Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?

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Anmerkungen

[1]

Vgl. zu dieser Perspektive ausführlich die Arbeit von Pierenkemper Unternehmensgeschichte.

[2]

Waldkirch Unternehmen und Gesellschaft, S. 26.

[3]

Als Faktorleistungen werden Produktionsfaktoren wie Arbeit, Kapital (hier ist auch Boden enthalten) sowie Wissen/Know-how bezeichnet, die von privaten Haushalten zur Verfügung gestellt und von Unternehmen zur Produktion von Gütern verwendet werden. Unternehmen bieten den Eigentümern spezifischer Ressourcen Schutz vor Ausbeutung durch opportunistisches Verhalten der in der Produktion kooperierenden Faktoreigner, denn die in der arbeitsteiligen Produktion eingesetzten spezifischen Produktionsfaktoren hängen in ihrem Wert auch davon ab, dass sie langfristig mit spezifischen Faktoren kooperieren. Die Spezifizität dieser Faktoren bedeutet nämlich, dass sie für den Einsatz zu anderen Zwecken wenig geeignet sind und somit zu sunk costs führen, wenn sie nicht langfristig auf eine spezifische Weise eingesetzt werden. Könnten die selbstständigen Kooperationspartner den Preis für diese Faktorleistung beliebig senken, könnten die Ressourceneigner nicht auf ihre vollen Kosten kommen. Wichtig ist also, sich zu vergegenwärtigen, dass das Unternehmen trotz seiner theoretisch kontraktualistischen Ausgangsstruktur die unabhängige Abschlussfreiheit des Marktes gerade nicht aufweist, sondern hier – wie bei anderen Formen der langfristigen Vertragsbindung – das Phänomen der „asset specifity“ auftaucht. Die „Partner“ tätigen durch ihre Entscheidung, miteinander zu kooperieren, auch Investitionen, die sie im weiteren Verlauf der Beziehung durch die davon versprochenen Vorteile realisieren wollen und die sie daran hindern, sich ohne Weiteres einen anderen Partner zu suchen. Köndgen vergleicht diese Situation beispielsweise mit der eines Kreditkunden, der zu Anfang auch nicht nur eine Bearbeitungsgebühr an die Bank zahlt, sondern auch erhebliche Notar- und Grundbuchgebühren für die Eintragung von Grundpfandrechten bezahlt und daher gerade nicht einfach zu einer anderen Kreditbank wechseln kann; Köndgen in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 128 (139, 145).

Teil 1 Interdisziplinäre Grundlagen der Unternehmenskriminalität › C. „Unternehmenskriminalität“ – Konstruktion eines Begriffs

C. „Unternehmenskriminalität“ – Konstruktion eines Begriffs

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Der Begriff Unternehmenskriminalität tauchte Anfang der 1970er Jahren in der deutschen kriminologischen Diskussion auf und wird synonym mit seinem amerikanischen Korrelat Corporate Crime, der Kriminalität von Führungskräften, der „Verbandskriminalität“[1] und der „Betriebskriminalität“ verwendet.[2] Der Begriff lässt mehrere – grundverschiedene – Hypothesen zu, die je nach Forschungsansatz im Vordergrund stehen.

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Empirische Daten werden vorwiegend im Zusammenhang mit dem Unternehmen als Opfer erhoben.[3] In der kriminalpolitischen Diskussion hingegen wird ein gegenteiliger Eindruck vermittelt: dass nämlich Unternehmen „an sich“ als kriminogenes Phänomen anzusehen sind, da ein Großteil der Wirtschaftskriminalität „unter dem Mantel einer handelsrechtlichen Gesellschaft“ begangen würde.[4] Beide Hypothesen lenken den Blick auf wichtige Aspekte: die Abhängigkeit des Unternehmens von seinen Mitarbeitern und den Einfluss des Unternehmens auf die Mitarbeiter; beide Aspekte sind also anhand von Beobachtungen zu prüfen.[5]

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Dies setzt zunächst eine Auseinandersetzung mit den empirischen Grundlagen voraus. Das darin gesammelte Erfahrungswissen soll in einem nächsten Schritt mit theoretischen Positionen, insbesondere in wirtschaftskriminologischen Theorien, der Systemtheorie und neueren Ansätzen der Managementforschung, abgeglichen werden und nach kohärenten Schlüssen gesucht werden. Der Ertrag aus dieser Untersuchung soll keine Wahrheit[6] darstellen, denn bei der kriminologischen Herangehensweise gilt, dass die Beobachtung der Sozialwelt nicht von einem externen objektiven Standpunkt erfolgt. Die kriminologische Perspektive ist durch die Anknüpfung an das normative Programm des Strafrechts,[7] um abweichendes Verhalten beschreiben zu können, stets auch eine, die innerhalb der beobachteten Welt angesiedelt ist. Es geht im folgenden Kapitel also „nur“ um die begriffliche Frage, die doch von so zentraler Bedeutung ist, da es letztlich die Begriffe sind, die uns erlauben, die Welt aus einer bestimmten Perspektive wahrzunehmen.[8]

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Die besondere Schwierigkeit einer konsistenten Grenzziehung liegt nicht nur in den divergierenden erkenntnisleitenden Hypothesen, sondern auch in der hier wieder aktuell werdenden, „alten“ kriminologischen Frage der Unterscheidung zwischen delicta mala mere prohibita und delicta mala per se.[9] Der graue Bereich wirtschaftlicher Grenzmoral, in dem es „Unehrenhaftigkeiten“[10] und Unsicherheiten darüber gibt, „was für den einen noch legale Geschäftstüchtigkeit“ ist und „für den anderen bereits Betrug“,[11] bleibt schwer greifbar. Die begriffliche Fixierung von Konformität und abweichendem Verhalten enthält zwangsläufig einen relativen Aspekt.[12] Wie eingangs erwähnt: Unternehmenskriminalität ist ein Phänomen, das in besonderer Weise mit allgemeineren Elementen der Sozialstruktur verknüpft ist.[13] Zieht man Unternehmenskriminalität gar als Feld der Kriminalität der Mächtigen in Erwägung, stellt sich auch Sutherlands sozialkritische Frage nach der Einbeziehung strafloser, aber strafwürdiger Sachverhalte neu.[14] Dahinter steht letztlich der Gedanke, dass bestimmte Sachverhalte nicht pönalisiert werden, weil „die Mächtigen“ Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess nehmen.[15] Die Einbeziehung von „noch nicht Strafbarem“ – wie sie der kriminalsoziologischen Herangehensweise[16] eigen ist – kann also dazu beitragen die Zwischenschritte von illegitim über illegal zu pönalisiert transparent zu machen.[17] Dies ist auch deshalb wichtig, als Wells zu Recht bemerkt, dass auch eine neutralisierende Sprache dazu führt, dass etwas als „Unfall“, „Panne“ und nicht als Verbrechen bzw. „real crime“ bezeichnet wird; mit entsprechenden Konsequenzen für die strafrechtliche Haftung.[18]

Anmerkungen

[1]

Im früheren deutschen Schrifttum findet sich häufig der Begriff „Verbandskriminalität“, der nach Busch die kriminelle Handlung eines als Verbandsvertreter Handelnden bezeichnet, in der Absicht die Interessen des Verbandes zu wahren und dies unter Ausnutzung der Verbandsmacht. Siehe hierzu Busch Grundfragen, S. 206 und ausführlich Müller Die Stellung der juristischen Person im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 4 ff. Im Kern sich anschließend, jedoch etwas differenzierter, versteht Schmitt unter Verbandskriminalität „die Summe der Individualdelikte, die von Tätern im Verbandsbereich unter Ausnutzung der Verbandsmacht im Interesse des Verbands begangen werden, sofern diese Delikte nicht aus dem Rahmen der Verbandstätigkeit fallen“; Schmitt Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 137.

[2]

Vgl. diesbezüglich auch die Beobachtungen von Schroth Unternehmen als Normadressaten, S. 6. Im Zusammenhang mit der Kriminalität von Führungskräften vgl. Schünemann Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 5 und Schünemann wistra 1982, 41 (41 ff.) Zum Begriff im Allgemeinen Kaiser Kriminologie, S. 772 ff. und Tiedemann in: Multinationale Unternehmen und Strafrecht, S. 1 (3), sowie unter der Bezeichnung Corporate Crime: Clinard Corporate ethics and crime, S. 12 m. w. N.

[3]

Vgl. beispielsweise die empirischen Erkenntnisse ab Rn. 66.

[4]

So beispielsweise der Entschließungsantrag des Landes Hessen (BR-Drucks. 690/98 unter I), das sich auf eine Untersuchung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht aus dem Jahr 1984 beruft. Dies ist jedoch ein Fehlzitat, vgl. Liebl Erfassung von Wirtschaftsstraftaten, S. 135. Hierauf macht König in: Verbandsstrafe, S. 39 (46) aufmerksam und weist auf die zurückhaltendere Formulierung der „im Zusammenhang mit dem Unternehmen begangenen Straftaten“ in der Untersuchung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht aus dem Jahr 1984 hin. Dies entspricht auch dem Begriffsverständnis Schünemanns: er stellt auf strafwürdige Sachverhalte, die im Zusammenhang mit der Unternehmenstätigkeit auftreten; vgl. nur Schünemann Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 5 ff. m. w. N. Er legt einen gänzlich anderen, nämlich nicht-individuellen, Schwerpunkt in seiner Definition von Unternehmenskriminalität, die nicht durch die Ausnutzung der Verbandsmacht seitens des Täters, sondern umgekehrt durch die Beeinflussung des Täters seitens der Verbandsmacht charakterisiert ist. Schünemann bezeichnet „das abweichende Verhalten im Dienste eines Unternehmens“ als Unternehmenskriminalität (vgl. S. 14, 106).

 

[5]

Vgl. zu dieser wissenschaftstheoretischen Herangehensweise Carrier Wissenschaftstheorie zur Einführung, S. 58 ff.

[6]

„Jeder, der behauptet, die Wahrheit zu kennen, teilt nur mit, dass er sein Denkschema nicht reflektiert hat.“ Luhmann Short Cuts, S. 134.

[7]

Die offizielle Zuschreibung von Kriminalität erfolgt generell-abstrakt durch das Strafrecht. Vgl. Kunz Kriminologie, S. 3 f., der ausführt „Was macht kriminelles Verhalten aus, wenn nicht seine Ausweisung als Rechtsbruch?“ (S. 4) Vgl. auch Hess KrimJ 1976, 1 (12). Das Abstellen auf den Bruch allgemeiner oder international anerkannter Rechtsgrundsätze entspricht ebenfalls einer Orientierung am positiven Recht, da es sich hierbei auch um verbindliche Normen handelt. Vgl. insofern die Differenzierung von Reese Großverbrechen und kriminologische Konzepte, S. 92 m. w. N.

[8]

Neuhäuser Unternehmen als moralische Akteure, S. 23.

[9]

Zu diesen Begriffen und dem Ringen um einen natürlichen bzw. materiellen Verbrechensbegriff vgl. Garofalo Criminologia, 1885/1968, S. 4 ff. Die Frage danach, was Kriminalität im Kern – und jenseits der normativen Zuschreibung – bedeutet kann hier nicht beantwortet werden. Einen kritischen Überblick hierzu gibt Hassemer Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 19 ff. und im Kontext der Kriminalität der Mächtigen Reese Großverbrechen und kriminologische Konzepte, S. 92 ff. – beide mit umfangreichen Nachweisen. Teilweise wird davon ausgegangen, dass diese Unterscheidung wissenschaftstheoretisch der Vergangenheit angehört; vgl. Lüderssen in: Die Handlungsfreiheit des Unternehmers, S. 21 (21).

[10]

Vgl. die Ausführungen ab Rn. 106.

[11]

Kunz Kriminologie, S. 3.

[12]

Vgl. hierzu auch Parsons in: Kriminalsoziologie, S. 9 (10 f.).

[13]

Aubert in: Kriminalsoziologie, S. 201 (203 ff.).

[14]

Vgl. hierzu Rn. 104 ff.

[15]

Angesichts des Personalaustauschprogramms Seitenwechsel der Bundesregierung aus dem Jahre 2004 mag man zugestehen, dass der Gedanke nicht völlig abwegig erscheint. Vgl. hierzu http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Magazine/emags/economy/2006/038/t-2-seitenwechsel-schreibtisch-tauschen.html; sowie kritisch aus journalistischer Sicht: Adamek/Otto Der gekaufte Staat.

[16]

Zum Gegenstandsbereich kriminalsoziologischer Forschung, und von Sutherland als „social injurious“ bezeichnet, gehören neben strafrechtlichen und ordnungswidrigkeitensrechtlichen Tatbeständen zudem solche Verhaltensweisen, die von anderen Normen als den in Strafgesetzen fixierten abweichen. Vgl. hierzu Opp Abweichendes Verhalten und Gesellschaftsstruktur, S. 9 ff., 52 ff.; Jung Kriminalsoziologie, S. 13; Kaiser Kriminologie, S. 317 ff., sowie die Ausführungen zu Sutherland ab Rn. 104.

[17]

Reese Großverbrechen und kriminologische Konzepte, S. 99.

[18]

Vgl. Wells Corporations and Criminal Responsibility, S. 67 mit dem Hinweis, dass es manchmal keine bloße Nichtbeachtung von Vorschriften, sondern ein handfester Totschlag sein kann.

Teil 1 Interdisziplinäre Grundlagen der Unternehmenskriminalität › C › I. Empirische Grundlagen

I. Empirische Grundlagen

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Als „Studie zur Unternehmenskriminalität“ werden – abgesehen von einer jüngsten Ausnahme[1] – Berichte von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften[2] bezeichnet,[3] die empirische Erkenntnisse in Bezug auf eine Opferstellung des Unternehmens gewinnen und die Unternehmensbefragungen auf das Feld der Wirtschaftskriminalität im Allgemeinen ausdehnen; im Übrigen bleibt dieses „eigentliche Objekt des Strafrechts“[4] empirisch bemerkenswert unterbelichtet.[5]

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Die allgemeineren Studien sind gleichwohl von Interesse, weil das Auftreten von Wirtschaftskriminalität im Zusammenhang bzw. innerhalb des Unternehmens thematisiert wird, jedoch soll der Fokus keinesfalls auf die Begehung von Straftaten zum Nachteil von Unternehmen[6] begrenzt werden, sondern – im Gegenteil – die kriminogene Wirkung der Eingliederung[7] in ein Unternehmen oder die sogenannte „kriminelle Verbandsattitüde“ ebenso in den Blick genommen werden.[8] Mithin soll eine mögliche „Täterstellung“ des Unternehmens auch Bestandteil der Fragestellung sein. Dies ist jedoch in Studien, die von Unternehmen ausschließlich als „Geschädigten“ sprechen, welche Wirtschaftskriminalität als „Risiko“ ernster nehmen sollten, nicht der Fall.[9] Auch wenn in jüngeren Studien[10] die Notwendigkeit einer wirkungsvollen Compliance – einer Übereinstimmung der Unternehmenstätigkeit mit den normativen Anforderungen – betont wird, werden Tatbestände, die zum Nachteil Dritter gereichen, nicht gesondert abgebildet und innerhalb der betrachteten Delikte auch nicht danach differenziert, ob sie sich einzig gegen das Unternehmen richten – wie im Fall der Produktpiraterie – oder dem Unternehmen (un-)mittelbar ökonomische Vorteile bringen können, wie im Fall der Korruption.

Anmerkungen

[1]

Vgl. zum Forschungsprojekt Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-BetriebeRn. 79 ff.

[2]

Vgl. die hier berücksichtigten Studien von PricewaterhouseCoopersWirtschaftskriminalität 2005 – Internationale und deutsche Ergebnisse; Wirtschaftskriminalität 2007 – Sicherhheitslage der deutschen Wirtschaft und Wirtschaftskriminalität 2009 – Sicherheitslage in deutschen Großunternehmen.

[3]

Vgl. z. B. http://www.weka-personal.ch/aktuell-view.cfm?nr-aktuell=270 oder http://www.foerderland.de/419+M55ab4636a16.0.html.

[4]

Schünemann in: Deutsche Wiedervereinigung (I), S. 129 (129).

[5]

Siehe hierzu schon die Stellungnahme der Bundesregierung in BT-Drucks.: 13/11425 v. 9.9.1998: „Die Bundesregierung hat zur Erhebung rechtstatsächlicher Angaben über die Verstrickung und Beteiligung juristischer Personen und Personenvereinigungen an Straftaten die Länder um Mitteilung dort vorliegender Erkenntnisse gebeten. Diese haben jedoch übereinstimmend erklärt, daß sie nicht in der Lage seien, entsprechende empirische Daten mit einem Anspruch auf annähernde Vollständigkeit zu ermitteln. Statistische Erhebungen zur „Unternehmenskriminalität“, d. h. zu staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren und zu gerichtlichen Strafverfahren nach den in der Großen Anfrage aufgeführten Kriterien, würden nicht geführt. Einschlägige Verfahren würden zudem weder differenziert in Registern erfaßt noch seien sie bislang allgemein nach den Kriterien der Begehung einer Straftat für ein Unternehmen oder in dessen Interesse ausgewertet worden“. Ähnlich der Eindruck von Hefendehl MschrKrim 2003, 27. Der Umstand, dass es keine verlässlichen oder repräsentativen Untersuchungen explizit zur Unternehmenskriminalität gibt, ist auch darauf zurückzuführen, dass schon die Strafverfolgung große Schwierigkeiten bereitet und somit einer ernsthaften empirischen Erforschung des Phänomens von Anfang an Datenmaterial fehlt. Die Dunkelfeldforschung ist bei sich verflüchtigender Opfereigenschaft und immateriellen Schäden fast unmöglich. Nun erschien 2010 die qualitative Untersuchung Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, auf die im Folgenden eingegangen werden wird.

[6]

Hier wäre u. a. an Tatbestände wie Diebstahl von Unternehmenseigentum, Unterschlagungsdelikte u. Ä. zu denken.

[7]

Die These der kriminogenen Wirkung der bloßen Verbandszugehörigkeit wurde erstmals von Busch aufgestellt. Er behauptete, die Verbandsfunktionäre, die strafbare Handlungen begehen, täten dies in aller Regel zur Förderung von Verbandszwecken und fühlten sich damit im Dienste überpersönlicher Interessen. Dies sei auch der Grund, warum die persönliche Strafdrohung keine Wirkung mehr entfalte. Der einzelne fühle sich der Verbandsgemeinschaft tiefer verpflichtet als der staatlichen Gemeinschaft, zu der er ein weniger enges Verhältnis habe. Vgl. Busch Grundfragen, S. 98 ff.; siehe auch Schünemann Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 18.

[8]

Zu beiden Begriffen Schünemann Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 18, 23.

[9]

„Bemerkenswert ist, dass deutsche Unternehmen das Kriminalitätsrisiko bei Entscheidungen über Auslandsinvestitionen im internationalen Vergleich deutlich seltener berücksichtigen.“ Siehe Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2007 – Sicherheitslage der deutschen Wirtschaft, S. 4, 10.

[10]

Bussmann/Nestler/Salvenmoser Wirtschaftskriminalität 2009, S. 20.

1. Forschungsberichte zur Unternehmenskriminalität

47

Den ersten empirischen Anknüpfungspunkt müssen in Anbetracht dessen ältere Quellen bilden. Zum einen sollen die wegweisenden anglo-amerikanischen Arbeiten von Sutherland einerseits und – explizit zu corporate crime – von Clinard und Yeager sowie Braithwaite andererseits, betrachtet werden. Zum anderen soll auf zwei Forschungsberichte aus der ehemaligen DDR eingegangen werden.[1]

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Letzteren liegen Daten aus Aktenerhebungen in vier Bezirken der DDR, Materialien des Ministerrats und der zentralen Kontrollorgane zugrunde. Ihre Kernerkenntnisse sollen schon aufgrund ihres „statistischen Wertes“ kurz vorgestellt werden: Zentrales Ergebnis der Untersuchungen war, dass die tatsächliche Strafverfolgung und Sanktionierung von Unternehmenskriminalität in der Hauptsache die mittlere Hierarchieebene des Unternehmens traf. Es wurden also vor allem Leiter unterer oder mittlerer Betriebsebenen zur Verantwortung gezogen, wohingegen Leiter der oberen Etagen verschont blieben. Damit wird auf ein Phänomen hingewiesen, dass Sutherland einige Jahre zuvor in den USA beobachtet hatte und zur Grundlage seiner Theorie des „white collar crime“ machte.[2] Weiter wurde im Rahmen dieser Studie auf folgenden Mechanismus hingewiesen: Durch das „Absinken der Wirtschaft“ stieg die Tendenz zur Verschleierung der realen Lage. Der zentrale Erfolgsmeldungsdruck ohne Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit führte zu massenhaften Falschmeldungen aufgrund der Nichterfüllbarkeit oktroyierter Vorgaben. Um den Anschein der Durchsetzungsfähigkeit des Staates zu wahren, wurde eine erhöhte Kriminalisierung im Bereich des § 171 StGB-DDR[3] angestrengt, die in wenigen Fällen zu Strafverfahren führte. Gleichzeitig beobachteten die Wissenschaftler eine Selbstausgrenzung des zentralen Fälschers als Täter, plakative Erklärungen gegen Falschmeldungen und die opportunistische weitere Duldung und Förderung der Falschmeldepraxis.[4] Als Grund für diese Entwicklung und den festgestellten tiefen Widerspruch zwischen offizieller Darstellung der Erfolge in der DDR und den aufgedeckten, massenhaften Krisenerscheinungen im Wirtschaftsmechanismus nannten die Verfasser der Studie zwei Problemkreise: Der erste hatte mit den objektiven und subjektiven Möglichkeitsfeldern auf der „Volkswirtschaftsebene“ zu tun, die mit Erscheinungen sozialistischer Eigentumsverhältnisse im Zusammenhang standen.[5] Der zweite – und für die heutige Problemkonstellation bedeutsamere – Aspekt wurde als „Problem der Individualitätsentwicklung“ bezeichnet. Dieses Problem fand nach Ansicht der Verfasser vor allem im Verhältnis Individuum/Kollektiv und in der Idealisierung des Persönlichkeitsbegriffs seinen Ausdruck. Das Kollektiv würde in seiner starren Form über die Schöpferkraft des Einzelnen gestellt. Eine realitätsferne Harmonisierung des Kollektivlebens und damit übergroße Vertrauensseligkeit sei die Folge, was wiederum Passivität gegenüber rechtswidrigen Handlungen, Entpersönlichung des Kollektivs und damit Begünstigung persönlicher Fehlleistungen und Straftaten erzeuge. Im Ergebnis kamen die Verfasser zu dem Schluss, dass Schwächen im Kontrollregime als begünstigende Bedingung für schwere Straftaten gegen das sozialistische Eigentum unter Ausnutzung der beruflichen Tätigkeit eindeutig signifikant waren.[6] Dabei wurde zwischen verschiedenen, begünstigenden Bedingungen differenziert: Die Schwächen im inneren Kontrollsystem spielten mit 62% die größte Rolle, wobei hier hauptsächlich „Kontrollpflichtverletzungen der Leiter“ und nur zu einem geringeren Teil solche des Hauptbuchhalterbereichs moniert wurden. Mängel in der äußeren Kontrolle spielten eine wesentlich untergeordnetere Rolle (21%).[7] Für den Fahrlässigkeitsbereich hebten für die Verfasser vor allem subjektive Faktoren wie die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten und Unterschätzung gefahrvoller Momente (92,5%); mangelnde Sorgfalt, wo höchste Sorgfalt geboten war (85%); Gewöhnung an (meist partielle) Unterordnung und Missachtung einzelner Verhaltensregeln (85%); oberflächliche Kontrolltätigkeit (81%); Missachtung bekannter rechtlicher Regelungen aus persönlichen oder betriebsbezogenen Interessen (65%) hervor.[8] Interessant an dieser Auflistung ist, dass auf einen starken Zusammenhang zwischen der Außerachtlassung solcher Verhaltensanforderungen hingewiesen wird, die zeitlich weit vor der Rechtsgutsverletzung anzusiedeln sind. Auch die Beobachtung, dass nicht die Verstöße an „neuralgischen Punkten“ des Unternehmens (z. B. der Hauptbuchhalterbereich), sondern das Vorgesetztenverhalten eine besondere Relevanz – insbesondere hinsichtlich der Kontrollpflichten – aufwies.

 

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In einen diametral entgegengesetzten Kontext, nämlich einem kapitalistischen System, sind die Beobachtungen der Zeitgenossen Clinard und Yeager einzuordnen, die 477 der größten US-amerikanischen Industrieunternehmen und 105 der größten Einzelhandels- und Dienstleistungsunternehmen im Hinblick auf deviantes Verhalten in den Jahren 1975 und 1976 untersuchten, wobei sowohl zivil-, verwaltungs- wie strafrechtliche Verfahren berücksichtigt wurden. Es wurden insgesamt nur gegen 60% der Unternehmen ein Verfahren eröffnet[9] und nur gegenüber 56% wurde eine Sanktion verhängt, die überwiegend in Verwarnungen oder einer Geldbuße bestand. Die Autoren stellen dabei auch heraus, dass es sich überwiegend um „Intensivtäter“ handelt, gegen die mehrfach ermittelt wurde[10] und die am häufigsten sanktioniert[11] wurden. Insgesamt und flächendeckend seien die Unternehmen aber nicht der „vollen Härte des Gesetzes“ ausgeliefert; es würden in diesem Bereich doppelt so viele Verwarnungen ausgesprochen als in allen übrigen Kriminalitätsbereichen.[12] Ebenfalls herausgestellt wurde die Bedeutung der Branche für die Häufigkeit wirtschaftskrimineller Vorfälle. Herausragend waren die Automobilbranche mit 20% der mittleren und schweren Rechtsverstöße und die Pharmaindustrie mit 12,5% der Verstöße sowie mit 10% die Ölbranche. Die Autoren schlossen hierbei einen positiven Zusammenhang zwischen Wachstumsraten, Produktdiversifikation und Marktmacht aus und hielten einen solchen im Hinblick auf Größe und Leistungsfähigkeit des Unternehmens für unwahrscheinlich. Insbesondere die Gegenüberstellung von Rechtsverletzung pro Umsatzeinheit statt der üblichen Häufigkeitswerte im Sinne von Rechtsverletzungen pro Großbetrieb, stützen nach Ansicht der Autoren diese Annahme.[13]

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Diese Beobachtungen werden ergänzt durch die parallele Studie von Braithwaite, der 32 international agierende Pharmazieunternehmen ebenfalls im Hinblick auf zivil-, verwaltungs- und strafrechtliche Verstöße untersuchte, hierbei jedoch seinen Fokus auf die Geschäftsführungsebene legte.[14] Er konzentrierte sich auf eine Branche und untersuchte Korruptions-, Produktsicherheits- und Kartellrechtsdelikte, aber auch „Schwindeleien“,[15] die unter Mitwirkung der Leitungsebene zur Gewinnmaximierung erfolgten. Trotz der Ausrichtung der Studie auf die personale Leitungsebene, trägt sie zwei Beobachtungen hinsichtlich struktureller Besonderheiten von corporate crime bei, nämlich zum einen die Begehung der Delikte in einem „Klima“ der Unehrlichkeit oder Toleranz von unlauteren Methoden und zum anderen die systematische „Verschleierung“ angelegter Strukturen durch doppelte Aktenführung und Einsatz externer Agenten.[16]

51

Schließlich sollen diese US-amerikanischen Befunde durch die zeitlich vorangehenden Befunde Sutherlands ergänzt werden, die bislang vor allem im Zusammenhang mit wirtschaftskriminologischer Begriffsbildung thematisiert wurden. Seine Definition der white collar-Kriminalität prägte – oder revolutionierte – die (Wirtschafts-)Kriminologie auf verschiedenen Ebenen, auf die im Rahmen der Begriffsbildung noch näher einzugehen sein wird. Sutherlands Arbeiten bieten jedoch auch als kriminologische Hellfeldstudie einen empirischen Anknüpfungspunkt: Die kriminologische Erforschung der Erscheinung „Wirtschaftskriminalität“[17] hatte, abgesehen von wenigen Ausnahmen,[18] kaum stattgefunden, als Sutherland 1949 eine empirische Untersuchung der 70 größten Industrie- und Handelsgesellschaften der USA begann und Verletzungen des Wettbewerbs- und Urheberrechts, unfaire Arbeitspraktiken, „ausgedehnte Betrügereien“ und ähnliche Straftaten feststellte.[19] Intuitiv – und für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung – legte Sutherland in seiner Untersuchung der Wirtschaftskriminalität den Fokus auf Unternehmen als den Hauptakteuren der Wirtschaft. Seine Kriterien, Ergebnisse und Beschreibungen blieben zwar meist abstrakt; dies jedoch deshalb, weil er eine allgemein gültige Erklärung von Kriminalität – und nicht speziell von Wirtschaftskriminalität – anstrebte.[20] Gleichwohl wurde mehr als nur ein Bezug zum Unternehmen hergestellt; es stand im Mittelpunkt seiner Untersuchung.

52

Er stellte heraus, dass trotz einer Vielzahl festgestellter Verstöße gegen Wettbewerbs-, Patent- oder Arbeitsgesetze eine strafgerichtliche Verurteilung nur selten erfolgte.[21] Diesen Umstand führte er in erster Linie auf gesellschaftliche Ursachen zurück und unternahm daher im Folgenden den bekannten Vergleich der Verbrechen der „white collar-Klasse“, welche nach seiner Auffassung aus „respektablen oder wenigstens respektierten Geschäftsleuten bestand“ mit denen der „unteren Klasse“, die aus Personen mit niedrigerem sozialökonomischen Status bestand.[22] Zweck dieses Vergleichs war in erster Linie aufzuzeigen, dass die üblichen Konzepte, welche Kriminalität auf soziopathische oder psychopathische Bedingungen zurückführen, die mit Armut zusammen auftreten, unstimmig sind, weil sie wesentliche Bereiche kriminellen Verhaltens von Personen, die nicht der „Unterschicht“ angehören, unberücksichtigt lassen.[23] Trotz dieses sozialkritischen und (individual)täterorientierten Ansatzes darf m. E. nicht übersehen werden, dass er zwei – für die Erklärung von Unternehmenskriminalität bedeutsame – Aspekte benannte: zum einen beobachtete er, dass die Rechtsverstöße und „ausgedehnten Betrügereien“ über den gesamten, vierzig Jahre währenden, von ihm beobachteten Zeitraum stattfanden, also Mechanismen zum Tragen kamen, die unabhängig von Personenwechseln waren. Zum zweiten platzierte er das Individuum und seine persönliche Motivation zur Straftatbegehung erstmals in Bezug zu seiner Stellung und Funktion innerhalb eines Unternehmens. Sutherland veranschaulichte diese Beobachtung, indem er A. B. Stickney, einen Eisenbahnpräsidenten, zitiert, der im Hause J. P. Morgans im Jahre 1890 zu sechzehn anderen Eisenbahnpräsidenten gesagt haben soll: „Ich habe äußersten Respekt vor Ihnen, meine Herren, als Individuen, aber als Eisenbahnpräsidenten würde ich Ihnen nicht meine Uhr anvertrauen, ohne Sie dabei aus den Augen zu lassen.“[24]

53

Eingedenk dieser speziellen Erkenntnisse zur Unternehmenskriminalität soll im Folgenden auf die empirischen Erkenntnisse zur „nächsthöheren Ebene“ – der Wirtschaftskriminalität – zurückgegriffen werden, um aktuelle Befunde einbeziehen zu können. Zudem ist es plausibel, Rückschlüsse von der „Obermenge Wirtschaftskriminalität“ auf die „Teilmenge Unternehmenskriminalität“ ziehen zu können. Wie eingangs ausgeführt ist nicht aus dem Blick zu verlieren, dass bei diesem Ansatz das Problem der selektiven Beobachtung angelegt ist, weil der befragte Beobachter gleichzeitig seinen Rollenerwartungen und Interaktionsverpflichtungen innerhalb des Unternehmens ausgesetzt ist.[25]