Za darmo

Das Überlebensprinzip

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57.Tag

Wir liefen nun endlich aus der Hochgebirgsregion heraus in Richtung des nächsten Tales, was sich nach Süden öffnen würde. Erst verschwand der Schnee, dann wurde es wieder grüner und schließlich kamen auch wieder Wanderwege zum Vorschein. Hier lagen unglaublich viele bunte Sachen und Abfälle von Leuten, die wie wir ihren Weg über das Gebirge geschafft hatten. Erste Zeichen von „Zivilisation“ sozusagen.

Schließlich kamen wir auch zu der Kapelle, die uns Lupus beschrieben hatte. Und tatsächlich: hier lag ein ganzes Waffenarsenal herum. An der Wand stand es auf mehreren Sprachen, mit Farbe geschmiert, geschrieben: „Waffen hier lassen!“

Mit einem schon seltsamen Gefühl legte ich mein Gewehr dazu. Dann auch noch das Messer, obwohl es eigentlich auch zur Essenszubereitung notwendig wäre. Aber ich wollte einfach nichts riskieren. Bianca hatte sich auch all Ihrer Waffen entledigt.

„Komm’ jetzt. Wir müssen nun schnell hinunter gehen.“ sagte sie und hielt mir fröhlich ihre Hand entgegen.

Wir schritten gemeinsam auf dem nun als Fahrweg ausgebauten weg hinunter. Angst hatten wir irgendwie keine mehr. Stattdessen waren wir voller Erwartungen. Eine unglaubliche Sehnsucht trieb uns an. Immer wieder blickte ich zur Seite und betrachtete ihr offenes Haar.

Sie bemerkte es: „Schaust du mich etwa an?“

„Klar!“

„Und was siehst du?“

„Dich.“

„Oh, ihr Männer seid ja so einsilbig!“

„Bianca, ich liebe dich…“

„Und mal wieder viel zu direkt und unromantisch.“

„…von ganzem Herzen…“

„Soso. Noch etwas?“

„…und - für immer.“

Bianca blieb stehen und ließ meine Hand dabei los. Erschrocken lief ich noch ein paar Schritte, hielt dann aber sofort an.

„Michael, meinst du das ernst?“

„Wir hatten doch oft genug darüber geredet und immer wieder gegenseitig bestätigt. Ja, klar meine ich das ernst und dass wir uns beide mögen und zusammenleben wollen, war doch eigentlich auch so gedacht. Oder doch nicht?“ sagte ich nervös und war mir langsam nicht mehr sicher was ich glauben sollte.

Da Bianca nichts antwortete, sagte ich schließlich: „Aber nur wenn DU das auch möchtest.“

„Wenn du wüstest wie sehr ich mir das wünsche! Ich habe es mir aber nicht wirklich getraut dir zu sagen.“

Nun war ich es, der ihr seine Hand hinhielt.

„Scheinbar sind wir beide ziemlich überfordert mit unseren Gefühlen, was?“

„Denke schon.“ grinste Bianca und nahm meine Hand.

Wir liefen immer weiter die Serpentinen hinunter zwischen den Almwiesen Richtung Tal. Am Abend kamen wir dann in den ersten Ort, jedoch war er völlig verlassen und menschenleer. Wahrscheinlich war hier außer Hotels und Restaurants sowieso nicht viel an Dorfleben gewesen. Alles sah sehr touristisch aus. Bestimmt war dies einmal ein Rastpunkt für Motorradfahrer gewesen, die diesen Pass zum Vergnügen rauf und wieder runter geheizt sind. Wir suchten uns eines der Häuser aus und breiteten uns Nachtlager darin aus. Vielleicht werden wir ja morgen endlich auf Menschen treffen?

58. Tag

Heute ging es an einem kleinen Stausee vorbei und dann weiter die Teerstraße das langgezogene Tal hinunter. Hinter jeder Biegung erwarteten wir endlich den ersehnten Durchblick in die große Ebene, aber die Karte belehrte uns eines Besseren.

„Das sind noch gut zwanzig Kilometer Luftlinie bis überhaupt mal eine größere Stadt kommt. Und bei den vielen Kurven müssen wir die Strecke anderthalb mal so weit laufen.“ schätzte ich.

„Jetzt ein Fahrrad - und wir könnten uns ohne Mühe bis runter rollen lassen…“ schwärmte Bianca.

„Da sind wir bestimmt nicht die ersten, die sich so etwas wünschen.“

Aber auch der nächste Ort war völlig verlassen.

„Nun, ist wahrscheinlich viel zu abgelegen hier oben.“ meinte Bianca.

„Schon, aber wir haben nur noch für einen Tag Proviant.“ gab ich zu bedenken und fuhr fort: „Wir können zwar gerne mal schauen, ob es hier etwas gibt, aber ich denke eher nicht.“

„OK. Ich die linke Straßenseite, du die rechte.“

Wir schauten in jedem Haus und in jedem Laden nach - es war nichts Brauchbares zu finden - völlige Zeitverschwendung. Entmutigt standen wir am Ende des Ortes an einer etwas breiteren Stelle der Straße wo sich eine Bushaltestelle befand.

„Auch nichts?“ fragte ich Bianca.

Sie schüttelte den Kopf.

„Komm wir setzen uns da ins Bushäuschen.“ schlug ich vor. Dieses war aus Holz gebaut und rundum zugeschalt. Bestimmt praktisch im Winter wenn es hier oben kräftig von der Seite schneit. Drinnen war es ziemlich Dunkel wegen der wenigen Öffnungen. Es roch dazu noch sehr eigentümlich - irgendwie holzig, rauchig und ein wenig auch nach Gewürzen.

„Schon ein komischer Geruch hier drinnen, findest du nicht auch?“ sprach mich Bianca darauf an.

„Ja. Erinnert mich an etwas. Aber was nur?“

Wir packten unser letztes Essen aus und nahmen es langsam kauend zu uns. Es auf mehrere Tage aufzuteilen machte keinen Sinn, da es eh schon zu wenig war. Ab morgen würde es dann heißen hungern zu müssen. Während ich den letzten Happen kaute, legte ich mich auf der Bank zurück und blickte dabei an die dunkelbraune Decke. Da war doch etwas - im nun war ich wieder aufrecht. Auch Bianca blickte nun nach oben. Über uns an der Decke hingen lauter Salamiwürste!

„Wie kommen die denn hierher?!“ sagte ich erstaunt.

„Und wem gehören die denn? Hier oben wohnt doch niemand.“

Wir waren ratlos. Vorsichtig holte ich eine Wurst von der Decke und stellte fest, dass sie relativ frisch war. Ob wir davon essen sollten? Oder besser nicht? Sicherheitshalber hing ich sie wieder an die Decke. Dann verließen wir das Bushäuschen und schauten uns auf dem Platz davor vorsichtig um.

„Hallo! Ist hier jemand?“ riefen wir abwechselnd in den Ort hinein. Bis auf das Echo im Tal war aber nichts zu hören. So überlegten wir es wäre besser zu gehen und lieber nichts davon mitzunehmen - auch wenn es besser gewesen wäre und jeder dafür Verständnis hätte haben müssen. Gerade als wir zum Ort rausgehen wollten, läutete auf einmal die Glocke der Kirche!

„Da ist doch jemand!“ Angst stieg in mir hoch.

Automatisch wollten wir nach Deckung suchen, da zeigte sich schon jemand im Eingang der Kirche. Als einziges Gebäude hatten wir sie bei unserer Suche nach Lebensmittel ausgelassen. Der ältere Mann winkte uns beiden zu, dass wir zu ihm hinkommen sollten. Er sprach zwar nicht unsere Sprache, aber er verstand sofort woher wir kamen und was unsere Situation war. So wurden wir zu ihm eingeladen. Er gab uns noch etwas zu essen und darüber hinaus sogar Proviant für die nächsten zwei Tage mit. Das sollte bis zur großen Stadt reichen.

„Wenn ich den Typen richtig verstehe, dann ist er hier sozusagen eine Art Vorposten.“ flüsterte Bianca mir zu.

„Und die Würste sind Teil seines Vorrats, den er hier oben braucht.“ ergänzte ich.

„Aber wie kommuniziert er dann mit den Leuten unten im Tal?“

„Hast du nicht in der Ecke hinten die Brieftauben gesehen?“

Wir verabschiedeten uns herzlich mit Umarmungen voneinander und jeder wünschte dem anderen Glück in seiner Sprache. So gingen Bianca und ich in den Nachmittag hinein immer weiter dem Ende des Tals entgegen. Wir sahen noch wie eine einzelne Taube über unseren Köpfen hinwegflog. Diese Begegnung tat uns beiden recht gut, denn nun wussten wir, dass wir tatsächlich keine Angst mehr vor anderen Menschen zu haben brauchten.

59. Tag

Beim Frühstück heute Morgen schien mir Bianca etwas nervös. Das machte mich schließlich auch ganz kribbelig und so sprach ich sie kurzerhand an, was denn los sein?

„Ich weiß auch nicht. So kurz vor dem Ziel müsste ich eigentlich glücklich sein. Vielleicht ist es ja die Angst vor den vielen Menschen?“

„Oder vor der Zukunft? Das macht zumindest mir ein wenig zu schaffen.“

„Nein, es ist etwas anderes…“ Bianca blickte zu mir hinüber.

„Und was? Kann ich dir dabei vielleicht helfen?“

„Sag es mir ganz direkt Michael: hast du Gott dein Leben wirklich anvertraut oder tust du das nur mir zu Liebe?“

Ich lächelte Bianca an. Dann gingen wir beide los.

„Früher habe ich nichts über das alles gewusst. Es war mir auch total egal. Mein Leben lief auch so gut genug. Aber seit du mir immer wieder aus deinem Buch vorgelesen hast, hat mich das verändert.“ erklärte ich ihr meinen inneren Zustand „Ich bin Gott nicht mehr böse, ich verachte ihn auch nicht mehr. Du, kannst du uns beiden nicht noch mal was daraus vorlesen?“

Bianca griff an die Seitentasche ihres Rucksacks.

„Es klemmt. Hilfst du mir mal bitte?“ bat sie mich.

Wir blieben stehen und ich konnte das eingequetschte Buch befreien. Dabei öffnete ich es völlig unbedacht auf der ersten Seite und fand darin eine Widmung: „Meiner lieben Schwester Bianca zum 20. Geburtstag. Lupus..“

Ich stand da wie vom Donner gerührt und gab ihr das Buch in die Hand. Bianca merkte es nicht gleich, fragte aber nach einer Weile: „Hörst du mir eigentlich zu?“

„Äh, ja. Nein…“ stotterte ich „Ich habe vorne die Widmung gelesen…“

„Dann weist du jetzt von wem ich dieses Buch geschenkt bekommen habe.“ erwiderte sie.

„Ist Lupus etwa dein Bruder?“

Bianca bekam große Augen, dann lachte sie: „Ach du meinst wegen dem Wort Schwester? Nee, Christen nennen sich gerne untereinander Bruder oder Schwester weil Gott ja ihr gemeinsamer Vater ist. Du hast doch nicht etwa geglaubt der alte Lupus…“

 

Ein Stein fiel mir vom Herzen: „Ich muss wohl noch so einiges nachholen, hab ich den Eindruck.“

Dann nahm Bianca wieder das Buch und las daraus folgendes vor: „Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden.“

„Ich komme mir vor als wäre ich gemeint.“ sagte ich erstaunt.

„Bist du auch, Michael.“

„Ja meinst du das allgemein oder jetzt konkret?“

„Gott liebt dich und er ist allmächtig - also redet er jetzt mit dir.“ sagte sie und ergänzte: „Das ist kein Trick von mir!“

„Es ist so absolut cool. Aber sag mal, von wem wird hier eigentlich gesprochen?“

„Es ist das Ende von der Geschichte des verlorenen Sohnes. Die kennst du doch bestimmt?“

„Nur grob, aber nicht im Detail. Der ist doch mit dem Erbe vom Vater weggerannt und dann pleite bei den Schweinen gelandet?“

„Von dort ist er dann wieder nach Hause gegangen. Aber glaub ja nicht es hat ihm Spaß gemacht. Er wollte sich seinem Vater als Diener anbieten. Doch der rannte seinem verlorenen Sohn entgegen und nahm ihn völlig rehabilitiert wieder auf.“

„Zu schön um wahr zu sein.“ kommentierte ich Biancas Ausführungen.

„Die Geschichte redet ja auch von Gott. Ob wir Menschen diese Großherzigkeit auch hinbekommen, sei mal dahingestellt. Das wichtigste ist die Entscheidung des Sohnes überhaupt zu Gott umzukehren und sein Versagen zu zu geben.“

„Dazu gehört ganz schön viel Mut.“ fand ich.

Dann liefen wir eine Weile schweigend weiter. Wir beobachteten die Natur und freuten uns über das viele Grün der Wiesen und die dunklen Tannenwälder, die die steilen Hänge emporwuchsen. Der Bach war schon viel größer geworden und sprudelte mal zwischen den großen runden Steinen hindurch und schwamm dann wieder ruhig und sanft an den Kiesbänken der großen Schlaufen vorbei…

„Bianca, ich will wie der verlorene Sohn sein.“ sagte ich plötzlich.

„Was meinst du damit?“

„Ich gebe Gott mein Versagen zu. Und ich will zu ihm gehören, so wie Ben es auch gemacht hat.“

„Dann sag es ihm doch selbst.“

Das tat ich dann auch in einem leisen Gebet - mitten während dem Gehen. Er hat es bestimmt gehört und angenommen.

60. Tag

Schon am Vormittag erreichten wir endlich das Ende des Tales. Dahinter tat sich eine endlose, dunstige Ebene auf, deren Ende man nicht erkennen konnte. Wahrscheinlich werden wir noch einige Tage weiter wandern bis wir einen Ort gefunden haben an dem es uns gefällt. Bestimmt wird man uns hierzu auch ein paar Tipps geben können.

Unsere Straße näherte sich den ersten Häusern des großen Ortes. Die Häuser sahen diesseits der Berge schon etwas anders aus als wir es gewohnt waren… Auch waren längst nicht alle bewohnt. Am Ortseingang stand eine Gruppe von Männern, die wie Wachen aussahen. Es waren die einzigen, die wir mit Waffen rumlaufen sahen. Sie kontrollierten uns und unser Gepäck nur kurz. Dann durften wir weitergehen. Ab und zu schauten ein paar Gesichter aus den Fenstern der Häuser heraus. Es duftete nach warmen, lecker gekochtem Essen. Kinder liefen quer über die Straße - denn Autos gab es auch hier nicht. Man schaute uns neugierig und wohlwollend an. Wieder hatten es welche geschafft über die gefährlichen Berge zu kommen…

Jemand führte uns zu so einer Art Rathaus. Dort konnten wir uns recht gut verständigen, denn offensichtlich wurden hier mehrere Sprachen gesprochen, je nachdem woher die Leute stammten. Die Leute zeigten viel Herz und organisierten uns eine Unterkunft und genug zu essen. Als Gegenleistung halfen wir bei einfachen Arbeiten. Das schönste war jedoch die Wärme hier unten im Tal! Sie war ganz anders als dort von wo ich einmal gestartet bin. Mit freiem Oberkörper und ohne die dicken Wanderschuhe half ich einen Gemüsegarten umzugraben, während Bianca unsere Sachen im Bach wusch.

Abends saßen wir dann glücklich beieinander, denn wir wussten: Dies war nun ein ganz neuer Anfang!

Impressum

Texte © Copyright by

Christian Ruf Birkenring 20 56357 Miehlen Bibelverse: Römer 5,8 / Lukas 18,9-14 / Lukas 15,24 Lutherbibel, revidierte Fassung 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

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Dreamstime - Pavlo Vakhrushev

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ISBN: 978-3-7427-3561-4