Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz

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Der Graf Venosta war die meiste Zeit abwesend, sein erneuertes Bündniß mit dem Grafen von Vatz machte es ihm zur Pflicht, seine Stelle bey den Völkern zu vertreten, und jede Anstalt zu unserer Sicherheit zu machen, da unser gemeinschaftlicher Feind, der wüthende Donat, sich immer mehr nahete. Ich kannte seine Gesinnungen gegen mich, und es ist nicht zu verwundern, daß ich bey aller meiner Unschuld vor seiner Ankunft zitterte, aber meine Angst verglich sich bey weitem nicht mit dem Entsetzen, mit welchem Graf Walter den Namen des Kommenden nannte. Er sah in ihm nicht mehr den Sohn, nein, nur Lukretiens Rächer, und suchte oft in meinen Armen Zuflucht, wenn seine Phantasie ihm denselben bereits als gegenwärtig vorstellte. – Es ist unglaublich, was ich in dieser Epoche litt. Meine Freundinn Hedwig rieth mir oft zu fliehen, und Gott weis, was ich gethan haben würde, wenn mir nicht das Mitleid gleich in den ersten Stunden der Wiedervereinigung mit meinem unglücklichen Gemahl, das unüberlegte Versprechen, ihn lebenslang nicht zu verlassen, jedes seiner Schicksale mit ihm zu theilen, in den Mund gelegt hätte, ein Versprechen, welches zu feyerlich gegeben, und von ihm mit zu vieler Zuversicht angenommen worden war, um gebrochen zu werden.

Es hätte mir in der damaligen Zeit nicht an Gelegenheit gefehlt, meinen traurigen Aufenthalt auf eine schickliche Art zu verlassen, und in den Armen der Freundschaft Zuflucht zu finden, wär ich nicht so fest gebunden gewesen.

Graf Ludwig von Homburg, der Liebhaber der jungen Elisabeth von Rappersweil, hatte sich einige Zeit von uns entfernt, um die Ansprüche des Hauses seiner Geliebten, gegen den alten Feind desselben, den Abt von Sankt Gallen, geltend zu machen, und der Tod dieses Tyrannen erfolgte eben zu so gelegner Zeit, daß ihm die Ausführung seiner Absichten ausserordentlich erleichtert ward. Jetzt kam er zurück, die Gräfinn und den jungen Grafen Rudolf in ihre Rechte einzusetzen, und sie einem wartenden Volke in die Arme zu liefern. Hedwig schwur, sie könne sich in meiner traurigen Lage nicht von mir trennen, ich müsse ihr in den Schooß der Sicherheit folgen. Mein Herz sehnte sich, das Erbieten annehmen zu können, und Graf Walter versicherte in seinen ruhigen Stunden mit kleinmüthiger Stimme, er könne mich nicht halten, er müsse die Sache meinem Gewissen überlassen; aber man urtheile, ob ich, die ich täglich die Quaalen eines aufgebrachten Gewissens mit ansah, Muth haben konnte, das meinige auf diese Art zu verletzen. Ich schwur Waltern von neuem, zu bleiben, und bat von meiner scheidenden Freundinn nichts, als sie möchte ihre Tochter zu meinem Troste bey mir lassen. Ich hatte mich so an dieses liebreizende Geschöpf gewöhnt, und Graf Walter selbst hatte so viel Achtung vor der gebietenden Miene himmlischer Unschuld in ihren Augen, daß ich nicht selten in seinen bösen Stunden Zuflucht vor seinem Toben in Elisabeths Armen gefunden hatte. Auch sie hätte sich ungern von mir getrennt, nicht allein Liebe zu mir hielt sie fest in dieser Wohnung des Elends, sondern, so ungern sie es auch gestand, vornemlich der Wunsch, ihrem Ludwig nahe zu seyn, welcher mit seinen Leuten bey uns blieb, um die Gränzen vor dem eindringenden Feinde zu decken.

Wir schieden, Hedwig und ich schieden. Elisabeth blieb bey mir, und wir sahen der Zukunft, welche immer dunkler vor uns ward, mit bangen Herzklopfen entgegen. Werd' ich Muth genug haben, des letzten Schlags zu gedenken, den mir das Schicksal versetzen konnte? Hedwig war von mir gerissen, wen hatte ich außer ihrer liebenswürdigen Tochter noch, an dem mein Herz hing, als meinen Oheim, meinen Vater, den ehrwürdigen Grafen Venosta?

Graf Ludwigs Erscheinung hatte seine Rückkehr in diese Gegenden nöthig gemacht. Der junge Krieger mußte von dem alten Helden mündlichen Unterricht erhalten, was er zu unserm und des Landes Besten zu thun habe, ersterer durfte uns nicht verlassen, und uns jedem Angriff des Feindes durch seine Abwesenheit blos stellen, und der ehrwürdige Zirio kam also herüber, ihn mit der ganzen gegenwärtigen Lage, die unser Zustand gegen den Feind hatte, bekannt zu machen, und uns durch seine Gegenwart noch einmal Trost und Hoffnung in die Seele zu hauchen!

Ach noch einmal, nur noch einmal sollte ich meinen Wohlthäter in die Arme schliessen und seine ehrwürdigen Wangen mit Thränen der Dankbarkeit und Besorgniß für sein theures Leben benetzen! Die nächsten Zähren, welche ich über ihn weinte, fielen auf sein Grab! Der Rückweg nach seinem Heer führte ihn dem Tode entgegen. Im Innersten des Waldes lauerten Meuchelmörder; der Widerstand seiner Leute gegen den überlegenen Feind war gering, Graf Venosta fiel, wie schon mancher Held vor bösen Buben gefallen ist, und seine in die Flucht geschlagenen Begleiter brachten die fürchterliche Post35 auf das Schloß zurück.

Was soll ich von meinen Empfindungen bey diesem schrecklichen Streiche des Unglücks sagen? – Ich trauerte? ich verlor die Besonnenheit? ich war der Verzweiflung nahe? – Nichts von allem! Das Uebermaaß des Schmerzes darf nur verschleyert vorgestellt werden.

Ich hatte nur Gefühl für das, was ich in ihm verlohren hatte, erwog nicht, daß sein Tod mir das Unterpfand der nahen Gefahr war. Graf Donat stand nicht zwey Meilen von unserm Aufenthalt; der Schlag der meinen Oheim tödete, ward wahrscheinlich von seiner Hand geführt, wie konnte er leichter den Verfolgten beykommen, als indem er ihnen ihren Schützer entriß? – Zwar Graf Ludwig von Homburg! – aber seine Jugend, seine Unerfahrenheit, selbst Bestürzung und Gram über den Verlust seines heldenmüthigen Anführers zu Thaten der Tapferkeit, müssen ihn entschuldigen, wenn er nicht das leistete was wir gewünscht hätten! Laßt mich einige Tage der Angst und der lebhaftesten Unglücksahndung mit Stillschweigen übergehen; ich habe solcher Tag in meinem Leben viel gehabt; auch ihr werdet sie einst kennen lernen, und mir recht geben, daß sie oft noch gräulicher sind, als das gefürchtete Unglück selbst.

Graf Ludwig war in die Flucht geschlagen, unsere treusten Unterthanen, unter der Anführung Henrichs von Melchthal, vertheidigten die Zugänge des Schlosses noch einige Zeit, aber endlich mußten auch sie weichen, und dem furchtbaren Ueberwinder stand der Weg zu denen, welche vor seiner Ankunft bebten, offen.

Unter den tausend Leiden, welche ich seit meiner Wiedervereinigung mit meinem unglücklichen Gemahl zu erdulden hatte, war die fast beständige Gegenwart eines Menschen, den zu hassen ich unzählige Ursachen hatte, keins der geringsten. Dieser von mir halb verachtete, halb gefürchtete Mann, war der dermalige Abt von Churwalden Wiherus *36). Es wäre hinlängliche Ursach für mich gewesen, ihm zu hassen, daß er derjenige war, den die unartigen Mönche jenes Klosters, nachdem sie meine Freunde, Konraden und Lüttgern vertrieben hatten, zu ihren Obern erwählten, und daß er es gewesen war, der die verruchtesten Ränke anwandte, ihn zu stürzen, und sich an seine Stelle zu drängen. Ich konnte ihn nie in aller Pracht eines kleinen Fürsten auf dem Schlosse erscheinen sehen, ohne mich an das unbekannte Schicksal meiner ehrwürdigen Freunde zu erinnern, von welchen ich nie erfahren habe, was, nachdem ich sie durch den verborgenen Gang ins Gebürge führte, aus ihnen geworden ist. Doch war es nicht genug, an jenem Abscheu, den mir eine solche Erwegung einflössen mußte, Wiherus gab mir noch außerdem unzähliche Ursachen ihn zu hassen. Ehemals der Mitgenosse von den Ausschweifungen Graf Walters, jetzt der einige Mitwisser seiner Sündengeheimnisse und sein Beichtiger, hatte er alle Gewalt über ihn und herrschte mehr im Schlosse als der schwache Besitzer desselben und ich seine Gemahlinn. Ich hatte zu Zeiten die Furchtsamkeit, welche mir seit meinen letzten Unfällen auflebte, zu überwinden, und jenen Heuchler aus Walters Gnade und seinem angemaßten Ansehen zu setzen gesucht, aber immer mit so schlechtem Erfolg, daß ich mich zurück ziehen und das Joch in der Stille tragen mußte, das der mächtige Abt hier jedermann aufzulegen wußte. Wiherus, ein junger, und (wenn die Züge der Ausgelassenheit und des Lasters diesen Namen verdienen können), ein schöner Mann, pflegte mich oft zu versichern, daß nicht ich, wie ich klagte, sein Joch, sondern er vielmehr das meinige trüg, aber ich hatte Ausdrücke dieser Art, die mir ihn noch abscheulicher machten, allemal mit so viel Verachtung beantwortet, daß ich jetzt wenig mehr davon zu hören bekam, und er vielmehr sich, ich weiß nicht welcher Zurückhaltung und Blödigkeit in allen Dingen, wo er sonst geboten hatte, annahm, so daß ich sicher zu werden begunnte, und jetzt in meiner dringendsten Noth, da unser fürchterlicher Feind vor der Thür war, da jedermann käm, Rath und Entschliessung bey mir zu nehmen, die ich, ein schwaches furchtsames Weib gern selbst von andern gefordert hätte, daß ich, sage ich, in der Betäubung, in der gänzlichen Hülflosigkeit, in welcher ich war, kein großes Bedenken trug, die Anschläge anzuhören, welche der Abt von Churwalde zu unserm Besten vorbrachte. Sie waren überdieses von so unschuldiger Art, daß ich, so wenig ich auch von denselben zu hoffen geneigt war, doch keine Ursach finden konnte, sie zu verwerfen.

Edle Gräfinn, sagte Wiherus, wenig Herzen sind so verhärtet, daß sie Weiberthränen, oder der Stimme Gottes aus dem Munde seiner Diener widerstehen könnten. Ich glaube sicherlich, wenn Graf Donat die Zähren sieht, welche er so schönen Augen entlockt, so wird sein Grimm ganz entwaffnet seyn, und ihr werdet ihn, wie euren Sklaven behandeln können! doch ihr traut nicht auf die Macht, welche euch der Himmel verliehen hat, und wir wollen also zu dem andern Rettungsmittel unsere Zuflucht nehmen. Gebietet, erlaubt nur, und ich versammle mein ganzes Konvent in eurem Schlosse. Diese frommen Mönche sollen sich mit ihrem Gebete für euch zur ehrnen Mauer machen, ich will mich an ihre Spitze stellen, will Graf Donaten entgegen ziehen, und ihr werdet erstaunen, was wir auszurichten vermögen. – Ich willigte ein, Wiherus gab seine Befehle, und die frommen Mönche von Churwalden, (niemand als ihr Abt hätte die Stirn gehabt, sie so zu nennen), traten ihren Zug mit all der Feyerlichkeit an, die ihnen bey dem Feinde, dem sie sich entgegenwarfen, ein Ansehen geben konnte. Sie legten kein kleines Gewicht auf diese Heldenthat, wie sie ihren Zug nannten, und einer der Gelehrtesten verglich sie mit der That der Decier37, welche sich für das gemeine Beste den Göttern des Erebus38 weihten; eine Vergleichung, die mir und Elisabeth, die der römischen Geschichte nicht unkundig waren, ein mitleidiges Lächeln abgenöthigt haben würde, wenn wir jetzt einen Zug zum Lachen hätten verziehen können.

 

In unbeschreiblicher Angst erwarteten wir der Rückkunft der neuen Decier, und viel zu unglücklich, als daß wir nur für uns hätten sorgen dürfen, mußten wir alle Kräfte, die wir zu unserm eignen Troste nöthig hatten, nützen, und den schwachen Walter, der die Zukunft seines Sohnes, wie die Erscheinung einer rächenden Gottheit scheute, aufrecht zu erhalten. Während der Berathschlagung, zu welcher uns Wiherus genöthigt hatte, liessen wir meinen unglücklichen Gemahl auf einige Minuten aus den Augen, und wir fanden ihn jetzt nach dem Abzug der Mönche in der Nähe jenes Brunnens, welcher, wie ich schon erwehnt habe, seiner erhitzten Einbildungskraft so fürchterlich war, und unterschiedliche Äußerungen von ihm zeigten, was wir zu besorgen gehabt hätten, wenn uns die Vorsicht39 nicht zu gelegner Zeit zu seiner Rettung herbeygeführt hätte.

Wir durften ihn in der Fassung, in welcher er war, keinen Augenblick verlassen, wir wandten alle Künste der Beredsamkeit an, ihn zufrieden zu sprechen, und es gelang der sanften Elisabeth, welche viel über ihn vermochte, endlich sein zagendes Herz mit Hoffnung zu erfüllen, und ihm begreiflich zu machen, daß Graf Donat, und wär er auch ganz der wüthende Tyrann, wie ihn das Gerücht schilderte, doch unmöglich alle Menschlichkeit so ganz ausgezogen haben könnte, der Feind seines Vaters zu seyn und Rechenschaft über Dinge zu fordern, deren Ausgang vielleicht schlimmer gewesen wär, als er gedacht hätte.

Ihr habt Recht, sagte Graf Walter mit jenem kindischen Lächeln, welches er meistens nach den heftigen Ausbrüchen seiner Rasereyen anzunehmen pflegte, ihr habt Recht! Ich haßte ja Lukretien nicht, sie war meine erste Liebe. Daß Noria schöner und reicher war als sie, konnte jener nur eine Zeitlang schaden; hätte ich diese erst ganz beyseit geschaft, so würde ich wahrscheinlich jene wieder aus der Dunkelheit hervorgezogen und sie in ihre alten Rechte eingesetzt haben.

Die fromme Elisabeth bebte vor der abscheulichen Aeußerung zurück, welche ihre gutgemeynten Tröstungen aus dem Abgrund eines Herzens hervorgezogen hatten, das ich Thörichte zuweilen für gebessert gehalten hatte; sie sah mich mit wehmüthigem deutungsvollen Blick an, und ich zerfloß in Thränen.

Weinet nicht, sagte mein aller Besonnenheit beraubter Gemahl, und o, daß ihr meiner Hand nur auf wenig Minuten einen Dolch anvertrauen wollte, weder ihr noch ich sollten länger Ursach haben vor Donats Rache zu zittern!

Diese Unterredung, welche immer schrecklicher zu werden begunnte, und uns zwey hülflose Frauen für eine nähere Gefahr als für Graf Donats Schwerd zittern machte, ward durch die Ankunft zweyer Mönche aus Wiherus Gefolge unterbrochen. – Sie traten mit allen Zeichen der Angst ein, und meldeten, wie die Ueberredungskunst ihrer geistlichen Brüder bey unserm Feinde bey weitem nicht die erwartete Würkung gethan habe. Graf Donat, ein abgesagter Feind der Geistlichkeit, habe sie alle gefänglich annehmen lassen, und nur sie beyde seyen entflohen, um uns zur Rettung aufzumahnen.

Zur Rettung? uns? zur Rettung? schrien Elisabeth und ich aus einem Munde.

Ja, edle Frauen, erwiederte Gerungus, der eine von den beyden Klosterherren, ein Wink unser weisen Abts, sagte uns, was wir von euch zu fordern haben; er meynte, der Anblick der schönen Elisabeth von Rappersweil, eine Thräne aus ihren Taubenaugen, ein Wort mit ihrer herzgewinnenden Stimme, ein Fußfall, könne uns alle retten. O laßt euch erbitten, holdes Fräulein! Ein Maulesel steht bereit, euch ins Lager zu bringen, und wir begleiten euch, um zu eurem Schutze zu dienen.

O! rief Graf Walter mit jauchzendem Ton, o geht, Elisabeth! erweicht das Herz meines Sohnes für uns alle, und zum Lohn dieser Edelthat will ich ihn euch zum Gemahl geben.

Elisabeth bebte vor Gerungus Zumuthung und vor Walters Versprechen, auch ich hatte Einwendungen wider die seltsame Forderung der Mönche, doch fingen wir bey Gerungus beredten Vorstellungen und seines Gefärthen des arglosen Udalrichs gutherzigen Zureden an zu wanken, als der Abt Wiherus selbst hereintrat, und der Sache den völligen Ausschlag gab.

Wollt ihr helfen, rief er, indem er sich an Elisabeth wandte, so eilt, ehe es zu spät ist. Unsere Begleitung bürgt euch vor aller Gefahr, auch habt ihr, wofern ich den Grafen Donat in den wenigen Augenblicken, da ich ihn sahe, richtig beurtheilen lernte, nicht zu fürchten, daß eure Reize eine dem Grafen von Homburg nachtheilige Würkung auf sein Herz machen werden. Er fügte diesen Worten noch andere hinzu, denen die Rednerkunst des einen seiner Abgeschickten so viel Nachdruck gab, daß Elisabeth entschlossen aufstand, und den Mönchen zu folgen versprach.

Aber welches war die Rolle, die ich hierbey spielen sollte? Mein Gemüth war nicht frey und heiter genug, um tausend Widersprüche, tausend seltsame, Argwohn erregende Umstände in der Forderung der Mönche zu entdecken, welche einem unbefangenen Auge nicht entgehen werden; demohngeachtet dünkte es mich unmöglich zu seyn, das Fräulein von Rappersweil allein ziehen zu lassen, und ihre Schönheit und Unschuld den drohenden Gefahren auszusetzen. Meinen schwachen Gemahl zu verlassen, und ihn seinen vielleicht rückkehrenden verzweiflungsvollen Phantasien preis zu geben, war eben so unmöglich, so wie mir auch die Haut bey dem Gedanken schauerte, bey demjenigen eine Minute allein zu bleiben, der noch vor wenig Augenblicken Absichten wider mein Leben geäußert hatte, die ihm in der Raserey sehr leicht werden mußten, auszuführen. Unsere Leute waren theils alle geflüchtet, oder versteckt, theils waren sie zu Graf Donaten ins Lager geeilt, um durch freywillige Uebergabe ihr Schicksal zu erleichtern, ich blieb also nach Elisabeths Abreise der Wuth meines Gemahls ganz allein überlassen. Welche Parthie sollte ich ergreifen, da hier ein schneller Entschluß nöthig war?

Wir kamen am Ende darinn überein, daß ich in Gerungus und Udalrichs Begleitung mit Elisabeth zum Grafen Donat ziehen, und der Abt in meiner Abwesenheit auf dem Schlosse bleiben sollte, Graf Walters zu hüten; ein Geschäft, dessen er sich, wie mich dünkte, mit Unwillen unterzog, und das er doch bey der vielen Gewalt, die er über meinen unglücklichen Gemahl hatte, sehr gut verwalten konnte.

Wir zogen unsern Weg so langsam wie derjenige pflegt, der seinem Unglück entgegenzugehen denkt. Der gelehrte Gerungus bemühte sich, die zagende Elisabeth durch alle Trostgründe der Philosophie und der Religion bey gutem Muthe zu erhalten, indessen ich aus dem einfältigen Udalrich vergebens etwas zu erfragen suchte, was mich in meinen Hoffnungen oder Besorgnissen bestärken könne. Dieser Mann war sicherlich dem Herzen und dem Wandel nach der beste unter Wiherus ganzer Brüderschaft, aber so eingeschränkten Blickes, daß die Welt vor seinen Augen hätte untergehen können, ohne daß er zu sagen gewußt hätte, wie es zugegangen war. Alles, womit er mich zufrieden zu stellen suchte, waren unabläßige Versicherungen, es habe keine Gefahr mit unserer Reise, aber die Beschaffenheit des ganzen Vorgangs war ihm, wie es schien, so verborgen als mir.

Wir nahten uns jetzt Graf Donats Gezelt, mein Herz begunnte heftiger zu schlagen; was hatte ich von demjenigen zu hoffen, welcher geschworen hatte, mich Lukretiens Schatten zum Opfer zu schlachten? Doch faßte ich mich, schlug meinen Schleyer zurück und ging muthig voran, wohin man uns führte. Ich warf mich zu Donats Füssen, und suchte alles, was ich von ihm flehen wollte, und wozu mir die Worte fehlten, in einem einigen Blicke zusammen zu fassen. Donats durchdringendes Auge ruhte auf meinem Gesicht, und er wandte sich nach einem der churwaldischen Mönche, der hinter ihm stand, indem er fragte, ob ich die Schöne sey, von welcher man ihm gesagt habe. Man nannte ihm meinen Namen, Noria Venosta, und seine Miene, welche vorher den ganzen Ausdruck des Wohlgefallens getragen hatte, verwandelte sich in verbissene Wuth; er riß sich von mir los, und ging der entschleyerten Elisabeth entgegen, welche sich langsam näherte, und dann mit der Anmuth, die die kleinste ihrer Handlungen begleitete, vor ihm niedersank. Gnade! Gnade! rief sie, indem sie ihre Hände bittend vor ihm faltete, Gnade für die hülflose Unschuld! Sollte der siegreiche Donat wider schwache Weiber, wider einen kranken Vater, wider ein Volk, das sich gern vor seinen Waffen beugt, wüthen können? o das sey ferne!

Donat trat einige Schritte zurück, und sah die kniende Elisabeth mit jenem unerklärbaren Blicke an, den einige Männer in ihrer Gewalt haben. Niemand vermochte zu errathen, ob er die schöne Bittende aus einer für uns günstigen Bestürzung oder aus Verachtung in ihrer Stellung ließ, wie er bey mir gethan hatte.

Stehet auf! rief er nach einer Weile mit einem angenommenen rauhen Tone, wer seyd ihr?

Elisabeth von Rappersweil!

Und diese? indem er auf mich deutete.

Noria Venosta! Meine Mutter und die Eurige! Sie ist eures Vaters Gemahlinn, eures Vaters, der vor eurer Zukunft bebt. O Donat! bedenkt, was das heißt, ein Gegenstand der Furcht für einen reuenden Vater zu seyn! O Gnade! Gnade! für uns alle.

Donat hub die Kniende auf, ohne ihr zu antworten, machte auch mir ein Zeichen, mich zu erheben, und befahl seinen Leuten uns in ein andres Zelt zu bringen.

Gegen den Abend erschien er selbst, uns dasjenige zuzusagen, worauf wir am Morgen vergebens eine Antwort erwartet hatten; er schien ein ganz anderer Mann zu seyn, nachdem er die blutige Rüstung und den drohenden Helm abgelegt hatte. Er war gegen Elisabeth ehrerbietig, gegen mich höflich, er sprach mit Gelassenheit von seinem Vater, nannte Lukretiens Namen nicht, den er sonst, wie man uns sagte, immer im Munde zu führen pflegte, und ließ sich sogar herab, mich einmal Mutter zu nennen. O Elisabeth, rief ich, indem ich das Fräulein von Rappersweil in die Arme schloß, wir werden glücklich sehn! Graf Donat nennt mich Mutter! siehst du in ihm den Schrecklichen, den man uns geschildert hat? O daß Graf Walter hier wär seinen gefürchteten Sohn kennen und lieben zu lernen! er würde ihm alles, alles verzeihen!

Verzeihen? rief Donat, der ein wenig über den ungezwungenen Ausbruch meiner Gefühle lächelte. Derjenige, welcher hier zu verzeihen hat, bin ich, und in Wahrheit Noriens Schönheit kann jede Ungerechtigkeit, selbst die, welche der armen Lukretie wiederfuhr, verzeihlich machen.

Wir sahen, daß sich Donats Stirn bey Lukretiens Namen ein wenig umwölkte, und eilten, die letzte Bitte an ihn zu thun, die wir auf dem Herzen hatten, damit sich nicht seine günstigen Gesinnungen ehr ändern möchten, als wir den gewünschten Vortheil davon genossen hätten.

Wir baten um Erlaubniß zu seinem beängstigten Vater zurückgehen, und ihm die kindlichen Gesinnungen seines Sohnes anmelden zu dürfen. Er weigerte sich, und fragte nach der Ursach unserer Eil. Wir nannten außer der Begierde Graf Waltern schnell zu erfreuen, noch die Unschicklichkeit, hier im Lager unter lauter Männern zu bleiben.

O! rief er, ists nur dieses, was euch eilen macht, so darf ich auf Erlaubniß hoffen, in eurer Gesellschaft meinen Einzug auf Graf Walters Schloß zu halten. Ihr seyd nicht die einigen Damen hier im Lager, ich habe eine Gemahlinn und eine Schwester, welche sich freuen werden, euch zu umarmen, und die, daß ich euch die Wahrheit sage, eure Vorbitterinnen waren, ehe ich noch ganz entschlossen war, was ich auf euer Gesuch antworten sollte.

Es ist unmöglich zu beschreiben, auf wie vielfache Art uns Graf Donats Rede erfreute. Es ist kein Kleines für blöde zaghafte Frauen, an einem Orte, wo sie sich unter lauter wilden Kriegern glaubten, Personen ihres Geschlechts vorzufinden, und hier trafen wir gute weibliche Seelen, welche unsere Vorbitterinnen gewesen waren, ohne uns zu kennen, trafen Donats Gemahlinn! Dieses letzte besonders war Musik in meinen Ohren. Die Blicke unsers Ueberwinders hatten diesen Abend oft auf eine sehr unzweydeutige Art an der schönen Elisabeth gehangen, ich war geneigt Donats unerwartete Milde ganz auf die Rechnung von ihren Reizen zu schreiben. Elisabeth war verlobt, Donat ein Tyrann, was für Auftritte liessen sich von dieser traurigen Verkettung von Umständen voraussehen, welche durch die Nachricht, Graf Donat sey vermählt, durch die Ueberzeugung, er entblöde40 sich nicht, das junge Fräulein, das er mit Wohlgefallen anzusehen schien, seiner Gemahlin vorzustellen, auf einmal in die Reihe der Hirngespinste versetzt wurde.

 

Wir wurden Graf Donats Frauenzimmer vorgestellt, und mit Wohlwollen aufgenommen, doch schien das Auge der jungen Gräfinn von Vatz mehr mit jener Herablassung41 auf uns niederzusinken, welche man sonst nicht gegen Personen seinesgleichen annimmt, als mit ungeheuchelter Freundlichkeit, mit welcher uns die liebenswürdige Adelheit von der Wart, die man uns Graf Donats Schwester nannte, entgegen kam.

Ueberhaupt machte der Anblick der Gräfinn Imagina, so nannte sich Graf Donats Gemahlinn, nicht den vortheilhaftesten Eindruck auf uns. Das Wenige, was sich von ihr sagen ließ, war, sie war nicht schön, und die hohe Miene, welche sie anzunehmen wußte, diente keinesweges dazu, sie reizender zu machen.

Aber wie soll ich die einnehmende Frau von der Wart beschreiben? Dies sagte ich zu Elisabeth, als ich mit ihr allein war, dies soll Lukretiens Tochter und Graf Donats Zwillingsschwester seyn? findest du in diesem sanften Gesicht nur einen Zug, den sie mit ihren nächsten Verwandten gemein hätte? Elisabeth fand Aehnlichkeit mit beyden, und wir kamen endlich darinn überein, daß frühes Unglück Lukretiens Augen, die man bey mehrerer Aufmerksamkeit an ihrer Tochter nicht verkennen konnte, ihr wildes Feuer benommen haben müsse, und daß zarte Weiblichkeit ihrem hohen Wuchs und dem stolzen Gliederbau, in welchem sie ganz das Ebenbild ihres Bruders war, das Auffallende entzog.

Wir verbrachten die Nacht nach einem Tage, an welchem wir so viel überstanden und erfahren hatten, sehr unruhig. Als wir auf Graf Donats und seiner Damen Einladung einwilligten, diese Nacht im Lager zu bleiben, und erst des andern Morgens mit dem ganzen Heer aufzubrechen, so bestanden wir darauf, daß dem beängstigten Walter wenigstens Boten geschickt werden müßten, ihn von den Nichtigkeiten seiner Besorgnisse zu benachrichtigen, und Adelheit hatte Anstalt gemacht, daß Gerungus und Udalrich, unsere Begleiter, nach dem Schloss zurück gingen, ihren Abt von dem beschwerlichen Amt, der Hüter eines Mannes zu seyn, der seiner Sinne nicht ganz mächtig war, ablösten, und ihn ungesäumt mit Nachricht von dem Ergehen des unglücklichen Grafen von Vatz nach dem Lager zurück schickten. Die Frau von der Wart hatte sie selbst begleiten und sich ihrem unglücklichen zuvor nie gesehenen Vater zu Füssen werfen wollen, ohne von ihrem Bruder die Erlaubniß erhalten zu können, und sie theilte jetzt unsere angstvolle Unruhe, als eine Stunde der Nacht nach der anderen verschlich, ohne daß sich ein Bote vom Schlosse sehen ließ.

Adelheit befand sich in einer außerordentlichen Wallung, die ich unmöglich der Besorgniß um einen Vater, den sie nie gesehen hatte und dessen Schicksal in ihres Bruders Händen stand, zuschreiben konnte; sie hatte sich des Abends nach der Tafel fast ohne Abschied von uns getrennt, und kam jetzt nach Mitternacht allein mit einer dunkeln Leuchte zu uns, unter dem Vorwand, uns die vergessene gute Nacht nachzubringen, und sich mit uns von dem Gegenstand unserer gemeinschaftlichen Unruhe zu unterreden; aber daß dieses nicht das einige Geschäft war, welches sie zu uns brachte, fiel in die Augen. Ihr lag etwas auf dem Herzen, welches sie so lang zögerte, uns zu eröffnen, bis wir gestört wurden. – Imagina trat, ehe wir es uns versahen, herein, und bat mit einer Miene um Vergunst unsere nächtliche Unterhaltung theilen zu dürfen, die uns ihre Gegenwart als eine Gnade anrechnete, welche sie uns ungern wiederfahren ließ.

Adelheit fragte mit ihrer gewöhnlichen Holdseligkeit, was ihre geliebte Schwester veranlasse, sich die nöthige Nachtruhe abzubrechen? Wenigstens, fuhr sie fort, könnt ihr nicht die nehmliche Ursach der Schlaflosigkeit haben, wie wir, die um das ungewisse Schicksal eines Abwesenden besorgt sind, und den ausbleibenden Nachrichten von ihm mit Unglücksahndungen entgegen sehen.

Auch ich konnte kein Auge schliessen, erwiederte die unmuthige Gräfinn, indem sie die Augen rieb und herzlich gähnte, der Schein des Lichts lockte mich hieher, und ich war sehr verwundert, sehr erfreut, wollte ich sagen, auch euch hier zu finden.

Wie ist es doch irgend einem verständigen Wesen möglich, sich in einen Zirkel einzudrängen, wo es kein Geschäft hat, als den Endzweck der geschlossenen Gesellschaft zu stören. Imaginens Lage mußte so unleidlich seyn als die unsrige; sie kämpfte mit dem Schlafe und wir mit der peinlichsten Ungeduld, sie entschlummert oder entfernt, und uns in Freyheit zu sehen, Dinge zu hören, welche, wie uns immer deutlicher ward, für uns auf Adelheits Lippen schwebten.

So quälten wir uns gegenseitig eine halbe Nacht hindurch, bis jener Zufall uns aus einander scheuchte, welcher mir ewig gleich unvergeßlich und unerklärbar seyn wird. – Es war weit gegen den Morgen. Wir schwiegen alle, weil wir einander nichts zu sagen hatten. Adelheit hatte schon einigemal Miene gemacht, uns gute Nacht zu sagen, ohne daß sie sich überwinden konnte, die Hoffnung auf irgend einen unbewachten Augenblick aufzugeben. Die Lichter brannten dunkel. Imagina schloß jetzt die Augen, und ließ den Kopf mit der unverkennbaren Miene eines Entschlafenden auf die Schulter sinken.

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Elisabeth, Gräfinn von Toggenburg, an ihren Bruder, Ludwig, Grafen von Mätsch.

Hier, mein Bruder, hast du den Anfang meines Versprechens in der Geschichte der Unglücklichen Noria Venosta, welche meine Aufmerksamkeit auf tausendfache Art reizt. Ich hatte sie irrig für vollständig gehalten, und finde nun, daß sie nichts ist, als ein Fragment. Vielleicht habe ich unvorsichtig die Aebtißinn zu viel von dem geplünderten Archiv zurücknehmen lassen, vielleicht auch, und dies ist mir wahrscheinlich, vernichtete die Zeit den Rest von dem, was zu erfahren ich nicht ohne Begierde bin. Einige abgerissene Stücken und das Ende der Geschichte fand ich noch, und sie dienten nur dazu, eine Neugier zu vermehren, welche unbefriedigt geblieben seyn würde, wenn ich mich, von der Mühe in bestaubten Papieren zu wühlen, hätte abschrecken lassen, und nicht aufmerksam genug gewesen wär, in der Geschichte manchen Wink zu finden, wo ich zu suchen habe. Die Geschichten der Elisabeth von Homburg und der Lukretia Malatriti, deren Noria Erwähnung thut, sind für uns verloren, aber von den beyden Fräulein von Sargans, an welche Noriens Erzählung gerichtet, ist, fand ich viel; viel von der edeln, ach der beklagenswürdigen Frau von der Wart, auch einige Briefe von ihrer Hand geschrieben, die ich dir, so bald sie gelesen sind, mittheile, besonders den einen, welcher, wie mich dünkt, genau an die Lücke von Noriens Erzählung paßt, welche du und ich beklagen.

Fragst du nach der Würkung, welche diese Lectür auf mein Herz that? – O Bruder! es ist nur gar zu wahr, daß der Unglückliche überall sein Bild zu finden meynt. Noria und ich, dem Anschein nach, welch ein ungleiches Paar! Und doch wie leicht war es vielleicht möglich, daß beyde Schwestern im Unglück wurden? War Henrich von Montfort, um dessen Verlust so viel tausend Thränen geflossen sind, vielleicht bey seiner schönen Außenseite, eben das Ungeheuer, welches Walter von Vatz bey der Seinigen war? und erflehte ich vielleicht mit meinen Zähren um ihn vom Himmel mein Unglück? – O Vorsicht42! laß mich nie murren, wenn du mir ein Gut entrücktest, dessen wahren Gehalt du besser kanntest als ich! Ich flehte um mein Glück, und du gewährtest es mir in Entreissung dessen, was mich vielleicht unaussprechlich elend gemacht hätte.