Handbuch Wirtschaftsprüfungsexamen

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I. Verpflichtungselement Willenserklärung

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Die Einigung über einen Schuldvertrag ist nach § 311 Abs. 1 bindend.[5] Die Vorstufe dieser Einigung ist das als Willenserklärung ausgestaltete Angebot zum Vertragsschluss, das jedenfalls für die Zeitspanne, während der es angenommen werden kann, ähnliche Bindungswirkung hat (§§ 145–148; so sind z.B. Put-/Call-Optionen rechtlich schlicht Angebote mit Laufzeit-Bindungsfristen)[6]. Erst eine inhaltliche Übereinstimmung („Einigung“) von Antrag und Annahme bringt den Vertragsschluss zustande. Diese Kongruenz wird durch Auslegung beider Willenserklärungen ermittelt, wofür der jeweilige Empfängerhorizont maßgeblich ist.

Diese an einem verständigen Empfänger orientierte Auslegung setzt naturgemäß den vorherigen Zugang der jeweiligen Willenserklärung voraus (§ 130).[7] Bei Erklärungen gegenüber Abwesenden (etwa durch Brief) genügt dabei das Eingelangen in den Machtbereich (Briefkasten, Mailbox, Faxspeicher) mit der Folge der Zugangsfiktion auf denjenigen Zeitpunkt, wann regelmäßig mit der Kenntnisnahme gerechnet werden kann (während der Geschäftszeiten bzw. übliche Leerungszeit eines privaten Hausbriefkastens).

Die Zugangsfiktion gilt auch während Abwesenheit des Empfängers (etwa im Urlaub), allerdings darf ein Absender (z.B. Arbeitgeber hinsichtlich Kündigung) das nicht bewusst ausnutzen. Ihm gegenüber gilt der Zugang erst nach Rückkehr als bewirkt. Erreicht eine Erklärung den Empfänger dagegen gar nicht (ist er etwa unbekannt verzogen oder verweigert er die Annahme), gilt die Zugangsfiktion auf den ersten erfolglosen Zustellversuch nur, wenn der Empfänger aufgrund (vor-)vertraglicher Bindung mit einem Zugang rechnen musste und der Absender alles Zumutbare unternimmt, um den Empfänger doch noch zu erreichen (Wiederholungsversuch, Adressermittlung). Eine Willenserklärung, die einem Geschäftsunfähigen (vgl. § 104) gegenüber abgegeben wird, wird nicht wirksam, bevor sie nicht dem gesetzlichen Vertreter zugeht (§ 131 Abs. 1). Steht die Vertretung eines Kindes den Eltern gemeinsam zu, so genügt die Abgabe gegenüber einem Elternteil (§ 1629 Abs. 1 S. 2). Für den Zugang bei beschränkt Geschäftsfähigen gilt dasselbe, sofern die zugehende Willenserklärung ihm nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist oder der gesetzliche Vertreter in sie eingewilligt hatte (§ 131 Abs. 2).

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Die so zugegangene Willenserklärung ist zur Ermittlung ihres Inhalts auszulegen (§ 133). Beim gesprochenen Wort kann folglich nur das wirklich Gesagte zugehen. Bei Hörfehlern fehlt es daran und deshalb an der Wirksamkeit dieser Willenserklärung überhaupt, weshalb insoweit nachfolgend gar kein Vertrag zustande kommen kann, gleichwie der Versender eine allfällige Reaktion des Adressaten deutet.[8]

Die Auslegung der beiden Willenserklärungen (Angebot und Annahme) entscheidet hernach, ob der Vertragsschluss an offenem Dissens (§ 155) gescheitert oder aber mit welchem kongruenten Inhalt (sog. Geschäftswille) er zustande gekommen ist. Die Auslegung und damit den Vertragsinhalt bestimmende Mängel in der Willensäußerung (Schreib- und Fehler im sprachlichen Ausdruck, § 119 Abs. 1), ebenso Mängel in der vorausliegenden Willensbildung (Eigenschaftsirrtum, § 119 Abs. 2, und Täuschung, Drohung, § 123) hindern also gerade nicht den Vertragsschluss, sondern geben dem Betroffenen lediglich die befristete Möglichkeit der Anfechtung von Willenserklärung und damit Rechtsgeschäft (§ 142 Abs. 1).[9] Beides wird durch wirksame Anfechtung rückwirkend nichtig und das Rechtsgeschäft verliert entsprechend seine Eigenschaft als Rechtsgrund für die darauf bezogenen Erfüllungshandlungen (Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht). Auch die Anfechtung selbst ist wiederum eine (einseitige empfangsbedürftige) Willenserklärung.

Die sog. ergänzende Vertragsauslegung hilft, während der Vertragsabwicklung auftauchende Lücken in der Vereinbarung zu füllen, soweit nicht bereits das dispositive Gesetzesrecht Streitfragen klärt. Maßgeblich ist dann, worauf sich die Partner redlicherweise hätten einlassen müssen, wenn der Regelungsbedarf bereits bei den Vertragsverhandlungen erkannt worden wäre.[10]

§ 2 Vertragsordnung des Bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts › A. Grundsätze › II. Abschlusstechnik („Der Vertragsschluss“)

II. Abschlusstechnik („Der Vertragsschluss“)

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Das Schuldgeschäft ist bestimmt durch die Wechselseitigkeit (mindestens) zweier zugangsbedürftiger Willenserklärungen der Parteien, §§ 241, 145 ff., 130: Angebot (§ 145) und Annahme müssen zugehen (§ 130). Erst mit dem letzten Akt ist der Vertrag geschlossen, soweit die Willenserklärungen jeweils selbst wirksam sind (§ 105 ff., 116 ff.) und sich inhaltlich decken (§ 155). Die inhaltliche Übereinstimmung muss sich dabei jedenfalls auf die vertragswesentlichen Gegenstände (essentialia negotii; mindestens also Beteiligte, Leistung und Gegenleistung) beziehen. Beim offenen (§ 154) und versteckten Dissens (§ 155) fehlt es deshalb am Vertragsschluss.

Leitbild ist der inhaltlich vollständige, auf einen konkreten Vertragsschluss zielende Antrag, der mit bloßem „Ja“ angenommen werden kann. Dagegen entwickeln sich Schuldgeschäfte vielfach erst aus fortschreitenden Verhandlungen mit Verständigungen nur über Zwischenergebnisse. Besonders im Massengeschäft, in Prospekten, Supermärkten etc. steht chronologisch zu Beginn meist nur eine Aufforderung zur Abgabe eines Angebots (invitatio ad offerendum, Warenanpreisung) an die Allgemeinheit, welche selbst kein bindendes Angebot ist (es fehlt der sog. Rechtsbindungswille), sondern worauf der (Kauf-)Interessent seinerseits mittels bindenden Angebots reagieren mag. § 150 Abs. 2 trägt dann dem Prozess des Aushandelns Rechnung. Und bevor keine vollständige Einigung über alle von den Beteiligten für relevant gehaltenen Punkte erzielt wurde, bleiben auch die vorläufigen Verhandlungsergebnisse unverbindlich (lies § 154 Abs. 1); eine verabredete Schriftformklausel („dieser Vertrag bedarf der Schriftform“) hindert eine Wirksamkeit bis zur originalen Unterschrift durch alle Parteien (§§ 154 Abs. 2, 126 Abs. 1, 2).

Möglich sind auch aufschiebend (§ 166 Abs. 1) und auflösend (§ 166 Abs. 2) bedingte Willenserklärungen, also Angebote bzw. Annahmeerklärungen, deren Wirksamkeit vom Eintritt oder Ausbleiben bestimmter Umstände abhängig gemacht wird (z.B. einer positiven Bauvoranfrage für das zu erwerbende Grundstück als Kaufbedingung; ebenso die beim dinglichen Vertrag des § 929 S. 1 die aufschiebend bedingt erklärte Einigung, die einen Eigentumsvorbehalt bewirken kann, bis der Kaufpreis gezahlt wird). Andererseits kann durch Bestimmung einer beliebigen Annahmefrist (§ 148) dem möglichen Vertragspartner eine Überlegungsfrist eingeräumt werden (so bei der Kauf-/Verkaufs-Option).

Als Gestaltungselemente funktionieren Bedingungen nur nach dem Alles oder Nichts-Prinzip. Flexible Reaktionsmöglichkeit, z.B. geringfügige Abweichungen doch zu akzeptieren, wären nur als neuer (Änderungs-) Vertrag möglich und daher z.B. bei Grundstückskaufverträgen wiederum formbedürftig (§§ 311b Abs. 1, 128); zeitlich auf ein Ereignis abgestimmte befristete[11] Rücktrittsrechte oder die Gewährung von Optionsrechten sind daher vertragsgestalterisch zumeist vorteilhafter. In bestimmten Fällen sind Bedingungen auch unzulässig, vgl. §§ 925 Abs. 2; 1311 S. 2.

1. Besonderheiten beim Vertragsschluss

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Ein Großteil von Vertragsschlüssen vollzieht sich auf Seiten des Annehmenden oder auch auf beiden Seiten mittels konkludenten Handelns. Solches Handeln hat ohne Weiteres Erklärungswert (stummes Nehmen einer Zeitung am Kiosk oder das Auflegen der Ware an der Supermarktkasse, ebenso das Betanken des Fahrzeugs an der Tankstelle mit Selbstbedienung; die funktionierende Zapfsäule ist das Angebot[12]). Diese Erklärung geht dabei auch ohne Weiteres zu. Von der Notwendigkeit des Zugangs der Annahmeerklärung trifft § 151 die Ausnahme, dass die Annahmeerklärung, nicht aber die Annahme selbst, entbehrlich sein kann (stillschweigende Annahme, etwa durch Eintragung im Bestellbuch des Hotels).

Davon zu unterscheiden sind die wenigen Fälle des gesetzlich zugelassenen Vertragsschlusses, bei denen es an jeglicher Erklärungshandlung fehlt (Schweigen als Zustimmung); so gem. § 613a Abs. 4 beim Betriebsübergang und nach § 1943 HS. 2 die Erbschaftsannahme durch Verstreichenlassen der Ausschlagungsfrist; ebenso die seltenen Fälle von §§ 416 Abs. 1 S. 2, 455 S. 2, 516 Abs. 2 S. 2. Darüber hinaus ist es eine restriktiv zu handhabende Frage des Einzelfalls, ob ein Vertragsschluss durch bloßes Schweigen als angenommen gelten muss, wenn z.B. eine Seite, das Ergebnis von Vorverhandlungen zusammenfassend, dieses der anderen in der erkennbaren Erwartung der Zustimmung anträgt.[13]

a) Handelsverkehr

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Weitergehend fingiert § 362 Abs. 1 HGB (nur!) die Annahme eines Geschäftsbesorgungsvertrages durch einen Kaufmann (§ 1 HGB) im Rahmen einer bestehenden Geschäftsverbindung oder eines vorherigen Anerbietens.[14] Dies gilt damit nicht für den Handelskauf, sondern z.B. für Kommissionsverträge (§ 383 HGB), wobei gerade nur deren Treuhandcharakter die Vorschrift rechtfertigt. Ähnlich gilt nach §§ 75h, 91a HGB das Schweigen des unberechtigt Vertretenen als Genehmigung (anders nach BGB: § 177 Abs. 2 S. 2).

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Kaufmann i.S.d. § 1 HGB ist („Ist-Kaufmann“), wer ein Handelsgewerbe betreibt. Als Handelsgewerbe gilt grundsätzlich jeder Gewerbebetrieb, also nicht nur der Handelssektor (Definition entsprechend § 15 Abs. 2 S. 1 EStG). Wer allerdings für seinen Gewerbebetrieb keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb benötigt, gilt nicht als Kaufmann, sondern als Kleingewerbetreibender (§ 1 Abs. 2 HGB), so wohl meist der Einzelunternehmer.

Er kann die Kaufmannseigenschaft jedoch gem. § 2 HGB durch freiwillige Eintragung seiner Firma (vgl. § 17 HGB) in das Handelsregister erwerben (Kaufmann kraft Eintragung im Handelsregister, e.K.; „Kann-Kaufmann“). Die Eintragung im Handelsregister hat dabei – im Gegensatz zur Eintragung eines Ist-Kaufmanns, zu der auch dieser gem. § 29 HGB verpflichtet ist – konstitutive, d.h. rechtsbegründende Wirkung. Besonderheiten gelten für Land- und Forstwirte (§ 3 HGB).

Schließlich sind nach § 6 Abs. 1 HGB Handelsgesellschaften bereits kraft Rechtsform Kaufleute („Form-Kaufmann“) und zwar unabhängig davon, ob sie ein Handelsgewerbe betreiben. Als Handelsgesellschaften werden bestimmt: die Aktiengesellschaft (in § 3 Abs. 1 AktG), die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (in § 13 Abs. 3 GmbHG), die Kommanditgesellschaft auf Aktien (in §§ 278 Abs. 3, 3 Abs. 1 AktG), die eingetragene Genossenschaft (in § 17 Abs. 2 GenG), die Europäische Genossenschaft (in § 3 SCEAG), die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (in § 1 HS. 2 EWIVAG). Personenhandelsgesellschaften wie die offene Handelsgesellschaft oder die Kommanditgesellschaft besitzen Kaufmannseigenschaft, da sie nach §§ 105 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB ein Handelsgewerbe betreiben (als Ist-Kaufmann also) oder sonst gem. § 105 Abs. 2 HGB im Handelsregister eingetragen sein müssen (kleingewerbliche und vermögensverwaltende OHG/KG als Kann-Kaufmann also; anderenfalls Gesellschaft bürgerlichen Rechts)[15]. Komplementäre (Vollhafter) von OHG/KG werden ebenfalls als Kaufleute behandelt, weil sie quasi das Geschäft betreiben, nicht aber Geschäftsführer und Vorstände von Körperschaften.

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Bedeutung hat die Kaufmannseigenschaft insb. für:


das Führen einer Firma (§ 17 HGB),
die Erteilung handelsrechtlicher Vollmachten (§§ 48 bis 58 HGB),
die handelsrechtliche Buchführungspflicht (§§ 238 ff. HGB),
die Beachtung spezieller Vorschriften zu kaufmännischen Handelsgeschäften (§§ 343 bis 475h HGB) wie z.B. der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit in beiderseitigen Handelskäufen (§ 377 HGB) und das kaufmännische Bestätigungsschreiben.

b) Kaufmännisches Bestätigungsschreiben

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Unter Kaufleuten wie auch unter sonstigen Unternehmern[16] kann überdies das Schweigen auf schriftliche Auftragsbestätigungen als Zustimmung zu Inhalt und Abschluss eines Vertragsverhältnisses gelten. Voraussetzung[17] sind vorausgegangene, nur mündlich geführte Vertragsverhandlungen, von denen der Versender des Bestätigungsschreibens redlicherweise annimmt, dass sie zum Geschäftsabschluss geführt haben. Die daraufhin von ihm gefertigte Auftragsbestätigung muss zum Ausdruck bringen, dass sie nur der Dokumentation dieser bereits gefassten Vereinbarung dienen soll. Widerspricht der Empfänger sodann nicht unverzüglich (Legaldefinition in § 121 Abs. 1 S. 1), gelten sowohl der niedergeschriebene Inhalt wie auch der Geschäftsabschluss selbst entsprechend dem („echten“) Bestätigungsschreiben als verbindlich getroffen. Diese quasi-gesetzliche, nämlich gewohnheitsrechtliche Rechtsfolge ist (deshalb)[18] auch nicht durch Irrtumsanfechtung zu beseitigen.

Zulässig ist weiterhin, dass erst durch ein Bestätigungsschreiben branchenübliche AGB (z.B. hinsichtlich Eigentumsvorbehalts oder Transportkosten in typischen Verkäufer-AGB oder die Einräumung einer Weiterveräußerungsbefugnis nach § 185 Abs. 1 BGB als sog. verlängerter Eigentumsvorbehalt in Käufer-AGB) einbezogen werden (vgl. §§ 310 Abs. 1 S. 1, 305 Abs. 2).[19] Kein kaufm. Bestätigungsschreiben ist dagegen eine als „Auftragsbestätigung“ etc. bezeichnete Annahme einer zuvor eingegangenen Bestellung; sie hat ggf. die Wirkung des Vertragsschlusses oder des § 150 Abs. 2; gegenüber dem echten Bestätigungsschreiben fehlen vorausgegangene Verhandlungen und die Absicht zur Dokumentation getroffener Abreden.

Prüfungsschema Kaufmännisches Bestätigungsschreiben


1. Persönlicher Anwendungsbereich a) Empfänger ist Kaufmann oder nimmt wie ein Kaufmann am Handelsleben teil b) Absender ist zumindest unternehmerisch geschäftserfahren
2. Sachliche Voraussetzungen a) Handelsgeschäft i.S.d. §§ 343 f. HGB b) Mündliche Vertragsverhandlungen sind vorausgegangen c) Endgültige und eindeutige Bestätigung eines zumindest aus Absendersicht bereits erfolgten Vertragsschlusses d) Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der Vertragsverhandlungen e) Redlichkeit des Absenders hinsichtlich des Inhalts f) Absendung des KBS unmittelbar nach Vertragsverhandlungen g) Zugang beim Empfänger h) Kein unverzüglicher (vgl. § 121 Abs. 1) Widerspruch des Empfängers
3. Rechtsfolge: Inhalt des kaufm. Bestätigungsschreibens gilt als vereinbart

2. Stellvertretung

a) Allgemeines

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Es entspricht der arbeitsteiligen Wirtschaft und ist in Fällen fehlender Handlungsfähigkeit (z.B. von Kapitalgesellschaften) unumgänglich, dass Willenserklärungen beim Vertragsschluss (aber auch Gestaltungserklärungen wie z.B. die Kündigung etc.) nicht von demjenigen abgegeben werden, der von den Rechtsfolgen betroffen sein soll. Es handelt dann ein Vertreter, die Vertragswirkungen treten aber für und gegen den Vertretenen ein. Solche Stellvertretung ist meist Aktivvertretung und Passivvertretung zugleich, in dem der Vertreter die eine Willenserklärung abgibt und bei zweiseitigen Verträgen die korrespondierende andere als Empfangsvertreter entgegennimmt. Stellvertreter können auch auf beiden Seiten eines Vertragsschlusses stehen.

Beispiel:

Der „kleine“ Angestellte, der zu gelegentlichen Besorgungen für den Unternehmensträger geschickt wird (§ 164 Abs. 1); der Prokurist, der das Handelsgeschäft weitgehend selbstständig führt (§§ 48 f. HGB mit § 164 Abs. 1 BGB); die Organe von Kapitalgesellschaften, ohne welche diese gar nicht handlungsfähig wären (§ 35 Abs. 1 GmbHG, § 78 Abs. 1 S. 1 AktG); Eltern für ihre Kinder (§§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1).

 

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Die Zurechnung fremder Willenserklärungen erfolgt stets über §§ 164 ff., gleich, ob die Vertretungsmacht nach BGB oder HGB erteilt wurde oder eine organschaftliche ist. Gem. § 164 Abs. 1 gibt der Vertreter eine eigene Willenserklärung ab (im Unterschied zum Boten, der eine fremde überbringt), die ausdrücklich oder nach den Umständen im Namen des Vertretenen erfolgen und schließlich inhaltlich von der Vertretungsmacht gedeckt sein muss, welche der Vertretene dem Vertreter erteilt hatte. Wesentliche Elemente der Zurechnung fremder Willenserklärungen sind damit der Offenkundigkeitsgrundsatz und die Vertretungsmacht.

Aufgrund der eigenen Willenserklärung des Vertreters kommt es ganz selbstverständlich für die Geschäftsfähigkeit (vgl. § 165, wonach aber auch beschränkt Geschäftsfähige als Vertreter handeln können – sie haben dadurch ja keine Nachteile) und für Willensmängel (so § 166 Abs. 1) auf die Person des Vertreters an.

Beispiel:

Die Warenauspreisung im Supermarkt ist keine Willenserklärung (nur invitatio ad offerendum); tippt später eine Kassiererin (Vertreterin des Inhabers) einen falsch ausgezeichneten Preis in die Kasse ein, kommt der Kauf zu diesem Preis zustande. Irrtumsanfechtung ist nicht möglich, denn die Kassiererin irrte nicht, sondern wollte den etikettierten Preis abziehen und ein eventueller Irrtum in der Person des Inhabers als Vertretenem wäre unerheblich (§ 166 Abs. 1). Säße der Inhaber selbst an der Kasse würde vergleichbares gelten. Auch er irrte nicht beim Scan (= Abgabe der Willenserklärung, vgl. § 119 Abs. 1), sondern vorher, bei der Auspreisung.

b) Offenkundigkeitsgrundsatz

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Dem Geschäftspartner muss deutlich sein, in wen er sein Vertrauen mit dem Schuldgeschäft setzt. Dem ist genügt, wenn die Umstände zweifelsfrei sind, wie etwa bei unternehmensbezogenen Geschäften. Je nach ihrem inneren und äußeren Zusammenhang sollen sie erkennbar den Unternehmensträger (Inhaber) berechtigen und verpflichten, nicht den Handelnden (z.B. telefonische Bestellung durch einen bekannten Einkäufer). Wie hierbei die Person des beabsichtigten Vertragspartners klar ist, kommt es in einer anderen Fallgruppe, den Bargeschäften des täglichen Lebens, darauf ausnahmsweise erst gar nicht an (z.B. Geschäfte im Supermarkt).

Wirtschaftliche Bedeutung kann die Vertretung und damit das „Geschäft für wen es angeht“ auch auf der sachenrechtlichen Ebene beim dinglichen Vertrag bekommen, also etwa der Einigung nach § 929 S. 1. Allerdings muss für den Eigentumserwerb des Vertretenen unmittelbaren vom Veräußerer noch der Besitzerwerb des Vertretenen an der beweglichen Sache hinzukommen (nämlich z.B. durch Besitzmittlungsverhältnis, § 868, oder Besitzdienerschaft, § 855, des Vertreters). Bedeutsam ist diese Eigentumsfrage etwa für die Erstreckung von Pfandrechten des Vermieters, § 562, oder von Grundschuld und Hypothek, § 1120. Vergleichbare Fragen ergeben sich im Sachenrecht bei den Vorschriften zur dinglichen Surrogation, etwa §§ 949 S. 2, 3; 175; 1247 S. 2; 1287 bzw. im Erbrecht, §§ 2019; 2041; 2111, ähnlich schließlich bei § 1646.

Von ihrer Wirkung gehört auch die Vorschrift des § 1357 hierher (ehem. sog. Schlüsselgewalt), wonach sich Eheleute bei Geschäften zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs stets wechselseitig mitverpflichten (Gesamtschuld, §§ 427, 421) und mitberechtigen (Gesamtgläubiger, §§ 1357 Abs. 1 S. 2, 428[20]).