juristische Sekunde). Der Eigentümer verfügt aus dem Eigentumsrecht heraus und muss es dazu erworben haben.

Demgegenüber führt die Vorausabtretung eines Forderungsrechts (vgl. dazu bereits oben unter Rn. 873) zum unmittelbaren Erwerb beim Zessionar (ohne durchgangsweise Inhaberschaft des vorausverfügenden Zedenten). Die Verfügungsbefugnis über eine Forderung ist nicht Inhalt der Forderung selbst, sondern hat ihren Entstehungsgrund in dem Schuldverhältnis, kraft dessen auch die Forderung besteht. Sie ist also Inhalt einer gegenüber ihrem Gegenstand „höheren“ Ebene. Der Zedent verfügt aus dem Schuldverhältnis heraus, nicht erst aus der Forderung, weshalb er sie nicht seinerseits erst erworben haben muss.

985

Durch das Ineinssetzen dieser beiden Zuständigkeiten im BGB können dingliche Ansprüche gegen den Eigentümer, die eine Verfügung über das Eigentumsrecht zum Gegenstand haben, z.B. ein dingliches Vorkaufsrecht (§ 1094), als Belastungen und damit als inhaltliche Beschränkungen des Eigentumsrechts aufgefasst werden. Eigentlich wären sie Beschränkungen des Eigentümers, über sein Eigentumsrecht zu verfügen und beschränkten die Verfügungsmacht, nicht das Herrschaftsrecht an der Sache. Aber das hieße, eine höhere Ebene als das Sacheigentum anzuerkennen. In der doppelten Zuständigkeit als Inhalt des einheitlichen, umfassenden Eigentumsbegriffs sieht das liberale BGB den Inbegriff bürgerlicher Freiheit und Selbstbestimmung.

986

Inkurs:

Bei den beiden unterschiedlichen Zuständigkeiten setzt die Unterscheidung von Ober- und Nutzungseigentum im österr. ABGB an, die historisch auch Grundlage des mittelalterlichen Lehnswesens war und deshalb vom BGB abgelehnt wird. Aus diesem Grund ist im BGB auch z.B. der Nießbrauch auf den Tod des Nießbrauchers befristet und nicht vererblich (vgl. § 1061 S. 1) und in Konsequenz auch nicht übertragbar (vgl. § 1059). Es soll eine dauerhafte Trennung des Nutzungsrechts an der Sache, das der Nießbrauch nach § 1030 zum Inhalt hat, von der sonst nur verbleibenden Verfügungsbefugnis des Eigentümers ausgeschlossen werden.

987

Begrifflich ist die Sache selbst nicht identisch mit dem Eigentum (unsauber die Formulierung in § 1 Abs. 5 WEG). Deshalb kann sich „Herausgabe der Sache“ in bloßer Besitzübertragung erschöpfen (so für § 985) oder je nach rechtlichen Verhältnissen auch zur Übertragung des Eigentums verpflichten (so u.U. in den Fällen der Leistungs- und Eingriffskondiktionen nach § 812).[64] Bei der Herausgabe von Nutzungen nach §§ 987 f. liegen die Dinge genauso, je danach wer das Eigentum etwa nach § 955 an Früchten erworben hat.

988

Das Eigentum ist ein absolutes Recht, als es gegenüber jedermann mit gleichem Inhalt besteht. Der Eigentümer einer Sache „kann“ damit nicht eigentlich „andere von jeder Einwirkung ausschließen“ (§ 903 S. 1), vielmehr sind alle anderen von solchen mit dem Eigentum kollidierenden Einwirkungen rechtlich ausgeschlossen, es sei denn sie wären ihnen wirksam gestattet worden. Als derart umfassende Herrschaft über eine Sache kann es neben dem Eigentumsrecht kein gleiches oder höheres Recht geben, weshalb keine Rechte am Eigentum oder Belastungen des Eigentums existieren. Belastungen, wie z.B. dingliche Nutzungsrechte, werden nach BGB stets unmittelbar an der Sache begründet.[65]

989

Der Inhalt des Eigentums ist damit der Disposition des Eigentümers entzogen. Dieser kann nur die im Gesetz in beschränkter Zahl (numerus clausus) vorgesehenen Arten beschränkter dinglicher Rechte an einer Sache begründen (vgl. auch § 137: keine rechtsgeschäftlichen Verfügungsbeschränkungen mit dinglicher Wirkung möglich).

2. Verfassungsrechtliches Eigentum

990

Einen anderen Eigentumsbegriff als das BGB verwendet die Institutsgarantie des Art. 14 GG. Sie geht von einem funktionalen[66] Verständnis aus und schützt einerseits auch Forderungsrechte, Immaterialgüterrechte oder Unternehmen als Sach- und Rechtsgesamtheiten und das Vermögen als Ganzes. Art. 14 GG umfasst deshalb andererseits auch Restitutionsansprüche wegen der Verletzung oder Beeinträchtigung des Eigentums (z.B. auf Schadensersatz). Schließlich kennt das verfassungsrechtliche Eigentum im Unterschied zum BGB drittens auch Eigentumspflichten (vgl. Art. 14 Abs. 2 GG).

Das BGB definiert Eigentum als Zuständigkeit im Sinne einer Freiheit in der Ausübung von Einwirkungs- und Verfügungsbefugnissen. Damit ist zugleich eine rechtliche Pflicht aus dem bürgerlichen Eigentum unvereinbar, weil man nur entweder frei oder gebunden sein kann.

3. Enteignung, ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmungen und enteignungsgleicher bzw. enteignender Eingriff

991

Wenngleich auf Grundlage des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs in Art. 14 GG ergangen, gilt für das bürgerliche Eigentum ebenso, dass rechtswidrige Störungen primär abzuwehren und erst sekundär daraus folgende Schäden ersetzt zu verlangen sind. Gegenüber öffentlich-rechtlichem Handeln ist ein „Dulden und Liquidieren“ unzulässig.

992

Das individuelle Eigentum ist durch die Möglichkeit rechtmäßiger entschädigungspflichtiger Enteignungen (Art. 14 Abs. 3 GG) als zielgerichtete Eingriffe zur staatlichen Güterbeschaffung begrenzt. Gleichermaßen kann der Gesetzgeber durch Inhalts- und Schrankenbestimmungen (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) allgemein Eigentumsrechte ausgestalten und muss dabei nur unverhältnismäßige Belastungen ausgleichen. Dazu muss der inhaltsbestimmende Gesetzgeber erstens Vorkehrungen treffen, besonders schwere Belastungen zuverlässig zu vermeiden und zweitens für unvermeidbare nach Grund und Höhe eine Ausgleichspflicht regeln. Drittens muss die auf solcher Grundlage handelnde Exekutive die Entschädigung im Einzelfall rechtsschutzfähig durch Verwaltungsakt festsetzen.

993

„Überschreitet der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums die dargelegten Grenzen, so ist die gesetzliche Regelung unwirksam (BVerfGE 52, 1, 27 f.), hierauf gestützte Beschränkungen oder Belastungen sind rechtswidrig und können bzw. müssen im Wege des Primärrechtsschutzes abgewehrt werden. Zu einem Entschädigungsanspruch führen sie von Verfassungs wegen nicht“ (vgl. BVerfGE 58, 300, 320).

994

Schließlich bleiben für öffentlich-rechtliche Entschädigungen wegen Eigentumsverletzungen vor allem die faktischen Eingriffe in das Eigentum durch hoheitliche (nicht also durch verwaltungsprivatrechtliche) Realakte, ungewollte (nicht finale) Nebenfolgen einer Enteignung und der rechtswidrige Vollzug verfassungsgemäßer Gesetze.

Hierfür gewährt die Rechtsprechung einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff analog §§ 74, 75 der Einleitung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht (1794), sofern sich das Sonderopfer des Betroffenen bereits aus der Rechtswidrigkeit der ursächlichen Maßnahme ergibt.

 

Anderenfalls kann eine Entschädigung aus (rechtmäßigem) enteignendem Eingriff erfolgen, sofern ein Sonderopfer entsprechend der Grenze des § 906 positiv festgestellt wird. Danach sind wesentliche, ortsübliche oder im überwiegenden öffentlichen Interesse liegende, unvermeidbare Beeinträchtigungen entschädigungspflichtig (vgl. § 906 Abs. 2 S. 1). Voller Schadensersatz kann aber nicht verlangt werden, nur angemessener Ausgleich des Sonderopfers.[67]

4. Inhalt des zivilrechtlichen Eigentums – nur negative Abgrenzung

995

Sieht man von einer einseitigen Häufung bodenrechtlicher Sondergesetze (z.B. GrundstücksverkehrsG, LandpachtverkehrsG, HöfeO) v.a. zum Schutz land- und forstwirtschaftlichen Grundeigentums ab, ist das Eigentum an allen Sacharten, also Mobilien und Immobilien, inhaltsgleich; Unterschiede ergeben sich lediglich aus der Natur des Gegenstands, so insb. beim Grundstückseigentum in Hinblick auf die §§ 905–924. Wie diese, grenzen auch die allen Sacharten gemeinsamen Vorschriften den Inhalt des Eigentums negativ ab, so das Schikaneverbot (vgl. § 226), Notwehr, Notstand und Nothilfe (vgl. §§ 227–229, 904). Definiert werden dem Eigentümer verbotene Herrschaftsausübungen oder einem anderen als dem Eigentümer gestattete Einwirkungen.

a) Nachbarrecht

996

Das Nebeneinander fremder Grundstücke verlangt gegenseitige Rücksichtnahmen sowohl in der Benutzung durch den Eigentümer wie in der Ausschließung des Nachbarn.

aa) Nachbarrechtliche Haftung

997

Während für von Grundstücken und Gebäuden ausgehende Schäden neben § 823 Abs. 1 und 2 der jeweilige Besitzer oder Unterhaltspflichtige nach §§ 836–838 gegenüber jedermann eine Ersatzpflicht aus Gefährdungshaftung hat, kann ein Nachbareigentümer nach § 908 bereits bei drohender Gefahr nötige Vorkehrung verlangen.

bb) Nachbarrechtliche Duldungs- und Ausschließungsbefugnisse

998

Nach § 906 sind unwägbare, flüchtige Stoffe (Imponderabilien) unter bestimmten Voraussetzungen zu dulden, sei es dass diese eine nur unwesentliche Beeinträchtigung darstellen (vgl. Abs. 1) oder sie ortsüblich sind (Abs. 2). Daraus folgt auch, dass körperliche Einwirkungen etwa durch Flüssigkeiten oder bedeutendere Festkörper stets verboten sind, rein immaterielle (z.B. optische, ästhetische oder sittliche) hingegen nie. Einschränkungen hinsichtlich Licht, Luft und Sonne durch Nachbarbebauung oder Bepflanzungen sind nach Bauordnungsrecht der Länder öffentlich-rechtlich durch einzuhaltende Grenzabstände begrenzt. Entsprechende Vorschriften haben nachbarrechtliche Wirkung und begründen privatrechtliche Beseitigungsansprüche (etwa nach § 823 Abs. 2). Außerhalb der Verletzung dieser nachbarrechtlichen Vorschriften ist gegen Verschattungen, die Verbauung der Aussicht etc. aus dem eigenen Eigentumsrecht nicht anzukommen.[68]

Weitergehender Schutz wäre nur durch Dienstbarkeiten am Nachbargrundstück möglich, jedoch müssen diese vom Eigentümer des damit belasteten Grundstücks bewilligt werden.

Beispiele:

Eine Besonderheit bildet die immissionsschutzrechtliche Genehmigung gem. § 6 Abs. 1 BImSchG, mit deren Erteilung zugleich nachbarrechtliche Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche auch aus § 906 beschränkt werden. Der durch den Betrieb der genehmigten Anlage beeinträchtigte Nachbar kann die Einstellung des Betriebs nicht mehr verlangen (vgl. § 14 BImSchG) und ist auf Schadensersatz gegen den Betreiber beschränkt bzw. kann verlangen, dass durch nachträgliche Anordnungen Schutzmaßnahmen getroffen werden (vgl. §§ 17, 5 BImSchG, z.B. Erhöhung von Schornsteinen, Einbau von Rußfiltern).

Noch weitergehend ist die Wirkung von Planfeststellungsverfahren, die ebenfalls privatrechtsgestaltende Wirkung haben (§ 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG des Bundes und der Länder), so z.B. für Beeinträchtigungen durch Windparks, Flughäfen, Abfalldeponien und durch Stromtrassen.

cc) Nachbarrechtliches Gemeinschaftsverhältnis

999

Einerseits eine Duldungspflicht, umgekehrt aber in seltenen Ausnahmefällen auch Handlungs- bzw. Unterlassungsansprüche zwischen „Nachbarn“ (im weiteren Sinne) können nach Treu und Glauben (§ 242) aus dem sog. nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis folgen. Dieses (umstrittene) Rechtsinstitut wurde von der Rechtsprechung als Ausdruck der besonderen nachbarlichen Nähebeziehung entwickelt, um in zwingenden Ausnahmefällen (eigentlich) bestehende Rechte auszuschließen bzw. zu beschränken oder zu begründen und dadurch dem notwendigen Zusammenleben und einer daraus folgenden (gesteigerten) Pflicht zu gegenseitiger Rücksichtnahme Rechnung zu tragen (vgl. BGH NJW-RR 2012, 1160).

Zumindest hat derjenige, der sich in eine („situationsbelastete“) Nachbarschaft begibt und dabei die bereits bestehenden und nunmehr abzuwehrenden Beeinträchtigungen kannte oder (grob) fahrlässig nicht kannte, diese Immissionen zu dulden. Vorausgesetzt ist, dass der Störer sicherstellt, dass geltende Immissionsrichtwerte eingehalten werden. In einem solchen Fall habe der Eigentümer die Beeinträchtigungen „sehenden Auges“ in Kauf genommen; er hätte dann entweder vom Zuzug Abstand nehmen oder eigene Vorkehrungen treffen müssen.

1000

Keinesfalls ist das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis ein Schuldverhältnis. Die Abwehransprüche der §§ 905 ff. sind vielmehr dingliche aus dem Eigentum, ihre Verletzung ist ggf. deliktisch zu restituieren.

1001

Unzulässig sind sodann nach § 909 Vertiefungen, welche die Stabilität des Nachbargrundstücks gefährden. Besonders geregelt sind der Überhang von Wurzeln und Zweigen (vgl. § 910) und der Überfall von Früchten, die als Früchte des Grundstücks gelten, auf dem sie landen (vgl. § 911 mit Eigentumserwerb nach §§ 953 ff.: nur das Fallobst, nicht überhängende, gepflückte oder herabgeschüttelte Früchte).

dd) Überbau (§ 912)

1002

Nach § 912 kann der Überbau des Eigentümers eines Grundstücks auf das Nachbargrundstück vom Nachbareigentümer zu dulden sein, nämlich dann, wenn dem Überbauenden weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt und ferner der beeinträchtigte Grundeigentümer der Grenzüberschreitung nicht sofort widersprochen hat. Der Duldungspflichtige ist sodann durch eine angemessene Geldrente zu entschädigen. Duldungspflichtiger Überbau können nur bautechnisch einheitliche Gebäude in geschlossener Bauweise sein (z.B. nicht Carport, Einfriedungsmauer, vorgebaute Pergola), jedoch unabhängig davon, ob sich der Überbau ebenerdig, im Luftraum (z.B. Dachtraufe) oder unterhalb der Erdoberfläche (z.B. Fundamente, Tiefgarage) befindet.

Der Wortlaut des § 912 geht von Personenverschiedenheit im Zeitpunkt des Überbauens und von anfänglich getrennten Grundstücken aus. Dagegen wendet die heute h.M. die Vorschrift auch auf Fälle des sog. Eigengrenzüberbaus an, in welchen zur Zeit des Überbaus beide betroffenen Grundstücke im Eigentum derselben Person standen und erst anschließend das beeinträchtigte Grundstück veräußert oder zwangsversteigert wird; ebenso auf eine nachträgliche Grundstücksteilung.

Beispiel:

Das gilt sogar für die Einräumung von Sondereigentum nach WEG an einem Tiefgaragenstellplatz, wenn sich eine Tiefgarage über zwei Grundstücke erstreckt, sich die Eigentümergemeinschaft, zu der die Tiefgarage gehört, jedoch nur auf eines der Grundstücke bezieht, der Stellplatz jedoch auf dem anderen Grundstück gelegen ist. Wird letzteres etwa durch den Bauträger veräußert oder zwangsversteigert, hat der (neue) Eigentümer den bestehenden Überbau zu dulden, was im Hinblick auf die beim Erwerb vorhandene Bausubstanz für ihn weniger überraschend sein dürfte, als vielmehr die Rentenpflicht der vermeintlich durch ihr Sondereigentum gesicherten „überbauenden“ Eigentümergemeinschaft.

1003

Überbau kann auch eine Grunddienstbarkeit betreffen. In analoger Anwendung von § 912 wird eine Duldungspflicht z.B. dem Berechtigten eines Überfahrtsrechts zugemutet, das in der Breite oder Höhe durch den Eigentümer des dienenden Grundstücks beeinträchtigt, „überbaut“ wird. Hierbei wird gar kein anderes Grundstück körperlich betroffen, sondern nur das Recht des Eigentümers des herrschenden Grundstücks aus dem beschränkten dinglichen Recht. Der „Überbau“ bleibt gänzlich auf dem anderen Grundstück.

Auch die Verletzung von Grenzabständen der Landesbauordnungen durch einen Grundstückseigentümer soll entsprechend § 912 vom Nachbareigentümer gegen Geldrente zu dulden sein.

Beispiel:

Die Überdehnung der Vorschrift führt zu kuriosen Fällen. Der ohne ausreichende Sicherungsmaßnahmen durchgeführte Abriss eines Gebäudes in einer Reihenbebauung, in dessen Folge sich die Grenzmauer des Nachbargebäudes in die geschaffene Baulücke hineinneigt, löst zwar eine Schadensersatzpflicht des Bauherrn des Abrisses aus, gleichzeitig jedoch auch eine Geldrente des Eigentümers des „Überbaus“ für die dadurch möglicherweise deutlich geringere zu erreichende Geschossflächenzahl des geplanten Neubaus auf dem Abrissgrundstück. Zwar fällt diese Geldrente ohne Weiteres in die Schadensersatzpflicht des Bauherrn des Abrisses, gerät dessen Grundstück jedoch etwa aufgrund finanzieller Schwierigkeiten in die Zwangsversteigerung, mag der wirtschaftliche Wert der Schadensersatzforderung bei ihm nicht mehr zu realisieren sein, die Überbaurente wird dem neuen Eigentümer jedoch dessen unbeschadet geschuldet.

1004

Ein Verzicht auf die Überbaurente (z.B. im Fall des Eigengrenzüberbaus oder der Vereinbarung mit dem Nachbarn) wirkt nur schuldrechtlich zwischen den Parteien des Verzichtsvertrags, nicht zu Lasten des Erwerbers des beeinträchtigten Grundstücks; aufgrund der dinglichen Wirkung der Schuld nach § 913 Abs. 1 lebt sie trotz Verzichts nach Veräußerung eines der beteiligten Grundstücke wieder auf.

Ein wirksamer Verzicht, der nicht nur zwischen den Parteien wirken soll, erfordert vielmehr die dingliche Aufhebung des Rentenrechts im Wege der §§ 875, 876 S. 2 mit Eintragung im Grundbuch des mit der Rente belasteten Grundstücks (vgl. § 914 Abs. 2 S. 2).

 

ee) Notweg

1005

Auf einem ähnlichen Rechtsgedanken beruht das Notwegerecht der §§ 917, 918. Fehlt einem Grundstück „die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg“ (vgl. § 917 Abs. 1), so haben die Nachbarn die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung auf Verlangen und gegen eine Geldrente zu dulden. Einschränkend selbstverständlich nur, wenn dieser Zugangsmangel nicht darauf beruht, dass der Eigentümer selbst eine bisherige Verbindung „durch eine willkürliche Handlung“ aufhebt.

Zu denken ist für das Notwegerecht v.a. an Hinterliegergrundstücke, technisch anders nicht herstellbare Kabel- oder Kanalführungen sowie an auch nur vorübergehend unverschuldet nicht benutzbare Zuwegungen etwa in Folge Überschwemmungen. Das Notwegerecht kann auch durch eine Nutzungsänderung des berechtigten Grundstücks entstehen oder seiner Art nach verändert werden (Zufahrt für Lkw statt nur Fußweg).

Kein Notwegerecht hat der Eigentümer, der sich die notwendige Verbindung zum öffentlichen Weg selbst verbaut hat und nunmehr von dort z.B. nicht mehr hinter sein Gebäude, seine Garage etc. gelangen kann. Das Notwegerecht dient gerade nicht der optimalen Nutzung eines Grundstücks zu Lasten des Nachbarn, sondern der Behebung unvermeidbarer Not.

Beispiel:

Besteht kein Notwegerecht kann im Falle gegenwärtiger Gefahr und eines unverhältnismäßig großen drohenden Schadens ein Benutzungsrecht aus der Regelung betreffend den Notstand in § 904 hervorgehen. So etwa, wenn seit Jahrzehnten über fremden Grund geführte Erschließungen plötzlich ohne gravierenden bautechnischen Grund beanstandet werden und nur mit unverhältnismäßigem Kostenaufwand anders geführt werden könnten (ggf. auch Schikaneverbot, § 226); die Abwägung kann jedoch anders ausfallen, wenn eine konkretisierte eigene Baumaßnahme auf dem so benutzten Grundstück verhindert oder wesentlich verteuert würde.

1006

Zu gemeinsamen Grenzeinrichtungen und Grenzbäumen (vgl. §§ 921–923). Zur Unverjährbarkeit nachbarrechtlicher Ansprüche (vgl. § 924).