Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, eBook

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b) Untersuchungsgrundsatz (§ 39 Abs. 1 Ärzte-ZV, § 20 SGB X)

aa) Ermittlung von Amts wegen

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Im Verfahren vor den Zulassungsgremien gilt der Untersuchungsgrundsatz (§ 20 SGB X). § 39 Abs. 1 Ärzte-ZV greift einen Teilaspekt (die Beweiserhebung) heraus und schränkt die Geltung der §§ 20 bis 22 SGB X nicht ein.[75] Der Zulassungsausschuss hat den entscheidungsrelevanten Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln.[76] Er bestimmt – unter Beachtung der Vorgaben der Rechtsprechung[77] – Art und Umfang der Ermittlungen selbst und ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (§ 20 Abs. 1 SGB X).[78] Er darf aber nicht einseitig ermitteln, sondern hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigten. Die Entgegennahme von Erklärungen oder Anträgen darf der Zulassungsausschuss nicht deshalb verweigern, weil er die Erklärung oder den Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet hält (§ 20 SGB X). Die möglichst vollständige und zutreffende Sachaufklärung ist unverzichtbare Voraussetzung korrekter Rechtsanwendung. Die Zulassungsgremien müssen von allen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch machen, die ihnen vernünftigerweise zur Verfügung stehen.[79]

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Eine umfassende Sachverhaltsaufklärung wird bereits durch den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns vorgegeben. Das Gebot der vollständigen und zutreffenden Sachaufklärung steht aber oftmals im Widerspruch zu anderen Verfahrensprinzipien, etwa dem Beschleunigungs- und Vereinfachungsgebot, dem Transparenzgebot und dem Datenschutz. Die Zulassungsgremien müssen diese Belange im Rahmen des ihnen zustehenden Verfahrensermessens soweit wie möglich in Einklang bringen.[80] Ziel der Sachaufklärung ist die „vollständige“, d.h. bei den gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen mögliche und erreichbare Sachaufklärung. Zu ermitteln sind nur die unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Spruchkörpers entscheidungserheblichen Tatsachen.[81] Um herauszufinden, welche Tatsachen entscheidungserheblich sind, können bestimmte Angaben der Beteiligten als wahr unterstellt werden. Ändert sich die Entscheidung nicht, unabhängig davon, ob man die Tatsachen als wahr oder unwahr unterstellt, so muss diesbezüglich keine weitere Aufklärung erfolgen.[82] In Verfahren in denen die Zulassungsgremien auf Antrag tätig werden, dürfen sie die vom Antragsteller vorgetragenen Tatsachen zugrunde legen, soweit es sich dabei um typische Lebenssachverhalte handelt und keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen, die eine besondere Einzelfallprüfung erfordern.[83]

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Der Untersuchungsgrundsatz findet seine Grenze dort, wo eine weitere Aufklärung des Sachverhalts ohne eine Mitwirkung des Betroffenen unmöglich ist.[84] Eine Mitwirkungspflicht besteht von Gesetzes wegen nicht. § 21 Abs. 2 S. 1 SGB X statuiert lediglich eine Mitwirkungslast (Soll-Vorschrift), so dass die Mitwirkung nicht erzwungen werden kann. Dies gilt gemäß § 21 Abs. 2 S. 3 SGB X auch für das persönliche Erscheinen und die Aussagebereitschaft, weswegen aus dem Nichterscheinen und/oder der Weigerung, eine Äußerung abzugeben, keine negativen Schlussfolgerungen gezogen werden dürfen.[85] Allerdings kann eine durch die fehlende Mitwirkung verursachte fehlende oder mangelhafte Sachverhaltsaufklärung bei der Beweiswürdigung zu Lasten des Beteiligten berücksichtigt werden, soweit die materielle Beweislast beim Beteiligten liegt.[86] Im Verwaltungsrecht werden verschiedene denkbare Reaktionen diskutiert, etwa das Zurückstellen bzw. die weitere Bearbeitung eines Antrags,[87] die Fiktion einer Antragsrücknahme,[88] die nachteilige Beweiswürdigung,[89] die Annahme eines Mitverschuldens[90] und die Nichterhebung angebotener Beweise.[91]

bb) Beweiserhebung

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Zur Amtsermittlung kann sich der Zulassungsausschuss der Beweismittel bedienen, die er nach pflichtgemäßen Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält (§§ 39 Abs. 1 Ärzte-ZV, 21 Abs. 1 S. 1 SGB X).[92] Er kann insbesondere Auskünfte jeder Art einholen, Beteiligte anhören, Zeugen und Sachverständige vernehmen, schriftliche oder elektronische Äußerungen dieser Personen anfordern, Urkunden und Akten beiziehen sowie den Augenschein einnehmen. Diese Handlungsmöglichkeiten sind nicht abschließend, immer jedoch darf sich die Tatsachenermittlung nur auf die beweisbedürftigen und entscheidungserheblichen Tatsachen beziehen.[93]

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Die teilweise vertretene Ansicht, im Verfahren vor den Zulassungsgremien bedürfe es nicht der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme,[94] ist abzulehnen. Das Unmittelbarkeitsprinzip umfasst zwei Aspekte, zum einen die materielle Unmittelbarkeit, d.h. den Vorrang des sachnäheren Beweismittels,[95] und zum anderen die formelle Unmittelbarkeit, d.h. das Gebot der Beweisaufnahme unmittelbar durch die für die Entscheidung zuständigen Personen.[96] Der eingangs zitierten Ansicht ist zuzugeben, dass sich der Ärzte-ZV und dem SGB X kein Vorrang des sachnäheren Beweismittels entnehmen lässt.[97] Unrichtig wäre aber die Behauptung, die Mitglieder der Zulassungsgremien müssten sich nicht selbst (unmittelbar) ein Bild von den Beweismitteln machen. Jedes Mitglied des Zulassungsausschusses (gleiches gilt für den Berufungsausschuss) erhält von jedem Aktenstück eine Kopie. In der Sitzung hat jedes Mitglied somit unmittelbaren Zugang zu allen entscheidungsrelevanten Aktenstücken. Da Beschlüsse der Zulassungsgremien gemäß § 36 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV nur in Sitzungen gefasst werden können und die Beweiserhebung durch „den Zulassungsausschuss“ – also nicht durch einzelne Mitglieder oder Dritte – erfolgt (§ 39 Abs. 1 Ärzte-ZV), können und müssen auch bspw. Zeugenaussagen nur unmittelbar vor allen Mitgliedern der Zulassungsgremien (bzw. des nach § 22 SGB X ersuchten Gerichts) erfolgen. Das Sitzungsprinzip führt zu einem von §§ 20, 21 SGB X abweichenden Beweiserhebungsverfahren. Es gilt also im Verfahren vor den Zulassungsgremien ein formelles Unmittelbarkeitsprinzip, nicht aber ein strenges Mündlichkeitsprinzip.[98]

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Sofern die Zulassungsgremien gemäß § 21 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X Zeugen laden, besteht für diese weder eine Pflicht zu erscheinen, noch eine Pflicht zur Aussage, soweit dies nicht durch Rechtsvorschrift ausdrücklich vorgesehen ist (§ 21 Abs. 3 S. 1 SGB X). Entgegen der in Rechtsprechung und Literatur teilweise vertretenen Auffassung reicht § 39 Abs. 1 Ärzte-ZV, der lediglich den Grundsatz des Freibeweises normiert,[99] hierfür nicht aus.[100] Die im Falle der Aussageverweigerung in Betracht kommenden Zwangsmittel[101] machen eine ausdrückliche Regelung der Aussagepflicht erforderlich. Eine solche ausdrückliche Regelung stellt § 39 Abs. 1 Ärzte-ZV nicht dar. Dies zeigt ein Vergleich mit § 21 SGB X. Auch dort regelt Abs. 1 der Vorschrift den Grundsatz des Freibeweises. Wäre die Existenz dieses Grundsatzes bereits für eine Aussagepflicht ausreichend, hätte es der Regelung in § 21 Abs. 3 S. 1 und insbesondere der Wendung „wenn sie durch Rechtsvorschrift vorgesehen ist“, nicht bedurft.

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Besteht eine Aussagepflicht, kann sie im Falle der Aussageverweigerung gemäß § 22 SGB X durch richterliche Vernehmung durchgesetzt werden. Besteht keine Aussagepflicht, gilt § 22 SGB X nicht.[102]

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Zeugen und Sachverständige werden nach dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) entschädigt. Die Zulassungsgremien haben die Möglichkeit abweichende Vereinbarungen mit Sachverständigen zu treffen.[103] Die Entschädigungen gehören zu den Kosten des Zulassungsausschusses, die gemäß § 34 Abs. 8 Ärzte-ZV je zur Hälfte von der Kassenärztlichen Vereinigung einerseits und den Landesverbänden der Krankenkassen sowie den Verbänden der Ersatzkassen andererseits getragen werden.[104]

cc) Beweislastentscheidung

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Lässt sich ein Sachverhalt trotz aller gebotenen Ermittlungen nicht aufklären, hängt die Entscheidung davon ab, wer die Folgen der Sachverhaltsungewissheit zu tragen hat (Frage nach der materiellen Beweislast).[105] Da weder die Ärzte-ZV noch das SGB X Beweislastregeln enthalten,[106] ist auf den allgemeinen Grundsatz zurückzugreifen, wonach jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen bzw. die von ihm aufgestellte Rechtsbehauptung stützen.[107] Eine subjektive Beweisführungslast des Betroffenen besteht nicht.[108] Bsp.: Nach der Rechtsprechung des BSG liegt die materielle Beweislast für die tatsächlichen Umstände der Nichteignung i.S.d. § 20 Abs. 1, Abs. 2 Ärzte-ZV bei den Zulassungsgremien.[109]

dd) Rechtsfolgen einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes

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Eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes ist nur dann erheblich, wenn in der Sache eine andere Entscheidung hätte getroffen werden können.[110] Eine unvollständige Sachverhaltsaufklärung der Zulassungsgremien stellt einen Verfahrensfehler dar, der grundsätzlich zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Verpflichtung führen kann. Ergänzende Sachverhaltsermittlungen können sich aber erübrigen, wenn i.S.v. § 42 S. 1 SGB X offensichtlich ist, dass die unvollständigen Sachverhaltsermittlungen der Zulassungsgremien die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst haben.[111] Wer eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes geltend macht, muss daher darlegen, dass sich die Vorinstanz aufgrund ihrer eigenen Rechtsansicht zu bestimmten weiteren Beweiserhebungen hätte gedrängt fühlen müssen. Hierzu gehört auch die Benennung konkreter Beweismittel, deren Erhebung sich hätte aufdrängen müssen. Ferner ist darzulegen, zu welchem Ergebnis die für erforderlich gehaltenen Ermittlungen geführt hätten und dass hieraus die Möglichkeit einer anderen Entscheidung folgt.[112]

 

c) Grundsatz des rechtlichen Gehörs und Informationsrecht des Betroffenen

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Der betroffene Arzt hat das Recht, im Verfahren angehört zu werden und sich über den Inhalt der Verfahrensakten zu informieren. Das Gehörsrecht ergibt sich nicht aus Art. 103 Abs. 1 GG,[113] sondern aus Art. 20 Abs. 3 GG.[114] Im Verwaltungsverfahren gelten geringere Anforderungen als in gerichtlichen Verfahren, was sich insbesondere darin manifestiert, dass ein Verstoß gegen § 24 SGB X gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt werden kann.[115] Das Anhörungsrecht dient insbesondere dazu, den Betroffenen vor Überraschungsentscheidungen zu schützen und ihm Gelegenheit zu geben, durch sein Vorbringen die Entscheidung zu beeinflussen.[116]

aa) Anhörungsgrundsatz (§ 24 SGB X)

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Das Anhörungsrecht besteht gemäß § 24 Abs. 1 SGB X nur in Fällen, in denen ein Verwaltungsakt erlassen werden soll, der in Rechte eines Beteiligten eingreift. Ein solcher Eingriff liegt nur vor, wenn der vorhandene Rechtskreis eines Beteiligten durch die Verwaltungsentscheidung beeinträchtigt wird.[117] Nach der Rechtsprechung des BSG besteht das Anhörungsrecht daher grundsätzlich nur, wenn unanfechtbar zuerkannte Rechte wieder entzogen werden sollen.[118] Verwaltungsakte, die über Bestehen und Umfang eines vom Antragsteller behaupteten Rechts entscheiden, z.B. antragsablehnende Bescheide, werden teilweise als nicht anhörungspflichtig angesehen.[119] Diese Sichtweise kann man kritisieren, da ein Eingriff in die Rechte Beteiligter auch dann vorliegen kann, wenn ein Antrag abgelehnt wird. Gerade in Fällen des Erlaubnisvorbehalts besteht i.d.R. ein Grundrecht des Antragstellers, das durch die Ablehnung des Antrags endgültig beschränkt wird.[120] Der Schutz vor Überraschungsentscheidungen, den das Anhörungsrecht gewährleisten soll, ist auch in diesen Fällen geboten.[121] Nach der Rechtsprechung des BSG muss vor der Antragsablehnung jedenfalls dann eine Anhörung des Antragstellers erfolgen, wenn von einer im Antrag enthaltenen Tatsachenangabe zuungunsten des Antragsstellers abgewichen werden soll.[122] Unterbleibt die erforderliche Anhörung und wird sie nicht nachgeholt (z.B. im Verfahren vor dem Berufungsausschuss), so ist der Beschluss des Berufungsausschusses gemäß § 42 S. 2 SGB X allein aufgrund dieses Fehlers aufzuheben.[123]

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Damit sich der Beteiligte zu den entscheidungserheblichen Tatsachen äußern kann, müssen sie ihm gegenüber benannt werden. Es müssen nicht nur die wesentlichen Ermittlungsergebnisse mitgeteilt, sondern auch die beabsichtigte Entscheidung nach Art und Inhalt hinreichend klar umschrieben werden. Sofern zum Verständnis der Position der Zulassungsgremien Rechtsnormen genannt werden müssen, muss auch dies erfolgen. Rechtliches Gehör wird erst gewährt, wenn der rechtsstaatliche Rahmen der beabsichtigten Entscheidung offen gelegt wird.[124] Die Stellungnahme des Beteiligten muss von den Zulassungsgremien zur Kenntnis genommen und ernsthaft berücksichtigt werden.[125]

bb) Aktenführung und Akteneinsicht (§ 25 SGB X)

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§ 25 SGB X regelt ein Recht auf Akteneinsicht und setzt damit die Existenz von Akten voraus.[126] Das Recht und die Pflicht der Zulassungsgremien zur schriftlichen und vollständigen Aktenführung ergibt sich bereits aus dem Rechtsstaatsprinzip.[127] Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet es, die Verfahrensbeteiligten (§ 37 Abs. 2 Ärzte-ZV) über schriftliche Äußerungen von Zeugen und von Sachverständigen eingeholte Auskünfte sowie beigezogene Akten und Urkunden zu unterrichten.[128] Wer nicht Beteiligter des Verfahrens sein kann, kann auch keine Akteneinsicht beanspruchen (Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit).[129]

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Das Einsichtsrecht steht in enger Verbindung zur Gewährung des rechtlichen Gehörs und ist Bestandteil des rechtsstaatlichen Verfahrens. Die Norm bezweckt eine möglichst umfassende Information der Beteiligten über den Verfahrensgegenstand und damit die Herstellung der Waffengleichheit und Transparenz im Verfahren.[130] Das Recht auf Akteneinsicht ergänzt nicht nur den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 24 SGB X), sondern ist grundlegende Voraussetzung dafür, den Beteiligten das rechtliche Gehör überhaupt erst zu ermöglichen.[131] Damit diese Ziele erreicht werden können, bedarf es einer vollständigen und wahrheitsgetreuen Aktenführung durch die Zulassungsgremien.[132] Die Einsicht ist in alle schriftlichen Vorgänge, einschließlich Zeichnungen, Skizzen und Pläne, die im konkreten Verfahren eine Rolle gespielt haben und aus denen sich der wesentliche Inhalt und Ablauf des Verfahrens ergibt, zu gewähren.[133] Selbstverständlich erstreckt sich der Einsichtsanspruch auch auf EDV-technisch festgehaltene Vorgänge.[134]

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Das Akteneinsichtsrecht beschränkt sich auf Aktenbestandteile, deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung der rechtlichen Interessen des Einsichtsberechtigten erforderlich ist.[135] Aus dem Begriff „soweit“ in § 25 Abs. 1 S. 1 SGB X ergibt sich aber keine Berechtigung der Zulassungsgremien, nur eine Teilakteneinsicht zu gewähren,[136] er verweist vielmehr auf das für den Einsichtsanspruch notwendige rechtliche Interesse.[137] Das rechtliche Interesse ist nur gegeben, wenn die Einsichtnahme bezweckt, eine tatsächliche Unsicherheit über ein Rechtsverhältnis zu klären, ein rechtlich relevantes Verhalten nach dem Ergebnis der Einsichtnahme zu richten oder eine gesicherte Grundlage für die Verfolgung des Anspruchs zu erhalten.[138] In offensiven Konkurrentenstreitverfahren ist das rechtliche Interesse der nach § 12 SGB X beteiligten, aber übergangenen Konkurrenten regelmäßig zu bejahen.[139]

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Verfahrensakten i.S.d. § 25 SGB X sind alle Unterlagen, die den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens betreffen,[140] und zwar unabhängig davon, ob die Behörde sie zu den Verwaltungsakten im engeren Sinne nimmt. Der Aktenbegriff[141] ist objektiv zu bestimmen und nicht vom Willen der Zulassungsgremien abhängig.[142] Die Voraussetzung, dass die Akteneinsicht zur Geltendmachung oder Verteidigung der rechtlichen Interessen notwendig sein muss, ist ebenfalls nicht nach der Rechtsauffassung der Zulassungsgremien zu beurteilen. Maßgebend ist vielmehr, ob aufgrund einer vertretbaren Rechtsauffassung oder Würdigung der tatsächlichen Vorgänge die Akteneinsicht für die Wahrung der rechtlichen Interessen dienlich sein kann.[143] Das rechtliche Interesse an der Akteneinsicht liegt immer dann vor, wenn eine tatsächliche Unsicherheit über ein Rechtsverhältnis zu klären, ein rechtlich relevantes Verhalten nach dem Ergebnis der Einsichtnahme zu regeln oder eine gesicherte Grundlage für die Verfolgung eines Anspruchs zu erhalten ist.[144]

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Die Einschränkung des Einsichtsanspruchs nach § 25 Abs. 3 SGB X kommt nur ausnahmsweise in Betracht.[145] In offensiven Konkurrentenstreitverfahren etwa müssen den Konkurrenten bereits aus Gründen der „Waffengleichheit“ alle die Mitbewerber betreffenden Informationen zur Verfügung gestellt werden, insbesondere die Ausschreibungs- und Bewerbungsunterlagen,[146] aber auch der Praxisübergabevertrag[147] und der Gemeinschaftspraxisvertrag (Berufsausübungsgemeinschaftsvertrag).[148] Nur in Kenntnis des Inhalts der die Mitbewerber betreffenden Verwaltungsvorgänge sind die abgelehnten Bewerber in der Lage zu beurteilen, ob die ihnen nachteilige Auswahlentscheidung auf zutreffende tatsächliche und rechtliche Grundlagen gestützt ist.[149]

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Fraglich ist aber, ob dies auch für Vertragsärzte gilt, die nicht i.S.d. § 12 SGB X formell am Verfahren beteiligt sind oder waren und welchen Umfang deren Akteneinsichtsanspruch gegebenenfalls hat. Zu dieser Konstellation kann es bei rein defensiven Konkurrenzsituationen kommen, also dann, wenn der betreffende Arzt nicht selbst um die streitige Position konkurriert, sondern einen neuen Konkurrenten lediglich abwehren will. Ob die Äußerung des LSG Nordrhein-Westfalen, ein gegenläufiges schutzwürdiges Interesse i.S.d. § 25 Abs. 3 SGB X könne angenommen werden, wenn „die Mitbewerber das Verfahren nur betreiben, um einen Konkurrenten aus Wettbewerbsgründen zu verhindern“,[150] diese Sachverhalte im Blick hatte, ist unklar. Auch in defensiven Konkurrentenstreitverfahren besteht grundsätzlich ein Einsichtsrecht, das aber nicht weiter reicht als die potentielle Drittwiderspruchsbefugnis.[151]

129

Der Anspruch auf Akteneinsicht entsteht mit der Einleitung eines Verfahrens vor den Zulassungsgremien (Verwaltungsverfahren gemäß § 8 SGB X) und besteht bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens.[152] Nach h.M. endet das Verwaltungsverfahren mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts, durch Antragsrücknahme, sofern der Verfahrensbeginn von einem Antrag abhängig gewesen ist oder durch Erledigung i.S.d. § 39 Abs. 2 SGB X.[153] Das bedeutet für die Akteneinsicht im Verfahren vor den Zulassungsgremien, dass nur Akten noch laufender Verfahren einzubeziehen sind sowie Akten abgeschlossener Verfahren, soweit Elemente aus diesen Verfahren noch für das laufende Verwaltungsverfahren von Bedeutung sind.[154] Ist der Anspruch auf Akteneinsicht – etwa aus zeitlichen Gründen – erloschen, steht die Gewährung von Akteneinsicht im Ermessen der aktenführenden Behörde, so dass weiterhin ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über den Akteneinsichtsantrag besteht.[155]

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In den Bundesländern, die bereits ein Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erlassen haben, kommt grundsätzlich auch ein Recht auf Zugang zu den bei den Zulassungsgremien vorhandenen amtlichen Informationen nach Maßgabe des jeweiligen Landesgesetzes in Betracht. Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes ist hingegen nicht anwendbar. Bei den Kassenärztlichen Vereinigungen auf Landesebene handelt es sich um Körperschaften des öffentlichen Rechts des jeweiligen Bundeslandes (§ 77 Abs. 5 SGB V)[156]. Maßgebend für den Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes ist nicht die Errichtung der betroffenen Körperschaft durch Bundesgesetz, sondern die Aufsichtskompetenz über den Selbstverwaltungsträger.[157]

131

Das IFG ist auch während eines laufenden Verfahrens vor den Zulassungsgremien anwendbar. Das führt zu einer Anspruchskonkurrenz zwischen dem IFG und § 25 SGB X, wobei ein bestimmter Vorrang oder eine Rangfolge der Anspruchsgrundlagen nicht besteht.[158] Die Beteiligten des Verfahrens können wählen, ob sie Akteneinsicht nach § 25 SGB X verlangen oder einen Informationszugang nach dem IFG begehren.[159] Da sich bei einem Vorgehen nach § 25 SGB X oder IFG unterschiedliche Kostenfolgen ergeben können, muss ein Verfahrensbeteiligter genau prüfen, welche Anspruchsgrundlage für ihn günstiger ist.[160] Anders als das Akteneinsichtsrecht nach § 25 SGB X besteht das Informationsrecht nach IFG auch nach Abschluss des Verfahrens vor den Zulassungsgremien.[161]

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Für die Geltendmachung des Informationsanspruchs ist nicht der Sozialrechtsweg, sondern der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.[162] Der Informationsanspruch nach IFG hat keinen spezifischen Bezug zum sozialrechtlich begründeten Rechts- und Pflichtenkreis der Zulassungsgremien. Er ist auf Zugang zu den amtlichen Informationen gerichtet. Das Rechtsgebiet, aus dem die Informationen, die Grundlage oder der Zweck ihrer Aufzeichnung oder die im Zusammenhang mit ihnen verfolgte Verwaltungsaufgabe entstammen, ist für den Auskunftsanspruch grundsätzlich unbeachtlich.[163]