Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, eBook

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3. Kapitel Das Verfahren vor den Zulassungsgremien

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Das Verfahren vor den Zulassungsgremien richtet sich nach §§ 96 Abs. 2a, Abs. 4, 97 Abs. 3, 4 SGB V, §§ 36 bis 45 Ärzte-ZV. Soweit diese spezielleren Bestimmungen nicht vorgehen, gilt das SGB X.[1]

I. Verfahrensgrundsätze

1. Allgemeine Rechtsgrundsätze des Verfahrensrechts

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Die Rechtsordnung kennt übergreifende Verfahrensgrundsätze, die aufgrund ihrer Verankerung im Verfassungsrecht oder als den gesetzlichen Regelungen der verschiedenen Verfahrensarten gemeinsame bzw. vorausliegende allgemeine Rechtsgrundsätze für alle Verfahrensarten Geltung beanspruchen.[2]

a) Verfahrensherrschaft und Verfahrensermessen

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Das Verfahren vor den Zulassungsgremien ist ein Verwaltungsverfahren im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung. Die von den Zulassungsgremien zu treffenden Entscheidungen (Zulassungssachen i.S.d. § 96 Abs. 1 SGB V) sind ein Teilaspekt des den Kassenärztlichen Vereinigung und den Krankenkassen gemäß §§ 72 Abs. 1, 75 Abs. 1 SGB V übertragenen gemeinsamen Sicherstellungsauftrags.[3] Auch dort, wo der Zulassungsausschuss lediglich auf Antrag tätig wird, bspw. bei Zulassungsentscheidungen, besteht die Verfahrensherrschaft des Zulassungsausschusses, der in einem Verwaltungsverfahren öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen gestaltet.[4] Die Gestaltung des Verfahrens liegt grundsätzlich im Ermessen der Zulassungsgremien, soweit nicht spezielle Vorschriften existieren.[5] Dabei haben sie sich am gesetzgeberischen Zweck der einschlägigen Verfahrensnormen, der Eigenart des im Verfahren umgesetzten materiellen Rechts und den Besonderheiten des Einzelfalls zu orientieren. Ein Anspruch auf eine bestimmte Verfahrensgestaltung besteht regelmäßig nicht.[6]

b) Gebot eines fairen Verfahrens

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Aus Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip) ergibt sich der jedem Rechtsschutzverfahren eigene Grundsatz der Fairness. Geboten sind Berechenbarkeit, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.[7] Der Grundsatz gilt auch in nichtrichterlichen Verfahren[8] und verbietet, Verfahrensbeteiligte und Zeugen zu bloßen Objekten des Verfahrens zu machen.[9] Gefordert wird Gerechtigkeit im Verfahren.[10] Aus dem allgemeinen Fairnessgebot lassen sich für das Verfahren vor den Zulassungsgremien verschiedene konkretere Gebote ableiten:

aa) Transparenz und Vorhersehbarkeit

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Ein Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips ist die Forderung nach Transparenz und Vorhersehbarkeit der Verfahrensführung der Zulassungsgremien. Transparenz bedeutet das Gebot der Vorhersehbarkeit und Nachvollziehbarkeit des Verwaltungshandelns für die Beteiligten.[11] Der Transparenz im Verfahren entspricht materiellrechtlich die Gewährung von Vertrauensschutz.[12] Soweit spezielle gesetzliche Regelungen die Transparenz absichern, sind diese der Beurteilungsmaßstab. Soweit solche Vorschriften nicht existieren, kann auf den Transparenzgrundsatz selbst (Art. 20 Abs. 3 GG) zurückgegriffen werden. Dessen Verletzung kann nur gerügt werden, wenn sich der Verstoß auf das materiellrechtliche Verfahrensergebnis ausgewirkt haben kann.[13]

bb) Gleichbehandlung und Waffengleichheit

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Ebenfalls im Zusammenhang mit dem Gebot des fairen Verfahrens zu sehen sind das Gebot der Gleichbehandlung und das Streben nach Waffengleichheit der Verfahrensbeteiligten.[14] Das Gebot der Gleichbehandlung verpflichtet die Zulassungsgremien, die einzelnen Verfahrensbeteiligten verfahrensrechtlich grundsätzlich gleich zu behandeln.[15] Das Gleichbehandlungsgebot kann zur Folge haben, dass gleiche Verfahren gegenüber verschiedenen Adressaten nicht unterschiedlich entschieden werden dürfen (Selbstbindung der Verwaltung).[16] Die Gleichbehandlungspflicht wirkt sich vor allem bei Ermessensentscheidungen aus. Ermessensfehlerhaft ist in der Regel eine durch zu starke Formalisierung des Verfahrens bewirkte schematische Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte.[17]

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Das Gebot der Waffengleichheit verlangt eine zwischen den Beteiligten untereinander und den Zulassungsgremien, also sowohl horizontal als auch vertikal bestehende Chancengleichheit bei der Interessenverfolgung. Diesem Zweck dienen vor allem die noch gesondert anzusprechenden Rechte auf Akteneinsicht und Anhörung,[18] sowie das Recht, Bevollmächtigte, Beistände und Vertreter am Verfahren zu beteiligen.[19]

c) Verhältnismäßigkeit als Verfahrensprinzip

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Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entfaltet seine Wirkung, soweit mit dem Verfahren vor den Zulassungsgremien Belastungen für die Beteiligten verbunden sind. Das Verfahrensermessen kann nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ausgeübt werden.[20] Dies gilt insbesondere für Verfahrenshandlungen, die in Grundrechte eines Beteiligten eingreifen, wie etwa Datenerhebungen und Vorladungen. Aber auch darüber hinaus sind die Zulassungsgremien gehalten, das Verfahren so auszugestalten, dass es im Hinblick auf sein jeweiliges Ziel geeignet und erforderlich erscheint und die Beteiligten nicht zu unverhältnismäßigen Mitwirkungshandlungen oder zeitlichen Belastungen nötigt.[21]

d) Effizienz und Zügigkeit

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Das Gebot der Effizienz und Zügigkeit von Verwaltungsentscheidungen vereint zwei einander nicht immer bedingende Elemente. Einerseits können durch eine Verzögerung von Verwaltungsverfahren – dies gilt insbesondere für Zulassungs- und Ermächtigungsentscheidungen – nicht nur erhebliche wirtschaftliche Einbußen, sondern auch Rechtsverluste eintreten, so dass eine möglichst zügige Entscheidung wünschenswert ist.[22] Dementsprechend verlangt auch § 9 S. 2 SGB X ausdrücklich eine „zügige“ Durchführung des Verwaltungsverfahrens.[23] Andererseits kann sich eine gründliche Sachverhaltsermittlung und Interessenabwägung auf lange Sicht als effektiver erweisen, da sie zur Vermeidung von Folgerechtsstreitigkeiten beitragen kann. Effizienz darf deswegen nicht mit Schnelligkeit verwechselt werden. Die Gebote der Effizienz und Zügigkeit sind unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu handhaben, was bedeutet, dass auf die Wertigkeit der durch das Verfahren betroffenen Rechtspositionen, die Komplexität des Sachverhalts sowie die zu treffenden Interessenabwägungen Rücksicht zu nehmen ist.[24]

e) Nichtbeteiligung befangener Personen

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Zu den allgemeinen, verfahrensübergreifenden Grundsätzen gehört auch das Gebot, dass in entscheidungsrelevanter Position keine Personen mitwirken dürfen, bei denen eine Interessenkollision vorliegt. Interessenkollisionen können sich sowohl auf den Verfahrensablauf als auch das Verfahrensergebnis negativ auswirken. Der Grundsatz ist als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips[25] in § 16 SGB X speziell geregelt.

f) Datenschutz und Geheimhaltung

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Soweit im Verfahren vor den Zulassungsgremien Informationen aus der privaten oder beruflichen Sphäre des Arztes erhoben werden, stellt sich die Frage nach Datenschutz und Geheimhaltung.[26] Seit ihrem Inkrafttreten am 25.5.2018 gilt die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/G (Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO) innerhalb ihres Anwendungsbereichs unmittelbar und verdrängt das deutsche Recht, soweit nicht Öffnungsklauseln vorgesehen sind.[27] Zum Teil wird unter Hinweis auf Art. 168 Abs. 7 S. 1 und S. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Ansicht vertreten, der Bereich der Krankenversicherung unterfalle nicht dem originären Kompetenzbereich der EU und damit der DSGVO.[28] Folgt man dem nicht, ist zu prüfen (vgl. § 35 Abs. 2 SGB I), ob die DSGVO zur Anwendung kommt und anschließend zu untersuchen, ob in den jeweiligen DSGVO-Regelungen nationale Öffnungsklauseln enthalten sind, die der deutsche Gesetzgeber für eigene Regelungen genutzt hat. Im Falle von Kollisionen geht das europäische Recht dem nationalen Recht vor.[29] Der Anwendungsbereich der DSGVO ist im Verfahren vor den Zulassungsgremien gemäß Art. 2 Abs. 1 DSGVO sachlich und gemäß Art. 3 Abs. 1 DSGVO räumlich eröffnet. Die Zulassungsgremien verarbeiten als datenschutzrechtlich Verantwortliche i.S.v. Art. 4 Nr. 7 DSGVO personenbezogene Daten der Ärzte i.S.v. Art. 4 Nr. 1 DSGVO. Grundsätzlich ist damit die DSGVO auf die Datenverarbeitung anzuwenden, so dass die Verarbeitung der Daten nach Art. 6 DSGVO gerechtfertigt werden muss, sofern nicht spezifische nationale Regelungen über eine Öffnungsklausel zur Anwendung kommen.

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Das BSG geht anders vor. Nach seiner Rechtsprechung bedarf es im Hinblick auf die Auffangregelung in § 35 Abs. 2 S. 2 SGB I keiner Vertiefung, ob die DSGVO gemäß § 35 Abs. 2 S. 1 SGB I unmittelbar gilt.[30] Selbst bei unmittelbarer Geltung der DSGVO ergebe sich die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung aus Art. 6 Abs. 1 lit. c, Abs. 2 DSGVO. Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist danach rechtmäßig, wenn sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist, der der Verantwortliche unterliegt. Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Zulassungsgremien gehören nach Auffassung des BSG zu den öffentlich-rechtlichen Vereinigungen i.S.d. § 35 Abs. 1 S. 4 SGB I.[31] Die Erhebung und Speicherung von Sozialdaten durch die Kassenärztlichen Vereinigungen sowie deren Übermittlung an die Zulassungsgremien sei nach § 67a Abs. 1 S. 1 SGB X zulässig, da § 285 Abs. 1 und Abs. 3 SGB V die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Sozialdaten der Ärzte, Psychotherapeuten und Zahnärzte durch die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen regele.[32] Die rechtmäßig erhobenen und gespeicherten Sozialdaten dürfen nur für die Zwecke nach § 285 Abs. 1 SGB V (also auch zum Zweck der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung, § 285 Abs. 1 Nr. 2 1. Fall SGB V) verarbeitet werden, für andere Zwecke, soweit dies durch Rechtsvorschriften des SGB angeordnet oder erlaubt ist (§ 285 Abs. 2 S. 1 SGB V).[33]

 

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Die Entscheidung des BSG muss man im Ergebnis als richtig bezeichnen, die Begründung ist aber kritikwürdig. § 285 Abs. 1 SGB V rechtfertigt nur die Datenerhebung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen und gilt damit nicht für die Zulassungsgremien. Auch der Aufgabenkatalog des § 285 Abs. 1 SGB V umfasst nicht die Zuständigkeiten der Zulassungsgremien. Ob eine Analogie zulässig wäre, ist fraglich, da in § 285 Abs. 3 S. 6 SGB V bestimmte Sicherstellungsaufgaben genannt sind, die ausschließlich die Zuständigkeit der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen betreffen, so dass eine planwidrige Regelungslücke schwer zu begründen ist. In Betracht kommt hingegen die Anwendbarkeit der §§ 67 ff. SGB X über die Öffnungsklausel in Art. 6 Abs. 3 S. 1 lit. b DSGVO. Ob die §§ 67 ff. SGB X die Sachverhalte vor den Zulassungsgremien erfassen, ist jedoch umstritten. Dafür müsste es sich bei den zu verarbeitenden Daten um Sozialdaten i.S.v. § 67 Abs. 2 SGB X handeln. Die Daten müssten also von einer in § 35 SGB I genannten Stelle verarbeitet werden. § 35 Abs. 1 S. 4 SGB I nennt als Stellen u.a. die Verbände der Leistungsträger, die Arbeitsgemeinschaften der Leistungsträger und ihrer Verbände und die im Sozialgesetzbuch genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen. Zu letzteren zählen die Landesverbände der Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen[34] als Verbände der Leistungserbringer. Aus der Tatsache, dass die Zulassungsgremien von diesen beiden Sozialgeheimnisträgern errichtet und unterhalten werden, wird teilweise die Schlussfolgerung gezogen, es handele sich bei den Zulassungsgremien selber wiederum um eine Stelle i.S.v. § 35 SGB I.[35] Allerdings ist zu bedenken, dass die Zulassungsgremien rechtlich und organisatorisch verselbstständigte eigenständige Behörden sind.[36] Als Arbeitsgemeinschaften der Leistungsträger i.S.v. § 35 Abs. 1 S. 4 SGB I wird man sie ebenfalls nicht ansehen können. Zu den öffentlich-rechtlichen Vereinigungen, zu denen das BSG die Zulassungsgremien zählt, wurden bisher lediglich Körperschaften des öffentlichen Rechts gerechnet.[37] Die Aufzählung der neben den Leistungsträgern Verpflichteten in § 35 Abs. 1 S. 4 SGB V wird als abschließend angesehen.[38] Die Anwendbarkeit der §§ 67 ff. SGB X auf den von den Zulassungsgremien zu gewährleistenden Datenschutz ist daher fraglich.[39]

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Wird die Anwendbarkeit der §§ 67 ff. SGB X abgelehnt, kommt als Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung durch die Zulassungsgremien nur Art. 6 Abs. 3 S. 1 lit. b DSGVO i.V.m. der entsprechenden Erlaubnisnorm des jeweiligen Landesdatenschutzgesetzes in Betracht. Es handelt sich dabei um subsidiäre, allgemeine Rechtsgrundlagen für die Datenverarbeitung öffentlicher Stellen die – vorbehaltlich spezielleren Datenschutzrechts, wie bspw. der §§ 67 ff. SGB X – für die Datenverarbeitung öffentlicher Stellen in jeglichen Verarbeitungsszenarien Anwendung finden.[40]

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Die Regelungen über den Umgang mit den von den Zulassungsgremien erhobenen personenbezogenen Daten und Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen ergeben sich somit – wenn nicht auf die §§ 67 ff. SGB X zurückgegriffen werden kann[41] – aus Art. 6 Abs. 3 S. 1 lit. b DSGVO i.V.m. der entsprechenden Erlaubnisnorm des jeweiligen Landesdatenschutzgesetzes. § 43 Ärzte-ZV lässt sich immerhin entnehmen, dass die Akten des Zulassungsausschusses fünf Jahre, die Niederschriften und Urschriften von Beschlüssen 20 Jahre aufzubewahren sind. Daraus ergibt sich das Recht zur Speicherung der in diesen Dokumenten enthaltenen Daten, nicht aber das Recht zu deren Verwendung. Insoweit wird man über die Öffnungsklausel in Art. 6 Abs. 3 S. 1 lit. b DSGVO auf die entsprechende Erlaubnisnorm des jeweiligen Landesdatenschutzgesetzes i.V.m. § 95 Abs. 2 S. 4 SGB V, § 19 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV zurückgreifen müssen.

2. Rechtsgrundsätze des Verfahrens vor den Zulassungsgremien

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Die §§ 36 bis 43 Ärzte-ZV enthalten spezielle Verfahrensvorschriften für die Verfahren vor den Zulassungsgremien. Sie sind gegenüber den allgemeinen Verfahrensvorschriften des SGB X leges speciales. Die allgemeinen Verfahrensvorschriften bleiben daneben grundsätzlich anwendbar.[42] Das Verfahren vor den Zulassungsgremien weist einige konstruktive Parallelen zum förmlichen Verwaltungsverfahren gemäß §§ 63 ff. VwVfG auf, auch die §§ 88 ff. VwVfG können ggf. entsprechend angewandt werden.[43] Mit diesem teilt es insbesondere die prozessähnliche Ausgestaltung mit teilweise obligatorischer mündlicher Verhandlung. Gegenüber einem nichtförmlichen Verwaltungsverfahren sind die Verfahrensrechte der Beteiligten stärker ausgestaltet, das Verfahren ist insgesamt stärker formalisiert.[44]

a) Offizialmaxime, Legalitäts- und Opportunitätsprinzip, Antragsgrundsatz

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Bei der Einleitung öffentlich-rechtlicher Verfahren können vier teilweise zusammenwirkende Prinzipien eine Rolle spielen: Offizialmaxime, Legalitätsprinzip, Opportunitätsprinzip und Dispositionsmaxime (Antragsgrundsatz).[45] Diese Prinzipien sind in § 18 SGB X geregelt. Danach entscheidet die Behörde grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt (Offizialmaxime mit Opportunitätsprinzip, § 18 S. 1 SGB X). Dies gilt nicht, wenn die Behörde aufgrund von Rechtsvorschriften von Amts wegen tätig werden muss (Offizialmaxime mit Legalitätsprinzip, § 18 S. 2 Nr. 1 1. Alt. SGB X) oder nur auf Antrag tätig werden muss oder darf und ein Antrag nicht vorliegt (Antragsgrundsatz, § 18 S. 2 Nr. 2 SGB X).

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Das Opportunitätsprinzip gemäß § 18 S. 1 SGB X spielt bei den Verfahren vor den Zulassungsgremien keine Rolle. Diese Verfahren unterliegen entweder dem Legalitätsprinzip (z.B. § 26 Abs. 1, Abs. 2 Ärzte-ZV, § 95 Abs. 6 SGB V i.V.m. § 27 Ärzte-ZV) oder dem Antragsgrundsatz (z.B. § 19 Abs. 1 Ärzte-ZV).[46] Die Aussetzung des Verfahrens durch den Zulassungs- oder Berufungsausschuss kommt angesichts des Gebots der Zügigkeit der Verfahrensgestaltung gemäß § 9 S. 2 SGB X nur ausnahmsweise in Betracht. Die Zulassungsgremien haben hierüber im Rahmen ihres Verfahrensermessens zu entscheiden.[47]

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Bei einem Antrag im Sinne des § 18 S. 2 SGB X (gleiches gilt für den Antragsbegriff im Rahmen des SGB V und der Ärzte-ZV) handelt es sich um eine empfangsbedürftige, verwaltungsrechtliche Willenserklärung.[48] § 18 SGB X selbst sieht zwar keine bestimmte Form vor, Formvorschriften ergeben sich aber für die Verfahren vor dem Zulassungsausschuss in der Regel aus der Ärzte-ZV (vgl. §§ 18 Abs. 1 S. 1, 31 Abs. 6 S. 1 Ärzte-ZV). Soweit es an Formvorschriften fehlt, kann der Antrag schriftlich, mündlich oder konkludent gestellt werden.[49] Neue Kommunikationsformen (z.B. Telefax, E-Mail) können genutzt werden, wenn die Zulassungsgremien diese in ihren offiziellen Schriftstücken oder allgemein zugänglichen Verzeichnissen anführen.[50]

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Der Zulassungsausschuss darf die Entgegennahme von Erklärungen oder Anträgen, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb verweigern, weil er die Erklärung oder den Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet hält (§ 20 Abs. 3 SGB X).[51] Sofern der Antrag unklar ist, reicht es nicht aus, wenn die Zulassungsgremien diesen aus ihrem Empfängerhorizont heraus auslegen. Erforderlich ist die Erforschung des wirklichen Willens des Antragstellers (Untersuchungsgrundsatz).[52] Liegen Anhaltspunkte vor, dass die Erklärung des Antragstellers seinen Willen nicht zutreffend wiedergibt, kann die Erklärung umgedeutet werden.[53] Die Zulassungsgremien sind bei unklarer Antragstellung im begrenzten Maße zur Betreuung (Beratung) des Antragstellers verpflichtet. Ein unterbliebener Hinweis auf erforderliche Anträge etc. kann zu einem sozialrechtlichen Wiederherstellungsanspruch führen. Es ist die Lage herzustellen, die bestanden hätte, wenn nach korrekter Beratung durch die Zulassungsgremien ein Antrag gestellt worden wäre.[54]

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Besondere Probleme kann die Frage der Bindung des Antragstellers an seinen Antrag aufwerfen. Fraglich ist, ob Anträge zurückgenommen oder widerrufen werden können.[55] Dies richtet sich nach der Interessenlage.[56] Die Verwaltungsrechtswissenschaft geht von der grundsätzlich freien Widerrufbarkeit des Antrags bis zum Erlass des verfahrensabschließenden Verwaltungsakts – teilweise bis zum Eintritt der Bestandskraft – aus.[57] Die Bindung an den Antrag soll aber bereits vor diesem Zeitpunkt eintreten, wenn durch den Antrag oder das sich daran anschließende Verfahren bereits irreversible Wirkungen eingetreten sind.[58] Das BSG stellt auf Außenwirkungen für Dritte i.S. einer Änderung der Rechtslage (Gestaltung) ab.[59] Durch den Antrag allein werden in der Regel noch keine Wirkungen im Außenverhältnis, insbesondere im Verhältnis zu Dritten, erzeugt.[60] Ob Außenwirkungen schon vorliegen, wenn der Zulassungsausschuss in einem Nachbesetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 3a, Abs. 4 SGB V die Auswahlentscheidung zugunsten eines von mehreren Bewerbern getroffen hat, ist umstritten.[61] Nach e.A. erhält der Bewerber durch die zu seinen Gunsten getroffene Auswahl eine Rechtsposition, die der Antragsteller nicht mehr einseitig vernichten kann.[62] Die Bindung an den Antrag gelte ab dem Tag der Bekanntgabe[63] der Entscheidung des Zulassungsausschusses, nicht erst mit der Zustellung des Beschlusses. Werde der von § 103 Abs. 3a, Abs. 4 S. 1 SGB V vorgesehene Zulassungsverzicht nicht nur angekündigt, sondern unter der Bedingung der Zulassung eines Praxisnachfolgers abgegeben, so könne man bereits die Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses – und nicht erst die Zulassungsentscheidung – als Bedingungseintritt ansehen.[64] Nach a.A. ist die Rücknahme des Antrags – allgemeinen Regeln entsprechend – bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit der Zulassungsentscheidung bzw. der Festsetzung der Entschädigung gemäß § 103 Abs. 3a S. 13 SGB V[65] möglich.[66] Das BSG hat nun in Bezug auf den Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens in einer ausführlich begründeten Entscheidung klargestellt, dass die Rücknahme des verfahrenseinleitenden Antrags auch nach der stattgebenden Entscheidung gemäß § 103 Abs. 3a S. 1 SGB V bis zur Bestandskraft der Auswahlentscheidung gemäß § 103 Abs. 4 S. 4 SGB V möglich ist.[67] Ob eine Antragsrücknahme möglich ist, richtet sich nach dem jeweils anwendbaren Fachrecht und der konkreten Interessenlage. Es ist die Frage zu stellen, ob öffentliche Interessen der Antragsrücknahme nach Wirksamwerden des Verwaltungsakts (im konkreten Fall der Entscheidung nach § 103 Abs. 3a S. 1 SGB V) entgegenstehen und ob in Folge der Antragstellung Umstände eingetreten sind, die nicht mehr ohne weiteres rückgängig gemacht werden können.[68] Beides wurde für den Fall der Rücknahme des Antrags auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens verneint.[69] Die Rücknahme des Antrags auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens führt in solchen Fällen zur Erledigung des stattgebenden Beschlusses gemäß § 103 Abs. 3a S. 1 SGB V.[70]

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Gemäß § 103 Abs. 3a S. 1 SGB V ergeht vor dem Auswahlverfahren zunächst die Entscheidung über die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens.[71] Umstritten ist, ob nach einem die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens ablehnenden Beschluss des Zulassungsausschusses noch eine Antragsrücknahme möglich ist, mit der Folge der Beendigung des Nachbesetzungsverfahrens.[72] Dies wird teilweise mit dem Argument abgelehnt, der Beschluss über die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens entfalte Außenwirkung auch gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung und den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen, so dass eine Antragsrücknahme ab Bekanntgabe der Entscheidung nicht mehr möglich sei.[73] In einem obiter dictum hat sich das BSG zu der Frage der Rücknehmbarkeit des Nachbesetzungsantrags nach Ablehnung der Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens gemäß § 103 Abs. 3a SGB V geäußert. Es beantwortet diese Frage aus systematischen Gründen nicht anders als die Frage, ob der Zulassungsverzicht unter die Bedingung einer erfolgreichen und bestandskräftigen Zulassung eines Nachfolgers gestellt werden kann. Der Antragsteller kann daher bis zum Eintritt von Bestandskraft der Entscheidung des Zulassungsausschusses gegen die Nachbesetzung (§ 103 Abs. 3a SGB V) den Nachbesetzungsantrag zurücknehmen.[74]