John Henry Newman

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In dieser Zeit ging eine weitere Veränderung in ihm vor, die im Allgemeinen nicht mit einer evangelikalen Bekehrung verbunden war: Im Herbst 1816 reifte in ihm der Gedanke, es sei Gottes Wille, dass er unverheiratet bliebe. Dies entsprang mehr oder weniger der Vorstellung, sein Lebenswerk verlange dieses Opfer. Um eine Parallele für Newmans erste Bekehrung zu haben, möge man sich einen begabten, aber in den Tag hinein lebenden Jungen vorstellen, für den eine Zeit der Zurückgezogenheit von seinen Altersgenossen oder die Lektüre eines klassischen Werkes der religiösen Literatur zum Beginn des geistlichen Lebens wird, allerdings mit dem Unterschied, dass bei Newman alles entschiedener hervortritt. Er »wurde zum Christen gemacht« und begann sein neues Leben. Er nahm die Offenbarung in der reinsten Form an, die ihm zugänglich war, und es war für ihn nur konsequent, sich Gott ganz hinzugeben. Dies war der Wendepunkt, der seinem Leben das einheitliche Gepräge geben sollte. Sein sich entfaltender Geist wurde von der christlichen Offenbarung ergriffen und sein Herz vom christlichen Ideal der Heiligkeit.

Im Oktober 1817 kam Newman im Alter von sechzehneinhalb Jahren nach Oxford, das er ein Vierteljahrhundert später »die religiöseste Universität der Welt« nennen sollte.12 Jeder Student hatte die Neununddreißig Artikel13 zu unterschreiben, sodass nur Anglikaner zugelassen werden konnten. Die meisten Angehörigen des Lehrkörpers – die Fellows of the Colleges – mussten sich ordinieren lassen, wenn sie ihre Zugehörigkeit zu einem College und damit ihre Stelle behalten wollten. Bei Heirat hatten sie aus dem College auszutreten. Obwohl es weder in Oxford noch in Cambridge eine Theologische Fakultät gab, kamen aus diesen beiden Universitäten die weitaus meisten Geistlichen der Kirche von England. Der Anteil der Absolventen, die in ihren Dienst traten, war sehr viel größer als derjenigen, die andere Berufe ergriffen. Das bedeutete nicht, dass Oxford in irgendeiner Weise einem Priesterseminar geähnelt hätte. Noch waren Moralauffassungen und Lebensgewohnheiten des 18. Jahrhunderts nicht tot, und Newmans neu gewonnene evangelikale Einstellung wurde am Trinity College hart auf die Probe gestellt. Sein Leben war bestimmt von Gebet, innerer Sammlung und intensivem Studium, doch spielte das Trinity College in seiner religiösen Entwicklung nur eine geringe Rolle. Im November 1817 ging er zum ersten Mal zur Kommunion. Es war in der College-Kirche, deren Bild bis an sein Lebensende sein Zimmer schmückte. Das College war ihm »ein sehr lieber, aber auch ein recht müßiger Ort«.14 Wie stets in seinem Leben schloss er viele Freundschaften. Am nächsten stand ihm in dieser Zeit der aus einer wohlhabenden Familie der Isle of Wight stammende William Bowden, der später Regierungskommissar für Abgaben und Steuern wurde und als anglikanischer Laie eine Lebensbeschreibung Gregors VII. verfasste. Im Trinity College gaben sie zusammen anonym eine Zeitschrift The Undergraduate heraus und schrieben ein romantisches Gedicht – »Die Bartholomäusnacht« – über einen protestantischen Edelmann und eine katholische Dame, die beide durch die Machenschaften eines fanatischen Priesters den Tod finden.

Im Jahr 1818 gewann Newman ein College-Stipendium von 60 ₤ im Jahr, das ihm für neun Jahre zustand. Wegen des traurigen Zustandes, in dem sich die familiären Finanzen befanden, war dies für ihn von großer Bedeutung. Sein Abschlussexamen fand im Jahr 1820 statt und alle erwarteten, dass er den akademischen Grad in zwei Fächern mit Auszeichnung erwerben würde, aber vor Überarbeitung und Aufregung wurde er schwer krank und musste seine Absicht aufgeben. Es gelang ihm nur, den üblichen Grad eines Bachelor of Arts (B. A.) zu erringen. Das war mehr als nur eine persönliche Enttäuschung für ihn; es war ein harter Schlag, denn nun schien es sehr unwahrscheinlich, dass er in absehbarer Zeit in der Lage sein würde, seine Familie zu unterstützen. Um die Situation doch noch zu retten, entschloss er sich trotz erheblicher Bedenken, sich um eine Fellowship am Oriel College zu bewerben, das damals eine herausragende Stellung einnahm und im Zenit seines literarischen und intellektuellen Ruhmes stand. Am 12. April 1822 wurde er zum Fellow (Gelehrter, der an einer Hochschule oder Universität zum Zweck der Lehre oder Forschung finanziell unterstützt wird, Anm. d. V.) des Oriel College gewählt und trat damit in eine Gemeinschaft ein, die für seine Entwicklung von entscheidender Bedeutung sein sollte. Newman nannte diesen Tag »von allen den denkwürdigsten. Er hob mich aus Unbekanntheit und Not zu Verantwortung und Ansehen.«15 Obwohl er jetzt über ein gesichertes Einkommen verfügte, arbeitete er sich durch Privatstunden fast zu Tode, um seiner Familie Geld schicken zu können. Ende 1821 hatte sein Vater Konkurs anmelden müssen und das Haus in der Southampton Street wurde verkauft. Drei Jahre später starb er. Kurz vorher, im Jahr 1822, war sein jüngster Sohn Francis ins Worcester College eingetreten. John zahlte alle Ausgaben und trug überdies in erheblichem Maß zum Lebensunterhalt seiner Mutter und seiner drei Schwestern bei.

In der freimütigen und aufgeschlossenen Atmosphäre, die am Oriel College herrschte, kam Newman »aus seiner Schale« heraus. Er wurde Richard Whately, dem späteren Erzbischof von Dublin, zugeteilt, der erst unlängst wegen seiner Heirat auf seine Fellowship am Oriel College verzichtet hatte. Newman schrieb über ihn, er sei »frei und gewandt in seinem Benehmen« gewesen, »freilich auch derb und entschieden in der Formulierung seiner Ansichten, aber überaus liebenswürdig gegen die Studenten und jungen Akademiker, die, wenn sie etwas wert waren, sich nur glücklich schätzten, sich von solch einem Mann durch Argumente kreuz und quer treiben zu lassen«.16 Whately seinerseits bezeichnete Newman als den klarsten Denker, den er kannte, und nahm dessen Hilfe beim Verfassen seiner Elements of Logic in Anspruch. Whately war zwar Latitudinarier, aber zugleich ein Antierastianer.17 Durch ihn lernte Newman »die Idee der christlichen Kirche als einer göttlichen Einrichtung und als einer selbstständigen sichtbaren Körperschaft, unabhängig vom Staat und ausgerüstet mit eigenen Rechten, Vorrechten und Machtvollkommenheiten«,18 kennen.

Bereits im Januar 1822, noch bevor er in den Lehrkörper des Oriel College gewählt worden war, hatte sich Newman entschlossen, sich ordinieren zu lassen. Am 13. Juni 1824 wurde er Diakon und er schrieb in sein Tagebuch:

»Es ist geschehen. Ich bin dein, o Herr … Zuerst, nach der Handauflegung, erschauerte mein Herz in mir; die Worte ›für immer‹ sind so furchtbar. Es war wohl kein frommes Gefühl, das mich melancholisch stimmte bei dem Gedanken, dass ich alles um Gottes willen aufgeben sollte. Freilich brannte mein Herz dann und wann in mir, besonders als man das Veni Creator Spiritus sang. Ja, Herr, ich bitte nicht so sehr um Trost wie um Heiligung.«19 Am folgenden Tag fügte er einen Satz hinzu, der für sein kommendes Wirken den Schlüssel liefert: »Ich trage Verantwortung für die Seelen bis zum Tag meines Todes.«20 Was immer er unternahm, sollte einen pastoralen Sinn haben.

Längere Zeit dachte er daran, Missionar zu werden, und kurz nach seiner Ordination zog er wiederholt entsprechende Erkundigungen bei der Church Missionary Society ein. Für die Zwischenzeit übernahm er zunächst die in Oxford jenseits der Magdalen Bridge gelegene ärmliche Pfarrei St Clement’s, für die er sich ordinieren ließ. Dort begann er im Juli 1824 mit seiner Arbeit.

In dieser Zeit wurde der Einfluss evangelikaler Auffassungen auf Newman immer schwächer und schwand schließlich ganz. Ein anderer Fellow des Oriel College, Edward Hawkins, war zur gleichen Zeit Pfarrer der Universitätskirche St Mary the Virgin. Ihm zeigte Newman seinen ersten Predigtentwurf, den Hawkins jedoch einer scharfen Kritik unterzog, weil Newman die Menschen in zwei streng geschiedene Gruppen unterteilt hatte – danach, ob sie »bekehrt« waren oder nicht. Den zweiten Schritt tat Newman selbst. Er beschränkte sich nicht darauf, am Sonntag zweimal in seiner Kirche zu predigen, sondern begann damit, seine armen Pfarrangehörigen Haus für Haus aufzusuchen. Er hatte gelernt, Realist zu sein und sich stets nach Tatsachen zu richten, und so fand er bald heraus, dass die evangelikale Lehre in der Wirklichkeit versagte. Statt der evangelikalen Auffassung, dass die Kirche nur aus jenen bestehe, die eine Bekehrung erfahren haben, brachte ihn Hawkins dazu, die Lehre von der Wiedergeburt in der Taufe anzunehmen. Von ihm lernte er, dass die Taufe kein leeres Symbol ist, sondern dass alle, die sie empfangen, Glied der Kirche werden, auch wenn sie zu jung sind, um noch eine bleibende Erinnerung an das Geschehen in sich zu tragen. Damit verwarf er ein subjektives Kriterium zugunsten dieses objektiven Merkmals. Durch Hawkins lernte Newman auch, dass die Bibel der Interpretation und Erklärung durch die Tradition bedarf. »Der heilige Text war nie dazu bestimmt gewesen, die Menschen in einer Glaubenslehre zu unterweisen, er sollte sie nur bestätigen. Um die Glaubenslehre kennenzulernen, müssten wir uns an die Formulare der Kirche halten, z. B. an den Katechismus und das Glaubensbekenntnis.«21

Im Jahr 1825 las Newman Bischof Butlers Analogy of Religion und war tief von den Analogien und Ähnlichkeiten beeindruckt, die Butler zwischen den Werken Gottes, wie sie sich in der Natur zeigen und wie sie durch die Offenbarung bekannt sind, herausarbeitete. Hier stieß er auch auf die Lehre von der sichtbaren Kirche, »die die Wahrheit verkündet und Vorbild für die Heiligkeit ist und zu der die Pflichten äußerer Religionsausübung und der historische Charakter der Offenbarung gehören«.22 Schon in den ersten Jahren in St Clement’s predigte Newman über die »Sichtbarkeit« der Kirche und über ihren »katholischen« und »apostolischen« Charakter, was Samuel Wilberforce, der sich in dieser Zeit eine Predigt Newmans anhörte und wie sein Vater, der bekannte Philanthrop, dem Evangelikalismus anhing, voll Überraschung bemerkte.

 

Als Newman Ostern 1826 die Stelle eines Tutors (verantwortlich für wissenschaftliche und für die pastorale Betreuung der Studenten, Anm. d. V.) am Oriel College erhielt, gab er seine Pfarrei auf. Etwa zur gleichen Zeit wurde Richard Hurrell Froude, ein glühender Anhänger der hochkirchlichen Richtung, zum Fellow des Oriel College gewählt. Noch stand Newman mehr oder weniger stark unter evangelikalem Einfluss, wenn auch die liberale Atmosphäre des Oriel College nicht ohne Wirkung auf ihn geblieben war. So kam es, dass fast ein Jahr verging, bis die beiden zu engen Freunden geworden waren. Newman hatte jedoch bereits einen anderen Hochkirchler, E. B. Pusey, der 1823 zum Fellow des Oriel College gewählt worden war, kennen- und bewundern gelernt, doch verließ dieser bald Oxford, um in Deutschland seine Studien fortzusetzen, wo er sogar mit dem Liberalismus liebäugelte. Froude war Schüler John Kebles, und diese beiden repräsentierten die alte hochkirchliche Tradition in ihrer edelsten Form, aber auch Keble hatte 1823 das Oriel College verlassen, um seinen Vater in dessen Landpfarrei in Fairford zu unterstützen. So lernte Newman hochkirchliche Auffassungen vor allem durch Hurrell Froude kennen, obwohl sich dieser rühmte, die beste Tat seines Lebens habe darin bestanden, Newman und Keble zum gegenseitigen Verständnis geführt zu haben. Froude war einer der ersten gläubigen Engländer dieses Jahrhunderts, der die römische Kirche wirklich begriff und zu würdigen vermochte. Er konnte nicht glauben, dass Newman wirklich der Meinung war, sie stünde unter dem Einfluss des Antichristen. Für ihn war die kirchliche Tradition und nicht in erster Linie die Bibel das Mittel zur religiösen Unterweisung. Für die Reformatoren hatte er nichts übrig, während die theokratische Kirche des Mittelalters seinem Ideal entsprach. So brachte er Newman allmählich dazu, die Reformation in einem anderen Licht zu sehen und der Kirche von Rom mit Verständnis gegenüberzutreten. Für Froude war die Verpflichtung der Christen zum heiligmäßigen Leben ein hoher Wert. Er war es, der Newman lehrte, die Lehre von der Realpräsenz anzunehmen und die Gottesmutter zu verehren. Schließlich war es Froude zu verdanken, dass Newman die Lehre von der apostolischen Sukzession übernahm, nach der der Kirche und ihren Bischöfen Autorität und Vollmacht aufgrund ihrer geschichtlichen Verbindung mit der Kirche der apostolischen Zeit zukommt. So erreichte Newman die von anglikanischen Theologen des 17. Jahrhunderts entwickelte alte und gläubige hochkirchliche Lehrmeinung durch Froude und Keble, doch waren diese beiden die Vertreter eines nur sehr kleinen Teils der Kirche von England.

Der natürliche Gegenspieler des Evangelikalismus unter den Anglikanern, der sowohl im intellektuellen als auch im kirchlichen Bereich eine Alternative dazu darstellte, war der religiöse Liberalismus. Am Oriel College war diese Richtung durch Whately, Thomas Arnold und R. R. Hampden eindrucksvoll vertreten. Daneben waren auch die alten verknöcherten Erastianer hochkirchlicher Prägung gegen den Evangelikalismus, doch hatte sich Newman niemals zu ihnen hingezogen gefühlt. Ein Merkmal der weitherzigen Liberalen war es, das Übernatürliche in der Religion herunterzuspielen. Natürliches Gutsein und Anstand reichten in ihren Augen völlig aus, sodass für das Wirken Gottes nur noch wenig Raum blieb. Konsequenterweise behandelten sie die göttliche Gnade und die Sakramente mit Geringschätzung. Zu dieser Art von »Liberalismus« fühlte sich Newman zunächst hingezogen, als sich sein Evangelikalismus verflüchtigte, doch wurde er nach seiner eigenen Meinung schließlich durch die Verehrung, die er für die alten Kirchenväter empfand, davor bewahrt.

Bereits zur Zeit seiner Bekehrung im Jahr 1816 hatte ihm Mayers ein Exemplar der Kirchengeschichte des Anglikaners Joseph Milner gegeben, und er hatte mit freudigem Interesse die langen Auszüge aus den Werken des hl. Augustinus, des hl. Ambrosius und anderer Kirchenväter gelesen. So war er bereits in jungen Jahren mit der Gedankenwelt der frühen Kirche in Berührung gekommen, sodass er in seiner letzten (1850 gehaltenen) Vorlesung über die »Schwierigkeiten der Anglikaner« (Difficulties of Anglicans) sagen konnte:

»Nie ist der tiefe und äußerst freudige Eindruck, den seine Skizzen des hl. Ambrosius und des hl. Augustinus bei mir hinterlassen haben, verloren gegangen, ja auch nur geringer geworden. Seit dieser Zeit war der Gedanke an die Kirchenväter für meine Vorstellungswelt, wenn ich das so sagen darf, ein Quell des Entzückens, zu dem ich meine Gedanken immer wieder zurückkehren ließ.«23

In der Apologia bekannte Newman, sich nicht mehr erinnern zu können, »wann ich zum ersten Mal den wahren Inbegriff der Lehren des Christentums und die Grundlage der englischen Kirche im Altertum zu erblicken lernte«.24 Wenn auch seine liberalen Neigungen seinen Respekt vor den Kirchenvätern etwas verringerten, so trieb er doch eine Reihe von Studien auf diesem Gebiet, als er in das Oriel College gewählt wurde, und die ersten Jahrhunderte wurden ihm zum Idealzustand der Christenheit. Im Jahr 1825 schrieb er für die Encyclopaedia Metropolitana einen Artikel über Apollonius von Tyana sowie einen Aufsatz über die a priori gegebene Wahrscheinlichkeit der Wunder im Neuen Testament. Ferner plante er für die Encyclopaedia eine Geschichte der ersten drei Jahrhunderte der Christenheit. Im Jahr 1827 beauftragte er den in Deutschland weilenden Pusey, ihm so viele Bände der Kirchenväter wie möglich zu kaufen, welche er im darauffolgenden Jahr während der großen Ferien, mit Ignatius und Justin beginnend, chronologisch zu lesen begann. Zunächst las er sie mit den Augen eines Protestanten und suchte nach den umstrittenen Lehren seiner eigenen Zeit. Später wurde ihm jedoch bewusst, dass ihm auf diese Weise die Hälfte ihres Sinns entgangen war. Dennoch waren diese intensiven patristischen Studien für Newman der Schlüssel dazu, die christliche Offenbarung in ihrer ganzen Fülle wiederzuentdecken. Die Heilige Schrift hatte er bereits studiert und kannte große Teile von ihr auswendig; nun stand ihm auch die zweite große Schatzkammer offen.

Newman meinte jedoch später, dass, noch bevor seine neuen Studien voll hatten zur Wirkung kommen können, zwei andere Ereignisse ihn durch Gottes Führung davor bewahrten, sich ernsthaft dem religiösen Liberalismus zuzuwenden. Das erste dieser beiden Ereignisse war im Herbst 1827 eine durch Überarbeitung hervorgerufene schwere Erkrankung, nach der er sich zur Erholung in das Haus von William Wilberforce begab. Das zweite Ereignis war der plötzliche Tod seiner geliebten jüngsten Schwester Mary in Brighton, wo seine Mutter nun wohnte. Newman hatte ein herzliches Verhältnis zu seinen Schwestern, Mary aber war sein Liebling gewesen und ihr Tod am 5. Januar 1828 im Alter von neunzehn Jahren war ein schwerer Schlag. Er weckte in ihm erneut die deutliche Vorstellung von einer nicht wahrzunehmenden Welt, unsichtbar, aber wirklicher als die materielle Welt, die nur deren Schleier ist. Im Gedenken an Mary schrieb er seiner Schwester Jemima: »Was für ein Schleier, was für ein Vorhang ist diese Welt der Sinne! Schön, aber dennoch nur ein Schleier!«25

Am Ende dieses schicksalhaften Monats Januar wurde Hawkins zum Rektor des Oriel College gewählt, worauf Newman seine Stelle als Pfarrer an der Universitätskirche St Mary übernahm. Allerdings erhielt er dadurch keine unmittelbare Verantwortung für die Universität selbst. Zwar hatte er einige Gemeindeglieder in Oxford, doch umfasste seine Pfarrei auch das arme Dorf Littlemore, das drei Meilen entfernt lag und noch keine eigene Kirche hatte. Newman begann bald damit, die dortigen Gemeindeangehörigen zu besuchen und den Kindern Religionsunterricht zu erteilen. Bald danach zogen seine Mutter und seine Schwestern in die Nähe von Littlemore, wo seine Mutter 1835 den Grundstein für eine Dorfkirche legte. Newman war weit davon entfernt, sein pastorales Wirken auf diese Pfarrei zu beschränken. Vielmehr war in seinen Augen auch sein Amt als Tutor am Oriel College eine pastorale Aufgabe, was zu ernsten Meinungsverschiedenheiten mit dem neuen Rektor führte. Ab dem Zeitpunkt seiner Ernennung zum Tutor, die nicht befristet war, hatte Newman es für seine Pflicht gehalten, den reichen Aristokratensöhnen unter den Studenten, deren Benehmen oft skandalös war, entgegenzutreten. Wenn er auch hier nicht als Missionar zu wirken hatte, so bekleidete er doch ein Amt, in dem er das Evangelium predigen musste. Daher bestand er hartnäckig darauf, dass seine Schüler sich ordentlich anstrengten und dazu immer wieder ermuntert wurden. Aus diesem Grunde reorganisierte er zusammen mit den anderen Tutoren Robert Wilberforce und Hurrell Froude das System des Unterrichts, was zu einem deutlichen Anstieg in der Zahl der bei Prüfungen erfolgreichen College-Angehörigen führte.

Hawkins jedoch, für den das Tutorenamt rein weltlichen Charakter hatte, erhob Einwände gegen das Vorgehen der Reformer und weigerte sich, ihnen Schüler zuzuweisen. So hatte Newman ab 1831 keinen Schüler mehr, und die Zahl der Prüfungsbesten aus dem Oriel College sank erneut. Genau zu diesem Zeitpunkt, im April 1831, bat ihn der Verleger Rivington, ein Buch über die frühen Konzilien der Kirche als Teil einer theologischen Bibliothek zu schreiben. Aus Dankbarkeit für seine Mühen hatten ihm seine Schüler weitere Werke der Kirchenväter geschenkt und Newman machte sich, gestützt auf die Primärquellen, ans Werk. Bald wurde ihm klar, dass er sich auf das erste Konzil, also das von Nizäa, beschränken musste. Je mehr er mit der Arbeit voranschritt, umso mehr reifte in ihm die Überzeugung, dass die frühe Kirche der wahre Exponent der geoffenbarten Lehre der Christenheit war. Ende Juli 1832 war das Buch vollendet, das ein Jahr später unter dem Titel The Arians of the Fourth Century (»Die Arianer des vierten Jahrhunderts«) herauskam.

Diese Arbeit, Newmans erstes Buch, ist thematisch viel weiter gespannt, als ihr Titel vermuten lässt. Viele Jahre danach schrieb ihm Döllinger: »Kommende Generationen werden Ihre Arbeit über die Arianer als Modell für Untersuchungen dieser Art lesen und studieren.«26 Newmans Hauptaugenmerk galt einem der großen Probleme der Offenbarung, nämlich der sich im Verlauf der Zeit immer wieder ergebenden Notwendigkeit, die in der Heiligen Schrift enthaltenen Wahrheiten zu definieren und zu durchdenken. Das Konzil von Nizäa lieferte eines der frühesten und berühmtesten Beispiele für diesen Prozess. Newman räumte ein, dass es abstrakt gesehen ideal wäre, die Glaubenswahrheiten ohne Glaubensbekenntnisse, Formeln und Definitionen festzuhalten, aber seit der Zeit der Apostel hatte es sich als geboten erwiesen, die Offenbarungswahrheiten in eine systematischere Form zu bringen, als sie in der Schrift berichtet werden, und zwar sowohl um der Bekehrten willen als auch um den Angriffen der Häretiker widerstehen zu können.

»Die Idee, die grundlegenden Glaubenslehren zu verwerfen oder zu kritisieren, wäre der Natur der Sache nach den Christen der Urkirche kaum gekommen. Diese Lehren waren Gegenstand der apostolischen Tradition; sie waren ja gerade jene Wahrheiten, die erst unlängst der Menschheit geoffenbart worden waren. Sie waren dem Schutz der Kirche anvertraut, die sie denen, die nach der Wahrheit suchten, als einen Gunstbeweis vermittelten. Es waren Fakten, keine Meinungen.«27

Das schrieb Newman am Anfang des zweiten Kapitels. Aber wurden die in der Schrift geoffenbarten Wahrheiten erst einmal zu Streitpunkten, dann war es unerlässlich, sie strenger zu formulieren selbst auf die Gefahr hin, dass man etwas zu erklären unternahm, was zu erklären menschliches Vermögen übersteigt. Wie es zu solchen Dogmenformulierungen kam, zeigt Newman am Anfang des dritten Kapitels, wo er darstellt, wie Kaiser Konstantin das Konzil von Nizäa einberief:

»Der Friede ist in einem so hervorragenden Maß das Ideal christlicher Einstellung, christlichen Verhaltens und christlicher Selbstzucht … dass ihn ein heidnischer Soldat und Staatsmann fast zwangsläufig für das einzige Gebot der Frohbotschaft halten musste. Es hätte eines viel geschärfteren moralischen Blicks bedurft, um jene Grundlage zu erkennen und zu akzeptieren, auf die sich der Friede in der Schrift gründet, nämlich sich dem Anspruch der Wahrheit als erster Autorität in allen Fragen des politischen und privaten Verhaltens zu unterwerfen; zu begreifen, wie der Glaube an ein bestimmtes Credo Vorbedingung göttlichen Wohlgefallens ist, wie die soziale Verbindung aus der Einheit der Überzeugungen entspringen soll, die Liebe der Menschen aus der Liebe Gottes, und dass daher der Eifer für die Wahrheit in der Reihenfolge der christlichen Tugenden vor der Güte steht.«

 

Religiöse Meinungsverschiedenheiten sind »nichts anderes als die Geschichte der Wahrheit in ihrem ersten Stadium der Bewährung, wenn sie danach strebt ›rein‹ zu sein, bevor sie ›friedfertig‹ sein kann«.28

Für Newman lag die Schuld für die arianische Häresie bei der Schule von Antiochia, während seine Sympathie der Schule von Alexandria, also Clemens, Origenes und Athanasius, galt. Seine Untersuchung dessen, was die Kirche vor Nizäa lehrte, gehört zugleich zu den besten Ausführungen über die Trinitätslehre, die je in Englisch geschrieben wurden.29 Erst durch Newman begriffen viele seiner Zeitgenossen, was es bedeutete, sich zu einer Offenbarungsreligion zu bekennen, dass diese nicht nach ihrer emotionalen Wirkung beurteilt werden wollte, sondern Annahme und Verwirklichung verlangte.

In seinem Buch ließ Newman – wie auch in seinen frühen Predigten – gelegentlich eine gewisse jugendliche Intoleranz erkennen. Zunächst hatte er zu jener Minderheit in Oxford gehört, die sich für die Emanzipation der Katholiken einsetzte. Als aber Sir Robert Peel, ein Gegner dieser Emanzipationsbewegung, umschwenkte und zu ihrem Förderer wurde, stimmte Newman 1829 gegen seine Wiederwahl als Abgeordneter für Oxford. Wenn er dies auch vor allem aus universitären Gründen tat, da sich Peel bei dieser Entscheidung über die bekannten Auffassungen der Universität hinweggesetzt hatte, so war Newman doch auch durch Froude und Keble zu diesem Schritt bestimmt worden; er führte zum offenen Bruch mit dem Liberalen Whately.

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