Vier Pilger - ein Ziel

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Trainieren

In den letzten Tagen bin ich zweimal nach meinem Training für das Pilgern nach Jerusalem gefragt worden. Als die Frage erstmals kam, zuckte ich innerlich leicht zusammen und konnte einen aufkommenden Stress gerade noch rechtzeitig abfangen. Beim zweiten Mal konnte ich unumwunden antworten: Nein, ich trainiere nicht besonders darauf hin. Ich lebe wie vorher, gehe hie und da joggen und im Winter langlaufen. Ansonsten – trainieren würde heißen, dasselbe tun, also mit 10 kg auf dem Rücken durch die Landschaft wandern. Dazu komme ich nicht. Mein Wunsch, vor dem Pilgern 5 kg an Körpergewicht zu verlieren, habe ich als für mich unrealistisch ad acta gelegt.

Gute Voraussetzungen für unser Unternehmen gibt es aber dennoch, füge ich jeweils an: mentale Stärke mit einem Durchhaltewillen, der Schwierigem und Schwerem nicht ausweicht, sondern darin Möglichkeiten fürs Weitergehen sucht. Gesunder Menschenverstand, der nicht leistungsbetont ausgerichtet ist. Der Glaube, dass das Vorhaben in Gottes Hand liegt, sodass die nötige Kraft und die Bereitschaft, mit Unsicherem und Ungewissem umzugehen, auch von einer Quelle gespeist wird, die außerhalb des uns Machbaren liegt. (ha)

ZWEITES KAPITEL:
Abschied
Endlich

Die Klarheit über Gruppe und Zeitpunkt des Pilgerns legt die nächsten Schritte der Vorbereitung nahe. Seit elf Jahren leite ich das Studierendenhaus Salesianum in Freiburg / Fribourg, habe da unter rund 100 Studierenden gelebt und gewirkt. Eine große und erfüllende Aufgabe. Als Allein-Stehende bezeichne ich diese Jahre als „Mutterjahre“. Ich war da. Die Studierenden wussten, dass sie jederzeit an meine Tür klopfen durften. Ich schätzte die Kontakte zu vielen jungen Menschen aus allen Landesteilen der Schweiz und zuweilen aus bis zu 21 anderen Nationen – eine Art Swissminiatur war das Umfeld dieses Lebensabschnitts.

Ich kündige meine Arbeitsstelle und entscheide mich, die Wohnung aufzulösen, Hab und Gut einzulagern. Was danach sein wird, ist noch unklar. Ich weiß aber um die privilegierte Situation als kirchliche Mitarbeiterin. Ich kann ohne Bedenken davon ausgehen, wieder eine gute Stelle zu finden. Der Abschied von allen Hausbewohnenden im Salesianum, vom Personal und von der Stadt Freiburg / Fribourg ist sehr bewegend und erfüllend. Im Gottesdienst erhielten Franz und ich einen Pilgerstab, auf welchen die Anfangsworte des Gebets von Franz von Sales eingeschnitzt sind: „Wenn dein Herz wandert oder leidet, bring es behutsam an seinen Platz zurück und versetze es sanft in die Gegenwart deines Gottes. Und selbst wenn du nichts getan hast in deinem ganzen Leben außer dein Herz zurückzubringen und wieder in die Gegenwart unseres Gottes zu versetzen, obwohl es jedes Mal wieder fortlief, nachdem du es zurückgebracht hattest, dann hast du dein Leben wohl erfüllt.“

Ich kann leichten Herzens weiterziehen. Die Studierenden stehen Spalier und begleiten mich zum Bahnhof. Tränen? Nein. Ich bin froh, dass endlich beginnt, woraufhin ich lange Zeit hingelebt habe. Ich bin dankbar, dass ich die Freiheit habe, mich aus allem herauszunehmen und einen großen und unbekannten Weg zu beschreiten. (ha)

Zeichen der Anteilnahme

Karten mit Segenswünschen und E-Mails zum Adieu-Sagen, eine leichte Feder und ein kleiner Kristall, ein Schutzengel aus Olivenholz und ein Teddybär als Maskottchen, Fußsalbe und Blasenpflaster, eine CD mit Texten zum Durchhalten und Pilgertabletten, ein Kompass und ein Taschenmesser, ein Kerzchen und ein starker Spiritus … unzählig und vielfältig, witzig und nützlich, hilfreich und tröstend sind die Zeichen des Abschieds, die in diesen Tagen des Aufbrechens zu mir gelangen. Mein Herz ist berührt von der Anteilnahme. Hin und wieder staune ich, welche Ideen sich Menschen von einem solchen Pilgerweg nach Jerusalem machen. Wie realistisch sind sie? Wie realistisch sind meine Gedanken? Die einen würden gerne mitwandern, sagen sie. Die anderen sind froh, dass sie zu Hause bleiben können. Vielleicht gehen wir für beide Gruppen von Menschen stellvertretend. (chr)

Tränen

Tränen des Abschieds gibt es bei meiner sechsjährigen Nichte Manon. Als sich alle meine Geschwister und deren Familien zum Abschied für mich treffen, beginnt die Kleine herzzerreißend zu weinen. Und sie hört gar nicht mehr damit auf. Als ich sie in die Arme nehme und nach dem Grund der Traurigkeit frage, schluchzt sie: „Ich verstehe einfach nicht, warum du so lange und so weit weg gehst.“ Später nimmt sie ihre Kette, die Lieblingskette mit einem großen silbernen Herzen, vom Hals und hängt sie mir um. Dieses Zeichen von Manon und ihr Schluchzen berühren mich sehr. Ich trage ihre Kette in meinem Rucksack mit. An Weihnachten, so ich den Weg schaffe, werde ich diese in Bethlehem zur Krippe des Jesuskindes legen. (ha)

Loslassen

Mittwochmorgen, der 1. Juni 2011. Jetzt ist es so weit! Heute verlasse ich mein Haus und meine Arbeit. Ich stehe mit einem mulmigen Gefühl im Bauch auf. Das Erste, was mir ins Auge fällt, ist der gepackte Rucksack im Gang, die imprägnierten Schuhe, die Kleider, die mich jetzt viele Tage anziehen. Meine Schränke sind leer, das Badezimmer ist geputzt, den Blumen habe ich Wasser gegeben, schnell noch den Balkon schön gemacht und mit dem Staublappen überall drübergefahren. Alles ist bereit für die Untermieterin, die sieben Monate lang meine vier Wände bewohnt.

Bald kommen zwei Journalistinnen der beiden Ortszeitungen. Sie wollen ein Bild der Abreise, versprechen hie und da etwas zu schreiben. Ich stelle mich in Pose, binde die Schuhe und winke in die Kamera. Ein letzter Umtrunk im Haus mit meinen Arbeitskollegen ist organisiert. Uff, meine Beine sind ganz weich, denn das Abschiedsgeschenk meines Teams berührt mich sehr. Sie schenken mir ein Assisikreuz und das Versprechen: Wir werden jeden Tag für dich beten. Viele haben mir etwas zugesteckt: einen Schutzengel, einen Glückskäfer, einen besonderen Bonbon, einen Segen, ein Medaillon, ein Einrappenstück, ein Heiligenbildchen, ein Stück vom eigenen Glück, ein Foto und vieles mehr. Ganz zum Schluss bekomme ich noch ein wirklich leichtes Mitbringsel: eine Zeichnung direkt aufs Bein mit einem Segensspruch. Und dann ist es wirklich Zeit zu gehen. Es steigen Tränen der Angst und der Freude in mir hoch – ich gehe. Weiß noch nicht, dass sich am nächsten Tag beim Abschiedsgottesdienst im Lassalle-Haus die Tränen wieder Raum suchen und ich sie nicht werde zurückhalten können. Ja, es ist ein Abschiednehmen in Etappen, zuerst bei der Arbeit, zu Hause, dann in der Familie, von Freunden und Freundinnen und zwei Tage später noch von meinem Partner. Mein Herz ist wund und frei. Ich bin bereit. Die Tränen befeuchten den Acker der Sehnsucht und des Vertrauens. (er)

Wallfahren heißt für mich: Heimat zurücklassen

Dem vielverkauften Buch über seine Wallfahrt gab Hape Kerkeling den Titel „Ich bin dann mal weg“. Weg-Sein ist ein Stichwort, Fortgehen die Voraussetzung dazu. Wallfahren heißt zunächst fortgehen, die Familie für diese Zeit zurücklassen, die meisten Bekannten nicht mehr sehen, kaum einen Kontakt mit ihnen haben. In dieser Zeit verlasse ich die Arbeit. Die Freuden und Sorgen des Arbeitsplatzes und der Bekannten nehme ich ins Gebet mit, aber ich kann dort nicht mehr intervenieren. Ich ziehe in die Fremde und werde selber ein Fremder – für alle Menschen auf dem Weg. Ich bin (fast) überall Ausländer. Wie werde ich als Ausländer, als Fremder wahrgenommen, behandelt und – hoffentlich – aufgenommen – oder abgewiesen? Aber auch mir sind die Leute unterwegs unbekannt. Wie gehe ich auf sie zu?

Ich bin dankbar, dass wir als kleine Gruppe unterwegs sind. Zugleich bin ich lange Strecken allein. Ich setze mich der Heimatlosigkeit aus. Meist weiß ich nicht, wo ich am Abend schlafen werde. Es braucht Kraft, dieses Ausgesetzt-Sein auszuhalten. Jeden Tag bin ich auf die Hilfe von mir völlig fremden Menschen angewiesen. Es kostet mich Überwindung, ihre Hilfe anzunehmen, weil vieles nicht mit Geld zu begleichen ist. Zugleich kommen mir immer wieder Gedanken an zu Hause, die mich beschäftigen. Wie es da wohl geht, besonders meiner Mutter, die alt und schon gebrechlich ist? Wie läuft es in der Umgebung meiner Arbeitsstelle, wo andere dankenswerterweise viele meiner Verpflichtungen übernommen haben? Nur sporadisch bekomme ich darauf eine Antwort. Heimat zurücklassen – Wallfahren tut auch weh. Es ist ein echter Abschied, mindestens auf Zeit. (fm)

Verbundenheit

Eine besonders schöne Geschichte der Verbundenheit erlebe ich mit meinem Bruder Christoph. Als wir Geschwister uns vor dem Lospilgern zum traditionellen Geschwistertreffen versammeln und auch ein Stück Weg miteinander gehen, trägt er einen Hut, den er in allen Tönen lobt. Er gibt ihn in der Runde herum und bittet Franz, der diesen Tag mit uns verbringt, ihn mal aufzusetzen. Der Hut passt Franz wie angegossen. Christoph fragt Franz, ob er den Hut als Geschenk annehmen würde, damit so etwas von ihm mit auf den Weg nach Jerusalem gehen könne. Franz nimmt das Geschenk gerne an. Ein guter Hut ist ein sehr wichtiges Detail für jeden Pilger. Gut behutet, ist man nämlich auch gut behütet. Nach dem Geschwistertreffen meldet sich bei mir eine kleine Eifersucht. Ich möchte auch einen Hut von meinem Bruder bekommen. Als ich ihm diesen Wunsch mitteile, entscheidet er sich, allen vier Pilgern einen Hut zu schenken.

 

Wenige Tage vor dem endgültigen Abschied treffe ich Christoph nochmals. Er erwähnt beiläufig, dass er mit mir einen Code vereinbaren wolle für den Fall, dass ich in eine Notsituation gerate. Ich könnte ihm dann das Codewort schicken und er würde sich dafür einsetzen, mich zu retten. Ich denke zunächst, dass er einen Witz macht. Aber nein. Er meint es ernst. Unser Codewort heißt: Vergissmeinnicht. Ich bin sehr berührt von dieser Zuwendung, von diesem konkreten Zeichen der Verbundenheit. Tatsächlich schaltet sich Christoph über SMS und Mail intensiv ein, als es ein paar Monate später darum geht, ob wir durch Syrien weiterpilgern sollen oder nicht. Er versorgt uns mit Artikeln aus der NZZ, nimmt Kontakt mit Nahostkorrespondenten auf, um ihre Meinung zu hören, er drückt seine Sorge aus und zeigt mir durch alles hindurch, wie sehr er mich liebt.

Verbundenheit erleben wir mit unzähligen Menschen weit über Familie und Freundeskreis hinaus. Wir spüren, dass wir mit unserem Weg etwas wagen und tun, das viele motiviert, auf ihre Weise mitzugehen. Einige drücken das durch ihre spürbare Präsenz über den Blog aus. Andere nehmen sich ein eigenes Projekt vor für die Zeit unseres Pilgerns. Wieder andere stoßen zufällig auf unsere Geschichte und nehmen über den Blog Kontakt auf.

Meine Schwester Barbara hat ihre Verbundenheit in einem berührenden Text für viele andere auf den Punkt gebracht. (ha)

Ich gehe auch nach Jerusalem

Nicht richtig, nicht wirklich

Und trotzdem gehe ich mit

Lebe ich mit

Ich werde weinen, wenn ihr geht

Ich werde bei euch sein im Gebet

An euch denken jeden Tag

Ich werde mich fragen, wie es euch geht

… Euer Weg spannt ein Friedensnetz in der Welt

Alle, die an euch denken, verstärken das Netz

Geben Kraft und vertrauen darauf

Euer Weg macht Sinn im Zeitenlauf

Das Ziel, jetzt noch weit weg,

Ist heute nicht wichtig

Wichtig ist der Weg

… Ich werde weinen, wenn ihr wiederkommt

Vor Freude über das Wiedersehen

Mein Herz wird überlaufen

Das weiß ich jetzt schon

Ich gehe auch nach Jerusalem

Nicht richtig, nicht wirklich

Und doch gehe ich mit

Lebe ich mit

Barbara Jäger-Aepli

Familienbande

Sie spielen und ziehen, sie engen ein und geben Halt, die Familienbande. Sie sind ein Geflecht, das mich durch mein Leben trägt. Ja, das sind sie wirklich. Während des Pilgerns ist mir das immer wieder bewusst geworden, ich bin Tochter und Schwester und Erstgeborene. Immer war ich mehr oder weniger konform, tat, was man tut als Älteste. Jetzt aber breche ich aus, gehe weg, tue etwas Eigenes – und ich werde gelassen, mit Segen und Liebe. Die Familie Rüthemann ist sich vertraut, wir wissen voneinander, treffen uns regelmäßig und sind gesprächig. Aber noch nie habe ich mit meiner Familie so nahe, ehrliche, berührende Mails ausgetauscht wie während der Pilgerschaft. Wir nehmen uns wirklich Zeit, einander vom jeweiligen Leben zu erzählen, werfen Fragen auf, lassen Anteil nehmen, reden von früher und brauchen Rat. Immer erleben wir das sichere Aufscheinen der Liebe zwischen uns. So erinnere ich mich zum Beispiel ganz genau an den Ort, wo wir gerade waren, an die Menschen, die am gleichen Tisch saßen, an das Getränk vor mir, als eine so wunderbar berührende Mail meiner Schwester ankam.

Eine besonders große Überraschung erlebe ich in Istanbul. Auf meinem Nateldisplay erscheint die Nachricht meines Bruders: Was machst du heute Abend? Ich antworte, erzähle dies und das. Plötzlich lese ich mit großen Augen: Lust auf ein Glas Wein? Ich bin in zwei Stunden bei dir! Was?! Kilian besucht mich mitten auf dem Weg nach Jerusalem. Und mitten auf dem Weg werde ich hineingenommen in die tragenden Familienbande. Wie schön, für ein paar Stunden einfach Schwester zu sein, an gemeinsame Jahre anzuknüpfen, zu erkennen, wir sind beide „groß“ geworden, stehen auf demselben Boden, mit derselben Erziehung. Wir können kritisch zurückschauen, brauchen keine Angst zu haben vor Verlust, sehen, wie wir trotz der Unterschiedlichkeit in unseren Berufen mit Ähnlichem herausgefordert sind.

Für meine Eltern gehört mehrmals täglich der Klick auf den Blog zum Alltag. Sie leiden mit, freuen sich, beten intensiv für uns, interessieren sich, nehmen Anteil und ich weiß jetzt schon, sie werden es vermissen, dass sie später nicht mehr so viel von meinem Leben mitbekommen wie beim Unterwegs-Sein. Aber sie wissen vielleicht mehr denn je, wer ich bin, was für eine Tochter sie haben – wunderbar! (er)

Das Pilgerstübli Eschenbach

Wir haben von sehr vielen Freunden in der Schweiz vor dem Start Abschied genommen. Viele begleiten uns weiter im Gebet. Die Zisterzienserinnen des Klosters Eschenbach (Kanton Luzern) haben die Anschlagtafel vor ihrer Kapelle neu gestaltet. Sr. Ruth, eine gute Freundin von Hildegard, hängt dort jeden Morgen vor dem ersten Gebet die Blog-Beiträge der Pilger aus, sodass alle Interessierten sie lesen können. Jeden Morgen gedenken sie unser im Gebet. Sr. Ruth selber schreibt hin und wieder einen Kommentar, öfter meldet sich Sr. Christa zu Wort. Sr. Paula lässt uns ausrichten, dass sie uns jeden Morgen im Gebet segnet. Durch unseren Blog erleben wir, wie sehr viele Menschen unseren Weg verfolgen, manche nur durch häufiges oder gar tägliches Lesen, andere steuern regelmäßig einen Kommentar bei, spinnen unsere Gedanken im Blog weiter. Wir spüren, dass das Gebet vieler Menschen uns begleitet, insbesondere in der angespannten Situation Syriens wird es für uns stärkendes Fundament.

Meine Mutter sagte mir, sie könne nicht mehr mitgehen – sie ist beinahe bettlägerig. Aber beten wird sie jeden Tag für uns. (fm)

Die erste Etappe durch die Schweiz

Umgeben von Lieben, von den Freundinnen und Freunden, der Familie, von Bekannten und Unbekannten feiern wir am 2. Juni 2011 den Aussendungsgottesdienst im Lassalle-Haus. Ich bin gerührt. Viele Tränen fließen. Ich kann es gar nicht richtig einordnen. Es fließt und fließt und fließt. Tief in meinem Innern nimmt die Größe, das Unwirkliche, das Unbegreifliche Raum ein. Die Liebe und Stärke, der große Glaube an uns und all der Segen, der über uns ausgerufen wird, sind im ganzen Kirchenraum spürbar. So gestärkt, gehen wir los in den ersten Tag hinein, begleitet von über 200 Menschen, die mit uns die erste Etappe bis Einsiedeln pilgern.

Und dann nochmals Abschied. Vor der Klosterkirche in Einsiedeln kommen die Vielen, die uns an diesem Tag hierherbegleitet haben, nehmen uns in die Arme, wünschen uns das Beste und stecken nochmals Glücksbringer zu. Der ganz persönliche Segen meiner Freundin, die nicht mitlaufen konnte, aber eigens nach Einsiedeln reiste, berührt mich und begleitet mich jeden Tag.

Dreißig Frauen und Männer begleiten uns weitere zehn Tage lang quer durch die Schweiz. Sie geben uns Geleit bis zur Schweizer Grenze in Müstair. Wir gehen auf schönsten Wegen, durch heimatliche Gegenden am Zürichsee entlang, später durch das Sarganserland. Wir genießen den Sonnenschein entlang dem Walensee und dem Rhein, durchschreiten die Weinberge der Bündner Herrschaft, folgen der Landquart bis Klosters, besteigen den Zug durch den Vereinatunnel und kommen gut in S-charl an. Am zweitletzten Tag des Pilgerns mit der Gruppe überschreiten wir den höchsten Punkt der ganzen Wallfahrt, den Pass da Costainas mit 2251 m. Wir testen dabei im strömenden Regen unser Material. Auf der ganzen Strecke durch die Schweiz rasten wir an wunderbaren Plätzen. Wir werden verwöhnt, weil Hans und Rosmarie die Streckenführung und die Unterkünfte bis ins kleinste Detail vorbereitet haben und weil Reto und Hanspeter immer zur rechten Zeit am rechten Ort für uns ein Feuer bereit haben. Die Würste sind eingeschnitten, die Schokoladebananen vorbereitet, die Früchte schön drapiert auf einem Brett und die Creme ist angerührt. Am Abend finden wir in der Unterkunft ein Bett vor und gutes Essen. Wir kommen sowohl im Hotel als auch in der Zivilschutzanlage unter, genießen das Mehrbett- genauso wie das Zweierzimmer.

Immer wieder hören wir unsere Mitpilger zur Frage, wohin geht ihr, sagen: Wir sind unterwegs nach Jerusalem! Die dreißig uns Begleitenden machen sich unser Projekt zu eigen. Sie nehmen so sehr Anteil, dass wir wissen – wir werden nie alleine sein auf unserm ganzen weiteren Weg.

Obwohl niemand von uns vieren verheiratet ist, erleben wir in diesen ersten Tagen, was Honeymoon heißen kann. Wir schweben wie auf einer Wolke, so viel Zuwendung und Liebe kommen uns entgegen. Wir fühlen uns getragen und behütet. Ich bin richtig verliebt in die, die es so gut mit uns meinen.

Es ist für uns eine enorme Erleichterung, die erste Pilgeretappe unter fachmännischer Anleitung zu beginnen und den drei Pilgeranfangssünden – zu schnell, zu weit, zu viel – nicht zu erliegen. (er)

Buddhistisch-christliche Begegnung

Bei der Eröffnung des Pilgerprojekts vor sieben Monaten und auch bei den folgenden Veranstaltungen waren Vertreter des Judentums und des Islams mit dabei. Christsein ist heute im Angesicht der andern Religionen zu leben. Es ist ein erklärtes Ziel unseres Pilgerns, zur Verständigung der Religionen beizutragen. Natürlich sind bei einer Wallfahrt nach Jerusalem zuerst die jüdischen und muslimischen Gläubigen im Blick. Eine umso größere Freude war die Gegenwart von Claude Anshin, dem buddhistischen Mönch, und seiner Schülerin Wiebke beim Aussendungsgottesdienst. Er war Gast in der Eucharistiefeier. Wir teilten den Friedensgruß, und er kam nach der Feier in die Sakristei, um mir alles Gute für das Pilgern zu wünschen. Dabei sagte er, selbst ein erfahrener Pilger: The most important principle for a pilgrimage is ‚not knowing‘. Ich verstand ihn sofort und antwortete: Ja, du sollst dir kein Bildnis machen! Beim Pilgern geht es wie im Leben stets darum, sich der Führung Gottes anzuvertrauen. Alles soll gut vorbereitet sein, um es dann loszulassen und im Augenblick situations- und menschengerecht zu handeln. Der buddhistische Mönch und der christliche Ordensmann schauten sich mit Verständnis an, umarmten sich und gingen ihre Wege. Claude Anshin ging zu seinen Kursgästen, ich zu meiner Pilgergruppe. (chr)