Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?

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Anmerkungen

[1]

Hierbei handelt es sich vorwiegend um Mitarbeiter aus der Geschäftsführung oder um Leiter der Controllingabteilung; siehe hierzu KPMG Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2010, S. 28.

[2]

„Waren von den großen Unternehmen in den letzten drei Jahren nach eigenen Angaben 55% betroffen, sind es bei den mittleren 31% und bei den kleineren Unternehmen 19%. Offenbar führen die besseren Kontrollmechanismen in größeren Unternehmen in aller Regel zu höheren Aufdeckungsraten.“ So KPMG im Studienbericht auf http://www.innovations-report.de/html/berichte/studien/bericht-67266.html.

[3]

KPMG Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2010, S. 4.

[4]

KPMG Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2010, S. 5

[5]

Vgl. KPMG Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2010, S. 6. In Großunternehmen sind es sogar 90%.

[6]

KPMG Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2010, S. 7

[7]

KPMG Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2010, S. 17. Ein Grund für die Notwendigkeit läge darin, dass die Täter überwiegend aus dem eigenen Unternehmen kommen.

[8]

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass ein großer Anteil der wirtschaftskriminell handelnden Personen im eigenen oder in einem anderen Unternehmen nicht auffällig geworden waren. Diese Unauffälligkeit in Bezug auf die Täter setzt sich auch im Zusammenhang mit der Entdeckung der Straftaten fort: in 55% war es Zufall, dass Aufmerksamkeit auf die kriminelle Handlung fiel. KPMG Studie 2006 zur Wirtschaftskriminalität in Deutschland, S. 11.

[9]

Nur 48% achten auf eine strenge Mitarbeiterauswahl, KPMG Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2010, S. 20.

[10]

29% der Befragten nehmen Integritätskriterien in die Lieferantenbewertung auf und 56% führen keine Analysen wirtschaftskrimineller Handlungen von verbundenen Unternehmen und Dienstleistern durch. Vgl. KPMG Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2010, S. 21.

[11]

Vgl. hierzu insgesamt KPMG Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2010, S. 23 f.

[12]

KPMG Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2010, S. 20

[13]

KPMG Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2010, S. 9

cc) PricewaterhouseCoopers – Wirtschaftskriminalität

72

Die von PricewaterhouseCoopers (PwC) in Kooperation mit der Martin-Luther-Universität 2009 entstandene Studie stellt in ihrer jüngsten Ausgabe die Situation in Deutschland in den Mittelpunkt. 2005 und 2007 waren im Rahmen einer internationalen Umfrage die Erfahrungen von weltweit 5.428 Unternehmen, darunter 1.166 in Deutschland, mit Wirtschaftskriminalität erfragt worden. Die Erhebung umfasste damals alle entdeckten Straftaten zwischen Frühjahr 2005 und Frühjahr 2007 sowie die Analyse von über 2.000 einzelner Straftaten mit Schlussfolgerungen in Bezug auf Tatursachen, Täterprofile, sowie betriebliche und rechtliche Konsequenzen.[1] 2009 wurden 500 deutsche Großunternehmen befragt und die hieraus gewonnenen Ergebnisse zu den Erkenntnissen aus 2005 und 2007 in Bezug gesetzt.[2]

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Zu den Kernerkenntnissen gehört unter anderem, dass der seit 2005 beobachtete Anstieg der Wirtschaftskriminalität nicht nachgelassen hat und mittlerweile 61% der Großunternehmen „geschädigt“ sind.[3] Die Verluste für die befragten Unternehmen betrugen 30 Millionen Euro und die Reputationsverluste – immaterielle Schäden – wurden von 44% als bedeutend eingestuft.[4] Dies wird auch in unmittelbare Beziehung zu dem eigenen Aktienkurs, von dem 2007 noch 35% der Großunternehmen annahmen, er könne nicht durch einen Imageschaden tangiert werden; 2009 meldeten nur 7% zurück, dass sie keine negativen Konsequenzen für den Kurs befürchten.[5] Teilweise wird dies auf einen Wandel in der Rezeption von Wirtschaftskriminalität zurückgeführt; dieser sei mittlerweile in einer beeinträchtigten Beziehung zwischen den Unternehmen und den Regulierungsbehörden gespiegelt, in einer strengeren Ahndung von Wirtschaftskriminalität und deutlich spürbaren Folgen wirtschaftskrimineller Sachverhalte auf den Aktienkurs, was auf Unternehmensseite mittlerweile auch rezipiert würde.

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Betrug und Unterschlagung werden auch in dieser Studie als häufigste Deliktsarten genannt, die zudem den größten Anteil an dem durch Wirtschaftskriminalität verursachten, finanziellen Schaden ausmachen. 41% der Unternehmen waren hiervon ein- oder mehrmals betroffen. Gleichzeitig ist Korruption spätestens nach der Siemens-Affaire ein prominenteres Thema, das trotz einer relativ geringen Deliktsquote von nur 13% von den Befragten als hohes Risiko eingeschätzt wird.[6] Es wird zudem von einem Viertel der Befragten berichtet, dass sie durch Ablehnung von Bestechungshandlungen eine Geschäftsmöglichkeit verloren haben. Gleichzeitig berichten nun die deutschen Unternehmen – ebenso wie die nordamerikanischen Unternehmen im Jahre 2007 – von hohen Managmentkosten infolge von Korruption und indirekten Schäden bezüglich Marke, Arbeitsmoral und Ansehen.[7] Besonders hervorgehoben hinsichtlich der Schadensrisiken werden die Wettbewerbsdelikte: Zwar seien die Unternehmen diesbezüglich auch „Nutznießer“, jedoch seien sie durch diese Form des illegalen Wettbewerbs mit einem Verlust in Höhe von 5,85 Millionen Euro im Jahr 2009 auch am stärksten geschädigt. Die in der Studie im Original abgedruckten Antworten der Befragten deuten darauf hin, dass bestimmte Wirtschaftsbereiche, wie die Baubranche, besonders betroffen sind. 40% der Unternehmen gehen davon aus, dass wettbewerbswidrige Absprachen sehr häufig bzw. häufig stattfinden.[8] Dies scheint, nach den Ergebnissen der Studie, auch auf unzureichende Präventionsmaßnahmen zurückführbar zu sein: 43% der befragten Unternehmen hatten keine entsprechende Schulung angeboten und nur 38% der Befragten gingen von guten Kenntnissen im Bereich des Kartellrechts aus. Die Deliktsbereiche Produktfälschung, Patent- und Markenrechtsverletzung, Diebstahl vertraulicher Kunden- und Unternehmensdaten sowie Wirtschaftsspionage werden thematisiert,[9] stellen jedoch einen relativ geringen und seit 2005 unveränderten Deliktsbereich dar. Festzuhalten ist für die vorliegende Arbeit erneut, dass diese Deliktsbereiche schon a priori eine andere Ausrichtung und Struktur aufweisen als Korruption und Wettbewerbsdelikte, die den Unternehmen direkte wie indirekte Vorteile bringen. Gleichwohl werden diese Tatbestände undifferenziert unter Wirtschaftskriminalität subsumiert und hinsichtlich ihres Risikopotentials und Schadensumfangs für die „betroffenen“ oder „geschädigten“ Unternehmen abgefragt.

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Insofern erstaunt es nicht, dass das Thema Compliance für die befragten Unternehmen zunehmend wichtiger wird;[10] der Anteil an entsprechenden Programmen erhöhte sich von 2007 zu 2009 von 3% auf 44%. Die Autoren betonen mehrmals den Bezug zu den Haftungsrisiken und der wachsenden Aufmerksamkeit für Wirtschaftskriminalität in der Öffentlichkeit und den Medien. Nicht nur die Vermeidung finanzieller Schäden, sondern auch die Minimierung von Haftungsrisiken und indirekter Schäden könnten mit solchen Programmen erreicht werden,[11] was – durch die Erhöhung des Anteils an Compliance-Programmen belegt – von den Unternehmen auch erkannt würde. Gleichwohl erstreckten sich nur 85% der Programme auch auf die Prävention von Vermögensdelikten und nur ein Drittel verfüge über ein entsprechendes Hinweisgebersystem. Bezogen auf Korruptionsdelikte seien die hierauf bezogenen Programme nur bei 36% anzusiedeln. Trotz einer starken Wahrnehmung des Korruptionsrisikos tragen also nur etwa ein Drittel der Unternehmen diesem Problem durch Antikorruptionsprogramme, spezielle Compliance oder Hinweisgebersysteme Rechnung.

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Hinsichtlich des täterbezogenen Hintergrunds ermöglicht die Studie in der Gesamtschau interessante Erkenntnisse: Das Täterprofil weist einen zumeist männlichen (87%), überdurchschnittlich gebildeten Täter zwischen 30 und 50 Jahren aus, der überwiegend seit mehreren Jahren im Unternehmen arbeitet.[12] Die Hälfte der Wirtschaftsstraftäter kam aus dem eigenen Unternehmen – davon fast ein Viertel aus dem Topmanagement – und bestand aus sozial unauffälligen, in der Regel nicht vorbestraften Unternehmensmitgliedern. In der Gruppe externer Täter wurden überwiegend Kunden und Mandanten des Unternehmens sowie Geschäftspartner (63%) genannt, insgesamt also Menschen, zu denen eine irgendwie geartete Geschäftsbeziehung besteht. Jene weisen ein geringeres Schuldbewusstsein auf, dem eine erleichterte Motivation mittels finanzieller Anreize gegenübersteht.[13] Die größere Anonymität in Großunternehmen und der Verlust der Opferperspektive führten dazu, dass sich die Täter „als kleines Zahnrad in einem großen Uhrwerk“ fühlen und die Schädigung des Unternehmens leugnen.[14] Die Delikte würden dadurch erleichtert, dass mit der Dauer der Zugehörigkeit zum Unternehmen das Vertrauen in die Mitarbeiter wächst und dadurch Zugangsmöglichkeiten verschafft werden. Zu den Ursachen zählten die Verfasser der Studie mangelndes Unrechtsbewusstsein (63%), leichte Verführbarkeit (38%) und finanzielle Anreize (61%).[15] In der Studie von 2005 wurden weiterhin drei Hauptfaktoren herausgestellt, die wirtschaftskriminelle Delikte begünstigen sollen: der Anreiz zur Begehung eines Wirtschaftsdelikts, die Gelegenheit und die Rechtfertigung des Täters vor sich selbst.[16] Vergleicht man diese Faktoren mit den von Unternehmen genannten, häufigsten Ursachen, so ergibt sich der „zu aufwändige Lebensstil“ als Anreizfaktor (37%), die „ungenügende interne Kontrolle“ als Faktor Gelegenheit (42%) und das „mangelnde Werte- und Unrechtsbewusstsein“ als Faktor Rechtfertigung (66%).[17]

 

77

In der Studie von 2007 erfolgte an dieser Stelle zum ersten Mal ein Hinweis auf die mögliche kriminogene Wirkung des Unternehmens: Viele Delikte seien nämlich auch auf Formen kollusiven Handelns bzw. durch Unterstützung interner oder externer Mitarbeiter zurückgeführt worden. In einigen Fällen handele es sich um eine Beteiligung oder zumindest Mitwisserschaft mehrerer Unternehmensmitglieder (12%), sodass aus kriminologischer Sicht auch subkulturelle Milieus innerhalb der betroffenen Unternehmen vorgelegen haben könnten.[18] Zwar wurde in diesem Zusammenhang wiederum von einer dadurch verursachten „Schädigung des Unternehmens“ gesprochen, jedoch weisen die Ergebnisse aus 2009 darauf hin, dass zu geringe unternehmensinterne Vorsichtsmaßnahmen (50%) und ein größerer internationaler Druck (46%) als Hauptursachen angesehen werden und mit dem Grund der „steigenden internationalen Unternehmens- und Informationsverflechtung“ auch kriminogene Ursachen aus der Unternehmenssphäre gesehen werden.[19] Als „unternehmensspezifische Faktoren“ werden explizit ein zu hoher Druck durch Zielvorgaben, mangelnde Übereinstimmung mit Unternehmenszielen, unklare Kommunikation von Unternehmenskodizes[20] sowie hohe Anonymität und berufliche Enttäuschung genannt. Inbesondere die Balance zwischen Präventions- und Kontrollmaßnahmen scheint nach den Ergebnissen von PwC nicht ausgeglichen, denn obgleich über 80% der Unternehmen über interne und externe Revisionen verfügen, verbleiben Personal- und Aufgabenwechsel, automatisierte Berichtssysteme und Kundenmonitoring wenig verbreitete Instrumente.[21] Die Reaktion auf deviantes Verhalten fällt in der Regel arbeitsrechtlich aus, flankiert von Strafanzeigen, und richtet sich seltener gegen Täter aus dem Topmanagement als gegen andere Täter. Für die Gruppe der internen Täter werden weitaus weniger Strafanzeigen erstattet als für externe Täter. Dies könnte auf die befürchteten Reputationsschäden und die Vermeidung von Publizität des Vorfalls zurückzuführen sein. Im Jahr 2009 wurde gegenüber 2007 ein weiteres Absinken der Anzeigebereitschaft, sowohl gegenüber internen wie externen Tätern, festgestellt.[22]

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Der 2007 erhoffte weltweite Trend einer Intensivierung interner und externer Kontrollmechanismen und konsequenten Einrichtung von Hinweisgebersystemen sowie der Implementierung ethischer Richtlinien[23] lässt sich daher noch nicht bestätigen. Jedenfalls die Dominanz der zufälligen Entdeckung konnte noch nicht reduziert werden. Die Autoren der Studie bezeichnen jedoch einen hohen Anteil von externen und internen Tippgebern als Indikator für eine intakte informelle Selbstkontrolle, die jedoch nach wie vor selten etabliert ist.[24] Parallel zu den Präventions- und Kontrollmechanismen ist zu beobachten, dass 75% der Unternehmen eine D&O-Managerhaftpflichtversicherung abgeschlossen haben, die für die Kosten einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme von Organmitgliedern, GmbH-Geschäftsführern, AG- und Vereinsvorständen, Aufsichtsräten und Beiräten, leitenden Angestellten und Prokuristen aufkommt. Dies hat aus Sicht der Autoren auch mit einer zunehmenden zivil- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Haftung der Manager im Falle wirtschaftlicher Fehlentwickungen zu tun. Die im Corporate Governance Kodex vorgesehene – und mittlerweile in § 93 II AktG kodifizierte – Vereinbarung eines Selbstbehalts in Höhe von mindestens 10% des Schadens bis zu mindestens dem 1,5-fachen des Jahresfixgehaltes wird jedoch nur zögerlich umgesetzt.[25]

Anmerkungen

[1]

Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2007 – Sicherheitslage der deutschen Wirtschaft, S. 3.

[2]

Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 3.

[3]

Da in den Studien 2005 und 2007 keine Daten bezüglich wettbewerbswidriger Absprachen und Diebstahl vertraulicher Unternehmensdaten erhoben wurden, bilden die Autoren die Entwicklung der Wirtschaftskriminalität auch unter Herausrechnung dieser Daten für 2009 ab. Hierbei zweigt sich, dass die Quote der geschädigten Großunternehmen bei 56% liegt. 2007 lag sie bei 52% und 2005 bei 58%. Der durchschnittliche finanzielle Schaden aller genannten Wirtschaftsdelikte hat sich jedoch seit 2005 fast verdreifacht; vgl. Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 12.

[4]

Der Anstieg der Schadensentwicklung von 2007–2009 scheint eklatant. Während 2005 der durchschnittliche finanzielle Schaden aller genannten Delikte 1,47 Millionen Euro betrug, stieg er 2007 auf 1,59 Millionen Euro an und wird 2009 auf 4,29 Millionen Euro beziffert. Noch deutlicher erscheint dies im Bereich des durchschnittlichen finanziellen Schadens der genannten 210 schwersten Delikte, der von 4,43 Millionen Euro im Jahre 2005 auf 30,01 Millionen Euro im Jahr 2009 anstieg. Vgl. Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 13. Dies ist unter anderem auf die gehäufte mediale Aufarbeitung von Wirtschaftskriminalität zurückzuführen und wirkt aus Sicht der Autoren auf die Reputation von Unternehmen, beeinflusst damit also die immateriellen oder indirekten Schäden. Die indirekten Schäden aufgrund von Vermögensdelikten werden mittlerweile stärker wahrgenommen. Lediglich 28% (gegenüber 41% im Jahre 2007) der Unternehmen behaupten noch, von mittelbaren Folgen verschont geblieben zu sein. Vgl. S. 19 ebenda.

[5]

Dennoch gaben nur 22% der Unternehmen an, über eine Vertrauensschadensversicherung zu verfügen und lediglich 30% der Versicherungsnehmer gaben an, sie in Anspruch genommen zu haben. Allerdings könnte dies wiederum damit zusammenhängen, dass die konkreten wirtschaftskriminelle Vorfälle keinen, von der Versicherung abgedeckten, Schadensfall darstellten. Dies gaben 78% der Befragten als Grund für den fehlenden Ausgleich des Schadens durch die Versicherung an; vgl. im Einzelnen Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 14.

[6]

Vgl. die Aussagen aus der Branche „Industrielle Fertigung“ unter Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 23.

[7]

Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 24 f.

[8]

Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 30.

[9]

Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 33 ff.

[10]

Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 20.

[11]

In einem Vergleich zwischen Unternehmen wurde eine Senkung der Schädigungen um 10% der Unternehmen mit gegenüber denen ohne Compliance-Programmen festgestellt; vgl. Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 21.

[12]

Vgl. schon Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2007 – Sicherheitslage der deutschen Wirtschaft, S. 39 und Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 43.

[13]

Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 45.

[14]

So schon die Ergebnisse in Nestler/Salvenmoser/Bussman Wirtschaftskriminalität 2005 – Internationale und deutsche Ergebnisse, S. 4, 16 und nun Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 44.

[15]

Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2007 – Sicherheitslage der deutschen Wirtschaft, S. 39.

[16]

Nestler/Salvenmoser/Bussman Wirtschaftskriminalität 2005 – Internationale und deutsche Ergebnisse, S. 26.

[17]

Nestler/Salvenmoser/Bussman Wirtschaftskriminalität 2005 – Internationale und deutsche Ergebnisse, S. 26.

[18]

Siehe Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2007 – Sicherheitslage der deutschen Wirtschaft, S. 40 und zur Bewertung der hierdurch gewonnen Erkenntnisse Rn. 87 ff.

[19]

Gleichwohl ist aber, beispielsweise in Bezug auf Insidergeschäfte, festzustellen, dass trotz der angegebenen Unterstützung der Prävention durch Compliance-Beauftragte, nur 70% auf die Verhinderung von Insiderdelikten ausgerichtet ist; und dies trotz der in § 38 WpHG kodifizierten Pflicht, Insiderdelikte zu verhindern.

[20]

Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Schlussfolgerungen aus den Zeugenaussagen in der Siemens-Affaire, Rn. 155 ff.

[21]

Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 55.

[22]

Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 48.

[23]

Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2007 – Sicherheitslage der deutschen Wirtschaft, S. 45 f.

[24]

Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 54.

[25]

Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 17.

c) Forschungsprojekt: Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe

79

Diese 2010 erschienene qualitative Untersuchung der strukturellen Bedingungen von Wirtschaftskriminalität[1] stellt seit den Arbeiten von Sutherland, Clinard und Yeager sowie Braithwaite die erste umfassende Untersuchung von Wirtschaftskriminalität im Unternehmenskontext dar. Die auf den ersten Blick nahe liegende Annahme, es könne sich in erster Linie um eine Untersuchung von Kriminalität in einer politischen Umbruchssituation handeln, geht fehl. Vielmehr steht der, durch die Umbruchsituation bedingte, Aspekt der Privatisierung von mehr als 8000 Unternehmen der ehemaligen DDR und die hieraus resultierende Wirtschaftskriminalität im Mittelpunkt. Das Auftreten von Wirtschaftskriminalität wird von den Autoren im Hinblick auf generelle strukturtypische Bedingungen untersucht, wobei neben den (westlichen oder westlich strukturierten) Akteuren auf Verkäufer- und Käuferseite auch die Treuhandanstalt eine prominente Rolle spielt. Die Herangehensweise der Autoren ist maßgeblich von der grounded theory[2] geprägt, d. h. von einem Wechselspiel zwischen einem vor der empirischen Untersuchung festgelegten theoretischen Ansatz und den tatsächlichen Erhebungen. Es handelt sich also nicht um eine deduktive Methode, jedoch legten die Autoren schon zu Anfang die Rational-Choice-Theorie einerseits und die Systemtheorie andererseits als theoretischen Rahmen fest, um einerseits auf einen akteursorientierten Ansatz für die individuellen Täter zurückgreifen zu können und andererseits mithilfe der autopoietischen Systemtheorie die Besonderheiten der Unternehmensorganisation erfassen zu können. Diese theoriebezogene Ausgangsentscheidung führt zur Erfassung sowohl der Fälle mit individuellen Tätern als auch derer, in die das Unternehmen als Ganzes involviert war. Die Ergebnisse der Voruntersuchung und des theoretischen Grundgerüstes führten wiederum zu ersten Arbeitshypothesen, die das Erhebungsinstrumentarium beeinflussten und im Verlaufe der Untersuchung stets überprüft und gegebenenfalls abgeändert wurden; insofern ein induktiv-deduktives Wechselspiel.[3]

 

80

Das als Methode gewählte qualitative problemzentrierte Experteninterview wurde mit 74, in verschiedenen Privatisierungsprozessen bzw. Strafverfahren beteiligten Personen durchgeführt. Die Auswahl der Interviewpartner wurde maßgeblich durch eine Analyse der staatsanwaltschaftlichen Akten bzw. der Akten der Stabsstelle Recht der Treuhandstelle bestimmt.[4] Als „Experten“ wurden diejenigen bezeichnet, die aufgrund ihrer Einbindung in eine bestimmte Organisation oder organisationsbezogenen Agierens über spezifische Erfahrungen und Wissensbestände verfügen und somit institutionelle Handlungsabläufe und Entscheidungsprozesse beschreiben konnten.[5] Im Rahmen des „leitfadenorientierten Experteninterviews“ ging es den Autoren aber auch darum zu erkennen, welche individuellen und kollektiven Handlungs- und Verarbeitungsmuster gesellschaftlicher Realität existieren. Es wurde also nicht die Gesamtperson in ihrem individuellen und kollektiven Lebenszusammenhang betrachtet, sondern die institutionell-organisatorische Kohärenz, in der diese Person agiert, fokussiert.[6] Im Anschluss erfolgte ein Vergleich der devianten mit den nicht strafrechtlich auffälligen Privatisierungen.

81

Entsprechend des gewählten theoretischen Rahmen – die grounded theory, die eine perspektivlose Datenerhebung vermeidet – wird schon auf Ebene der Fragestellung und Definition differenziert: Wirtschaftskriminalität umfasst hiernach einerseits Berufliche Kriminalität und andererseits Unternehmenskriminalität.[7] Zentral für die Unterscheidung ist das Kriterium des Eigennutzes, zu dem die Berufliche Kriminalität begangen wird, wohingegen Unternehmenskriminalität Straftaten umfassen soll, die im Interesse eines legalen Unternehmens begangen werden.[8]

82

Hinsichtlich der Beruflichen Kriminalität stellen die Autoren heraus, dass die Entscheidung der individuellen Akteure für kriminelles Verhalten von der durch den Akteur vorgenommenen Definition der Situation abhängt. Kriminelles Verhalten wird dann als Handlungsoption wahrgenommen, wenn der Akteur keine legale Möglichkeit sieht, sein Ziel zu erreichen, bzw. die Wahl des legalen Weges höhere Kosten verursacht.[9] Die so erkannte Option wird dann in die Tat umgesetzt, wenn durch die strukturellen Bedingungen Gelegenheiten geschaffen werden und der Akteur gleichzeitig davon ausgehen kann, dass die Grenzüberschreitung aufgrund mangelnder Kontrolle nicht bemerkt oder nur gering bestraft wird. Im Hinblick auf die in der Studie für diesen Kriminalitätsbereich maßgeblichen Fälle der Treuhandniederlassung Halle und der Käufer des Wärmeanlagebaus Berlin wurde festgestellt, dass für die maßgeblichen Akteure die Maximierung des zu erzielenden finanziellen Gewinns im Vordergrund stand. Mangels entgegenstehender persönlicher Werte und Einstellungen wären die Strukturen die einzige Hürde, die deviantem Verhalten entgegengestanden hätten; in diesem Fall boten sie eine Tatgelegenheit. Das oben genannte Primat der schnellen Privatisierung ging mit großen, unkontrollierten Handlungsspielräumen einher. Neben der schnellen Vollziehung des Verkaufs der Unternehmen an Investoren wurden zwar auch Ziele wie Arbeitsplatzerhalt oder die Fortführung des Unternehmens sowie der Verkauf zum realen Unternehmenswert formuliert, jedoch wurde dem Ziel der schnellen Abwicklung eine Präferenz vor den anderen Zielen eingeräumt. Die Akteure folgerten hieraus, dass keine Kontrollen durch die Treuhandanstalt erfolgen würden, solange das „Hauptziel“ erreicht wurde. Im Fall der Privatisierung in Halle[10] konnte beispielsweise der Privatisierungsdirektor, der die Preise für die zu privatisierenden Unternehmen festlegte und die Verträge überprüfte, eine „Provision“ für die Verkaufsabwicklung verlangen. In der Folge etablierte sich ein gut funktionierendes Netz von, zum persönlichen Vorteil handelnden, Privatisierern, die Ausschreibungsbetrug in Verbindung mit Bestechung begingen.

83

Im Fall der Privatisierung des Wärmeanlagebaus Berlin[11] erfolgte die persönliche Bereicherung auf der „gegenüberliegenden Seite“; die Investoren höhlten das Unternehmen aus mit der Folge des Konkurses. Bereits vor dem Kauf wurden dem Unternehmen Geldmittel entzogen und in Form von „Beraterverträgen“ und überteuerten Ankäufen den Tätern zugeleitet. In der Folge wurde das Unternehmen als kaum liquide und marode evaluiert und dadurch deutlich unter Wert verkauft. Nach Übernahme durch die Chematec AG wurde das Unternehmen Wärmeanlagebau Berlin kontinuierlich ausgehöhlt, in seinem Eigentum befindliche Grundstücke unter Umgehung von vertraglich vereinbarten Spekulationsklauseln veräußert und letztlich 1995 der Insolvenz preisgegeben. Die Autoren der Studie folgern insbesondere aus der Untersuchung dieser Fälle, dass die Wahrscheinlichkeit nicht-konformen Verhaltens bei primär an hohem persönlichen Gewinn orientierten Tätern durch folgende Faktoren erhöht wird: (1) Geschäftsabwicklung innerhalb kurzer Zeit, (2) unzureichende Regelformulierung innerhalb der Organisation darüber, wie Geschäfte abzuwickeln sind, (3) ein Übermaß an Handlungsfreiräumen innerhalb der Organisation bei gleichzeitiger Vagheit der Zielvorgaben, (4) fehlende Kontrollinstanzen innerhalb der Organisation und (5) eine geringe Wahrscheinlichkeit strafrechtlicher Kontrolle.[12]

84

Hinsichtlich des zweiten untersuchten Aspekts, der Unternehmenskriminalität, wird herausgestellt, dass es keinen kausalen Zusammenhang zwischen Strukturen und den Entscheidungen von Organisationen, zu denen Unternehmen zu zählen sind, gibt.[13] Die systemtheoretische Herangehensweise der Autoren bestimmte Fragestellung und Schlussfolgerungen zu diesem Untersuchungsteil: da davon ausgegangen wurde, dass organisationsexterne Strukturen erst in Erwartungsstrukturen und damit organisationsinterne Strukturen zu verwandeln seien, bevor sie in die Entscheidung der Organisation einbezogen würden, konnte nicht danach gefragt werden, unter welchen strukturellen Bedingungen strafrechtliche Grenzen überschritten würden. Es wurde stattdessen untersucht, „welche unternehmensinternen Strukturen dazu führten, dass Umweltstrukturen in Erwartungsstrukturen umgewandelt wurden, die ein Operieren des Unternehmens jenseits strafrechtlicher Grenzen als funktional erscheinen ließen, bzw. wann Veränderungen der Umweltstrukturen die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens in einer Weise überforderten, dass unter dem Aspekt der Funktionalität Operationen vollzogen wurden, die als Unternehmenskriminalität zu bezeichnen waren.“[14] Diesbezüglich wurden drei Schnittstellen herausgearbeitet, an denen strukturelle Koppelungen stattfanden, nämlich zwischen dem politischen System und den Unternehmen, der Treuhandanstalt und den Unternehmen und schließlich dem Markt und den Unternehmen. Ein Vergleich der Privatisierungen des Waschmittelwerks Genthin an die Henkel KGaA und des Getriebewerkes Brandenburg an die Zahnradfabrik Friedrichshafen AG – beides Fälle ohne strafrechtlich relevante Übertretungen – mit den strafrechtlich relevanten Fällen der Thyssen Handelsunion AG[15] und der Privatisierung der ostdeutschen Werften an den Bremer Vulkan Verbund[16] ergab, dass an der ersten Schnittstelle Abhängigkeiten des Unternehmens vom politischen System einen kriminogenen Faktor darstellten: die nicht strafrechtlich relevanten Privatisierungen waren davon geprägt, dass die politischen Programme und die entsprechende Subventionierung zwar als Unterstützung des eigenen wirtschaftlichen Operierens wahrgenommen worden waren, die Unternehmen sich aber, im Hinblick auf die Erhaltung ihrer Zahlungsfähigkeit bzw. die Gewinnmaximierung, nicht davon abhängig gemacht haben. Im Fall Bremer Vulkan hingegen war die Übernahme ostdeutscher Werften allein auf die politischen Programme gegründet; wirtschaftliche Programme des Unternehmens wurden hierdurch ersetzt. Dadurch trat eine Abhängigkeit von dem politischen Programm ein, die durch eine zweite – die zugesagten Finanzhilfen des Bremer Senates – begleitet war. Das Unternehmen geriet – so die Schlussfolgerung der Autoren – in eine fortdauernde Reaktionsposition im Hinblick auf die Veränderungen, die das politische System vornahm und entwickelte im Vertrauen auf die Stabilität des politischen Programms keine Alternativprogramme.[17] Mit der Weigerung des Bremer Senates, weitere finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, kam es zu einem ernsten Liquiditätsengpass. Im Rahmen einer „Neuordnung der Finanzplanung“ wurden die Ostwerften in das bestehende Cash-Management-System – im Fall der Volkswerft Stralsund GmbH aufgrund einer Gesellschafterweisung – eingegliedert. Die Ostwerften, von denen die Liquidität des Konzerns insgesamt nun abhing, wurden schrittweise, unter Vorspiegelung jederzeitiger Rückzahlungsmöglichkeit, ausgehöhlt.

85

Auch im Fall Thyssen Handelsunion AG war eine Implementierung politischer Programme statt des bisher verfolgten wirtschaftliche Programms zu beobachten: von einem geplanten Joint Venture wurde Abstand genommen und stattdessen lukrative Unternehmensteile der zu privatisierenden Unternehmen verkauft und im Übrigen eine Abwicklung über die Treuhandanstalt vorgenommen. Mangels frühzeitiger und konsequenter Reaktion auf diese veränderte Privatisierungspolitik wurden immer gewagtere Bilanzierungspraktiken etabliert. Trotz später verstärkter Kontrolle durch das Finanzministerium, das der Thyssen Handelsunion AG eine fehlerhafte Rückstellung in der DM-Eröffnungsbilanz und eine willkürliche Abwicklung des Metallurgiehandels vorwarf, was zu großen Abwicklungsgewinnen und entsprechend hohen Honoraren geführt habe, wurde an der Bilanzierungspraxis nichts geändert. Dies führen die Autoren auf Instabilität oder Irrelevanz der Treuhandanstaltprogramme für diese Unternehmen zurück, d. h. entweder die Annahme der mangelnden Stabilität des politischen Programms oder die Annahme, Kontrollen könnten nicht intensiviert oder jedenfalls nicht in strafrechtlichen Umsetzungen münden.[18] Auch hier wird der Aspekt einer schnellen Privatisierung hervorgehoben, der zu der Annahme einer unzureichenden Kontrolle von außen geführt haben könnte. Außerdem wurde festgehalten, dass sowohl die Thyssen Handelsunion AG als auch der Bremer Vulkan Verbund keine Veränderung ihrer Unternehmensstruktur im Hinblick auf die enttäuschte Erwartung einer positiven Entwicklung auf dem osteuropäischen Markt vorgenommen hatten, während die nicht strafrechtlich auffälligen Henkel KGaA und Zahnradfabrik Friedrichshafen AG eine Verlagerung ihrer Produktion in die erworbenen ostdeutschen Unternehmen vornahmen.