Konstruktives Interkulturelles Management

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Kontext: Implizite und Explizite Kommunikation
Indirekte, spielerische und mehrdeutige Übermittlung von Informationen. Implizite Kommunikation ist schneller. Nur Beteiligte, die schon Vorwissen (Kontext) haben, verstehen Informationen richtigDirekte, detaillierte und eindeutige Übermittlung von Informationen. Explizite Kommunikation ist langsamer. Alle Beteiligten verfügen über ein ähnliches Wissensniveau
Raumverständnis: Proxemik
Strukturierung und Nutzung des Raums durch Ordnungs- und Leitungssysteme. Physischer Abstand (Nähe und Distanz) zwischen PersonenAufteilung, Ordnung und Nutzung des Raumes im Privatleben (Wohnung, Haus), im öffentlichen Leben (infrastrukturelle Maßnahmen) und in Unternehmen (Größe, Anordnung und Gestaltung von Gebäuden und Büros nach Zugehörigkeit, Funktionen, Hierarchien etc.)Eigenes menschliches und zugleich kulturspezifisches Kommunikationssystem, dessen Basiseinheiten (Körperhaltung oder Körperberührung) über verschiedene Kommunikationskanäle übermittelt werden und ein komplexes Muster des Raumverhaltens bilden
Zeitverhalten: Polychronie – Monochronie
(= vieles gleichzeitig)Im Arbeitsrhythmus finden sich häufig unvorhergesehene Unterbrechungen, Improvisation ist gefragt Individuen messen Pünktlichkeit weniger Bedeutung zu, als Individuen monochroner GesellschaftenZwischenmenschliche Beziehungen haben höhere Priorität als Aufgaben und ein festes Arbeitsprogramm(= eins nach dem anderen)Zeit wird eingeteilt in kleine, unabhängige EinheitenRisiken werden durch Planung und Formalisierung verringert oder ausgeschaltet Arbeitsrhythmus ist gleichmäßig, Stress-Situationen sind dadurch selten. Eintreffende Ungewissheit ist störend, bringt den Ablauf durcheinander und kann Orientierungslosigkeit bewirken

Tab. 22: Kulturdimensionen nach Hall (1966, 1983)

Weitere Kulturdimensionen stammen von dem Niederländer Geert Hofstede (1980, 2001). In seiner quantitativ durchgeführten Studie untersuchte er mithilfe standardisierter Fragebögen arbeitsbezogene Wertorientierungen und Einstellungen von 116.000 IBM-Mitarbeitern in 72 Ländern. Die Interpretation der Ergebnisse erfolgte durch Konzepte der Psychologie und Soziologie. Die gefundenen Kulturdimensionen (Tab. 23) sollen objektive und vergleichbare Kriterien zur Beschreibung und Analyse unterschiedlicher Gesellschaften liefern und weisen je nach Gesellschaft relativ unterschiedliche Ausprägungen auf. Sie werden anhand von Indizes in ein Ranking nach Ländern eingereiht. Mit seiner Studie Culture’s Consequences (1980, 2001) legte Hofstede die Basis für den strategischen Umgang mit kulturellen Einflüssen in der internationalen Arbeitswelt.


Hohe Machtdistanz – Niedrige MachtdistanzAusmaß, bis zu welchem die weniger mächtigen Mitglieder von Institutionen bzw. Organisationen eines Landes erwarten und akzeptieren, dass Macht ungleich verteilt ist.
Tendenz zur ZentralisationMitarbeiter erwarten, Anweisungen zu erhalten Der ideale Vorgesetzte ist der wohlwollende Autokrat oder gütige VaterTendenz zur Dezentralisation Mitarbeiter erwarten, in Entscheidungen miteinbezogen zu werden Der ideale Vorgesetzte ist der einfallsreiche Demokrat
Kollektivismus – Individualismus
Individuen sind in starke, geschlossene Wir-Gruppen integriert, die ihn schützen und dafür bedingungslose Loyalität verlangenBeziehung Arbeitgeber-Arbeitnehmer wird an moralischen Maßstäben gemessen, ähnlich einer familiären Bindung Management bedeutet Management von GruppenBeziehung hat Vorrang vor AufgabeBindungen zwischen Individuen sind locker: Man erwartet von jedem, sich um sich selbst und seine unmittelbare Familie zu sorgenBeziehung Arbeitgeber-Arbeitnehmer ist ein Vertrag, der sich auf gegenseitigen Nutzen gründen sollManagement bedeutet Management von Individuen Aufgabe hat Vorrang vor Beziehung
Schwache Unsicherheitsvermeidung – Starke UnsicherheitsvermeidungGrad, bis zu dem sich die Angehörigen einer Kultur durch ungewisse oder unbekannte Situationen bedroht fühlen.
Zeit ist ein Orientierungsrahmen Wohlbefinden bei Müßiggang, harte Arbeit nur, wenn erforderlich Präzision und Pünktlichkeit müssen erlernt werden Motivation durch Leistung und Wertschätzung oder soziale BedürfnisseZeit ist GeldEmotionaler Drang nach Geschäftigkeit, innerer Drang nach harter Arbeit Präzision und Pünktlichkeit sind natürliche Eigenschaften Motivation durch Sicherheitsbedürfnis und Wertschätzung oder soziale Bedürfnisse
Maskulinität – Femininität
Geschlechterrollen sind klar abgegrenzt: Männer haben bestimmt und hart orientiert zu sein, Frauen sollen bescheidener, sensibler sein und Wert auf Lebensqualität legen Leben, um zu arbeiten Betonung liegt auf Fairness, Wettbewerb unter Kollegen und Leistung Konflikte werden beigelegt, indem sie ausgetragen werdenGeschlechterrollen überschneiden sich: Sowohl Frauen als auch Männer sollten bescheiden und feinfühlig sein und Wert auf Lebensqualität legen Arbeiten, um zu leben Betonung liegt auf Gleichheit, Solidarität und Qualität des Arbeitslebens Konflikte werden durch Verhandlung und Kompromiss beigelegt
Langfristorientierung – KurzfristorientierungDimension nachträglich hinzugefügt nach der Chinese Value Survey (1985).
Förderung von Tugenden, die sich an zukünftigen Belohnungen orientieren, insbesondere Ausdauer und Sparsamkeit Zu den wichtigsten Arbeitswerten gehören Lernen, Ehrlichkeit, Anpassungsfähigkeit, Verantwortlichkeit und Selbstdisziplin Langfristige Pläne werden erstellt Hohe Bedeutung von Traditionen Ausdauer und Beharrlichkeit bei der Verfolgung von ZielenFörderung vergangener und gegenwärtiger Tugenden, insbesondere die Achtung der Tradition, die Wahrung des »Gesichtes« und die Erfüllung gesellschaftlicher Verpflichtungen Zu den wichtigsten Arbeitswerten gehören Freiheit, Rechte, Leistung und selbstständiges Denken Kurzfristige Planung wichtiger als langfristige Planung Erwartung kurzfristiger Gewinne Konsumneigung
Genuss – ZurückhaltungDimension basierend auf Minkovs Begriff von Indulgence vs. Restraint (Minkov/Hofstede 2011).
Freie Befriedigung grundlegender und natürlicher menschlicher Bedürfnisse in Verbindung mit Lebensfreude und Vergnügen Entspannte Haltung zu Arbeit, Sparsamkeit und Abweichungen Hohe Priorisierung der Freizeit Wahrnehmung, das eigene Leben kontrollieren zu könnenÜberzeugung, dass Befriedigung menschlicher Bedürfnisse durch strenge soziale Normen eingedämmt und reguliert werden sollte Persönliche Disziplin, um das Ziel zu erreichen Geringe Priorisierung der Freizeit Wahrnehmung von Hilflosigkeit: »Was mit mir geschieht, ist nicht mein eigenes Tun«

Tab. 23: Kulturdimensionen nach Hofstede (1980, 2001, 2010 et al.)

Zwei weitere Personen, die Kulturdimensionen maßgeblich prägten, sind der Niederländer Fons Trompenaars, der 1993 das Werk Riding The Waves of Culture veröffentlichte, und der Brite Charles Hampden-Turner. Beide Forscher haben als Berater- und Autoren-Tandem zahlreiche Werke veröffentlicht. Wie auch Hofstede stützen sie sich auf die Annahme von Kluckhohn und Strodtbeck (1961), dass Kulturen universellen Problemen gegenüberstehen, wofür sie jeweils unterschiedliche Lösungen finden (Trompenaars/Hampden-Turner 1997). Methodisch arbeitete Trompenaars in seiner ersten Studie (1993) mit 30.000 standardisierten Fragebögen, die er in 30 Unternehmen in 50 verschiedenen Ländern beantworten ließ. Die daraus resultierenden Kulturdimensionen leiten sich zum einen von Kluckhohn und Strodtbeck (1961) ab, zum anderen von dem US-amerikanischen Soziologen Talcott Parsons (1952) und Parsons und Shils (1951/1991). Sie finden sich in Tab. 24.


Universalismus – PartikularismusGrad der Wichtigkeit, den eine Kultur entweder dem Gesetz oder den persönlichen Beziehungen beimisst.
Haltung, die besagt, dass Normen und Regeln für das Verhalten gegenüber anderen Menschen für alle gleich geltenHaltung, die besagt, dass partikulare Verpflichtungen gegenüber einzelnen Mitgliedern wichtiger sind, als das Befolgen allgemeinverbindlicher Normen und Regeln
Individualismus – KollektivismusGrad, zu dem Menschen sich selbst eher Individuum sehen oder eher einer Gemeinschaft zugehörig fühlen.
Individuum steht vor der Gemeinschaft. Das bedeutet, dass individuelles Glück, Erfüllung und Wohlergehen vorherrschen, Menschen Eigeninitiative zeigen und für sich selbst sorgenGemeinschaft ist wichtiger als die Einzelperson. Es liegt also in der Verantwortung Einzelner, im Dienste der Gesellschaft zu handeln. Damit werden individuelle Bedürfnisse bereits automatisch berücksichtigt
Spezifität – DiffusitätGrad, zu dem Verantwortung spezifisch zugewiesen oder diffus akzeptiert wird.
Akteure analysieren zuerst die Elemente einzeln und setzen sie dann zusammen. Das Ganze ist die Summe seiner Teile. Das Leben der Menschen ist dementsprechend geteilt und es kann jeweils nur auf eine einzige Komponente eingegangen werden. Interaktionen zwischen Menschen sind klar definiert. Individuen konzentrieren sich auf Fakten, Standards und VerträgeEine diffus orientierte Kultur beginnt mit dem Ganzen und sieht einzelne Elemente aus der Perspektive des Ganzen. Alle Elemente sind miteinander verknüpft. Beziehungen zwischen Elementen sind wichtiger als einzelne Elemente
Neutralität – AffektivitätGrad, zu dem Individuen ihre Emotionen zeigen.
Menschen wird beigebracht, ihre Gefühle nicht offen zur Schau zu stellen. Der Grad, in dem sich Gefühle manifestieren, ist daher minimal. Emotionen werden kontrolliert, wenn sie auftretenIn einer affektiven Kultur zeigen Menschen ihre Emotionen, und es wird nicht als notwendig erachtet, Gefühle zu verbergen
Leistung – HerkunftGrad, zu dem sich Einzelpersonen beweisen müssen, um einen gewissen Status zu erhalten, im Gegensatz zu einem Status, der einfach zugeschrieben wird.
Menschen leiten ihren Status von dem ab, was sie selbst erreicht haben. Erreichter Status muss immer wieder nachgewiesen werden und der Status wird dementsprechend vergebenMenschen leiten ihren Status von Geburt, Alter, Geschlecht oder Reichtum ab. Hier beruht der Status nicht auf Leistung, sondern auf dem Wesen der Person
Interne Kontrolle – Externe KontrolleGrad, zu dem Individuen glauben, dass die Umwelt kontrolliert werden kann, anstatt zu glauben, dass die Umwelt sie kontrolliert.
Menschen haben eine mechanistische Sicht der Natur; Natur ist komplex, kann aber mit dem richtigen Fachwissen gesteuert werden. Menschen glauben, dass sie die Natur beherrschen könnenMenschen haben einen organischen Blick auf die Natur. Menschen werden als eine der Naturgewalten betrachtet und sollte deshalb in Harmonie mit der Umwelt leben. Menschen passen sich daher den äußeren Gegebenheiten an
Serialität – ParallelitätGrad, zu dem Individuen Dinge nacheinander tun, im Gegensatz zu mehreren Dingen auf einmal.
In einer sequentiellen Kultur strukturieren Menschen die Zeit sequentiell und tun Dinge nacheinanderIn einer parallelen, synchronen Zeitkultur tun Menschen mehrere Dinge gleichzeitig, weil sie glauben, dass Zeit flexibel und immateriell ist

Tab. 24: Kulturdimensionen nach Hampden-Turner und Trompenaars (2000, unsere Übersetzung)

 

In Forschung und Praxis werden die einzelnen Kulturdimensionen anhand von kulturtypischen Beispielen oder auch kritischen Interaktionssituationen illustriert und konkretisiert. Wissenschaftlich findet sich eine häufige Nutzung der Kulturdimensionen durch das von Kogut und Singh (1988) entwickelte Konzept der kulturellen Distanz. Ausgehend von der These, dass kulturelle Faktoren einen Einfluss auf Managemententscheidungen bezüglich des Eintrittsmodus in einen fremden Markt (Akquisition, Joint Venture) haben, entwickeln Kogut und Singh einen Index zur Messung kultureller Distanz. Kulturelle Distanz beschreibt dabei die »psychische« Distanz, die gegenüber einer anderen Kultur wahrgenommen wird, d. h. »the degree to which a firm is uncertain of the characteristics of a foreign market« (Kogut/Singh 1988, 413). Nach Kogut und Singhs Modell wird die relative kulturelle Distanz zweier Länder anhand der Abweichung der jeweiligen Indexwerte von Hofstedes Dimensionen Unsicherheitsvermeidung, Individualismus, Machtdistanz und Maskulinität gemessen.

Nicht nur in der Wissenschaft, auch in der interkulturellen Praxis (Training und Beratung) wird das Konzept der kulturellen Distanz und Nähe anhand der Kulturdimensionen mithilfe von geschlossenen Fragebögen im internationalen Personalmanagement genutzt. Dabei wird mit Gegensätzen gearbeitet. Somit lassen sich Profile erstellen, bei denen etwa das persönliche Profil eines Mitarbeiters aus Kultur A dem Profil der Landeskultur B gegenübergestellt wird. In einem Artikel des Jahres 2001 stellt Shenkar fest, dass nur wenige Konzepte in der internationalen Managementliteratur eine so breite Akzeptanz gefunden haben, wie die kulturelle Distanz. Jedoch gibt es einige konzeptionelle Vorbehalte gegenüber diesem Konzept, wie die »Illusion der Symmetrie«, die »Illusion der Linearität« oder die »Illusion der Stabilität« (Shenkar 2001, 520–521).

Kulturstandards

Kulturstandards – als deutscher Beitrag zur interkulturellen Forschung und Praxis – sind ein emischer Ansatz zur Beschreibung und Kontrastierung von Kulturen. Sie wurden von dem deutschen Sozialpsychologen Alexander Thomas (2003a) entwickelt und dienen, ähnlich wie Kulturdimensionen der Beschreibung kultureller Systeme sowie der Analyse interkultureller Begegnungssituationen. Kulturstandards sind »[…] Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns, die von vielen Mitgliedern eines sozialen Systems als normal, typisch und verbindlich angesehen werden« (Thomas 2003a, 25).

Kulturstandards stellen als Orientierungsmaßstäbe kulturelle Selbstverständlichkeiten und Leitlinien sozialen Handelns dar. In Anlehnung an einen Standard, der definiert, wie Objekte beschaffen sein oder Prozesse ablaufen sollten, legt ein Kulturstandard den Maßstab dafür fest, wie sich Mitglieder einer bestimmten Kultur tendenziell verhalten, also wie Objekte, Personen und Ereignisabläufe wahrgenommen, bewertet und behandelt werden (Kammhuber/Schroll-Machl 2007). Eigenkulturelles und anderskulturelles Verhalten wird aufgrund dieser Kulturstandards gesteuert, reguliert und beurteilt. Die einem System inhärenten Kulturstandards sind in der eigenen Gesellschaft angemessen, normal, akzeptabel, funktional und zielführend.

Ihre Zweckmäßigkeit verdanken sie der Art ihrer Herausbildung: Spezifische geistesgeschichtliche Traditionen verdichten sich zu kollektiven Grundannahmen über das menschliche Dasein, auf deren Basis sich wiederum bestimmte Reaktionsmuster als taugliche Prinzipien im Umgang mit kollektiven Erfahrungen etablieren (Kühnel 2014). Ermittelt werden Kulturstandards auf der Basis von historischen, soziologischen und psychologischen Erhebungen (Thomas 2003a, 2011). Letztere werden in interkulturellen Interaktionen erhoben, die das Verhalten bei sozialen Ereignissen (Treffen, Feste), in sozialen Rollen (Frau/Mann, Vorgesetzter) oder in sozialen Situationen (Kommunikationsstile, Entscheidungen fällen, Konflikte lösen) betreffen. Dabei findet eine Kontrastierung von Eigen- und Fremdkultur statt. Anders als die relativ allgemeinen, ethischen Kulturdimensionen, die alle Gesellschaften in unterschiedlicher Ausprägung betreffen (Zeit, Regeln, Hierarchie) sind Kulturstandards eher als spezifische, emische Kulturdimensionen zu verstehen, die nur in bestimmten Gesellschaften auftreten (Barmeyer 2011c). Thomas (2003a, 28) unterscheidet drei verschiedene Arten von Kulturstandards:

1.Zentrale Kulturstandards sind unabhängig von Problemstellungen und Handlungsfeldern gültig. Sie betreffen kulturspezifische Orientierungen, die für ein Land oder einen Kulturraum charakteristisch sind. Sie sind vor allem für die Steuerung zwischenmenschlicher Wahrnehmungs-, Interpretations- und Handlungsprozesse von Bedeutung. Für Deutschland führt Thomas hier z. B. die Sach- und Regelorientierung sowie Direktheit an, für China z. B. »Gesicht wahren«, Hierarchieorientierung sowie soziale Harmonie. Tab. 25 zeigt exemplarisch brasilianische Kulturstandards.

2.Bereichsspezifische Kulturstandards sind kontext- und aufgabengebunden und wirken erst in einem spezifischen Handlungsfeld, etwa bei Prozessen in Gruppen, Teams oder Abteilungen wie Forschung & Entwicklung, Vertrieb oder Personal. Folglich besitzen sie nur für bestimmte Handlungsfelder eine Regulationsfunktion. Thomas nennt als Beispiel für einen bereichsspezifischen Kulturstandard die unterschiedliche Herangehensweise bei komplexen Problemlösungen in Arbeitsgruppen.

3.Kontextuelle Kulturstandards sind kulturspezifische Basisorientierungen, die Vertretern einer Kultur in einer gewissen Situation einen Handlungszwang auferlegen, z. B. die Beachtung des Senioritätsprinzips in ostasiatischen Gesellschaften, die dazu führt, dass jüngere Personen in Interaktion mit älteren Menschen ihr Verhalten (in Form von Respekt oder Höflichkeit) der älteren Person anpassen. Ebenso finden sich auch unterschiedliche Verhaltensweisen, je nachdem ob es sich um berufliche oder private Kontexte handelt. Als kontextueller Kulturstandard gilt nach Thomas die Senioritätsorientierung in China, welche bei einem Auftreten das gesamte Handlungsfeld und die Wahrnehmung, Interpretation und Handlung bestimmt.


PersonenorientierungVertrauensbasis notwendig für Informationsfluss Erwartung von Solidarität
Interpersonelle HarmonieorientierungSprachroutinen: Floskeln wie »Schau doch mal bei mir zu Hause vorbei« – sind aber nicht wörtlich gemeint Gesicht wahren: indirekte Äußerung von Kritik
Kontakt- und KommunikationsfreudigkeitInteresse, Mitmenschen kennenzulernen Small-Talk
Emotionalitätschnelle Begeisterungsfähigkeit Optimismus
HierarchieorientierungRespekt vor Hierarchiegrenzen Genaue Vorgabe und Kontrolle von Arbeitsaufträgen
Gegenwartsorientierungkurzfristige Planung, Pragmatismus opportunistische Lebenseinstellung ggü. Menschen, die nicht dem eigenen Familien- oder Freundeskreis angehören
FlexibilitätAnpassungsfähigkeit bei Planänderungen »o jeito«: Flexibler Umgang mit Regeln Ambiguitätstoleranz

Tab. 25: Brasilianische Kulturstandards (Brökelmann et al. 2012)

Selbstverständlich können die individuelle und gruppenspezifische Art und Weise im Umgang mit Kulturstandards zur Verhaltensregulation innerhalb gewisser Toleranzbereiche variieren: So gibt es Verhaltensweisen, die außerhalb der bereichsspezifischen Grenzen liegen und in der Regel von der sozialen Umwelt abgelehnt oder sanktioniert werden (Thomas 2003a). Allerdings werden Standardabweichungen bei bestimmten Personen oder Gruppen wie Stars, Sportler und Künstler bewusst toleriert oder sogar erwartet.

Zu unterstreichen ist, dass Kulturstandards, ebenso wie Kulturdimensionen keinen Regelkanon zum erfolgreichen Umgang mit Personen anderer Kulturen darstellen. Sie werden vielmehr verstanden als Beschreibungsparameter, die durch individuelle Erfahrungen modifiziert werden können und sollten. Ein entscheidender Faktor innerhalb dieses Akkulturationsprozesses hierbei ist die Tatsache, dass die einzelnen Kulturstandards ihre handlungsleitende Wirkung nicht unabhängig voneinander entfalten, sondern dass es ihr spezifisches Zusammenspiel ist, wodurch soziale Interaktionen im Rahmen eines konzeptuellen Systems stabilisiert werden (Kühnel 2014).

Kritische Würdigung

Kulturdimensionen und Kulturstandards, insbesondere die von Geert Hofstede, finden seit Jahrzehnten eine breite Anwendung in Forschung und Praxis des (Interkulturellen) Managements, wie es Chapman (1997, 18) beschreibt: »Hofstede’s work became a dominant influence and set a fruitful agenda. There is perhaps no other contemporary framework in the general field of ›culture and business‹ that is so general, so broad, so alluring, and so inviting to argument and fruitful disagreement …«

Die Anzahl der meist positivistischen Studien, die auf Hofstedes Dimensionen zurückgreifen – Hofstedes Werk erreicht zurzeit (2018) 145.923 Zitationen in Google Scholar –, überwiegen in der Organisations-, Management und Marketingforschung. Aber auch in vielen anderen Disziplinen gibt es Hunderte von Replikationsstudien (Beugelsdijk et al. 2015, 2017). Bird und Fang (2009) würdigen die Arbeit von Culture’s Consequences für die (Interkulturelle) Managementforschung folgendermaßen:

»In 1980 Geert Hofstede published Culture’s Consequences and established a fundamental shift in how culture would be viewed, thereby ushering in an explosion of empirical investigations into cultural variation. Hofstede’s impact was at least fourfold: 1) he successfully narrowed the concept of culture down into simple and measurable components by adopting nation-state/national culture as the basic unit of analysis; 2) he established cultural values as a central force in shaping managerial behavior; 3) he helped sharpen our awareness of cultural differences; and 4) his notion of cultural value frameworks was adopted by others involved in large scale studies, e. g. the GLOBE project (Chokar et al., 2007). The impact of Hofstede’s paradigm is reflected in his second edition of Culture’s Consequences (2001), which identified over 1900 studies based on the original volume.« (Bird/Fang, 2009, 139)

Jedoch sind Kulturdimensionen und Kulturstandards – insbesondere von Kulturwissenschaftlern und Wissenschaftlern, die sich an interpretativen oder kritischen Forschungsparadigmen orientieren – immer wieder wissenschaftlicher Kritik ausgesetzt, die den inhaltlichen Realitätsgehalt und die Aussagekraft der dichotomen polarisierenden Darstellungen in Frage stellen (McSweeney 2002; Fang 2006; Kirkman et al. 2006, 2017; Bolten 2007; Nakata 2009; Dreyer 2011; Dupuis 2014).

 

Die zahlreichen Kritiken betreffend (Barmeyer 2011c), werden folgend drei besonders wichtige herausgegriffen:

Erstens wenden sich Kritiken häufig nicht gegen die an sich plausiblen Kulturdimensionen; es ist einsichtig, dass Menschen unterschiedliche Einstellungen zu Raum, Zeit, Macht, Geschlechterrollen, Zukunft, Regeln etc. aufweisen. Kritisiert wird eher die Methodik oder die ›Fixierung‹ von Kultur durch Kennzahlen auf Länder: »In dem Maße, in dem Kultur reduziert wird, schwindet menschliche Autonomie und Gestaltungsfreiheit.« (Hansen 2003, 287). Worauf wiederum Chapman (1997, 18–19) erwidert: »Those who take country scores in the various dimensions as given realities, informing or confirming other research, do not typically inquire into the detail of the procedures through which specific empirical data were transmuted into generalization.«. In der Tat können Kulturdimensionen zu nicht zulässigen Abgrenzungen und zur Verstärkung von Stereotypen führen.

Zweitens besteht durch die Fokussierung auf Nationalkultur die Gefahr, dass wichtige kulturelle Gruppierungen wie Geschlecht, Alter, Bereich, Profession etc. nicht berücksichtigt werden. Eine geäußerte Kritik betrifft die Zuordnung, Erklärung und damit Reduzierung menschlicher Denk- und Verhaltensweisen auf nationale Kulturdimensionen. Dabei lassen sich Kulturdimensionen genauso auf kulturelle Gruppierungen anwenden. Hofstede berücksichtigte in seiner Studie kulturelle Gruppierungen wie Geschlecht, Alter und Position, und stellte dabei auch statistisch heraus, dass die relativen Unterschiede zwischen Angehörigen nationalkultureller Gruppen bedeutsamer seien als etwa zwischen Mann und Frau einer bestimmten kulturellen Gruppe (Hofstede 1980, 53). So kam er bei der Dimension Machtdistanz zu dem Ergebnis, dass Führungskräfte in Frankreich, England und Deutschland eine niedrigere Machtdistanz aufweisen als Mitarbeiter und Arbeiter. Die Herleitung seiner Ergebnisse, die in seinen Büchern Culture’s Consequences (1980, 2001) genau dokumentiert und diskutiert sind, scheinen von seinen Kritikern überlesen und nicht rezipiert worden zu sein.

Drittens betrifft eine weitere Kritik die inzwischen lange zurückliegende Erhebung der Arbeitswerte, gerade in Bezug auf die Entwicklung von Gesellschaften durch Modernisierung (Inglehart 1997) und damit die Veränderung von Kulturdimensionen, bzw. ihrer Indexwerte. Autoren wie Minkov (2011) oder Beugelsdijk und Kollegen (2015) bestätigen die Stabilität und Kontinuität von Hofstedes arbeitsbezogenen Wertorientierungen bezüglich gesellschaftlicher Modernisierung unter Zuhilfenahme der Werte der WVS. Beugelsdijk und Kollegen (2015) untersuchen, wie sich die Länderwerte im Zeitverlauf entwickelt haben, indem Hofstedes Dimensionen für zwei Geburtskohorten – also Gruppen von Menschen, die alle im gleichen Jahr geboren wurden – anhand von Daten der WVS repliziert wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass zeitgenössische Gesellschaften im Durchschnitt bei Individualismus und Genuss (Indulgence) gegenüber Zurückhaltung (Restraint) – eine höhere Punktzahl aufweisen und dass sie in Bezug auf Machtdistanz weniger Punkte erzielen als ältere Generationen. Die Forscher stellen fest, dass kultureller Wandel eher als relativ absolut sei, was bedeutet, dass sich die Länderwerte in Bezug auf die Hofstede-Dimensionen im Vergleich zu den Bewertungen anderer Länder nicht sonderlich stark verändert haben. Infolgedessen sind kulturelle Unterschiede zwischen Ländern (im Sinne kultureller Distanzen) im Allgemeinen stabil:

»Our finding that country differences on the scores of the (replicated) Hofstede dimensions have on average not become smaller implies that managing cultural differences remains important. Even in an increasingly interconnected world, there is continued need for global managers to take cultural differences into account when deciding where to expand […] how to organize global outsourcing […], which entry mode strategy to follow […], or whether to pursue an integration, responsiveness, or export-orientation subsidiary strategy […], among others. Cultural differences are still substantial and managing them remains a key challenge for global strategy.« (Beugelsdijk et al. 2015, 237)

Konstruktiver Umgang mit Kulturdimensionen

Trotz aller Kritik können Kulturdimensionen als Orientierungshilfe in interkulturellen Kontexten dienen, sofern mit ihnen in Forschung und Praxis differenziert umgegangen wird (Barmeyer 2011c). Kulturdimensionen und Kulturstandards sollten nicht als verhaltens-determinierende Einengungen verstanden werden. Vielmehr schlagen sie typische Lösungen und Verhaltensweisen von Akteuren vor, die sich bewährt haben. Allerdings sollte beachtet werden, dass Kulturdimensionen nicht absolut, sondern relativ verstanden werden, d. h. sie zeigen Besonderheiten im Verhältnis auf und sind immer in spezifische Handlungskontexte eingebunden. Vor allem aber sind Kulturdimensionen und Kulturstandards, wie auch Kultur, lediglich Konstrukte, die helfen können, gesellschaftliche Phänomene zu verstehen.

»CULTURE DOESN’T EXIST. In the same way values don’t exist […]. They are constructs, which have to prove their usefulness by their ability to explain and predict behavior. The moment they stop doing that we should be prepared to drop them, or trade them for something better. I never claim that culture is the only thing we should pay attention to. In many practical cases it is redundant, and economic, political or institutional factors provide better explanations. But sometimes they don’t, and then we need the construct of culture.« (Hofstede 2002, 1359)

Diese Konstrukte können als »interkulturelle Landkarten« (Barmeyer 2011c) verstanden werden. Dabei gilt der Grundsatz des Konstruktivismus, d. h. Menschen konstruieren sich durch Vorerfahrungen, selektive Wahrnehmung und Reflexion ihre Wirklichkeit (Watzlawick 1976). Somit stellt die Landkarte eine vereinfachte Abbildung der Umwelt und damit eine Interpretation der Realität dar. Sie bildet zwar wesentliche Elemente ab, andere jedoch lässt sie außer Acht. Somit hilft sie Menschen, sich zu orientieren und organisieren. Schwierigkeiten treten dann auf, wenn die jeweilige Landkarte für die Realität gehalten wird.

Im Sinne des Konstruktiven Interkulturellen Managements stellen Kulturdimensionen Orientierungshilfen dar, die bei der Gestaltung interkultureller Interaktion hilfreich sein können (Barmeyer 2011c). Sie lassen sich als Metawissen, als ›Steuerungsprogramme‹ verstehen, die es ermöglichen, die (1.) Eigenkultur bewusst zu machen, (2.) eine Fremdkultur besser zu verstehen und dadurch (3.) in interkulturellen Situationen konstruktiv und angemessen zu handeln. Tab. 26 stellt zusammenfassend Gefahren und Möglichkeiten von Kulturdimensionen dar.


Kulturelle Dimensionen können sein:Kulturelle Dimensionen sollten sein:
Kategorisierung und Klassifizierung kultureller UnterschiedeOrientierungsrahmen und Erklärungsansätze kultureller Unterschiede
statisch, starroszillierend, schwingend
schwarz/weißhellgrau bis dunkelgrau
»entweder oder«»sowohl als auch«

Tab. 26: Gefahren und Möglichkeiten von Kulturdimensionen (Barmeyer 2000, 129)

Zirkuläre Dynamik von Kulturdimensionen

Ein interessanter konstruktiver Ansatz ist, entsprechend einem postmodernen fluiden und flexiblen Kulturverständnis, Kulturdimensionen dynamisch und zirkulär zu denken und zu nutzen. Dabei ist die Grundidee, starre Bipolarität durch dynamische Zirkularität aufzulösen. Gegensätze befinden sich also nicht als Pole auf einer Geraden, sondern sind gegenüberliegende Elemente eines Kreises, was auf systemisches Denken und Kybernetik verweist. Kybernetik beschreibt Aufbau, Funktionen und Gesetzmäßigkeiten (wie Selbstregulation, lineare und nichtlineare Rückkopplung) von Systemen (Wiener 1952). Dieses Zirkuläre »sowohl als auch« kann metaphorisch wie folgt beschrieben werden:

»Think of collectivism as water and individualism as molecules of ice. As the temperature changes, the ice crystals expand. At all times you have some water and some ice. Thus cultures have both collectivist and individualist elements all the time and are changing all the time. At any one point of time, we take a picture of the culture when we really should be taking a movie of constantly changing elements. In this metaphor, the earth is entering a new ice age!« (Triandis 1995, 173–174)