Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, eBook

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c) Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung

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§ 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG berechtigt die Sozialgerichte, die aufschiebende Wirkung auf Antrag des Betroffenen anzuordnen bzw. wiederherzustellen, wenn der Zulassungs- oder Berufungsausschuss die sofortige Vollziehbarkeit seiner Entscheidung angeordnet hat,[682] oder der Rechtsbehelf des Betroffenen von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hat.[683] Dies ist nach der Rechtsprechung des BSG auch zulässig bei einer deklaratorischen Feststellung des Endes der Zulassung, wobei dann auch eine einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG erlassen werden muss, mit dem Inhalt, dass die Zulassung vorläufig zu verlängern bzw. zu erteilen ist.[684] Der Beschluss des Gerichts ist rechtsgestaltender Natur, er beseitigt die Vollziehbarkeit des Beschlusses der Zulassungsgremien, ohne dessen Wirksamkeit in Frage zu stellen.[685] Soweit Gründe der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit rechtfertigen sollen, hat das Sozialgericht bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, dass den Zulassungsgremien diesbezüglich ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zustehen kann.[686] Ein genereller Beurteilungsspielraum der Zulassungsgremien bei Entscheidungen über die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ist dagegen abzulehnen.[687] Wird gegen eine Vollziehungsanordnung des Zulassungsausschusses gerichtlich vorgegangen, ist ausnahmsweise der Zulassungsausschuss selbst Antragsgegner.[688]

d) Feststellung des Bestehens oder des Nichtbestehens der aufschiebenden Wirkung

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Ist die aufschiebende Wirkung eines eingelegten Widerspruchs streitig, kann das Sozialgericht auf Antrag des Widerspruchsführers das Bestehen[689] oder das Nichtbestehen[690] der aufschiebenden Wirkung feststellen (§ 86a Abs. 1 SGG analog). Das kommt bspw. in Betracht, wenn Streit über die Frage besteht, ob der Rechtsbehelf offensichtlich unzulässig ist.[691] Ein Antrag auf Feststellung des Nichtbestehens der aufschiebende Wirkung ist bspw. anzuraten, wenn die aufschiebende Wirkung zweifelhaft ist und das Interesse besteht, sogleich von der durch den Verwaltungsakt eingeräumten Befugnis (z.B. Ermächtigung) Gebrauch zu machen, andererseits aber die Möglichkeit, eine Anordnung der sofortigen Vollziehung zu erreichen, zweifelhaft ist.[692]

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Die Feststellung des Suspensiveffekts kommt auch dann in Betracht, wenn ein Verwaltungsakt nicht von der ihn erlassenden, sondern einer anderen Behörde vollzogen oder anderweitig durchgesetzt wird. Der Antrag kann in diesen Fällen sowohl gegen die Erlassbehörde als auch gegen die vollziehende Behörde gerichtet werden. Zu einem Auseinanderfallen zwischen Ursprungs- und Umsetzungsbescheid kommt es bspw. bei der Festlegung der Leistungsobergrenze im Job-Sharing gemäß § 101 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 und Nr. 5 SGB V durch die Zulassungsgremien, die von der Kassenärztlichen Vereinigung gemäß § 45 Bedarfsplanungs-Richtlinie gegenüber dem betroffenen Vertragsarzt durch einen Verwaltungsakt umzusetzen ist. Legt der Vertragsarzt gegen den Ursprungsbescheid Widerspruch ein und beachtet die Kassenärztliche Vereinigung den Suspensiveffekt nicht, so ist der Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung statthaft.[693]

e) Einstweilige Anordnung bei Statusentscheidungen

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Fraglich ist, ob dem Sozialgericht die Kompetenz zusteht, einen vertragsarztrechtlichen Status, z.B. die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung oder die Genehmigung eines Anstellungsverhältnisses, im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 SGG vorläufig zu gewähren. Zwei obergerichtliche Entscheidungen haben diese Kompetenz für den Regelfall verneint.[694] Nach dieser Auffassung schließen die Vorschriften der §§ 95, 96 und 97 SGB V einstweilige Anordnungen im Zulassungsverfahren aus. Der Zulassungsausschuss könne im Wege der einstweiligen Anordnung nicht verpflichtet werden, einen Arzt oder ein medizinisches Versorgungszentrum vorläufig oder endgültig zur vertragsärztlichen Versorgung zuzulassen oder die Anstellung eines Arztes in einem medizinischen Versorgungszentrum zu genehmigen. Da der Zulassungsausschuss abweichend von der Grundregel des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG gehindert sei, die sofortige Vollziehung einer von ihm erteilten Zulassung anzuordnen, habe die Anrufung des Berufungsausschusses nach § 96 Abs. 4 S. 2 SGB V ausnahmslos aufschiebende Wirkung. Diese Grundentscheidung des Gesetzgebers dürfe nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durch die Sozialgerichte überspielt werden.[695] Die Rechtsprechung geht somit von einer spezialgesetzlichen Beschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes durch das SGB V aus.[696] Zulässig sei es lediglich, den Zulassungsausschuss im Wege einstweiliger Anordnung zu einer Entscheidung bis zu einem vom Sozialgericht zu bestimmenden Zeitpunkt zu verpflichten. Das Sozialgericht dürfte danach also keine inhaltlichen, sondern nur zeitliche Vorgaben machen.[697] Nur in Ausnahmefällen könne eine vorläufige Statusentscheidung des Gerichts in Betracht kommen, nämlich dann, wenn der geltend gemachte materiell-rechtliche Anspruch völlig unzweifelhaft oder die Interessenlage zugunsten des Anspruchsstellers so eindeutig sei, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache geboten erscheine.[698] Darüber hinaus sei eine Folgenabwägung vorzunehmen, da auch die Ablehnung einstweiligen Rechtsschutzes für den Antragsteller zunächst vollendete Tatsachen schaffe.[699] Bei der gemäß § 86b Abs. 2 SGG gebotenen Abwägung wird grundsätzlich auf die wirtschaftlichen Folgen der Regelung abgestellt.[700]

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Ob diese Sichtweise noch aufrechterhalten werden kann, ist fraglich. Dagegen spricht zum einen die Entscheidung des BSG vom 5.6.2013.[701] Insbesondere das Argument einer spezialgesetzlichen Beschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes durch § 97 Abs. 4 SGB V dürfte nicht mehr haltbar sein, nachdem das BSG diese Norm gerade nicht als Spezialvorschrift auffasst. Angesichts der erheblichen wirtschaftlichen Tragweite, die Statusentscheidungen im Einzelfall haben können und der oft langen Verfahrensdauer des Streits um die Hauptsache sollten einstweilige Anordnungen in Statussachen nach allgemeinen Grundsätzen als statthaft angesehen werden, da andernfalls ein effektiver Rechtsschutz nicht garantiert werden kann. Zum anderen fordert das BSG im Falle des Widerspruchs gegen eine deklaratorische Feststellung des Endes der Zulassung die Verbindung des Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG. Dieser Antrag soll den Inhalt haben, dass die Zulassung vorläufig zu verlängern bzw. zu erteilen ist.[702] Es ist daher heute davon auszugehen, dass eine vorläufige Zulassungserteilung im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG in Betracht kommt.

4. Kapitel Einzelne Zulassungssachen
I. Entscheidungen über Zulassungen zur Teilnahme an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung
1. Zulassung von Ärzten
a) Grundlagen

aa) Status des Vertragsarztes

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Die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung ist eine höchstpersönliche Rechtsposition[1] und die Grundform der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung. Bei dem Zulassungsbeschluss handelt es sich um einen statusbegründenden Verwaltungsakt, der die Berechtigung und Verpflichtung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung, d.h. der Versorgung gesetzlich Versicherter und des in § 75 Abs. 3 bis 6 SGB V[2] genannten Personenkreises sowie organschaftliche Mitwirkungsrechte des Vertragsarztes innerhalb der Kassenärztlichen Vereinigung, z.B. das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreterversammlung und den hauptamtlichen Vorstand (§ 80 SGB V),[3] begründet.[4]

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Mit der Zulassung erhält der Vertragsarzt seinen Versorgungsauftrag (Definition: § 1a Nr. 23 BMV-Ä).[5] Nach der Rechtsprechung des BSG kann ein Arzt nur einen vollen Versorgungsauftrag und nur einen Vertragsarztsitz innehaben, auch bei Zulassung für zwei Fachgebiete.[6] Gemeint ist damit, dass die aus einem vollen Versorgungsauftrag folgende Leistungspflicht eine vollzeitige Tätigkeit[7] des Arztes erfordert. Jeweils eine vollzeitige Tätigkeit in zwei Fachgebieten scheidet aus, möglich ist nur eine insgesamt, also auf beide Fachgebiete zusammen bezogene vollzeitige Tätigkeit. Die Zulassung für ein weiteres Fachgebiet verändert den Inhalt der Zulassung in qualitativer Hinsicht, indem sie die Leistungserbringungsmöglichkeiten des Vertragsarztes auf dieses Fachgebiet erweitert.[8] Die Formulierung, dass einem Vertragsarzt nur ein voller Versorgungsauftrag „zugeordnet“ werden könne, ist jedoch missverständlich. Gemäß §§ 95 Abs. 9, 103 Abs. 4b S. 1 SGB V i.V.m. § 14a Abs. 1 BMV-Ä kann einem Vertragsarzt die Beschäftigung von drei bzw. vier vollzeitbeschäftigen angestellten Ärzten genehmigt werden. Es ist daher möglich, dass ein Vertragsarzt eine Versorgungsverantwortung im Umfang mehrerer Versorgungsaufträge inne hat. Ferner können einem Vertragsarzt aufgrund von zwei selbstständigen Teilzulassungen zwei selbstständige reduzierte (§ 19a Abs. 2 Ärzte-ZV) Versorgungsaufträge zugeordnet sein.[9] Durch das TSVG wurde in § 19a Ärzte-ZV zusätzlich zu der Möglichkeit, den Versorgungsauftrag auf die Hälfte zu beschränken, die Möglichkeit einer Beschränkung auf drei Viertel des Versorgungsauftrags geschaffen. Damit korrespondierend wurde in § 103 Abs. 3a S. 2 Hs. 1 SGB V die Möglichkeit zur Nachbesetzung eines Viertel Versorgungsauftrags vorgesehen. Zwar fehlen für die bedarfsplanerische Erfassung der Zulassung mit einem Viertel Versorgungsauftrag derzeit die gesetzlichen Grundlagen, da gemäß § 101 Abs. 1 S. 9 SGB V bei der Berechnung des Versorgungsgrades nur volle und hälftige Versorgungsaufträge zu berücksichtigen sind. Dennoch kann man die mit dem TSVG entstandene Rechtslage nur so verstehen, dass auch unabhängige Zulassungen mit einem Viertel Versorgungsauftrag möglich sind.[10] Da § 19a Abs. 2 S. 1 Ärzte-ZV allerdings keine originäre Beschränkung auf eine Zulassung mit einem Viertel des Versorgungsauftrags ermöglicht, kann eine Zulassung mit dem Viertel eines Versorgungsauftrags derzeit nur im Rahmen eines Nachbesetzungsverfahrens gemäß § 103 Abs. 3a S. 2 Hs. 1 SGB V entstehen. Mit jeweils selbstständigen Versorgungsaufträgen kann derselbe Arzt sowohl an der haus- als auch an der fachärztlichen Versorgung teilnehmen.[11] Die zwei Teilzulassungen (vgl. § 1a Nr. 15 S. 1 Nr. 1 BMV-Ä) können auch an unterschiedlichen Niederlassungsorten – auch in verschiedenen KV-Bezirken – ausgeübt werden, so dass in diesem Fall abweichend vom Grundsatz des einheitlichen Vertragsarztsitzes zwei Vertragsarztsitze bestehen,[12] an denen jeweils ein beschränkter Versorgungsauftrag wahrgenommen wird.[13]

 

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Der Teilnahmestatus berechtigt und verpflichtet zur vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen der §§ 15 Abs. 1, 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 4, 72 Abs. 1 SGB V und zur Teilnahme an der Honorarverteilung gemäß § 87b Abs. 4 SGB V, begründet die Mitgliedschaft in der Kassenärztlichen Vereinigung (§ 95 Abs. 3 S. 1 SGB V)[14] und bindet den Vertragsarzt an die untergesetzlichen Bestimmungen über die vertragsärztliche Versorgung (§ 95 Abs. 3 S. 3 SGB V),[15] also beispielsweise an die Mindestsprechstundenpflicht gemäß § 17 Abs. 1a BMV-Ä.[16] Der Zulassungsstatus berechtigt auch zur Teilnahme an der besonderen Versorgung gemäß § 140a SGB V (§ 140a Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB V).[17] Der Zulassungsstatus verpflichtet den Vertragsarzt grundsätzlich, nicht nur in bestimmten Zeiträumen (z.B. Sprechstunden, Werktage), sondern zeitlich umfassend („Rund um die Uhr“) für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung in seinem Fachgebiet[18] zur Verfügung zu stehen.[19] Die Zulassung von vertragsärztlichen Leistungserbringern dient den Krankenkassen zur Erfüllung des Heilbehandlungsanspruchs der Versicherten, der gemäß § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB V die ärztliche Behandlung umfasst.[20] Die Bindung der Zulassung an die Person des Leistungserbringers und das Gebot der persönlichen Leistungserbringung (§ 32 Abs. 1 Ärzte-ZV) dienen dem Zweck, den Leistungserbringer in eine unmittelbare, auch wirtschaftliche Verantwortung gegenüber den Leistungsträgern zu stellen.[21] Für juristische Personen (z.B. eine GmbH) ist der Zulassungsstatus – abgesehen von den für medizinische Versorgungszentren geltenden Ausnahmen – nicht erreichbar, soweit in dieser Rechtsform einzelne Leistungserbringer ärztlich tätig werden wollen.[22]

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Auf die Zulassung bzw. Teilzulassung[23] besteht bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen ein verfassungsrechtlich garantierter Rechtsanspruch.[24] Die Zulassungsvorschriften stellen Schranken der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG dar.[25] Es handelt sich um Berufsausübungsregelungen, die Berufswahlregelungen nahe stehen.[26] Der Zulassungsstatus als Vertragsarzt ist weder übertragbar noch pfändbar und fällt nicht in die Insolvenzmasse.[27]

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Als Statusentscheidung kommt der Zulassung im System der vertragsärztlichen Versorgung eine Ordnungsfunktion zu. Der Status des zugelassenen Vertragsarztes (gleiches gilt für genehmigte Anstellungen) sichert die vertragsärztliche Tätigkeit im Rechtsverhältnis zu Dritten ab.[28] Dies bedeutet, dass zum Schutz von Leistungserbringern und Versicherten zu Beginn einer ärztlichen Tätigkeit feststehen muss, ob diese innerhalb oder außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht wird. Denn nur dann hat insbesondere der einzelne Versicherte die Gewähr, dass er bei Inanspruchnahme eines bestimmten Leistungserbringers auch wirklich den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung erhält und nicht dessen individuellen Zahlungsansprüchen aus einem privatrechtlichen Schuldverhältnis ausgesetzt ist.[29] Statusentscheidungen sind jedenfalls alle Entscheidungen, die das „Außenverhältnis“ zu den Patienten bzw. den Krankenkassen betreffen.[30]

bb) Erscheinungsformen der Zulassung

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Die mit dem VÄndG[31] eingeführte Teilzulassung oder „hälftige Zulassung“ dient der Flexibilisierung der beruflichen Betätigungsmöglichkeiten, insbesondere der Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie der besseren Bewältigung von Unterversorgungssituationen.[32] In bestimmten Fällen kann die Reduzierung des Versorgungsauftrags auf die Hälfte auch einer genaueren Erfassung des tatsächlichen Versorgungsgrades von gesperrten Planungsbereichen dienen.[33] Die mit dem TSVG mit Wirkung vom 11.5.2019 eingeführte „Dreiviertelzulassung“ gemäß § 19a Abs. 2 S. 1 Ärzte-ZV soll Ärzten, die eine volle Zulassung mit 25 Mindestsprechstunden nicht mehr ausüben können oder wollen (z.B. aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie im Alter kürzer treten wollen) auch eine Beschränkung auf drei Viertel des Versorgungsauftrags ermöglichen.[34] Ob aufgrund der Möglichkeit, auf ein Viertel des Versorgungsauftrags zu verzichten, auch eigenständige Zulassungen mit einem Viertel Versorgungsauftrag möglich sind, ist umstritten.[35]

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Die mit dem GKV-VStG mit Wirkung zum 1.1.2012 eingeführte befristetet Zulassung gemäß § 98 Abs. 2 Nr. 12 SGB V i.V.m. § 19 Abs. 4 Ärzte-ZV dient dem Ziel, perspektivisch die Festschreibung von Überversorgung zu reduzieren.[36] Die Regelung wirft Fragen auf. Zwar nicht hinsichtlich ihres normativen Grundgedankens, Überversorgung zu vermeiden, wohl aber hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit des Mittels (der Befristung). Gemäß § 103 Abs. 1 S. 2 SGB V, § 16b Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV ist Überversorgung anzunehmen, wenn der allgemeine bedarfsgerechte Versorgungsgrad um 10 vom Hundert überschritten ist. Ist dies der Fall, werden gemäß § 103 Abs. 1 S. 2 SGB V, § 16b Abs. 2 Ärzte-ZV Zulassungsbeschränkungen angeordnet, so dass ab der Bekanntgabe des Beschlusses des Landesausschusses gegenüber den Zulassungsausschüssen[37] – vorbehaltlich § 95 Abs. 2 S. 10 SGB V –[38] Neuzulassungen und damit ein weiterer Anstieg der Überversorgung ausgeschlossen sind. Demgemäß können Nachfolgezulassungen nach § 103 Abs. 4 SGB V nur unbefristet erteilt werden.[39] Die Möglichkeit der Befristung besteht somit ab einem Versorgungsgrad von 100 Prozent (§ 19 Abs. 4 Ärzte-ZV) bis zur Bekanntgabe der Entscheidung des Landesausschusses. Bis zu einer Überschreitung des allgemeinen bedarfsgerechten Versorgungsgrads um 10 vom Hundert liegt aber nach dem Gesetz überhaupt keine Überversorgung vor, so dass auch keine „festgeschrieben“ werden kann. Lediglich dann, wenn mit „Festschreibung“ ein Anstieg der Versorgungsdichte von 100 auf 110 Prozent, d.h. die Gefahr der Sperrung des Zulassungsbezirks, oder der Zeitraum zwischen dem Erreichen einer Versorgungsdichte von 110 Prozent und der Bekanntgabe der Zulassungsbeschränkungen gemeint sein sollte, ergäbe die Gesetzesbegründung einen Sinn. Dann wäre aber fraglich, weswegen die Vermeidung einer Sperrung des Zulassungsbezirks ein verfassungsrechtlich legitimes gesetzgeberisches Ziel sein sollte, d.h. welche Gefahren aus einer Sperrung eines Zulassungsbezirks für das System der gesetzlichen Krankenversicherung herrühren könnten. Die mit der Überversorgung verbundenen Gefahren werden schließlich durch die Anordnung von Zulassungsbeschränkungen gerade vermieden.

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Besondere Zulassungstatbestände bilden die Zulassung zur gemeinsamen Berufsausübung bei Zulassungsbeschränkungen (sogenannte Job-Sharing-Zulassung),[40] die Sonderbedarfszulassung[41] und die Sonderzulassung für die Dauer der belegärztlichen Tätigkeit (sogenannte Belegarztzulassung).[42] Auch diese besonderen Formen der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung setzen das Vorliegen der allgemeinen Zulassungsvoraussetzung voraus, weisen darüber hinaus jedoch unterschiedliche spezielle Voraussetzungen auf. Auch die Rechtsfolgen der Zulassung können differieren.[43]

cc) Bedarfsplanung und Zulassungsbeschränkungen

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Das Zulassungsrecht steht in einem engen Zusammenhang mit dem Recht der Bedarfsplanung gemäß § 99 ff. SGB V.[44] Gemäß § 70 Abs. 1 S. 1 SGB V haben die Krankenkassen und die Leistungserbringer eine quantitativ bedarfsgerechte und räumlich gleichmäßige Versorgung der Versicherten zu gewährleisten.[45] Die Bedarfsplanung dient somit der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung. Es handelt sich um eine Ziel- und Orientierungsplanung,[46] die eine vorausschauende Planung des Ärztebedarfs ermöglichen und durch die Anordnung von Zulassungsbeschränkungen der Zulassungssteuerung dienen soll.[47] Die Notwendigkeit hierfür ergibt sich nicht zuletzt aus der Gefahr für die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung, die aus der Überversorgung mit vertragsärztlichen Leistungserbringern resultiert.[48] Die Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV rechtfertigt den mit der Bedarfsplanung und den gemäß § 103 Abs. 1 SGB V anzuordnenden Zulassungsbeschränkungen verbundenen Eingriff in die Grundrechte des Art. 12 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG.[49] Das GKV-VStG und die am 1.1.2013 in Kraft getretene neue Bedarfsplanungs-Richtlinie haben den Gestaltungsspielraum für die Bedarfsplanung erweitert und lassen die Berücksichtigung von Besonderheiten, insbesondere der regionalen demografischen Entwicklung und Morbiditätsstruktur, zu.[50] Durch das GKV-VSG mit Wirkung vom 23.7.2015 wurden neue bedarfsplanungsrechtliche Instrumente eingeführt.[51] Der durch das TSVG mit Wirkung vom 11.5.2019 eingeführte § 101 Abs. 1 S. 8 SGB V ermöglicht eine verfeinerte Bedarfsplanung innerhalb einzelner Arztgruppen.[52] Gemäß § 103 Abs. 2 S. 4 SGB V können zudem auf Antrag der für die Sozialversicherung zuständigen obersten Landesbehörden ländliche oder strukturschwache Teilgebiete eines Planungsbereichs bestimmt werden, die vom Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen auf Antrag der obersten Landesbehörde für einzelne Arztgruppen oder Fachrichtungen von den Zulassungsbeschränkungen auszunehmen sind.[53] Der Bedarfsplan selbst hat zunächst nur verwaltungsinterne Bedeutung,[54] gleiches gilt für die Feststellung einer Über- oder Unterversorgung durch den jeweiligen Landesausschuss. Erst die Versagung der Zulassung aufgrund von Zulassungsbeschränkungen (§§ 100 Abs. 2, 103 Abs. 1 S. 2 SGB V) bewirkt einen unmittelbaren Grundrechtseingriff.[55]