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Ijob: ungetröstet und unverstanden

Ijob können die Trostversuche seiner Freunde nicht erreichen, da das Auseinanderklaffen zwischen seiner untadeligen Lebensführung und dem erlebten Geschick sein Gottesverhältnis grundlegend infrage stellt. Angesichts der Härte seines Freundes Elifas im Beharren auf der von ihm vertretenen Vergeltungslehre bricht Ijob in Kap. 6,14-15 in eine bittere Klage über dessen Versagen als Freund aus: „Dem vor Leid Vergehenden gebührt Mitleid von seinem Freund, auch wenn er die Furcht vor dem Allmächtigen verlässt. Meine Brüder sind trügerisch wie ein Bach, wie Wasserläufe, die verrinnen.“ Eine Ethik der Freundschaft wird an dieser Stelle sichtbar, wie sie in der Weisheitsliteratur auch an anderer Stelle im Alten Testament geschildert wird: „Der Freund erweist Liebe zu jeder Zeit; aber für die Not ist er als ein Bruder geboren.“ (Spr 17,17; vgl. Sir 6,7-17) Doch Ijob verlangt noch mehr, nämlich die Treue des Freundes auch dann, wenn sich der Leidende Gott gegenüber vergisst und die Grenzen überschreitet. Offenbar steht Ijob ein Maßstab für dieses von ihm propagierte Freundschaftsideal vor Augen, über das der Sprachgebrauch in Kap. 6,14 näheren Aufschluss gibt. Denn für „Mitleid“ wird hier der hebräische Begriff chaesaed verwendet, der als Verhältnisbegriff von Menschen und von Gott gebraucht wird. Er meint von Haus aus das, was gemeinschaftsfördernd ist. Dabei handelt es sich vornehmlich nicht um eine Gesinnung, sondern um eine aus der Gesinnung fließende Tat, die lebenserhaltend und lebensfördernd ist und die mit Güte, Huld und Freundlichkeit umschrieben werden kann. Sie geht über das gesetzlich Geregelte hinaus und orientiert sich ausschließlich am Wohl des anderen. Dieser Begriff, der im Kontext der Familie und Sippe seinen ursprünglichen Sitz im Leben hat, wurde auf das Verhältnis Jahwe – Israel übertragen, um die Bindung und den mühevollen Einsatz Gottes im Bund mit Israel zu kennzeichnen (Ex 34,6; Num 14,18; Jer 33,11). Ijobs Ethik der Freundschaft orientiert sich damit nicht an irgendwelchen menschlichen Idealen, sondern an Gottes Handeln im Bund mit Israel. Darauf bezogen fordert Ijob das Mitleiden des Freundes ein, nicht nur in unverschuldeter Bedrängnis, sondern auch dann, wenn er sich gegen Gott erhebt und die Gottesfurcht verletzt, so wie auch Jahwe einem bundbrüchigen Israel die Treue gehalten hat. Kurz gesagt: Beistand will Ijob von seinen Freunden und nicht eine Abspeisung mit einem kalten Vergeltungsschema. In Kap. 21,2-3 fordert er sie darum auf, den belehrenden Vortrag zu unterlassen und ihm geduldig zuzuhören, seine geistige Not mit zu durchdenken und ihm auf diese Weise Trost zu schenken: „Hört, hört doch auf mein Wort, das wäre mir schon Trost von euch. Ertragt mich, so dass ich reden kann. Habe ich geredet, dann könnt ihr spotten.“

Wie sehr Ijob unter den Ausführungen seiner Freunde leidet, zeigt seine Antwort in Kap. 16,2-5: „Ähnliches habe ich schon viel gehört, leidige Tröster seid ihr alle. Sind nun zu Ende die windigen Worte […]? Auch ich könnte reden wie ihr, wenn ihr an meiner Stelle wäret, schöne Worte über euch machen […]. Ich könnte euch stärken mit meinem Mund, nicht sparen das Beileid meiner Lippen.“ (Vgl. 21,34) Leidige Tröster mit windigen Worten sind die Freunde, weil ihr Trost nicht auf den Grund seines Leides zielt, weil sie sein Leid noch vermehren, indem sie seine Rettung an das Eingeständnis einer Schuld knüpfen, die Ijob nicht begangen hat. Mit einem Schwur, in dem er Gott selbst zum Zeugen aufruft, unterstreicht Ijob seine Ablehnung der Freundestheologie und beharrt auf seiner Gerechtigkeit vor Gott, der ihm – so seine Anklage – sein Recht, nämlich das einem Frommen gebührende Lebensglück, entzogen und seine Seele verbittert hat (27,2.5-6: „So wahr Gott lebt, der mir mein Recht entzog, der Allmächtige, der meine Seele quälte: Fern sei es mir, euch Recht zu geben, ich gebe, bis ich sterbe, meine Unschuld nicht preis. An meinem Rechtsein halt ich fest und lass es nicht; mein Herz schilt keinen meiner Tage“; vgl. 34,5). Zum Erweis seiner Unschuld legt Ijob darum in Kap. 31 seine Lebensführung Gott in Form eines „Beichtspiegels“ zur Prüfung vor. Weder hat er mit List und Täuschung agiert, noch sich lüstern gezeigt, das Recht seiner Sklaven hat er gewahrt, Barmherzigkeit den Armen erwiesen, Gastfreundschaft geübt, Frevel und Schuld beim Namen genannt. Warum also trifft ihn ein derartiges Leidensgericht?

Weil die Freunde ihm keinen Trost darbieten, versucht Ijob verschiedentlich, selbst für sich Trost zu finden. Wiederholt bittet er Gott um seinen baldigen Tod: „Käme doch, was ich begehre, und gäbe Gott, was ich erhoffe. Und wollte Gott mich doch zermalmen, seine Hand erheben, um mich abzuschneiden. Das wäre noch ein Trost für mich; ich hüpfte auf im Leid, mit dem er mich nicht schont. Denn ich habe die Worte des Heiligen nicht verleugnet.“ (6,8-10) Aus diesen Worten, die den Tod als Ende der Qual herbeisehnen und die sich hierin äußernde Zermalmung durch Gott als Trost empfinden, spricht eine Bitterkeit, wie sie nur ein Mensch verspürt, der einmal mit Ernst und Hingabe sein Leben auf Gott ausgerichtet hat, der aber dann dessen Wege nicht mehr begreift.

Einen weiteren Versuch, sich selbst zu trösten, schildert Kap. 7,13-15: „Sagte ich: Mein Lager soll mich trösten, mein Bett trage das Leid mit mir, so quältest du mich mit Träumen, und mit Gesichten jagtest du mich in Angst. Erwürgt zu werden zöge ich vor, den Tod diesem Totengerippe.“ Gelten Bett und Schlaf sonst als Möglichkeit der Ruhe und Erholung, so trifft das auf Ijob nicht zu; seine Leiden sind zu einem Teufelskreis für ihn geworden, aus dem kein Weg hinausführt, es sei denn durch den Tod. Aber dennoch ist die Hoffnung Ijobs auf Gott nicht gänzlich aufgebraucht, denn trotz aller Anklage Gottes und Todessehnsucht wird der Wunsch in Ijob geweckt, zu Gott zu gelangen und ihm seine Unschuld vorzulegen (23,3-7). Daher sagt er am Ende seines Rückblickes auf sein Leben in Kap. 31,35: „Das ist mein Begehr, dass der Allmächtige mir antwortet.“

Der Weise Elihu: Anwalt der Gerechtigkeit Gottes in der Läuterung des Menschen

Überraschenderweise tritt nach Beendigung der Reden Ijobs (31,40: „Zu Ende sind die Worte Ijobs“) ein weiterer Freund von ihm auf, von dem zuvor keine Rede war. Es handelt sich um den jungen Elihu, dessen Auftreten angesichts der doppelten Verletzung der Sphäre Gottes, wie sie einerseits durch die Anklage Ijobs und andererseits durch die starre Vergeltungslehre der Freunde geschah, motiviert ist. Der Verfasser der Elihureden (Ijob 32-37)12 stellt deren Redner als inspirierten Weisen dar und zeichnet damit ein Berufsbild, das sich in der nachexilischen Zeit erst allmählich herausgebildet hat, bevor es dann zum Gegenstand einer eigenen Reflexion wurde. Denn im Unterschied zu den Vertretern der an die Erfahrung gebundenen Weisheit alten Stils (vgl. die drei Freunde Ijobs) tritt der inspirierte Weise mit prophetischer Vollmacht auf und vermag ein Offenbarungswissen mitzuteilen, das die Weltenplanung Gottes als solche zum Gegenstand hat. Darüber hinaus zeigen die Ausführungen des Elihuverfassers ihn als Weisen, der mit den Traditionen des Jahweglaubens bestens vertraut ist. Göttliche Geistbegabung und biblische Schriftgelehrsamkeit sind somit die beiden Charakteristika, die Elihu auszeichnen.13

Den Behauptungen Ijobs von einer feindseligen Haltung Gottes ihm gegenüber (6,4; 7,11-21; 9,17-20; 10,2-19) hält Elihu in Kap. 33 ein apodiktisches „Da bist du nicht im Recht“ (V.12) entgegen, weil Ijob angesichts der Größe Gottes zu klein von Gott denke und seine menschlichen Maßstäbe von Gerechtigkeit folglich die Hintergründe des göttlichen Handelns in Gerechtigkeit nicht zu fassen vermögen. Wenn aber dem so ist, dann war es nicht richtig von Ijob, gegen Gott zu hadern und ihn zu beschuldigen, dass er angesichts der Not des Menschen ungerührt schweige (V.13). Vielmehr, so Elihu, sei zu bedenken, dass Gott auf unterschiedliche Weise in das Lebensschicksal des Menschen hineinspricht, die der Mensch nur deshalb nicht beachtet, weil die göttliche Offenbarung auf eine für den Menschen unerwartete Weise geschieht (V.14).

Die erste unbekannte Weise des göttlichen Handelns ist die Zurechtweisung in nächtlichen Traumoffenbarungen (V.15-18). Weil im Traum das Bewusstsein des Menschen ausgeschaltet ist und er nicht willentlich Einfluss nehmen kann, gilt der Traum bei allen Völkern im Bereich des Religiösen als Einfallstor des Göttlichen. Auch Israel partizipiert an der Wertung des Traumes als Offenbarungsmittel (Gen 37,5ff.; 41; 1 Sam 28,6.15; Joel 3,1; Dan 2; 4 u.ö). Ziel der göttlichen Zurechtweisung im Traum ist es nach Kap. 33,16f., den Menschen von seinem bösen Tun abzubringen. Diese Funktion des Offenbarungstraumes hängt mit dem Wissen um die Versehrtheit des Menschen durch das Sündenfallgeschehen zusammen (vgl. Gen 3), infolgedessen sich die Macht des Bösen einen Raum in der Schöpfung verschafft hat, der ihr dem Schöpferwillen nach nicht zusteht.14 Das ist der Grund, warum jeder Mensch als Teil der gefallenen Schöpfung vor Gott als Sünder dasteht und warum die Traumoffenbarung Gottes diesbezüglich die Absicht einer vorbeugenden Warnung verfolgt, denn sie will den Menschen vor dem Hochmut bewahren, jener Haltung, in der sich der von der Macht des Bösen verführte Mensch vor Gott verabsolutieren will (vgl. Gen 3,5-7).

In Kap. 33,19-22 nennt Elihu ein zweites Argument gegen Ijobs Anschuldigung, dass Gott schweige und den Menschen seinem Elend überlasse: Gott offenbart sich auf verborgene Weise auch in den Leiden einer schweren Krankheit. Diese Antwort Elihus mutet dem Leidenden ein starkes Maß an Glaubenskraft zu, insofern eine tödliche Krankheit den Menschen natürlicherweise bis ins Mark erschüttert und von ihm als Angriff auf die Sinnhaftigkeit seines Lebens erfahren wird. Elihu hält dem entgegen, dass gerade das, was das Leben des Menschen durchkreuzt, zum Ort des rettenden Handelns Gottes werden kann (vgl. 36,5-15.22). Zum Erweis thematisiert Elihu in Kap. 33,22f. zunächst die Angst vor dem Tod und spricht von den Boten des Todes, um dann als Kontrast hierzu den Mittlerengel15 einzuführen, der vor Gott für die Rettung des menschlichen Lebens eintritt. In seinem Erscheinen wird Gott als derjenige erfahren, der sich des Leidenden erbarmt, ihm den tieferen Sinn seines Leidens erschließt und ihn so vor dem Hadern und dem damit drohenden Verlust der Gottesgemeinschaft bewahrt. So tritt der Engel für den Todgeweihten vor Gott mit der Bitte ein, er möge den Leidenden vor dem Hinabsteigen in die Grube, also vor dem die Heilsgemeinschaft mit Gott zerbrechenden Tode, bewahren, weil ein Lösegeld „gefunden“ wurde (V.24). Beachtet man, dass einerseits vom „Finden“ des Lösegeldes die Rede ist, das der Engel Gott für die Auslösung des todgeweihten menschlichen Lebens anbieten kann, und dass andererseits sowohl die Zurechtweisung durch die Krankheit als auch die Belehrung des Engels (V.23) zu dem Zweck ergehen, dass der sündige Mensch umkehre, dann ist mit großer Wahrscheinlichkeit das zur Umkehr bereite Bußverhalten des Sünders gemeint, das der Mittlerengel durch seine wegweisende Belehrung in der Not ermöglicht hat und das er nun als Lösegeld vor Gott hinträgt.

 

In V.26-28 schildert Elihu die Konsequenz dessen für den aus der Todesgefahr Geretteten: Betet dieser zu Gott, dann wird Gott ihm die Fülle des Heils schenken (V.26). Der Engel als Wächter über dem Menschenleben und als Wegweiser in der Not vermochte also durch sein fürbittendes Eintreten vor Gott lediglich eine Wende im Geschick des Todgeweihten herbeizuführen, nicht jedoch ihm die Fülle des Heils selbst zu schenken – dies kommt allein Gott zu. Am Menschen liegt es somit, die Chance der Wende zu nutzen und das ihm neu geschenkte Leben auf Gott hin auszurichten. Dann erst wird Gott aus seiner Verborgenheit heraustreten und ihm, wenn er im Gebet seine Flehrufe an ihn richtet, sein Angesicht wieder zuwenden.

Abschließend erklärt Elihu, dass Gott das züchtigende Handeln mehrfach wiederholt (V.29), um den Menschen vor einem Scheitern Gott gegenüber zu bewahren und ihm Einsicht zu vermitteln in das, was ein Leben wahrhaft gelingen lässt. Zu beachten ist in Kap. 33,30 die Ausdrucksweise: „um ihm zu leuchten mit dem Licht des Lebens“, genauer: „damit er erleuchtet werde im Licht der Lebenden“. Die gleiche Redeweise begegnet in abgewandelter Form in Ps 56,14 („Denn du hast mein Leben dem Tod entrissen, meine Füße bewahrt vor dem Fall. So gehe ich vor Gott meinen Weg im Licht der Lebenden“), wo sowohl diese Aussage als auch der weitere Kontext erkennen lassen, dass mit der Wendung „im Licht der Lebenden“ ein Leben in der Heilsgemeinschaft mit Gott gemeint ist, das im Gegensatz zum Verlöschen im Tod steht. Das bedeutet hier und für Kap. 33,30 im Ijobbuch („um fernzuhalten seine Seele von dem Grab, um ihm zu leuchten mit dem Licht des Lebens“ bzw. wörtlich: „um zurückkehren zu lassen seine Seele von der Grube, damit er erleuchtet werde im Licht der Lebenden“), dass Elihu über die Bewahrung vor dem Tod hinaus an eine dauerhafte Lebensgemeinschaft mit Gott denkt, die dann – eingedenk der Allmacht des Schöpfergottes – auch der Tod nicht begrenzen kann. Die permanente Läuterung des Menschen in seinem Leben dient somit der Vorbereitung auf ein eschatologisches Ziel und hat als letzte und entscheidende Frucht die endgültige Heilsgemeinschaft mit Jahwe im Blick, die jenseits der individuellen Lebensspanne liegt. Wie vergleichsweise ein junger Mensch eine Erziehung benötigt, um das Leben zu meistern, so ist auch der Gläubige aufgerufen, im Leiden standzuhalten, damit er als ein geläuterter Mensch immer tiefer in die Gemeinschaft mit Gott hineinwächst, bis sie am Ende von Gott vollendet wird.

Die Botschaft von der heilschaffenden Gerechtigkeit Gottes, die Elihu nach Kap. 33 dem leidenden Ijob vorlegt und die er in seinen nachfolgenden Reden facettenreich entfaltet, enthält nach dem bisher Gesagten folgende Kerngedanken: Es gibt einen die Schöpfung und Geschichte durchwaltenden Plan, nach dem Gott alles zu dem großen Ziel der Vollendung, dem Heimkommen des Geschaffenen zu seinem Schöpfer, lenkt. Wenn aber dem so ist, dann ist auch das Leiden als Gegebenheit der ursündlich gestörten Weltsituation nicht von diesem Schöpfungs- und Geschichtsplan Gottes zu trennen, sondern muss folglich als ein Ort göttlichen Handelns am Menschen einerseits und als ein Ort der Bewährung für den Menschen andererseits angesehen werden. In eben diesem Zusammenhang hat die göttliche Leidenspädagogik Elihus ihren Ort. Dem Menschen, der Teil einer ursündlich geschädigten Schöpfung ist, zeigt Gott nicht einfach nur die Grenzen seiner vergänglichen Existenz auf, vielmehr ist er in den vielfachen Erniedrigungen dem Menschen nahe, läutert ihn durch Leiden auf seine Vollendung hin und macht damit zugleich seine rettende, heilende Absicht in einer dem Chaos preisgegebenen Welt sichtbar.16 Mit dieser, die allgemeine Theodizeefrage weit hinter sich lassenden Glaubensauffassung korrigiert Elihu einerseits die Freunde, die rückwärts gewandt Leiden nur mit der Schuld des Menschen und dem darauf antwortenden Gerichtszorn Gottes erklären, und andererseits Ijob, der die dem Chaos ausgelieferte Weltzeit verloren gibt und im Grunde genommen lediglich als einen „Wartesaal“ für die Endzeit versteht, in der sich Gott schließlich als Erlöser zeigt. Elihu öffnet ihnen gegenüber den Blick für die größeren Zusammenhänge einer universal-eschatologischen Welt- und Menschenlenkung Gottes, angesichts derer die Frommen lernen können, „das Dunkel ihres eigenen Lebens, das scheinbar gottverlassen und sinnlos den Mächten des Bösen ausgeliefert ist, als Ort intensiver Gottesnähe und engagierter Gottesliebe zu begreifen, einer Liebe, die aufgrund der noch unaufgearbeiteten Sünde in der Welt nur durch große Leiden hindurch zur Vollendung führen kann. Gleichzeitig betont der Elihuverfasser […], dass die Leiden in Not und Armut, die Gott seinen Getreuen zumutet, einen tieferen Sinn besitzen: Sie sind der Ort, an dem Gott die Menschen erzieht und ihnen die Chance der Umkehr gewährt, damit sie am Ende gerettet werden.“17

Somit setzt der Verfasser der Elihureden, wenn er auf den die Gerichtssituation dieser Welt umgreifenden Heilsplan Gottes und auf sein Mitsein im Läuterungsleid des Menschen hinweist, einen Begriff von der Gerechtigkeit Gottes voraus, der sich wesenhaft von dem der Freunde Ijobs und auch von dem Ijobs unterscheidet und an den die Gottesreden als Höhepunkt des Buches Ijob anknüpfen.18

Gottes Selbstoffenbarung: Gerechtigkeit als heilvolle Führung in Schöpfung und Geschichte

In der seiner Eingangsklage folgenden Rede in Kap. 7 erneuert Ijob Gott gegenüber die Anklage von Kap. 3, eingebunden in eine Schilderung seiner seelischen und körperlichen Qualen sowie einer Darlegung über die Enttäuschung angesichts der – aus seiner Sicht – Mitleidlosigkeit Gottes. Die Elifasrede in Kap. 4-5 hat damit zwar die geforderte Hinwendung Ijobs zu Gott bewirkt, aber nicht im Vertrauen auf den Retterwillen Gottes und im Glauben an seine erzieherische Absicht, sondern in Verzweiflung und Auflehnung angesichts eines Todesleidens, das Ijob seiner Auffassung nach nicht verdient hat.

Die Ijobrede in Kap. 12-14 jedoch bringt, nachdem bereits in Kap. 10,9-12 erstmals eine Hoffnung Ijobs auf die Rettermacht Gottes aufgebrochen war, eine Spannung in den Gedankengang der Ausführungen Ijobs, die sich von da an immer stärker eine Bahn bricht, nämlich die „Hoffnung auf Gott gegen Gott“; das heißt: Ijob klagt Gott einerseits in dieser Weltzeit als Feind an (13, 23-28; 14,18-21) und ruft ihn andererseits als den endzeitlichen Retter an (14,13-16). Ähnliches geschieht in Kap. 16, wo Ijob Gott der grausamen Feindschaft gegen ihn beschuldigt (V.7-14) und im gleichen Atemzug seine Hoffnung auf denselben Gott dadurch ausdrückt, dass er ihn zum Zeugen und Anwalt seines Rechtes aufruft (V.18-23). Denn er, der im Himmel thront und deshalb im Unterschied zu den Freunden die Zusammenhänge des Weltgeschehens kennt, muss wissen, dass Ijob zu Unrecht im Strafgericht dieser Welt zugrunde gehen wird. So fleht Ijob zu Gott als seinem Helfer, er möge ihm Recht verschaffen „im Streit mit Gott“:

„O Erde, deck mein Blut nicht zu und ohne Ruhestatt sei mein Hilfeschrei! Nun aber, seht, im Himmel ist mein Zeuge, mein Bürge in den Höhen. Da meine Freunde mich verspotten, tränt zu Gott hin mein Auge. Recht schaffe er dem Mann bei Gott und zwischen Mensch und Mensch. Denn nur noch wenig Jahre werden kommen, dann muss ich den Pfad beschreiten, auf dem man nicht mehr wiederkehrt.“ (16,18-22)

Diese Hoffnung auf ein eschatologisches Endgericht, wo Ijob erwartet, seinem Erlöser zu begegnen, zeigt, dass er davon überzeugt ist, dass die Weltzeit gänzlich unter einem Strafgericht steht, aus dem es kein Entkommen gibt; solange also der Mensch in der Welt lebt, trägt er unweigerlich an den Lasten dieses Gerichtes und erfährt die Feindschaft Gottes. Daher kann Ijob nur noch von einem eschatologischen Endgericht erwarten, was ihm das Leben dieser Weltzeit verweigert, nämlich den Ausgleich für das ungerechte Leiden des Frommen:

„Doch ich, ich weiß: mein Erlöser lebt, als Letzter erhebt er sich über dem Staub. Ohne meine Haut, die so zerfetzte, und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen. Ihn selber werde ich dann für mich schauen; meine Augen werden ihn sehen, nicht mehr fremd. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.“ (19,25-27)

Auf alle Fragen Ijobs nach den Gründen für sein unverdientes Schicksal und nach der Gerechtigkeit Gottes in seiner Lenkung der Geschichte antworten die Gottesreden in Kap. 38-42, auf die die gesamte Anlage des Buches hindrängt. Sie entfalten unterschiedliche Themen. Einerseits geht es um die Schöpfung und die ihr eingestiftete Ordnung, andererseits um das Thema Gerechtigkeit in der Geschichte. In jedem Fall aber ist für Ijob damit eine Änderung seines Blickwinkels verbunden. Denn nachdem er Gott in seinen Reden immer wieder herausgefordert und mit Schmähungen bedacht hat (9,24: „Die Erde ist in Frevlerhand gegeben“; 30,21: „Du wandelst dich zum grausamen Feind gegen mich“), geht es jetzt für Ijob um eine neue Wahrnehmung der Welt und ihrer Ordnung, die so ganz anders ist, als Ijob sie sich vorstellt.

Die Gottesreden beginnen in Kap. 38 mit einer grundsätzlichen Frage Gottes an Ijob, nämlich wie er dazu komme, den Plan zu verdunkeln: „Wer ist es, der den Plan verdunkelt mit Worten ohne Einsicht?“ Was aber ist der Plan? Das ist der für den Menschen und seine Welt konstitutive Schöpfungs- und Geschichtsplan Jahwes, mit dem Gott allem Geschaffenen eine Ordnung gestiftet und es mit sich verbunden hat und dessen Horizont, wie Jes 55 festhält, alles Denken des Menschen überragt (V.8: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege“). Jedoch hat diese Feststellung nicht einfach die Unbegreiflichkeit Gottes oder die kurze Reichweite des menschlichen Einblicks im Sinn, vielmehr geht es darum, dass die menschlichen Maßstäbe dem Heilswillen Gottes, der den ganzen Schöpfungsverlauf umgreift, nicht gewachsen sind. In eben diesem Sinn stellen die Gottesreden Ijob eine Schöpfung vor Augen, in der Gott zu jedem Zeitpunkt tätig ist: als derjenige, der im Anfang einen geordneten Kosmos geschaffen hat und ihn im Dasein erhält, als derjenige, der chaotische Kräfte, die in der Welt Raum gewonnen haben und mit ihren Strukturen verbunden sind, in Schranken halten und sie sogar zur Durchsetzung seiner Zwecke instrumentalisieren kann.

Die erste Gottesrede macht in ihrem ersten Teil (38,1-38) die von Gott der Schöpfung eingestiftete Naturordnung transparent für die verborgen wirkende heilsgeschichtliche Führung Gottes, in die auch der einzelne Fromme mit seinem persönlichen Geschick aufgehoben ist. Denn so wie sich Gott in den Wundern der unbelebten Schöpfung als derjenige offenbart, der die Macht und die Weisheit besitzt, durch die Erschaffung und Lenkung eines geordneten Kosmos das Chaos zu bannen, wird er sich auch den Frommen zuwenden und sie trotz aller Widrigkeiten zur Vollendung führen. Am Beispiel von wilden Tieren (Löwe und Rabe, Felsenziegen und Hirschkühen, Maultier und Wildesel, Wildochse, Strauß, Pferd, Falke und Geier), die der Mensch nicht domestizieren kann und die im Alten Testament daher den Bereich des Bedrohlichen, Zerstörerischen verkörpern (Lev 26,22; Dtn 32,24; Hos 2,14; Jer 5,6), wird im zweiten Teil der ersten Gottesrede (38,39-39,30) die Ordnungsmacht und Durchsetzungskraft Gottes in der Geschichte geschildert. Dies geschieht aber nicht in der Weise, dass Gott das Anarchisch-Chaotische eliminiert – es sei denn, er würde die Schöpfung vernichten, mit deren Strukturen das Böse verwoben ist –, sondern dadurch, dass er ihm eine Ordnung zuweist und seine bedrohliche Entfaltung fest unter seiner Kontrolle hält. Es gibt also, so die Botschaft der Gottesreden, eine universale Heilsgeschichte, eine Gerechtigkeitsordnung Gottes, in der er als Erlöser tätig ist und in die der einzelne Mensch mit seiner persönlichen Geschichte hineingestellt ist, auch wenn der Verlauf für ihn nicht im Einzelnen durchschaubar ist. Die zweite Gottesrede in Kap. 40,6-41,26 hat direkt den Kampf gegen das Widergöttlich-Chaotische zum Thema. Hier ist die Rede von den Ungeheuern Behemot und Leviathan, die der Verfasser einerseits in Anlehnung an die zoologischen Arten Nilpferd und Krokodil zeichnet, sie andererseits aber derart übersteigert, dass dem Leser deutlich wird: Hier geht es nicht wirklich um Tiere, sondern um chaotische und die Herrschaft Gottes bestreitende Größen. Gleich zu Anfang wird, um einen metaphysischen Dualismus auszuschließen, klärend festgestellt, dass Behemot eine geschaffene und ungeachtet seiner gefährlichen Kraft keine gegengöttliche Größe von gottgleichem Rang ist: „Sieh doch den Behemot, den ich geschaffen habe wie dich.“ (40,15) Dass Gott ihn geschaffen hat, bedeutet wiederum nicht, dass Gott ihn als chaotische Kraft gewollt hat, sondern zeigt an, dass hier eine geschaffene Größe ihre Bestimmung verraten hat.

 

Der Mensch kann diesen Gegner nicht besiegen, geschweige denn beseitigen. Eindrucksvoll vermitteln die göttlichen Fragen in Kap. 40,25-32 mit Bezug auf den Leviathan, dass es dem Menschen unmöglich ist, ihn zu fangen (V.25-26). Alles, was der Mensch unternimmt, prallt an ihm ab. Nichts rührt ihn, weder gütliche Versuche noch brutale Waffen. Man kann mit ihm nicht verhandeln, ihn weder in Dienst nehmen noch ihn zum Spiel- oder Handelsobjekt machen (V.27-30) oder ihn mit konventionellen Waffen besiegen (V.31-32). Wohl aber wird er, dessen Gefährlichkeit in Kap. 40-41 als Ausdruck der ihm innewohnenden Macht des Bösen geschildert wird, durch den bloßen Anblick seines Schöpfers niedergestreckt (41,1: „Siehe, seine Erwartung erweist sich als trügerisch. Schon bei seinem [sc. Gottes] Anblick wird er doch wohl hingestreckt?“),19 der es somit nicht gestattet, dass seine Schöpfung den Chaoskräften anheimfällt. Damit wendet sich diese Gottesrede explizit gegen Ijob, der nur das Chaos sehen wollte und der in Kap. 9,24 behauptet hatte: „Die Schöpfung ist in Frevlerhand“, also ausgeliefert der Herrschaft frevlerischer Menschen.

Warum aber holen die Gottesreden so weit aus, um Ijob zur Einsicht in die Heil bringende Wirkung der Gerechtigkeit Gottes zu bringen? Weil Ijob das Herrsein Gottes in Schöpfung und Geschichte infrage gestellt hat; darum beziehen auch die Gottesreden die Dimension von Schöpfung und Geschichte mit ein. Denn in einem Punkt hat Ijob recht: Es gibt keinen persönlichen Lebenssinn in einer sinnlosen Welt. Die Krise des einen bedeutet die Krise des anderen, so dass eine wahrhaftige Tröstung immer beide umfassen muss: die persönliche Lebensgeschichte und die universale Weltgeschichte. Indem aber die Gottesreden von dem durch Ijob geleugneten universalen Sinn sprechen und ihm zeigen, wie weit der Horizont reicht, in dem Gott schöpferisch und erhaltend tätig ist, geben sie seinem persönlichen Leiden einen Platz in diesem Gefüge zurück.20 Als Glied der Schöpfung sind der Einzelmensch und seine persönliche Geschichte in eine universale Heilsgeschichte gestellt. Das Leid ist damit nicht aus der Welt geschafft, wohl aber ist es der Erlösertätigkeit Gottes zugeordnet.

Damit korrigieren die Gottesreden sowohl den Fragesteller Ijob als auch die Fragestellung Ijobs, der – fixiert auf die eigene Unschuld vor Gott – nur auf das Funktionieren einer im Sinn der distributiven Vergeltung gerechten Weltordnung ausgerichtet ist, dabei aber nicht in Rechnung stellt, welche Gegenkräfte in der Schöpfung walten, die auch den Frommen in Mitleidenschaft ziehen und die überwunden werden müssen, damit die Welt nicht dem Bösen anheimfällt und die Schöpfung des Anfangs (Gen 1,1-2,4a) bleibende Gültigkeit hat. So packen also die Gottesreden das Problem an der Wurzel: Indem sie dem von Ijob behaupteten Nicht-Sinn die Gerechtigkeits- bzw. Heilsordnung Gottes entgegensetzen,21 geben sie ihm seinen Platz in Gottes Heilsführung zurück. Gott begegnet also nicht, wie Ijob geglaubt hat, dem Menschen als seinem Geschöpf in Feindschaft, sondern steht in letzter Treue und ohne jeden Hintersinn zu seiner Schöpfung und deren Erlösung.

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