Segretissimo, streng geheim!

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Vermerk über Treffen mit „Stasi“: „Übergab Berichte und Zeitungsausschnitte.“

Ihr seien die Namen zweier männlicher Personen bekannt, von denen der eine ein 20-jähriger Innsbrucker Student sei, dem ein Angehöriger der sogen. „DDR“ Ös 20.000,– versprochen habe, wenn er entweder in Südtirol einen Hochspannungsmasten sprenge oder einen Mikrofilm (Spielmaterial?) aus Triest nach Tirol schmuggle. Der Student habe, nach eingehender Befragung durch Frau Dr. Stadlmayer, den Namen des SBZ-Mannes preisgegeben. Die Südtirol-Referentin war im Zweifel, ob sie den Fall der österreichischen Staatspolizei bekannt geben und Verfolgung einleiten lassen solle – oder lieber einen zur Verfügung stehenden „Draht” nach München benützen solle. Es wurde ihr vom Berichterstatter zum Zweiten geraten – auch in Anbetracht der stark rötlich durchsetzten österr. Polizei.49

Auch diesmal ist es die Aufgabe von Annelore Krüger, die Kohlen aus dem Feuer zu holen. „Frl. Kunze wird Stasi ins Gebet nehmen und um nähere Angaben zur Sache bitten“, heißt es in einer handschriftlichen Anmerkung zum Bericht. Auch diesmal kommt dabei aber nicht viel heraus.

Viktoria Stadlmayer scheint von der Idee der Oststeuerung wie besessen. Im April 1968 wiederholt sie ihre Auffassung, dass östliche Kräfte hinter den Anschlägen in Südtirol stehen. Otto von Eiselsberg („V-7331“) leitet die Stadlmayer-Aussagen in einem langen Bericht nach Pullach weiter:

Die österreichische Staatspolizei ermittelt seit einigen Monaten gegen die wirklichen Hintermänner der sogenannten Südtirol-Terroristen, die mit Sprengstoffanschlägen die italienischen Sicherheitsorgane seit längerer Zeit in Atem halten. Hauptaugenmerk hierbei sind die Verbindungen dieser Männer zu Oststaaten. Die Ermittlungen sind im Großen und Ganzen erfolgreich gewesen und werden in wenigen Wochen abgeschlossen sein.50

Stadlmayer behauptet, in die Ermittlungsakten der Staatspolizei Einsicht genommen zu haben. Aus diesen Akten gehe hervor, dass sich die östlichen Dienste dabei eines Kreises „supernationaler Österreicher“ bediene, die aus der früheren NSDAP oder dem „Sicherheitsdienst des Reichsführers SS“ (SD) stammen sollen. Die Innsbrucker Landesbeamtin gibt dann konkrete Details und Namen der verwickelten Personen weiter, darunter Norbert Burger, Hermann Munk, Erhard Hartung von Hartungen junior, Peter Kienesberger, Karl Schafferer und Hansjörg Humer.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt hat sich die Stimmung in Pullach aber grundlegend geändert. Reinhard Gehlen wird im Frühjahr 1968 als Leiter des BND von Gerhard Wessel abgelöst und geht mit 1. Mai 1968 in Rente. Damit verblasst auch der Stern der Innsbrucker Informantin „Stasi“ in Pullach. Die Dienststelle „Politische Auswertung“ im „Strategischen Dienst“, die Otto von Eiselsberg führt, antwortet sichtlich genervt, „dass sie kein Interesse an Mutmaßungen habe. Augenscheinlich lägen keine Beweise vor, da diese von der österreichischen Regierung zu ihrer Entlastung zweifellos benutzt worden wären.“51 Auch Annelore Krüger scheint mit ihrem Latein am Ende. Die Gehlen-Vertraute schreibt an den „Strategischen Dienst“:

Anliegender Vorgang mit Dank zurück. Ich habe mich gegenüber [Name geschwärzt – Anm. d. Autors] absichtlich zurückgehalten. Mir persönlich wäre es auch lieber, wenn sie diese innerösterreichischen Sicherheitsprobleme mit der dortigen STAPO [Staatspolizei − Anm. d. Autors] klären würde. – Was sollen wir dabei tun? Können ihre Quellen [Geschwärzt – Anm. d. Autors] in vorsichtiger Form auf die Zuständigkeit der STAPO hinweisen? 52

Mit der Ära Gehlen dürfte damit auch die Verbindung der Quelle „Stasi“ zum BND zu Ende gehen.

Was den direkten Draht von Silvius Magnago zum BND betrifft, der in der handschriftlichen Notiz von Hans Georg Langemann alias „Lückrath“ angedeutet wird, kann man nur spekulieren. 1960 meldet Carlo Bernardo Zanetti alias „Mumelter“ dem UAR als seinem Auftraggeber im römischen Innenministerium, dass der Südtiroler Landeshauptmann im Kontakt mit einem Hamburger Reeder stehe sowie laufende Verbindungen zum „Ruhr-Rhein-Club“ in Essen habe.53 Es handelt sich dabei um einen elitären Zirkel, der als Art Denkfabrik jahrzehntelang die deutsche und internationale Nachkriegspolitik nachhaltig beeinflusst. Heute weiß man, dass die „Organisation Gehlen“ und der BND in diesem Männerclub von Anfang an ihre Finger mit im Spiel hatten.

Demnach könnte Silvius Magnago über diese Schiene wirklich in Kontakt mit dem BND gekommen sein.

50 V-Männer für Südtirol


Geschwärzter BND-Vermerk (September 1963): „… wegen des außenpolitischen Gewichts der Südtirol-Frage“.

Über vier Dutzend Agenten und Zuträger informieren den BND über die Entwicklung in Südtirol. Vor allem über alte Seilschaften aus der SS und den SD versucht der deutsche Nachrichtendienst Kontakte aufzubauen. Eine besondere Rolle spielen dabei die „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS“ (HIAG) und ein Ferienhaus in Jenesien.

Das Schicksal der deutschsprachigen Minderheit in Norditalien und die politische Entwicklung rund um Südtirol sind auch in der jungen Bundesrepublik politisch ein immer wiederkehrendes Thema. Auch der deutsche Auslandsnachrichtendienst wirft von Anfang an ein Auge auf die ethnische Minderheit in Italien. Viele Akteure, die zuerst in der „Organisation Gehlen“ (Org.) und dann im „Bundesnachrichtendienst“ (BND) tätig sind, haben aus der Kriegszeit noch persönliche Verbindungen zu und nach Südtirol. Somit rückt das kleine Land zwischen Eisack, Etsch und Rienz unweigerlich in den Fokus des deutschen Geheimdienstes.

Als Anfang der 1960er-Jahre der „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) mit seinen Anschlägen gegen faschistische Denkmäler, Volkswohnbauten und Strommasten beginnt, weckt die illegale Untergrundbewegung auch das sicherheitspolitische Interesse des BND. Vor allem die Frage, ob die Anschläge der Südtiroler Separatisten vom Osten gesteuert sind, wird zu einem immer wiederkehrenden Narrativ in den Berichten des Nachrichtendienstes. Ein möglicher Konfliktherd mitten in Europa ist im beginnenden Kalten Krieg ein Gefahrenpotenzial, das nicht nur beim BND ernsthafte Befürchtungen auslöst.

So verwundert es nicht, dass sich im BND-Archiv ein umfassender Bestand an Akten zu Südtirol findet. Es handelt sich dabei jedoch nicht um einen einheitlichen, kompakten Bestand, sondern um ein wild zusammengewürfeltes Kompendium. Darin enthalten sind Spitzelberichte, politische und wirtschaftliche Analysen, Flugblätter, aber genauso Interna aus dem „Befreiungsausschuss Südtirol“ oder aus den Unterstützervereinen für Südtirol, wie der „Stillen Hilfe“ oder dem „Kulturwerk für Südtirol“. Anhand dieser Akten lassen sich mehrere zentrale Handlungsstränge nachzeichnen.

Man darf Nachrichtendienste grundsätzlich nicht als monolithischen Block sehen, in dem alle in eine Richtung marschieren. Zur Natur der Geheimdienstarbeit gehören diversifizierte und durchaus auch gegensätzliche Vorgangsweisen. So kann ein Teil eines Nachrichtendienstes eine Gruppe bekämpfen, während ein anderer Teil desselben Dienstes einen Spitzel oder Agenten hat, der in dieser Gruppe aktiv und führend mitwirkt. Die Herausforderung ist es, diese Gegensätze im richtigen Moment so zusammenzufügen, dass sie dem eigenen Dienst und damit dem eigenen Land zum Vorteil gereichen. Genau diese Vorgangsweise finden wir auch in Sachen Südtirol.

Ein Teil des BND steht dem Thema Südtirol und vor allem dem Ende der 1950er-Jahre offen auftretenden Konflikt äußerst skeptisch und ablehnend gegenüber, während ein anderer Teil durchaus mit der Attentäter-Bewegung sympathisiert. Dafür gibt es einen Grund. Das BND-Personal, sowohl auf der Ebene der Mitarbeiter wie auch auf jener der Zuträger und Informanten, ist zu diesem Zeitpunkt zu einem hohen Anteil mit ehemaligen Abwehr-, SS- und SD-Funktionären durchsetzt.1 Dadurch gibt es nicht nur ideologische Bezugspunkte zum Südtirol-Terrorismus, sondern innerhalb des BND auch persönliche Bekanntschaften und Kontinuitäten tief in den Kreis der Attentäter hinein.

Giovanni Gehlen & Südtirol

In dieser internen Auseinandersetzung um das Thema Südtirol spielt eine Person eine zentrale Rolle: Johannes „Giovanni“ Gehlen. Johannes Gehlen (1901–1986) wird bis heute meist als Halbbruder von Reinhard Gehlen bezeichnet. In Wirklichkeit ist er aber ein leiblicher Bruder des BND-Gründers. Die falsche Darstellung resultiert daraus, dass Johannes vorehelich gezeugt wurde. Für seinen Vater Walther Gehlen, einen Leutnant, war es zu Beginn des 20. Jahrhunderts unschicklich und mit der Offiziersehre unvereinbar, ein voreheliches Kind gezeugt zu haben. Deshalb wird die Mutter Katharina zur Entbindung in die Hauptstadt Italiens geschickt. Bald nach der Geburt kehrt sie nach Erfurt zurück und heiratet Walther Gehlen. Johannes Gehlen hingegen bleibt in Rom zurück und wird dort von dem kinderlosen deutsch-jüdischen Ärzteehepaar Hans Baum als Pflegekind großgezogen. Erst mit 18 Jahren erfährt Johannes, dass sein wirklicher Vater Walther Gehlen ist. Gehlen senior erkennt seinen Sohn wenig später offiziell an.

 

Johannes „Giovanni“ Gehlen geht in Rom zur Schule und nimmt dort ein Studium der Volkswirtschaft auf. Anschließend beginnt er eine Ausbildung in der Banco di Roma und der Barclays Bank. Von 1920 bis 1935 ist er als Bankbeamter tätig. 1934 tritt Gehlen der NSDAP bei. Von 1935 bis 1942 absolvierte er ein Zweitstudium der Physik, Mathematik und Astronomie an der Universität Leipzig, das er mit einer Promotion abschließt. Im Jahr 1938 wird er für eine kurze Übung bei der Nachrichtentruppe in München eingezogen, bleibt aber vom Kriegseinsatz verschont. Vom Studienende bis 1945 ist er als wissenschaftlicher Assistent am Kaiser-Wilhelm-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg tätig.2

Nach Kriegsende kehrt Johannes Gehlen nach Rom zurück, wo er anfänglich als Sekretär im Malteserorden tätig ist, aber schon bald ins Nachrichtengeschäft einsteigt. Ab Ende der 1940er-Jahre ist Gehlen hauptberuflich zuerst für die Org. und dann für den BND tätig, jenem deutschen Nachrichtendienst, den sein Bruder Reinhard aufbaut und leitet. Johannes Gehlen (DN „Bruder Hans“ oder „Gustav“, Tarnziffer „L 752“ oder „AK 14“) leitet bis zum Ende der Ära seines Bruders als sogenannter Resident das BND-Büro in Rom. Einer seiner engsten Mitarbeiter ist dabei ein österreichischer Adeliger mit Südtiroler Wurzeln, über den wir in diesem Buch noch lesen werden.3

Als Italienrepräsentant des BND beeinflusst Johannes Gehlen jahrzehntelang die Gangart seines Dienstes in Sachen Südtirol nachhaltig. Giovanni Gehlen ist ob seiner Herkunft sehr italophil und hat engste private und berufliche Beziehungen zum italienischen Nachrichtendienst „Servizio Informazioni Forze Armate“ (SIFAR). Vor allem in der heißen Phase der Südtirol-Attentate wird diese enge Freundschaft und Zusammenarbeit aber auf eine harte Probe gestellt. Offizielle Stellen im italienischen Innenministerium und im SIFAR beschuldigen Deutschland und selbst den BND mehrmals direkt, aktiv bei den Attentaten in Südtirol mitzumischen. „L 752“ alias Giovanni Gehlen versucht durchzusetzen, dass alle BND-Aktionen in und um Südtirol über seinen Schreibtisch gehen müssen. Was ihm jedoch keineswegs gelingt.

Gleichzeitig forciert der römische BND-Mann die Zusammenarbeit BND-SIFAR in Sachen Südtirol. Jahrelang leitet Giovanni Gehlen Aufklärungswünsche des italienischen Nachrichtendienstes über Südtirol und den BAS nach Pullach weiter, mit dem innigen Wunsch, diesen zu entsprechen. Gehlens Ziel: Der BND soll dem SIFAR im Kampf gegen die Südtirol-Attentäter zur Seite stehen und helfen. Mehrmals interveniert auf Wunsch der SIFAR-Spitze Giovanni Gehlen direkt bei seinem Bruder Reinhard Gehlen in diesem Sinne.

Doch Pullach kommt diesem Ansinnen nicht nach. Der BND beantwortet zwar immer wieder Anfragen aus Rom, Reinhard Gehlen & Co lassen sich aber weder in die Karten schauen noch von den italienischen Sicherheitsbehörden vor den Karren spannen. Dem BND gelingt so jahrelang eine Gratwanderung: Man gibt kaum etwas vom eigenen Wissen über die Entwicklung in Südtirol preis, schafft es aber, den italienischen Partnerdienst trotzdem bei der Stange zu halten.

Wie weit man dabei geht, zeigt eine Episode, die Hans Langemann Anfang der 1980er-Jahre dem deutschen Journalisten Frank Peter Heigl schildert. Hans Langemann alias „Lückrath“ ist Anfang der 1960er-Jahre innerhalb des BND einer der wichtigsten Akteure im „Strategischen Dienst“ und enger Vertrauensmann von Reinhard Gehlen. Anfang 1963 reist „Lückrath“ zusammen mit dem BND-Präsidenten nach Rom. In der Wohnung des BND-Statthalters Giovanni Gehlen treffen die drei BND-Männer den damals mächtigen italienischen General Giovanni De Lorenzo (1907–1973). Dieser ist von 1955 bis 1962 Leiter des SIFAR, von 1962 bis 1966 Generalkommandant der Carabinieri und von Februar 1966 bis April 1967 Generalstabschef des italienischen Heeres. Weil De Lorenzo die Spitze des SIFAR mit eigenen Vertrauensleuten besetzt hat, ist der General in Wirklichkeit in diesen Jahren mit einer Machtfülle ausgestattet wie niemand vor und auch nicht nach ihm. Giovanni De Lorenzo steht jahrelang sowohl an der Spitze der Carabinieri wie auch des italienischen Nachrichtendienstes.

Beim Arbeitsessen in Rom kommt man auch auf das heiße Thema Südtirol zu sprechen. Reinhard Gehlen stellt dabei „Lückrath“ als Leiter einer BND-Stelle vor, die gegen die Südtirol-Terroristen geschaffen wurde. Eine Behauptung, um gegenüber Italien die eigene Distanz zu den Attentätern zu untermauern. „Lückrath“, der aus seiner operativen Arbeit beste Informationen zu und über Südtirol hat, referiert geistesgegenwärtig über die Aktionsbereiche dieser Stelle, die es in Wirklichkeit nie gegeben hat.4

Aufregung um Terroristenausbildung

Wie politisch brisant das Thema Südtirol in der Bundesrepublik in diesen Jahren ist und wie schnell die aufflammenden Südtirol-Attentate zur ernsthaften Belastungsprobe der deutsch-italienischen Beziehungen werden können, wird Anfang Dezember 1960 deutlich.

Am 1. Dezember 1960 berichtet der deutsche Botschafter in Wien Carl Hermann Müller-Graaf in einem streng geheimen Fernschreiben an das Auswärtige Amt in Bonn über eine Aussprache mit dem österreichischen Außenminister Bruno Kreisky. Kreisky, der bekanntlich bestens über die internen Vorgänge im „Befreiungsausschuss Südtirol“ informiert ist, hatte nur wenige Tage zuvor in seiner Privatwohnung in Wien/Grinzing eine Aussprache mit den führenden Südtiroler BAS-Leuten Sepp Kerschbaumer, Jörg Pircher und Karl Tietscher.5 Im Gespräch mit dem deutschen Botschafter redet Kreisky auch über Südtirol und den Aufbau der illegalen Untergrundbewegung. Der österreichische Außenminister macht dabei die vertrauliche Mitteilung, dass deutsche Offiziere in Mittenwald in der Nähe der bayerischen Grenze zu Nordtirol Südtiroler Attentäter im Umgang mit Sprengstoff und Waffen ausbilden würden.

Diese Nachricht wird sowohl der deutschen Botschaft in Rom als auch dem BND zur Kenntnis übermittelt. Der deutsche Botschafter in Rom Manfred Klaiber antwortet am 7. Dezember 1960 sichtlich erregt:

Die vertrauliche Mitteilung, die der österreichische Außenminister Kreisky unserem Botschafter in Wien über den Befreiungsausschuss für Südtirol in Innsbruck und die Ausbildung von Terroristengruppen gemacht hat, sollte man meines Erachtens von unserer Seite keinesfalls auf sich beruhen lassen, sondern zum Gegenstand einer ernsten internen Untersuchung im Hinblick auf die von Kreisky angedeutete deutsche Beteiligung machen. Wenn der österreichische Außenminister schon einen „Riesenskandal mit den Italienern“ voraussieht, so würde es erneut die deutsch-italienischen Beziehungen schwerstens belasten, wenn bei einem Bekanntwerden der Angelegenheit tatsächlich die Beteiligung sogar aktiver deutscher Offiziere bei der Ausbildung von Terroristengruppen für Südtirol ruchbar würde. Es müsste wohl festgestellt werden können, ob tatsächlich Offiziere der Bundeswehr sich in der Nähe von Mittelberg (welches Mittelberg? – sic!) in letzter Zeit aufgehalten haben. Es erscheint mir dringend erforderlich, sich gegebenenfalls zeitig und möglichst vor Ausbruch des Skandals von diesen verantwortungslosen Elementen zu trennen, um jede deutsche Verantwortlichkeit an diesen Vorgängen in Abrede stellen zu können.6

In einem geheimen Fernschreiben, das aus dem BND-Büro Bonn direkt an Reinhard Gehlen geht, wird der BND-Präsident nicht nur über den Schriftverkehr der beiden Botschafter unterrichtet, sondern auch darüber, dass Bundeskanzler Konrad Adenauer unmittelbar eine Untersuchung der Vorgänge angeordnet habe. Adenauer beauftragt damit seinen Staatssekretär und Vertrauensmann Hans Globke (1898–1973). Globke ist ein Musterbeispiel der äußerst problematischen persönlichen Kontinuitäten in Deutschland. Der Jurist, in der NS-Zeit Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze und der verantwortliche Beamte für die judenfeindliche Namensänderungsverordnung, wird unter Adenauer von 1953 bis 1963 zum Chef des Bundeskanzleramtes. In dieser Rolle ist er einer der wichtigsten Verbündeten von Reinhard Gehlen bei dessen Aufstieg zum deutschen Geheimdienstchef und bei der Umwandlung der US-finanzierten und -geführten „Organisation Gehlen“ in den „Bundesnachrichtendienst“. Im Gegenzug halten der BND und die „Central Intelligence Agency“ (CIA) ihre Hand schützend über Hans Globke, sodass seine NS-Vergangenheit und -Belastung erst nach seinem Ausscheiden aus dem Bundeskanzleramt zum öffentlichen Thema werden. Das Verhältnis zwischen Globke und dem BND ist so eng, dass Gehlens Dienst der „grauen Eminenz“ im Kabinett Adenauer auch einen Decknamen gibt: „Globus“.

Kanzler Konrad Adenauer und Staatssekretär Hans Globke: Aufregung um angebliche Terroristenschule in Deutschland.

Nach der Order von Adenauer aktiviert der BND umgehend seine offiziellen Verbindungsleute und Quellen in der deutschen Bundeswehr, darunter einen BND-Mitarbeiter mit dem Decknamen „Horn“. Dahinter verbirgt sich Adolf Heusinger (1897–1982), Org.-Mitarbeiter und zu diesem Zeitpunkt erster Generalinspekteur der deutschen Bundeswehr. Heusingers schriftliche Antwort ist eindeutig: Es kann mit Sicherheit eine Beteiligung deutscher Offiziere sowohl in Uniform als auch in Zivil bei Ausbildung der Südtiroler Attentäter ausgeschlossen werden.

Im Fernschreiben an Reinhard Gehlen heißt es dann:

Die Erkenntnisse wurden Globus 15 Minuten nach Übergabe des Telegramms der Botschaft mitgeteilt. Aufgrund dieser Sachlage hielt er für ausgeschlossen, dass nunmehr seitens der Italiener offizielle Vorstellungen [sollte wahrscheinlich Vorwürfe heißen – Anm. d. Autors] erhoben werden können. Er bittet BND nur noch um Feststellung, ob und in welchem Umfang etwaige ehemalige deutsche oder österreichische Offiziere an der Ausbildung führend teilnehmen.7

Keine sieben Tage später liegt dieser Bericht vor. Verfasst vom Leiter der Abteilung „Politische Beschaffung“ im „Strategischen Dienst“, Kurt Weiß (1916–1994, DN „Winterstein“ und Tarnziffer „181“). „Winterstein“ ist zudem Stellvertreter von Wolfgang Langkau (1903–1991), dem Leiter des „Strategischen Dienstes“ und ein Intimus von BND-Chef Reinhard Gehlen. Berühmtheit erlangte Weiß, weil er persönlich jahrzehntelang die Pressekontakte des BND führt. Es sind fast 100 Journalisten und Journalistinnen, die auf der Payroll des deutschen Nachrichtendienstes stehen.8

Der Bericht von Kurt Weiß liefert detaillierte Informationen:

Nach Berichten verschiedener gut orientierter Quellen, die soeben nochmals bestätigt wurden, sind an der Ausbildung von Terroristengruppen keine deutschen Offiziere beteiligt. Es ist bekannt, dass ein Major des österreichischen Bundesheeres bis zu seiner kürzlich erfolgten Reaktivierung Gruppen der Untergrundbewegung geschult hat.

An der Ausbildung sind österreichische ehemaliger Offiziere der früheren Wehrmacht beteiligt, jedoch nur, soweit Schulungen und Übungen auf österreichischem Boden stattfinden. Die Ausbildung in Südtirol wird ausschließlich von Südtirolern durchgeführt. Unter diesen Ausbildnern sollten allerdings ehemalige Optanten für Deutschland (italienischer Staatsangehörigkeit) sein.

Anfang November 60 fand, wie im Einzelnen ermittelt werden konnte, in einem Gebirgstal in Nordtirol eine mehrtägige Übung für Angehörige illegaler Gruppen statt, deren Teilnehmer im Handgranatenwerfen und am MG von zwei ehemaligen Pionieroffizieren ausgebildet wurden. Auch in Südtirol fanden zur gleichen Zeit Übungen statt, z. B. in einem Ausbildungslager in Mühlwald bei Bruneck und im Pfitschtal.9

Dem BND gelingt es damit, die möglichen Anschuldigungen Italiens zu entkräften und das Bundeskanzleramt zu beruhigen. Aus dem Aktenbestand in Pullach geht jedoch hervor, dass das Thema „Ausbildung und Unterstützung der Südtirol-Terroristen in Deutschland“ in den nächsten sechs Jahren immer wieder aufbranden wird. Mehrmals muss der BND entweder auf Weisung des Bundeskanzleramtes oder auf direkte Anfrage des italienischen Partnerdienstes SIFAR tätig werden, um öffentliche Vorwürfe italienischer Stellen zu entkräften. In fast allen Fällen gelingt das auch.