Firmung Jugendlicher im interdisziplinären Diskurs

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In diesem Zusammenhang steht auch die Sendung in der Firmung, wenn sie wirklich eine Sendung der Kirche ist und die Kirche in ihrer Zugehörigkeit zu Jesus Christus ausgesandt wird. Die Herausforderung für das Handeln der Kirche und damit für das Handeln der Getauften und Gefirmten liegt in den Erklärungen Rahners vor allem darin, dass im jeweiligen Akt sakramentalen Lebens, aber auch des alltäglichen Lebens von Christinnen und Christen Gottes Gegenwart präsent werden soll und muss. Nur so wird verständlich, dass alle Christen tatsächlich einen Auftrag zur Seelsorge haben und Rahner sogar von einer Weihe des Laien zur Seelsorge spricht, wobei an dieser Stelle das Wort Weihe nicht in Konkurrenz zum hierarchisch verfassten Priestertum treten soll. Es geht hier eher um den Anspruch an die Laien, also an die Getauften und an die Gefirmten, die Botschaft von Gottes Heilshandeln in Liturgie und im alltäglichen Leben konkret greifbar werden zu lassen. Es geht dabei um den Anspruch, Gottes Liebe und damit Gott selbst deutlich zu machen und zwar für alle Menschen zum Zeichen dafür, dass Gott tatsächlich in der Welt handelt und dass Gott eschatologisch endgültig gehandelt hat. Wenn sich Gott tatsächlich selbst schenkt und wenn Orte des kirchlichen Handelns für Rahner gerade Wahrheit und Liebe sind, dann müssen umgekehrt diese Orte auch zu wichtigen Erkennungszeichen für Getaufte und Gefirmte werden. Christinnen und Christen müssen demnach, wie die Kirche selbst, zunächst hören und dann zum Mittel für Gottes Heilsangebot an alle Menschen werden. Dass dabei auch für Gefirmte die Unterscheidung zwischen dem, was der Kirche eschatologisch gültig anvertraut ist und dem, was als aktueller Selbstvollzug zu verstehen ist, schwierig ist, fordert mit Sicherheit Bildung. In Rahners Sprache aber vor allem Zeugnis der tätigen Liebe Gottes im alltäglichen Leben der Christinnen und Christen.

1.3.3 Firmung ist Empfang des charismatischen Geistes

Ein Verständnis, das hierarchisch verfasstes Priestertum und allgemeines Priestertum aller Getauften voneinander absondert, kommt für Rahner nicht in Frage. Die verschiedenen Gaben Gottes an die Christinnen und Christen lassen sich nach Rahner nur als „Amt und freies Charisma“203 verstehen. Diese Gaben gehören für Rahner zusammen, sie können nicht vollständig voneinander getrennt werden, weil einerseits echtes charismatisches Handeln nur in der Kirche stattfinde und andererseits das Amt nur in der Kirche, nicht gegenüber der Kirche, Vollmacht habe, beziehungsweise jedem Amtsträger selbst freies Charisma mit gegeben ist. Rahner umschreibt das Charisma der Amtsträger auch als freies Charisma, weil „biblisch und sachlich auch die Amtsvollmachten in der Kirche Gnadengaben Gottes sind“204. Im Grunde genommen geht es ihm um die Einheitlichkeit des göttlichen Heilswirkens an der Kirche und um die Zusammengehörigkeit jeglichen Handelns der Kirche, also aller Christinnen und Christen, auf der Basis der eschatologisch gültigen Präsenz Gottes im kirchlichen Dasein und Handeln.

Was Rahner nun genau unter Charisma versteht, zeigt sich in einem Aufsatz, in dem er über das Handeln von Christinnen und Christen als einzelnen in der Kirche spricht. Er fragt:

„Wie rüste ich den konkreten Christen mit der Einsicht und Kraft aus, die er zum christlichen Bestehen der Situation braucht, die ihm eine sittliche Aufgabe stellt, deren richtige Lösung konkret ihm nicht mehr so unmittelbar von der amtlichen Kirche gesagt werden kann?“205

Wenn es darum geht, im jeweiligen sakramentalen Handeln der Kirche und in der Glaubensverkündigung, Gottes Gegenwart zu präsentieren und wenn die Christinnen und Christen dazu aufgerufen sind, in ihrem alltäglichen Tun auch die Gegenwart Gottes erfahrbar und wirklich werden zu lassen, dann sind der Kirche nach Rahner Charismen mitgegeben. Die Bestimmung des Charismas bei Rahner hält sich nahe an die paulinische Definition als „geordnete Entfaltung der christl. Berufung in ihren versch. Trägern, die sich u. U. als außergewöhnl., dem Wunder verwandte Erscheinung manifestiert, grundsätzlich aber die der Kirche zum Heilsdienst gegebene, bleibende Gnadenkraft bedeutet“206. Gerade an den Orten, an denen die hierarchisch verfasste Amtskirche am wenigsten präsent zu sein scheint, ist deshalb ein Handlungsort für die Getauften und Gefirmten, indem sie ihr Leben als Christinnen und Christen bestehen. Alltag und der Kirche abständige Gemeinschaften sind deshalb genuine Orte christlichen freien Charismas. Denn das Charisma entfaltet sich immer im Bekenntnis zu Jesus Christus, dem Herrn, in dem Gottes eschatologische Heilszusage unüberbietbar geworden ist207. Und das Charisma ist dort als echt zu bezeichnen, wo es zum Dienst am Aufbau der Gemeinde beziehungsweise zur Handlungsauftrag der Kirche beiträgt208.

Das christliche Charisma hat deshalb nichts mit der charismatischen Herrschaft zu tun, die Max Weber in seinem Werk Wirtschaft und Gesellschaft analysiert hat209. Für Weber ist Charisma und die im Charisma begründete Herrschaft etwas Außeralltägliches. Die Beherrschten stehen dem von Gott gesandten oder übernatürlichen Helden gegenüber und vertrauen in ihrer Not auf ihn. Christliches Charisma soll aber im Alltag seine Auswirkung finden – im Tun und Handeln aller Christinnen und Christen. Es hat nichts mit Herrschaft zu tun, sondern eher damit, dass der Träger des Charismas, der Christ, Gottes Herrschaft über sich anerkennt als Gottes liebende Zuwendung. Charisma wird dadurch auch zu einer Befähigung, in der persönlichen Situation als Christ / als Christin bestehen zu können.

Aus diesem Grund ist es nicht falsch, wenn Hans Küng in seinem umstrittenen Buch Die Kirche das Charisma als eine alltägliche, vielfältige und in der ganzen Kirche allgemeinen Erscheinung210 versteht. Beginnt man nun aber wie Küng von einer charismatischen Grundstruktur der Kirche zu sprechen, der die kirchliche Ämterstruktur nur dienend beigeordnet wäre211, so ist das in der Theologie Rahners weder durch die eschatologische Präsenz Gottes in der Kirche gedeckt, noch durch die Aktualpräsenz des apriorischgnadenhaften Existentials, durch das Gottes Gegenwart Wirklichkeit werden will. Denn wenn die charismatische Berufung „mit bestimmten Personen verbunden bleibt“212, dann stellt sich die Frage, wie die Kirche als Ganze denn nun bestimmt, wer in welcher Weise charismatisch berufen ist. Unter Umständen wäre mit der charismatischen Grundstruktur der Kirche dem Besonderen und Exotischen der Vorrang gegenüber dem Alltäglichen eingeräumt. Genau das hat Rahner aber in seiner Konzeption des Charismas vermieden.

Für Gotthold Hasenhüttl, der seine Habilitationsschrift bei Hans Küng angefertigt hat, bedeutet die angesprochene charismatische Grundstruktur der Kirche, dass „jeder seinen Platz in der Gemeinde hat, der ihm durch die Vollmacht geschenkt ist, daß dieser Platz der Ort ist, an dem er durch sein Charisma gestellt wurde, und daß er gerade an diesem Ort Kirche mitkonstituiert“213. So wichtig es ist, dass jeder Christ und jede Christin ihren Platz in der Kirche findet, so sehr müsste man in der Theologie Rahners darauf hinweisen, dass alle Christen diesen Platz schon haben, indem sie in ihrem Glauben und Leben die Gegenwart Gottes wirklich werden lassen. In Rahners Denken ist es deshalb weniger ein Platz oder ein Ort, durch den die Mitkonstitution der Kirche durch jeden Christen persönlich zustande kommt, sondern es ist eher das eigene Handeln, das zum Zeichen für die gnadenhaft geschenkte Präsenz Gottes in der Kirche und in der Welt werden soll. Dieses charismatische Handeln muss sich nicht durch große Begabungen äußern. Rahner verweist neben den großen enthusiastischen Bewegungen auch auf die Tugenden, auf die „Bewältigung des Alltags, [das] Durchhalten in geistesgeschichtlich ungünstigen Situationen“214, denen charismatische Valenz zukommt und zählt „nüchterne Gaben und Talente unter die Charismen […] zum Wohl der ganzen Kirche“215.

In einer immer unübersichtlicher werdenden Welt, die durch Automation, Kybernetik und einem „schon neurotisch werdenden Sicherheitsbedürfnis“216 gekennzeichnet ist, entdeckt Rahner auch Kräfte, die dem Charismatischen feindlich gegenüber stünden. Er nennt unter anderem die Einstellungen, alles wäre planbar und habe deshalb auch Erfolg, die Macht der Masse, die das Leben des Einzelnen weniger wichtig erscheinen ließe, die Abhängigkeit von gesellschaftlichen Institutionen und vieles mehr. Charismatisches Handeln ist deshalb ein Tun, das nicht auf Planbarkeit setzt, sondern auf Gottesbeziehung. Es ist ein Handeln, das den einzelnen Menschen persönlich angeht und kaum über eine große Masse verfügen kann, das persönliches Angesprochensein beinhaltet und Sicherheit eher als Heilszusage von Gott, denn als Abhängigkeit von einem staatlichen Amt versteht. Innerkirchlich ist eine parteihaft gedachte „Einheit und Geschlossenheit“217 und Überheblichkeit – Rahner denkt hier an den Zentralismus kirchlicher Bürokratien – dem charismatischen Handeln entgegengesetzt. Ursula Schnell hat daher die Frage gestellt, ob man doch davon ausgehen müsse, dass Rahner in diesem Aufsatz kirchliches Amt dem Charisma gegenüberstellt218. Das kirchliche Amt hat zwar prinzipiell nichts mit Parteinahme und Bürokratismus zu tun. Und auch kirchliche Amtsträger sind gefirmte Christen, denen als solchen auch der Geist verliehen ist, „der sich nach außen charismatisch kundtut“219. In wiefern aber kirchliche Verwaltungen dem charismatischen Handeln der Kirche dienen oder es erschweren, wird jeweils nur im Einzelfall überprüfbar sein.

Die Firmung dient somit nach Rahner als Sakrament „zum Empfang des charismatischen Geistes der weltverklärenden Sendung in der Durchführung des Auftrages, der der Kirche als solcher eignet“220. Die Firmung wird so zur Beauftragung an der apostolischen Sendung, die nichts mit einer kümmerlichen und ängstlichen Existenz zu tun hat, sondern mit dem Grundauftrag der Kirche selbst. Nur in diesem Zusammenhang wird man davon sprechen können, dass die Firmung mit Mündigkeit oder Reife zu tun hat. Denn während die Lexeme Reife und Mündigkeit interpretationsoffen sind, geht es in der Firmung um die „messianischen Geistesfülle, die erstmalig in Jesus Christus gegeben war und als sein Pfingstgeschenk immerfort der Kirche mitgeteilt wird“221.

 

Mit dem Wort Charisma tut sich allerdings auch eine Bandbreite von deutenden theologischen, spirituellen oder pseudowissenschaftlichen Erklärungen auf. Gerade durch die alltägliche Bedeutung des Charismas scheint sich Rahners Verständnis deutlich von den verschiedenen Interpretationen des gegenwärtig stark anwachsenden Pentekostalismus zu unterscheiden: „Allerdings hat die klassische Pfingstbewegung durch die Überbetonung der spektakulären Charismen das biblische Verständnis des Geisteswirkens in Richtung auf das Wundersame und Mirakulöse verschoben“222. Die spektakulären oder leuchtenden Charismen mögen zu einer „Entzauberung einer rein weltlichen Kultur und Gesellschaft“223 beigetragen haben – der evangelische Theologe Peter Zimmerling geht aufgrund des biblischen Befundes dennoch davon aus, dass jede „Betonung der spektakulären Gnadengaben […] problematisch [ist, denn] Paulus geht von der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Charismen aus“224. Der im Jahr 2014 verstorbene Exeget und Religionswissenschaftler Dieter Zeller schreibt den Charismen bei Paulus noch eine weitere Bedeutung für die Entwicklung der christlichen Gemeinde in Korinth zu. In der Zeit zwischen der Gründung der heidenchristlichen Gemeinde und der erwarteten Parusie würden die vielfachen Charismen den Enthusiasmus der Gemeinde befördern. Gerade im Proömium des ersten Briefs an die Korinther zeigt Zeller, dass das Lob des „Gnadenstandes […] den leuchtenden Hintergrund [bildet,] vor dem sich die folgenden Mahnungen abheben“225.

Die Beziehung der Charismen in den Paulusbriefen zur christlichen Gemeinde, zur Kirche, steht für eine Vielzahl von exegetischen Kommentatoren an einer zentralen Stelle226. Norbert Baumert hält deshalb fest, dass die Charismen „nicht isoliert, sondern nur in Kommunikation gelebt werden“227 können. Als Gabe an jeden einzelnen Christen stellen die Charismen deshalb auch eine Grenzerfahrung dar, so jedenfalls Klaus Berger228. Damit meint er zunächst einmal eine nicht weiter spezifizierte Grenze der persönlichen Leistungs- und Leidensfähigkeit mit der Erfahrung des Haltes, des Trostes und der Stärkung durch Gott. Charisma könnte somit auch die „persönliche Brücke zum Christentum“229 werden. An zentraler Stelle steht in diesem Zusammenhang bei den paulinischen Charismen auch das diakonische Handeln: „Dass die κοινωνία mit Jesus Christus auch brüderliche Gemeinschaft erfordert, müssen die Korinther erst noch lernen“230. Deshalb kann man zurecht von der „Diakonie als Identität des Christentums“231 sprechen. Hans-Josef Klauck spannt den Bogen der Charismen bei Paulus noch weiter. Er unterscheidet vier Kategorien232: die kerygmatischen Charismen zu Verkündigung und Lehre, die diakonischen Charismen, zu denen alle Arten von Hilfeleistung gerechnet werden, die kybernetischen Charismen, die zur Gemeindeleitung dienen und zum Schluss die pneumatisch-eksatatischen Charismen, also die leuchtenden oder spektakulären Gnadengaben, die durch das Liebesgebot in 1Kor 13,1 allerdings stark relativiert werden. Ebenso hält auch Erich Garhammer fest: „Die ekstatischen Charismen werden durch die nüchternen organisatorischen und diakonischen Dienste relativiert. Letzte Bezugsgröße, an der die Charismen gemessen werden, bleibt die Liebe“233.

Neopentekostale Gruppen gewinnen laut Martin Hochholzer in den letzten Jahrzehnten gerade in Ländern Lateinamerikas und Afrikas immer stärker an Zuwachs, während die katholische Kirche „rapide an Mitgliedern verliert“234. Auch wenn Hochholzer dies für die religiöse Situation in Deutschland nicht konstatiert, bleibt die Frage, was die Stärken pentekostaler Spiritualität in den genannten Ländern sind. Seiner Meinung nach läuft es hauptsächlich auf die Abgrenzung pentekostaler Gruppen von einem rational-nüchternen Weltbild hinaus235. Es sind offensichtlich vor allem so genannte weiche Faktoren, welche die Entscheidung, sich einer pentekostalen Gruppe anzuschließen, begünstigen. Darunter zählen auch236: Die starke und integrierende Rolle, die Frauen in pentekostalen Gemeinschaften spielen und die dem sonst üblichen machismo entgegenstünden, die mediale Wirksamkeit neopentekostalen Christentums, die durch die Urbanisierung begünstigte Entwurzelung Arbeit suchender Menschen von ihrer Heimat und religiösen Sozialisation. Ferner die prosperity gospel, also das in der Predigt verkündete Versprechen materiellen Wohlstands für Glaubende, die synkretistische Aufnahme traditioneller magischer Vorstellungen, also die Absage an ein rational verantwortetes Weltbild und die starke seelsorgerische Arbeit, im Vergleich zu der die meist auf Priester zentrierte Seelsorge in der katholischen Kirche als anonym erscheinen muss. Interessanter Weise spielen in dieser Aufzählung die ekstatischen Charismen eine untergeordnete Rolle, obwohl Heilung und Gesundheit an Körper und Seele durchaus auch erwähnt werden. Während man sich aus katholischer theologischer Perspektive vor allem von der prosperity gospel und von einem unter Umständen bedenkenlosen Synkretismus absetzen muss, so gibt es doch eine ganze Reihe von Schnittstellen mit Rahners Verständnis der Alltäglichkeit des Charismas. Die Verknüpfung verschiedener Ebenen diakonischen beziehungsweise caritativen Handelns und ihr Verständnis als genuin christlich charismatische Tätigkeit sind ebenso präsent wie die Frage nach der Ausbildung eines persönlichen Charismas als persönlicher Brücke zum Christentum, welche deutlich zeigt, welche Fähigkeit der oder die Einzelne hat und was jeder und jede zum kirchlichen Leben beitragen kann oder muss, damit Kirche als geistgewirkte Gemeinschaft in Jesus Christus auf dem Weg zu Gott als solche erkennbar bleibt. Sich um die Seele sorgen können und müssen wird dabei im Sinne Rahners nicht nur eine priesterliche Aufgabe sein. Jede und jeder Getaufte und Gefirmte wird das persönliche Aufgabenfeld in diesem Bereich zu suchen haben.

1.3.4 Ergebnis

Im theologischen Werk Karl Rahners kann die Firmung vom Ausgangspunkt des alltäglichen Glaubenslebens her verstanden werden. Rahner integriert verschiedene Sachthemen in diese Sichtweise, in der er den Menschen für seinen Alltag als charismatischen Geistesträger der liebenden Zuwendung Gottes zur Welt kennzeichnet. Hier gelangt auch das Sakrament der Ehe zur Erklärung christlichen Handelns in der Welt zu besonderer Bedeutung wie auch die Sendung, als mündiger Christ im Alltag zu handeln. Im Glaubensleben soll sich auch die Seelsorge Jesu im alltäglichen Handeln weiterwirken, der Gefirmte ist zum caritativen Handeln gesandt und soll den Blick aller Menschen auf Gott offen halten. Schwierig vom Glaubensleben zu unterscheiden sind Rahners Aussagen, die der Sachfrage nach Gabe und Aufgabe in der Firmung zugeordnet werden: die Sendung zu gegenseitigen Führen zu Gott hin und die Gabe des messianischen Geistesfülle. Das hängt in Rahners Theologie damit zusammen, dass es der Alltag ist, in dem der Christ tätig werden muss.

Für die kirchliche Gemeinschaft wird der / die Gefirmte in allen Sakramenten zu einer aktiven Aufgabe eingewiesen, Firmung ist eine Gabe, in der die Kirche sich selbst auf den Weg gibt und die Zusage, dass Gott in der Kirche auf vielfältige Weise präsent ist. Dem Kriterium Gottesbild wird die Absage an die Hybris der Selbsterlösung zugeordnet, die Wahrheit und Liebe als Orte der Gottesbegegnung und die unwiderrufliche Zusage, dass Gott die Welt gerettet hat. Als solcher hat der Christ den Auftrag, seine eigenen Lebensentscheidungen frei zu treffen und sie als Antwort auf Gottes Aufruf zu verstehen, was der Biographie zugewiesen wird. Mit dem Gedanken, dass die Firmung Gottes Zusage beinhaltet, das Wort des Menschen zu Gottes Wort zu machen, ist ein deutlich kommunikatives Element in der Theologie Rahners gegeben. In die Sachfrage Passageritual kann eingeordnet werden, dass die Firmung in Rahners Sicht gelungen ist, wenn subjektiv mitvollzogen werden kann, was objektiv geschieht, die Bedeutung von frei machenden Lebensperspektiven und Erfahrungen sowie die Herausstellung des eigenen Charismas. Die Firmung ist deshalb dann zu spenden, wenn der Empfänger die Eindrücklichkeit des Sakramentes subjektiv mitvollziehen kann. In der folgenden Tabelle werden die Ergebnisse zusammengefasst und auf die Sachthemen hin bezogen:

Tabelle 4: Firmung bei Karl Rahner und Sachthemen


Firmung ist in der Sichtweise Karl Rahners…Sachthemen
- …Sendung zum Weiterwirken der Seelsorge Jesu im alltäglichen Handeln- …Sendung zur Liebe zwischen Mensch und Mensch, besonders deutlich am Sakrament der Ehe sichtbar- …Sendung als mündiger Christ im Alltag zu handeln- …Sendung im Alltag den Blick aller Menschen auf Gott offen zu halten- …mit der Gabe des Charismas zum Bestehen alltäglicher Situationen verbunden- …Sendung zum caritativen HandelnGlaubensleben
- …Sendung zum gegenseitigen Führen hin zu Gott- …Gabe der messianischen GeistesfülleGabe und Aufgabe
- …wie bei allen Sakramenten Einweisung in eine aktive Aufgabe in der Kirche- …eine Gabe, in der die Kirche sich selbst mit auf den Weg gibt- …Zusage und Zeichen, dass Gott, der Transzendente, in der Kirche für Menschen präsent istGemeinschaft
- …sichtbares Zeichen der Bestärkung im Glauben und der Herrschaft Gottes in dieser Welt, die vor allem der Hybris der Selbsterlösung gegenüber steht.- …Sendung, nach Wahrheit und Liebe zu suchen, als Orte, an denen Gott präsent ist- …Zusage, dass Gott die Welt gerettet hatGottesbild
- …Auftrag, die eigenen Lebensentscheidungen frei zu treffen, sie aber auch als Antwort auf Gottes Anruf zu verstehenBiographie
- …Gottes Zusage, das Wort des Menschen zu seinem eigenen Wort zu machenKommunikation
- …gelungen, wenn subjektiv mitvollzogen werden kann, was objektiv geschieht- …verbunden mit frei machenden Erfahrungen und Lebensperspektiven- …verbunden mit der Herausstellung des eigenen Charismas mit gesellschaftlicher und kirchlicher VerantwortungPassageritual
- …dann zu spenden, wenn der Empfänger die Eindrücklichkeit des Sakramentes subjektiv mitvollziehen kannAlter

Der Alltag soll der Ort sein, an dem sich christliche Sendung ereignet. Hier kann man sogar von einer verborgenen Dimension kirchlicher Sendung beziehungsweise christlichen Handelns sprechen, weil der Alltag der Christinnen und Christen Theologen und Amtsträgern nicht zugänglich ist. Sendung der Kirche im Alltag hängt damit zusammen, dass sich die Kirche selbst in den Sakramenten mit auf den Weg gibt und der Gemeinschaft der Kirche verheißen ist, dass Menschenrede zu Gottesrede werden kann, wo sie auf das eschatologisch endgültige Christusereignis hin bezogen ist. Das heißt, dass der Alltag der Christinnen und Christen zu einer verborgenen Theologie wird, wo die Sendung, die in der Taufe grundgelegt und in der Firmung verdeutlicht ist, gelebt wird. Ein eigenes Betätigungsfeld für Gefirmte wäre damit nun überflüssig geworden, weil es im Alltag der Menschen verortet ist. Kirchliches Handeln wird von Christinnen und Christen also in ihrem Alltag bewerkstelligt.

Rahner bringt die Firmung auch mit der Herrschaft Gottes in Verbindung. Alltägliches Handeln der Gefirmten ist somit ein Beitrag zu dem fragil und zerbrechlich gegenwärtigen Reich Gottes, das im Christusereignis seinen Anfang hat. Diese Gottesherrschaft verbindet Rahner an einer Stelle vor allem mit einer Absage an die „Hybris einer Selbsterlösung“237, was dazu führt, dass die Firmung in erster Linie als Heilsangebot und als Heilsereignis für das persönliche Leben wahrzunehmen ist. Firmung muss deshalb mit frei machenden Erfahrungen verbunden sein, das Heilsangebot Gottes an jeden und jede persönlich thematisieren und zur Herausbildung eines eigenen Charismas führen.

 

1.4 Firmung vom Ausgangspunkt Gabe und Aufgabe her gesehen – die Sicht Hans Urs von Balthasars

Zwischen Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar kam es zu einer Debatte über die Frage, wer wirklich ein Christ ist, oder anders formuliert: was einen Christen wirklich auszeichnet238. Der Hintergrund ist wohl darin zu sehen, dass Balthasars Theologie von dem Gedanken der Gabe und Aufgabe her inspiriert ist239. In den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde die Firmung unter dem Aspekt der Gabe und Aufgabe mit der Zeugenschaft für Jesus Christus in Wort und Tat verbunden. Daher gelten Gabe und Aufgabe sowohl dem Einzelnen als auch der Gemeinschaft. Die Theologie Balthasars zur Firmung und zum christlichen Leben kann dazu dienen, das Verständnis der Firmung unter dem Aspekt der Gabe und Aufgabe weiter zu entfalten. Im Unterschied zu Biographie und Glaubensleben ist hier der Fokus stark auf die Verbindung des Einzelnen mit der Gemeinschaft und mit Gott gelenkt zur persönlichen und gemeinschaftlichen Begabung und zur Sendung. Denn, wie Thomas Marschler von der Ruhr-Universität Bochum schreibt, um „seine Maßstäbe muss der Christ ebenso wissen, wenn er zusammen mit all den anderen, die den Namen Christi tragen, nach dem zukünftigen Weg der Kirche sucht“240.

1.4.1 Firmung ist Zugehörigkeit zum universale concretum

Am Beginn der Kirche stehen für Balthasar keine abstrakten Ideen oder Prinzipien, sondern konkrete Personen, die sich auf der Grundlage ihrer gelebten göttlichen Sendung ins Prinzipielle haben ausweiten lassen241. Damit ist gemeint, dass die Lebensumstände und die persönlichen Beziehungen Jesu und seiner Jüngerinnen und Jünger, von denen im Neuen Testament berichtet werden, für die Reflexion über Kirche, Nachfolge und Christsein entscheidende Bedeutung haben. Entmythologisierung, wie Rudolf Bultmann sie gefordert hat242, lehnt Balthasar in dieser Weise ab. Ihm geht es nicht darum, den Vorwurf aufrechtzuerhalten, Bultmann wolle den Mythos eliminieren statt ihn zu interpretieren. Ihm geht es eher darum, dass sich der moderne Mensch nicht zum Maßstab dafür machen kann, „was das Wort Gottes sagen und nicht sagen darf, dem Menschen zumuten und nicht zumuten kann“243. Denn jeder Tendenz zur Aufhebung der konkreten Gestalt der Offenbarung möchte Balthasar entgegentreten und zwar „unter der Voraussetzung der einmaligen Inkarnation des Logos“244. Das ist alles in der Redeweise Balthasars impliziert, wenn er Jesus Christus als das universale concretum245 bezeichnet.

Wenn Christus das „alleinige konkrete Maß zwischen Gott und Mensch“246 ist, dann muss jeder Christ von diesem Maßstab her sein Leben gestalten. Das heißt, dass Jesus Christus nicht als menschliches Phänomen gedeutet werden darf, das in einer Reihe mit anderen großen Geistern der Weltgeschichte stünde, sondern das „Menschliche an ihm ist Ausdruck und Werkzeug des Göttlichen, und keineswegs das Göttliche Ausdruck und Werkzeug des Menschlichen“247. Wer als Christ / als Christin das eigene Leben gestaltet, der muss sich mit dieser göttlichen Fülle auseinandersetzen und mehr: er oder sie muss sich beschenken lassen in der persönlichen Christusnachfolge. Jeglicher Versuch, aus der innerweltlichen Bedingtheit heraus zu Gott zu finden, bleibt für Balthasar letztlich ein Streben nach eigener persönlicher Bedürfnisbefriedigung. Der Sehnsucht nach Transzendenz stellt Balthasar die Immanenz Gottes in Jesus Christus gegenüber:

„Der natürliche Mensch und seine Vernunft sind transzendierend. Gottes Gnade, die wir im Glauben ergreifen, ist immanierend. Sie ist nicht unsere Bewegung zu Gott, sondern Gottes Bewegung zu uns. Sie ist das Hereintragen des Himmels in unsere irdische Welt. Sie ist Teilnahme an der göttlichen Natur: seinshaft als heiligmachende Gnade, bewußtseinshaft als Glaube, Liebe und Hoffnung“248.

Die Einmaligkeit Christi ist deshalb die Einmaligkeit Gottes. Und diese Einmaligkeit wird auch der Kirche mitgeteilt. Und wer als Christ / als Christin lebt, der muss sich mit dieser Einmaligkeit Gottes auseinander setzen. Logischer Weise lässt sich diese Einmaligkeit nicht klassifizieren oder in systematische Denkraster einzwängen. Das würde ihrer göttlichen Herkunft widersprechen. Sie lässt sich nur erfahren, in der Tiefe; im Glauben sind Worte möglich, aber nicht mehr auf der Ebene „menschlichen Räsonierens[, sondern in einer] Geheimnis-Dimension der göttlichen Selbstenthüllung“249. Das ist die Zumutung eines christlichen Lebens und für Balthasar: die Abwendung von allen menschlichen oder weltlichen Maßstäben, denn in allen Situationen des eigenen Lebens muss sich der Christ / die Christin darüber im Klaren sein, dass es nicht persönliches Schaffen und Machen ist, auf das er / sie im Letzten vertraut. Gottes Handeln am eigenen Leben zuzulassen und in dieser Beziehung wortlos oder wenig wortgewandt da stehen zu müssen, ist es, was Zugehörigkeit zu Christus zunächst bedeutet.

In diesem Zusammenhang interpretiert Balthasar weltliches Sein in seinen beiden Aspekten „Wesen und Dasein, Gattung und Individuum“250. Aber in allem Suchen des Menschen nach Gottes Fülle und nach dem ganz Anderen, als dem, was sinnlich erfahrbar ist, setzt Gottes Offenbarung gerade „nicht dort ein, wo der suchende Mensch sie erwartet hätte“251. Denn wenn alles Menschliche Ausdruck und Werkzeug des Göttlichen sein kann, dann zeigt sich an Christi Leben ausgenommen der Sünde auch das Gottfernste: „das Kreuz, die Schmach, die Angst und der Tod“252. Gott wird deshalb nicht als eine Art von besonderer Möglichkeit der Kreatur zu verstehen sein, er wird sich in allen Dingen finden lassen und so durch Christus, das Wort Gottes, die ganze Welt zu einem Leib werden lassen.

Wie kann sich nun aber der Christ / die Christin dem universale concretum gegenüber genauer hin verhalten? Balthasar unterscheidet dazu vier Grundtypen personaler Glaubenserfahrung253. Die vier Grundtypen entstehen durch eine verallgemeinernde Auslegung der biblischen Berichte über Personen aus dem Umfeld Jesu. Damit liegen ihnen einzelne Individuen zugrunde, die jeweils ein ganz eigenes theologisches Profil aufweisen – Balthasar geht sogar soweit, hier einerseits von einer Entprivatisierung durch die Sendung254 zu sprechen, andererseits sind es für ihn gerade menschliche Helfer, die mit Christus in einem Zusammenhang stehen, und mit denen seine Sendung unlöslich verbunden ist255:

Der erste Grundtyp zeigt sich für Balthasar in Maria. Sie wird zum Bild der Magd oder der Rezeptivität und sie verdeutlicht damit das „Zurücktreten, Gewährenlassen, Raumgeben“256. Die zweite Sendung besteht in der Person des Apostels Petrus. Balthasar sieht in Petrus das „Tunmüssen mit der ganzen Person, aber restlos im Namen und Sinn des Herrn“257. Es geht hier aber nicht nur um ein reines Aktivwerden für den Glauben oder ein Handeln aus dem Glauben heraus. Die petrinische Sendung beinhaltet auch, dass in einem Menschen die Autorität Christi „konkret werden kann“258. Auf der Grundlage dieser Autorität ist Petrus auch der, der für die Kontinuität, ja sogar für die „nicht-überwundene Wirklichkeit“259 der Kirche steht. Petrus ist also insofern Modell, als er für die Versachlichung, man könnte auch von Objektivierung sprechen, steht. „Den subjektiven Aspekt, der sich etwa in Inspiration, Charisma, Erfahrung und Liebe darstellt, sieht Balthasar in typologischer Hinsicht in Maria verwirklicht. […] Den objektiv-somatischen Aspekt (Tradition, Institution, Sakrament) interpretiert Balthasar petrinisch“260. Die dritte Sendung ist die des Johannes. Als der Jünger, den Jesus liebte, ist Johannes für Balthasar der „Heilige, weil Liebende“261. Seine Bedeutung liegt vor allem darin, dass er Christus „in seiner je-größeren Liebe erscheinen lassen [kann] und seine Kirche in diese Liebe einweihen“262 kann. In gewisser Hinsicht reicht Johannes damit bildlich sowohl Maria als auch Petrus die Hand. Die vierte Sendung ist die paulinische, in der die „katholische Spannungseinheit“263 am deutlichsten wird. Von Paulus soll der Christ / die Christin lernen, was „katholische Universalität ist“264 und so wird Paulus für Balthasar zu dem Modell der Exzentrität.