Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

142 Steins Verständnis von Liturgie und diesbezüglichen Einflüssen, die von ihrer jüdischen Herkunft ausgehen, wendet sich Schandels Studie jedoch zu, vgl. Schandel, Ich sah aus meinem Volk die Kirche wachsen, S. 107 f. und S. 238 f.

143 Vgl. Fermín, Loslassen, S. 176–181.

144 Ebd. S. 176–178.

145 Ebd. S. 178 f.

146 Ebd. S. 179.

147 Ebd. S. 179 f.

148 Vgl. ebd. S. 56–115.

149 Vgl. ebd. S. 116–156.

150 Vgl. ebd. S. 157–181.

151 Neyer, M. A.: Edith Stein und das Beten der Kirche. Gedanken zu ihrer Seligsprechung am 1. Mai 1987, in: Kaffanke, J. /Oost, K.: „Wie der Vorhof des Himmels“. Edith Stein und Beuron, Tagungsberichte der Beuroner Tage für Spiritualität und Mystik, Erzabtei St. Martin Beuron, 2. ergänzte und erweiterte Auflage, Beuron 2009, S. 130–150.

152 Vgl. dazu den Abschnitt 6.2.5.4.2.

153 Koeppel, J.: Edith Stein. Philosopher and Mystic, Collegeville 1990.

154 Ebd. S. 96 und S. 109.

155 Ebd. S. 103 und S. 137.

156 Mosley, J.: Edith Stein. Woman of Prayer, Herfordshire 2004.

157 Ebd. S. VII.

158 Ebd. S. 1–57.

159 Ebd. S. 59–147.

160 Traflet, D. M.: Edith Stein. A Spiritual Portrait, Boston 2008.

161 Ebd. S. 31–56.

162 Ebd. S. 57–88.

163 Ebd. S. 89–112.

164 Ebd. S. 113–144.

165 Vgl. Schmitt, V. E.: Karmelregel – Lebensregel. Leben aus der Ursprungsvision des Karmel heute, München 2010.

166 ESGA 19, S. 44–59.

167 Vgl. dazu die Ausführungen über die Themen und Anliegen ihres Betens im Abschnitt 5.4. dieser Studie.

168 Vgl. ESGA 20, S. 264–388.

169 Vgl. ebd. S. 216–257.

170 Vgl. zu den im Karmel typischen Weisen der Verschriftlichung Fermín, Loslassen, S. 182–226.

171 Vgl. ESGA 19, S. 60–188.

172 Der Beitrag „Das Gebet der Kirche“ wird im Abschnitt 6.2.5. ausführlich besprochen und kann daher an dieser Stelle meiner Studie zurückgestellt werden.

173 Brief an den Professor für Philosophie an Hochschule der Benediktiner in Maria Laach, Pater Petrus Wintrath OSB vom 12. 6. 1932. ESGA 2, S. 223 ff., hier S. 223.

174 Vgl. dazu Fermín, Loslassen, S. 101 ff.

175 Eine Übersicht findet sich bei Fermín, Loslassen, S. 225.

176 Koeppel, Edith Stein, S. 122.

177 Edith Stein Gesamtausgabe 2. Edith Stein. Selbstbildnis in Briefen. Erster Teil, 1916–1933. Einleitung von H. B. Gerl-Falkovitz, Bearbeitung und Anmerkungen von M. A. Neyer, Revidiert von H. B. Gerl-Falkovitz, 2. Auflage, Freiburg 2005, S. 167.

178 Edith Stein Gesamtausgabe Bd. 9. Edith Stein. „Freiheit und Gnade“ und weitere Beiträge zu Phänomenologie und Ontologie (1917–1937), bearbeitet und eingeführt von Beate Beckmann-Zöller und Hans Rainer Sepp, Freiburg 2014, S. 8–72.

179 Ebd. S. 66.

180 Ebd. S. 66 f.

181 Edith Stein Gesamtausgabe Bd 4. Edith Stein. Selbstbildnis in Briefen. Briefe an Roman Ingarden. Einleitung von H. B. Gerl-Falkovitz, Bearbeitung und Anmerkungen von M. A. Neyer, Fußnoten mitbearbeitet von E. Avé-Lallemant, 3., durchgesehene Auflage, Freiburg 2001, S. 168.

182 Vgl. dazu Schmitt, Gebet als Lebensprozeß, S. 71–113.

3 Handlungsleitendes Interesse, methodische Ausrichtung und geschichtliche Situierung der Untersuchung

3.1 Handlungsleitendes Interesse und methodische Ausrichtung der Studie

Die vorliegende Studie sucht zu erkunden, ob im Beten der Edith Stein in der Summe der biographischen Einzelaspekte eine Gestalt erkennbar wird. Dazu werden sichtbare Konturen ihres Betens unter Einbezug von sinndeutenden Horizonten darauf hin untersucht, ob übergreifende Tendenzen in den Gebetsartikulationen zu erkennen sind. Diese übergreifenden Tendenzen können, so meine These, als Gestaltwerdung eines kirchlich situierten Betens mit einem genuin marianisch-pneumatischen Akzent angesehen werden.

3.1.1 Methodische Abfolge der Untersuchung

Bei der Durchführung der angestrebten Studie sind hermeneutische und methodische Einstellungen wirksam, die im Folgenden dargestellt und begründet werden.

Die angestrebte Vorgehensweise, bei der zunächst deskriptiv von der sichtbaren Außenseite eines religiösen Geschehens ausgegangen wird, um sodann unter Einbezug sinndeutender Horizonte zu einer Erschließung der Innenseite der gesichteten religiösen Praxis zu gelangen, formuliert in ähnlicher Weise Kees Waaijman OCarm in seinem Konzept einer beschreibenden Spiritualitätsforschung: „Beschreibende Spiritualitätsforschung wird in drei Schritten vollzogen: Zunächst wird die Form im Hinblick auf Zeit und Ort eingegrenzt, dann wird diese Form in ihren Kontext gestellt und schließlich wird sie interpretiert, so dass sich ihr Innenhorizont erschließt.“183 In Anlehnung an dieses Grundkonzept leiten sich für die vorliegende Studie adaptierte methodische Schritte ab, die nachfolgend skizziert werden.

Die angestrebte Untersuchung sichtet in einem ersten Schritt die von der Autorin überlieferten Gebetsäußerungen verbaler und nonverbaler Art. Dabei richtet sich das Interesse zunächst darauf, die aus diversen Quellen ersichtlichen Gebetsereignisse in ihrer individuellen Kontur zu beschreiben und daran anschließend sinndeutende Horizonte und Einflüsse zu benennen, die für eine mögliche Erschließung der beschreibend aufgewiesenen Konturen bedeutsam sind. Davon ausgehend und weiterführend richtet sich das Augenmerk auf die Frage, ob ein alle Einzelelemente integrierendes Moment formulierbar wird, das sich durchgängig aufweisen lässt. Ich möchte dadurch klären, ob eine Zusammenschau der vielfältigen Äußerungen betenden Geschehens im Leben der Edith Stein rückblickend eine innere Dynamik erkennen lässt, die als Gestaltwerdung beschrieben werden kann. Von der heute möglichen, posthumen Warte aus fragt die vorliegende Untersuchung: Hat ein übergreifender Prozess des Werdens formgebend im Leben dieser Frau geprägt, was mal um mal in den einzelnen betenden Lebensstunden offenbar geworden und in Erscheinung getreten ist?

Falls eine solche Gestalt aufgewiesen und in ihren Grundzügen benannt werden kann, ergibt sich die Frage nach der ekklesiologischen Relevanz dieser Erscheinungsform religiöser Existenz. Besonders die sehr auffälligen mariologischen Implikationen ihrer Gebetspraxis und Selbstdeutung verdienen dabei Beachtung. Vorblickend sei als These formuliert: Edith Stein versteht sich in ihrer geistlichen Existenz wesentlich von der Gestalt Mariens her, die als Urbild der Frau und Leitstern für die innigste Beziehung zu Jesus Christus angesehen wird. Edith Stein sieht sich selbst zu einer speziellen Teilhabe am Sein Mariens im Raum der Kirche berufen. Sie gewinnt von diesem geistlichen Standort aus eine gläubige Sicht auf die theologische Größe „Kirche“, bei der diese als personales Gegenüber gesehen werden kann.

Analog zur übergreifenden Zusammenschau der Steinschen Gebetspraxis im gesamten Lebenslauf sind in einem zweiten, ergänzenden Schritt zwei geistliche Texte Gegenstand der Untersuchung. Das erste zu untersuchende Opus „Ostermorgen“ ist ein frühes Werk der Autorin aus dem Jahr 1924. Diese Meditation aus ihrer Speyerer Zeit ist der erste selbst verfasste geistliche Text Edith Steins. Er ist bereits neun Jahre vor dem Eintritt in den Karmel entstanden. Den zweiten Text „Braut des Heiligen Geistes“ hat Sr. Teresia Benedicta 1942, wenige Monate vor ihrem Tod, im Konvent in Echt verfasst. Beide Beiträge unserer Autorin werden mit Blick auf sprachliche Merkmale und theologische Aussagen untersucht und anschließend zusammengeschaut. Einer Sichtung im Großen der gesamten Biographie, die sich auf übergreifende Tendenzen und sinndeutende Horizonte in den Konturen ihres Betens und eine darin erkennbare Gestalt richtet, schließt sich somit eine Mikroanalyse im Kleinen an, nämlich auf der Textebene der beiden genannten geistlichen Texte.

Die Mikroanalyse des Textes sucht jeweils zu erkunden, ob auch dieses kleinste „Gewebe“ von Einzelelementen eine genuine Gestalt offenbart, bei der sich näherhin die literarisch beschreibbaren Konturen und lyrischen Stilmerkmale im Lichte der diese prägenden sinndeutende Horizonte theologisch-geistesgeschichtlicher Art zu einer Gestalt formieren. Es ist somit eine vom Großen zum Kleinsten fortschreitende Sichtung angestrebt, die ausgehend vom großen „Gewebe“ der Gebetsäußerungen im Lebenslauf der Edith Stein insgesamt bis zum kleinsten „Gewebe“ im Textus zweier schriftlicher Zeugnisse vordringen möchte. Meine These lautet, dass auf beiden Ebenen in den erscheinenden Konturen formgebende Momente ersichtlich werden, die als Gestalt mit ekklesiologischer Bedeutung benannt und beschrieben werden können. Falls das aufgewiesen werden kann, wäre ihr Beten sowohl auf der Ebene des existentiellen Vollzugs als auch auf derjenigen des literarischen Niederschlags wesentlich als Gestalt kirchlicher Existenz zu formulieren.

3.1.2 Begründung für die Auswahl der Methodik

Ein solches Hingehen zu den in verschiedenen Quellen zutage tretenden Gebetsäußerungen geschieht nicht willkürlich, sondern mit Bedacht und unter sorgsamer Abwägung anderer, ebenfalls gangbarer Alternativen. Sinnvoll scheint mir dieser Hinweg zum Gebet bei Edith Stein insofern, als er methodisch versucht, dem genuinen philosophischen Anliegen und Vorgehen der Autorin zu entsprechen, also insofern der Hinweg von vorne herein eine höchstmögliche Angemessenheit an die Eigenart des Betenden anstrebt.

 

Denn Edith Stein lässt in ihrem philosophischen Werk den Versuch erkennen, sich in modifizierender Aufnahme der phänomenologischen Methodik von Edmund Husserl und Adolf Reinach und mit dem Anliegen einer aktualisierenden Thomasrezeption184 der Frage nach dem Sinn des Seins zu stellen. Das kommt deutlich zum Ausdruck in ihrem philosophischem Opus „Endliches und ewiges Sein – Versuch eines Aufstiegs zum Sinn des Seins“, das als eigenständiger Entwurf einer Religionsphilosophie in Erscheinung tritt.185 Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz beschreibt das Anliegen der promovierten Philosophin zusammenfassend: „Edith Steins Absicht war, die griechische Seinslehre des Aristoteles, ihre biblische Vertiefung bei Thomas von Aquin, die trinitarische Relationslehre Augustins und die Phänomenologie Husserls einzubeziehen in das integrative Leitbild einer philosophia perennis für die mittelalterliche und die neugeborene Philosophie des 20. Jahrhunderts.“186

Es scheint vor diesem Hintergrund angemessen, die Frage nach einer „Entelechie“ auf ihre eigene betende Existenz anzuwenden. Entelechie wird hier mit Thomas Schärtel verstanden in einer neuzeitlichen „Verwendung des E.Begriffes: Gemeint ist das innere Hingeordnetsein eines Lebewesens bzw. eines lebendigen Organismus auf ein Ziel, das es bzw. er gewissermaßen ‚in sich‘ trägt, so dass dieses Ziel seine Entwicklung antreibt und sein Tätigsein leitet.“187 Den Entelechiebegriff greift Edith Stein selbst – dabei über Thomas von Aquin von Aristoteles herkommend – in ihrem philosophischen Hauptwerk auf.188 Daher versucht meine Studie unter diesem Aspekt die vorfindlichen Zeugnisse ihres Betens als Prozess mit dem Charakter einer Gestaltwerdung zu sichten, bei dem ein in der Person Edith Steins angelegtes Potential sukzessive zur Entfaltung kam und eine Zielausrichtung virulent wurde, auf die hin ihr Leben als geistliche Existenz ausgerichtet war.

Alternativ wäre methodisch denkbar gewesen, zunächst ihre philosophische Grundausrichtung im Sinne einer der Mystik geöffneten Phänomenologie in ihrer Entwicklung ausführlich zu konturieren, anschließend mit ihrer interpretierenden Darstellung der Philosophie des Areopagiten und derjenigen des Johannes vom Kreuz zu verbinden, und erst von diesem Hintergrund aus die benennbaren Gebetserscheinungen vor der erarbeiteten Folie ihres philosophischtheologischen Ansatzes einzuordnen. Bei diesem methodischen Zugang wären jedoch ihr philosophisches Denken und ihre theologische Ausrichtung die vorgängig formulierte, inhaltliche Matrix für die Einordnung und Sichtung der beobachtbaren Gebetsäußerungen und -zeugnisse gewesen.

Diese Variante des Herangehens habe ich bewusst nicht gewählt, um dafür stärker und betonter den Blick zunächst rein beschreibend auf die Konturen des Betens werfen zu können. Denn nicht erst im Lichte der deutenden inhaltlichen Horizonte, sondern schon rein anhand der sichtbaren Kontur und benennbaren Struktur ihres Betens (z. B. hinsichtlich seiner zeitlichen Erstreckung d. h. seiner Dauer und Häufigkeit, sowie der Betonung des Schweigens, oder der örtlichen Situierung, die sich immer stärker auch äußerlich in den kirchlichen Raum hinein verlagert) wird ersichtlich, welche Art von Gottes-, Welt- und Selbstbezug sich in diesem Geschehen bei Edith Stein sukzessive manifestiert. Vor allem kann dieser in chronologischer Reihenfolge beschreibende Hinweg vermeiden, dass anachronistisch (d. h. von einer biographisch späteren Entfaltungsweise und Lebensphase her gesehen) in einer jeweiligen Lebensphase unserer Autorin eine Spiritualität gesehen und in Lebensäußerungen der Edith Stein hineingelesen wird, die dort in Wahrheit noch gar nicht zu sehen ist. Diese Gefahr einer vom biographisch Späteren auf früheres projizierenden Sichtweise ergäbe sich etwa z. B. mit Blick auf eine ausdrücklich sich selbst enteignete karmelitische Lebensweise monastischer Existenz, die bei ihr erst im späteren Lebensverlauf und im Lebensraum des klösterlichen Gemeinschaftslebens volle Gestalt gewinnen konnte. In gleicher Weise wird vermieden, dass mit einem Gebetsverständnis, das zwar für spätere Lebensphasen geeignet ist, nicht jedoch für ihre frühe Zeit, die Sicht auf ihre frühen Jahre vor dem Klostereintritt von einer Mangelperspektive geprägt wird, die inadäquat ist. Das wäre, um ein analoges Beispiel zu wählen, so, als wollte man das Bewegungsverhalten eines Kleinkindes in der Form beschreiben, dass es noch gar nicht „aufrecht gehen“ konnte in seiner ersten Lebensphase – wobei „Aufrechtgehen“ ein Begriff aus der Beobachtung von Erwachsenen ist und diese Kategorie somit mit Blick auf Kinder unvermeidlich nur ein Defizit in den Blick rücken kann. Ebenso ist das Anliegen der Untersuchung, durch den betont beschreibenden Akzent im ersten Teil zu vermeiden, dass bedeutende Details deswegen nicht ins Blickfeld rücken können, weil die vorgängig formulierten Kriterien das gar nicht mehr erlauben. Das wäre etwa dann der Fall, wenn nur noch nach Gebetsformen gesucht würde, die typischer Weise dem Karmel nahe stehen oder im weitesten Sinne kontemplativer Art sind, und zwar kontemplativ nach dem Verständnis der Ordensgründergestalten der karmelitanischen Ordensgemeinschaft. Durch wie auch immer vorgängig formulierte Kriterien inhaltlicher oder formaler Art würde sich unvermeidlich die Frage ergeben, für welche der Lebensphasen der Edith Stein diese in welchem Umgang überhaupt zutreffen und für welche nicht. Auch wäre dann die Frage nicht zu umgehen, welche denn die „beste“ Gebetsweise im Leben der Edith Stein gewesen sei, oder welche die ihr am „eigentlichsten“ entsprechende.

Die These der vorliegenden Studie lautet vor dem Hintergrund des Gesagten: Im vielgestaltigen Beten Edith Steins gewinnt kontinuierlich ekklesiale Gestalt, was zwar als Möglichkeit geistig-intellektuell schon präfiguriert war in der ausgeprägten Rezeptivität des Denkens der Phänomenologin Edith Stein, was sich jedoch nicht einfachhin daraus bruchlos und monokausal ableiten lässt. Weil sie sich aber von den Dingen unvoreingenommen in von der Phänomenologie her orientierter, objektbezogener Sachlichkeit zu denken geben und sich von ihnen ansprechen lassen konnte, deswegen konnte sie sich auch bis in die Wurzeln ihres eigenen Seins fortlaufend von dem transzendenten Grund zu denken geben lassen, der unergründlich alles gründet. Klaus Hemmerle kommt auf diesen bedeutsamen Zug in der philosophischen Ausrichtung unserer Autorin zu sprechen: „Die Bereitschaft, das eigene Selbst betreffen zu lassen durch die innere Qualität eines Sich-Zeigenden, die innere Verfügbarkeit für ein neues Licht, die Berührbarkeit durch eine neue, bislang nicht gekannte Realität: dies ist der Anknüpfungspunkt, an welchem sich, innerhalb der Phänomenalität selbst und doch von innen her sie übersteigend, das Phänomen zum Anruf wandelt.“189 Aus dieser geistigen Haltung heraus und als zu sich selbst gekommenes Freiheitsgeschehen konnte – so die These der vorliegenden Studie – schließlich antwortende, gereifte Hingabe in der Nachfolge Christi im Raum der Kirche zur besonderen Signatur und zur Zielgestalt ihres eigenen Betens werden. In von Liebe getragener Hingabe sieht sich Edith Stein zunehmend in besonderer Nähe zur biblisch und kirchlich vermittelten Gestalt der „Gottesmutter“ Maria, die ihr als Karmelitin zugleich als „Patronin“ des Ordens, als „Schwester“ und als „Braut Christi“ vor Augen steht. Ihr Denken wird Edith Stein zum Danken und schließlich zur betenden Teilhabe an der Existenz des mystischen Leibes Christi, welche sie in Maria als der „Mutter“ und „Braut“ Christi modellhaft präfiguriert sieht.

3.1.3 Nähe zu belegbaren Quellen statt hagiographischer Verzeichnung

Die oben formulierte These gilt es im Zuge der angestrebten Untersuchung detailliert zu belegen. Gerade Untersuchungen zum geistlichen Leben einer geschichtlichen Gestalt geraten bisweilen unversehens zur Darstellung nicht dessen, was damals beim untersuchten Autor/Autorin belegbar ist, sondern vielmehr dessen, was auf diese Gestalt projiziert wird, was unbemerkt und in bester Absicht geschehen kann. Auch die Forschung zu Edith Stein ist von dieser Gefahr nicht immer unbehelligt geblieben, was ein Blick in manche Veröffentlichungen erkennen lässt. Diese entgehen einem bisweilen verzeichnenden Duktus in der Darstellung und Auslegung von Begebenheiten nicht immer völlig.

Das wird exemplarisch ersichtlich an der Besprechung der Art und Weise, wie Edith Stein durch die Begegnung mit der Vida der hl. Teresa von Ávila zur Konversion gelangt sei,190 sowie der Frage, ob sie vor ihrer Taufe in der Jugendzeit eine atheistische Phase erlebt habe.191 Vor diesem Hintergrund sei eingangs der Grundsatz der stetigen Quellennähe und Belegbarkeit aufgestellter Überlegungen eigens erinnert und mit Nachdruck betont. Das gilt auch für Konklusionen, die aus den vorliegenden Daten abgeleitet werden. Denn nicht nur droht eine von hagiographischen Motiven überstrapazierte Perspektive auf die geistliche Gestalt Edith Steins das geschichtliche Gegenüber aus dem Blick zu verlieren. Das ist der Fall, wo Edith Stein rückblickend einseitig und von ihrer Heiligsprechung her wahrgenommen wird. Werden Phasen ihrer geistlichen Entwicklung eingeebnet, dann wächst die Gefahr das geistliche Proprium dieses Menschen zu verfehlen und so blind zu werden für die sukzessiven und z. T. tiefgreifenden Wandlungen im Charakter und der intellektuell-geistlichen Ausrichtung unserer Autorin. Das betrifft auch die philosophischen Werke unserer Autorin, die ebenfalls im Rahmen der jeweiligen biographischen Phase gesichtet und von dorther einzuordnen sind, wie die Herausgeber des Edith Stein-Lexikons bemerken: „Doch gerade die Immanenz der jeweiligen Phasen sollte beachtet, das systematische und genealogische Gewicht der Begriffe Steins verdient es gewürdigt zu werden. In den Ansatz der im husserlschen Sinn streng wissenschaftlich arbeitenden Phänomenologin sollten daher nicht Assoziationen zu der frühen Feministin und späteren Heiligen hineingetragen werden.“192 Entsprechendes könnte für die geistliche Dimension des Werks unserer Autorin formuliert werden. Die Tiefe der bisweilen auszumachenden Kurskorrekturen im Leben der Edith Stein lassen erkennen, dass geistlich-innerseelische Transformationen stattgefunden haben müssen.193

Ebenso folgenschwer ist die Konsequenz einer hagiographischen Verzeichnung mit Blick auf die in dem Falle reduzierte Bedeutung der Initiativen Gottes im Leben der Edith Stein. Wenn unsere Autorin quasi „immer schon“ mehr oder weniger heilig gewesen wäre, dann wäre Gottes heilsamer Einfluss im Sinne einer korrigierenden Größe überflüssig. Biographische Momente der Begegnung mit einer „gratia sanans“ wären praktisch unötig. In diesem Falle könnte dem beständigen Wirken der Gnade Gottes, das den Menschen je und je menschlicher, freier und lebendiger machen möchte, kaum mehr Bedeutung zukommen, wollte man Edith Steins Beten schon immer und in Vollgestalt als heiligmäßig und/oder von Beginn ihres Lebens an bereits in Geiste des Karmel konturiert ansehen und einschätzen. Dem entgegen wäre zu werben für eine betont nüchterne Sicht auf die sich entfaltende Gebetsbiographie der Edith Stein, damit sich gerade so der erkennbare Einfluss von Mehr-als-Menschlichem umso stärker zu erkennen gibt. In Kürze formuliert kann daher gelten: Edith Stein ist betend in der Nähe Gottes je und je zu dem frommen Menschen geworden, der in ihr als Möglichkeit angelegt, aber nicht zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens bereits schon entfaltet und realisiert war.

3.2 Geschichtlicher Standort der Studie: Theologie nach Auschwitz

3.2.1 Theologische Deutungsversuche und Sprachzeugenschaft für die Opfer

Die vorliegende Studie ist an einem geschichtlichen Ort nach Auschwitz situiert. Von daher sieht sie sich mit der Anforderung konfrontiert, vom heutigen, posthumen Standpunkt aus über das geistliche Leben der Edith Stein und ihre schriftlichen Zeugnisse zu handeln, die beide zeitlich vor diesem Ereignis angesiedelt sind. Wie kann bei einer Rede vom Gebet unserer Autorin mit dieser chronologischen Differenz und dem von daher verschiedenen theologischen Standort angemessen umgegangen werden? Wie kann eine theologische Studie näherhin dem Rechnung tragen, das alles, was mit diesem geschichtlichen Ort der Vernichtung verbunden ist, wesentlich davon geprägt ist, dass es Norbert Reck zufolge für die Sprache kategoriensprengend ist und „nicht zu verstehen“? Reck führt dazu aus: „Die Herausforderung von Auschwitz bestehe aber gerade darin, dass Auschwitz nicht zu verstehen sei. Das betonen auch viele Überlebende in ihren Berichten: daß selbst das, was sie uns mitteilen, das Geschehen nicht zutreffend beschreiben könne, daß es überhaupt keine Sprache gebe, die das vermöge.“194

 

Den aktuellen Rahmen, in dem diese Herausforderung sich stellt, markiert Jan-Heiner Tück in seiner Monographie „Gottes Augapfel. Bruchstücke zu einer Theologie nach Auschwitz“.195 Er stellt fest: „Im gesellschaftlichen Diskurs besteht seit Längerem die Gefahr, entweder zu viel oder zu wenig von der Shoa zu reden. Einer gewissen Gesprächigkeit über die Sprachlosigkeit angesichts des Grauens steht die Unwilligkeit gegenüber, das Thema überhaupt zur Sprache zu bringen. Beide Reaktionen sind verfehlt. Die betroffenheitsrhetorische Inszenierung der Unsagbarkeit durch Superlative, die bei manchen zu einer ‚Holocaustmüdigkeit‘ führt, wirkt in dem Maße unangemessen, als sie die Maßlosigkeit des Verbrechens sprachlich nachzuahmen sucht. Ein Schweigen aus Apathie und Indifferenz, das eine heimliche Komplizenschaft mit den Tätern einschließen kann, ist nicht minder problematisch.“196 Zwischen diesen Extremen ist meine Studie angesiedelt und sucht nach Sprachformen, die beiden Gefährdungen entgehen. Dabei ist mit Blick auf eine Theologie des Gebets zu beachten, was Thomas Dienberg OFCap feststellt: „Seit und durch Auschwitz hat sich das Gebet verändert, vor allem das christliche Gebet. Es kann nicht mehr so sein wie vor Auschwitz. Auch das Gebet steht unter dem Vorzeichen des Bruchstückhaften und Fragmentarischen. Es ist ‚stigmatisiert‘ “.197 Wenn aber Beten einem solchen Wandel unterworfen ist, kann auch die das Beten eines Menschen auslegende und deutende Rede davon nicht unbetroffen bleiben. Wie kann also eine Rede angemessen stattfinden?

Unter den verschiedenen Möglichkeiten, wie „Auschwitz“ im theologischen Denken Beachtung finden kann, empfängt meine Studie Impulse von Positionen, die für eine entschiedene Sprachzeugenschaft für die Stimme der Opfer eintreten: „Wir können nur Wortzeugen der Blutzeugen sein. […] Zwischen dem Schweigegebot einer Ästhetik nach Auschwitz und der Zeugenpflicht einer Ethik nach Auschwitz ist die Balance der Worte immer aufs Neue auszutarieren.“198 Exemplarisch formuliert es Elie Wiesel: „Das letzte Wort gehört den Opfern. Der Zeuge soll es ergreifen, es zum Ausdruck bringen, und dieses Geheimnis anderen mitteilen.“199 Dabei ist allerdings zu vermeiden, dass die Opfer und ihre Sprache vereinnahmt werden. In diese Richtung gehend zielen die Beiträge von T. W. Adorno darauf, stets eine Sensibilität für die ästhetische Objektivierung des Leides wach zu halten, das die Opfer erfahren mussten.200

Der vorliegende Versuch einer Auslegung geistlicher Texte der Edith Stein ist in diesem Sinne ein Beitrag, die Stimme eines der Opfer von Auschwitz nachträglich hörbar werden zu lassen. Denn wo die betenden Opfer Gehör finden, dort haben die Täter nicht das letzte Wort. Vielmehr erfahren die Opfer und ihr Todesschrei nachträgliche Anerkennung. Dieses Anliegen meldet sich auch bei Gerhard Ludwig Müller zu Wort, der eine theozentrische Perspektive einnimmt: „Auschwitz als Tat der Mörder ist nicht das letzte Wort. Es wird zum Ort, wo Gott sein letztes Wort spricht, indem das Wort vom Kreuz zur Weisheit und uns allen zur Gerechtigkeit und Erlösung wird (1 Kor 1,30). Können wir nach Auschwitz noch beten?, so heißt eine bekannte Frage. Vielleicht wissen wir erst durch das Zeugnis des Sterbens in Liebe Edith Steins und anderer, was Beten angesichts des Todes überhaupt heißt. Gemeint ist das Beten nicht nur zu einem überweltlichen Wesen, das seine Liebe erweist, indem es die Welt einigermaßen in Ordnung hält und vor größeren Unfällen bewahrt, sondern das Beten zum Gott Jesu Christi, der einzig als der Gekreuzigte verkündigt wird: den einen empörendes Ärgernis, für andere eine Torheit, ‚für die Berufenen aber, Juden und Griechen, Christus, Gottes Kraft und Weisheit‘ (1 Kor 1,24).“201 Der Problematik, dass sich die Optik auf unsere Autorin nicht vom religiösen Standpunkt des Betrachters ablösen lässt, sondern unmittelbar virulent wird, ob ein jüdischer Betrachter oder ein christlicher sich ihrer Gestalt zuwenden, dem gilt im Abschnitt 6.2.2 über Edith Stein als betende Jüdin das Interesse. Daher kann hier darauf verzichtet werden, diese Problematik weiter zu entfalten.

3.2.2 Theologische Gebetshermeneutik bei Johann Baptist Metz

Die vorliegende Studie verdankt den Überlegungen, die Johann Baptist Metz hinsichtlich einer Theologie (des Gebets) nach Auschwitz202 vorgetragen hat, wertvolle Impulse. Grundlinien der Metzschen Theologie seien daher in gebotener Kürze und mit Blick auf die Fragestellung der vorliegenden Studie skizziert. Vorblickend sei auf eine auffällige Konvergenz seiner von der Apokalyptik herkommenden, zeitsensiblen Theologie, die christologisch hinsichtlich einer an der Gestalt Jesu Christi sichtbaren „gefährlichen Erinnerung“ konturiert ist, mit Positionen der Edith Stein hingewiesen.203 Der Name „Auschwitz“ wird für den Rahnerschüler und emeritierten Münsteraner Professor für Fundamentaltheologie zum Inbegriff einer grundlegenden Irritation herkömmlicher Theologie: „Auschwitz signalisierte für mich einen Schrecken jenseits aller vertrauten Theologie, einen Schrecken, der jede situationsfreie Rede von Gott leer und blind erscheinen ließ. […] Im Bewußtwerden der Situation ‚nach Auschwitz‘ drängte sich mir die Gottesfrage in ihrer merkwürdigsten, ihrer ältesten und umstrittensten Version auf, eben in der Gestalt der Theodizeefrage, und das nicht in existentialistischer, sondern gewissermaßen in politischer Fassung: Gottesrede als Schrei nach der Rettung der Anderen, der ungerecht Leidenden, der Opfer und Besiegten in unserer Geschichte.“204 Was mit „Auschwitz“ bedeutet wird, bildet für den frühen Metz mit der Herausforderung durch den Marxismus und mit jener durch die sozial geteilte und kulturell polyzentrische Welt eine dreifache Herausforderung für das theologische Denken.205 Dieses sieht er gefährdet, seine konkrete geschichtliche Situierung aus dem Blick zu verlieren und darin die Opfer der Geschichte ihrer Bedeutung zu berauben. Wo das geschieht, wird die Theologie zur Funktion einer „bürgerlichen“ Religiosität.206 Entgegen einer „verblüffungsfesten“207 und in seiner Wahrnehmung orts- und geschichtslosen theologischen (Gebets-) Hermeneutik plädiert er für eine „nachidealistische“ Theologie. Diese ist betont sensibel für ein besonderes Verstehen von Zeit: „‚Nachidealistisch‘ heißt dabei: Es ist der Theologie weder vergönnt noch zugemutet, in geschlossenen, situationsfreien Systemen ihre Welterklärungen und Daseinsinterpretationen vorzutragen. Sie kennt eigentlich keine Letztbegründungen, sondern eigentlich nur, wenn Sie mir dieses Wortspiel gestatten, sogenannte Zuletztbegründungen. Unabweisbar ist der Zeitfaktor im Spiel, ihre Botschaft hat einen Zeitkern. Ihre Logik ist nicht einfach eine Logik der Identität, sondern der Nicht-Identität. Das macht sie verletzbarer als die klassische Metaphysik, als jedes ideengeleitete Denken. Sie fußt auf vergleichsweise ‚schwachen‘ Kategorien wie Erinnern und Erzählen. Oder anders ausgedrückt und etwas akademischer formuliert: Die Logik der Theologie hat eine anamnetische Grundverfassung.“208 Diese kennzeichnet eine betont theodizee- und „leidempfindliche“ Haltung, anstatt die Frage nach Gott und nach der Antwort auf die Frage des Leids und des Übels im theologischen Diskurs zu entschärfen und „still zu legen“. Metz führt dazu aus: „Es gibt die Stilllegung der Theodizeefrage durch zuviel trinitätstheologisch eingekreistes und aufgehobenes ‚Leiden in Gott‘ und zuwenig zeitlich gespanntes ‚Leiden an Gott‘; es gibt zuviele kluge Antworten auf die Fragen: Wer ist Gott? Wo ist Gott? und zuwenig Artikulation einer offensichtlich biblischen Urfrage in der Gestalt von Schrei und Ruf: Wo bleibt Gott?“209 Metz plädiert dafür, dass den Leidenden Priorität zukommt: „Es gibt nämlich eine Autorität, die in allen großen Kulturen und Religionen anerkannt und durch keine Autoritätskritik überholt ist: die Autorität der Leidenden.“210 Dem Fundamentaltheologen zufolge müssen Leidende als Subjekte ernst genommen werden. Das wird in einer „anamnetischen“ Theologie möglich: „‚Subjektwerdung‘ gehört in das Grundprogramm der neuen politischen Theologie (vgl. etwa meinen Band ‚Glaube in Geschichte und Gesellschaft‘, Mainz 1977 u. ö.). Dieses Subjektverständnis – und das korrespondierende Ichsagen in der Theologie – ist in einer anamnetischen Anthropologie fundiert, in einer Erinnerungsanthropologie, in der das Subjekt an den Anderen, mit den Anderen (den Lebenden, fern und nah, und den Toten, den Besiegten und Opfern) zu sich selbst kommt und auch nur so sich selbst – in seiner Ichtiefe – weiß.“211 Diese Anthropologie ist christologisch fundiert. Sie wird von der „memoria passionis“212 Jesu Christi als einer „gefährlichen Erinnerung“213 getragen. Eine solche Theologie lenkt den Blick auf den „Plural von Leidensgeschichten“ und ist von vorne herein hellhörig für den „Zeitindex“ in aller theologischer Rede: „Nicht bei den Vorsokratikern, sondern in den eschatologisch-apokalyptischen Theodizeelandschaften der Bibel wäre der epochalen Frage nach ‚Sein und Zeit‘ und nach der Temporalisierung der Metaphysik nachzugehen. Dann ließe sich auch verlässlichere Auskunft geben über die Nähe und Ferne Gottes, über seine Transzendenz und seine Einwohnung, über das ‚Schon‘ und ‚noch nicht‘ seines Heils – beides jeweils nicht etwas zusammengerückt, sondern das eine im anderen und als das andere. Doch obwohl, wie gesagt, alle theologischen Seinsaussagen mit einem Zeitindex versehen sind, ist in der Theologie selbst kaum etwas so wenig ausgebildet, wie ein authentisches, ein ungeborgtes Verständnis von Zeit.“214