Die Passion Jesu im Kirchenlied

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2.2.1 Einführung
Der Dichter

Über Martin Luther und sein Verständnis der Musik und der Kirchenlieder ist in der Vorrede gehandelt worden. Das Lied „Christ lag in Todesbanden“ entstand in der ersten Periode seines Liedschaffens um 1523/24, der Zeit, aus der ein großer Teil seiner Lieder stammt. Diese waren im wesentlichen Lieder für die Liturgie oder Psalmlieder, was sich daraus erklärt, daß er in der gleichen Zeit sich mit der Frage des Gottesdienstes befaßte und seine Schriften zum Gottesdienst konzipierte.

Quellen und Vorgeschichte des Liedes

„Christ lag in Todesbanden“ ist im „Geistlichen Gesangbüchlein“ von Johann Walter, Wittenberg 1524, erschienen, ebenso in den Erfurter Enchiridien, seit 1529 in den Wittenberger Gesangbüchern und schließlich im Babstschen Gesangbuch. Man kann es als zum Grundbestand evangelischer Lieder gehörig ansehen, betrachtet man die Gesangbücher vom 16. Jh. bis in die Gegenwart.

Dem Lied liegt die Ostersequenz Victimae paschali laudes zugrunde.

Luther hat Melodieelemente und Textteile aufgenommen, aber in seiner Liedfassung zu einem Lied mit eigenem Charakter umgeformt. Er hat damit eine Sequenz aufgenommen, die sich größter Bekanntheit und Beliebtheit erfreute. Damit hat er sich bewußt in eine Tradition gestellt und gezeigt, daß innerhalb dieser Tradition sich auch sein Liedschaffen bewegt.

Die Tatsache, daß bei der Entscheidung des Tridentinum, die vorhandenen 2000 Sequenzen auf nur noch fünf zu begrenzen1, diese Sequenz eine der beibehaltenen und in das Missale Romanum von 1570 aufgenommenen worden ist, zeigt, daß Luther mit seiner Entscheidung für sie wirklich eine der am tiefsten in der Messe verwurzelte Sequenz aufgenommen hat.

Die Sequenz Victimae paschali laudes stammt von Wipo von Burgund, der sie vermutlich um 1048 geschaffen hat.

Wipo, geboren 995, wirkte im Bistum Lausanne als Geschichtsschreiber, Dichter und Hofkaplan unter Kaiser Heinrich II., Konrad II. und Heinrich III., dessen Erzieher er auch gewesen war, und wurde schließlich Eremit im bayrisch-böhmischen Grenzgebiet, wo er um 1050 starb.

Die Verbreitung der Sequenz ist auch dokumentiert durch die Tatsache, daß sie in zahlreichen Hss des 11. und 12. Jh. erhalten ist. Ihr liturgischer Ort war die Osternacht.

Die erste Verdeutschung hat die Sequenz in dem Lied „Christ ist erstanden“ erfahren, das um 1100 im süddeutsch-österreichischen Raum entstanden ist. Ihren Ort hatte sie ebenfalls in der Osterfeier und bildete den Gesang zur visitatio sepulchri. Aus dem 12. Jh. liegt der erste Hinweis auf den Gesang vor, aus dem 14. Jh. die erste vollständige Überlieferung der ersten Strophe mit Neumen.2

Zu der ersten Strophe kamen im Laufe der Entwicklung zwei weitere als Neudichtung, die nicht vom Inhalt der Sequenz abgeleitet ist. Der erste Abdruck für das evangelische Singen erfolgte 1529 im Klugschen Gesangbuch. Auch im römisch-katholischen Singen wurde es weiterbearbeitet; ein Zeugnis davon ist im Gesangbuch von Johann Leisentritt von 1567 zu finden, in dem zwei Varianten des Liedes vorhanden sind.

Luther betitelte das Lied „Christ lag in Todesbanden“ als „Der Lobgesang Christ ist erstanden gebessert“. Diese Überschrift bezíeht sich weniger auf die Faktur des genannten Liedes, denn es besteht lediglich Substanzgemeinschaft bezüglich der Melodie und des Textes der ersten Strophe. Eher zeigt die Überschrift, daß er sich mit seinem Lied in die Tradition einreihen möchte, die mit dem Lied „Christ ist erstanden“ verbunden ist.

2.2.2 Der Liedtext
2.2.2.1 Kommentar

Die erste Strophe kann als vorangestelltes Summarium des Liedes angesehen werden: In ihr ist formuliert, was Christus getan hat und wie „wir“, die Glaubenden, darauf antworten.

Christus, der um der menschlichen Sünde willen in die Gefangenschaft des Todes gegeben war, ist auferstanden und hat so den Menschen das Leben gebracht. Die angemessene Reaktion des Menschen darauf ist Freude und Gesang, Dank und Gotteslob, das sich im Ruf „Halleluja“ ausdrückt.

Schon hier ist im Text das Schicksal Jesu Christi mit dem der Singenden verbunden: „für unsre Sünd gegeben, und hat uns bracht das Leben, des wir sollen …“ Das Geschehen wird nicht unabhängig vom Sünder betrachtet, sondern als Ereignis „pro nobis“ verstanden.

Der Tod Jesu ist hier entsprechend der ntl Deutekategorie der Dahingabeformel: „für unsere Sünde gegeben“ gedeutet.

Die Strophen 2 bis 5 entfalten das Heilsgeschehen anhand verschiedener Bilder, mit denen es beschrieben werden kann.

In der zweiten Strophe wird die Gewalt des Todes über die Menschheit gemäß der Theologie des Paulus begründet. „Kein Unschuld war zu finden“: Die Gesamtheit der Menschen ist der Sünde verfallen und damit dem Tod, der durch die Sünde in die Welt gekommen ist; „Der Tod ist der Sünde Sold“ (Röm 6,23). Dieser Todesverfallenheit wäre nur durch Unschuld zu entkommen, die aber keinem Menschen zuschreibbar ist. Darum konnte der Tod Herrschaft über uns gewinnen und „uns in seim Reich gefangen“ halten.

Im Hintergrund steht die Lehre von der Sünde, die durch einen Menschen in die Welt gekommen ist (Adam-Christus-Typologie, Röm 5), die sich zur Lehre von der Erbsünde geformt hat, an der Luther festgehalten hat. Nicht mit dem Blick auf das handelnde Ich, sondern als unabänderliche Gegebenheit werden Sünde und Tod betrachtet.

Die dritte Strophe beschreibt das Kommen Jesu Christi, der sich an unsere „Statt“, unsere Stelle, in die menschliche Situation der Gefangenschaft im Reich des Todes begeben hat. Doch die Unschuld unterliegt nicht der Herrschaft des Todes, so nimmt Christus durch seine Sündlosigkeit dem Tod das Recht und die Macht, über ihn zu herrschen. Denn der Stachel1 des Todes, mit dem er seine Herrschaft ausübt, ist die Sünde (1Kor 15,56); wenn aber der Tod nun einen Unschuldigen in seinen Fängen hat, liegt kein Rechtsgrund mehr vor, ihn festzuhalten. Die Sünde ist „abgetan“, d.h. wiedergutgemacht oder weggenommen2.

Der Tod ist damit nicht aus dem Blick; er bleibt als Wirklichkeit bestehen: seine „Gestalt“ bleibt, aber den Stachel hat er verloren (1 Kor 15,55). Der Tod steht noch drohend vor uns, aber er kann uns nicht mehr vernichten, da er keine Handhabe mehr hat.

In der vierten Strophe klingt das Motiv des „duellum mirabile“ an3: Das Ringen von Tod und Leben, in dem das Leben obsiegt und den Tod verschlingt. Die Schrift ist Verkündigerin des Geschehens, in dem „ein Tod den andern fraß“.

Zwei verschiedene Bilder scheinen hier ineinandergefügt zu sein: Der Kampf von Leben und Tod und das gegenseitige Verschlingen zweier „Tode“.

Das Gegensatzpaar Leben-Tod verweist als Bezug auf Jes 25,8 und seine Aufnahme in 1 Kor 15,54 („Der Tod ist verschlungen vom Sieg.“).

Dem Bild vom gegenseitigen Vernichten zweier Tode liegt zugrunde Hos 13,14 („Tod, ich will dir ein Gift sein“). Luther lag die Vulgata vor, die übersetzt: „Ero mors tua o mors“. Hier wird also von zwei Toden gesprochen, die einander gegenüberstehen; der Tod, der den anderen vernichten wird, ist bei Hos Gott in seinem Gericht über Ephraim. Luther bleibt hier in dem Bild von den zwei Toden, aber deutet implizit den Tod Christi als den, der den anderen Tod „fraß“ und ihn so vernichtete.

In einer Osterpredigt geht er auf dieselbe Stelle ein:

„… unsere Sünde hat er getragen, unsern Tod hat er durch seinen Tod hier hinausgebissen und verschlungen, und die Hölle, in die hinein wir fahren sollten, hat er zerstört, wie im Propheten Hosea (13, 14) geschrieben steht: ‚Ich will sie aus dem Totenreich erlösen und vom Tode erretten. Tod, ich will dir ein Gift sein, Totenreich, ich will dir eine Pest sein‘. Er redet von unserm Tod und von der Hölle, die uns gefangenhielt, und sagt, er wolle die Sünde austilgen, die auf mir liegt und mich anklagt, und den Tod und die Hölle zunichte machen, die mich fressen und verschlingen will.“4

Auch an anderer Stelle benutzt er das Bild des Hosea, wenn er von Christus spricht, der durch seinen Tod den Tod „gebissen“ habe und damit die Seele vom leiblichen und vom geistlichen Tod erlöst habe.5

Der Charakter des Wunderhaften, des „duellum mirabile“, haftet dieser Strophe an, indem sie nicht in dogmatisch-lehrhafter Sprache über die Entmachtung des Todes spricht, sondern in einer Sprache, die einen der Wirklichkeit scheinbar entzogenen Raum des Mythos suggeriert.

In seinen Studien zum „duellum mirabile“ legt Uwe Rieske-Braun Luthers Auslegung von Gal 3,136 dar: Hier stellt er das „duellum mirabile“ in den Zusammenhang der Heilsgeschichte und kleidet diese in einer fiktiven Szene in drei Akte:

Das innertrinitarische Gespräch zwischen Vater und Sohn, der die Sünden der Menschen auf sich nehmen soll7, der Kampf zwischen der menschlichen Sünde und der vollkommenen Gerechtigkeit, die sich in der Person Christi treffen und in ihren beiden Extremen zum Kampf führen müssen, und der Sieg der vis vitae über die mors, die alle Menschen vernichtet, aber schließlich an Christus scheitert. Christi „göttliche Lebensmacht erwies sich für den Tod als tödlich“8 Der Tod wird von einer neuen mors vernichtet …: „Sic mors devorat mortem, quae est vita, quae occidit mortem.“9

Auch hier verwendet er im Zusammenhang mit dem Heilsgeschehen das Bild von den zwei Toden und bleibt auch in seiner Auslegung auf der Ebene des Bildes.

In dieser Auslegung stellt Luther einen Zusammenhang zu dem hier besprochenen Lied her:

Er verweist auf eine Zeile der dem hier besprochenen Liedvers zugrundeliegenden Sequenz: „Mors et vita conflixere duello mirando“.10

 

Dieses Motiv aus der Sequenz und mit ihm das Modell des „duellum mirabile“ begleitet Luther in Auslegungen und Predigten in der gesamten Zeit seines Wirkens. Es bildet auch in seinem Lied die Grundlage seines Verständnisses von dem Erwerb des Heils für den Menschen.

Die folgende Strophe legt das Geschehen am Kreuz auf dem Hintergrund der Tradition des jüdischen Passahfestes aus.11 Luther spricht vom „Osterlamb“12; er überträgt so die Bedeutung des Passahlammes, dessen Blut die Menschen des von Gott erwählten Volkes vor dem Tode schützt, auf Christus. „Das ist hoch an des creutzes stam / in heisser lieb gebroten“. Luther verknüpft die Rede vom Kreuz mit dem Bild vom Feuerherd, auf dem das Passahlamm zugerichtet wird. In diesem Bild stehen die Flammen, in denen er „gebraten“ wird, für die Liebe Gott Vaters oder für seine eigene Liebe.13

Das Passahfest bleibt der biblische Bezugsrahmen des Kreuzesgeschehens: „Des blut zeichnet unser thuer“ nimmt den Bericht vom letzten Mahl Israels vor seinem Auszug aus Ägypten (Ex 12,22f) auf. Und wie das Blut der geschlachteten Tiere an den Pfosten der Türen der Israeliten die Einwohner der Häuser vor dem Morden des Todesengels verschonte, so ist es Schutz vor dem Tod, der eigentlich infolge der menschlichen Sünde eintreten müßte: „das helt der glaub dem tod fuer“. Im Glauben ergriffen, begründet das Blut Jesu, der für unsere Sünde gegeben (Str.1) wurde, die Machtlosigkeit des Todes, dem das Anrecht auf den Sünder verlorengegangen ist. Der Glaubende kann dem Tod mit dem Blut Christi als Unterpfand mutig entgegentreten und ihm damit nun seine Machtlosigkeit vor Augen halten: Der „Würger“ kann dem Glaubenden nicht mehr schaden, ihn nicht „ergreifen“ oder mit einem Hieb oder Stich treffen, so wie das Verb „rueren“ im frühnhd verwendet wird.14

Nun wird in der sechsten Strophe das „Fest“, die Feier von Ostern aufgenommen. In der letzten Strophe wird sich zeigen, daß die Aufforderung zum Feiern der Stelle 1 Kor 5, 8 entnommen ist.

Das Herz steht nun im Mittelpunkt. Mit Herzensfreude wird gefeiert, die Herzen werden „erleuchtet“.

Christus, die Sonne, läßt das Fest „scheinen“ und vertreibt die Nacht der Sünden aus den Herzen.

Die Rede von Christus als Sonne, die das Herz erleuchtet und von den Sünden befreit, läßt sich bei Luther auch in seinem „schönen Confitemini“, der Auslegung des Ps 118, finden.

„‚Dis ist der tag, den der HERR macht, Lasst uns frewen und frölich drinnen sein.‘ Das ist die zeit des newen Testaments, Ein ander tag denn so die liebe sonne teglich macht, Sondern der HERR ist selbs hie die sonne und macht diesen tag mit seinem schein und glantz …, Leucht auch nicht jnn die leiblichen augen, sondern jns hertz …, dis liecht leret gnade, friede, vergebung der sünden fur Gott …, Also heisset Christus ‚sol iustitie‘ Malachie am3.: ‚Euch, die jhr meinen namen fürchtet, sol auff gehen die Sonne der gerechtigkeit und heil unter seinen fittichen‘. Diese sonne sol gerechtigkeit an tag bringen, das ist, von sunden erlösen und gerecht machen alle, die an jhn gleuben, Und sol heil geben odder helffen vom tode allen die unter seine fittiche oder glentze sich geben und zuflucht haben, Und ist solcher glantz nicht anders denn die klarheit und offenbarung des evangelij jnn aller wellt, welchs von Christo ausgehet, scheinet und erleuchtet die hertzen der gleubigen …“15

Das Herz wird auch im Großen Katechismus als Ort des Glaubens verstanden:

Das erste Gebot bedeutet, „das ein Gott haben nichts anders ist denn yhm von hertzen trauen und gleuben. … Worauff du nu (sage ich) dein hertz hengest und verlessest, das ist eygentlich dein Gott. … ein Gott haben heisset etwas haben, darauff das hertz gentzlich trawet.“16

Daß es bei Luther, wenn er hier von „Herzensfreude“ spricht, um mehr geht als um eine emotionale Bewegung, erweist sich im „schönen Confitemini“:

„Und ist auch ein frölicher tag, wie er hie rhümet und sagt: ‚Lasst uns frölich sein‘, Denn solch liecht und lere von der gnaden macht dem hertzen friede, ruge und freude jnn Christo, weil es dadurch erkennet, das jhm seine sünde on sein verdienst vergeben und vom tod erlöset ist.“17

Hier wird deutlich, was Luther unter „froh sein“, „fröhlich sein“ versteht: Die Grundverfassung des Herzens, das im Glauben die Vergebung der Sünden ergriffen hat und sich in ungebrochener Gemeinschaft mit Christus weiß.

So wird in dieser Strophe im Bild des Festes – noch implizit – der Glaube, der Christi Handeln annimmt und dem Menschen Gewißheit des Heils verleiht, zum Thema.

Mit dieser Strophe wird auch eine Verbindung zum Beginn des Liedes geknüpft, da schon dort die Aufforderung ergeht: „Des wir sollen fröhlich sein“.

In der letzten Strophe nimmt Luther ein neues Bildwort auf, das sich aber dennoch an das vorangegangene Bild vom Passah anschließt: „Wir leben wohl im rechten Osterfladen.“ Dieser wird dem „alten Sauerteig“ gegenübergestellt, der auf dem Hintergrund von 1Kor 5,7f verständlich wird: „Darumb feget den alten Sawrteig aus / Auff das jr ein newer Teig seid / gleich wie jr vngesewert seid. Denn wir haben auch ein Osterlamb / das ist Christus / fur vns geopffert. Darumb lasset vns Ostern halten / nicht im alten Saurteig / auch nicht im Saurteig der bosheit vnd schalckheit Sondern in dem Süsteig der lauterkeit vnd der warheit.“18

Das Bild vom „rechten Osterfladen“ steht für die rechte Predigt des Wortes Gottes. Luther bietet eine Deutung des Osterfladens in seiner Auslegung der Stelle 1Kor 5,7f vom Osterdienstag 1524: „… ne praedicetur aliud quam illud pascha et puram fidem“. Es genügt nicht, den Sauerteig auszufegen, sondern „nihil contra agendum nisi verbum dei, das sin unser oster fladen“19.

An dieser Stelle löst sich Luther von dem ethischen Kontext, in dem Paulus schreibt, stellt Passah und Ostern in enge Verbindung, nimmt den schon zuvor im Lied bestehenden Zusammenhang der beiden Feste auf und macht sein Verständnis vom Osterfest als eine Überhöhung des „alten Ostern“, des Passahfestes, deutlich. Der alte Sauerteig und damit das Passahfest selber, ist nun ersetzt durch die Predigt von Christus, dem reinen Glauben und dem Wort Gottes.

Die Rede vom „alten Sauerteig“ scheint an dieser Stelle direkt 1 Kor 5, 6ff entnommen zu sein, aber die paulinische Deutung als „bosheit vnd schalckheit“ entspricht in ihrer eher auf der Handlungsebene liegenden Bedeutung nicht der, die Luther hier impliziert20. Schweizer weist auf ein der Deutung Luthers vergleichbares Verständnis hin: Der Begriff des Sauerteiges bezeichnet in der Verwendung durch die Rabbinen „etwas Böses, besonders den bösen Trieb der Sünde“, die gefährlichen „weiterwirkenden Charakter“ hat.21 Dem entspricht das Thema des Liedes, das die Entmachtung der Sünde und das Ende ihrer Wirksamkeit an dem Menschen besingt.

Hier wird nun implizit das Abendmahl zum Thema: „Christus will die Kost uns sein und speisen die Seel allein“. Die Rede von der Seelenspeise verweist auf das Abendmahl, das bei Luther als „Seelenspeise“ verstanden wird: „Darümb heisset es wol ein speisse der seelen, die den newen menschen neeret und sterckt.“22 verstanden wird, die der Erlösung der Seele dient: eine „liplich speis … dir zw gut und trost und stercke, zw erlosung animae tuae“23.

Das ungesäuerte Brot, das Wort der Gnaden, beides wird nun mit Christus selbst identifiziert, der sich im Abendmahl dem Menschen gibt, ihm zur Speise wird. Er bewirkt, daß nun der Glaubende sich mit seinem ganzen Leben auf Christus ausrichtet, allein ihm lebt.

Die Begriffe, die später zu zentralen Begriffen der lutherischen Theologie werden werden, sind hier miteinander in Zusammenhang gebracht: Der Glaube, Christus allein, das Wort, die Gnade.

In dieser Strophe hat das Lied sein Ziel gefunden: Die Überwindung des Todes durch Christus wird präsent in der Feier des Osterfestes und noch mehr, in der Feier des Abendmahles. In ihm wird Christus den Glaubenden zur Speise, zum Leben, denn die Sünde ist nun überwunden.

Auffällig ist der Tempuswechsel, der sich in der Wende zur 5. Strophe vollzieht: Zu Beginn ist von dem Geschehen in Vergangenheitsform berichtet worden. „Christ lag“, „den Tod niemand zwingen konnt“, „es war ein wunderlicher Krieg“. Dagegen „ist“ hier das Osterlamm, wir „feiern“ das Fest, „wir leben wohl“, „der Glaub will keins andern leben“. Die Todesverfallenheit des Menschen und der Kampf zwischen Leben und Tod gehört der Vergangenheit an; gegenwärtig ist der Sieg Christi, das Blut, das der Glaube dem Tode vorhalten kann, die Sonne, die unsere Herzen erleuchtet, und Christus, die Seelenspeise. Gegenwärtig ist das Leben, das uns aus dem Geschehen am Kreuz erwachsen ist.

2.2.2.2 Der inhaltliche Bezug auf die Sequenz

Martin Luther hat zur Grundlage seines Liedes die Sequenz Victimae paschali laudes des Wipo von Burgund gemacht. Deren Text lautet:

1.Victimae paschali1

laudes immolent Christiani.

2.Agnus redemit oves:

Christus innocens Patri reconciliavit peccatores.

Mors et vita duello

conflixere mirando:

dux vitae mortuus,

regnat vivus.

3.Dic nobis Maria,

quid vidisti in via?

Sepulcrum christi viventis,

et gloriam vidi resurgentis.

Angelicos testes,

sudarium et vestes.

Surrexit Christus spes mea,

precedet suos in Galilaea.

4.Scimus Christum surrexisse a mortuis vere:

tu nobis victor rex, miserere.

Übertragung ins Deutsche:

1: Die Christen opfern dem Passalamm / Passaopfer Lob.

2: Das Lamm erlöst/befreit die Schafe. Der unschuldige Christus hat die Sünder dem Vater versöhnt. Tod und Leben kämpften in wunderlichem Kampf, der Führer / Fürst des Lebens, der tot ist / war, regiert lebend.

3: Sag uns, Maria, was hast du auf dem Weg gesehen? Das Grab des lebendigen Christus, und ich habe den Glanz des Auferstandenen gesehen. Bezeugende Engel, das Schweißtuch und Tücher. Meine Hoffnung, Christus, ist auferstanden, er geht den Seinen nach Galiläa voran.

4: Wir wissen, daß Christus wahrhaftig von den Toten auferstanden ist: Du, unser Sieger-König, erbarme dich!

Die Sequenz spricht von Ostern her: Sie begründet das Lobopfer der Christen mit der Versöhnungstat Christi und kleidet diese in paradoxe Bilder: Das Lamm befreit die Schafe, der Unschuldige versöhnt die Sünder, der tote Fürst herrscht lebend. Auch Maria spricht von einem paradoxen Sachverhalt, vom Grab des Lebendigen.

Der Text der Sequenz argumentiert nicht oder stellt Sachverhalte dar, sondern er bezeugt die Auferstehung Christi und begründet sein Zeugnis mit dem der Engel, das durch Maria bezeugt ist.

Die Rettungstat Christi ist auch hier im Kern durch das Motiv des duellum mirabile dargestellt. Tod und Leben sind die Kontrahenten, der Fürst des Lebens geht aus dem Kampf als der mächtigere hervor.

Der Text führt in ein weiteres Zeugnis der Auferstehung Christi: Die Singenden bezeugen ihre Gewißheit der Auferstehung. Am Ende und als Konsequenz steht die Bitte um Erbarmen, begründet in der Anrufung Christi als „victor rex“, und das Gotteslob „Halleluja“.

Inhaltlich knüpft Luther an die Sequenz an. Das dort in seiner Bedeutung in die Reihe der anderen Paradoxe eingereihte Bild vom duellum mirabile nimmt hier die zentrale Position ein, von der aus der Sieg Christi über den Tod und dessen Konsequenz für uns, unsere Befreiung von Tod und Sünde, entfaltet wird.

Auch Luther argumentiert nicht, sondern stellt die Darstellung von Kampf und Sieg Christi in den Rahmen des Festes, das in der Haltung des Lobens gefeiert wird, in dem die Glaubenden den neuen Herrn besingen, der ihrer Existenz im Glauben einen neuen Grund gibt. Auch Luther singt also aus der nachösterlichen Perspektive, die erst die Erkenntnis des Sieges Christi ermöglicht.