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Ihr mögt schon ahnen, welche Möglichkeiten sich mir boten, um etwas Geld in die Hände zu bekommen: Es waren die gleichen, die ich in London gehabt hätte. Aber ich habe gelernt, auch für kleines Glück dankbar zu sein, und ein solches fand ich.


Die Iren New Yorks fand man in einem Viertel namens Five Points. Eine gefährliche irische Bande, die Boodles, sorgten dafür, dass die Gegend für ihre Landsleute sicher war, und ebenso für verirrte Londoner Dienstmädchen, welche die Kinder von irischen Straßenräubern auf dem Arm trugen. Ich fand, durch Vermittlung der Boodles, ein Zimmer und eine Anstellung als Serviererin, und nur als Serviererin, in Kittys Cat House. Dort ging es mir um vieles besser als in dem Etablissement in London, denn Lady Kitty und ihre Managerin, Miss Patty, nahmen viele Frauen wie mich auf, sei es als Servierinnen, Tänzerinnen oder … Nun Ja, Ihr wisst schon. Die letzte Kategorie wurde im Cat House mit höchster Achtung behandelt. Wir Frauen waren froh, dass die … nun ja … weniger schamhaften Damen die Männer von uns wegholten, bevor sie zudringlich wurden. Die Männer wiederum wussten, dass es nicht nur ihrer Gesundheit, sondern vor allem ihrem Ruf und ihrer Ehre auf Äußerste schadete, uns gegenüber ausfällig zu werden. Miss Patty war eine sehr kleine Frau, aber es rettete ihr immer den Tag, wenn sie einen betrunkenen Rüpel am Ohr vor die Tür schleifen und zum Gaudium der Passanten dort zum Teufel jagen konnte.


Mir war damals natürlich nicht bewusst, dass Patrick der Preis war, den ich den Boodles zu zahlen hatte. Pat wuchs in den Straßen von Five Points mit den Kindern der »Boods« auf, und er war schon ein Mitglied der Bande, bevor er sich das erste Mal rasieren musste. Nicht, indem er sich durch eine dieser albernen Mutproben und all den anderen Kram beweisen musste, den die Männer der zivilisierten Welt nicht anders als die Krieger der Indianerstämme zelebrieren. Aber für Pat gab es, schon als er 10 Jahre alt war, nichts anderes und wichtigeres, als sich mit den Boods um Five Points zu kümmern.


Rory kam im Winter 1867 zu uns zurück. Ein Rory. Es war nicht der Rory, der mich gestützt hatte, als ich mich die Gangway der Golden Hind herunter geschleppt hatte. Er trug seinen Yankee-Mantel über einem Hirschlederanzug, und er hatte dieses verfluchte Gewehr auf der Schulter, in dessen Kolben die Kerben geschnitzt waren, die für die Leben standen, die er damit genommen hatte. Einunddreißig. Sie hatten festgestellt, dass er eine ruhige Hand und ein scharfes Auge hatte, und sie hatten ihn als Scharfschützen eingesetzt. Ich war dafür dankbar gewesen, hatte es ihn doch aus den Schützengräben und den Angriffslinien ferngehalten, in denen die Hälfte der Männer, die darin standen, auch starben. Doch nach Jahren wurde mir bewusst, dass mein Rory, der Mann, der die Liebe meines Lebens gewesen war, dort draußen in irgendeiner nutzlosen Schlacht gestorben war. Einunddreißig Mal hatte er dieses Gewehr geladen, auf einen anderen Menschen gezielt; einen Menschen, der nicht einmal wusste, dass da irgendwo ein Rory und ein Sharp-Gewehr waren, und diesen Menschen erschossen. Er sagte mir eines Nachts, als er einmal mehr schweißgebadet vom Schlaf hochschreckte, dass er die Kerben in seinem Kolben nicht geschnitzt hatte, um seine Beute zu zählen, sondern um Gott genauen Bericht zu erstatten, für wie viele Seelen er büßen müsse.


Wir kamen beide zum Brandwein. Für Rory war es der Whisky, ich kam mehr nach meiner Mutter und hielt mich an den Gin. Mindestens zwei Mal in jeder Woche waren wir beide sternhagelvoll.

Am 12. Mai 1869, morgens gegen zehn Uhr, schlug er mich. Ich weiß das so genau, denn es war das erste Mal. Es war kein harter Schlag, mehr ein Klaps ins Gesicht. Aber es war auch nicht der körperliche Schmerz, der mich verletzte, sondern der in meinem Herzen. Denn mit diesem Schlag zerstörte er, was von der Liebe geblieben war. So erschrocken, so niedergeschlagen war ich von dieser Backpfeife, dass ich ganze drei Tage widerspruchslos alles tat, was er von mir verlangte.

Trotzdem fühlte er sich am 16 Mai, im Abendrot, gemüßigt, mir eine weitere Schelle zu geben. Ich weiß das noch so genau, denn auch hier geschah etwas zum ersten Male. Ich hatte sechs Jahre im Cat House gearbeitet. Ich war nicht mehr das, was man in Good Old England als »Lady« bezeichnete. Ich war zu einer waschechten Five-Points-Gangsterbraut geworden. Ich schlug zurück.

Im Laufe der nächsten fünf Jahre passierte auch das im Schnitt zwei Mal in der Woche. Rory brach mir zwei Rippen, schlug mir einen Backenzahn aus und über meinem linken Auge besteht die Braue nur noch aus Narben, so oft hinterließ seine harte Hand dort blutige Wunden. Im Cat House nannten sie mich in dieser Zeit hinter meinem Rücken Mary Blue Eyes – ich muss wohl nicht erst erwähnen, dass meine Augen von brauner Farbe sind.

Im Gegenzug brach ich Rory mehrfach die Nase; er hat eine mächtige Narbe auf der Wange, wo ich ihn einmal mit dem Kochlöffel getroffen habe, und sein rechtes Ohrläppchen fiel einem meiner Wutanfälle zum Opfer – ich habe es abgebissen. Alles in allem stand es wohl unentschieden zwischen uns.

Bei all dem Fluchen, Trinken und Prügeln waren wir dennoch beide immer darauf bedacht, dass es unserem kleinen Patrick an nichts fehlte. Aber was für Eltern waren wir gewesen? Je älter Pat wurde, desto weniger mochte er Zeit mit uns verbringen, und je weniger Zeit er mit uns hatte, desto mehr verbrachte er mit den Boodles-Boys.

Die Boodles hatten in jener Zeit viel Ärger mit der Five-Points-Gang, eine Bande, die im Wesentlichen das Gleiche tat wie die Boodles, nur eben für die italienischen Einwanderer.


Am 16. März des Jahres 1874, kurz nachdem die Sonne untergegangen war und ich meinen Dienst an der Theke begonnen hatte, stürmten zwei aufgelöste Boodle-Boys ins Cat House, und zerrten mich schreiend und weinend auf die Straße; zu der Kreuzung, an der sich die Delancy und die Chrystiestreet treffen. Dort, an eine Straßenlaterne gelehnt, starb mein kleiner Patrick, mit einem italienischen Stilett in der Brust. Rory hatte es schon vor mir erfahren; als ich ankam war er schon losgezogen, einmal mehr das Recht in seine eigenen Hände nehmend.

Ich bekam ihn in den nächsten Tagen nicht zu Gesicht, dafür tauchten die Copper auf der Suche nach ihm zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten bei mir auf. Bei der Beerdigung stand ich ohne ihn am Grab, nur begleitet von einigen der Mädchen aus dem Cat House.

Als es am 23. März zwischen Nacht und Morgen an meine Tür hämmerte, dachte ich zuerst an einen neuerlichen Besuch der Polizei. Doch es war zu meiner größten Überraschung Miss Patty, die energisch in mein Zimmer eintrat, mit einer großen Leinentasche bewaffnet, in die sie umgehend und ohne eine weitere Erklärung als die, dass ich es nun sehr eilig hätte, meine paar Habseligkeiten stopfte. Sie drückte mir die gefüllte Tasche in die Hand und schob mich zur Tür hinaus und in Lady Kittys wartende Kutsche.

»Dein Rory hat in jedes Wespennest von Manhattan gestochen. Er hat John Driscoll auf offener Straße niedergeschossen. Jetzt sind die Boodles genauso auf der Jagd nach ihm wie die Five-Points-Itaker«, erklärte mir die Lady. »Du musst verschwinden, denn die Leute, die ihn suchen, werden nicht zögern dir alles anzutun, was ihnen notwendig erscheint, um seiner habhaft zu werden. Ich habe euch einen Weg zur Flucht geschaffen. Du kannst mit ihm gehen – wenn du ihn überhaupt wiedersehen willst, nach allem was passiert ist?«

Ich weiß nicht genau warum, doch ich entschied mich, mit Rory zusammen zu fliehen; vielleicht nur, um ihm ein weiteres Mal die Nase einzuschlagen. Kitty strich mir zum Abschied mit ihrem Spitzenhandschuh über meine vernarbte Augenbraue. »Ich kann dich gut leiden, Mary Blue Eyes«, sagte sie, »pass auf dich auf!« Damit drückte sie mir den vierläufigen, kleinen Revolver in die Hand, den ich seitdem immer in meiner Kleidung verborgen halte, lies ihre Kutsche wenden und verschwand für immer aus meinem Leben.


Meine Reise ging in einem weit weniger bequemen Fuhrwerk weiter, hinaus aus der Stadt. Zwei furchtbare Tage später traf ich in Hackensack meinen Rory wieder, und ich schlug ihm nicht die Nase kaputt. Die Fluchtmöglichkeit, die Lady Kitty uns besorgt hatte, bestand aus einer Gruppe von Pelzjägern, die den Winter in New York verbracht hatten und nun wieder in Richtung der großen Seen aufbrachen. Im Lauf der Tage erfuhr ich von Rory, was unsere unerwartete Reise verursacht hatte. Er hatte die Italiener aufgespürt, die Patrick ermordet hatten. Doch er hatte nicht einfach Rache genommen, er hatte Fragen gestellt und weiter geforscht. Und so war er, von Mord zu Mord, der Wahrheit auf den Grund gekommen, dass John Driscoll, ein Boodles-Boy, der nur ein paar Jahre älter als Patrick gewesen war, meinen Sohn aus Eifersucht zu einem Abenteuer angestiftet hatte, mit dem er ihn buchstäblich ins offene Messer laufen ließ. Manche hatten behauptet, John hätte Angst gehabt, dass Pat ihm den Rang in der Bande ablaufen würde, andere sagten, es wäre um ein Mädchen gegangen. Egal was der Anlass war, John Driscoll war letztendlich Schuld an Pats Tod gewesen, und dafür hatte Rory ihn erschossen; auf offener Straße, Auge in Auge. Und John Driscoll war der Sohn von Connor Driscoll und der kleine Bruder von Danny Driscoll, und diese beiden waren die rechte und die linke Hand von Patrick O'Reilley, dem Boss der Boodles. Damit blieb uns keine andere Wahl, als die Stadt zu verlassen und so viele Meilen wie möglich zwischen uns und New York zu bringen.

 

Wir verbrachten den Sommer mit den Pelzjägern, und ließen uns dann ziellos weiter Richtung Westen treiben. In dieser Zeit geschah etwas Seltsames mit Rory und mir. Wir hörten auf, uns gegenseitig zu verprügeln. Dafür verprügelten wir alle anderen, wenn es notwendig war. Wir betranken uns beide viel zu oft, aber wir tranken jetzt zusammen. Die Liebe kam nie zurück, aber wir machten unseren Frieden miteinander und ritten als Gefährten. Schließlich kamen wir im Herbst '76 im Sog eines Goldrauschs in ein kleines Grenznest namens Deadwood. Rory hatte die Hoffnung, hier ein paar gute und halbwegs ehrliche Dollar zu machen, und diese Hoffnung schien sich zu erfüllen, als wir uns der Mannschaft eines gewissen Al Swearengen anschließen konnten. Swearengen hatte sich mit einer Bar den Sommer über eine goldene Nase verdient und war bereit, sein Geschäft, um Spiel und Weiber erweitert, auf eine größere Bühne zu bringen. Ein sicherer und nicht allzu sehr mit Gewissen belasteter Schütze und eine Saloonlady mit jahrelanger Erfahrung kamen ihm dabei gerade recht. Wir halfen ihm, das Gem Variety Theater zur Legende zu machen. Rory führte bald die harten Männer, welche die Konkurrenz klein hielten, ich kümmerte mich um die Damen des Hauses – wobei ich feststellte, dass mir Miss Patty eine hervorragende Lehrmeisterin gewesen war.


Deadwood war ein Fliegenschiss auf der Karte, aber aus irgendeinem Grund gaben sich die Größten des Wilden Westens hier im Gem die Klinke in die Hand. Ich lachte eines Nachmittags, bis ich Bauchschmerzen hatte, als Sam Hawkens die Geschichte zum Besten gab, wie aus einem unbedeutenden Greenhorn aus Germany der berühmte Old Shatterhand wurde. Wyatt Earp weinte sich an meiner Schulter aus, als er noch selbst vor dem Gesetz auf der Flucht war. Ich brachte Old Wabble zum Grab von Bill Hickok, und abends brachte ich ihn auf sein Zimmer, nachdem er im Gedenken an seinen Freund mehr als nur einen Whisky zu viel intus hatte. Ein Jahr später trauerte ich um ihn, als Old Shurehand die Kunde brachte, dass der knurrige alte Cowboy hoch in den Rockys sein Ende gefunden hatte. Von den wütenden Zahnschmerzen, die mich im Frühjahr '78 plagten, kurierte mich Doc Holiday, der als Zahnarzt nicht schlechter war denn als Spieler und Revolvermann.

Vor allem aber lernte ich Jane Cannary kennen, mit der mich bald eine innige Freundschaft verband. Ich muss zugeben, dass ich damals eine trunksüchtige, streitlustige und verwilderte Hexe war, aber neben Jane wirkte ich immer noch wie eine Klosterschülerin. Jane, die nicht anders als in Männerkleidung herum lief, die man niemals ohne umgeschnallte Pistole und geschultertes Gewehr sah, und nur selten ohne eine Flasche Whisky in der Rocktasche. Die sich als Postkutscherin und Scout ihren Lebensunterhalt verdiente. Wir verbrachten jede freie Minute miteinander, Trouble Mary und Calamity Jane nannten sie uns, und wenn wir spazieren gingen, wechselten die härtesten Männer die Straßenseite, um uns nicht im Wege zu stehen.

1879 führte ein Streit unter Goldsuchern und eine zornig geworfene Petroleumlampe dazu, dass das Gem bis auf die Grundmauern niederbrannte, und mit ihm der größte Teil der Stadt. Natürlich bauten wir alles wieder auf, aber Swearengen veränderte sich in den folgenden Monaten, und zwar nicht zum Besseren. Er wurde maßlos in seiner Gier und größenwahnsinnig in seiner Brutalität. Und er begann, meine Mädchen aufs Schäbigste zu behandeln, wodurch es immer öfter zu Streit zwischen ihm und uns kam. Im Frühjahr '81 waren wir so entzweit, dass Rory und ich uns entschlossen, uns von Swearengen bei nächster Gelegenheit zu trennen. Die Gelegenheit ritt im Sommer in Gestalt von Fred Anters, Archie Jones, Jaques Pondés und einem dem Feuerwasser ergebenem Indianer namens Schneller Wolf in Deadwood ein.


Anters, Jones und die Rothaut wären mit Sicherheit das Ziel von derben Späßen geworden, denn die beiden ersteren sahen so sehr nach Greenhorns aus, dass selbst mir die Finger juckten, ihnen die Hüte mit Kuhmist zu füllen oder etwas Ähnliches zu tun, um sie in Verlegenheit zu bringen. Und den Roten – nun, wer würde nicht die Gelegenheit ergreifen, einen gefürchteten Feind zu treten, wenn er wehrlos erscheint? Aber sie waren in Begleitung von Jaques, und, wie Jane es ausdrückte: Mit Monsieur Pondés kam der erste echte Revolvermann nach Deadwood, seit man Wild Bill hinterrücks erschossen hatte. Mit ihm wollte niemand einen Streit riskieren, und so blieben die anderen drei unbehelligt.

Es dauerte nur einen Tag, bis Anters bei mir vorstellig wurde. Zu meiner Überraschung zeigte er aber kein Interesse am weiblichen Personal, sondern viel mehr an meinem Wissen über die Leute in der Stadt, da er Männer für eine Expedition in die Wildnis suchte. Er zeigte sich sehr verschlossen, was das Ziel und der Sinn seiner Reise war, aber er bot einen Lohn von zehn Dollar pro Tag – eine Summe, für die man durchaus arbeiten konnte, ohne Fragen zu stellen.

»Misses O'Kennel«, sagte er zu mir, »mir wurde berichtet, dass Sie mit einer hervorragenden Menschenkenntnis ausgestattet sind, und außerdem die meisten Männer in dieser Stadt kennen.« Er schaffte es, diesen Satz zu sagen, ohne dass es anzüglich oder abschätzig klang. Sein Akzent und seine Ausdrucksweise verrieten mir den reichen Engländer. »Ich suche einige Leute, die sich in den Bergen im Westen auskennen, keine Angst vor einem Kampf, und Verwendung für eine Handvoll Dollar haben.« Er trank einen Schluck von seinem Whisky und verzog das Gesicht. »Und, da ich grade dieses Gift hier trinke; es sollten Leute sein, die mir nicht in den Rücken schießen, um an ihren Lohn zu kommen!«

Ich beschloss in diesem Moment, die Gelegenheit beim Schopf zu greifen. »Well«, sagte ich, »ich kenne wohl ein paar Gentlemen, die dieser Beschreibung entsprechen. Ich werde euch gerne die Besten vorstellen, und damit ihr sicher sein könnt, dass es wirklich die Besten sind, bestehe ich darauf, dass mein Gatte sie begleitet. Und ich ebenso.« Er sah mich mit dem typisch britischen Gesichtsausdruck an – eine Augenbraue hochgezogen, die Oberlippe so steif, dass man damit Schnee hätte schieben können. »Verzeihung Mylady, Ihr habt verstanden, dass wir mitten in die Wildnis wollen, zwischen Bären, Indianer und Wölfe … Ich glaube nicht, dass ich es verantworten kann, eine Lady auf diese Reise mitzunehmen!«

Ich erwiderte seinen Blick mit dem typisch irisch-amerikanischen Gesichtsausdruck, den ich mir in den letzten Jahren zu Eigen gemacht hatte und fauchte ihn an: »Und Ihr habt verstanden, Sir, dass ich aus diesem Drecksloch weg will. Dass ich durch die Wildnis mit all dem Viehzeug gereist bin um hierher zu kommen, dass ich Waffen besitze und damit umzugehen weiß und dass ich verdammt noch mal nicht Eure Lady bin!«

Ich glaube, in diesem Augenblick war es Jaques gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass Anters uns mitnahm, indem er in ein schallendes Gelächter ausbrach. »Ich denke, Ihr solltet die Lady nicht leichtfertig wegschicken, Mister Anters«, rief er aus, »mit dieser Miene jagt sie uns sämtliche Indianer und Bären, die uns begegnen könnten, mit Leichtigkeit davon!

Anters zierte sich noch einige Minuten, da es ihm zuwider war, eine Frau den Gefahren einer solchen Reise zuzumuten, doch dann willigte er ein. Ich brauchte nur wenige Stunden, um noch Henry Fawkes, der als Jäger und Fallensteller mit dem Gebiet, in das Anters sich vorwagen wollte, hinreichend vertraut war, und einen Fuhrmann namens Chips, der sich hervorragend auf den Umgang mit Pferden verstand und darüber hinaus einen Wagen mit einer kleinen Feldküche sein Eigen nannte, zu dem Abenteuer zu begeistern. Jane musste ich nicht erst überreden, und Anters auch nicht, sie mitzunehmen, denn der würde so schnell nicht bemerken, dass er nicht eine, sondern gleich zwei »Ladies« in die Wildnis entführte. Rory war ebenfalls hocherfreut, mit der Aussicht auf einen solch hohen Lohn von Swearengen wegzukommen, und so brach unsere kleine Gesellschaft bereits zwei Tage danach im frühen Morgengrauen auf, um nun, fast drei Wochen später, tief in der Wildnis der Gros-Ventre-Berge, einem immer noch geheimen Ziel entgegen zu streben.


»Misses O'Kennel?« Jaques Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Er sah mich fragend an, die heiße Kanne in der Hand. »Wollt Ihr den Rest? Es wird Satz darin sein, aber dadurch wirkt er besser!« Er grinste. »Ihr seht aus, als könntet Ihr es brauchen.«

»Verzeihung, Sir … Wisst ihr zufällig, welches Datum heute ist? Mir ist, als müsste es schon Ende September sein, aber genau …?«

»Nach meiner Rechnung sollte heute der Siebenundzwanzigste sein. Warum?« Ich rieb mir meine müden Augen. »Ah, da hatte ich also recht gezählt. Nun, dann werde ich heute wohl dreiundvierzig Jahre alt. Wie doch die Zeit vergeht, nicht?«

»Oho! Nun denn, Mylady, herzlichen Glückwunsch! Nur im Alter müsst ihr Euch verrechnet haben! Ihr könnt unmöglich älter als fünfundzwanzig sein! Dann steht euch als Geburtstagskind auf jeden Fall der letzte Kaffee zu!« Sprach‘s und füllte mir meine Tasse auf.

Ich lächelte ihm kopfschüttelnd nach, als er die Kanne neu befüllte. Ja, er hatte viel von Rory.


Ich hatte nicht daran gedacht, bis zu diesem Moment. Ich hatte heute tatsächlich Geburtstag, und ich stand tief in unerforschtem Gebiet, vermutlich umgeben von bösartigen Wilden, in Gesellschaft von Schurken aus mindestens fünf Gesellschaftsschichten, und mein Geburtstagsgeschenk war eine Tasse Kaffee, überreicht von einem Revolverhelden aus Baton Rouge.


Der Tag wurde in der Tat warm und sonnig, aber auch langweilig und öde. Die Landschaft war wunderschön, aber ich sah sie seit drei Wochen, und sie veränderte sich nicht so sehr, dass es mich noch gefesselt hätte. Und so döste und träumte ich auf dem Kutschbock neben Chips vor mich hin, bis wir unsere Mittagsrast einlegten.

Jane kam als erste von den Scouts zurück. Sie erstattete Anters und Jaques Bericht, hatte aber nichts Auffälliges bemerkt.

»Hey!« Sie setzte sich neben mich in den Schatten des Wagens. »Weißt du was«, fragte sie unvermittelt, »ich glaube, unsere Rothaut ist ein Mädchen!«

Ich verschluckte mich, und hustete Wasser durch die Nase. »Was? Wer? Stinkender Stiefel? Wie viel Whisky hast du heute schon getrunken, meine Liebe?«

»Nicht genug. Und vor allem nicht so viel, als dass ich davon blind geworden wäre. Irgendetwas stört mich schon die ganze Zeit an der Rothaut, und jetzt weiß ich, was es ist.«

»Und was wäre das?«

»Sie geht zum Pinkeln in den Wald!«

Ich sah meine Freundin ungläubig an. »Du glaubst, Schneller Wolf ist eine Frau, weil er zum Pinkeln in den Wald geht? Hast du Fieber?«

»Sie dir die Kerle doch an«, antwortete sie, »sie gehen drei Schritte weit und machen an die Bäume, wie Hunde, die ihr Revier markieren. Sogar der noble Mister English-Anters. Nur die Rothaut entschwindet hinter dichte Büsche – grade so wie wir! Ich wette ‘ne Flasche Whisky, die ich nicht mehr habe, dass er in Wirklichkeit ‘ne Sie ist!«

»Und was glaubst du, bezweckt sie damit?«

»Sie will zu ihrem Stamm. Sie führt uns an der Nase herum, bis sie in der Nähe ihrer Leute ist, und dann verschwindet sie. Und dann können wir froh sein, wenn sie unsere Skalps nicht an ihre Brüder ausliefert!«

 

»Jane, du spinnst«, sagte ich entschieden. »Wenn dieser ungewaschene Trunkenbold eine Frau ist, dann fresse ich einen Skunk. Trink mal einen Schluck Wasser zwischendurch!«

»Mach, was du willst! Ich halt das Miststück jedenfalls im Auge.« Sprach‘s, und ging zu ihrem Pferd zurück, um ihr Gewehr zu überprüfen.

Eine Weile danach kamen auch Rory und Fawkes zurück. Ich betrachtete mir meinen Mann eine Zeitlang. Durch die Erinnerungen und Tagträume, die mich den ganzen Tag beschäftigt hatten, war mir in dem Moment sehr romantisch zu Mute. Ich stellte mich dicht zu ihm.

»Liebster Mister O'Kennel«, sagte ich leise zu ihm, »mir ist, als hätte Eure Gattin heute Geburtstag!«

»Echt?« Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, dann kniff er ein Auge zu, als würde er angestrengt nachdenken. »Stimmt! Der Siebenundzwanzigste! Glückwunsch, Darling!«

Und damit drehte auch er sich um und ging hin, sein Pferd zu versorgen. Es war dumm; wir waren seit vielen Jahren kein verliebtes Pärchen mehr, aber dennoch, seine Reaktion traf mich wie eine Ohrfeige und ich fühlte, wie meine Augen feucht wurden. Ich drehte mich zum Wagen hin, um dies zu verbergen, und mein Blick viel auf eine der halbvollen Fuselflaschen, die zur Bezahlung von Stinkender Stiefel gehörten. Eigentlich war der Name des Indianers ja Schneller Wolf, aber als er zum ersten Mal Jane begegnete, stand er mit beiden Füßen in einem frischen Kuhfladen. Sie hatte ihm daraufhin seinen neuen Namen gegeben, und die anderen in der Gruppe hatten ihn mit spöttischer Begeisterung aufgenommen. Und irgendwie passte Stinkender Stiefel auch viel besser zu dieser verlausten und verdreckten Karikatur eines Indianers, mit seiner von Schweißspuren verschmierten, abbröckelnden, roten Kriegsbemalung, den fettigen Haaren und den zerschlissenen Musselinkleidern. Unter normalen Umständen hätte ich mich niemals bereit erklärt, mit diesem Kerl aus einer Flasche zu trinken, aber in diesem Moment war es mir gleich. Ich sah mich um; die Rothaut war nirgendwo in Sicht. Ich schnappte mir die Buddel und nahm einen kernigen Schluck, um das dumpfe Gefühl in meinem Herzen zu bekämpfen. Der Geschmack traf mich so überraschend, dass ich unwillkürlich alles wieder herausprustete – bis auf einen kleinen Rest, den ich in den falschen Hals bekam, und der mich ausgiebig husten ließ. Die Männer sahen überrascht zu mir herüber und begannen, laut zu lachen. »Aber Misses O'Kennel!«, rief Anters, »Ihr dürft jederzeit von meinem Whisky einen Schluck abhaben, ihr müsst nicht dem Roten sein Feuerwasser weg trinken!« Ich lehnte das Angebot keuchend ab und zog mich hinter den Wagen zurück, um wieder zu Luft zu kommen. Jane kam zu mir und sah mich fragend an. Ich reichte ihr die Flasche. Sie roch daran, und sah mich dann sehr selbstgefällig an. »Ich hab dir doch gesagt, das Weib spielt falsch!«

»Ich glaube dir immer noch nicht, das die Rothaut eine Frau ist – aber eins ist sicher: Sie spielt falsch. Ich werd‘ auch ein Auge auf ihn haben!«

»Sagen wir es Anters?«

Ich warf einen übel gelaunten Blick zu den Männern und traf meine Entscheidung aus der Wut und der Enttäuschung heraus.

»Nein. Die glauben uns eh nicht, wenn sie überhaupt zuhören!«

»Na gut, wie du willst, Liebes. Aber dann sollten wir zumindest sicherstellen, dass Stinkender Stiefel nicht merkt, dass wir ihm auf die Schliche gekommen sind.«

Wir füllten die Flasche mit einem Schluck Wasser wieder soweit auf, dass nicht mehr auffiel, dass etwas gefehlt hatte, und stellten sie an ihren Platz zurück. Kurz darauf kam der Indianer aus dem Wald, schnappte sie sich, nahm einen langen Schluck und schlurfte zu einem Baum, an dem er sich ächzend niederließ. Er schien schon wieder ziemlich angetrunken zu sein – was sehr überraschend war, da seine Flasche nichts als Tee enthielt.


Der Tag schleppte sich dahin wie so viele vor ihm. Jane, Rory und Fawkes fächerten sich auf und erkundeten den Weg vor und neben uns. Ich saß bei Chips auf dem Kutschbock, Stinkender Stiefel ritt an der Spitze unseres kleinen Trecks – gefolgt von Anters und Jones – und hinter dem Wagen trotteten die Pack- und Reservepferde. Jaques umrundete uns beständig, immer darauf bedacht, ein möglichst großes, freies Schussfeld zu haben. Ich döste vor mich hin, mal in Erinnerungen verloren, mal mit gewissen Sorgen, was unser Indianer wohl für Pläne schmiedete, und immer häufiger beschäftigt mit der Frage, was wohl Anters geheimnisvolles Ziel sein mochte.

Anters und Jones waren an diesem Tag in eine hitzige Diskussion vertieft; sie gestikulierten, und immer wieder wurden sie für ein paar Worte laut. Irgendwann fauchte Anters: »Schluss jetzt!«, und Jones nickte resignierend und ließ sein Pferd ein Stück zurückfallen.


Anters gab heute früher als sonst Order, einen Lagerplatz einzurichten. Lange vor der Abenddämmerung standen die kleinen Zelte mit dem Wagen im Viereck. Fawkes und Jane bauten eine kleine Feuerstelle, deren Leuchten uns nicht allzu weit verraten würde. Nach einem Abendbrot aus Konservenbohnen und Dörrfleisch saßen wir lange schweigend um die brennenden Scheite. Dann straffte sich Anters plötzlich, und richtete, unter den missbilligenden Blicken von Archie Jones, das Wort an uns.

»Nun, Ladies and Gentlemen, ich gebe zu, ich bin ratlos, und ich fürchte um den Erfolg unserer Reise, wenn nicht einer von Euch noch eine rettende Idee hat. Um keine üblen Gedanken aufkommen zu lassen, möchte ich Euch versichern, dass ich nicht erst einen Schatz finden muss, um Euch den vereinbarten Lohn auszuzahlen. Und um Archie zu beruhigen, versichere ich Euch hiermit, dass niemand auch nur einen Cent sehen wird, wenn ihr ohne mich zurückkehrt. Euer Lohn ist unmittelbar an mein Wohlergehen geknüpft, verstanden!«

Er blickte in die Runde neugieriger und bestätigend nickender Gesichter.

»Nun, es ist so: Mein voller Name ist Sir Frederick Homer Anters, siebter Earl of Shrewsburry. Ich bin Mitglied des Travellers Club in London, und ich habe eine Wette mit einem überheblichen Schnösel namens David Lindsay am Laufen. Lindsay wird nicht müde, von seinen Abenteuern mit einem gewissen Kara ben Nemsi zu erzählen, und den seltenen Artefakten, die er dabei mitgenommen hat. Nun, ich habe mit ihm gewettet, dass ich das berühmteste Artefakt des amerikanischen Kontinents über den Kamin im Travellers Club hängen werde, nur um ihn zu ärgern. Dieses Artefakt zu finden, ist der Grund, warum ich euch alle angeworben habe. Wir suchen also mitnichten Silber in Form von Münzen, Barren oder gar einer Mine, wir suchen –«

Er fügte eine dramatische Pause ein, »… die Silberbüchse des Apachen Winnetou!«

Er sah erneut jedem einzeln ins Gesicht und genoss diesmal sichtlich die erstaunten Mienen. »Nur, leider scheint unser Führer Schneller Wolf den Weg doch nicht so genau zu kennen wie er uns vormachte. Wir wollten bereits vor einer Woche am Ziel sein, aber wie ihr seht, sitzen wir immer noch im Wald. Sodann, Ladies and Gentlemen, hat jemand einen Vorschlag?«

Fawkes und Jane sahen sich kurz an, und Fawkes sagte kopfschüttelnd: »Nur um das richtig verstanden zu haben: Ihr Greenhorn sucht Winnetous Grab? Und warum treiben wir uns dann hier am Hancock-Berg herum?«

»Nun, meines Wissens fand der Indianer hier sein Ende und sein Grab. Und wo sein Grab ist, ist auch seine Leiche, und diese trägt, so man mir berichtet hat, auch das Gewehr, nach dem ich suche«, gab Anters zurück, wobei er wieder zu seiner üblichen, hochnäsig-britischen Art zurückkehrte.

»Pshaw«, lachte Jane. »Ja, Winnetou wurde hier erschossen. Wir können ‘ne Viertelmeile reiten, dann kann ich euch den Canyon zeigen, wo es geschah. Aber begraben haben sie ihn in den Gros Ventre Bergen, zwei Tage südlich von hier, bei der Helldorf-Siedlung! Hättet Ihr nicht so eine Geheimniskrämerei betrieben, könnten wir schon auf halben Weg zurück in Deadwood sein. Was lauft Ihr auch einer ständig besoffenen Rothaut nach, anstatt einfach eine ständig besoffene, anständige, weiße Lady zu fragen?«

Anters war fassungslos. »Wollt Ihr damit sagen, Ihr kennt den Weg zu dieser Grabstätte?«

»Ich kenne ihn«, knurrte Fawkes. »Jane kennt ihn, Heavens, jeder, der hier jagt, kennt das Grab, außer diesem Whiskyschlauch da!« Er zeigte wütend auf den Indianer.

Und dann ging alles furchtbar schnell. Stinkender Stiefel sprang auf, warf sich mit einem kühnen Purzelbaum über das Feuer hinweg und versuchte zwischen mir und Jane ins Gebüsch zu springen. Doch wir waren, da wir ihm eh schon misstraut hatten, schnell genug, um ihn festzuhalten. Ein ohrenbetäubender Knall, das Lagerfeuer explodierte – der Indianer hatte ein Säckchen Schießpulver hineinfallen lassen, nutzte die Ablenkung und sprang wieder zur anderen Seite. Rory warf sich auf ihn und hinderte dadurch Jaques am Schießen, der seine beiden Eisen schon in den Händen hatte. Rory umklammerte die Brust der Rothaut, und ließ mit einem überraschtem Ausruf wieder los. Diese nutzte die Gelegenheit sofort, wand sich aus seinem Griff wie ein Aal und verschwand endgültig im Gebüsch. Jaques und Jane feuerten ihre Revolver ab, offenbar ohne zu treffen. Dann stürmte Fawkes hinterdrein, die Pistole in der Rechten, das Messer in der Linken.

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