Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?

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Anmerkungen

[1]

Lehmann und Mitarbeiter des Lehrstuhls Kriminologie der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR, Forschungsbericht, Erfordernisse und Möglichkeiten einer wirksamen Vorbeugung von schweren Angriffen gegen das sozialistische Eigentum im Zusammenhang mit Berufstätigkeit oder Funktionsausübung in der Wirtschaft, 1989, unveröffentlicht; hier zitiert aus Arnold in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 3 (27 ff.).

[2]

Vgl. hierzu ausführlich ab Rn. 104 ff.

[3]

§ 171 StGB-DDR, Falschmeldung und Vorteilserschleichung: „Wer als Staatsfunktionär, als Leiter oder leitender Mitarbeiter eines Wirtschaftsorgans oder Betriebes im Rahmen seiner Verantwortung wider besseren Wissens in Berichten, Meldungen oder Anträgen an Staats- oder Wirtschaftsorgane unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um 1. Straftaten oder erhebliche Mängel zu verdecken; 2. Genehmigungen oder Bestätigungen für wirtschaftlich bedeutende Vorhaben zu erlangen; 3. zum Nachteil der Volkswirtschaft erhebliche ungerechtfertigte wirtschaftliche Vorteile für Betriebe oder Dienstbereiche zu erwirken, wird mit öffentlichem Tadel, Geldstrafe, Verurteilung auf Bewährung oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft.“

[4]

Vgl. S. 142 des Forschungsberichts; siehe Arnold in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 3 (27).

[5]

Siehe hierzu Arnold in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 3 (28).

[6]

Arnold in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 3 (29).

[7]

Arnold in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 3 (29).

[8]

Die auch – mit einem geringeren Stellenwert ausgezeichneten – objektiven Kriterien „räumliche und zeitliche Unmöglichkeit der Anforderungssituation zu entsprechen“ oder die komplizierte Ausgangssituation wegen des Mangels an technischen Mitteln und Fachkräften ist für die vorliegende Arbeit weniger von Interesse, weil sie mit der Ausgangssituation in der DDR zusammenhängt.

[9]

Insgesamt wurden 1553 Untersuchungsverfahren, welche Verstöße im Hinblick auf Informationspflichten, Arbeitsschutzvorschriften, Wettbewerbsrecht, Steuergesetze, Umweltstandards und Korruptionsvorschriften untersucht. Vgl. Clinard/Yeager Corporate Crime, S. 110 ff.

[10]

52% der gegenüber insgesamt 300 Unternehmen eröffneten Verfahren konzentrierten sich auf nur 38 Unternehmen; Clinard/Yeager Corporate Crime, S. 116.

[11]

Die Hälfte der Sanktionen richtete sich auf die 38 „Intensivtäter“; Clinard/Yeager Corporate Crime, S. 123.

[12]

Clinard/Yeager Corporate Crime, S. 122 f.

[13]

Clinard/Yeager Corporate Crime, S. 127.

[14]

Braithwaite Corporate Crime in the pharmaceutical industry.

[15]

Vgl. das Kapitel Fiddling in: Braithwaite, Corporate Crime in the pharmaceutical industry, S. 279 ff.

[16]

Braithwaite Corporate Crime in the pharmaceutical industry, S. 34, 101, 308, 324 f.

[17]

Ein Begriff, der damals lediglich die Kriminalität im Bereich der Marktwirtschaft meinte und keine Definition dieser neuentdeckten Kriminalitätsform darstellen sollte. Siehe z. B. Sutherland in: Kriminalsoziologie, S. 187 (187 ff.) oder Aubert in: Kriminalsoziologie, S. 201 (201 ff.).

[18]

Die Vorträge von Edwin Hill (1872) über die „Kriminellen Kapitalisten“ oder Edward Ross über den „Kriminaloiden“ (1907); Schneider Handwörterbuch der Kriminologie, S. 656, sowie laut der Ausführungen von Horoszowski Economic Special-Opportunity Conduct and Crime, S. 3 ff. auch Albert Morris in „Criminology“, New York 1935.

[19]

Schneider Handwörterbuch der Kriminologie, S. 657.

[20]

Durch den Nachweis von Wirtschaftskriminalität sollte Sutherlands Theorie der differenziellen Kontakte als „General Crime Theory“ untermauert werden und damit argumentativ gegen die vorherrschenden Ansätze angegangen werden, die lediglich die Kriminalität der Unterschicht erklärten; vgl. Sutherland White Collar Crime – The uncut version, S. 5 ff.

[21]

Von 778 Strafrechtsverstößen im betrachteten Zeitraum hatten nur 158 eine strafgerichtliche Entscheidung zur Folge; Sutherland White Collar Crime – The uncut version, S. 52 f. Vgl. zu den Folgen dieser Beobachtung, die beispielsweise darin bestanden, dass Sutherland das Kriterium der „Straftat“ zur Bestimmung von Wirtschaftskriminalität ablehnte Sack/König Kriminalsoziologie, S. 192 und im Folgenden Rn. 104 ff.

[22]

Sutherland in: Kriminalsoziologie, S. 187 (187).

[23]

Ausgehend von den Räuberbaronen des 19. Jahrhunderts, versuchte Sutherland in seinem ersten Aufsatz (Sutherland American Sociological Review 1940, 1) zu demonstrieren, dass Wirtschaftskriminalität ein Faktum ist, welches zwar dem traditionellen Image des Verbrechers als „der andere“ widerspricht, jedoch immer wieder durch Nachforschungen bei Katasterämtern, Eisenbahnen, Versicherungen, in der Kriegsindustrie u. a. nachgewiesen wurde. Er illustrierte sogar anhand von Beispielen, wie sehr das gesellschaftliche Bewusstsein Ende des 19. Jahrhunderts dafür geschärft war, ohne dass hieraus irgendeine kriminalsoziologische Konsequenz resultierte.

[24]

Sack/König Kriminalsoziologie, S. 189.

[25]

Friedrichs Methoden empirscher Sozialforschung, S. 248 ff., 254 f., 388 ff.

2. Forschungsberichte zur Wirtschaftskriminalität

54

Die sich zunächst aufdrängende Grundlage empirischer Erkenntnisse, die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), sieht sich bezüglich ihres Aussagewertes – insbesondere im Bereich der Wirtschaftskriminalität – grundsätzlichen Bedenken ausgesetzt,[1] die zum einen auf das große nicht erfasste Dunkelfeld und zum anderen auf menschliche Schwächen bei Erstellung dieser Statistik zurückzuführen sind. Allein auf polizeilicher Ebene gibt es derart unterschiedliche und wenig aufeinander abgestimmte Erfassungsmodalitäten, dass von einem verlässlichen oder gar klaren Bild, das durch die PKS gezeichnet werden könnte, nicht auszugehen ist. Unabhängig von der PKS werden allerdings vom Bundeskriminalamt jedes Jahr sogenannte Bundeslagebilder zur Wirtschaftskriminalität herausgegeben, welche auf Grundlage der PKS und den „Richtlinien über den kriminalpolizeilichen Nachrichtenaustausch bei Wirtschaftsdelikten“ (KPMD) die Erkenntnisse zum Bereich der Wirtschaftskriminalität in gestraffter Form wiedergeben. Der Abgleich mit den Erkenntnissen des polizeilichen Meldedienstes soll Verzerrungen in der Darstellung der einzelnen Berichtsjahre der PKS minimieren, die zum Beispiel durch lange Verfahrensdauern ausgelöst werden können.[2] Zudem wird im Folgenden auf den zweiten Periodischen Sicherheitsbericht aus dem Jahr 2006 zurückgegriffen werden. Der Periodische Sicherheitsbericht (PSB) ist eine von den Bundesministerien der Justiz und des Inneren vorgelegte Analyse des durch die PKS und die Strafrechtspflegestatistiken gewonnen Datenmaterials. Sie beschränkt sich also nicht auf die Wiedergabe des Datenmaterials, sondern stellt auch eine systematische Aufarbeitung unter kriminologischen, soziologischen, rechtswissenschaftlichen und statistischen Aspekten dar. Neben einer Zusammenfassung der Erkenntnisse aus den amtlichen Datensammlungen wird auch eine Verknüpfung mit den Ergebnissen wissenschaftlicher Untersuchungen zu Erscheinungsformen und Ursachen von Kriminalität und ein Abgleich mit den verwendeten Daten aller Bundesländern vorgenommen. Die Untersuchung ist geographisch auf Deutschland und zeitlich auf die Kriminalitätsentwicklung seit 1999 konzentriert.

 

Anmerkungen

[1]

Siehe hierzu umfassend Bannenberg Korruption, S. 51 ff.

[2]

BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 222.

a) Staatliche Studien zur Wirtschaftskriminalität

55

Ziel der Erstellung des Bundeslagebildes Wirtschaftskriminalität ist eine möglichst exakte Wiedergabe des Hellfeldes der Wirtschaftskriminalität, das Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten zur Bekämpfung der einzelnen Phänomene in diesem Bereich und ein prognostischer Ausblick in die zukünftige Entwicklung dieses Deliktsbereichs.[1] Da es in Deutschland zur Beschreibung des Oberbegriffs „Wirtschaftskriminalität“ keine Legaldefinition gibt, wird bei der Zuordnung von Straftaten auf den Katalog des § 74c Abs. 1 Nr. 1–6b GVG zurückgegriffen.[2] Hiernach ist eine Wirtschaftsstraftat zu bejahen, wenn sie zum einen in den Zuständigkeitsbereich der Wirtschaftsstrafkammer nach § 74c Abs. 1 Nr. 1–6 GVG fällt und zum anderen im Rahmen tatsächlicher oder vorgetäuschter wirtschaftlicher Betätigung begangen wird und über eine Schädigung des Einzelnen hinaus das Wirtschaftsleben beeinträchtigen oder die Allgemeinheit schädigen kann; als zusätzliches Kriterium dient, dass ihre Aufklärung – wahlweise oder kumulativ – besondere kaufmännische Kenntnisse erfordert. Bei einigen der aufgeführten Straftatbestände, wie z. B. Vergehen nach dem Bank-, Depot- oder Börsengesetz, wird die Qualität eines Wirtschaftsdelikts unwiderlegbar vermutet. Bei anderen wiederum (z. B. Betrug oder Untreue) wird sie nur angenommen, „soweit zur Beurteilung des Falles besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind“ (§ 74c Abs. 1 Nr. 6 GVG).[3]

Anmerkungen

[1]

Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2004, S. 6.

[2]

Ergänzend hierzu orientiert sich das Bundeslagebild an der Auslegung der AG Kripo gemäß der „Richtlinien für die Analyse und Erfassung polizeilicher Vorgänge“ vom 14.12.1994.

[3]

Diese Konzeption wird von Teilen der Literatur grundsätzlich kritisiert (z. B. Otto MschrKrim 1980, 397 (399)). Einerseits ermöglicht sie zwar die Bildung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften und verhindert eine uferlose Ausdehnung der Wirtschaftsdelikte als „allen sozialschädlichen Verhaltensweisen, die das Vertrauen in die geltende Wirtschaftsordnung gefährden“, andererseits führt diese Definition auch zum Ausschluss geradezu typischer Delikte. Z. B. werden die durch das 2. WiKG vom 15.5.1986, BGBl. I, S. 721 eingeführten Straftatbestände, wie etwa die Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) oder die Computerstraftaten (§§ 202a, 263a, 269, 270, 303a, 303b StGB – Ausnahme: Computerbetrug) nicht erfasst. Eine Begrenzung des Begriffs auf diesen Deliktskatalog ist also einerseits zu eng und andererseits ist diese Definition auch insofern zu weit gefasst, als sie die sehr allgemeinen Tatbestände des Betruges, der Untreue, des Wuchers, der Vorteilsgewährung und der Bestechung mit einbezieht. So auch Heinz in: Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht in einem Europa auf dem Weg zu Demokratie und Privatisierung, S. 13 (19).

aa) Statistische Eckpunkte: Fallzahlen, Tatverdächtige, Schaden

56

Von den 6.054.330 im Jahre 2009 bekannt gewordenen Straftaten sind gemäß PKS 101.340 Fälle, also 1,6%, in der Wirtschaftskriminalität zu verorten. Die Fallzahlen stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 19,9% (16.790 Fälle).[1] Dieser Anstieg der Wirtschaftsstraftaten ist bei genauerer Betrachtung auf den Anstieg der Betrugs- und Untreuestraftaten zurückzuführen.[2] Im Bereich des Kapitalanlagebetrugs wurde 2009 sogar eine Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr verzeichnet, was jedoch im Wesentlichen auf Großverfahren in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Sachsen zurückzuführen ist. Die dabei registrierten Schäden beliefen sich auf 418 Millionen Euro, was einen Anstieg von 57% gegenüber dem Vorjahr bedeutet.[3] Die Autoren der Studie nehmen diesbezüglich an, dass im Zuge der Medienberichterstattung zur Finanzkrise das Anzeigeverhalten der Geschädigten – beispielsweise durch gezielte Unterrichtung und Werbung von Verbraucherschutzorganisationen für Strafanzeigen gegen Vermittler – beeinflusst wurde und es sich daher um eine Aufhellung des Dunkelfelds und nicht um einen tatsächlichen Anstieg der Delikte handelt.[4] Diese Annahme scheint insofern plausibel als die übrigen Betrugsdelikte, beispielsweile im Bereich Kreditbetrug und Kreditvermittlungsbetrug, rückläufig sind.[5] Der starke Einfluss des Betrugs im Allgemeinen auf die Wirtschaftskriminalität ist nicht außergewöhnlich, sondern spiegelt die seit Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts festgestellte Dominanz des Betrugstatbestands innerhalb der polizeilich registrierten Fälle; im Durchschnitt 60% aller Fälle von Wirtschaftskriminalität.[6] Insgesamt ist eine rückläufige Tendenz der Betrugskriminalität im wirtschaftsstrafrechtlichen Bereich, insbesondere was „Wirtschaftskriminalität im Anlage- und Finanzierungsbereich“ und „Betrug und Untreue im Zusammenhang mit Beteiligungen und Kapitalanlagen“ betrifft, zu verzeichnen.

Bemerkenswert ist weiter ein Rückgang[7] der Wettbewerbsdelikte bei Anstieg der registrierten Schäden auf 29 Millionen Euro im Vergleich zu 6 Millionen Euro in 2008. Dies bedeutet eine erhebliche Steigerung des durchschnittlichen Schadens pro Delikt.[8] Demgegenüber weisen andere Hauptgruppen,[9] wie Produkt- und Markenpiraterie oder Subventionsbetrug, eine rückläufige Tendenz auf. Hingegen ist im Bereich des Verrats von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und sonstigen Straftaten nach dem UWG ein leichter Anstieg erkennbar.[10]

57

Insolvenzstraftaten stellen den ersten, klar mit Unternehmen in Verbindung zu bringenden Bereich dar und umfassen den Deliktsbereich der §§ 283 ff. StGB sowie die Insolvenzverschleppung (§ 84 GmbHG, §§ 130, 170a HGB). Die Entwicklung dieses Bereichs der Wirtschaftskriminalität ist weitgehend abhängig von der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung[11] und seit 1994 – aufgrund der erhöhten Zahl der Unternehmensinsolvenzen – in einer steigenden Entwicklung begriffen.[12] Im Vergleich zum Vorjahr sind sie 2009 mit 11.309 (2008: 11.186) nur minimal angestiegen und verursachten dabei jedoch weniger Schaden.[13] Anknüpfungspunkt der Delikte sind in der Hauptsache die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen, das Vorenthalten von Löhnen und Gehältern sowie die Hinterziehung von Steuern. Auch die „Wirtschaftskriminalität im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen“, worunter der Arbeitsvermittlungsbetrug, der Betrug zum Nachteil von Sozialversicherungen und Sozialversicherungsträgern (§ 263 StGB), das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) sowie Delikte im Zusammenhang mit illegaler Arbeitnehmerüberlassung (§§ 15, 15a AÜG, §§ 9–11 SchwarzArbG) gefasst werden, weist einen Unternehmensbezug auf. In diesem Bereich wird eine starke Dominanz des § 266a StGB festgestellt (97% aller in dieser Gruppe zusammengefassten Fälle entfielen 2005 auf das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt).[14]

58

Das Bundeslagebildes Wirtschaftskriminalität gibt nur wenige Informationen zu den Tatverdächtigen, sodass letztlich kaum eine Täterstruktur ableitbar ist. Es wurden im Jahr 2009 insgesamt 35.801 Tatverdächtige erfasst, von denen 17,3% nichtdeutsche Tatverdächtige waren.[15] Der zweite PSB weist demgegenüber schon kriminologische Befunde zur Person des Wirtschaftsstraftäters auf. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass aufgrund der in Deutschland fehlenden Unternehmensstrafbarkeit als „Täter“ nur natürliche Personen in Betracht gezogen werden können. Diese seien meist gut ausgebildete Angehörige der oberen und mittleren Mittelschicht mit Berufspositionen, die entsprechende Tatgelegenheiten gäben. Die Unterschiede im Sozialprofil der Täter seien gering und manifestierten sich v. a. in der Fähigkeit zur Selbstkontrolle in Verbindung mit der Stärke des Selbstbewusstseins, den Neigungen zur Rücksichtslosigkeit und dem Bedürfnis, die Konkurrenz mit anderen Wirtschaftsteilnehmern für sich zu entscheiden.[16] Auffallend seien in der Vorgehensweise dieser Täter die Rechtfertigungsstrategien für die begangenen Taten, die sie meist als im betrieblichen Interesse liegend deuten; desweiteren die daraus resultierende fehlende Unrechtseinsicht.

59

Der registrierte Gesamtschaden aller mit Schadenssummen erfassten Delikte betrug im Jahr 2009 rund 7,2 Milliarden Euro. Allein 3,43 Milliarden Euro, also fast 50% der Gesamtschadenssumme, waren der Wirtschaftskriminalität zuzuordnen.[17] Die Gesamtschadenshöhe ist etwas geringer als in den Jahren 2005 bis 2007 und gegenüber dem Jahr 2008 stabil.[18] Allerdings ist zu berücksichtigen, dass diese Schadenssumme trotz eines Absinkens der Gesamtfallzahlen entstanden ist. Weiter werden beispielhaft immateriellen Schäden durch das Bundeslagebild festgestellt, wie Wettbewerbsverzerrungen, Wettbewerbsvorsprünge, gesundheitliche Gefährdungen und Schädigungen Einzelner als Folge von Verstößen gegen das Lebens- und Arzneimittelgesetz, gegen das Arbeitsschutzrecht, das Umweltstrafrecht und gegen Markenrechte, Reputationsverluste und Vertrauensverluste in die Funktionsfähigkeit der bestehenden Wirtschaftsordnung. [19]

60

Diesen Eindruck bestätigt auch der zweite PSB, der die immateriellen Schäden, im Vergleich zu den materiellen Schäden, als gravierender eingeschätzt. Eine „Ansteckungs- und Sogwirkung“ wird befürchtet, die von Wettbewerbsdelikten dazu führen könnte, dass Wettbewerbsvorsprünge unlauterer Konkurrenten nur mit ähnlichen wettbewerbsverzerrenden Handlungen aufzuholen seien oder zumindest ein entsprechender Eindruck bei den Marktteilnehmer entsteht. Auch wird auf die Möglichkeit so genannter „Begleitkriminalität“ hingewiesen, also solcher Handlungen von Dritten, die Wirtschaftsstraftaten ermöglichen oder unterstützen, wie z. B. Urkundenfälschungen. Diese speziellen Arten von „Kettenreaktionen“ und auch ihre allgemeine Ausprägung wie beispielsweise, dass auch die Geschäftspartner – infolge finanzieller Abhängigkeiten – mitgerissen werden, die an den kriminellen Handlungen keinen unmittelbaren Anteil hatten, sind die immateriellen Schäden, die deutlich erkennbar gelten. Der empirische Nachweis hierüber steht jedoch aus. Insbesondere die allgemein befürchtete Folge, mit der Wirtschaftskriminalität schwinde bei Beteiligten und Verbrauchern das „Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der geltenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung“ und in die Redlichkeit einzelner Berufs- und Handelszweige, ist eine kaum bezifferbare Folge.[20]

Anmerkungen

[1]

Siehe hierzu Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 5. Im Vorjahr betrug der Anteil der Wirtschaftskriminalität an den insgesamt polizeilich bekannt gewordenen Straftaten 1,4%.

[2]

Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 7, 10 ff.

[3]

Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 10.

[4]

Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 17.

[5]

Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 10.

[6]

BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 224.

[7]

Im Jahr 2009 wurden in der PKS 3.982 Wettbewerbsdelikte registriert. Nach einem kontinuierlichen Anstieg bis 2007 ist nun ein Abfall um (-22,5%) zu verzeichnen.

 

[8]

Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 13.

[9]

Diese werden nach der Definition der KPMD ebenfalls unter Wettbewerbsdelikte gefasst.

[10]

Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 13.

[11]

BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 228.

[12]

Von 1994 bis 2005 hat sich die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen fast verdoppelt; siehe http://www.destatis.de/indicators/d/lrins01ad.htm.

[13]

Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 5, 7.

[14]

BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 229.

[15]

Der Anteil der Nichtdeutschen im Bereich der Wirtschaftskriminalität ist damit etwas niedriger als deren Anteil an den Gesamtstraftaten (21,1%).

[16]

Vgl. BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 233.

[17]

Hierbei ist in Rechnung zu stellen, dass als Schaden grundsätzlich der Geldwert des rechtswidrig erlangten Gutes bzw. bei Vermögensdelikten die Wertminderung des Vermögens gewertet wird. Die so erfassten Schäden vollendeter Delikte – denn nur die Schäden vollendeter Delitkte werden in der PKS erfasst – werden weiter auch dann erfasst, wenn die Vermögensverschiebung sofort wieder rückgängig gemacht wurde. Vgl. zu diesem Zusammenhang BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 229, 231.

[18]

Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 6.

[19]

Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 7 f.

[20]

Vgl. BMI/BMJ 2. Periodischer Sicherheitsbericht, S. 232 und Bundeskriminalamt Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2009, S. 7, wonach grundsätzlich Schäden dieser Art statistisch kaum zu erfassen sind und diesbezügliche Schätzungen stark voneinander abweichen.