"Darling Jane". Jane Austen – eine Biographie

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

(3) Die engste Verbindung in der Nachbarschaft bestand zu den Töchtern des Pastors von Deane, Mr. Lloyd, der 1789 starb. Seine Witwe blieb noch einige Jahre im dortigen Pfarrhaus wohnen und zog dann mit ihren unverheirateten Töchtern Mary und Martha – Eliza war schon mit Fulwar Craven Fowle, dem Bruder von Cassandra Austens Verlobtem, verheiratet – nach Ibthrop, nur 18 Meilen von Steventon entfernt, so dass der freundschaftliche Verkehr aufrechterhalten werden konnte. Mrs. Lloyd war eine Tochter der schönen und berüchtigten Lady Craven, die bei ihrem eleganten Leben ihre Kinder auf skandalöse Weise vernachlässigt und misshandelt hatte und die manche Forscher für das Vorbild von Jane Austens Lady Susan in dem gleichnamigen Romanfragment halten. Mary Lloyd heiratete 1797 den verwitweten James Austen, aber Martha blieb noch Jahrzehnte unverheiratet und zog 1805 nach dem Tod ihrer Mutter zu den Austens.

Zu den großen Vergnügungen der Mädchen gehörten vor allem die Bälle, die in den stattlichen Privathäusern der Umgebung oder monatlich einmal öffentlich in Basingstoke stattfanden. Sie nehmen in den frühen Briefen Jane Austens viel Raum ein. Ausführlich wird diskutiert, wer anwesend war, mit wem man getanzt und was man getragen habe, und für die Freundinnen boten diese Feste immer wieder Anlass zu gegenseitigen Besuchen.

Der Bildungsgrad dieser gemischten ländlichen Gesellschaft war dabei wohl nicht durchweg so hoch wie im Haus Austen. Die Ungebildetheit des englischen »Country Squire« ist schließlich schon eine satirische Zielscheibe des Romans im 18. Jahrhundert. Einmal wurde Mr. Austen von einem Grundbesitzer gefragt, ob nun eigentlich Paris in Frankreich oder Frankreich in Paris liege, er habe sich mit seiner Frau darüber gestritten. Es lässt sich schon aus dieser einen kleinen Anekdote ablesen, welche Fundgrube für die kritisch ihre Umwelt taxierende Schriftstellerin Jane Austen, zu deren besonderem Talent die ironische Darstellung leicht grotesker Mitmenschen gehörte, solche Zusammenkünfte gewesen sein müssen. Irgendwo ist sie immer wieder einem betulichen Umstandskrämer wie Mr. Woodhouse, einer geschwätzignaiven alten Jungfer wie Miss Bates, einer gewöhnlichen Neureichen wie Mrs. Cole oder einer sich hochvornehm gebenden Pfarrersfrau wie Mrs. Elton (alle aus Emma) begegnet und hat schmunzelnd oder bitter ihre charakteristischen Züge und vor allem ihre Art, sich auszudrücken, beobachtet, analysiert und in der literarischen Vorratskammer ihres Gedächtnisses gespeichert.

Zweites Kapitel

Jugendwerke

I

Aber bei vielen dieser Beobachtungen war ein langes Aufbewahren im Gedächtnis gar nicht nötig; sie konnten unmittelbar in die kleinen Werke eingehen, die während dieser Zeit schon entstanden, denn Jane Austen schrieb seit ihrem zwölften Lebensjahr kürzere literarische Texte, die zum Vorlesen in ihrer Familie gedacht waren. Die 27 erhaltenen Juvenilia erstrecken sich auf den Zeitraum von 1787 bis 1793 und sind in einigen Fällen sogar mit Daten versehen. Darüber hinaus beginnt der größte Teil mit einer pompösen Widmung an ein Familienmitglied, die bei mehreren Texten zusätzlich eine annähernde Datierung erlaubt. Da z.B. zwei kurze Erzählungen dem Bruder Francis, »Fähnrich auf Seiner Majestät Schiff ›Perseverance‹« gewidmet sind, können sie nur im Jahr von Francis’ Dienst auf diesem Schiff, also 1791, geschrieben sein. Die Widmungen deuten auch an, welches Familienmitglied Züge zur jeweiligen Hauptgestalt der Geschichte beigesteuert hatte. Ob Jane Austen wohl an ihre jugendlichen Scherze zurückdachte, als sie gut zwanzig Jahre später bei der Veröffentlichung von Emma im vollsten Ernst eine solche aufwendige »höfische« Widmung an den Prinzregenten formulieren musste?

Die erste Veröffentlichung der dreizehnjährigen Jane Austen blieb über 20 Jahre lang ihre einzige. In der neunten Nummer von James’ und Henrys Loiterer erschien am 28. März 1789 der Leserbrief einer offensichtlich fiktiven »Sophia Sentiment«. Sie schreibt:

Sie wissen, Sir, dass ich eine begeisterte Leserin bin; und abgesehen von Hunderten von Romanen und Schauspielen habe ich in den beiden vergangenen Sommern sage und schreibe all die unterhaltsamen Aufsätze unserer gefeiertsten Schriftsteller geschafft […]. Mein Herz schlug vor Freude, als ich Ihre Zeitschrift zuerst las. […] Es tut mir zwar leid, aber nein, wirklich, Sir, sie ist das blödsinnigste Werk dieser Art, das ich je gesehen habe. […] Man denke nur, in acht Nummern nicht eine gefühlvolle Erzählung über Liebe und Ehre […], keine Liebe, keine Dame. Henrys letzte Geschichte hätte allerdings gerettet werden können, wenn der Held mit einer französischen Nonne durchgebrannt wäre. Sie haben dem Amüsement unseres Geschlechts noch keine einzige Nummer gewidmet und uns so wenig Aufmerksamkeit geschenkt, als glaubten Sie wie die Türken, dass wir keine Seele haben. […] Wir möchten ein paar rührende Erzählungen sehen – über das Unglück zweier Liebender, die genau in dem Moment plötzlich starben, als sie zur Trauung in die Kirche gingen. Lassen Sie den Liebhaber in einem Duell sterben oder bei einem Schiffbruch umkommen; Sie können ihn auch Selbstmord begehen lassen, ganz wie Sie wünschen, und seine Geliebte muss natürlich verrückt werden. […] Nur bedenken Sie bitte bei allem, was Sie tun, dass Held und Heldin höchst empfindsam sein und recht hübsche Namen haben müssen. Wenn solche Geschichten nicht ›baldigst‹ erscheinen, dann soll Sie das Schicksal treffen, Junggeselle zu bleiben – mit einer altjüngferlichen Schwester als Haushälterin und Plagegeist.

Entsprechend Ihrem Benehmen

Ihre

Sophia Sentiment.

Obwohl nicht sicher ist, dass diese Epistel von Jane Austen stammt, ist ihr überkandidelter Spott doch unverkennbar. Der Brief reiht sich zwanglos in ihre Juvenilia ein. Zudem heisst eine Heldin in Liebe und Freundschaft, das Jane etwa zur selben Zeit schrieb wie den Brief, Sophia.

Die jugendlichen Werke variieren in ihrer Länge von der halbseitigen Farce oder Kürzestgeschichte bis zum 50 Seiten langen Roman, wobei der größere Umfang als Zeichen größerer Reife und literarischer Beherrschung zu deuten ist. Bei vielen Stücken handelt es sich um Fragmente, die zu beenden wohl nie die Absicht bestand, weil ihre Komik sich im Charakterisieren eines bestimmten Zuges erschöpft und den Abschluss der Geschichte nicht erfordert. Die Texte zeigen eine für einen zwölf- bis fünfzehnjährigen Teenager ganz ungewöhnliche, wenn nicht einmalige satirisch-parodistische Begabung, die ein scharfes Auge für die menschlichen Schwächen und Laster, ein empfindsames Ohr für die sprachlichen Mängel und Absurditäten ihrer Zeitgenossen und einen wachen Sinn für die literarischen Stereotypen ihrer Zeit voraussetzt. In dieser letzten Hinsicht sind Jane Austens Jugendwerke der eindeutigste Beleg für die lebendige geistige Atmosphäre und die Freizügigkeit ihres Elternhauses, wo man das Parodistische zu schätzen gewusst und das gesellschaftliche Leben recht ungehemmt diskutiert haben muss. Die Texte zeigen inhaltlich alles andere als das ängstliche Einhalten von Tabus oder enge moralische Maßstäbe; sie handeln von Bastarden und Morden, Trunk- und Spielsucht, unverantwortlichen Eltern und missratenen Kindern und sind auch durchaus nicht prüde. Sie spielen auf übermütige, selbstsichere und respektlose Weise mit den Konventionen und Verirrungen der Zeit und ihrer durch und durch unglaubwürdigen Darstellung im populären Roman. Schon als junges Mädchen fand Jane Austen ihre Mitmenschen mit ihrer Impertinenz, Heuchelei, Geschwätzigkeit, Großmannssucht, Leichtgläubigkeit und Unmoral unendlich komisch. Von Anfang an erhob sie sich über die Unvollkommenheiten der menschlichen Welt, indem sie ihre besonders grotesken, aber auch bedrückenden Züge lächerlich machte: Komödie als Ventil, Therapie und kritische Waffe. Das Besondere an diesen frühen literarischen Versuchen aber ist, dass sie das Possenhafte zum Gutteil aus ihren parodistischen Elementen gewinnen, also zurückbezogen sind auf die zeitgenössische Literatur. Die Forschung hat auf alle möglichen Vorlagen selbst einzelner Szenen hingewiesen, die Jane Austens Vertrautheit nicht nur mit populären Romanen, sondern ebenso mit anspruchsvollen Autoren wie Richard Sheridan, Samuel Johnson, den sie besonders schätzte, und Oliver Goldsmith sowie mit Zeitschriften belegt. Auch die Kenntnis Shakespeares spricht schon aus diesen frühen Werken. Was Henry Crawford im 34. Kapitel von Mansfield Park über den größten englischen Dramatiker sagt, entsprach sicher Jane Austens eigener Anschauung:

Aber Shakespeare lernt man kennen, ohne eigentlich zu wissen, wie. Er wird jedem Engländer zur zweiten Natur. Seine Gedanken und Schönheiten sind so verbreitet, dass man überall darauf stößt; man ist instinktiv mit ihnen vertraut. (S. 408)

Jane Austen probierte verschiedene literarische Genres und versuchte sich unter anderem auch an zwei absurden Gesellschaftskomödien. In Der Besuch muss der Kreis der vornehmen Gesellschaft unter den unleidlichen Lebensumständen im Haus Lord Fitzgeralds leiden, dessen Großmutter in allem nur ihre eigenen Bedürfnisse berücksichtigt hat: die Betten sind zu kurz, und es gibt zu wenig Stühle, so dass manch einer jemanden auf den Schoß nehmen muss, Sophie Hampton den Gastgeber. In Das Geheimnis erfahren die Leser – oder bei der jungen Jane Austen immer besser: die Zuhörer – nie, wovon das Stück eigentlich handelt, weil sich die Mitwirkenden alles Wichtige nur ins Ohr flüstern. Mit der »parteilichen, voreingenommenen und ahnungslosen« Geschichte Englands von der Herrschaft Heinrich IV. bis zum Tod Karls I., die Goldsmiths Geschichte Englands in einer Reihe von Briefen eines Edelmannes an seinen Sohn (1764, gekürzte Fassung) ins Komische entstellt und durch die aquarellierten Königsporträts von Janes Schwester noch einen weiteren karikaturistischen Reiz bekommt, ist auch ein nicht-literarisches Genre vertreten.

 

Vor allem aber beutet Jane Austen den sentimentalen Frauenroman der Zeit zu parodistischen Zwecken aus und macht sich ausgiebig in immer neuen Variationen über die unglaubwürdigen, überirdisch schönen und tugendhaften Heldinnen lustig. Für das frühe Stadium des Genres ist durch den Einfluss von Samuel Richardsons Romanen Pamela (1740), Clarissa (1748) und Sir Charles Grandison (1754) die Briefform charakteristisch, so dass auch ein Teil von Jane Austens Parodien aus Briefromanen besteht. Doch schon diese epistolare Form selbst wird bei ihr ad absurdum geführt, weil sie keinerlei Funktion hat, wenn es – wie in Liebe und Freundschaft – nur eine Briefschreiberin gibt, die ihre durch die Briefform willkürlich zerhackte, weit zurückliegende Jugendgeschichte erzählt; denn der Briefroman lebt von der Aktualität der Ereignisse, so dass sich die Handlung entwickelt, während die Briefe selbst geschrieben werden, und nicht nur der Leser, sondern auch die Akteure selbst über die Ereignisse noch im dunkeln tappen.

Die Heldin dieses Romantyps ist die tugendhafte junge Frau von großer Empfindsamkeit, die dem moralisch bedenklichen, wenn nicht schlichtweg korrupten Liebhaber das Ideal des reinen Lebens entgegenhält und auch in der bedrohlichsten Lage ihre Unschuld selbst unter Einsatz ihres Lebens zu verteidigen bereit ist. Da der Frauenroman der Zeit, den Jane Austen vorfand und dessen Unglaubwürdigkeit sie in ihren jugendlichen Parodien bloßstellte und in ihren späteren reifen und so bewundernswert wirklichkeitsgetreuen Werken weit hinter und unter sich zurückließ, für sie so wichtig ist, sei ein frühes und ein spätes Beispiel des Genres schon hier vorgestellt. Sie enthalten eine Fülle typischer Elemente und machen Jane Austens parodistischen Ansatz deutlich. Die Autorin kannte beide Romane gut, und auffälligerweise gibt es in beiden Namen, die sie selbst dann auch in ihren Büchern verwendete. (Im zweiten Fall, einem heute recht obskuren Buch, ist das von der Austen-Forschung wohl noch nicht angemerkt worden.)

Fanny Burneys (1752–1840) Erstling Evelina (1774), der die Autorin schlagartig berühmt machte, ist die Geschichte des naiven siebzehnjährigen Provinzmädchens, das in der verführerischen Londoner Gesellschaft ihre Integrität wahren und sich gesellschaftlich schulen muss, bevor sie am Ende mit der Hand des reiferen Lord Orville belohnt wird – eine Verbindung nicht hemmungsloser Leidenschaft, wie sie einst ihre Mutter durch unkluge Flucht erzwungen hatte, sondern langsam gewachsener Zuneigung. Orville ist wie ein Schutzgeist das ganze Buch hindurch immer zur Stelle, wenn Evelinas Tugend oder Ruf in Gefahr gerät, nicht weil sie schlecht ist, sondern weil sie in ihrer Arglosigkeit die Schlechtigkeit anderer nicht durchschaut oder sich anderen als Abhängige unterordnen muss. Vor allem Sir Clement Willoughbys (!) Nachstellungen muss sie sich immer wieder entziehen. Ihr geistlicher Vormund, Mr. Villars, gibt ihr die Ermahnung auf den Weg: »Nichts ist so verletzlich wie der Ruf einer Frau; er ist zugleich das schönste und das zerbrechlichste aller menschlichen Dinge.« Die abenteuerliche französisch-englische Herkunft der Heldin, die Wiederherstellung verwandtschaftlicher Verhältnisse durch das Auftauchen ihres gewissenlosen Vaters, Sir John Belmont, der sie, überwältigt von der Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Frau, anerkennt, und ihre Einsetzung in ihr rechtmäßiges Erbe, nachdem die falsche Tochter Sir Johns als Hochstaplerin entlarvt ist, lassen sich, zu Stereotypen verallgemeinert, leicht in Liebe und Freundschaft als Grundelemente von Jane Austens absurdem Spiel menschlicher Beziehungen wiederfinden: als exotisch-unglaubwürdige Herkunft, abenteuerliche Verwandtschaft, angemaßte Identität oder unmoralische Elternschaft.

Self-Control (1811, Selbstbeherrschung) ist der Erstling Mary Bruntons (1778–1818), die fast genau eine Zeitgenossin Jane Austens ist; sie hat diesen Romantyp so verinnerlicht und sentimentalisiert, dass ihr Buch bis kurz vor Ende nahezu keine Handlung hat. Auf Seite 6 macht Oberst Villiers Hargrave (!) Anstalten, die siebzehnjährige, fromm erzogene Schottin Laura Montreville, die ihn als männliches Ideal liebt, auf einem Spaziergang kurz nach dem Tod ihrer Mutter zu verführen oder auch nur zu küssen – die Vagheit der Szene macht es unmöglich, genaue Schlüsse zu ziehen –, was sie entsetzt zurückweist. Die nächsten 400 Seiten sind nun ihrem unentwegten seelischen Kampf gegen die Nachstellungen dieses Mannes, den aufzugeben ihr schwerfällt, gewidmet, bis sie begreifen muss, dass er ein leichtsinniger und skrupelloser Schurke ist. Mit unendlicher Geduld wirbt der liebenswerte Montague de Courcy (!), der einen Freund namens Wentworth (!) hat, um sie, ohne je ihre Skrupel besiegen zu können. Aber schließlich kommt auf den letzten 30 Seiten doch noch eine dramatische Handlung zustande: Hargrave verschleppt Laura nach Amerika, wo sie – zu Jane Austens Amüsement, die dies ironisch als die noch relativ realistischste Szene des Buches bezeichnete – allein in einem Boot einen Fluss hinuntertreibt, während Hargrave sich im Bewusstsein seiner Schuld erschießt. So kann sie nach ihrer Rückkehr nach England auf der letzten Seite doch noch de Courcy die Hand fürs Leben reichen.

Die übersensible, hochgradig idealisierte Heldin, die in Selbstbeherrschung ins Extrem gesteigert ist, bildet einen Hauptangriffspunkt in Jane Austens frühen Werken. Die ihr nachempfundenen Protagonistinnen ihrer Geschichten behalten einerseits die Charakteristika solch zartfühlender Lebenshaltung bei, indem sie etwa ständig in Ohnmacht fallen, und sprechen auch unentwegt über ihre zarten Empfindungen, aber ihr tatsächliches Handeln widerspricht diesen Attitüden völlig. Sie stehlen, lügen, handeln herzlos, sind grenzenlos eitel, egoistisch und geldgierig und lassen überhaupt jeden Anstand in ihrem Verhalten und ihrem menschlichen Umgang vermissen – und das alles mit dem hartnäckig verteidigten Anspruch, das Muster weiblicher Vollkommenheit zu sein. Zwei Prinzipien humoristischer Verzerrung liegen diesem Verfahren zugrunde: die Übersteigerung bestimmter Züge ins Karikaturistische, die das allgemein als Maßstab Akzeptierte durch scheinbar vehemente Bestätigung desavouiert (»Wir fielen abwechselnd auf dem Sofa in Ohnmacht«; Liebe und Freundschaft, 1790), und das selbstverständliche und gelassene Hinnehmen dessen, was dem allgemein Akzeptierten widerspricht, so dass die Welt auf dem Kopf zu stehen scheint (»Mr. Brudenell war ein einsichtiger Mann und hatte eine schöne Nichte, in die sich sogleich Sir William verliebte. Aber Miss Arundel war grausam; sie zog einen gewissen Mr. Stanhope vor. Sir William erschoss Mr. Stanhope; die Dame hatte nun keinen Grund mehr, ihn abzuweisen; sie nahm seinen Antrag an, und am 27. Oktober wurden sie getraut.«; Sir William Montague, vor 1790. Oder: »Das arme Mädchen! Sie betrauert seinen Tod noch immer mit unverminderter Treue, ungeachtet der Tatsache, dass er schon über sechs Wochen tot ist, aber manche Leute nehmen sich solche Dinge eben mehr zu Herzen als andere.«; Burg Leslie, 1792).

II

Auch in der Naturdarstellung lassen sich beide Verfahren beobachten. So wird in der folgenden Passage das sentimentale, ins Idyllisch-Ideale geschönte Landschaftsbild, das im Frauenroman immer wieder der Kummer oder Freude erlebenden Heldin als dekorativer Hintergrund dient, sprachlich und gegenständlich übertrieben:

Bei ihrer Rückkehr nach Crankhumdunberry (in welch lieblichem Dörfchen ihr Vater Pastor war) wurde Charlotte mit überschwenglicher Freude von Frederic und Elfrieda empfangen, die sie abwechselnd an die Brust drückten und dann vorschlugen, einen Spaziergang durch den Pappelhain zu unternehmen, der vom Pfarrhaus zu einer frischen grünen Wiese führte, die von einer Fülle bunter Blumen reizend betupft dalag und von einem rieselnden, durch eine unterirdische Passage vom Tal von Tempé hergeleiteten Bach bewässert wurde. (Frederic und Elfrieda, vor 1790)

Nach dem zweiten Verfahren wird ein solcher Landschaftshintergrund bei Jane Austen nicht mehr übertrieben poetisiert, sondern es wird eine Umgebung ausgewählt, die den Maßstäben des Landschaftlich-Schönen einfach ins Gesicht schlägt:

Ein paar Tage nach ihrer Versöhnung machte Lady Williams Miss Johnson einen Besuch und schlug einen Spaziergang in den Pappelhain vor, der vom Schweinestall der gnädigen Frau zu Charles Adams’ Pferdetränke führte. (Jack und Alice, vor 1790)

In solchen Landschaftsbeschreibungen ist zugleich ein weiteres parodistisches Angriffsziel erkennbar: William Gilpins (1724–1804) Theorie des Pittoresken übte nach den biographischen Bemerkungen ihres Bruders Henry »schon sehr früh […] großen Reiz auf sie aus«. In den späteren Romanen spielt sie darauf wiederholt an – besonders in Verstand und Gefühl, wo daher deutlich die frühe Entstehung durchscheint. In Liebe und Freundschaft wird ja Augusta durch Gilpins Buch über Schottland veranlasst, dorthin zu fahren. Der Geistliche und Hobbymaler Gilpin veröffentlichte in den beiden letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts eine Reihe von Reisebüchern und ästhetischen Essays, in denen er seinen Zeitgenossen ein Ideal des Landschaftlichen nahezubringen suchte, das er mit dem Begriff des »Pittoresken« bezeichnete. Dieses Ideal soll dem Bildarrangement beim Malen von Landschaften und der Ausbildung des Schönheitssinns beim Betrachten der Natur dienen. Sein entscheidender Gesichtspunkt ist die Abwechslung und Belebung, das Spiel kontrastierender Formen, das die Landschaft etwa durch Felspartien, bizarre Baumgruppen oder mittelalterliche Ruinen reizvoll macht. Als Element dieser ästhetisch gruppierten Formenvielfalt werden auch Mensch und Tier als statuarisches Bildingrediens eingeordnet. Wenn es bei Jane Austen in Evelyn (1792) etwa heißt:

Ein Kiesweg lief durch diesen schönen Staudengarten, und da der Rest des Geländes weiter keine Bäume oder Sträucher aufwies, seine Oberfläche völlig glatt und eben war und vier Kühe in gleichmäßigem Abstand voneinander darauf weideten, nahm der Anblick der Grünfläche Mr. Gower beim Betreten der Wiese außerordentlich gefangen,

dann sind das Kriterien und Formulierungen, die Gilpin nachgebildet sind, aber durch das Bildelement der Kühe im gleichmäßigen Abstand, das hier in die Wirklichkeit übernommen wird, als hätte man die Kühe aus ästhetischen Gründen dort auf Dauer plaziert, grotesk wirkt und nicht nur Mr. Gower, sondern auch den eingeweihten Leser gefangennimmt.

In allen drei Beispielen der parodistischen Landschaftsbeschreibung wird zudem die Verbindung dieser ästhetischen Theorie mit der Landschaftsgärtnerei der Zeit deutlich. Der Pappelhain und die grüne Wiese von Crankhumdunberry sind bewusst übertriebene Beispiele für die pittoresk-romantische Naturgestaltung, deren Charme nach dem Urteil der Zeitgenossen in ihrer scheinbaren Natürlichkeit bestand, die aber das kunstvoll-künstliche Arrangement nur verbarg. Das Umgestalten der Haus-, Garten- und Parkanlagen, um sie den neuen Vorstellungen landschaftlicher Schönheit anzupassen, war im England dieser Zeit eine große Mode. Die Gartenarchitekten Lancelot Brown (1716–1783) – Capability-Brown genannt, weil er zu allen Kunden sagte: »Ihr Grundstück bietet Möglichkeiten« – und Humphrey Repton (1752–1818) waren vielgefragt, und in Jane Austens Romanen, vor allem in Mansfield Park, bildet denn auch der Geschmack, den Garten- und Parkanlagen zeigen, ein Element für die Beurteilung ihrer Besitzer.

Jane Austens frühe karikierende Verfahren sind vielfältig. Sie verabsolutiert zum Beispiel immer wieder einzelne menschliche Züge und schafft so grotesk einseitige Charaktere oder lässt Gestalten völlig unangemessen, oft herzlos grausam auf eine Situation oder ein Ereignis reagieren. In der folgenden Szene aus Burg Lesley ist beides vereint. Dort gibt es eine junge Dame, die die Welt bis hinein in ihre sprachlichen Vergleiche nur unter dem Gesichtspunkt des Kochens sieht. Als die Hochzeit ihrer Schwester nicht zustande kommt, hat sie ihre eigenen Sorgen, wie sie ihrer Briefpartnerin berichtet:

Du kannst Dir vorstellen, wie groß meine Enttäuschung ist, wenn Du bedenkst, dass ich nun, nachdem ich Tag und Nacht geschuftet habe, um das Hochzeitsessen rechtzeitig fertig zu bekommen, nachdem ich genug Rindfleisch gebraten, Hammel geschmort und Suppe gekocht habe, um das Brautpaar unbesorgt durch die Flitterwochen zu bekommen, den Schmerz erleben muss, das Fleisch und mich völlig umsonst gebraten, geschmort und gekocht zu haben. Ja, meine liebe Freundin, ich erinnere mich nicht, je so erschüttert gewesen zu sein wie letzten Montag, als meine Schwester mit einem Gesicht weiß wie Schlagsahne zu mir in die Vorratskammer gelaufen kam und sagte, dass Hervey vom Pferd gefallen sei, einen Schädelbruch erlitten habe und vom Arzt als lebensgefährlich verletzt bezeichnet worden sei. »Guter Gott«, rief ich, »was du nicht sagst! Was soll nun um Himmels willen aus den Lebensmitteln werden? Wir sind doch nicht imstande, sie aufzuessen, bevor sie schlecht werden. Aber wir können den Arzt bitten, uns zu helfen. Ich schaffe das Rindfleisch allein, meine Mutter nimmt sich die Suppe vor, und du und der Doktor, ihr müsst alles übrige aufessen.

 

Man kann es der armen Braut kaum verdenken, dass sie prompt in Ohnmacht fällt. Das Unwahrscheinliche wird in solchen Szenen immer wieder als das Selbstverständliche geschildert, so auch in den Geburts- und Gefängniserfahrungen Elizas in Henry und Eliza (vor 1790). Der »Roman« beginnt mit einem parodistischen Seitenhieb auf die beliebten Findlinge in sentimentalen Romanen:

Als Sir George und Lady Harcourt das Heuen ihrer Arbeiter beaufsichtigten, wobei sie den Fleiß der einen belohnten durch ein zustimmendes Lächeln und die Faulheit der anderen bestraften – mit einem Knüppel, sahen sie gut verborgen unter einem Heuhaufen ein wunderschönes kleines Mädchen von höchstens drei Monaten liegen.

Der Findling ist das reizendste und tugendhafteste Mädchen der Welt, bis es mit Achtzehn 50 Pfund aus dem Schreibtisch des Adoptivvaters stiehlt und hinausgeworfen wird. Daraufhin singt sie in idyllischer Natur sentimentale Lieder, die ein beliebtes Ingrediens des Frauenromans waren. Später schnappt sie der Tochter einer neuen, diesmal herzoglichen Wohltäterin den Mann weg:

In Frankreich blieben sie drei Jahre und wurden während der Zeit Eltern von zwei Jungen. Schließlich aber wurde Eliza Witwe und stand ohne jedes Auskommen für sich und ihre Kinder da. Sie hatten seit der Hochzeit jährlich 18 000 Pfund ausgegeben; da Mr. Cecils Besitz aber nur ein Zwanzigstel davon einbrachte, hatten sie nur wenig sparen können; sie hatten ihr Einkommen aufs äußerste strapaziert.

Eliza war sich ihrer verzweifelten Lage bewusst und segelte in einem Kriegsschiff mit 55 Kanonen, das sie sich während ihrer besseren Tage gebaut hatten, nach England. Aber kaum war sie in Dover mit einem Kind an jeder Hand an Land gegangen, da wurde sie von den Agenten der Herzogin verhaftet und in das hübsche kleine Gefängnis geführt, das ihre Hoheit zur Aufnahme ihrer persönlichen Gefangenen hatte errichten lassen. Kaum hatte Eliza ihren Kerker betreten, da dachte sie schon an nichts anderes, als wie sie ihn wieder verlassen könne. Sie ging zur Tür; aber die war verschlossen. Sie blickte zum Fenster; aber das war mit Eisenstäben vergittert. In ihren Erwartungen so bitter getäuscht, wollte sie schon daran verzweifeln, je ihre Flucht bewirken zu können, als sie glücklicherweise in einer Ecke der Zelle eine kleine Säge und eine Strickleiter entdeckte. Mit der Säge ging sie sogleich ans Werk und hatte in ein paar Wochen alle Gitterstäbe beseitigt – bis auf einen, an dem sie die Leiter befestigte. Eine Schwierigkeit ergab sich zunächst, die sie nicht zu lösen wusste. Ihre Kinder waren zu klein, um allein die Leiter hinunterzuklettern, und sie konnte sie unmöglich auf den Arm nehmen, wenn sie selbst hinunterstieg. Schließlich beschloss sie, alle Kleidungsstücke (und sie hatte eine Fülle davon) hinunterzuwerfen, befahl dann den Kindern aufs strengste, sich nicht zu verletzen, und warf sie hinterher. Sie selbst stieg die Leiter ohne Schwierigkeiten hinunter und hatte unten die Freude, ihre kleinen Jungen vollkommen gesund und im tiefsten Schlaf anzutreffen.

Es versteht sich in einer solchen Parodie fast von selbst, dass sich Eliza zu guter Letzt als echte Tochter ihrer ursprünglichen Finder herausstellt. Ihr Schicksal war, wie ihre Mutter ihrem Vater erklärt, wahrhaft außerordentlich:

Vier Monate, nachdem du [nach Amerika] aufgebrochen warst, wurde ich von diesem Mädchen entbunden. Aber da ich fürchtete, dass du es ablehnen würdest, weil es nicht der gewünschte Junge war, brachte ich sie zu dem Heuhaufen und legte sie darunter. Ein paar Wochen später kamst du zurück und stelltest mir über das Thema glücklicherweise keine Fragen. Über das Wohlergehen meines Kindes beruhigt, vergaß ich bald, dass ich eines hatte, so dass ich, als wir sie in dem Heuhaufen fanden, wohin ich sie gelegt hatte, ebenso wenig wie du wusste, dass es mein eigenes war.

III

Der Übergang von der komischen zur ernsten Literatur verlief bei Jane Austen gleitend. Es gibt unter ihren Jugendwerken keines, das nicht um humoristischer Wirkungen willen die dargestellte Wirklichkeit bewusst ins Groteske entstellte, aber das bloße Spiel mit den gesellschaftlichen und literarischen Traditionen tritt schon 1792 in dem Fragment Catherine, dem längsten der frühen Werke, zurück, so dass sich hier zum erstenmal unter der Oberfläche des Absurden eine richtige Geschichte entwickelt, in deren Zentrum die erste Liebeserfahrung eines jungen Mädchens steht. Wohl beginnt der Roman noch mit parodistischen Anklängen. Catherine ist noch die typische früh verwaiste Heldin, die bei ihrer Tante aufwächst, die dann – je nach dem Romantyp – rührend naiv oder verworfen ist (in diesem Fall ist sie so prüde, dass sie ihre Nichte schon vor dem Anblick jedes männlichen Wesens schützen zu müssen glaubt), und ihre Jugend wird noch auf dem Hintergrund literarischer Anspielungen dargestellt (z. B. Catherine fand »das Vorfahren einer vierspännigen Kutsche ein interessanteres Geräusch als die Musik einer italienischen Oper, die für die meisten Heldinnen den Gipfel des Vergnügens bildet«); wohl gibt es auch noch die absurden Dialogfetzen und die grotesk-monomanischen Charaktere. Aber die Szenen – darunter eine Ballszene, wie sie später in jedem von Jane Austens Romanen vorkommt – werden nun auf realistische Weise ausgesponnen, statt im rasanten komischen Erzählfluss aufs äußerste reduziert zu werden. Über die bloße Wiedergabe einer Handlung hinaus kommt es nun also langsam zu deren Ausgestaltung; und der Gefühlswelt des jungen Mädchens wird nun eine ernstere Aufmerksamkeit geschenkt, so dass das Werk hierin schon auf einen Schwerpunkt in Jane Austens späterem Schaffen hinweist. In den früheren Texten dagegen stehen zwar weitgehend auch junge Mädchen im Mittelpunkt, aber Liebe und Ehe, um die sich ihre Welt – wie in Die drei Schwestern – dreht, sind in ihnen nichts als komisch.

Eine solche Mischung von Scherz und Ernst, von Übertreibung und Realismus, von parodistischem Ursprung, der immer mehr von einem eigenen Gestaltungswillen überlagert wird und sich darüber hinausentwickelt, müssen auch die ersten Fassungen der drei frühen Romane Jane Austens dargestellt haben, die wir aber nicht kennen. Erhalten ist ein undatierter Zettel, auf dem Cassandra Austen nach dem Tod ihrer Schwester die Entstehungsdaten aller Werke Jane Austens festgehalten hat. Nur, wann geschah das und wie genau war ihre Erinnerung? Dort heißt es über die frühen Fassungen:

Erste Eindrücke [First Impressions] begonnen Oktober 1796, abgeschlossen August 1797. Später mit Änderungen und Kürzungen unter dem Titel Stolz und Vorurteil veröffentlicht.

Verstand und Gefühl begonnen November 1797. Ich bin sicher, dass ein Teil dieser Geschichte und ihrer Gestalten früher geschrieben wurde und Elinor und Marianne hieß.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?