Achtsamkeit, Meditation & Psychotherapie

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Wie wichtig grundlegende geistige Klarheit und Gesundheit als Grundlage für die Arbeit mit einem selbst und anderen ist, wird in diesem ganzen Abschnitt immer wieder betont. Chögyam Trungpa hebt hervor, dass wir jederzeit mit grundlegender Gesundheit in Verbindung sind und diese nichts Künstliches, sondern naturgegeben ist. Er schreibt:

„Zuerst kommt die Gesundheit: Krankheit ist sekundär. Gesundheit ist. Gesund zu sein heißt also, von Grund aus wohlauf zu sein, wobei Körper und Geist in einem Seinszustand synchronisiert sind, der unzerstörbar und gut ist. Diese Einstellung ist nicht nur den Patienten zu empfehlen, sondern auch den Helfern oder Ärzten. Beide Seiten können sie sich zu eigen machen, weil dieses naturgegebene, grundlegende Gutsein immer und in jeglicher Interaktion eines menschlichen Wesens mit einem anderen da ist“ (Seite 181).

Der Autor betont auch, wie wichtig es ist, eine kultivierte Umgebung für andere zu schaffen, eine, die sowohl dem Helfenden wie auch dem Klienten das Gefühl gibt, dass sie und das Leben heilig sind. Er spricht über die elementaren menschlichen Erfahrungen von Verlust und Vergänglichkeit und dass es Heilungsprozesse positiv beeinflusst, wenn man sie akzeptiert.

Trungpa Rinpoche hebt hervor, dass Ressentiments und Aggressionen die Wurzel tiefgreifender psychischer Probleme sind: „Wenn es in irgendeinem Bereich des Umfelds, in dem man aufwächst, Aggression und Antipathie gibt, ist das vom buddhistischen Standpunkt aus ein Nährboden für Wahnsinn“ (Seite 189). Die Entwicklung eines ausgeglichenen und aggressionsfreien Umfeldes kann helfen, Maitri zu kultivieren, eine durch und durch freundliche und mitfühlende Einstellung, die Angst und Aggression überwinden kann, bei einem selbst und bei anderen. „Der Schlüssel zur Überwindung von Aggression ist, ein natürliches Vertrauen zu sich selbst und in die Umgebung, in die eigene Welt, zu entwickeln. Im Buddhismus wird dieses Selbstvertrauen Maitri genannt“ (Seite 191).

Der Zusammenhang dieser Beiträge zur therapeutischen Praxis mit der Praxis der Meditation muss unbedingt hervorgehoben werden. So schreibt Chögyam Trungpa im Prolog „Die Begegnung von buddhistischer und westlicher Psychologie“:

„Westliche Psychologen haben mich gefragt, ob die direkte Erfahrung der Meditation wirklich notwendig ist. Sie wollten wissen, ob die ‚interpersonelle Ausbildung‘ nicht genügt. Darauf würde ich antworten, dass die interpersonelle Ausbildung allein zu kurz greift. Zunächst ist es notwendig, den eigenen Geist zu studieren und zu erleben. Dann kann man den Geist in der interpersonellen Situation präzise studieren und erleben“ (Seite 37).

Die vorhergehenden Artikel über Meditation und Geist ermöglichen es dem Leser, die Methode zu verstehen, die zu dieser Auffassung von der menschlichen Psyche führt. Diese Erkenntnisse über einen selbst und die grundlegende Natur des Geistes führen dann zu bestimmten Vorschlägen oder Rezepten, wie man mit anderen arbeiten kann. Und dies wiederum ist die Verbindung zwischen der Meditation als Übung und der Meditation in ihrem konkreten Bezug, als „aktive Meditation“ (meditation in action), zu jedem Aspekt des eigenen Lebens – einschließlich der Arbeit in einem Heilberuf.

Indem man diese Reihenfolge durchläuft, kann man nachvollziehen, dass das, was Chögyam Trungpa uns zu geben auffordert, genau der Methode entspricht, die er uns für die Arbeit an uns selbst vorschlägt. Seine beharrliche Botschaft lautet: Wenn man es simpel angeht und sich öffnet, findet man Zugang zu geistiger Gesundheit. Praktiziere, meditiere, nimm dir nichts vor, und du wirst grundlegende Gesundheit finden. Sei bei anderen, nimm dir nichts für sie vor, und sie werden dasselbe finden. Von Trungpa Rinpoches Standpunkt aus gibt es keinen anderen Weg, mit Menschen zu arbeiten. Wenn wir nicht die Kontinuität würdigen, die unseren Geist und unser Erleben mit dem von anderen verbindet, haben wir nicht viel Wertvolles zu bieten.

Ein besonderes Kennzeichen von Chögyam Trungpas Vorgehensweise ist, dass er mehr an den Fragen interessiert ist als an den Antworten. Tatsächlich endet das Buch mit einer Frage: seinem provokativen Vortrag „Ist Meditation Therapie?“. Chögyam Trungpa fordert uns auf, unsere Denkweisen und uns selbst zu hinterfragen, und das nicht nur als Methode für den Anfang, sondern auch als Werkzeug für die weitere Arbeit mit uns selbst wie auch mit anderen. Wir müssen nicht alle Antworten wissen; ja, er behauptet sogar, es sei besser, wenn wir nicht alles wissen. Wir müssen uns vielmehr einen Freiraum zur Verfügung stellen, wo wir Dinge untersuchen können, und denselben geschützten Freiraum für die, mit denen wir arbeiten, so dass alle möglichen Entdeckungen möglich sind.

In diesem Sinne hoffen wir, dass die Lektüre dieses Buches zum Nachdenken anregt und dass es genauso viele Fragen aufwirft, wie es beantwortet. Wir hoffen, dass dieser Band ein wertvolles Handbuch wird für Studenten der Psychologie und Philosophie, für alle, die in Gesundheits- und Heilberufen arbeiten, und für viele weitere Leser, die mehr wissen wollen über Meditation und die Natur ihres eigenen Geistes.

CAROLYN ROSE GIMIAN

MÄRZ 2004

Prolog

Die Begegnung von buddhistischer

und westlicher Psychologie

Erfahrung und Theorie

Die traditionelle buddhistische Psychologie betont die Bedeutung direkter Erfahrung in der psychologischen Arbeit. Wenn man sich nur auf die Theorie verlässt, geht etwas Grundlegendes verloren. Vom buddhistischen Standpunkt aus ist das theoretische Studium nur ein erster Schritt und muss durch ein Training im direkten Erleben des Geistes selbst ergänzt werden, bei einem selbst und bei anderen.

In der buddhistischen Tradition wird dieser empirische Aspekt durch die Praxis der Meditation kultiviert, eine Beobachtung des Geistes aus erster Hand. Meditation ist im Buddhismus keine religiöse Praktik, sondern vielmehr ein Weg, die tatsächliche Natur des Geistes und der Erfahrung zu klären. Gemäß der Tradition hat die meditative Schulung drei Aspekte: shila (Disziplin), samadhi (die eigentliche Meditationspraxis) und prajna (Einsicht).

Shila ist der Prozess einer generellen Vereinfachung des eigenen Lebens und der Beseitigung unnötiger Komplikationen. Um eine echte geistige Disziplin zu entwickeln, ist es zuerst einmal nötig zu sehen, wie wir uns ständig mit Nebensächlichkeiten und Kleinigkeiten belasten. In buddhistischen Ländern beinhaltet Shila meist, dass man ein Leben gemäß den Vorschriften für Mönche und Nonnen führt oder sich an die buddhistischen Laienregeln hält. In der säkularen Welt des Westens könnte Shila einfach heißen, dass man für sein Leben eine generelle Haltung der Einfachheit kultiviert.

Nummer zwei ist Samadhi oder Meditation, das Herzstück der praktischen Schulung im Buddhismus. Bei dieser Übung sitzt man da und richtet seine Aufmerksamkeit gelassen und achtsam auf den Atem. Der zweite Schritt bei der Meditationspraxis besteht darin, zu bemerken, wenn die Aufmerksamkeit vom Atem abgeschweift ist, und sie wieder zum Atem als dem Bezugspunkt zurückzubringen. Man nimmt eine Haltung reiner Aufmerksamkeit gegenüber den verschiedenen Phänomenen ein, die während der Übung in Körper und Geist aufsteigen, einschließlich aller Gedanken, Gefühle und Empfindungen. Man könnte Meditation einen Weg nennen, Freundschaft mit sich selbst zu schließen, weil sie ein aggressionsfreie Form des Erlebens darstellt. Tatsächlich lautet die traditionelle Bezeichnung für Meditation „friedliches Verweilen“. Somit ist die Praxis der Meditation ein Weg, das eigene Dasein von Grund auf zu erfahren, jenseits aller Verhaltensmuster.

Shila ist die Grundlage für die Praxis, und Samadhi ist der konkrete Weg der Praxis. Das Ergebnis davon ist Prajna oder die Einsicht, die sich durch die Meditation bei einem zu entwickeln beginnt. Wenn man Prajna erlebt, beginnt man direkt und konkret zu sehen, wie der Geist tatsächlich funktioniert, seine Mechanik und seine Reflexe, von Moment zu Moment. Prajna wird traditionell „unterscheidende Bewusstheit“ genannt, wobei dieses „Unterscheiden“ kein Diskriminieren ist. Prajna ist vielmehr eine vorurteilslose Erkenntnis der eigenen Welt und des eigenen Geistes. Es unterscheidet in dem Sinne, dass es Verwirrung und Neurose klärt.

Prajna ist unmittelbare Wahrnehmung, frei von Begriffen, aber gleichzeitig liefert es die Basis für intellektuelles Studium. Weil man die Realität der eigenen geistigen Funktionen tatsächlich gesehen hat, entsteht der natürliche Wunsch, zu klären und zu artikulieren, was man erfahren hat. Und es herrscht eine spontane Neugier, wie andere das Wesen und Funktionieren des Geistes zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig jedoch, während einen die eigene unmittelbare Einsicht zum Studium hinführt, ist es notwendig, eine kontinuierliche Disziplin meditativer Übung aufrechtzuerhalten. Auf diese Weise verkommen Einsichten nie zu bloßen Begriffen, und die eigene psychologische Arbeit bleibt lebendig und frisch und stabil verankert.

In der buddhistischen Kultur Tibets, in der ich geboren und erzogen wurde, wurde immer auf ein Gleichgewicht zwischen praktischer Schulung und Theorie geachtet. Als ich ausgebildet wurde, sah unser Tagesablauf im Kloster regelmäßige Zeiten sowohl für das Studium wie auch für die Praxis der Meditation vor. Im Laufe eines Jahres waren auch immer spezielle Zeiten für intensive Studien und Meditations-Retreats reserviert. Es war für unsere buddhistische Tradition selbstverständlich, dass ein solches Gleichgewicht Voraussetzung war für echte Lernprozesse.

 

Als ich in den Westen kam, 1963 nach England, bemerkte ich mit einiger Überraschung, dass in der westlichen Psychologie das Theoretische gegenüber der praktischen Erfahrung ein enormes Übergewicht besitzt. Natürlich wurde dadurch westliche Psychologie für jemanden aus einer anderen Kultur wie mich unmittelbar zugänglich. Ein Psychologe aus dem Westen fordert einen nicht zum Praktizieren auf, sondern sagt einem sofort, was er treibt. Ich fand das unkompliziert und auch angenehm. Aber gleichzeitig fragt man sich, wie tiefschürfend wohl eine Tradition ist, die sich so stark auf Begriffe verlässt und einem so bereitwillig alle Türen öffnet.

Auf der anderen Seite scheint westlichen Psychologen intuitiv klar zu sein, dass es nötig ist, viel mehr Gewicht auf das direkte Erleben des Geistes zu legen. Vielleicht ist das der Grund, warum so viele von ihnen sich für den Buddhismus zu interessieren begonnen haben. Vor allem am Zen lockt sie das Rätselhafte. Und das Flair unmittelbarer Erfahrung, die Möglichkeit der Erleuchtung, der Eindruck des Tiefgründigen sind sehr verlockend. Es scheint, dass diese Leute im Buddhismus etwas suchen, was ihnen in ihren eigenen Traditionen fehlt. Dieses Interesse scheint mir durchaus berechtigt, und in dieser Hinsicht hat der Buddhismus etwas Wichtiges zu bieten.

Wenn Psychologen aus dem Westen den Buddhismus zu studieren beginnen, taucht fast immer eine wichtige Frage auf: Muss man Buddhist werden, um etwas über den Buddhismus zu lernen? Die Antwort ist natürlich nein, aber es muss zurückgefragt werden: Was wollen wir denn lernen? Das Wichtigste, was der Buddhismus einem Psychologen aus dem Westen zu sagen hat, ist, wie man sich direkter auf das eigene Erleben einlässt, seine Frische, seine Fülle, seine Unmittelbarkeit. Dazu braucht man kein Buddhist zu werden, aber man muss Meditation praktizieren. Es ist natürlich möglich, buddhistische Psychologie nur theoretisch zu studieren. Damit würde man aber den Sinn der Sache verfehlen. Ohne den Rückhalt der Erfahrung würde man am Ende lediglich buddhistische Auffassungen durch die Brille westlicher Begriffe interpretieren. Eine ordentliche Portion Meditation ist für die Arbeit mit einem selbst und anderen wirklich notwendig. Sie hilft einem enorm, egal, ob man sich auch für den Buddhismus an sich interessiert.

Manchmal ist es sehr schwer, Menschen im Westen die Bedeutung der Erfahrungsdimension zu vermitteln. Bald nachdem ich aus Indien nach England gekommen war, gründeten wir unser Meditationszentrum „Samye Ling“ in Schottland, und wir entdeckten, dass eine Menge Leute mit psychischen Problemen sich hilfesuchend an uns wandten. Sie hatten schon alle möglichen Therapien gemacht, und viele von ihnen waren ziemlich neurotisch. Sie betrachteten uns als Ärzte, die medizinische Arbeit leisteten, und wollten von uns kuriert werden. Ich stellte fest, dass es bei der Arbeit mit diesen Menschen häufig ein Hindernis gab: Sie wollten oft rein theoretisch an die Sache herangehen, statt ihre Neurose wirklich zu erleben und mit ihr zu arbeiten. Sie wollten ihre Neurosen intellektuell verstehen: wo mit ihnen etwas schiefgelaufen war, wie ihre Neurosen sich entwickelt hatten und so weiter. Oft waren sie nicht bereit, diese Haltung aufzugeben.

Die Ausbildung zum Therapeuten

In der Ausbildung zum Therapeuten sollten die theoretische und die praktische Arbeit im richtigen Verhältnis stehen. Wir kombinieren diese beiden Elemente in unserem Psychologie-Studiengang an der Naropa-Universität: Man übt sich ein wenig in Meditation, dann widmet man sich dem Studium, lässt sich dann tiefer auf die Meditation ein, studiert dann intensiver und so weiter. Diese Vorgehensweise hat einen ganz interessanten Effekt: Man findet zunehmend Gefallen an dem, was man macht. Das Erleben des eigenen Geistes macht einem Appetit auf weiteres Studieren. Und das Studium steigert das Interesse an der Beobachtung der eigenen geistigen Prozesse durch Meditation.

Dazu kommt, dass das Studium einen anderen Charakter annimmt, wenn es mit der Meditationspraxis kombiniert wird. Wenn die direkte Erfahrung fehlt, verkommt das Studieren zu einem bloßen Auswendiglernen von Fachausdrücken und Definitionen, von deren Stichhaltigkeit man sich zu überzeugen versucht. Wenn es aber mit meditativer Disziplin kombiniert wird, wird das Studium viel lebendiger und realistischer. Es schafft Klarheit darüber, wie der Geist arbeitet und wie dieses Wissen ausgedrückt werden kann. Auf diese Weise befruchten sich Studium und Praxis gegenseitig enorm, und beide werden realer und befriedigender. Es ist wie bei einem Sandwich – erst das Brot macht, dass die Wurst einem schmeckt.

Es stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die praktische und die theoretische Seite der Ausbildung zueinander stehen sollten. Wie viel Zeit sollte den beiden jeweils gewidmet werden? Generell würde ich sagen, ungefähr gleich viel. Aber gleichzeitig ist zum Beispiel die Zahl der Stunden, die man in die Praxis steckt, nicht so wichtig wie die Einstellung, mit der man sie betreibt. Wenn der Lernende voll bei der Sache ist und seine Praxis genügend ernst nimmt, dann hat seine Meditation den richtigen Stellenwert und durchdringt sein Studium und sein Alltagsleben.

All das soll nicht heißen, dass es in der westlichen Psychologie keine praktische Schulung gibt. Sie ist nur, aus buddhistischer Sicht, stark unterentwickelt. Und wenn sie stattfindet, dann, so scheint es, fast ausschließlich in der interpersonellen Situation, in der man miteinander redet, etwa bei der klassischen psychoanalytischen Ausbildung. Westliche Psychologen haben mich gefragt, ob die direkte Erfahrung der Meditation wirklich notwendig ist. Sie wollten wissen, ob die interpersonelle Ausbildung‘ nicht genügt. Darauf würde ich antworten, dass die interpersonelle Ausbildung allein zu kurz greift. Zunächst ist es notwendig, den eigenen Geist zu studieren und zu erleben. Dann kann man den Geist in der interpersonellen Situation präzise studieren und erleben.

Das kann man auch daran sehen, wie die buddhistischen Abhidharma-Lehren aufgebaut sind. Zunächst wird erforscht, wie der Geist an sich sich entwickelt und wie er funktioniert. Das findet seinen Niederschlag in der ersten Hälfte des Abhidharma. Die zweite Hälfte beschäftigt sich damit, wie dieser Geist auf Dinge außerhalb seiner selbst reagiert. Das ist eine Parallele zur Entwicklung eines Kindes. Am Anfang ist es vor allem mit sich selbst beschäftigt. Später dann, wenn es heranwächst, wird seine Welt immer größer.

Um die interpersonelle Situation richtig zu verstehen, muss man sich zunächst einmal selber kennen. Kennt man einmal den Stil der eigenen geistigen Dynamik, so kann man anfangen zu erkennen, wie dieser Stil im Umgang mit anderen funktioniert. Auf der Basis der Selbsterkenntnis entsteht das interpersonelle Wissen sogar ganz natürlich. Man entdeckt, dass jemand sich geistig entwickelt hat. Dann kann man erleben, wie die beiden Bewusstseine miteinander interagieren. Das führt zu der Entdeckung, dass es einen „Geist außen“ und einen „Geist innen“ gar nicht gibt. „Geist“ ist also eigentlich die Begegnung zweier Bewusstseine, und das ist in gewissem Sinne ein und derselbe Geist.

Je mehr man deshalb über seinen eigenen Geist lernt, desto mehr lernt man über den Geist anderer Menschen. Man entwickelt Wertschätzung für andere Welten, die Lebenssituation von anderen. Man lernt, seinen Horizont zu erweitern über den Tellerrand der eigenen unmittelbaren Situation hinaus, spontan, und damit erweitert sich das eigene Bewusstsein enorm.

Und das schlägt sich in Ihrer Arbeit mit anderen nieder. Es lässt Sie geschickter handeln und gibt Ihnen auch mehr Wärme und Mitgefühl, so dass Sie entgegenkommender sind im Umgang mit anderen.

Ausgangspunkt Gesundheit

Buddhistische Psychologie beruht auf der Idee, dass menschliche Wesen grundlegend gut sind. Ihre ursprünglichen Qualitäten sind positive: Offenheit, Intelligenz und Wärme. Diese Auffassung findet natürlich ihren philosophischen und psychologischen Niederschlag in Begriffen wie „Bodhichitta“ („erwachter Geist“) und „Tathagatagarbha“ („Geburtsort der Erleuchteten“). Aber diese Idee ist letztendlich in der Erfahrung verankert – der Erfahrung, dass man selbst und auch die anderen gut und wertvoll sind. Diese Auffassung ist absolut grundlegend und liefert die eigentliche Inspiration für die Praxis und die Psychologie des Buddhismus.

Da ich einer Tradition entstamme, die das Gute im Menschen betont, war ich ziemlich erschüttert, als ich im Westen dem Glauben an die Erbsünde begegnete. Als ich die Universität in Oxford besuchte, studierte ich mit Interesse philosophische und religiöse Traditionen des Westens und stellte fest, dass die Vorstellung von der Erbsünde ziemlich weit verbreitet war. Eines meiner ersten Erlebnisse in England war ein Seminar mit Erzbischof Anthony Blum. Thema des Seminars war der Begriff Gnade, und wir sprachen auch über die Erbsünde. Die buddhistische Tradition hält solch eine Vorstellung für völlig unnötig, und ich gab dieser Auffassung Ausdruck. Ich war ziemlich überrascht, wie wütend die westlichen Teilnehmer daraufhin wurden. Sogar die Orthodoxen, die die Erbsünde vielleicht nicht so betonen wie die westlichen Traditionen, hielten an ihr als einem Grundstein ihrer Theologie fest.

Bezogen auf unsere jetzige Diskussion heißt das, dass die Vorstellung von der Erbsünde anscheinend nicht nur religiöse Ideen des Westens durchdringt; es scheint, dass sie eigentlich das gesamte westliche Denken durchzieht, vor allem das psychologische Denken. Ob Patienten, Theoretiker oder Therapeuten, irgendwie lässt allen der Gedanke keine Ruhe, dass irgendwo am Anfang ein Fehler passiert ist, der später Leiden verursacht – eine Art Strafe für diesen Fehler. Man entdeckt, dass ein Gefühl des Schuldig- oder Verletztseins ziemlich weit verbreitet ist. Ob diese Menschen tatsächlich an die Erbsünde – oder überhaupt an Gott – glauben oder nicht, sie haben irgendwie das Gefühl, dass sie in der Vergangenheit etwas falsch gemacht haben und jetzt dafür bestraft werden.

Es hat den Anschein, dass dieses Gefühl einer grundlegenden Schuld von Generation zu Generation weitergegeben worden ist und viele Aspekte des Lebens im Westen durchdringt. Zum Beispiel denken Lehrer oft, dass ein Kind nicht richtig lernt und sich als Folge davon nicht richtig entwickelt, wenn es sich nicht schuldig fühlt. Deshalb haben viele Lehrer das Gefühl, sie müssten das Kind antreiben, und Schuldgefühle scheinen dabei eine Hauptrolle zu spielen. Das passiert sogar schon, wenn es ums Lesen und Schreiben geht. Der Lehrer sucht nach Fehlern: „Schau, du hast einen Fehler gemacht. Das musst du verbessern!“ Vom Standpunkt des Kindes aus hat Lernen dann damit zu tun, keine Fehler zu machen, zu beweisen, dass man eigentlich nicht schlecht ist. Ganz anders ist es, wenn man positiv auf das Kind zugeht: „Schau, wie viel du schon dazugelernt hast, und dadurch kommen wir noch weiter.“ In diesem Fall wird das Lernen zum Ausdruck von Gesundheit und angeborener Intelligenz.

Das Problem mit der Vorstellung von einer Erbsünde oder einem Grundfehler liegt darin, dass sie im Endeffekt die Menschen blockiert. Natürlich ist es irgendwann notwendig, die eigenen Unzulänglichkeiten zu erkennen. Aber wenn man damit zu weit geht, tötet man jede Inspiration ab und verliert womöglich jede Perspektive. So betrachtet, hilft sie also überhaupt nicht weiter, und eigentlich ist sie überflüssig. Wie gesagt haben wir im Buddhismus keine vergleichbare Vorstellung von Sünde und Schuld. Natürlich existiert der Gedanke, dass man Fehler vermeiden sollte. Aber es gibt nichts, was mit der bedrückenden Schwere und Unausweichlichkeit der Erbsünde vergleichbar wäre.

Nach buddhistischer Auffassung existieren Probleme, aber sie sind zeitweiliger und oberflächlicher Schmutz, der das grundlegend Gute („Tathagatagarbha“) in einem überdeckt. Dies ist ein optimistischer und positiver Standpunkt. Trotzdem sollten wir auch hier wieder betonen, dass das keine rein abstrakte Idee ist. Sie wurzelt in der Erfahrung der Meditation und dem Wohlbefinden, das durch sie gefördert wird. Es gibt zeitweilige neurotische Verhaltensmuster, die sich auf der Grundlage früherer Erfahrung entwickeln, aber man kann sie durchschauen. Genau damit befasst sich das Abhidharma: wie eins auf das andere folgt, wie willkürliches Handeln entsteht und sich fortsetzt, wie der Schneeball zur Lawine wird. Und – und das ist am wichtigsten – das Abhidharma befasst sich damit, wie durch regelmäßige Meditation dieser Prozess unterbrochen werden kann.

Die Haltung, die aus der buddhistischen Sichtweise und Praxis resultiert, ist ganz anders als diese „Fehlerfixierung“. Man erlebt seinen Geist in der Tat als ursprüng makellos, das heißt, gesund und positiv, und „Probleme“ als zeitweilige und oberflächliche Verunreinigungen. Solch ein Standpunkt bedeutet nicht, dass man Probleme „loswird“, sondern eher, dass man sie anders sieht. Probleme werden vor dem viel größeren Hintergrund der Gesundheit betrachtet: Man beginnt, das Festhalten an den eigenen Neurosen aufzugeben und die Identifikation mit und die Obsession von ihnen hinter sich zu lassen. Das Augenmerk liegt nicht mehr auf den Problemen an sich, sondern vielmehr, weil man die Natur des Geistes selbst erkennt, auf der Grundlage des Erlebens. Wenn Probleme so angegangen werden, ist die Panik nicht so groß, und alles scheint irgendwie lösbar. Wenn Probleme auftauchen, werden sie nicht mehr als pure Bedrohung angesehen, sondern werden zu Lernsituationen, zu Möglichkeiten, mehr über sich selbst herauszufinden und die eigene Reise fortzusetzen.

 

Durch die Praxis, die durch das Studium bekräftigt wird, wird die elementare Gesundheit im eigenen Geist und im Geist der anderen wieder und wieder erlebt. Man sieht, dass die eigenen Probleme doch nicht so tief verwurzelt sind. Man sieht, dass man tatsächlich Fortschritte macht. Man erlebt sich als jemand, der achtsamer und bewusster wird, zunehmend ein Gefühl größerer Gesundheit und Klarheit entwickelt, und das macht enorm Mut.

Letztendlich entsteht diese Orientierung am Positiven und Gesunden aus dem Erleben von Egolosigkeit, wobei westliche Psychologen mit diesem Begriff anfangs ein bisschen Schwierigkeiten hatten. Egolosigkeit heißt nicht, wie manche denken, dass in einer Art Nihilismus „nichts existiert“. Egolosigkeit bedeutet vielmehr, dass man seine Verhaltensmuster aufgeben kann und dass man, wenn man aufgibt, wirklich und wahrhaftig aufgibt. Man zimmert oder baut sich nicht sofort wieder einen neuen Panzer zusammen. Wenn man losgelassen hat, fängt man das Ganze nicht einfach wieder von vorn an. Egolosigkeit heißt, dass man sich traut, gar nichts neu aufzubauen, und dass man das seelische Wohlbefinden und die Frische erlebt, die mit diesem Nichts-mehr-Aufbauen einhergehen. Was Egolosigkeit wirklich heißt, lässt sich in vollem Ausmaß nur durch die Praxis der Meditation erfahren.

Das Erlebnis der Egolosigkeit macht Mut zu wirklicher und echter Sympathie für andere. Ist Ego vorhanden, gibt es keine echte Sympathie, denn das würde bedeuten, dass man seine Sympathie mit irgendwelchen Abwehrmechanismen absichert. Wenn zum Beispiel das eigene Ego auf dem Spiel steht, wird man in der Arbeit mit anderen wahrscheinlich alles durch die Brille des eigenen Standpunkts sehen. Das Ego stört bei der direkten Kommunikation, und die ist für den therapeutischen Prozess natürlich zentral. Auf der anderen Seite macht es Egolosigkeit möglich, dass die ganze Arbeit mit anderen aufrichtig, großmütig und ungezwungen vor sich gehen kann. Deshalb heißt es in der buddhistischen Tradition, dass man ohne Egolosigkeit unmöglich echtes Mitgefühl entwickeln kann.

Die therapeutische Praxis

Aufgabe des Therapeuten oder der Therapeutin ist es, einen Patienten mit seiner grundlegenden Gesundheit und Gutheit wieder in Verbindung zu bringen. Potentielle Patienten kommen zu uns, weil sie unzufrieden und vereinsamt sind. Statt ihnen eine Reihe von Techniken zu liefern, mit denen sie ihre Probleme bekämpfen können, ist es wichtiger, ihnen zu zeigen, wie sie erleben können, dass in ihnen eine grundlegende Gesundheit existiert. Man könnte meinen, das wäre etwas viel verlangt, vor allem wenn wir mit jemandem arbeiten, der schon lange Probleme hat. Aber die grundlegende Gesundheit des Geistes ist in Wirklichkeit zum Greifen nah und lässt sich leicht erfahren und stärken.

Natürlich versteht es sich von selbst, dass der Therapeut zuerst einmal seinen eigenen Geist auf diese Weise erfahren muss. Durch die Meditationspraxis bekommen die Klarheit und Wärme, die er für sich selbst hat, Raum, um sich zu entwickeln, und können sich auf die Außenwelt ausweiten. Folglich liefern seine Meditation und sein Studium die Grundlage dazu, in ein und demselben Bezugsrahmen mit verwirrten Menschen, mit anderen Therapeuten und mit sich selbst zu arbeiten. Selbstverständlich ist das nicht so sehr eine Sache der theoretischen oder begrifflichen Perspektive, sondern davon, wie wir persönlich unser Leben erleben. Wir können unsere Existenz voll und ganz fühlen, so dass wir es zu schätzen wissen, wirklich und wahrhaftig ein menschliches Wesen zu sein. Und das können wir anderen vermitteln, und wir können sie dabei ermutigen.

Was uns am meisten daran hindert, unseren Patienten auf diese Weise zu helfen, ist wieder die Vorstellung von einem „Fehler“ und die daraus resultierende Fixierung auf die Vergangenheit. Die meisten unserer Patienten werden in irgendeiner Weise die Vergangenheit aufarbeiten wollen. Aber dieser Ansatz kann gefährlich werden, wenn er zu weit geht. Wenn man dieser Spur folgt, muss man auf die eigene Empfängnis zurückblicken, dann auf die Erlebnisse seiner Familie davor, auf die Urgroßeltern und so weiter. Das kann sehr weit zurück führen und sehr kompliziert werden.

Der buddhistische Standpunkt betont die Unbeständigkeit und Vergänglichkeit der Dinge. Die Vergangenheit ist vorbei, und die Zukunft ist noch nicht geschehen, also arbeiten wir mit dem, was da ist: der momentanen Situation. Das hilft uns außerdem, nicht zu kategorisieren oder zu theoretisieren. Tatsächlich findet die ganze Zeit vor unseren Augen eine frische, lebendige Situation statt. Dieses nicht kategorisierende Vorgehen entsteht, indem man voll und ganz hier ist, statt zu versuchen, ein vergangenes Ereignis aufzuarbeiten. Wir müssen nicht in die Vergangenheit zurückschauen, um zu begreifen, woraus wir oder andere Menschen bestehen. Die Dinge sprechen für sich, hier und jetzt.

Während meiner Zeit in Oxford und danach war ich beeindruckt von einigen echten Stärken der westlichen Psychologie. Sie ist offen für neue Standpunkte und Entdeckungen. Sie bleibt sich selbst gegenüber kritisch. Und von den intellektuellen Disziplinen des Westens ist sie die mit dem größten Erfahrungsbezug.

Gleichzeitig aber, vom Standpunkt der psychologischen Tradition des Buddhismus betrachtet, fehlt der westlichen Herangehensweise definitiv etwas. Wie wir in dieser Einführung immer wieder gesagt haben, ist dieses fehlende Element die Anerkenntnis des Primats der unmittelbaren Erfahrung. An diesem Punkt stellt der Buddhismus eine fundamentale Herausforderung für die westliche Therapiepraxis dar und bietet eine Sichtweise und eine Methode, die die westliche Psychologie revolutionieren könnten.