Za darmo

Das Überlebensprinzip

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41. Tag

Diese enorme Ansammlung von Leuten hatte uns ziemlich beunruhigt. In der letzten Nacht waren wir aber zum Glück vor weiteren Störungen verschont geblieben. Dennoch wussten wir jetzt, dass auf dieser Seite des Flusses ziemlich viele Menschen lebten und wir möglichst schnell rüber auf die andere Seite gelangen mussten - nur weg von hier!

Wir gingen umso vorsichtiger an das Flussufer zurück, mieden tunlichst potentielle Verstecke und freistehende Gebäude und achteten darauf, möglichst keine auffälligen Spuren wie niedergetretene Pflanzen und Gräser zu hinterlassen. Ohne Carlos mit seiner Spürnase und feinem Gehör war alles viel schwieriger geworden. Als wir endlich angekommen waren, war es kurz vor Mittag. Der breite, braun dahinfließende Strom lag wie eine glatte Fläche vor uns. Das Wasser war garantiert eiskalt! Wir aßen gemeinsam erstmal eine Dose mit Erbsensuppe, die als letzte von unserem Proviant übrig geblieben war - zur nötigen Stärkung für unsere Überfahrt. Das Aufblasen der Luftmatratze war ohne Hilfsmittel gar nicht so einfach. Reihum durfte jeder mit purer Lungenkraft mal ran. Da wurde es einem ganz schön schwindlig und es dauerte endlos lange, bis ein erster Erfolg zu sehen war. Zum Glück erwies sich die Hülle als dicht, so dass wir sie weiter aufblasen konnten.

„Ben, hör’ auf! Du läufst ja schon blau an im Gesicht. Du musst nicht deine Lunge für den optimalen Druck Opfern.“ rief ich ihm zu. Man, wie er sich ins Zeug legte. Alle Achtung!

„Okay.“ sagte Bianca schließlich „Wir legen unser Gepäck und unsere Kleider einfach oben drauf. Die schweren Sachen in die Mitte aber die Waffen nach oben. Ich schwimme hinten und ihr Jungs jeweils seitlich.“

„Ay ay, Käpt’n.“

Ben und ich trugen die Luftmatratze das steinige Ufer runter zum Wasser und reichten nach und nach die Sachen an. Wir hatten uns die Schuhe ausgezogen und standen mit hochgekrempelten Hosenbeinen im kalten Gewässer. War das unangenehm - wir fragten uns, ob das wirklich eine so gute Idee war? Als wir mit dem Beladen fertig waren, kam Bianca hinzu und fing an sich auszuziehen. Also - komplett auszuziehen - meine ich. Ben und ich schauten verlegen zur Seite.

„Was ist? Los, macht euch fertig. Ohne Klamotten kann man besser und vor allem leichter schwimmen. Wir müssen drüben unbedingt trockene Sachen zum Aufwärmen haben.“ rief sie zu uns rüber als sie bemerkte, dass wir noch immer unverändert da standen. Wir zögerten noch, obwohl sie ja recht hatte…

„Hey, was soll das?! Ich meine das ernst. Jetzt ist nicht der Moment um verklemmt zu sein. Wir haben keine andere Wahl.“

„Na ja, wir sind halt vielleicht etwas schüchtern.“ gab ich kleinlaut zu „außerdem ist es eiskalt!“

Bianca lachte herzlich und drehte uns den Rücken zu: „Verstehe. Ich geh schon mal rein.“

Sie sah sehr hübsch aus mit ihrer schlanken Figur, musste ich zugeben. Trotzdem fiel es mir schwer in Gegenwart von ihr ganz nackt zu sein. Völlig entkleidet stiegen Ben und ich schließlich gemeinsam zu ihr in den Fluss hinein - war das mörderisch kalt!!! Ein Wahnsinn! Alle meine Organe zogen sich innerlich zusammen, meine Lunge atmete kurz und mein Herz wollte am liebsten aussetzen. Ich hielt es kaum aus. Ben und Bianca schien es ähnlich zu ergehen. Wenn das mal nur gut ginge! Als jeder seinen Platz eingenommen hatte, wurde sich mit einer Hand am Rand der Matratze festgehalten und mit der anderen so gut es ging geschwommen. Kaum dass wir etwa fünf bis sechs Meter vom Ufer entfernt waren, erfasst und die starke Strömung. Wir wurden im Sog des Flusses einfach zur Seite weggezogen. Nichts schlimmes eigentlich, aber wir würden das andere Ufer erst einige Kilometer weiter unten erreichen. Ich blickte rüber zu Ben, seine Lippen waren schon blau angelaufen und seine Augen zugepresst vor Schmerz.

„He, alles… klar… du?“ japste ich zu ihm herüber während ich kurzatmig Luft holte.

Er schüttelte energisch den Kopf und machte ein noch mehr schmerzverzerrtes Gesicht.

„Was… ist… mit dir? … ein Krampf?!“

Ben nickte heftig. Er schien in Panik zu sein.

Sofort kam Bianca von hinten herzu und griff Ben unter die Achseln: „Lass einfach locker … ich halte dich.“

Mitten auf dem Fluss trieben wir unbewegt weiter. Immer wieder drehte uns die Strömung sanft im Kreis herum. Wir hielten dagegen und richten uns immer wieder Richtung Ufer neu aus. Es dauerte eine gute Weile, dann endlich öffnete Ben wieder die Augen, Schmerzenstränen flossen ihm über die Wangen aber er konnte wieder alleine weiter schwimmen. Das war ja nochmal gut gegangen!

„Halte dich… an der… Luftmatratze fest.“ schnappte Bianca „Wir ziehen… dich einfach mit.“

Es dauerte noch ein gutes Stück und ich fühlte schon kaum noch meine Gliedmaße vor Taubheit. Die letzten Meter waren unerträglich - endlich spürte ich den Grund unter den Füßen. Es war geschafft! Unsere Lippen waren blau angelaufen, wir zitterten am ganzen Leib und mir war ziemlich schwindelig. Auf allen Vieren und total erschöpft krochen wir auf das feste Land. Doch ans Ausruhen war noch lange nicht zu denken. Zuerst mussten wir die Sachen an Land bringen. Wir kletterten über die wackeligen Steine der Uferbefestigung durch Dornen und Hecken hinauf bis endlich das flache Gelände kamen.

„Auch die Matratze nach oben.“ befahl Bianca mit heiserer, angeschlagener Stimme „Bloß keine Spuren hinterlassen!“

Wir nahmen unsere Decken, wickelten uns ein und trockneten uns ab. Sofort zogen wir wieder die Kleider an und unsere Jacken darüber bis sich der Kreislauf wieder erholt hatte. Noch immer barfuß und frierend rückten wir zusammen und wärmten uns gegenseitig. Alles tat weh, wie zehntausend Nadeln.

„Also wenn wir keine Lungenentzündung bekommen, dann haben wir echt Glück gehabt. Nie wieder mach ich so etwas, sag ich euch!“ meinte Bianca.

Ich nickte nur und war heilfroh das ganze überlebt zu haben! Erst einige Zeit später konnten wir uns fertig anziehen, bauten unser Zelt auf und schlüpften ohne etwas gegessen zu haben in die Schlafsäcke. Wir fühlten uns total fiebrig und mussten erstmal warten, bis unsere Körper sich wieder beruhigt hatten. Schlafen war jetzt das allerbeste.

42. Tag

Es gibt Tage, die ich am liebsten nicht aufschreiben möchte. Dieser ist einer davon. Trotzdem versuche ich mir Mühe zu geben. Alles fing so an: Die Nacht war für uns alle sehr fiebrig gewesen und immer wieder mit Schüttelfrost durchzogen. Bei mir schmerzte die Kopfhaut, aber Ben schien sich richtig ernsthaft verkühlt zu haben. Wir ließen ihn gut zugedeckt im Zelt zurück und so machten Bianca und ich uns gemeinsam auf Nahrungssuche.

„Wir müssen extrem aufpassen.“ riet sie. „Womöglich gibt es auf dieser Seite des Flusses genauso viele Menschen.“

Fragend schaute ich sie an: „Meinst du wir finden dann überhaupt etwas zu essen? Die besten Chancen hatten wir immer bei verlassenen Siedlungen.“

„Eher nicht - zumindest nicht auf die normale Art.“

„Was meinst du damit?“

„Na, wir müssen eben etwas stehlen ohne erwischt zu werden“ und dann fügte sie noch hinzu: „oder willst du hungern?“

„Nee, natürlich nicht. Aber ich vermeide lieber den Konflikt. Deswegen lebe ich ja noch.“ antwortete ich ihr.

Bianca machte ein abfälliges Gesicht. Mag ja sein, dass sie ein mutigerer Typ ist als ich. Vielleicht hatte sie bisher einfach auch nur Glück gehabt. Mir sind die Bilder von den Typen, die etwas gewagt hatten, noch sehr gut in Erinnerung - sie haben alle einen zu hohen Preis dafür bezahlt. Ja, alle. Aber das kann sie wahrscheinlich gar nicht nachvollziehen.

„Dann mach mal einen Vorschlag, wenn du so geübt darin bist.“ willigte ich ein „Aber begeistert bin ich nicht.“

„Gut. Komm’ mit und gib mit Deckung.“

Wir liefen quer durch das Dickicht und die Wälder. Bianca schien nach etwas ganz bestimmten zu suchen. Derweil schaute ich mich immer wieder nach Orientierungspunkten um, mit deren Hilfe wir wieder zurück finden. Schließlich deutete sie auf einen relativ offenen Bereich im Gestrüpp, der wohl öfter von Menschen begangen wurde.

„Genau das!“ sagte sie triumphal „Jetzt müssen wir nur noch warten. Komm, wir bauen uns ein Versteck da drüben.“

„Und auf was warten wir?“ So ganz verstand ich ihre Absicht nicht.

„Na auf irgendjemand, der meint er könne hier ungestört - du weißt schon.“

„Äh, nicht ganz…?“

„Also ehrlich, das hier ist sozusagen eine Toilette! Kapiert?“

So verbargen wir uns hinter mehreren umgefallenen Baumstämmen, die einen schmalen Beobachtungsschlitz freigaben, um das Gelände einzusehen. Es folgte eine relativ lange Wartezeit, die mich fast am Erfolg dieser Einschätzung zweifeln ließ - doch dann ging es auf einmal los: Wir beobachteten wie sich eine Person der Stelle näherte und, wie von Bianca vorausgeahnt, seine Notdurft erledigte. Es schien ein junges Mädchen zu sein, vielleicht gerade fünfzehn oder sechzehn Jahre alt. Als sie fertig war, schaute sie sich nach allen Seiten um. Wir duckten uns tief hinter die Baumstämme. Dann hörten wir, wie sich ihre Schritte auf dem Waldboden entfernten. Bianca wartete noch eine Weile, dann stieg sie vorsichtig und geduckt über die Stämme unseres Verstecks hinüber. Ich folgte ihr wortlos. Hätten wir Carlos noch, dann wäre es ein Kinderspiel der frischen Fährte hinterher zu gehen. Doch so mussten wir immer im Sichtkontakt zu dem Mädchen bleiben und gleichzeitig höllisch aufpassen nicht selbst gesehen zu werden. Während Bianca sie im Auge behielt, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die Umgebung. Nach einer kurzen Weile erreichten wir eine ehemalige Siedlung. Es war ein Dorf mit einem nachträglich errichteten Zaun, der gut zwei Meter hoch war und wie eine Stadtmauer ganz herum verlief.

 

„Selbst in der Nacht haben wir hier keine Chance!“ teilte ich flüsternd Bianca meine Einschätzung mit.

„Warts ab.“ zischelte sie zurück „Ich geh mal dahinten zum Zaun. Der ist fast zugewachsen und dahinter scheinen Hühner zu sein.“

„Und was mache ich?“

„Aufpassen. Rufe wie ein Greifvogel mit einem pfeifenden Schrei wenn du jemanden kommen siehst, OK?“

„Ja, gut.“ antworte ich, aber ganz wohl ist mir immer noch nicht dabei.

Es klappte aber ziemlich gut. Bianca kam unentdeckt bis an den Zaun, dann fummelte sie irgendetwas am Boden, bog den Maschendraht schließlich hoch und wartete. Sie lockte die Hühner mit frischem Gras an und tatsächlich - wenig später hatte sie ein Federvieh geschnappt, den Hals schnell umgedreht damit es keinen Lärm machte und kam mit der Beute in der Hand vorsichtig zurück. Sofort machten wir uns durch das Dickicht wieder auf den Rückweg. Jetzt galt es sich zu erinnern wo wir überall entlang gegangen waren. Und genau das war unser Fehler! Ein Jäger hatte kurz vorher unsere Spur entdeckt und da sein Hund unmissverständlich durch knurren signalisierte, dass diese von Fremden stammte, war er gewarnt und konnte uns auflauern…

Es war purer Zufall dass wir überlebten: beim Überklettern einer Gruppe von umgestürzten Baumstämmen hatte sich mein Schnürsenkel unter einer Astgabel eingeklemmt. Während ich schnell den Schuh auszog um mich zu befreien, ging Bianca mit dem erbeuteten Huhn in der Hand alleine weiter - ich würde ja gleich nachkommen. Dann hörte ich einen Schrei von ihr und die Stimme eines Mannes! Mir wurde sofort klar, was das bedeutete. Eigentlich hatte ich erwartet, dass er sie auf der Stelle umbringen würde, doch dann hörte ich beide Stimmen heftig weiterreden. Anscheinend wollte er heraus bekommen, ob außer Bianca noch mehr Personen in der Nähe waren.

„Ja klar.“ rief sie „Und die dürften gleich kommen!“

„Das soll ich glauben? Du versuchst nur Zeit zu gewinnen. Los, sag’ schon, wie viele seid ihr.“

Doch Bianca gab nur patzige, ausweichende Antworten. Was sollte ich nur tun?! Wenn es bisher ums Überleben ging, war jeder auf sich alleine gestellt. Selbst wenn ich jetzt hinzugekommen wäre, dann würde der Hund mich früh genug wittern. Der Typ würde Bianca als schützende Geisel vor sich stellen und ich müsste dann beide töten um mich nicht in Gefahr zu bringen. Verflixt und zugenäht - mit Ben zur Hilfe wäre zumindest ein kurzes Täuschungsmanöver möglich gewesen. Hilflose panische Angst stieg in mir hoch und ich muss es ganz ehrlich zugeben: ich bin nicht hingegangen. Nach ein paar Minuten hörte ich ein triumphales, böses Lachen, vermischt mit einem weiblichen Schluchzen. Das war’s dann wohl… Doch dann fing der Köter wieder an zu bellen - wie verrückt. War außer uns noch jemand in der Nähe? Dann hörte ich hektische, panisches Davonlaufen und das Knacken von Ästen. Was war da bloß los? Wie ging es Bianca??

Ohne Schutz zu nehmen rannte ich hin - von dem Typen mit seinem Hund war keine Spur zu sehen. Bianca lag bewusstlos am Boden und - das war der Grund für die Flucht des Mannes gewesen - ein Dutzend Wildschweine näherten sich ihr. Die waren wohl von dem Lärm gestört worden und sahen jetzt ziemlich wütend und kampfeslustig aus. Meine Waffe im Anschlag ging ich zu Bianca rüber.

Vorsichtig flüsterte ich: „Wache auf, du.“ und rüttelte sie energisch. „Komm schon.“

Die Wildschweine ließ ich dabei keine Sekunde aus den Augen. Endlich kam Bianca wieder zu Bewusstsein. Erst als sie ihren Kopf anhob, sah ich einen roten Fleck an ihrer rechten Wange. Ohne eine ruckartige Bewegung zu machen standen wir auf. Bianca nahm ihre Sachen und das Huhn in die Hand. Dann gingen wir rückwärts und ganz sachte immer weiter weg. Zum Glück schien das den Keiler zu beruhigen. Er blieb lieber bei seinem Weibchen und der Herde, da er uns erfolgreich vertrieben hatte. Das hätte auch anders enden können. Zum Glück waren keine Jungtiere dabei gewesen!

„Wie geht es dir?“ fragte ich.

„Wo warst du!!“ bekam ich wütend zur Antwort „Ich dachte du kommst mir zu Hilfe. Sag nicht du hast uns nicht gehört?“

„Es… es ging nicht.“ stotterte ich.

Zu einer Erklärung kam ich nicht mehr. Bianca ließ es mich deutlich spüren, was sie von mir hielt und was für ein Feigling ich war obwohl sie und Carlos schon ihr Leben für mich eingesetzt hatten. Ich sagte lieber nichts. Konnte es auch nicht. Der Tag heute warf einen düsteren Schatten auf unser gegenseitiges Vertrauen, das nun schwer erschüttert war. Schweigend kehrten wir zu unserem Lager zurück. Ben war schon aufgestanden und wunderte sich warum wir so lange fort gewesen waren. Bianca sagte kein Ton und machte sich schweigend an die Zubereitung des Huhns. Ich erklärte Ben nur knapp, dass es nicht so einfach gewesen war dieses zu beschaffen. Die Szene auf dem Rückweg ließ ich dabei lieber aus. Trotzdem merkte Ben, dass eine merkwürdig verkühlte Stimmung herrschte. Aber er bohrte nicht nach. Wir alle waren erschöpft und hungrig. Da war es sinnvoller hinterher noch mal nachzufragen, wenn der Magen einigermaßen gesättigt war.

Ben und ich machten erstmal ein Feuer. Das war gar nicht so einfach wenn man Rauch vermeiden möchte. Die Flamme musste ständig am Lodern gehalten werden, damit sie nicht runterbrannte und zu qualmen anfing. Bianca hatte eine Suppe aus dem Huhn zubereitet, denn das Wasser der Brühe füllte auch ein wenig den Magen. Außerdem würde ein gegrilltes Hähnchen einen gefährlichen Geruch verbreiten. Einigermaßen gesättigt legten sich zwei von uns aufs Ohr während der Dritte aufpasste. Auch Ben entging Biancas trotziger Blick mir gegenüber nicht. Sie hatte keine Lust zu schlafen und blieb lieber wach. Ich spürte innerlich wie sie noch immer über das gegenseitig Vertrauen nachdachte. Gerne hätte ich mit ihr darüber gesprochen. Ob sie uns verlassen wird?

43. Tag

Mein Schlaf war unruhig und nicht besonders tief. Als ich früh morgens aufwachte und um mich blickte, stellte ich fest - wir waren ganz alleine! Sofort rüttelte ich Ben wach, holte mein Gewehr und schaute mich vorsichtig um. Eine böse Ahnung beschlich mich, denn Biancas Waffen und ihr Rucksack waren auch weg. Aber ein Teil ihrer Sachen und auch die Leine von ihrem Hund waren noch da. Was war hier los? Das machte alles keinen Sinn: Wäre sie weggelaufen, hätte sie doch alles mitgenommen. Wenn man sie entführt hätte, dann müssten Spuren davon zu sehen sein und es würde der Rucksack nicht fehlen…

Wir lauschten angespannt. Stück für Stück wurde jede Hecke und jeder Busch um uns herum untersucht. Außer unseren eigenen Abdrücken waren keine weiteren Spuren auszumachen. In der Ferne hörten wir plötzlich das Gebell eines Hundes. Ganz leise nur und weit weg. Das hatte nicht unbedingt etwas zu sagen, denn streunende Hunde gab es überall. Dennoch bekam ich immer mehr das Gefühl, dass diese Gegend auch diesseits des Flusses ziemlich stark bewohnt war - allerdings nicht unbedingt friedlich. Nachdem Ben und ich uns vergewissert hatten, dass kein Fremder in der Nähe war, erzählte ich ihm von dem Vorfall im Wald. Ben verstand sofort. Der Wunsch zu überleben ist das höchste Prinzip und jeder macht es auf seine Weise.

„Das beste wird sein, wir packen und verschwinden heute Nacht von hier.“ schlug ich vor, hoffte aber insgeheim, dass Bianca bis dahin doch wieder zurückkäme. Da wir nichts mehr zum Frühstücken hatten, hing uns der Magen ziemlich durch. Das war das nächste Problem. Woher nur etwas zum Essen bekommen? Ich packte die einzelnen Sachen zusammen, faltete das Zelt klein und verstaute alles von drei auf nur noch zwei Rucksäcke, da wurde Ben auf einmal sehr aufmerksam. Er stand schnell aber sehr vorsichtig auf, lief in Richtung des Zugangs zu unserem Platz und versteckte sich zwischen den Baumwurzeln. Ich tat es ihm gleich und suchte mir eine geschützte Stelle ihm genau gegenüber. Das Gewehr bereit in meiner Hand, denn nun hörte man schon Schritte näher kommen. Es waren einzelne Schritte von nur einer Person.

„DU??!“ - es war Bianca!

„Ja, ich. Was macht ihr Jungs denn da?“ wundert sie sich über unser Versteck und noch mehr über die gepackten Sachen. Schweigend legte sie die Beutel und Taschen ab, die sie mitgebracht hatte. Genauso schweigend entleerte sie deren Inhalt - es waren lauter Lebensmittel! Alles Mögliche an Dosen!

„Ich wollte doch meine Männer nicht verhungern lassen. Da habe ich uns etwas für die nächsten Tage besorgt. Und zwar dieses Mal alleine.“ erklärte sie und ließ ein kurzes Lächeln dabei sehen. Ich war total erstaunt. Das hatte ich nach all dem was vorgefallen war, nicht erwartet! Ich war froh, dass sie uns nicht verlassen hatte.

Am späten Abend, als es bereits dunkel wurde und wir uns ausgiebig mit kalten Ravioli gestärkt hatten, setzte ich mich neben sie. Es schien sie nicht zu stören. Aber genau so wenig auch zu interessieren.

„Es tut mir leid“ erklärte ich ihr auf den Boden blickend „das von gestern, meine ich. Da hätte ich dir unbedingt helfen müssen…“

„Schon gut.“ sagte Bianca ruhig „Ich denke, ich habe dich verstanden. Du hast eben eine andere Einstellung, stimmt’s?“

Vorsichtig nickte ich.

„Ich nehme dir das auch nicht übel.“ fuhr Bianca fort „Es war unser beider Fehler und wir hatten mehr wie Glück. Du hast recht - wir sollten schnell weg von hier. Es ist einfach zu viel los!“

Ich nickte wieder. Mir fiel ein Stein vom Herzen.

„Was ist? Kannst du nicht mehr reden?“

„Doch, doch.“ stotterte ich verlegen.

„Okay. Wir müssen jetzt los. Es ist jetzt dunkel genug.“

„Und du bist mir wirklich nicht mehr böse deswegen? Bitte sag mir die Wahrheit.“ Bianca schaute mich eine Weile an.

Dann sagte sie: „Nein. Es ist - vergeben.“ und sie meinte es ernst.

Meine Erleichterung lässt sich kaum beschreiben. Es war ein Gefühl aus unverhofftem glücklich sein und großer Motivation gepaart mit wieder neuem, wechselseitigem Vertrauen. Einfach: Versöhnung ohne Wenn und Aber.

„Danke.“ sagte ich. Das hatte ich lange nicht mehr gespürt. Wenn überhaupt noch nie so deutlich, wie heute.

So machten wir uns vorsichtig auf den Weg und ließen diese unwirtliche und gefährliche Gegend am Fluss schnell hinter uns.