Za darmo

Das Überlebensprinzip

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36. Tag

Die Nacht hatten wir wieder im Schutz des Waldes verbracht. In irgendeiner Wanderhütte oder so etwas. Als wir aufwachten, knurrten unsere leeren Mägen. Vorräte hatten keine mehr. Auch waschen hätten wir uns mal wieder können, so wie wir rochen. Wenigstens ging es meiner Wunde ganz gut. Ich schaute zu Bianca rüber - wie ihr es wohl ging? Ihr Haar war ganz zerzaust und vielleicht schon ein wenig verfilzt. Ihre Augenhöhlen waren ganz rot vom Weinen. Müde hatte sie sich in ihrem Schlafsack hingesetzt und den Kopf gesengt, so dass ihr Haar nun wie ein Vorhang vornüber rutschten. Ich krabbelte aus meiner warmen Umhüllung des verdreckten Schlafsacks und ging zu ihr herüber.

„Tut mir leid, wenn ich ein wenig stinke. Wir hätten ein wenig Körperpflege wohl alle mal wieder nötig.“ sagte ich zur Einstimmung. „Hey, wie fühlst du dich, Bianca?“

„Ich weiß nicht…“ kam es leise zur Antwort.

„Darf ich…“ schüchtern klangen meine Worte „… mich zu dir setzen?“

Bianca nickte. Ich ging runter auf die Knie und setze mich schräg vor sie.

„Es ging alles so schnell. Carlos war so ein treuer Begleiter - nein mehr - mein bester Freund! Ich kenne ihn seit er ein Welpe war. Meine Eltern hatten ihn mir geschenkt kurz bevor…“

Ich fasste ihre Schultern und schaute in ihr gesenktes Gesicht.

„Carlos war ein Superhund. Er hat uns allen das Leben gerettet!“

Bianca nickte. Auch Ben war nun aufgestanden und zu uns herüber gekommen.

„Weist du, noch vor wenigen Wochen war ich ein Einzelkämpfer - zusammen mit Ben natürlich. Freunde konnte es für uns nicht geben. Nur so konnten wir überleben. Jeder andere ist ein Feind - ausnahmslos!“ Ich überlegte kurz und redete dann weiter: „Seit wir dich kennen gelernt haben, ist es aber anders. Wir sind jetzt wie eine Familie geworden, die füreinander da ist! Wie viele Jahre habe ich das vermisst…“

Bianca schaute nun hoch, blickte mich mit großen Augen an. Dann nickt sie kurz und musste sogar ein wenig lächeln: „Ihr Jungs seit schon dufte Kumpel. Das bin ich von euch Männern gar nicht gewohnt.“

Keine Ahnung ob ich rot wurde, jedenfalls schien das Eis nun gebrochen zu sein und Bianca war fast wieder die Alte. Den Rest des Tages verbrachten wir mit leider nur spärlichem Erfolg bei der Lebensmittelsuche. Die Wäsche wurde gewaschen, wir badeten im eiskalten Bach und die Haare wurden geschnitten - mein Bart hatte es dringend nötig. Nur gut, dass Bianca so feine Scheren und Nagelknipser besaß.

37. Tag

Ein neuer Tag begann! Vielversprechend mild war die Luft bereits am Morgen. Zufrieden, wenn auch ein wenig hungrig räkelte ich mich aus meinem Schlafsack heraus und streckte mich in den Morgenstrahlen der Sonne, die auf mein Lager fielen. Da wunderte ich mich wo Bianca war? Ihre Sachen waren alle weg! Irritiert blickte ich mich in der Hütte um. Nichts von ihr war mehr vorhanden… Was bedeutete das??

Barfuß trat ich nach draußen, doch auch hier war keine Spur von ihr zu finden - auch keine anderen als die unseren. Nach einer Entführung sah es zumindest nicht aus. Trotzdem ging ich schnell zurück und holte mein Gewehr. Da Ben noch schlief, weckte ich ihn erstmal nicht auf. Er sollte besser hier im Schutz der Hütte bleiben. Wieder auf dem Platz draußen untersuchte ich systematisch die Umgebung: den Weg, den wir gekommen waren, die Hecken ringsum und die Bäume. Keine Zeichen von einem ungebetenen Besuch. Komisch. Ob Bianca einfach weggelaufen war? Aber warum??

„Bianca!“ rief ich schließlich „Bianca, BIANCA…“

Tiefe Enttäuschung machte sich in mir breit. Hatten wir was falsch gemacht? War der Tod von Carlos vielleicht doch nicht überwunden gewesen? Bestimmt lag es daran. Aber wieso wollte sie sich nun ganz alleine durchschlagen? Irgendwie fühlte ich mich für sie verantwortlich, auch wenn ich dies nicht erklären konnte. Ratlos ging ich zurück zur Schutzhütte. Ben war durch mein Rufen aufgewacht und blickte mich erstaunt an.

„Bianca ist weg. Einfach so.“ erklärte ich ihm die Situation.

Er deutete mit einer herumwedelnden Handbewegung nach draußen in die Umgebung.

„Nein, keine Spuren, kein Hinweis, nichts.“

Ben sah meine Enttäuschung, stand auf und kam zu mir herüber. Auch wenn er nie ein Wort sprach, seine Gestik war klar verständlich - er legte die rechte Hand auf meine Schulter. Wir blickten uns stumm in die Augen. Es wurde der Rest vom Proviant gefrühstückt, dann alles zusammengepackt und dieser Ort endgültig verlassen. Wir hatten schließlich ein Ziel vor uns, egal was kommen mag…

Kaum dass wir ein paar hundert Meter weit den Waldweg gegangen waren, öffnete sich eine Lichtung. Wie gewohnt, wurde diese erst inspiziert bevor wir sie betraten. Mein Blick ging an den Bäumen am Rand entlang und entdeckte eine kleine, zugewucherte offene Kapelle - Mist! So etwas war ein idealer Ort für versteckte Schützen.

„Wir gehen besser weit außen herum, quer durch den Wald.“ entschied ich. Noch einmal blickte ich durch das Fernglas das Gebäude an. Da - eine Gestalt bewegte sich! Hatte ich es mir doch gedacht! Ich versuchte zu erkennen wie viele es waren. Ben sicherte sofort unsere Rückseite, nicht dass uns jemand von hinten überraschte. Die Person dort drüben schien sehr unvorsichtig zu sein. Plötzlich trat sie für einen kurzen Moment heraus um Blumen zu pflücken…?!

„Ich glaub’s ja nicht!“ sagte ich erstaunt „Es ist Bianca!“

Wir warteten noch eine ganze Weile und beobachteten das Geschehen. Sie war wirklich alleine, niemand hatte sie gefangen genommen. Alles war recht harmlos, wie es schien. Ob sie nur allein sein wollte? Oder wollte sie uns bewusst loswerden? Was, wenn wir jetzt trotzdem zu ihr herübergingen - ob es besser war wir verdrückten uns ungesehen?

„Mir ist das zu doof. Ich gehe jetzt zu ihr hin und frage sie, was das alles soll.“ dachte ich laut vor mich hin, damit Ben meine Gedanken wusste. „Allerdings könnte es auch sein, dass sie uns vielleicht angreifen wird. Bleib du also besser hier. Ich regle das schon.“

Ben blickte mich ernst an. Er nickte kurz auch wenn er nicht sehr glücklich über diese Entscheidung von mir war. Aber wir würden sie sonst niemals wiedersehen. Als ich auf die Lichtung hinaus trat, war Bianca gerade wieder in der Kapelle. Ich beobachtete sie genau durch das Fenster. Als ich bei ihr ankam, ging ich vorsichtig um die Ecke. Drinnen saß Bianca auf der einzigen Bank neben dem Altar mit dem metallenen Kruzifix.

„Darf ich hereinkommen?“ fragte ich sie höflich.

„Du hier - wie habt ihr mich gefunden?“

„Reiner Zufall. Wieso bist du heimlich aufgebrochen? Ist doch OK wenn du wieder alleine weiter möchtest. Du brauchst es uns nur zu sagen. Wir haben uns echt Sorgen gemacht.“

„Ja, tut mir leid. Aber ich dachte ihr hättet es am Ende nie zugelassen.“ antwortete sie verlegen.

Ich glaubte ihr das aber nicht eine Sekunde - es musste noch einen Grund geben.

„Schon gut.“ Ich überlegte… „Wir lassen dich gerne in Ruhe, auch wenn es uns schwerfällt das zu verstehen - es ist deine Entscheidung. Du kannst gehen wann immer du möchtest.“

Ich drehte mich um und verließ die Kapelle. Da platzte es aus ihr heraus und sie rief mir hinterher: „Das könnt ihr auch nicht verstehen! Ihr Männer seit alle gleich - macht einen auf netter Kumpel oder großen Bruder und dann…“ Sie holte erstmal Luft. „… dann wollt ihr uns besitzen und nur das eine! Da war mir Carlos tausendmal lieber. ER war wirklich treu!! Er war mein einziger Schutz. Und du bist auch nicht besser…“

Hoppla. Da kam ja so einiges hoch! Das war also der wahre Grund für ihr heimliches Verschwinden. Was sollte ich darauf nur erwidern?

„Bianca, ich finde dich wirklich nett. Vielleicht auch ein bisschen mehr, gebe ich zu. Es gibt ja sowieso keine große Auswahl mehr. Na ja, wir sind halt auch im richtigen Alter, aber ich hätte dich nie überwältigt oder gezwungen. Das tue ich nicht!“

Verdutzt und verwirrt schaute sie mich an. Dann drehte ich mich um und ging. Sollte sie denken, was sie mochte. Mir war das Ganze zu gefährlich.

„Michael warte.“ rief sie plötzlich hinterher „Ich glaube dir. Tut mir leid, dass ich dich so angefahren habe.“

„Hm, schon in Ordnung.“ brummelte ich zurück.

„Kann ich wieder mit euch mitkommen?“

„Mit uns Jungs? Bist du dir ganz sicher?“ fragte ich zurück.

„Ja, mit euch Kerlen.“ antwortete sie grinsend.

„… und wie heißt das Zauberwort?“ Ich lächelte zurück.

„Bitte!“ lachte sie und kam zu mir herüber.

Nach kurzem Überlegen hielt ich Bianca meine Hand hin. Vorsichtig nahm sie sie in Empfang. Dann überquerten wir gemeinsam die Lichtung zurück zu Ben, der geduldig gewartet hatte. Keine Ahnung ob das eine weise Entscheidung war, aber jeder macht mal einen Fehler.

Unsere Reise nach Süden wurde nun gemeinsam fortgesetzt. Am Abend erzählte mir Bianca, was ihr die Männerwelt schon alles angetan hatte. Es war einfach widerlich und ich möchte ihr zuliebe dies alles nicht aufschreiben. Wenn Gesetzlosigkeit herrscht, dann gibt es keinen Grund mehr für Moral. Das ist ein Nebenprodukt des Überlebensprinzips: hier und jetzt - alles was ich kriegen kann, das nehme ich mir. Ich verstand ihre Angst jetzt schon viel besser. Doch dann stellte sie mir eine Frage, die mich völlig überrascht:

„Glaubst du eigentlich an Gott?“

„Keine Ahnung. Auch wenn es ihn gibt, ich weiß nicht viel mit ihm anzufangen.“ antwortete ich spontan.

„Ich schon.“ sagte Bianca mit klarer Überzeugung. „Es gibt ihn wirklich. Ich vertraue darauf, dass er mich niemals verlässt und mich zutiefst liebt.“

 

„Aha. Woher willst du das so genau wissen?“ fragte ich.

„Früher war ich in einem Jugendclub der Kirchengemeinde. Da haben wir so einiges erzählt bekommen. Warst du denn nie in so etwas?“

„Nein.“ meine Antwort war kurz und trocken „Hat mich keiner eingeladen und Fußball war interessanter.“

„Schade eigentlich. Mir hat es immer sehr gefallen.“

Bianca lächelte - und ich glaubte es ihr. Bestimmt wusste sie eine Menge über diese frommen Dinge. Doch wozu war das noch nützlich? Es hielt sich ja eh keiner daran! Höchstens wenn es ums Sterben ging…

38. Tag

Das Land, das nun vor uns lag, war relativ flach und leicht hügelig. Typisch für das immer näher kommende Gebirge. Als großes Hindernis erwartete uns laut Karte noch eine Flussüberquerung. Und in etwa drei Tagen sollten wir dann auch die ersten Berge am Horizont erkennen können… Unser Weg führte zwischen ehemaligen, großen Feldern hindurch. Sie waren wie überall völlig verwildert und mit Büschen zugewachsen. Nur die Trampelpfade der Tiere gaben einen schmalen Pfad frei. In jedem kleinen Ort machten wir kurz Halt und suchten nach Resten von Konserven - die einzigen Lebensmittel, die noch essbar waren. Leider gab es kaum noch welche. Ich machte mir echt Gedanken wie das nur in Zukunft weitergehen sollte? Nach dem dritten Dorf hatten wir zumindest wieder so viel zum Essen, dass es für heute und morgen reichte.

Am Abend wurde das Lager unter einer Baumgruppe aufgeschlagen. Ben kletterte im Schutz der Abenddämmerung die Äste bis in die Spitze der Wipfel empor. So bekam er einen guten Überblick über die vor uns liegende Strecke. Nichts Ungewöhnliches war zu sehen - weites Land, keine Lichter oder Rauch. Umso besser für uns.

39. Tag

Auch heute hatten wir nur endlose Landschaft vor uns. Die Orientierung war aufgrund des flachen Geländes nur durch den Sonnenstand möglich. Irgendwann sollte aber doch endlich der große Fluss kommen, der parallel zum Gebirge verlief und den wir dann überqueren müssen. Ab da würde man sich dann wieder einigermaßen besser orientieren können.

Immer wieder ging es querfeldein durchs Gelände. Hüfthoch war das neue Gras nun schon gewachsen. Jederzeit konnte eine Überraschung vor einem auftauchen. Zudem machte es uns richtig Mühe sich quer über die Wiesen zu bewegen wenn die Wege nicht in die richtige Richtung verliefen. Die einzigen Lebewesen, die uns begegneten, waren Herden von verwilderten Kühen, ein paar aufgescheuchte Rehe, die wie aus dem Nichts aufsprangen und im Dickicht wieder eintauchten und ein streunender Hund, der uns neugierig aber auch misstrauisch kurz über den Weg lief. Das hatte bei Bianca natürlich sofort Erinnerungen an Carlos hochkommen lassen. Wir haben sie, so gut es ging, versucht zu trösten.

Am Abend schlugen wir unser Nachtlager dann in einem verlassenen Bauerngehöft auf. Nach der üblichen mehrstündigen Beobachtungszeit hatten wir es dann schließlich betreten können - und es lohnte sich: Es war noch alles vorhanden an Möbeln, Geräten und Inventar! War schon komisch, wenn man sich ganz normal an einen Tisch mit Stühlen setzte, aus Porzellangeschirr aß und dabei Messer und Gabel benutzte. Oberhalb der gemütlichen, hölzernen Eckbank stand sogar noch der Schutzpatron in seiner Ecke. Und gegenüber von unserem Tisch der große Herd mit Holzbackofen - eine richtige Bauernstube! Es hatte alles eine familiäre Atmosphäre an die man sich so gar nicht mehr erinnern kann.

Wir schliefen dann in richtigen Betten mit weiß-rot karierter Bettwäsche und echten Daunenfederndecken. Zu unserer Sicherheit haben wir uns die Nacht mit Wacheschieben aufgeteilt - jeder drei Stunden Wache und sechs Stunden Schlaf. Seit Carlos mit seinen feinen Ohren uns nicht mehr weckte wenn Unbekannte sich nähern, waren wir gezwungen selbst aufzupassen. Einem solchen Gebäude kann man nicht trauen! Am Ende beanspruchte es doch noch jemand, der draußen in der Nacht lauerte und nur darauf wartete bis wir einschliefen, um uns dann leise und still zu beseitigen…

Alles kann jederzeit zu einer Gefahr werden - auch wenn es im ersten Moment brauchbar erscheint. Jeder kämpft gegen jeden. Nie schläft er, nie lässt er dich ruhen: der Überlebenskampf!

40. Tag

Wir verließen unsere kleine „Landpension“ im frühen, dichten Morgennebel. Wie sanft gezogene Tücher hing er in den Tälern zwischen den Hügeln. Feucht war seine Luft, wenn man in ihn hinein stieg und für einen kurzen Moment dem Auge der anderen entschwand… Kurz vor der Mittagszeit tauchte dann endlich der Fluss auf, den es zu überqueren galt. Ganz schön breit schob er sich durch die Landschaft - schätzungsweise gut hundert Meter war das andere Ufer entfernt! Das würde kein leichtes Übersetzen werden. Die Frage war auch wie und wann?

Bianca seufzte: „Es ist viel zu breit - schau’ mal bitte in der Karte nach wann die nächste Brücke kommt.“

„Klar gibt es irgendwo eine Brücke.“ Murmelte ich beim Studium der Karte. „Aber erstens ist die nächste ungefähr 40 Kilometer entfernt und zweitens kann keiner sagen, ob sie überhaupt noch intakt ist. Würde sich dieser Umweg überhaupt lohnen?“

„Weiß ich auch nicht.“ Resigniert blickte Bianca auf die andere Seite.

„Ja schlimmer noch: wenn die einzige Brücke am Ende von Leuten bewacht wird…“ ergänzte ich nachdenklich.

„Man, wir brauchen gute Vorschläge, keine schlechten!“ Bianca wurde richtig patzig. „Also, wer hat eine Idee?“

Ratlos blickten wir zum anderen Ufer hinüber. Man erkannte ein paar Strudel, die sich immer wieder neu bildeten und verschwanden. Zum hinüber schwimmen einschließlich unseres Gepäcks war dies viel zu tückisch! Es war verrückt - bei unserer ganzen Reiseplanung hatten wir dieses natürliche Hindernis völlig außer Acht gelassen. Auf einmal wurde Ben ganz aufgeregt. Er schien eine Idee zu haben und versuchte sie uns durch seine Gestik zu erklären - wenn er nur lernen könnte wieder zu sprechen!

„Etwas zum ziehen…?“ riet Bianca.

„Groß, länglich und mit Rand…“ Ben nickte bei meinem Vorschlag. „… und zum Sitzen? Was um alles in der…“

„Ein Boot!“ freudig unterbrach mich Bianca mit der Lösung.

„Ach, und woher?“ fragte ich „Hier ist weit und breit am Ufer keines zu sehen. Und wenn wir die Häuser in der nächsten Ortschaft absuchen, dann ist das eher ein Glückstreffer!“

„Hast du denn einen besseren Vorschlag? Nein?! Also dann los - ein Gummiboot wäre ideal. Das wäre leichter zu transportieren.“

Bianca hatte recht. So entschieden wir uns anhand der Karte flussabwärts zu laufen, da hier der nächst dichtere Ort zu erwarten war. Natürlich war unser Weg am Fluss entlang hoch gefährlich - wer weiß wem wir eventuell begegnen konnten… Doch Bianca war da optimistisch. Als wir gut vier bis fünf Kilometer am zugewachsenen ehemaligen Uferradweg entlanggelaufen waren, tauchte vor uns plötzlich ein Campingplatz auf.

„Na, wenn das kein Glück ist!“ rief Bianca triumphal.

„Wir können da aber nicht einfach so durchlaufen. In jedem Wohnwagen könnte jemand versteckt sein.“ konterte ich „Das ganze Gelände ist völlig unübersichtlich.“

„Das muss man eben riskieren. Gerade hier werden wir bestimmt etwas Brauchbares finden.“

„Du bist verrückt! Lass uns lieber nichts riskieren.“

Bianca ließ sich aber nicht umstimmen. Am liebsten wollte sie sofort von Wohnwagen zu Wohnwagen gehen und alles durchsuchen. Als auch Ben sich weigerte ihr Rückendeckung zu geben, lenkte sie glücklicherweise doch noch ein die Nacht abzuwarten. So schlugen wir unser Quartier zwischen hohen Pappeln in einem flussnahen Wäldchen - oder besser gesagt Dickicht - auf und warteten auf den Abend. Wir beobachteten im Schutze der Hecken das Campinggelände. Den ganzen Nachmittag lang rührte sich nichts auf dem Gelände. Alles war scheinbar ruhig und leer. Bianca wurde wieder ungeduldig: „Ich finde, ihr übertreibt.“

„Finde ich nicht.“ antwortete ich und deutete in Richtung des Duschhauses. Erst war es nur ein Schatten, dann auf einmal kamen noch drei, vier, fünf hinterher. Aus einer anderen Ecke strömten ebenfalls ein paar Gestalten hinzu. Jetzt öffnete sich die eine oder andere Campingwagentür… Es waren auf einmal dutzende Menschen, die sich versammelten - eine ganze Siedlung!

Bianca sagte nichts mehr. Betroffen saß sie schweigend an einen Baum gelehnt zwischen den mächtigen Wurzeln. Ben legte seinen Arm um ihre Schultern und setzt sich neben sie als wollte er sagen: besser so als in eine Katastrophe hineingerannt zu sein. Nachdenklich und ein wenig traurig schaute ich den beiden zu. Gerne hätte ich Bianca auch getröstet, aber ich musste die Bewegung der einzelnen Gruppen auf dem Campingplatz mit dem Fernglas im Auge behalten.

„Irgendetwas haben die doch vor. Das scheint ein Treffpunkt zu sein. Nein, jetzt ziehen sie gemeinsam los. Wir sollten besser verschwinden bevor sie noch in unsere Richtung kommen.“ riet ich „So viele Verfolger kann man nicht abschütteln.“

Wir nahmen unser Gepäck auf und verschwanden in genau die entgegengesetzte Richtung. Gut nur, dass das Gestrüpp so dicht zugewachsen war und man zwischen den Bäumen unsere Bewegung nicht sehen konnte. Immer wieder lauschten wir, wo die anderen gerade waren.

„Jetzt mehr nach rechts. Die haben die Richtung geändert!“ flüsterte ich.

„Da drüben höre ich aber auch etwas!“ bemerkte Bianca leise.

„OK, dann mehr hier lang… Halt - da ist auf einmal auch jemand!“

Verwirrt blickten wir um uns. Auch wir konnten niemanden sehen. Aber nun hörten wir fast von allen Richtungen her Schritte und Geraschel. Scheinbar überall waren Leute!

„Verdammt!“ raunte Bianca „Was nun??“

„Verstecken“ schlug ich vor „aber wo…?“

Fieberhaft suchten wir einen Busch oder Baumstamm zum Verkriechen. Ben zeigte auf einmal auf etwas, was flach auf dem Boden lag: ein altes, zusammengefallenes Zelt oder ein Überreste davon, was der Wind hierher geweht hatte. Es war hervorragend geeignet und besser als nichts! So krochen wir alle gemeinsam unter die Plane, verteilten das Gepäck zwischen uns und legten uns flach und möglichst bequem auf den Boden so dass von außen keine eindeutige Kontur eines Körpers mehr zu erkennen war. Jetzt hieß es absolut unbewegt abwarten…

Es dauerte sehr, sehr lange. Immer wieder kamen Gruppen vorüber, sammelten sich, sprachen über etwas und gingen dann weiter. Einmal kam einer sogar so kritisch nah an uns dran, dass ich ihn hatte atmen hören können. Als er auch noch direkt neben unserem Versteck stehen blieb, dachte ich es wäre aus. Doch wenig später hörten wir ganz unvermittelt ein „plätscherndes Geräusch“ auf dem Zeltstoff, was kurz darauf feucht und warm nach innen drang… Nun wussten wir mit Gewissheit, dass er von unserem Versteck nichts ahnte. Gut, dass sich Bianca voll im Griff hatte - der Urinstrahl traf sie am meisten… Schließlich wurde es endlich ruhiger um uns. Dann waren sie verschwunden. Wer auch immer sie waren. Wir krabbelten aus unserem schützenden Versteck und atmeten die frische Nachtluft tief ein. Nur Ben schien noch etwas unter der Plane zu suchen. Er wühlte und zog es schließlich aus dem Zelt hervor. Es war eine große, alte Luftmatratze!

„Hey, das können wir auch als Boot benutzen!“ lobte ich ihn.

Dann machten wir uns schnell davon. Weit weg in einem anderen Wäldchen schlugen wir unser Lager auf und gingen todmüde und hungrig zu Bett. Bianca hatte die erste Wache weil sie sich noch ein wenig säubern wollte.