Die Kolonie Tongalen

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7.

Der Raum war sechseckig, metallisch und stillos, hatte eine Front, eine Rückwand und je zwei gewinkelte Seitenwände. An keiner Wand hing ein Bild. Auf keinem der wenigen, ebenfalls metallisch aussehenden Möbeln standen eine dekorative Vase oder eine Skulptur. Kein Teppich zierte den Fußboden.

Jenseits der Mitte präsentierte sich ein großer stählerner Schreibtisch. Direkt in seine Oberfläche waren in einem Halbkreis drei holografische Monitore eingelassen. Hinter dem Schreibtisch stand ein wuchtiger schwarzer Kunstledersessel mit Arm- und hoher Rückenlehne sowie einer Nackenstütze.

Vier der sechs Wände waren mit Leichtmetall verkleidet, während die beiden Seiten rechts und links des Schreibtisches je eine getönte Glasfront bildeten, die eine hervorragende Aussicht auf die Pariser Innenstadt boten. Die Wände zu beiden Seiten des Eingangs waren mit unzähligen Überwachungsmonitoren übersät. Hinter dem Sessel gähnte eine dunkle Leere. Der Fußboden protzte in kaltem, geschliffenem Granit.

Der Eingang, eine metallene Doppeltür, unterstrich die Hässlichkeit dieses Raumes zusätzlich. Es war keine gewöhnliche Tür. Sie bildete vielmehr den Bestandteil eines aufwändigen Sicherheitssystems. Direkt in den rechten Türflügel waren ein Hand- und Augenscanner und ein Zahlenfeld eingelassen. Die zwanzig Zentimeter dicke Tür bestand aus mehreren Schichten gehärteten Stahls. Sie konnte sogar einem Bombenanschlag standhalten. Sollte es jemandem gelingen, sich Zutritt zu diesem Gebäude zu verschaffen und tatsächlich die oberste Etage erreichen, war der Weg vor dieser Tür zu Ende.

Der Raum verfügte über ein autarkes Klima- und Belüftungssystem und ermöglichte es, ihn gegen außen hermetisch abzuriegeln. Bei einem Brand war man hier drin in Sicherheit. Das Gebäude selbst galt als einsturzsicher, selbst bei mittleren Erdbeben.

Im Fußboden eingelassen waren sanitäre Anlagen, die im Notfall ausgefahren werden konnten. Auf der Vorderseite des Schreibtisches gab es Vorratsschränke, gefüllt mit Nahrungskonzentraten. Somit war das Überleben in diesem Raum für eine längere Zeit möglich.

Der Mann, der auf dem Sessel hinter dem Schreibtisch saß, hieß Derek Varnowski und war seit ein paar Tagen neuer Generaldirektor von Norris & Roach Labs Inc., dem größten Pharmakonzern der Erde.

Zeit seines Lebens hatte Derek im Schatten seines übermächtigen Vaters gestanden, der vor einer Woche völlig überraschend einem Herzversagen erlegen war.

Derek hatte seinen Vater gehasst. Er hatte es ihm nie recht machen können, war nur kritisiert worden und hatte oft als nicht ernstzunehmende Witzfigur der Familie gedient. Niemand hatte gegen Lincoln Varnowski eine Chance gehabt. Dafür war er viel zu selbstverliebt gewesen und immer im Recht, auch wenn er nicht recht hatte.

Derek hatte den Kampf gegen den Tyrannen längst aufgegeben und einfach gewartet, bis sich ihm eine Chance bot. Und als sie da war, hatte er sie eiskalt genutzt.

Für den alten Patriarchen all die Jahre den Laufburschen und die Lachnummer zu spielen, hatte sich schließlich ausbezahlt. Nur so bestand die Möglichkeit, ihm täglich ganz nahezukommen. Aber der Alte strotzte nur so vor Gesundheit. Ohne Dereks kleine Beihilfe hätte er ihm noch lange im Weg gestanden.

Allesamt hatten sie dem Tyrannen die Füße geleckt, während Derek von den meisten nur belächelt und selten ernst genommen worden war. Er gehörte nicht einmal zum engsten Kreis der Geschäftsleitung und war auch nie als Nachfolger vorgesehen gewesen.

Aber Derek hatte alles sorgfältig geplant und arrangiert, den besten Zeitpunkt gewählt und die richtigen Leute erpresst oder bestochen. So hatte alles seinen Lauf genommen.

Nun war er ganz oben angelangt, aber sein Weg war noch lange nicht zu Ende.

Er hatte große Pläne mit dem Konzern. Pläne, von denen sein Vater nichts wissen wollte. Trotzdem hatte er schon vor einiger Zeit damit begonnen, Vorbereitungen zu treffen, die richtigen Leute um sich zu scharen und gewisse Aktivitäten zu veranlassen.

Mit Geld bekam man die fähigsten Köpfe, und Geld hatte er genug. Bei seiner Überzeugungsarbeit hatte er sich stets großzügig gezeigt. Nur einmal wagte es einer der angeheuerten Männer, ihn unter Druck zu setzen und über Erpressung den zehnfachen Betrag zu fordern. Kurz darauf war er Fischfutter in der Seine gewesen.

Derek Varnowski hatte Wirtschaftsgeschichte studiert und zeigte sich schon während seines Studiums sehr begeistert von den früheren ausbeuterischen Wirtschaftsstrukturen.

Als er für eine seiner Diplomarbeiten in den Archiven des Konzerns nach Material suchen durfte, entdeckte er etwas, das sein weiteres Leben in eine bestimmte Richtung führen sollte. Zuerst konnte er nicht glauben, was er auf einem der Holochips alles zu sehen bekam. Es war für ihn unerklärlich, dass er für solche Daten die Zugangsberechtigung erhalten hatte. Anscheinend hatte niemand mehr Kenntnis von der Existenz dieses brisanten Materials.

Heimlich hatte er sich damals eine Kopie angefertigt und sich vorgenommen, wenn die Zeit reif war, darauf zurückzugreifen. Er würde sich geeignete Fachleute suchen und dieses uralte Projekt wiederbeleben. Damit würde sich ihm die Möglichkeit von unvorstellbarer Macht bieten. Und Macht war das primäre Ziel, das er in seinem Leben anstrebte. Der Konzern und der große Reichtum, den ihm sein Vater dank der unauffälligen, aber nicht unbedeutenden Manipulation hinterlassen hatte, dienten lediglich dazu, dieses Ziel zu erreichen.

Nun war der Zeitpunkt gekommen, seinen lange gereiften Plan in die Tat umzusetzen. Aber er durfte sich nicht von seiner Euphorie verführen lassen und alles überstürzen. Er wollte sich genug Zeit nehmen, alles aufeinander abzustimmen und sich gegen alle Eventualitäten absichern.

Er öffnete den digitalen Safe, holte den Holochip hervor und legte ihn in das entsprechende Lesegerät. Seit er vor Jahren diese Kopie angefertigt hatte, erweiterte er das Datenmaterial laufend mit Analysen und Strategien über das weitere Vorgehen.

Schon einige Wochen vor dem Tod seines Vaters hatte er damit begonnen, Leute zu rekrutieren. Dabei handelte es sich um bestechliche Wissenschaftler und Söldner. Bevor er das Projekt in die Tat umsetzen konnte, waren etliche Experimente und Versuche von Nöten. Das Problem dabei bestand darin, dass diese Experimente unmöglich auf der Erde durchgeführt werden konnten. Doch dafür hatte er bereits eine Lösung gefunden. Auf einem Kolonialplaneten existierte eine Zweigniederlassung des Konzerns. Ein Team von Wissenschaftlern und ein Söldnertrupp sollten die geeigneten Voraussetzungen für umfassende Versuche schaffen.

8.

Als Christopher am übernächsten Tag im geräumigen Hotelzimmer eintraf, wurde er bereits von Ernest, Eric und Mark erwartet.

»Du bist höchstpersönlich hierhergekommen?«, fragte er erstaunt, als er Mark erblickte. »Dann muss es sich um ganz besondere Aufträge handeln.«

»So besonders nun auch wieder nicht«, winkte Ernest ab.

»Scheint aber etwas Geheimnisvolles zu sein.«

»Auch das wäre stark übertrieben.«

Das Zimmer besaß eine Terrasse, die eine tolle Aussicht über den Lake Geneva bot. Der Zimmerandroide verteilte gerade die gewünschten Getränke und Snacks und zog sich anschließend wieder hinter seine Bar zurück.

Christopher setzte sich auf einen der beiden freien Hoversesseln, der sich sofort an seine Körperformen anpasste. Über ein kleines Touchscreen-Display in der Armlehne ließ er sich für beliebige Sitzpositionen verstellen sowie knapp über dem Boden schwebend in alle Richtungen im Raum bewegen. Gespannt sah er abwechselnd zu Ernest und zu Mark.

»Ich möchte euch danken, dass ihr es einrichten konntet, so schnell hierherzukommen«, begann Ernest mit ruhiger Stimme. »In Anbetracht dessen, dass ihr dasselbe Mitspracherecht habt und über die Annahme von Aufträgen mitentscheiden könnt, habe ich mir gedacht, euch hier und jetzt von Mark und mir persönlich über den nächsten Auftrag informieren zu lassen. Im Grunde genommen sind es zwei Aufträge. Und wir werden diesmal unser Sonnensystem verlassen.«

Ernest erzählte seinen Freunden in groben Zügen in etwa das, was er von Mark Henderson bereits erfahren hatte. »Falls ihr es nicht einrichten könnt, so lange unterwegs zu sein, ist es euch freigestellt, hierzubleiben.«

Anschließend übergab Ernest das Wort an Mark und setzte sich auf sein multifunktionales Bett. Christopher bemerkte es erst jetzt und erinnerte sich an die vielen Berichte, die er schon darüber gelesen hatte. Selbst hatte er noch nie eines gesehen. Sie wurden vorwiegend in Hotels eingesetzt, da sich nur wenige Leute eine solche Ausführung leisten konnten. Einfachere Modelle für weniger betuchte Menschen waren hingegen sehr verbreitet und bildeten den eigentlichen Standard in Sachen Schlafmöbeln.

Das Highend-Modell, das er nun vor sich sah, maß zwei Meter in der Breite und Länge und konnte, wenn man es wünschte, hermetisch abgeschlossen werden. Für frische Luft und Wärmeregulierung sorgte eine eingebaute Klimaanlage. Ein holografischer Monitor oberhalb des Fußendes, dessen Neigewinkel sich automatisch der Kopfneigung der liegenden Personen anpasste, ein ausgeklügeltes Soundsystem und die sich leicht mitbewegende Liegefläche vermittelte den Zuschauern das totale Realerlebnis. Aber auch Menschen, die es lieber ruhiger hatten, kamen auf ihre Kosten. Durch sanftes Schwingen und entsprechenden Bildprojektionen konnte unter anderem eine romantische Bootsfahrt auf einem idyllischen See simuliert werden. Digitale Bücher wurden entweder vorgelesen, wobei man den Klang der Stimme bestimmen konnte, oder man konnte sogar selbst lesen. In diesem Fall wurde der Text vom holografischen Monitor in gewünschtem Winkel angezeigt. Eine Verpflegungsautomatik deckte die kulinarischen Wünsche ab, während die Liegefläche auch für Massagen eingesetzt werden konnte. Daneben gab es noch viele kleine Funktionen, die es den Liegenden an nichts fehlen ließ.

 

Vor lauter Bewunderung über dieses technische Wunderwerk bekam Christopher die Hälfte von Marks Erläuterungen gar nicht mit. Eric hatte gerade eine Frage gestellt. Mark beantwortete sie zufriedenstellend.

Nachdem alle Einzelheiten geklärt waren, wurde der Auftrag einstimmig angenommen. Um das Ganze zu besiegeln, ließ man den Zimmerroboter Champagner, Bier, Wein und Bourbon servieren.

»Eines muss ich noch erwähnen«, sagte Mark, nachdem er mit seinem Bier mit den anderen angestoßen hatte.

Eric stellte sein Glas auf das Salontischchen und sah Mark skeptisch an, während Christopher gespannt über den Rand seines Champagnerglases blickte. Nur Ernest blieb gelassen, denn er schien zu ahnen, was jetzt kommen würde.

»Ich glaube, du traust unserem Schiff nicht so ganz«, sagte er und nahm noch einen Schluck Bourbon.

»Genau«, antwortete Mark. »Aus versicherungstechnischen Gründen und wegen der Haftpflicht des Auftraggebers, und damit meine ich den Pharmakonzern Norris & Roach, sollte eine ausführliche Wartung durchgeführt werden. Ich habe in unseren Unterlagen nachgesehen, wann der Gleiter das letzte Mal überholt worden ist. Das liegt schon zu lange zurück. Die Kosten für diese Wartung übernimmt natürlich der Auftraggeber.«

»Na, wenn das kein Wort ist!« Eric war begeistert.

»Das könnten wir bei jedem Auftrag so handhaben«, meinte Ernest mit scheinheiliger Miene.

Mark sah ihn eine Sekunde lang an und erwiderte dann lakonisch: »Das könnte dir so passen.«

Daraufhin brachen alle in Gelächter aus.

Nach einer weiteren Stunde verabschiedete sich Mark und meinte, es gäbe für diesen Auftrag noch vieles zu organisieren.

»Was machen wir mit dem angebrochenen Abend?«, fragte Christopher.

»Ich hau mich in die Falle und schau mir noch einen spannenden Film an«, antwortete Ernest, der es sich auf dem breiten Bett bereits gemütlich gemacht hatte.

»Ich gehe in mein Zimmer, denn ich muss noch ein paar wichtige Anrufe tätigen«, verkündete Eric. »Und anschließend werde ich sehr wahrscheinlich schlafen.«

»Dann werde ich wohl alleine in die Bar gehen müssen«, jammerte Christopher gespielt. »Denn ich bin alles andere als müde.«

Wenig später fuhr Christopher mit dem Antigravitationslift in die Hotellobby. Von dort begab er sich durch einen Zwischengang zur Hotelbar und stieß mit einer jungen Frau zusammen, die gerade um eine Ecke bog.

»Oh, entschuldigen Sie«, sagte sie verlegen und sah Christopher lächelnd an.

»Ich habe mich zu entschuldigen«, antwortete er nicht minder verlegen, während er sie musterte. Sie war ungefähr einen Meter siebzig groß und schlank, ja sogar ziemlich dünn und hatte ein schmales Gesicht, das von schwarzen, fast kurzen, leicht gelockten Haaren umrahmt wurde, und aus dem ihn ein Paar strahlend blaue Augen spitzbübisch entgegenblickten. Das breite Lächeln gab ihre makellosen Zähne preis. Am rechten Ohr steckten drei und am linken zwei kleine Ohrringe. »Wenn ich mich nicht so gedankenverloren und schnell fortbewegt hätte, wäre das bestimmt nicht passiert.

»Ach was, Sie konnten ja nicht ahnen, dass ich in dem Moment um die Ecke biegen würde.«

»Trotzdem, hätte ich besser aufgepasst, wäre der Zusammenstoß zu vermeiden gewesen.«

»Wir können natürlich noch weiter über die Gründe dieses kleinen Unfalls diskutieren und darüber rätseln, wer daran schuld ist, oder …«, sagte sie und sah ihn schelmisch an.

»Oder was?«, fragte er scheinbar nichts ahnend und grinste leicht.

»Oder ich könnte Ihnen in der Bar als Wiedergutmachung einen Drink spendieren.«

»Kommt gar nicht in Frage«, antwortete er mit gespielter Empörung. »Wenn jemand etwas spendiert, dann bin ich es.«

»Dann sind wir ja wieder gleich weit wie vorher. Am besten gehen wir einfach rein und jeder bezahlt seinen Drink selbst.«

»Das ist wirklich die beste Lösung«, antwortete Christopher lachend.

Sie drehte sich um und betrat mit entschlossenen Schritten das Lokal, ließ die Theke gleich links liegen und begab sich in den hinteren Teil der Bar. Dort setzte sie sich an ein Tischchen in einer Nische, etwas abseits vom allgemeinen Geschehen. Christopher folgte ihr und setzte sich ihr gegenüber in den Sessel.

Es dauerte nicht lange, bis ein androider Kellner neben ihnen stand und sie nach den Getränkewünschen fragte. Sie bestellten beide jeweils ein Glas Champagner.

»Wohnen Sie in diesem Hotel?«, fragte Christopher, als ihm nichts Besseres einfiel, womit er ein Gespräch beginnen konnte.

»Nein, ich hatte mich hier mit jemandem getroffen und wollte gerade wieder gehen«, antwortete sie etwas ärgerlich.

»Scheint nicht gerade eine erfreuliche Begegnung gewesen zu sein.«

»Da haben Sie allerdings recht.«

»Ach übrigens, mein Name ist Vanelli. Christopher Vanelli. Aber Sie können mich auch einfach Christopher nennen. Ich bin nicht so für Förmlichkeiten.«

»Freut mich, ich bin Michelle Evans. Meine Freunde nennen mich einfach Mickie.«

»Ist mir auch ein Vergnügen, Mickie«, antwortete Christopher und streckte ihr die Hand entgegen.

Sie drückte sie bereitwillig. Christopher spürte die Wärme, die ihre schlanke Hand und ihre dünnen Finger ausstrahlten.

»Und? Wohnst du denn in diesem Hotel?«, fragte sie darauf.

»Eigentlich nur für diese eine Nacht. Ich habe mich mit zwei Freunden, die gleichzeitig auch meine Arbeitskollegen sind, und unserem Vermittler zu einer Besprechung getroffen.«

»In einem Hotel?«, fragte sie erstaunt. »Ich dachte, so was tut man in einem Büro oder Arbeitsraum.«

»Wir haben eigentlich keine Arbeitsräume oder Büros in diesem Sinn, da wir dauernd unterwegs sind. Die administrativen Angelegenheiten erledigt unser Vermittler.«

Christopher hoffte, dass sie ihn nicht weiter über seine Arbeit ausfragen würde, denn er war sich darüber im Klaren, dass er mit Fremden nicht über ihre Aufträge sprechen durfte. Gerade für den Auftrag von Norris & Roach mussten sie sich zu Verschwiegenheit verpflichten. Trotzdem wollte er auf keinen Fall die angenehme Stimmung trüben.

»Wohnst du in Geneva?«, fragte er, um das Thema zu wechseln.

»Ja, seit gut drei Jahren. Aber mein Französisch hat sich in der Zeit nicht viel verbessert. Zum Glück verstehen die meisten auch Deutsch, Englisch und Unilingua.«

Unilingua hatte sich in den letzten Generationen zu einer Art Weltsprache entwickelt, die dem britischen Englisch am nächsten stand, jedoch auch einige germanische, romanische und fernöstliche Einflüsse aufwies. Unilingua galt in allen irdischen Kolonien als offizielle Umgangs- und Amtssprache.

»Stimmt, mit Unilingua kommt man tatsächlich überall weiter. Ich war in meinem Leben bisher immer ziemlich sprachfaul. Nebst Unilingua hab ich andere Sprachen so nach und nach gelernt, weil es für meinen Job manchmal unerlässlich war. Aber natürlich nicht in vollem Umfang.«

Er hätte sich auf die Zunge beißen können, dass er seinen Job angesprochen hatte, wo er sich doch solche Mühe gegeben hatte, davon abzulenken.

»Was ist dein Job?«, fragte sie sogleich und lächelte.

»Ich bin Mitglied eines Transportunternehmens«, antwortete er scheinbar gelangweilt. »Nichts Spektakuläres.«

»Was transportiert ihr denn so?« Sie ließ nicht locker.

Er hätte sich die Haare raufen können, ließ sich jedoch nichts anmerken.

»Dieses und jenes. Verschiedene Sachen. Was unsere Kunden halt transportiert haben möchten«, antwortete er so gelassen wie möglich.

»Aha, klingt furchtbar langweilig.«

»Von irgendetwas muss man leben.«

»Da hast du auch wieder recht.«

»Was machst du so?«

»Ich arbeite als Laborassistentin in einem großen Pharmakonzern«, antwortete sie missmutig.

»Klingt aber nicht gerade begeistert?«

»Ich hatte gerade großen Ärger.«

»Das tut mir leid.«

»Mir nicht, ich würde am liebsten kündigen.«

»Warum das denn?«, fragte Christopher und war froh, dass das Gespräch eine andere Wendung nahm.

»Darüber möchte ich jetzt lieber nicht reden«, antwortete sie leicht gereizt.

»Okay.«

»Entschuldige, wenn ich etwas verärgert bin, du kannst ja nichts dafür.«

»Ist schon gut.«

»Wie viele seid ihr denn in eurem Transportunternehmen?«, fragte sie und lächelte erneut.

»Zu dritt«, antwortete er und freute sich, dass sich ihre Stimmung wieder gebessert hatte. Weniger freute es ihn jedoch, dass das Gesprächsthema erneut bei seinem Job gelandet war. »Da ist unser Senior, für uns so etwas wie ein Vater. Er heißt Ernest und ist hundertneunundzwanzig Jahre alt.«

»Wahnsinn!« Sie blickte ihn mit großen Augen an. »Das ist doch fast nicht möglich.«

»Das Erstaunliche daran ist, er sieht nicht älter aus als siebzig und ist gesund und topfit.«

»Das ist tatsächlich sehr erstaunlich. Gibt es eine Erklärung dafür?«

»Die gibt es bestimmt, aber weder Ärzte noch Wissenschaftler haben den Grund dafür gefunden. Um ihn ranken sich einige Gerüchte, aber ich habe keine Ahnung, ob davon etwas wahr ist.«

»Was sind das denn für Gerüchte?«

»Einerseits sagt man, es könnte etwas mit Strahlungen aus irgendeiner Region des Weltraums zu tun haben. Andererseits wurde schon gemunkelt, er sei vor vielen Jahren von Außerirdischen entführt worden.«

Sie lachte kurz auf. »Das ist nun wirklich ein Klischee, das man schon seit beinahe Jahrhunderten kennt. In der Vergangenheit haben schon viele Menschen genau das von sich behauptet, aber niemand konnte bisher den Beweis erbringen.«

»Davon habe ich auch schon oft gehört. Bei Ernest ist es genau umgekehrt. Wer diese Gerüchte in Umlauf gebracht hat, ist nicht bekannt. Aber er dementiert alles. Er sagt, er wisse nichts davon.«

»Dann ist er oft im Weltraum unterwegs?«

»Wir alle sind es. Gehört zu unserem Job.«

Daraufhin musterte sie ihn mit einem eigenartigen Blick und fragte: »Ach, ihr transportiert nicht nur auf der Erde?«

»Eigentlich gar nicht auf der Erde, sondern hauptsächlich unter den planetarischen Niederlassungen innerhalb des Sonnensystems. Ab und zu auch mal zu einer Kolonie außerhalb unseres Systems, aber das kam bisher noch nicht sehr oft vor.«

Ihr Blick blieb an seinem haften und löste sich erst nach einer Weile wieder. Sie schien verwirrt.

»Dann ist da noch Eric, unser Astronom. Er kennt das Sonnensystem wie kein anderer, weiß immer genau, wann welcher Planet sich gerade an welchem Punkt in seiner Umlaufbahn befindet. Dank ihm finden wir immer den richtigen Weg, vor allem, wenn ab und zu unser Navigationssystem ausfällt.«

»Kommt denn so was häufiger vor?«

»Unser Schiff ist nicht gerade das modernste. Da geht halt ab und zu mal etwas kaputt. Aber bisher ging immer alles gut. Vor unserem nächsten Auftrag verpassen wir ihm aber eine Generalüberholung. Die Zeit seit unserem letzten Auftrag war für uns mal wieder eine Gelegenheit, Erdurlaub zu machen und unseren persönlichen Interessen nachzugehen.«

»Was sind deine persönlichen Interessen?«

In den nächsten Minuten erzählte er ihr von seinen Fotografien und seinem Interesse an Gletschern. Sie zeigte sich beeindruckt und hörte aufmerksam zu.

»Ich nehme an, du wirst auch unterwegs im Weltraum Fotos machen.«

»Da hast du recht. Aber meistens bleibt dafür nicht genug Zeit.«

»Wer gehört sonst noch zu eurem Unternehmen?«

»Zum Unternehmen eigentlich niemand mehr, aber da ist noch Mark, unser Vermittler, der jedoch nie mitfliegt. Er besorgt uns die Aufträge und erledigt die ganzen administrativen Dinge, treibt das Geld ein und verwaltet unsere Angelegenheiten. Ernest und Mark kennen sich schon seit Jahrzehnten und sind sehr gut miteinander befreundet.«

Erst jetzt bemerkte Christopher, dass Michelle ganz blass geworden war. Sie saß wie angewurzelt in ihrem Sessel und starrte ihn mit entsetzten Augen an.

»Was ist denn los?«, fragte er erstaunt. »Stimmt was nicht?«

»Wie … wie heißt dieser Mark … mit vollem Namen?«, fragte sie mit zittriger Stimme.

»Mark Henderson, warum?«

»Ach nichts«, antwortete sie hastig und leerte ihr Sektglas. »Ich muss jetzt gehen.«

 

Sie stand auf, griff nach ihrer Tasche und wollte sich verabschieden.

»Habe ich etwas Falsches gesagt«, fragte Christopher verdutzt.

»Nein, nein, alles okay, aber ich muss jetzt trotzdem gehen. Es hat mich gefreut, dich kennenzulernen.«

Mit großen Schritten verließ sie das Lokal. Christopher blieb zurück und verstand die Welt nicht mehr.

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