Geheimdienste, Agenten, Spione

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Der unfolgsame Maler

Auch der bekannte Künstler Vladislav Kavan, der 1968 aus der Tschechoslowakei nach Bozen auswanderte, hat eine Vergangenheit als StB-Spitzel. Die Geschichte des Agenten „Malíř“.

In den 1970er-Jahren ist er eine der Größen in der Südtiroler Kunstszene und auch weit über Südtirol hinaus als Künstler und Grafiker bekannt: Vladislav Kavan (1924–2003). Zusammen mit seiner Frau Marcela Schützova (1927–2011) und ihrem dreijährigen Sohn flieht er im August 1968, eine Woche nach dem Einmarsch der Sowjettruppen und der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings, aus der ČSSR nach Italien. Nach einer kurzen Zwischenstation in Trient und Neumarkt lässt sich die Familie Kavan in Bozen und am Ritten nieder. Kavan wird in Südtirol vor allem durch seine „Löwenbilder“ bekannt. Weitgehend unbekannt dürfte sein, dass Vladislav Kavan kurzzeitig als Informant und Zuträger für die tschechoslowakische Staatssicherheit StB arbeitet und dabei auch in eine Geheimdienstoperation gegen einen bekannten Prager Literaten und Regimekritiker eingebunden ist.

Vladislav Kavan wird am 30. Juni 1924 in Baška, einem Dorf im Nordosten der Tschechoslowakei geboren. Kavans Vater ist Gendarmerie-Wachtmeister. Nach Abschluss der Grundschule tritt Kavan eine Stelle als Lehrling beim Eisenhüttenwerk Witkowitz in Mährisch-Ostrau an. Hier absolviert er bis 1943 eine Ausbildung zum Metalldreher. Im Herbst 1945 geht er nach Prag, wo er zuerst eine Grafikschule besucht und dann von 1946 bis 1951 an der Hochschule für Kunstgewerbe studiert. Kavan ist Mitglied des Verbands tschechoslowakischer bildender Künstler. Er zeigt seine Arbeiten in einer Reihe von Ausstellungen. Im März und April 1958 arbeitet er an der bildnerischen Ausgestaltung einiger Teile des tschechoslowakischen Pavillons auf der Weltausstellung in Brüssel. Außerdem unternimmt er im Jahr 1956 Studienreisen nach Polen und in die UdSSR.50 Am 19. Jänner 1959 wird Vlasislav Kavan von der „IV Verwaltung des Innenministeriums“ vorgeladen. Zwei StB-Offiziere kommen dabei schnell zu Sache. Sie werben den Künstler für den StB an. Kavan unterzeichnet eine handschriftliche Verpflichtungserklärung und erhält den Decknamen „Malíř“, was auf Tschechisch nichts anderes als „Maler“ bedeutet. In seinem Personalakt heißt es:

Kavan ist seit dem Jahr 1945 Mitglied der KPČ. In den zur Verfügung stehenden Beurteilungen wird angeführt, dass er eine Reihe verschiedener Parteifunktionen durchlaufen hat. In diesen Funktionen hat er sich als gewissenhafter Parteiarbeiter bewährt. Er wird als bewusstes Parteimitglied bewertet. […] Von seiner Persönlichkeit her ist Kavan als anständiger und intelligenter Mensch bekannt. Er hat ein gesellschaftliches Auftreten mit unerlässlichem gesellschaftlichem Takt, er kann sich Leuten in passender Art und Weise nähern und sie für sich gewinnen. Er hat ein kameradschaftliches und uneigennütziges Wesen. Zu Leuten hat er ein sehr gutes Verhältnis.51

Agent „Malíř“ wird direkt auf zwei Personen angesetzt. Eine davon ist František Šigut (1910–1970). Der in Stará Ves bei Přerov geborene Priester, Hochschulprofessor für Religion und Autor hat die österreichische Staatsbürgerschaft und wird vom StB der Spionage gegen die ČSSR verdächtigt. Das große Interesse der tschechoslowakischen Staatssicherheit gilt aber Ivan Diviš (1924–1999). Der bekannte Dichter und Literat wird 1941 noch als Gymnasiast in Prag von der Gestapo inhaftiert. Von 1942 bis 1949 arbeitet er als Lehrling in einer Buchhandlung sowie als Angestellter und Redakteur eines Verlages. Nach dem Abitur studierte er von 1945 bis 1949 Philosophie und Ästhetik an der Karls-Universität. Von 1960 bis 1968 ist er als Redakteur bei der Zeitung „Mlad fronta“ (Die junge Front) und kurz bei der Zeitschrift „Seity“ (Hefte) tätig. Auch Diviš geht im August 1969 ins Exil, und zwar nach München, wo er als Redakteur beim Rundfunksender Freies Europa tätig ist. Er wird erst 1997 nach Tschechien wieder zurückkehren.

Der StB verdächtigt Ivan Diviš Ende der 1950er-Jahre der Spionage und der Vorbereitung der Flucht ins Ausland. Vladislav Kavan lernt Diviš Ende 1958 zufällig in einem Prager Lokal kennen, schnell entwickelt sich eine enge Freundschaft zwischen den beiden. Weil ein anderer StB-Agent die beiden beobachtet, wirbt die tschechoslowakische Staatssicherheit Kavan als Informanten gegen den regimekritischen Literaten an. Im StB-Akt des Agenten „Malíř“ heißt es über das Anwerbungsgespräch:

Im Anbetracht dessen, dass sich Kavan bei der Unterredung als überzeugter, aufgeweckter und parteiisch ergebener Kommunist mit Verständnis für die Arbeit des Ministeriums des Innern zeigte und seine Bereitwilligkeit äußerte, bei dieser Arbeit behilflich zu sein, wurde er ersucht, mit Diviš engere Kontakte zu knüpfen. Dieses Ersuchen wurde Kavan gegenüber damit begründet, dass uns Diviš als Feind der volksdemokratischen Ordnung bekannt ist und wir daher mit dem Bemühen um engere Kontakte mit Kavan Interesse haben festzustellen, welche Ziele Diviš verfolgt. Kavan erklärte sich mit der Ausführung dieser Aufträge einverstanden. Innerhalb kurzer Zeit knüpfte er Kontakte zu Diviš, die sich rasch zu engeren freundschaftlichen Beziehungen entwickelten. Daraus ergab sich die Möglichkeit, Kavan zur weiteren „Erarbeitung“ von Divis einzusetzen.52

Maler Vladislav Kavan: Agent Malíř auf einen bekannten Schriftseller angesetzt.

„Malíř“ liefert 1959 dem StB mehrere Berichte über František Šigut und über Ivan Diviš ab. Der Agent arbeitet dabei durchaus zur Zufriedenheit seiner geheimen Auftraggeber. „Die übertragenen Aufgaben erledigte er überwiegend gut. Die Informationen, die er lieferte, waren wahrheitsgemäß“, schreibt einer seiner Führungsoffiziere später in einem Dienstbericht.53 Die Geheimdienstoperation hat dabei von Beginn an einen durchaus beunruhigenden Codenamen. Sie heißt Aktion „Unos“, was auf Tschechisch „Entführung“ heißt. Schon bald gerät Vlasta Slager (*1937), eine amerikanische Freundin des Prager Dichters, in den Fokus der kommunistischen Staatssicherheit. Doch zu diesem Zeitpunkt hat sich das Verhältnis zwischen dem Künstler und der Staatssicherheit deutlich verändert. Im StB-Akt werden „beträchtliche Launenhaftigkeit und zeitweise auch Undiszipliniertheit“, „Nichteinhaltung einiger Instruktionen“ und „eigenes unüberlegtes Vorgehen beim Erfüllen der Aufträge“ erwähnt. Anfang 1961 will die Staatssicherheit unbedingt, dass „Malíř“ einen Briefkontakt mit der US-Amerikanerin Vlasta Slager aufnimmt. Im StB-Akt heißt es dazu:

Malíř widersetzte sich diesem Ansinnen […] mit der Begründung, dass die Erfüllung weiterer Aufträge eine „Bremse“ für seine künstlerische Tätigkeit darstelle, und er drängt auf Erfüllung der Zusage, die ihm bei der Anwerbung gegeben wurde.54

Denn Vladislav Kavan stellt bereits bei seiner Anwerbung durch den StB eine klare Bedingung: Er arbeite nur bei der Operation „Unos“ gegen Ivan Diviš mit, danach wolle er nichts mehr mit den StB zu tun haben. Ende 1960 ist die Abklärung und Ausforschung von Diviš abgeschlossen und Kavan pocht nun auf die Einhaltung des Versprechens. Am 18. Jänner 1961 stellt der StB-Führungsoffizier deshalb offiziell den „Antrag zur Beendigung der Zusammenarbeit mit Agent Malíř“. Der Antrag wird wenig später genehmigt. Erst 14 Jahre später beschäftigen sich die tschechoslowakischen Behörden wieder mit Vladislav Kavan. Der inzwischen in Bozen lebende Künstler und seine Frau Marcela Schützova werden am 21. Dezember 1974 vom Bezirksgericht Prag 1 wegen Republikflucht (Strafgesetzbuch § 106) zu einer Freiheitsstrafe von jeweils 15 Monaten verurteilt.

Der Kurier

„Meine Jugend ist sehr traurig gewesen und meine schönen Zeiten haben erst nach dem Militär angefangen“, heißt es fast am Ende der vier handschriftlich eng beschriebenen Seiten. Dieser Satz steht im selbstverfassten Lebenslauf, den Heinrich (Heinz) Berger am 12. Dezember 1950 in Brünn an den StB übergibt.55 Fritz Stefaner ist nämlich nicht der einzige Zuträger, den Erich Bertol dem StB zuführt. Drei Monate nachdem er Stefaner in die ČSR gebracht hat, taucht Bertol alias „Sizunk“ in Brünn mit einem weiteren jungen Bozner auf. Heinrich Berger wird am 26. Jänner 1926 in Gries bei Bozen geboren. Er besucht in Bozen die italienische Grundschule und absolviert dann einen zweijährigen Handelskurs. Als Berger 13 Jahre alt ist, trennen sich seine Eltern und der Junge ist auf sich selbst gestellt. Er arbeitet zunächst als Gärtner und dann als Vorarbeiter und Assistent des Geschäftsführers in einem landwirtschaftlichen Betrieb. 1944 wird Berger mit 18 Jahren – wie er im eigenen Lebenslauf schreibt – „mit Freuden“ zu den Gebirgsjägern einberufen. Nach der Ausbildung wird er der SS überstellt und kommt in eine Schule des Sicherheitsdienstes.56 Der „Sicherheitsdienst des Reichsführers SS“ (SD) wurde 1931 als Geheimdienst der NSDAP und der SS gegründet und unterstand ab 1939 dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Der SD wurde gezielt zur Bekämpfung und Vernichtung politischer Gegner und Einschüchterung der Bevölkerung eingesetzt und war für zahlreiche Kriegsverbrechen verantwortlich. Über seine Auslandsgliederung beschäftigte er sich zudem mit Spionage und verdeckten Operationen.

Heinrich Berger ist in Triest und Görz stationiert und kommt im Februar 1945 bei der blutigen Partisanenbekämpfung in Jugoslawien zum Einsatz. Als er verwundet wird, liefert man ihn in das Lazarett Görz ein. Dort wird er zum SS-Unterscharführer befördert. Ende April 1945 entlassen, erlebt er noch den Rückzugskampf der deutschen Truppen über Triest und Venedig bis nach Villach. Am 13. Mai 1945 wird er von den Amerikanern verhaftet und in den Kriegsgefangenenlagern von Rimini und dann Taranto interniert. Am 10. April 1946 gelingt ihm in Taranto die Flucht. Er schlägt sich zu seinem Vater nach Bozen durch, wo er sechs Monate lang arbeitet. Im März 1947 zieht er zusammen mit einem Geschäftspartner einen Obst- und Gemüsehandel auf, doch das Unternehmen rutscht bereits nach sechs Monaten in den Konkurs. 1948 arbeitet er als Vertreter des Mailänder Verlages Rizzoli und nimmt in dieser Funktion auch geschäftliche Beziehungen zu Österreich auf. In Schwaz in Tirol lernt er dabei seine spätere Verlobte kennen, die er 1951 auch heiratet.57 1950 arbeitet Heinrich Berger als Vertreter der Firma Scipione di Bergamini aus Brescia, die im Großhandel für Strümpfe tätig ist. Für diese Arbeit kauft er sich im Mai 1950 ein Auto, einen Opel Olympia. Es mag heute merkwürdig klingen, aber das ist am Ende einer der Hauptgründe dafür, dass der damals 24-jährige Bozner im Dezember 1950 von der tschechoslowakischen Staatssicherheit angeworben wird.

 

Das StB-Agentennetz um Hans Morandell, Edgar Meininger, Erich Bertol und Friedrich Stefaner operiert auf der Achse Rom–Bozen–Innsbruck–Wien–Brünn. Periodisch stehen dabei Reisen an. Immer wieder müssen die StB-Agenten zumeist im Zug oder im Bus lange Fahrten mit kompromittierenden Dokumenten unternehmen – meist über mehrere Staatsgrenzen. Die Verhaftungen in Hollabrunn haben allen Beteiligten gezeigt, wie gefährlich diese Art der Fortbewegung und Nachrichtenübermittlung ist. Längst ist klar, dass man eine Art Kurier braucht. Und genau diesen Kurier glaubt man jetzt in Heinrich Berger gefunden zu haben. Das geht auch aus Bergers StB-Akten hervor, wo es wörtlich heißt:

Heinz Berger ist ein italienischer Staatsbürger, der 1926 geboren wurde. Absolvent der Handelsschule. Er spricht Italienisch, Deutsch und Englisch. Zum Zeitpunkt seiner Übernahme war er angeblich als Handelsvertreter beschäftigt. […] Er besitzt einen Pass, der für alle Staaten von Europa gültig ist. Er besitzt ein Auto, mit dem er beste Voraussetzungen für Auslandsreisen hat. Er hat seinen ständigen Wohnsitz in Bozen, von wo er oft auf Geschäftsreise nach Österreich, Deutschland und in die Schweiz reist. In Österreich hat er eine Verlobte in Schwaz bei Innsbruck. Es wird auf finanzieller Basis angeworben und er hat mit den Möglichkeiten, die sich aus seinem Beruf ergeben, beste Voraussetzung für die Verwendung als Kurier.58

Diese Rolle geht auch aus dem Decknamen hervor, den der StB dem neuen Agenten anfänglich zuteilt. Nachdem Heinrich Berger am 12. Dezember 1950 in Brünn eine Verpflichtungserklärung unterzeichnet, gibt der ČSR-Geheimdienst ihm zunächst den Decknamen „Vyfunk“, auf Deutsch „Auspuff“. Schon wenige Wochen später ändert man diesen und Berger wird in den nächsten fünf Jahren dem StB unter dem Decknamen „Tryska“ (Düse) dienen. Diese Namensänderung gründet in der besonderen Aktivität, die der junge Bozner schon bald entfaltet. Im Schriftverkehr und in den Telegrammen, mit denen er seine Ankunft in der ČSR ankündigt, firmiert „Tryska“ anfänglich als „Herbert“, ab 1952/53 dann als „Günther Dalmonte“. Doch wie wurde der StB überhaupt auf ihn aufmerksam? Heinrich Berger ist mit Erich Bertol und Friedrich Stefaner befreundet und es ist Bertol, der den Kontakt zum StB herstellt und Berger kurz vor Weihnachten 1950 erstmals in die ČSR bringt. Der Grieser Vertreter emanzipiert sich jedoch schnell von seinen Freunden. Bereits am 25. Jänner 1951 kommt „Tryska“ allein nach Brünn. Drei Jahre lang reist Berger danach alle zwei, drei Monate in die ČSR, übergibt Berichte, Fotos und Dokumente und kassiert dafür viel Geld. Auch dazu findet sich in seinem Personalakt eine detaillierte Auflistung. Zwischen 1950 und 1953 erhält „Tryska“ von seinen tschechischen Auftraggebern 25.863 Kronen, 5.542.000 Lire, 87.480 Schilling, 600 Schweizer Franken und 1.450 US-Dollar.59 Im März 1951 übergibt der StB an „Tryska“ einen Fotoapparat. „Er erfüllte die Aufgaben sehr gut, demonstrierte die Fähigkeit eines guten Fotografen und schafft es Nachrichten zu beschaffen, obwohl er nicht dazu ausgebildet ist“, notiert jener StB-Beamte, der für Berger zuständig ist, in einem seiner ersten Dienstberichte.60

Heinrich Berger, eigentlich als Kurier für das Netzwerk eingestellt, beginnt unmittelbar nach seiner Anwerbung selbst Informationen zu sammeln und Zuträger zu rekrutieren. So schafft er es, Kontakt zu einem Ingenieur aus Innichen aufzunehmen, der für die Militärbunker im Oberpustertal und zur Grenze nach Osttirol zuständig ist. Berger gelingt es so, Foto und Pläne nach Brünn bringen. In den Jahren danach wird „Tryska“ Fotos, Zeichnungen und Pläne fast aller Südtiroler Militäranlagen, darunter auch der Festung Franzensfeste, dem StB übermitteln. Agent „Tryska“ versucht sich dabei ganz bewusst von Erich Bertol abzukuppeln. In einem handschriftlichen Bericht vom Herbst 1951 beklagt er sich bei seinem StB-Führungsoffizier:

Heinrich Berger alias „Tryska“ (Foto aus seinem StB-Akt): „Er wurde auf finanzieller Basis angeworben.“

Wenn ich schon den Auftrag habe, Verbindungsmann zu sein, möchte ich diesen auch durchführen und mich nicht nur von Erich an der Nase herumführen lassen. […] Erichs Angeberei muss für immer aufhören, zumindest in Bozen mit Stefaner Fritz.61

Zwischen Frühjahr und Ende 1951 baut Heinrich Berger ein eigenes Netz von Zuträgern auf, die ihm Informationen, Berichte und Dokumente aus dem militärischen Bereich und darüber hinaus liefern. Auch sie wissen, für wen sie arbeiten. In den Akten aus Prag sind Dutzende handschriftliche Bestätigungen für Zahlungen zu finden, die diese Zuträger unterschreiben. „Tryska“ stützt sich bei seiner Arbeit vor allem auf vier junge Bozner Freunde: Franz Smaniotto, Hermann Larcher, Roman Rauter und Alfred Macchia.

Hermann Larcher, am 14. Juli 1922 in Brixen geboren, wird 1946 Mitglied der Bozner Stadtpolizei. Ende 1949 tritt er aus dem Dienst aus und bewirbt sich bei der Staatspolizei. Obwohl er aufgenommen wird, quittiert er nach wenigen Tagen den Dienst und kehrt aus Rom nach Bozen zurück. Danach arbeitet Larcher eine Zeit lang für ein privates Detektivbüro. Hermann Larcher, damals in der Bozner Silbergasse 22 wohnhaft, ist in Sachen Informationsbeschaffung ein Profi. Das weiß man auch im italienischen Innenministerium. In einem streng geheimen Akt aus dem Jahr 1952 heißt es über ihn:

Seitdem geht er keiner geregelten Arbeit mehr nach, er lebt von Gelegenheitsjobs und er arbeitet mit Personen zusammen, die in der Informationsbeschaffung auch für fremde Mächte tätig sind. […] Er hat vor allem Kontakte zu Erich Bertol und anderen zwielichtigen Figuren.62

Franz Smaniotto und Roman Rauter korrespondieren ab 1952 über die Brünner Adresse „Anton Zigmund, Krenova 42, Brno“ direkt mit dem StB-Verbindungsmann, der unter dem Decknamen „Gottlieb“ auftritt. Aus einem Brief dieses StB-Mannes an Franz Smaniotto vom September 1951 geht deutlich hervor, welche Rolle der StB anfänglich Heinrich Berger, auch Heinz genannt, zuschreibt:

Lieber Freund,

Ich bin sehr froh, dass Sie mit Heinz in Verbindung zusammen gekommen sind, der besonders mein volles Vertrauen genießt. Ich hoffe, dass auch Sie mit Ihrer soliden verlässlichen Arbeit mein volles Vertrauen in gleicher Weise gewinnen.

Haben Sie Vertrauen zu Heinz und falls Schwierigkeiten Ihrerseits [auftreten], wenden Sie sich ganz ruhig zu uns durch Heinz.

Ich sende Ihnen für die bis jetzt erfolgreiche Arbeit den Betrag von 50.000 Lire, alle übrigen nötigen Ausgaben für die Reise bekommen Sie von Heinz.63

Franz Smaniotto soll im Herbst 1951 zu seinen Auftraggebern in die ČSR kommen. Weil der junge Bozner aber keinen Reisepass erhält, kommt diese Reise letztlich nie zustande. Roman Rauter hingegen fährt nach Brünn, wo er formal vom StB angeworben wird. Er bekommt den Decknamen „Přerušovač“, auf Deutsch „Unterbrecher“. Alfred oder Alfredo Macchia bleibt hingegen ein Phantom, der Verfasser konnte zu ihm bisher keine genaueren Informationen finden. Das Quartett um Heinrich Berger sucht sich in den folgenden Jahren bewusst Dutzende Angehörige des italienischen Heeres, um von diesen interne Informationen über Streitkräfte, Befehlskette, Bewaffnung und Taktik zu bekommen. Sie werben nicht nur gleichaltrige Bozner an, die den Wehrdienst absolvieren, sondern sie dehnen ihr Netz schon bald auf die gesamte italienische Halbinsel aus. Agent „Tryska“ kann dabei auf familiäre Hilfe zählen. Bergers ältere Schwester Hilde Berger heiratet am 30. April 1951 in Rom Massimo Azzara, Feldwebel beim italienischen Heer. Dieser Schwager dient für Berger als Türöffner zu vielen italienischen Militärangehörigen. Dabei wagen sich Berger und seine Mitstreiter im Spätherbst 1951 auf ein Gebiet vor, das die ČSR besonders interessiert: die italienische Luftwaffe und der Bereich der Düsenflugzeuge. Daher dürfte wohl auch der Deckname „Tryska“ stammen. Das Quartett wirbt mit Leutnant Rolando Diletti einen Piloten an, der im „Comando 1. Zona Aerea Territoriale“ (1. ZAT) in Mailand seinen Dienst tut. Im Falle eines Krieges läuft die Befehlskette der italienischen Luftwaffe über vier solcher regionaler Luftzonen in Mailand, Palermo, Rom und Bari. Schon wenig später schafft es Roman Rauter, mit Corrado Pardeller einen zweiten, im Mailänder Luftwaffenkommando tätigen Zuträger anzuwerben. Einen weiteren Informanten mit den Initialen „Z. L.“ – der gesamte Namen kommt in den Akten nicht vor – hat Rauter im sizilianischen Luftwaffenkommando in Palermo angeheuert. Die Zusammenarbeit mit diesem Zuträger wird aber schon bald ergebnislos beendet. Dafür liefern Diletti und Pardeller in den Monaten und Jahren danach für Geld immer wieder Berichte und geheime Dokumente, Befehle, Handbücher für Militärflugzeuge und Lehrbücher aus dem Mailänder Luftwaffenkommando.

Heinrich Berger, der zuerst in Meran und dann in Bozen in der Cadornastraße wohnhaft ist, dürfte zu diesem Zeitpunkt bereits hauptberuflich ins Spionagegeschäft eingestiegen sein. Offiziell hat er eine eigene Vertretung aufgebaut: So finden sich im StB-Akt mehrere Schreiben auf dem Briefpapier: „Heinz Berger – Vertretungen – Besteck/Eisenwaren, Bozen Mendelstraße 18“. 1952 mietet sich Berger alias „Tryska“ in Mailand ein Zimmer, das er als Büro und Wohnung nutzt. Der Hauptgrund für den Standortwechsel sind die beiden Zuträger aus der italienischen Luftwaffe. Denn es ist vor allem Berger, der die Dokumente und Berichte in Mailand direkt übernimmt. In seinem StB-Akt befinden sich mehrere ungelenke Zeichnungen, darunter auch ein Straßenplan, auf dem ein Café auf der Piazza Morbegno in Mailand eingezeichnet ist. Dazu eine zweite Zeichnung, die das Innere des Cafés zeigt, und ein sogenannter toter Briefkasten im Oberboden in der Toilette. Dies ist der Übergabeort, wo Diletti und Pardeller die Dokumente und Berichte deponieren und gleichzeitig ihr Geld entgegennehmen. Das Netzwerk um Heinrich Berger ist sehr aktiv. Dabei fällt auf, dass die Berichte im Laufe der Zeit immer professioneller werden. Das dürfte auch an der Ausbildung von Hermann Larcher liegen. Es finden sich Dutzende Originalberichte in italienischer Sprache in den Prager Akten, die aber einen deutschen Titel wie „Auftrag Mantova“, „Auftrag Pavia“ oder „Auftrag Bologna“ tragen. Zudem übergibt „Tryska“ auch deutschsprachige „Eigenberichte“, so etwa im Februar 1952 einen Bericht über einen gewissen „Ing. Werner Schmid“, der während des Krieges in Halle und Peenemünde in den NS-Versuchsanstalten als Flugzeugkonstrukteur und Düsenforscher tätig war. Der Mann, von dem „Tryska“ ausgeht, dass er einen falschen Namen angegeben habe, warte in Genua auf seine Papiere für die Ausreise nach Südamerika. Berger will ihn über einen Mittelsmann für die Tschechoslowakei anwerben, was am Ende aber nicht gelingt.64 Welche wichtigen Dienste Heinrich Berger und sein Netzwerk für den StB leisten, geht aus einem besonderen Dokument im „Tryska“-Akt hervor. Es ist die Kopie eines Schreibens, das der Chef des Generalstabes im italienischen Verteidigungsministerium am 27. August 1952 an den General des IV. Armeekorps in Bozen schickt, aus dem eine bisher kaum bekannte Anordnung im anbrechenden Kalten Krieg hervorgeht. Im April 1949 wird die NATO (North Atlantic Treaty Organization) aus der Taufe gehoben, Italien gehört zu den Gründungsmitgliedern. In dem streng geheimen Schreiben teilt der oberste italienische Militärbefehlshaber mit, dass aufgrund eines Abkommens zwischen der italienischen Regierung und dem Oberbefehlshaber der NATO-Truppen (Supreme Allied Commander Europe) die territoriale Befehlsgewalt über die nördlichste Grenze Italiens neu festgelegt wurde: In einem Gebiet von 150 Kilometern östlich und westlich des Brenners und südlich bis nach Lavis bei Trient gehe das territoriale militärische Recht an das alliierte Oberkommando über. In der Depesche aus dem Verteidigungsministerium heißt es:

 

Diese Anordnung, die auf taktischen und strategischen Überlegungen zur militärischen Sicherheit fußt, bringt die unmittelbare Übergabe der obersten militärischen Gewalt an die höchste alliierte Stelle in Italien.

Demnach gelte der Generaloberst des in Livorno stationierten Logistical Command Hermann Wissering ab sofort als verantwortlicher Oberkommandant aller italienischen Truppen, die in diesem Gebiet zwischen dem Brenner und Lavis stationiert sind.65

Dieses Dokument ist in der italienischen Öffentlichkeit bis heute kaum jemandem bekannt. Es ist aber ein Zeitdokument, das auch fast 70 Jahre später für Diskussionen sorgen kann. Denn nach diesen eindeutigen Vorgaben gibt Italien nicht nur die militärische Hoheit über Südtirol und das halbe Trentino ab, sondern es wird an der Grenze zum damals noch besetzten Österreich auch eine Art extraterritoriale Pufferzone geschaffen. In den vergangenen Jahrzehnten wurde in Italien immer wieder über die durch die USA „eingeschränkte Souveränität“ diskutiert, dieser Verzicht auf die militärische und territoriale Befehlsgewalt in und um Südtirol ist nun ein weiterer Mosaikstein in dieser Lesart. Was aber besonders beeindruckt: Agent „Tryska“ übergibt dieses brisante Schreiben bereits am 4. Oktober 1952 der tschechoslowakischen Staatssicherheit. All dies macht deutlich, dass das Südtiroler StB-Netzwerk kein Pfadfinderverein ist.