Mord im Museum

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Kapitel 4




Blass und verschämt steuerte Charlotte auf ihre Gruppe zu. Mittlerweile hatten sich auch alle anderen Mörderspiel-Gruppen in der großen Halle des Museums versammelt. Einige Streifenpolizisten waren in der Halle verteilt, die nach den Personalien der Anwesenden fragten. Tatjana gab gerade bei einer Polizistin an, dass sie außer dem Schrei nichts weiter mitbekommen habe. Nachdem die Beamtin alle wichtigen Angaben von Tatjanas Ausweis abgeschrieben hatte, kehrte Tatjana zur Gruppe zurück. Als sie Charlotte erblickte, steuerte sie direkt auf sie zu und fragte aufgeregt: „Was ist denn hier los? Ist was passiert? Hast du was gesehen?“ Aber Charlotte fühlte sich noch wie betäubt, schüttelte nur den Kopf und ging zur Polizistin hinüber, um Tatjanas Fragen auszuweichen. Dort stand jetzt eine junge Frau aus ihrer ‚The Benedicts‘-Gruppe und machte ebenfalls alle gewünschten Angaben. Als sie sich abwandte, sah die Beamtin Charlotte an und schlug eine neue Seite in ihrem Notizblock auf. „Haben Sie Ihren Ausweis dabei?“ „Ja...“ Charlotte wollte bereits nach ihrer Umhängetasche greifen, doch als sie ins Leere griff, fiel ihr plötzlich auf, dass ihre Tasche immer noch hinter dem Ausstellungskasten liegen musste – verdammt. „Also eigentlich... nein.“ Die Beamtin zog eine Augenbraue nach oben und fragte nun: „Name?“ „Charlotte Bienert“ „Geburtsdatum?“ „15. Mai 1987“ „Was ist Ihr Beruf?“, hakte die Frau nach. „Ich bin angestellte Redakteurin bei der

Weinstadt Woche

“, kam es wie automatisch von Charlotte. „Wo wohnen Sie?“ Charlotte seufzte und antwortete: „Ich lebe mit meiner Schwester Sanne ‒ also eigentlich Susanne – in einer WG in Fellbach. Hallstätter Straße32.“ Nun schien die Beamtin alle Personalien zu haben, die sie benötigte, und fragte: „Haben Sie etwas beobachtet, was mit dem heutigen Vorfall in Verbindung stehen könnte?“ Charlotte stockte. „Ähm... naja... schon möglich, aber irgendwie auch wieder nicht.“ Mit zusammengezogenen Augenbrauen sagte die Beamtin: „Ja oder nein?“ Charlotte lächelte nervös. „Ja... ich meine... ja ich glaube ich hab‘ was gesehen. Aber ich bin mir nicht sicher. Vielleicht waren es nur die Nerven...“ Die Polizistin musterte sie einen Augenblick. „Ich mache mal einen Vermerk, dass Sie vielleicht etwas gesehen haben. Bitte gehen Sie zu Ihrer Gruppe zurück und warten dort, bis Sie von Kommissar Jankovich aufgerufen werden.“




Der Lederjackenträger hieß also Jankovich. Stumm nickte Charlotte und wandte sich ab. Ihre Tasche war weg, und ohne Handy konnte sie ihrer Schwester nicht Bescheid geben, dass es länger dauern würde. Sie lief zu Tatjana und fragte, ob sie kurz mit ihrem Handy telefonieren dürfte. „Ja klar. Aber was ist denn hier los, sag mal?“ „Ich erklär‘ es dir gleich, ich muss nur schnell telefonieren“. Charlotte wandte sich ab und klingelte bei sich zuhause durch. Nach dem dritten Klingeln nahm ihre Schwester ab. „Ja hallo?“ „Ich bin’s“, sagte Charlotte. „Was ist denn los, bist du nicht im Museum?“, fragte Sanne verwundert. „Doch, ich wollte nur kurz Bescheid geben dass es etwas länger dauern könnte.“ Charlotte schloss die Augen, weil sie wusste, dass sie ihre Schwester damit beunruhigte. „Wieso? Ist was passiert?“ „Ja, kann man so sagen. Aber ich erzähl es dir erst, wenn ich zuhause bin, ok?“ Jetzt nahm die Stimme ihrer Schwester einen alarmierten Ton an: „Was ist passiert?“ Charlotte seufzte. „Wie gesagt, ich erzähle es dir später. Mir geht es gut, keine Sorge, ich wollte dir nur kurz sagen, dass ich später komme.“ „Was heißt später? Willst du spät nachts noch mit der S-Bahn fahren? Ich hol‘ dich ab!“ Charlotte war dankbar für dieses Angebot. „Ja ok, das wäre gut. Ich geb‘ dir Bescheid, sobald ich hier fertig bin. Kann aber echt später werden, ok?“ „Ja, schlafen kann ich jetzt sowieso nicht mehr...“, entgegnete Sanne und klang dabei angespannt. „Ok, dann bis später. Wie gesagt, mach‘ dir keine Sorgen, ich melde mich wieder.“ „Gut, dann bis später.“ Beide legten auf. Dankend gab Charlotte das Telefon an Tatjana zurück. Fragend blickte diese sie an. „Und, was ist jetzt?“ Widerwillig erklärte Charlotte, dass eine Leiche gefunden wurde und dass es der Schauspieler war, der den Buchhalter gespielt hatte. Dass Charlotte jemanden bei dem Toten bemerkt hatte, verschwieg sie aber.




Die Beamten baten alle Besucher, die die Leiche gesehen hatten oder etwas Auffälliges beobachtet hatten, zu bleiben. Alle anderen durften gehen, nachdem sie ihre Personalien angegeben hatten. Die restlichen knapp 20 Personen warteten alle in der Halle darauf, dass ein Beamter sie aufrief. Jeder der aufgerufen wurde, lief über die Treppe zur Galerie nach oben ins Büro, um mit dem Kommissar zu reden. Anschließend durften diese Besucher gehen. So wurde es nach und nach leerer in der Halle. Charlotte sehnte sich zunehmend danach, endlich auch nach Hause gehen und schlafen zu dürfen. Hin und wieder wechselte sie einige unmotivierte Sätze mit den anderen Wartenden, die ebenfalls frustriert und übermüdet wirkten. Gegen 2 Uhr nachts kam Charlotte dann endlich an die Reihe und betrat das Büro. In der Zimmermitte stand ein Tisch, an dem der der Mann saß, den die Beamtin Stunden zuvor als Kommissar Jankovich bezeichnet hatte. Mittlerweile hatte er seine Lederjacke abgelegt und saß in einem hellbauen Hemd vor ihr, dessen oberster Knopf geöffnet war. Mit beinahe unbeweglicher Miene fixierte er Charlotte, als sie durch die Tür trat. Wie um die bevorstehende Befragung noch etwas hinauszuzögern, sah Charlotte sich in dem stickigen Raum um. Es sah aus, als wäre alles durchsucht worden. Papier lag verstreut auf den anderen Schreibtischen und auf dem Boden, Schreibtischschubladen waren herausgezogen und zwei Sektgläser, eines mit gut sichtbaren Lippenstiftspuren, standen neben einer leeren Flasche auf einem der Tische. Charlotte vermutete, dass das ganze Szenario zum

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 gehörte. Nur nicht der Tisch in der Raummitte. Der Kommissar sah erstaunlich fit aus für diese Uhrzeit. ‚Das liegt vermutlich daran, dass er solche Situationen öfter erlebt‘, fuhr es Charlotte durch den Kopf. Sie selbst fühlte sich wie gerädert. „Frau Bienert. Bitte, setzen Sie sich.“ Freundlich deutete der Kommissar auf den Stuhl ihm gegenüber. Vor ihm lagen ordentlich sortiert kleine Papierstapel. Charlotte vermutete, dass es sich dabei um die Notizen der Streifenbeamten mit den Personalien sämtlicher Museumsbesucher handelte. Dann erblickte sie auf dem Tisch auch ihre orangefarbene Umhängetasche, die sie neben dem Ausstellungskasten liegen gelassen hatte. Offensichtlich war sie durchsucht worden, da der Reißverschluss der Tasche offen war. Charlotte ärgerte sich darüber, während sie Platz nahm. Während sie sich setzte, stieg ihr ein leichter Geruch von After Shave in die Nase. Der Kommissar beobachtete sie unverwandt und hob an: „Sie haben also ebenfalls die Leiche gesehen. Außerdem haben Sie meiner Kollegin gegenüber erwähnt, vielleicht etwas gesehen zu haben, das... mit dem Vorfall in Verbindung steht. Erzählen Sie doch erst einmal, warum sie überhaupt dorthin gelaufen sind.“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. Charlotte atmete tief durch. Genau genommen hatte sie keine Antwort auf diese Frage. Verschämt senkte sie den Blick. „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Eigentlich wollte ich gar nicht dorthin, aber gleichzeitig dachte ich, ich sollte mal nachsehen.“ Damit er nicht nachhakte, sprach sie schnell weiter. „Ich bin also den Rundgang hochgelaufen und hab’ die anderen gesehen, die dort im Halbkreis rumstanden und auf irgendwas am Boden gestarrt haben. Ich bin dann näher hin, und da hab’ ich ihn dann gesehen... also den Schauspieler, der als Steiner vorgestellt wurde.“ Sie schluckte. „Irgendwie war mir klar, dass er wirklich tot ist, schließlich hab’ ich auch das Blut gerochen... und dann bin ich hinter den Ausstellungskasten gegangen, weil mir so schlecht geworden ist.“ Nach einem Moment des Schweigens fragte er sie: „Wieso sind Sie nicht zurück zu Ihrer Gruppe gegangen? Das wäre doch naheliegender als hinter einen Schaukasten zu gehen.“ Charlottes Blick wanderte wieder zu ihrer Tasche, und verärgert erwiderte sie: „Weil ich nun mal nicht rational denke, wenn ich grade eine Leiche entdecke...“ Sie schnaubte. Sanfter fuhr sie fort. „Entschuldigung, das ist einfach sehr... krass. Also ich habe nicht weiter nachgedacht, sondern habe mich einfach hinter den Kasten gelegt, um nicht auf die Leiche zu kotzen.“ Ohne auf das „kotzen“ einzugehen, fragte Kommissar Jankovich Charlotte: „Und das hat nichts mit Ihrem Beruf zu tun, dass sie noch etwas länger bei der Leiche bleiben wollten?“ Völlig überrumpelt starrte Charlotte ihn an. Entweder hatte der Kommissar ihren Presseausweis in ihrer Tasche gefunden oder die Notizen der Streifenbeamtin gelesen. Charlotte wurde wütend. „ Ja, ich bin Journalistin, und nein, ich wollte nicht aus beruflichen Gründen bei der Leiche bleiben. Also ehrlich, halten Sie mich für so abgebrüht, dass ich bei der ersten Leiche meines Lebens gleich auf Berufsmodus schalte und versuche, die bestmögliche Story daraus zu schlagen?“ Beinahe amüsiert blickte er sie an. Dann nahm er die Arme wieder herunter und beugte sich näher zu ihr. Obwohl sie immer noch wütend war, fiel Charlotte auf, dass er blaue Augen mit langen Wimpern hatte. Schöne Augen, stellte sie überrascht fest. „Sie bleiben also dabei, dass Sie nur zufällig bei der Leiche geblieben sind und nichts getan haben, bis wir aufgetaucht sind?“, hakte der Kommissar nach. Charlotte nickte. „Ja.“ „Wie erklären Sie es sich dann, dass die Leiche durchsucht wurde?“ Einen Augenblick starrte sie ihn an. „Wie haben Sie das denn bemerkt?“ Er senkte die Augenlider, dann sah er ihr wieder in die Augen. „Sie wissen es also. Dann beantworten Sie bitte die Frage“, forderte er sie auf. „D...das muss die Gestalt gewesen sein, die ich gesehen habe.“ Sein Gesicht nahm einen abschätzigen Ausdruck an und er neigte den Kopf zurück. Fehlte nur noch, dass er sagte ‚Verarschen Sie mich nicht.‘ Charlotte beteuerte: „Ja, wirklich, ich hab’ eine Gestalt gesehen, die sich über die Leiche gebeugt hat! Das ist es, was ich gesehen habe! Und als sie die Polizeisirenen gehört hat, ist diese Gestalt abgehauen.“ „Das ist ja eine abenteuerliche Geschichte“, erwiderte der Kommissar spöttisch. „Aber es stimmt! Was hätte ich für einen Grund, Sie anzulügen?“ Diesmal schwang Verzweiflung in Charlottes Stimme mit. Jankovich atmete scheinbar genervt durch die Nase aus. „War diese Gestalt männlich? Weiblich?“ Charlotte zog die Schultern hoch und schüttelte gleichzeitig den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Dafür ging alles viel zu schnell.“ Sie spürte, wie ihre Verzweiflung zunahm. Offenbar glaubte der Kommissar ihr ihr nicht. Er ließ von der Gestalt ab und sagte abrupt: „In Ihrer Tasche haben wir nichts gefunden, was zur Leiche gehören könnte. Würden Sie bitte meine Kollegin nach draußen begleiten, damit sie Sie durchsuchen kann?“ Fassungslos sah Charlotte ihn an, dann lief sie knallrot an. „Sie glauben ernsthaft, ich hätte die Leiche durchsucht? Das ist doch Schwachsinn!“ Ungerührt wies der Kommissar zu seiner Kollegin und bedeutete ihr, Charlotte mitzunehmen. Widerstrebend stand Charlotte auf, sie fühlte sich überrumpelt und machtlos. Dennoch ließ sie sich mitnehmen und folgte der Polizistin aus dem Raum. Was konnte sie schon tun? In einem Nebenraum durchsuchte die Beamtin Charlotte schnell, aber gründlich. Nach etwa fünf Minuten kehrten beide in das Büro zurück. Charlotte war immer noch rot vor Erregung und fragte den Kommissar gereizt: „Kann ich jetzt gehen?“ Jankovich sah die Polizistin an, die sich wieder neben der Tür positioniert hatte. Als diese den Kopf schüttelte, antwortete Jankovich: „Nein, ich habe noch ein paar Fragen an Sie.“ Widerstrebend nahm Charlotte erneut Platz. Sie fühlte sich von Minute zu Minute unwohler. „Wenn es sein muss.“Nachdem Charlotte dem Kommissar noch etliche Fragen beantwortet hatte, durfte sie schließlich gehen. „Kann ich meine Tasche mitnehmen?“, fragte sie kraftlos, während sie sich vom Stuhl erhob. „Natürlich. Hier.“ Jankovich hob das orangene Lederstück vom Tisch und hielt es ihr entgegen. Müde griff Charlotte danach und kehrte ihm den Rücken, um endlich diesen schrecklichen Raum zu verlassen. „Ach, Frau Bienert“, hielt die Stimme des Kommissars sie auf. Charlotte blieb stehen, ohne sich umzudrehen. „Falls Ihnen noch irgendetwas zum heutigen Abend einfällt, lassen Sie es mich wissen.“ Sie hörte, wie er den Tisch umrundete und näher kam. Sie drehte den Kopf und sah ihn an. Diesmal lächelte er leicht, als er ihr seine Karte gab. Sie nickte und nahm die Karte entgegen. Als sie weitergehen wollte, berührte er kurz ihren Arm und sagte: „Bitte entschuldigen Sie die Durchsuchung. Das war leider nötig.“ Sie nickte schwach, mittlerweile war ihre Wut darüber verraucht. „Ich werde es überleben. Tschüss – und viel Erfolg noch bei den weiteren... Verhören.“ Sein Lächeln wurde breiter. „Das sind nur Gespräche. Noch ist keiner von Ihnen verdächtig. Gute Nacht.“ Er wandte sich ab und ging zum Schreibtisch zurück.

 




Vor Kälte zitternd wartete Charlotte vor dem Museum darauf, dass Sanne sie abholte. Natürlich hatte ihre Schwester noch nicht geschlafen und war nach dem 2. Klingeln am Apparat gewesen, als sie angerufen hatte. Jetzt, 20 Minuten später, sah Charlotte, wie sich ein roter Kleinwagen auf der Straße näherte und den Blinker setzte. Kurz darauf hielt der vertraute Golf vor ihr an. Dankbar steuerte Charlotte auf die Beifahrertür zu und beugte sich ins Wageninnere, um Sanne zu begrüßen. Der blonde Lockenkopf ihrer Schwester war noch verwuschelter als sonst, und aus großen besorgten Augen sah sie zu ihr hoch. „Hallo“, sagte Charlotte schwach und ließ sich auf den Beifahrersitz plumpsen. „Was ist denn passiert?“, fragte Sanne sofort. Charlotte sah ihrer Schwester einen Augenblick in die Augen, dann sagte sie ohne Umschweife: „Ich hab’ eine Leiche gesehen.“ „Waaas?!“, entfuhr es Sanne und ein Ausdruck des Entsetzens stand ihr im Gesicht. „Ja, leider. Und ich musste bis eben Rede und Antwort stehen, weil ich blöderweise was gesehen hab‘ bei der Leiche.“ Sanne machte keine Anstalten, den Wagen zu bewegen, und Charlotte schlug vor: „Sei mir nicht böse, aber ich will nur noch ins Bett. Wollen wir losfahren? Ich erzähl‘ dir alles während der Fahrt.“ „Ach so, ja. Klar“, erwiderte Sanne blinzelnd und legte den ersten Gang ein. Während sie den Wagen langsam nach Hause steuerte, erzählte Charlotte von ihrem Abend und ihre Schwester schüttelte während ihren Schilderungen immer wieder den Kopf und gab Geräusche des Unmuts von sich. „Nicht zu fassen, einfach unglaublich. Was bildet sich dieser Kommissar bitte ein, dass der euch so lange dortbehält? Als ob man diese Schikane nicht am nächsten Tag nachholen könnte. Die haben doch alle eure Personalien. Ihr könnt euch doch eh nicht verstecken.“ Sanne stand oft mit dem menschlichen Verhalten auf Kriegsfuß. Das war mit ein Grund, warum sie sich früh dafür entschieden hatte, lieber mit Tieren zusammenzuarbeiten. Gegen den Willen ihrer Eltern. Die hätten ihre Tochter lieber in einem soliden, gutbezahlten Schreibtisch-Job gesehen. Aber Charlottes Schwester hatte sich für einen körperlich anstrengenden Beruf entschieden und arbeitete seit ihrer Ausbildung als Tierpflegerin im Stuttgarter Zoo, der

Wilhelma

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Dort kümmerte sie sich um höhere Primaten wie Brüll- oder Klammeraffen. Ab und zu kam es auch vor, dass Sanne ein Affenbaby, das von den Eltern nicht akzeptiert wurde, mit nach Hause brachte und es dort aufpäppelte. Jetzt gerade hatte sie ihr neuestes Pflegekind in einem Tragetuch um den Bauch gewickelt. Der kleine Herr Nilsson war ein7 Monate altes, verstoßenes Totenkopfäffchen und hatte sich im Tuch an sein Lieblingskuscheltier geklammert. Um diese Uhrzeit schlief er tief und fest. Während Charlotte von ihren Erlebnissen erzählte, streichelte sie abwesend den Schwanz des Tierchens, der aus dem Tuch ragte. 




„Willst du was essen? Wir haben noch Auflauf“, sagte Sanne, als sie die Haustür aufschloss. Charlotte schüttelte den Kopf. „Nein danke, ich glaube ich lege mich ins Bett und versuche noch ein bisschen zu schlafen. Morgen darf ich meinem Chef dann erst mal erklären, was passiert ist.“ Sie ging ins Bad und vermied den Blick in den Spiegelschrank. Charlotte wollte gar nicht wissen, wie abgekämpft sie aussah. Nachdem sie sich ausgezogen hatte, konnte sie sich gerade noch zu einer Katzenwäsche aufraffen. Anschließend schlüpfte sie in ihren XXL-Pyjama und ließ sich ins Bett fallen. Kurz nachdem sie sich die Bettdecke bis zur Nasenspitze hochgezogen hatte, spürte sie, wie sie in den Schlaf glitt. Es überraschte sie selbst, dass sie trotz der aufreibenden Ereignisse so einfach einschlafen konnte. Bevor sie jedoch endgültig weg war, blitzte noch einmal kurz die Erinnerung an eine Bewegung auf, die sie für einen winzigen Augenblick in dem Glaskasten neben sich gesehen hatte. Charlotte fiel ein, dass sie dem Kommissar nichts davon erzählt hatte. Andererseits – was hatte sie schon gesehen? Sie wusste es ja selber nicht genau. Dann schlief sie ein.





Kapitel 5











Mein Herz blutet. Aber er hat bekommen, was er verdient hat. Jetzt kann er mich nicht mehr wie Dreck behandeln. Mit jeder Schlampe hat er sich abgegeben. Mich aber hat er verleugnet.











Am nächsten Morgen tauchte Charlotte nach nur zwei Stunden wirrem Schlaf übernächtigt in der Redaktion auf. Sie war die Erste im Büro und war froh, noch etwas Ruhe zu haben, bevor sie ihrem Chefredakteur Andreas Richling vom gestrigen Abend berichten musste. Sie machte sich eine Tasse Kaffee, setzte sich an ihren Rechner und checkte ihre E-Mails. In ihrem Outlook ploppte ein Erinnerungsfenster auf: ‚In 1 Stunde

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Artikel abgeben.‘ ‚Ach verdammt‘, dachte sie. Als nächstes las Charlotte eine Nachricht von ihrer hypochondrischen Kollegin Gabriele: ‚Hi Charlie, also ich bin dann mal den Rest der Woche krankgeschrieben. Echt ich sage dir, der halbe Ort ist beim Arzt um sich am Freitag krankschreiben zu lassen. Diese Simulanten. Mir löst sich schon die Haut an der Nase ab – aber wenigstens krieg ich langsam wieder Luft. Bin jetzt auf die alternativen Eukalyptusöl-Kapseln vom DM umgestiegen, die vertrag‘ ich ja besser. Ich wünsch dir ein tolles Wochenende! Liebe Grüße von der Gabi.‘ Unter der Nachricht stand die Signatur ‚Geschrieben von meinem iPhone.‘ Charlotte starrte die Nachricht an, schüttelte den Kopf und klickte dann mit dem Curser auf das X, um die Nachricht zu löschen. 




Gegen 8:00 Uhr kam ihr Chef Andreas Richling ins Büro, steckte den Kopf zu ihr ins Zimmer und rief gedehnt „Morgen“. Dann lief er weiter in sein Büro. Richling hatte Bauch- und Glatzenansatz, trug eine rahmenlose Brille und mäanderte zwischen 40 und 50 Jahren. Seit mindestens 10 Jahren war er Chefredakteur des Lokalblatts und war auch nicht mehr aus der Position zu verdrängen. Charlotte wusste von ihm, dass er zuvor als Sensationsreporter bei einem Boulevardmagazin gearbeitet hatte. Aus dieser Zeit hatte er auch eine gewisse Sensationslüsternheit und Paparazzo-Mentalität beibehalten. Ansonsten wusste sie nur noch, dass er unverheiratet und kinderlos war, aber einen alternden Bernhardiner namens Dostojewski besaß. Charlottes Verhältnis zu ihrem Chef war für sie eher unbefriedigend, da er sie seit ihrem Volontariat immer noch wie eine Auszubildende behandelte. Nach ihr war auch kein neuer Volontär in die Redaktion gekommen, so dass sie unfreiwillig den Status des Kükens innehatte. Sie gab ihrem Chef 5 Minuten, dann ging sie hinüber und klopfte an seine Tür. „Herein“, sagte Richling, und sah sie überrascht über seine Brille hinweg an. Normalerweise kam sie nicht direkt nach dem Morgengruß zu ihm, es sei denn, es war dringend. „Also... ich war ja gestern bei dem

Mord im Museum

“, begann Charlotte. „Ja, und – schaffst du den Artikel bis heute Nachmittag?“, fragte Richling ungeduldig. Charlotte schüttelte den Kopf. „Eher nicht, denn es ist was dazwischen gekommen.“ Irritiert runzelte ihr Chef die Stirn. Charlotte blies Luft aus. „Also, believe it or not: Es ist gestern tatsächlich jemand umgekommen. Ähm, genau genommen wurde einer der Schauspieler umgebracht. Also in echt. Und ich war bis 3 Uhr nachts dort, weil wir alle noch von der Polizei vernommen wurden.“ Richling ließ die Neuigkeit einen kurzen Moment sacken. Anstandshalber fragte er: „Aber dir geht’s gut, oder? Ist dir was passiert?“ „Nein, nein, mit mir ist alles in Ordnung“, erwiderte Charlotte hastig. Dann kam Richling zum Wesentlichen: „Und, hast du was gesehen?“ Widerstrebend gab sie es zu: „Ja, die Leiche.“ Richling riss die Augen auf und breitete die Arme aus. „Ist nicht wahr. Perfekt! Daraus musst du eine Story machen!“ Sein Sensationsradar war angesprungen. Charlotte seufzte. Sie hatte es geahnt. „Woraus soll ich denn ‘ne Story machen, ich hab’ nur die Leiche gesehen“, bei ‚nur‘ setzte sie Anführungszeichen in die Luft. Richling wollte gar nicht darauf eingehen. „Na, das ist doch schon mehr als die meisten anderen Kollegen jemals zu sehen bekommen! Mensch, Charlotte, schalte deinen Verstand ein!“ Wütend dachte Charlotte: ‚Klar, der ist ja sonst immer auf Stand-By.‘ Richling fuhr fort: „Da war doch bestimmt ein leitender Beamter vor Ort. Häng‘ dich an den ran und versuch‘, mehr herauszubekommen!“ Charlotte war entgeistert. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. „Wie soll ich das anstellen? Mit Verlaub,

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 ist ja wohl nicht grade das, was mich zur Investigativ-Journalistin ausbilden würde!“ „Nein, meine Liebe, aber in kaltem Wasser lernt man das Schwimmen am schnellsten. Und vielleicht... schaffst du es ja mit der Story auch in die

Aktuelles

-Rubrik!“ Richling sah Charlotte auffordernd an. Sie erwiderte seinen Blick verärgert. „Der Typ hält mich für bekloppt, ok? Der hat mich gestern sogar durchsuchen lassen!“ „Hör mal, Charlotte, du bist von der Presse. Du hast das Recht auf behördliche Auskunft. Also, hol‘ sie dir!“ Damit war das Gespräch für Richling beendet und er bedeutet Charlotte, sein Büro zu verlassen.




Kopfschüttelnd verließ Charlotte das Zimmer. ‚Der spinnt doch‘, dachte sie. Gleichzeitig musste sie sich eingestehen, dass sie seine Ansage nicht ablehnen konnte. Wenn Richling sich etwas in den Kopf gesetzte hatte, war es nur schwer, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Und ein echter Mord war für ihr Lokalblatt das gefundene Fressen. Charlotte lief wieder in ihr Bürozimmer und sank auf ihren Stuhl. „Häng‘ dich an den leitenden Beamten ran“, hatte Richling gesagt. Ohne große Lust zog Charlotte die Visitenkarte des Kommissars aus ihrer Hosentasche. Darauf stand: Kriminalhauptkommissar Paul Jankovich, Polizeipräsidium Stuttgart. Charlotte griff nach ihrem Telefonhörer und wählte mit leicht zitternden Fingern die Nummer auf der Visitenkarte. Während sie das Freizeichen hörte, atmete sie tief durch. Nach dem 4. Klingeln hob jemand ab. „Jankovich“, klang die Stimme des Kommissars in ihr Ohr. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihn wieder vor sich, wie er gestern Abend am Tisch gegenüber gesessen hatte. „Ähm ja, hier ist Charlotte Bienert. Also ich war gestern im Landesmuseum...“, Jankovich unterbrach sie und erwiderte sachlich: „Ich erinnere mich, Frau Bienert. Was kann ich für Sie tun? Ist Ihnen noch etwas eingefallen?“ Charlotte haderte mit sich, aber nun gab es kein Zurück mehr. „Das nicht, aber... naja, Sie wissen ja, dass ich Journalistin bin. Und als ich meinem Chefredakteur von der Geschichte gestern Abend erzählt habe, raten Sie mal was er gesagt hat?“ Sie machte eine Pause in der Hoffnung, er würde tatsächlich raten. Tat er nicht. Er schwieg. Plappernd fuhr Charlotte fort: „Also, er hat vorgeschlagen, dass ich Ihnen... quasi ein bisschen über die Schulter schaue, damit ich einen gut recherchierten Artikel über... das, was gestern passiert ist, schreiben kann.“ Unwillkürlich hatte Charlotte beim Sprechen die Finger gekreuzt. Die Stimme des Kommissars klang frostig, als er erwiderte: „Nein, tut mir leid, Zivilisten sind grundsätzlich von den Ermittlungen ausgeschlossen. Ich kann Ihnen im Moment auch keine weiteren Auskünfte geben, weil ich das Ermittlungsverfahren nicht gefährden darf. Außerdem haben wir eine eigene Pressestelle im Präsidium, über die sämtliche Kommunikation nach außen verläuft.“ Charlotte seufzte, gab jedoch noch nicht auf. „Hören Sie, ich reiße mich auch nicht darum, aber... ich möchte ungern meinen Job verlieren, verstehen Sie?“ „Ich glaube nicht dass Ihr Job daran hängt, Frau Bienert“, erwiderte der Kommissar in immer noch frostigem Tonfall. „Wenn Sie keine weiteren Informationen für mich haben, möchte ich das Gespräch jetzt gerne beenden.“ ‚Das war’s dann‘, dachte Charlotte und sagte mutlos: „Ja ok, dann... lasse ich Sie mal in Ruhe. Entschuldigen Sie die Störung. Auf Wiederhören.“ Sie legte auf, ohne auf seine Antwort zu warten. Als nächstes klingelte sie bei ihrem Chef durch. „No chance, er hat mich im Schnelltempo abgebügelt.“ Sie ahmte Jankovich nach: „Er will das Ermittlungsverfahren nicht gefährden.“ Richling überlegte und schlug dann vor: „Dann gehst du jetzt einfach selber zum Museum, zeigst deinen Presseausweis jedem, der dir über den Weg läuft und sagst, dass du Fragen über das Opfer stellen möchtest. Wer ihn kannte, wie er so war... Ob irgendjemandem was Merkwürdiges bei ihm aufgefallen ist, und so weiter.“ Zweifelnd fragte Charlotte: „Glaubst du nicht dass alle dort einen Maulkorb von der Polizei bekommen haben, dass sie mit niemandem darüber reden dürfen?“ Ungerührt erwiderte Richling: „Glaub‘ mir, Charlotte, die Leute reden einfach zu gern, um sich an Regeln zu halten. Und wenn was ist, ruf‘ mich halt an.“ Damit legte Richling auf. „Arschloch“, sagte Charlotte halblaut zu dem tutenden Hörer, als ihr Kollege Sebastian Pfeiffer ins Büro kam. „Dir auch einen wunderschönen guten Morgen!“ Der junge Mann grinste anzüglich und warf seine Tasche vor seinem Schreibtisch zu Boden. “Nicht du – der Chef.“ „Ach, will er dich jetzt doch zu

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 abschieben? Was hast du angestellt?“ Charlotte protestierte. „Gar nichts! Ich soll jetzt ‚ermitteln‘ gehen – obwohl ich überhaupt keine Ahnung davon habe.“ Verständnislos sah Sebastian sie an. „Was soll das heißen, ‚ermitteln‘?“ Daraufhin erzählte Charlotte ihrem Kollegen von ihren gestrigen Erlebnissen inklusive der Abfuhr von Jankovich und der Anweisung von ihrem Chef. 

 




Sebastian Pfeiffer war zwei Jahre länger bei der Redaktion als Charlotte und hatte damit einen dickeren Stein in Richlings Brett. Er hatte sich dank seinem Ehrgeiz schnell zu Richlings rechter Hand gemausert und genoss dadurch auch den Vorzug bei der Artikelvergabe. Somit sicherte Sebastian sich auch in schöner Regelmäßigkeit alle Artikel für die

Aktuelles

-Rubrik, die Richling nicht selber bearb

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