Strasse nach Andalusien

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

„Das haben wir der Polizei in Southampton und ebenso der Guardia Civil mehrfach erklärt. Glauben Sie mir, das geht einem an die Nieren, diese ewige Fragerei“, fügte ich genervt hinzu.

Er verstand, dass ich deshalb reichlich angepisst war und schlug vor, es dabei zu belassen.

„Ich hoffe, Sie haben keine weiteren Probleme mehr Señor Romero, stimmt doch Romero, oder?“

Ich nickte und soff das „Frust Bier“ in einem Zug aus.

„Also wie gesagt der Wagen ist fahrtüchtig und das ist die positive Nachricht des Tages.“, beendete er das Thema.

Ich trank einen zweiten Rioja, bezahlte mit gutem Trinkgeld und verabschiedete mich von dem Wirt der Fischermission in Santa Rosita, um in mein altes Leben zurückzukehren. Bei der Rückfahrt begann derselbe langweilige Regen, der mich bereits bei der Anreise begleitet hatte. Ich legte die Songs der „After the Rain“ Kassette ein, drehte ordentlich auf und fühlte mich besser als in den letzten Tagen zuvor. Nach verschiedenen Versuchen, einen Job zu finden, war ich inzwischen bei einer kleinen Spedition tätig. Be-, und Entladen von Lkws.

Nicht gerade mein Traumjob, aber besser als gar keiner, dachte ich mir jeden Abend bei der Rückkehr in meine Unterkunft.

Zwei, drei Briefwechsel gab es zwischen Manolo und mir noch, aber der Letzte lag schon sechs Wochen zurück. Eines Abends, als ich wie üblich nach der Post sah, lag darin ein Schriftstück mit einem mir unbekannten Absender. Ich drehte den Brief noch einmal und las laut: “Raul Ramon da Silva, Torrejon de Ardoz“, das musste etwas mit Manolo zu tun haben. Es war die gleiche Adresse, derselbe Nachname. Ich war neugierig geworden und öffnete das Schreiben.

Señor Jesus Romero,

mein Name ist Raul Ramon Da Silva. Ich schreibe Ihnen als Vater von Manolo, mit dem Sie eine gemeinsame kurze Zeit verbracht haben. Ich fand in seinen Unterlagen Ihre Adresse und muss Ihnen leider mitteilen, dass Manolo vor ein paar Tagen tot aufgefunden wurde. Da er mir von Ihnen erzählt hat, sah ich mich veranlasst, Ihnen diese Nachricht zukommen zu lassen. Es gab kurz vor seinem Tod, der abscheulich gewaltsam war, ein Gespräch mit meinem Sohn, in dem er sagte, dass er von jemandem unter Druck gesetzt würde und die Möglichkeit bestünde, dass dies mit der Sache in Santa Rosita in Zusammenhang stünde. Er wollte dem aber nicht so viel Ernsthaftigkeit beimessen, wie es möglicherweise besser gewesen wäre.

Ich möchte Sie nun von seiner Beerdigung in Kenntnis setzen und Sie dazu einladen, wenn Sie möchten und es Ihre Zeit erlaubt.

Sie könnten bei mir im Haus ein Zimmer bekommen, wenn es recht ist, mein Sohn hätte es so gewollt!

Falls Sie es nicht schaffen, dann möchte ich Ihnen auf diesem Weg mitteilen, dass Sie sich umsehen und in Acht nehmen, vielleicht war an Manolos Befürchtungen doch etwas dran.

Ich schließe den Brief mit tiefem Schmerz.

Raul Ramon da Silva

Längst hatte ich mich aufs Bett gesetzt, las den Brief wieder und wieder. Meine Gedanken kreisten wirr durcheinander. Schließlich war ich so weit, dass ich dachte, das Ganze wäre ein dummer Scherz von Manolo.

Manolo du willst mir einen Schrecken einjagen, das sieht dir gleich. Ja die Idee passt zu dir!

Ich betrachtete die Schrift genauer. Ein älterer Mensch musste das geschrieben haben, so zittrig und krakelig die Optik des Schreibens war.

Gut das kann man, wenn man will hinkriegen, aber lohnt sich diese Arbeit und für was soll das gut sein? Nur um mir einen Schrecken einzujagen, einen Üblen noch dazu? Mit seinem Tod zu spielen?! Nein das kann es nicht sein , war ich mir sicher.

Ich nahm mir ein Bier aus dem Kühlschrank, öffnete die Flasche und trank sie fast in einem Zug leer. An die kühle Mauer gelehnt, schloss ich die Augen und ließ die Zeit mit Manolo geistig Revue passieren. Mir wurde bewusst, dass ich nach Torrejon de Ardoz fahren musste, nur dort würde sich zeigen, was de facto los war! Nachdem ich das Bier endgültig geleert hatte, ging ich zum Waschbecken und wusch mich mit kaltem Wasser, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Ich schaute in den halbzerbrochenen Spiegel und sah meine Visage, die mich ängstlich anstarrte. Wer wollte Manolo oder mich, für was auch immer mundtot machen? Nicht einmal die Guardia Civil hatte einen Grund, uns zu belangen. Das alles musste ein Missverständnis sein!

„Eine andere Möglichkeit ergibt trotz allem keinen Sinn!“, schrie ich in das Gesicht im Spiegel.

Ich auf kriminellen Spuren, das war ein Witz, ein lausiger dazu! Was würde meine Frau denken? Sollte ich sie da mithineinziehen? Nein, nein, das geht gar nicht! Das bringt nichts! Was sollte sie mit der Geschichte auch anfangen, außer sich Kummer machen! Macht sie sich überhaupt Sorgen um mich? Sind ihre Gefühle noch intakt für meine Person? Wir leben getrennt, nein ich darf da nicht viel erhoffen! Was darf ich überhaupt noch erwarten?

Da war es wieder, dieses Zucken eines Augenlides, das von der großen Anspannung herrühren musste.

„Ach leck mich!“, war mein abschließender Kommentar.

Sollte ich zur Post gehen, um Manolos Vater anzurufen, dann würde ich Klarheit haben! Ich entschied mich eine Nacht darüber zu schlafen. Am nächsten Morgen war meine erste Handlung, den Brief erneut zu überfliegen. Ich machte mir einen Kaffee, der nicht schmecken wollte, und entschied mich kein Telefonat anzustreben, sondern direkt nach Torrejo de Ardonaz zu fahren. Meinen Arbeitgeber bat ich, mir ein paar Tage unbezahlten Urlaub zu genehmigen, er willigte ein. Eine halbe Stunde später, war ich schon auf dem Weg in Richtung Madrid.

„Hola, Sie sind sicher Señor Romero?“, begrüßte mich am Nachmittag nach längerer Fahrt und Suche ein gebrechlicher älterer Mann.

„Stimmt und Sie sind Señor Da Silva, wie haben Sie mich erkannt?“

„Das Nummernschild Ihres Wagens, verstehen Sie?“

Ich drehte mich zu meinem Auto um, blickte auf das Kennzeichen und sagte: „Logisch, so viele aus meiner Gegend sind hier wahrscheinlich nicht anzutreffen.“

„Kommen Sie herein Señor Romero, es freut mich sehr, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Mir wäre es lieber gewesen, ich hätte Sie unter erfreulicheren Umständen kennengelernt.“

„Bitte nennen Sie mich Jesus“, bot ich ihm an.

„Jesus, meine Haushälterin ist leider erkrankt, so bitte ich Sie, uns einen Kaffee aufzusetzen, oder wollen Sie lieber etwas Kaltes, ein Bier vielleicht?“

Ich winkte ab und setzte Kaffee auf. Señor Da Silva erzählte mir, dass er es schon ab und zu bereut habe, als Portugiese nach Spanien gekommen zu sein, ganz besonders jetzt, wo ihm das Schicksal diesen Schlag versetzt hatte. Er tat mir leid, unbeholfen tröstete ich ihn damit, dass es absolut überall hätte passieren können.

„Jesus, ich glaube, meine Altersweisheit lässt zu wünschen übrig, du hast recht damit!“

Während wir unseren Kaffee tranken, berichtete mir Señor Da Silva, dass am Vortag die Polizei bei ihm gewesen sei. Es ging Ihnen um die Ereignisse auf der Flores und im Zuge dessen, wäre auch mein Name gefallen. Er teilte den Ermittlern mit, dass er einen Brief an mich geschrieben hätte, und hoffte, dass ich zur Beerdigung kommen würde. Die Beamten ließen daraufhin anklingen, dass Sie dann erneut Kontakt zu mir aufnehmen wollten. Ich zuckte innerlich zusammen, spürte wieder aufsteigendes Unbehagen in mir. Als wäre das alles nicht längst genug für mich, bot mir Señor Da Silva an, wenn ich wollte, könnte ich Manolo am nächsten Tag in der Gerichtsmedizin sehen. Ich musste kurz schlucken, ich war mir gar nicht sicher, ob ich das wahrhaftig wollte. Unsicher stimmte ich zu, aber mit der Bitte, dass er mich begleitete. Eine schlaflose Nacht setzte ein. Eine Frauenstimme vor meiner Zimmertür erlöste mich gegen sieben Uhr 30 davon.

„Señor Romero, wenn Sie so weit sind, können Sie zum Frühstück kommen!“

„Danke Señora“, erwiderte ich gerädert.

Die Haushälterin schien wieder im Dienst zu sein. Ich stand auf, sah im Spiegel oberhalb des Waschbeckens dasselbe graufarbige Gesicht, das ich nicht kennen wollte.

„Buenos días Jesus!“, empfing mich Señor Da Silva sichtlich besser gelaunt als ich es selbst vermochte, am Tisch.

„Naima meine Haushälterin wird dir Kaffee bringen, möchtest du etwas Schinken oder ein Ei?“, fragte Señor Da Silva.

„Um Gottes willen, um diese Zeit bringe ich nichts hinunter, vielen Dank.“

Derweil kam die von Señor Da Silva genannte Naima, eine afrikanisch stämmige, annähernd 40-jährige Frau mit ausladenden Hüften, und schenkte Kaffee in die bereitgestellte Tasse.

„Zucker, Milch, Señor?“, wollte sie wissen.

Ich lehnte dankend ab. Naima verschwand in der Küche und bat uns nach ihr zu rufen, falls wir Wünsche hätten. Gegen neun Uhr brachen Señor Da Silva und ich zur Gerichtsmedizin auf. Wir nahmen ein Taxi. Unterwegs versuchte Señor Da Silva meine Bedenken, was den Anblick seines Sohnes anging, auf eigenartige Weise zu bagatellisieren.

„Die tödliche Verletzung sei ein fachgerecht ausgeführter Stich im Nacken, hatte mir der Gerichtsmediziner mitgeteilt. Außerdem wurden meinem Sohn die Ohren abgeschnitten. Der Pathologe, mit dem ich gesprochen habe, hat so etwas noch nie gesehen. Er meinte, dass das Ganze nach einem Ritualmord aussehen würde.“

Meine Gesichtsfarbe wechselte endgültig auf „beschissen“. Nach einer kurzen Wartezeit wurden wir in einen separaten Raum der Gerichtsmedizin gebeten.

Ich bekam von einem Mitarbeiter ein mit Rosenwasser getränktes Tuch, das ich mir bei Bedarf vor die Nase halten sollte. Señor Da Silva winkte dankend ab. In dem Raum war anfänglich nicht viel zu erkennen. Offenbar war hinter einem Plastikvorhang eine Obduktion im Gange. Kaum hatte ich die Lage sondiert, als eben dieser Vorhang zur Seite geschoben wurde. Meine Augen richteten sich sofort reflexartig auf den unbekleideten Körper, der auf dem Tisch lag. Ich schob angewidert das Tuch mit dem Rosenwasser vor die Nase.

 

Der untersuchende Pathologe kam näher, zog seine Gummihandschuhe aus und begrüßte uns sehr freundlich.

„Formaldehyd“, meinte er zu mir gerichtet, „das ist es, was Sie riechen, man gewöhnt sich daran, wenn man ständig damit zu tun hat!“

Ich nickte und drückte mein Tuch etwas fester an meine Nase.

„Señor da Silva, wir sind soweit mit unseren Untersuchungen fertig und werden in den nächsten Tagen einen genauen Bericht an die ermittelnden Behörden weiterleiten. Sie und ihr Begleiter können Ihren Sohn jetzt sehen.“

Wir nickten und gingen die paar Schritte zum Tisch.

Jetzt war es für mich eindeutig, der Mann, der hier vor mir lag, war Manolo. Sein Vater nahm meine Hand und wir beteten einen Rosenkranz. Ich hatte erhebliche Mühe mit dem Text. Zum Schluss des Gebetes bekreuzigten wir uns und ich richtete ein leises „Adiós“ an Manolo. Sämtliche Erlebnisse unserer kurzen gemeinsamen Zeit liefen wie ein Film in mir ab. Wir suchten den Pathologen, der sich gerade die Hände desinfizierte.

„Wann kann ich meinen Sohn begraben?“, fragte Manolos alter Herr ihn.

„Ich kann Ihren Sohn jederzeit freigeben, meine Arbeit ist beendet! Beerdigen Sie Ihren Jungen, ich wünsche Ihnen alles Gute!“

„Ich danke Ihnen für ihre Arbeit Doktor!“

„Keine Ursache Señor da Silva, ich mache nur das, was gemacht werden muss!“

Wir verabschiedeten uns von dem Pathologen und gingen. Draußen auf dem Flur des Krankenhauses bat mich Señor da Silva, ob es möglich wäre, eine Weile auf einer der Bänke Platz zu nehmen, ihm sei ein wenig übel geworden.

Ich sagte ihm, dass es mir selbst sehr gelegen wäre, noch einen Augenblick innezuhalten.

„Weißt du Jesus, ich habe nie großen Kontakt zu Manolo gepflegt, aber so etwas bereut man, wenn es zu spät ist! Vermutlich ist er auch darum all die Jahre selten zu Besuch gekommen. Telefoniert haben wir manchmal und hie und da ein Brief, aber das war es im Großen und Ganzen. In diesen letzten Wochen, warum auch immer, war unsere Beziehung wieder gewachsen. Er hat sich rührend um mich gekümmert, so als hätte er gespürt, dass wir nicht mehr viel Zeit haben! Eigenartig, nicht wahr?“

Ich nickte und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.

Señor da Silva betrachtete mich kurz mit leerem Blick und meinte weiter: „Ja und dann kam die Polizei und den Rest kennst du ja! Jesus, das Schwierigste war für mich, ihn zu identifizieren. Ich ging da hinein und Manolo lag auf dem Rücken, sein Gesicht war angeschwollen und blau verfärbt, ein schrecklicher Anblick! Ich wollte ihn nicht sehen, aber die Beamten bestanden darauf, obwohl ich Ihnen von der Verletzung seines Daumens erzählt hatte. Der Doktor hielt mich zurück und zeigte mir eine Narbe an Manolos Gesäß. Als ich die Narbe sah, wusste ich sofort wieder, woher er sie hatte. Weißt du, mein Sohn war in seiner Schulzeit auf einem Ferienlager. Ich erinnere mich nicht mehr an das Jahr, aber er baute dort für sich und seine Freunde Baumhäuser, wie das Kinder halt so machen.“

Manolos Vater sah in die Ferne, so als könnte er dort seinen Sohn sehen. Er schüttelte den Kopf.

„Entschuldige, ich war kurz in Gedanken. Jedenfalls ist Manolo in einem dieser Baumhäuser ausgerutscht und ein nicht ganz eingeschlagener Nagelkopf am Boden verletzte ihn“!

In diesem Augenblick, als Señor da Silva von Manolos Verletzung erzählte, blitzte es in meinem Kopf, so als hätte mir jemand einen Nagel in ebendiesen geschlagen. Ich spürte, wie sich mein Magen verkrampfte und ich diesen säuerlichen Fluss in meinem Rachen wahrnahm, der kurz bevor man sich übergeben musste, entstand.

„Was ist los Jesus?“, fragte Señor da Silva besorgt.

„Ich muss auf die Toilette, kein Problem! Ich bin gleich wieder zurück!“, sagte ich mit gehetzter Stimme.

„Nur einen Augenblick Señor“, beruhigte ich ihn, während ich losstürmte.

Vornübergebeugt, mit beiden Händen an der Wand abgestützt, stand ich über einer der Toilettenschüsseln und würgte. Außer Speichel, der herunterhing als gelte es etwas auszupendeln, kam nichts. Ich wischte mir den Mund mit Klopapier ab, was mich zu diesem Zeitpunkt und in der Verfassung, in der ich war, nicht störte. Ich setzte mich, um einen Moment das gerade Erfahrene zu verstehen. Kein Zweifel, Manolo war der Junge aus meiner Kindheit! Ich hatte recht behalten mit meiner Ahnung, die ich schon bei unserer Begegnung in Santa Rosita gehabt hatte. Warum hatte ich nicht mit ihm darüber gesprochen? Nun bekam die Sache eine neue Dimension für mich. Die Verletzung hatte er sich in der Baumhütte, die er für mich gebaut hatte, zugezogen. Es war einige Tage vor dem Ende der Ferien gewesen. Jetzt, wo ich alles wusste, fing ich an, Manolo schmerzlich zu vermissen. Ihn, meinen Freund aus Kindertagen. Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht und ging wieder zu seinem Vater.

„Alles in Ordnung?“, empfing mich Señor da Silva besorgt.

„Du siehst aus, als ob ein Sherry oder was auch immer dir sehr guttun könnte. Ich möchte dich auf einen Drink einladen, es gibt gleich vor dem Haus eine kleine Tapasbar.“

Ich befand das für eine gute Idee und ließ ihn wissen, dass ich ihm einiges zu erzählen hatte.

Er starrte mich mit großen Augen an und ließ ein lebendiges „Vamos Jesus!“, folgen.

Wir gingen in die von ihm beschriebene Bar, die Bedienung begrüßte ihn, wie es nur einem Stammgast gebührte. Sie nahm seinen Mantel und hängte ihn auf einen der leeren Garderobenhaken. Für mich blieb immerhin ein freundliches „Buenas tardes“, das ich ebenso freundlich erwiderte.

Unsere Wahl fiel auf einen Tisch in der Ecke, wir wollten wir ungestört bleiben. Wir bestellten Caffè Americano und Sherry dazu. Señor da Silva humpelte zu seinem Mantel, der an der Garderobe hing und holte aus dessen Tasche eine Packung Zigaretten. Am Tisch entschuldigte er sich für sein Laster, nachdem ich die mir angebotene Zigarette mit der Begründung seit zwanzig Jahren rauchfrei zu sein, ausschlug.

„Weise Entscheidung Jesus! So viel Willensstärke hatte ich leider nie. Jetzt aufzuhören ... nein das würde mich noch schneller umbringen!“, scherzte Señor da Silva. Ich zuckte nur mit den Schultern.

Nach einer kurzen Pause und ein paar Schlucken vom Sherry sagte ich zu Señor da Silva: „Es gibt da ein Sprichwort, das besagt, „dass man sich im Leben immer zweimal trifft! Haben Sie, das schon einmal gehört?“, wollte ich von ihm wissen.

„Nie gehört, ist aber interessant Jesus. Wie kommst du jetzt darauf?“

„Es gibt einen Grund dafür, Señor.“

„Was willst du damit andeuten?“

„Wenn ich Ihnen nun sage, dass ich Manolo schon als Zehnjährigen kennengelernt habe? Sie werden mich für verrückt erklären, aber ich habe berechtigte Gründe, dass das tatsächlich so ist!“

„Wie und wo soll das gewesen sein Jesus?“

Der Zeitpunkt war gekommen, um mit Señor da Silva alle meine Erinnerungen und Vermutungen in Bezug auf seinen Sohn zu teilen. Für mich bestand kein Zweifel mehr, das Puzzle war komplett. Señor da Silva blieb einige Minuten sehr still, gütig tätschelte er meine Hand.

„Ich wollte, dass Manolo eine gute Ausbildung fürs Leben bekommt, deshalb schickte ich ihn zu den Schulbrüdern von La Salle. In den Ferien durften die Kinder aufs Land, dort werdet ihr euch begegnet sein. Das ist ein Ding, wie klein die Welt doch ist!“

Ich stimmte Señor da Silva zu. Mich interessierte, was Manolo für Pläne hatte und ob er hierbleiben wollte. Sein Vater meinte, dass sein Sohn nichtsdergleichen in diese Richtung geäußert hätte. Er hatte eher das Gefühl gehabt, dass Manolo nicht wusste, was er tun sollte. Er hatte seinem Sohn angeboten, bei einem befreundeten Sägewerksbesitzer um eine Stelle für ihn anzufragen. Er hatte das gemacht und Manolo hätte diesen Job vor drei Wochen bekommen. Die Arbeit hatte ihm Spaß bereitet, er konnte endlich wieder mit den Händen arbeiten.

„Eigentlich ist es eine Schande, dass er aus seiner Geschicklichkeit nicht mehr gemacht hat. Ich meine seine Tingelei einmal hier und einmal dort ohne Sicherheiten, ich konnte das nicht verstehen!“

Während Señor da Silva immer tiefer in Manolos Vergangenheit eintauchte, wurde sein Tonfall ein Stück weit ärgerlicher. Er umklammerte seinen Gehstock so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. In mir keimte der Gedanke auf, ob Señor da Silva früher ein jähzorniger Mann gewesen, oder als ehemaliger Berufssoldat dem Gehorsam zu sehr verfallen war. Ich spekulierte, ob das ein Grund für Manolo gewesen war, von zu Hause wegzugehen, aber das spielte jetzt sowieso keine Rolle mehr.

„Wir sollten langsam aufbrechen“, unterbreitete ich Manolos Vater, der seine bis zum Filteransatz gerauchte Zigarette ausdämpfte.

„Du hast recht, es ist spät geworden, außerdem kommt morgen die Guardia Civil, da sollten wir zur Verfügung stehen!“

Er nahm seinen Stock und ging zur Bedienung, um zu bezahlen. Diese kam anschließend hinter dem Tresen hervor und half ihm in seinen Mantel. Wir verabschiedeten uns und fuhren mit einem Taxi zurück nach Torrejon de Ardoz. Im Haus angekommen wollte ich von Señor da Silva wissen, wovor er mich in seinem Brief gewarnt hatte.

„Vor wem oder was soll ich mich den in Acht nehmen?“, fragte ich ihn.

„Das weiß ich auch nicht, aber wir wissen nicht, wer meinen Sohn auf dem Gewissen hat. Manolo hat mir erzählt, dass sich eine Frau in seiner Firma nach ihm erkundigt hatte und er diese Frau treffen wollte. Er klang seltsam, ich hatte kein gutes Gefühl! Möglicherweise ist genau diese Frau der Schlüssel zu allen offenen Fragen.“

Inzwischen servierte Naima das Essen und Rotwein für mich, Señor da Silva trank prinzipiell nur Wasser. Danach entschuldigte ich mich und verzog mich in mein Zimmer, für heute hatte sich wieder genug Fragen in meinem Kopf, die mich am Schlafen hindern würden. Naima drückte mir die Flasche Rioja in die Hand, die ich dankend annahm.

Etwa 10 Tage vorher …

„Manolo, Manolo!“, rief ein Mitarbeiter des Sägewerkes von Pablo Cortez.

„Komm, du hast Besuch!“

Manolo da Silva legte seine Handschuhe ab und eilte zu seinem Kollegen.

„Besuch, ich? Wer ist es denn?“, fragte er ungläubig.

Sein Kollege deutete in den Innenhof und zog schelmisch seine Augenbrauen hoch.

„Woher kennst du so eine Frau?“, sein erstauntes Gesicht offenbarte deutlich seine geheimsten Wünsche.

Manolo ignorierte seine Frage, stattdessen musterte er die Frau mit prüfendem Blick. Sein Achselzucken verriet, das er keine Ahnung hatte, wer sie war. Heftig klopfte er die Reste des Holzmehles von seiner Hose ab und ging zu der Fremden.

„Señora, Sie wollen mich sprechen?“, eröffnete er das Gespräch.

Sie sind Manolo da Silva, nicht wahr? Es war gar nicht leicht Sie, zu finden! Entschuldigen Sie, mein Name ist Rita Ferrer.“

Manolo hörte ungeduldig zu und unterbrach sie forsch.

„Señora Ferrer, ich habe nicht viel Zeit, meine Arbeit wartet nicht! Können Sie bitte gleich zur Sache kommen, mein Chef erwartet heute noch jede Menge Leistung von mir!“

„Natürlich Manolo, ich darf doch Manolo zu dir sagen?“, dabei nahm sie ihre Sonnenbrille ab und fixierte ihn mit forderndem Blick.

„Klar, wenn ich Sie Rita nennen darf?“

„Okay Manolo, ich mache dir einen Vorschlag! Wir treffen uns heute Abend gegen 20 Uhr in der Bar „Tejas“! Verspäte dich nicht, ich denke, das Treffen wird sehr interessant für dich werden!“

„Sie duzen mich zwar, aber Tatsache ist, dass ich Sie trotzdem nicht kenne! Also, was wollen Sie von mir? Falls Sie mir eine Lebensversicherung verkaufen möchten, können Sie das gleich sagen, ohne um den heißen Brei zu reden. Ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen, ich habe momentan kein Geld für eine Versicherung übrig!“

„Eine Lebensversicherung ist sicher eine gute Sache Manolo, so etwas in der Art könnte es sein! Also versetz mich nicht!“

Sie nahm ihre Hand und strich sanft über seinem Oberarm. Diese Geste sollte als Aufmunterung für das bevorstehende Treffen gelten. Manolo verspürte bei dieser Berührung Gänsehaut und wohliges Kribbeln.

Als er wieder zurückging, erwartete ihn sein Arbeitskollege ungeduldig am Eingang. Ihm brannte die Neugier unter den Fingernägeln.

„Sag bloß nicht, dieses heiße Eisen ist die Geliebte vom Dorfpfarrer deiner Gemeinde und besucht dich, um an deine überfällige Kirchensteuer zu erinnern?“

 

„Doch, genau deswegen war sie hier du Hellseher“, witzelte Manolo sarkastisch.

„…Nein Blödsinn, wir treffen uns heute Abend, da wird sie erklären, was sie von mir will. Ist nicht das Schlechteste, was meinst du dazu, Luis?“

„Nicht das Schlechteste? Ich glaube, du spinnst wohl? Bist du blind? Die Dame, die ich gesehen habe, nennt man eine echte Lady!“, befand Luis händefuchtelnd in aufgeregtem Ton.

„Das wird sich erst noch herausstellen, kommt darauf an, was sie von mir will!“

„Leck mich Manolo, ich glaube, es ist besser, wenn ich zu dem Treffen gehe!“

„Hör endlich mit deiner Spinnerei auf, wir müssen weiterarbeiten!“, beendete da Silva die Konversation abrupt.

Nach Dienstschluss gegen 17 Uhr fuhr Manolo zum Haus seines Vaters. In seinen Plänen der nächsten Zukunft stand an oberster Stelle, sich um eine eigene Wohnung zu kümmern. Beim Vater wollte er auf Dauer nicht bleiben, war er sich sicher. Sie aßen gemeinsam zu Abend und Manolo erzählte seinem alten Herrn, dass er noch ein Treffen hätte und er ein komisches Gefühl diesbezüglich verspüren würde. Nach dem Abendbrot ging er auf seine Bude und machte ein kleines Nickerchen. Nach dem Erwachen blickte er verstört auf seine Uhr, stand auf und verließ sein Zimmer. Er ging zu Fuß zum Bahnhof von Torrejon de Ardoz, stieg in ein Taxi und ließ sich in die Tejas Bar fahren.

„Es hat etwas länger gedauert Señora“, entschuldigte sich Manolo, als er Rita Ferrer die Hand reichte.

Sie saß bei einem Mojito und der Aschenbecher verriet, dass sie seit mindestens zwei Zigaretten wartete.

„Was ist los Manolo? Keine falsche Bescheidenheit, wir haben uns auf das Du geeinigt! Dein Nachname da Silva stammt bestimmt aus dem Portugiesischen? Ich hatte einen Bekannten in Lissabon, der diesen Namen gleichfalls trägt.“

„Sie haben recht, die Wurzeln meines Vaters liegen in Portugal!“

„Lassen wir das! Was willst du trinken? Ich kann dir den Mojito empfehlen!“

„Ich denke, ich werde lieber ein Bier nehmen!“

Rita bestellte für sich einen Mojito und ein großes Glas Bier für Manolo. Nachdem die Bedienung die Getränke serviert hatte, zündete sich Señora Ferrer eine Zigarette an und begann den Grund des Treffens zu erläutern.

„Manolo, ich nenne jetzt ein paar Namen und Daten und du sagst, ob du etwas damit anfangen kannst! Als Einführung in die Materie verstehst du?“

Manolo nickte.

“Casa Debrisette in Santa Rosita?”, startete Rita Ferrer ihr Verhör.

Manolo bejahte, in ihm regte sich leises Misstrauen.

Sie fragte ihn nach Señor Rojas, Manolo log und verneinte. Er behauptete, diesen Namen nie gehört zu haben. Rita wollte wissen, ob er sich sicher wäre. Er nickte nur.

„Es gibt einen Mann namens Jesus Romero? Du kennst ihn, stimmt`s?“

Manolo zögerte und sagte schroff: „Was soll das für ein Spielchen sein Rita? Bist du von der Polizei? Wir haben alles zu diesem Thema eidesstattlich erklärt! Ich habe wirklich keine Lust mehr, noch einmal darüber zu sprechen!“

Seine Stimme wurde immer zorniger, Rita hörte ihm gelassen an ihrem Mojito nippend zu. Beschwichtigend meinte sie, dass sie die Polizei aus dem Spiel lassen sollten. Penetrant nannte sie den Namen der Flores und erkundigte sich nach dem Rollstuhl. Manolo warf ihr einen giftigen Blick zu.

„Der Rollstuhl, was soll damit sein? Verschwunden im Meer vermutlich, was weiß denn ich?“

„Warum sagt dir Rojas nichts? Der Mann im Rollstuhl, du und dein Partner ihr habt ihn betreut!“

Ungeduldig wies er sie daraufhin, dass niemand ihn Rojas genannt hatte und Jesus und er angewiesen wurden, ihn Padre zu rufen. Rita nickte.

„Der Mann ist spurlos verschwunden!“, fauchte Manolo, während er sein Glas in einem Zug leerte.

Interessiert wollte sie wissen, ob er Kontakt mit Jesus hätte. Manolo meinte, dass Romero ein ordentlicher Kerl sei und sie sich hin und wieder Briefe schrieben und auch sicher irgendwann treffen würden.

„Hast du eine Ahnung, was mit dem Rollstuhl passiert ist?“

„Hast du denn „Eine?“, schmetterte Manolo süffisant zurück.

„Mir scheint, dir ist der Rollstuhl wichtiger als sein Besitzer!“, presste er hervor.

Die Bedienung hörte, dass Manolos Ton rauer wurde, und kam zu ihnen an den Tisch.

„Ist alles in Ordnung?“

Manolo lächelte sie an: “Schon gut, ich muss mich etwas einbremsen. Sie können mir dabei helfen, indem sie mir noch ein Bier bringen!“

Die Bedienung gaffte argwöhnisch und verschwand wieder.

„Señor Rojas ist mein Mann Manolo und deshalb ist „Er“ mir nicht egal! Wenn er wirklich über Bord gegangen worden ist, dann liegt er irgendwo in der Tiefe des Meeres … machen wir uns nichts vor, nach all den Wochen ist da nicht mehr viel übrig! Von selbst ist er bestimmt nicht mitsamt Rollstuhl und Gepäck über Bord, sind wir uns da einig?“

Manolo nickte stumm. Rita legte ihre Hand auf sein Knie und meinte mit traurigem Augenaufschlag, dass sie das Alles nur verstehen wolle und auf seine Hilfe hoffte.

„Ich wollte dich kennenlernen, denn als du dich bei meinem Mann vorgestellt hast, war ich bereits auf dem Weg nach Mexiko. Jesus Romero habe ich bereits getroffen!“, log sie ungeniert.

Da sie ihm leidtat, erzählte Manolo ihr von dem Gespräch in er Kabine ihres Mannes und dessen Angebot, ihn für weitere Aufgaben zu beschäftigen.

„Hat er keine Andeutung gemacht, um was es sich handeln würde?“, bohrte Rita weiter.

„Nein, das hat er nicht! C`est la Vie, Rita! …So ist das Leben, es gibt nicht immer eine Antwort auf alles!“

Rita Ferrers Unterton wurde bedrohlicher.

„Könnte es sein, dass der Rollstuhl samt Inhalt in deinen oder Jesus Romeros Besitz übergegangen ist? Es ist besser, du sagst es mir jetzt!“

„Was geht hier vor? Was soll diese Drohung, ich sagte dir bereits, dass ich keine Ahnung habe, wo dieses verdammte Teil abgeblieben ist! Was hat dir Jesus Romero erzählt?“, fragte Manolo misstrauisch.

„Das Gleiche wie du!“

„Glaub nicht, du kannst mich für dumm verkaufen!“, schrie er sie an.

Aufgebracht ließ er sie wissen, dass Jesus und ihm aufgefallen war, dass es sich bei dem Rollstuhl um eine Extraanfertigung handelte. Des Weiteren meinte er, das wäre bereits alles, was er über den schmerzlich vermissten Rollstuhl wissen würde. Er gab ihr zu verstehen, dass er auf weitere Informationen keinen Wert legte und nun nach Hause gehen würde.

Rita hielt ihn an, ihr gut zuzuhören. Sie sprach von einem Produkt namens „Wings of Butterfly“ und fragte Manolo, ob er davon gehört hätte. Er verneinte und bat sie, ihm nicht von Dingen zu erzählen, die ihn nicht interessieren würden und die er nicht zu wissen bräuchte.

Sie war anderer Meinung und meinte, das Produkt hätte mit Señor Rojas Jobangebot an ihn zu tun. Rita ließ ihn wissen, dass sie Lieferanten einer sehr erfolgreichen Substanz wären.

„Es handelt sich um eine Art Dopingmittel und wir haben ein Verfahren hergestellt, das die zur Verfügung stehende Menge auf ein fünffaches steigert. Das ist unter uns gesagt ein sehr gutes Geschäft und speziell für den amerikanischen Markt entwickelt. Momentan steckt alles noch in den Kinderschuhen, deshalb gibt es auch keine besondere Logistik. Wir sind der Meinung je unscheinbarer, desto unauffälliger! Ihr beide, Romero und du seid da schon mittendrin! Meine Partner würden niemals glauben, dass ihr nichts mit dem Verschwinden von Rojas zu tun habt!“

Gelassen meinte Manolo, was wäre, wenn er einfach zur Polizei ginge? Er würde denen erzählen, dass sie und ihr Gatte Jesus und ihn als Drogenkuriere missbraucht hätten. Wütend schob er nach, dass sie sich das fein ausgedacht hätten, einen gebrechlichen alten Mann am Zoll durchzuchecken.

„Das mit der Polizei würde ich aus mehreren Gründen gut sein lassen. … Es gibt Leute, mich eingeschlossen, die sauer darauf reagieren würden! Mein Mann und ich konnten den Deal nicht einhalten. Wir und damit schließe ich auch Jesus und dich mit ein, würden nicht schadlos aus dieser Sache herauskommen!“