Farinet oder das falsche Geld

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III

Ein paar Monate vorher waren die Zeitungen des Landes voll gewesen von ihm und von seiner Geschichte (übrigens gab es nur zwei oder drei, und sie erschienen nur einmal in der Woche).

Das war gewesen, als man ihn wegen der Herstellung von falschem Geld vor Gericht gestellt hatte.

Man hatte in den Zeitungen sein Geburtsdatum mitgeteilt; er war achtundzwanzig. Er war in Bourg-Saint-Pierre geboren, einem Dorf, das hinten in einem der Täler liegt, wel­­che linker Hand von der Rhone abzweigen und sich nach Süden hin tief in den Berg eingraben. Er war der Älteste, er hatte zwei Brüder und zwei Schwestern. In den Zeitungen wurde erzählt, dass sein Vater ihn, als er noch klein war, kaum vierzehn Jahre alt, mit in die Berge nahm; er war weit herum als Schmuggler bekannt (die Grenze war dort ganz nahe). Dem kleinen Maurice wurde ein Sack aufgeladen, während der Vater einen Tragkorb voll Tabak auf dem Rücken trug. So war Maurice Farinet, wie man nun sagte, dazu abgerichtet worden, die Gesetze und die Regierung beizeiten zu verhöhnen; schon mit sechzehn, hieß es, hatte er sein eigenes Ge­wehr. Und er machte Gebrauch davon, ohne Patent. Denn der Vater betrieb nicht nur Schmuggel. Er sagte: «Mit welchem Recht kann die Regierung uns zwingen, dafür zu zahlen, dass wir Tiere totschießen, die auf Gemeindegebiet sind und darum uns gehören?» Es kam vor, dass er ein wenig zu viel trank, wenn er von seinen Expeditionen zurückkam, in einem der Cafés, die am Weg lagen; dann saß er vor einem Liter Fendant, voll von der Kraft, die im Wein ist: «Mit welchem Recht? Darum habe ich jedenfalls nie bezahlt …» Zu seinem Sohn sagte er: «Du bezahlst mir auch nichts … Nie … Schwör mir’s.» Und Maurice schwor es gern, denn er war der­selben Meinung wie sein Vater.

Nur dass man dann zwei oder drei Jahre später Farinet, den Vater, in der Gegend der Tour Penchée am Fuß einer Felswand gefunden hatte. Er war mit Blut bedeckt, Schädel und Körper zerschmettert von einem Sturz über mehr als hundert Meter. Man hat nie herausgebracht, ob einer ihn dort abgeschossen hatte (denn Feinde hatte er) oder ob er nicht einfach ausgeglitten war im Gestein, trotz seinem scharfen Auge und seinem sicheren Fuß und obwohl er wie keiner sonst alle Ber­ge der Umgegend bis in die hintersten Winkel kannte. Er war jenes Mal allein ausgezogen, und Männer, die etwas weiter unten im Wald arbeiteten, sagten später, sie hätten im Lau­fe des Tages mehrere Schüsse gehört, aber vielleicht hatte er selber sie abgegeben. Man hat es nie herausgebracht. Er hinterließ jedenfalls eine Frau und fünf Kinder.

So hatte Maurice, der Älteste, sein Leben selber verdienen müssen.

Er ließ sich als Saisonarbeiter dingen. Im Winter ging er als Holzfäller in den Wald; im Herbst half er im Tal unten bei der Weinlese. Viele Männer kommen dann für einen oder zwei Monate aus den Bergen herab und sind Kelterer oder Brententräger, das bringt ihnen ein wenig Geld ein. So war Mau­­rice, als er gegen zwanzig ging, von einem Mann in Dienst genommen worden, der Romailler hieß und einer der vier Gemeinderäte von Mièges war.

Das wurde in den Zeitungen unter anderem mitgeteilt; nicht mitgeteilt wurde, aus welchen Gründen er nach der Weinlese nicht mehr nach Hause zurückgekehrt war (und er war nie mehr zurückgekehrt). Sein Vater hatte kein Geld hinterlassen und geringen Besitz, mit dem seine Mutter und die andern vier Kinder sich durchschlagen mussten; und dort oben fehlte es bald an Arbeit und bald an Geld. Seine Brüder waren groß geworden, man brauchte ihn nicht mehr. In Mièges hatte er inzwischen Sage kennen gelernt, einen alten Mann, der in den Bergen alle möglichen Kräuter und Pflanzen sammelte und sie an die Apotheker verkaufte. Der alte Sage war über siebzig; er brauchte einen Gehilfen.

Vater Sage wohnte in einem kleinen Haus, das auf dem Grund der alten Stadtmauer, etwas außerhalb des Ortes, stand; er lebte seit langem allein, denn er galt so ein wenig als Wasserfinder und Hexenmeister, und neben seinen Pflanzen suchte er Gold. Man behauptete sogar, er habe welches ge­funden. Anscheinend gab es auf der Höhe des Gebirgszuges nördlich über Mièges, auf über 2500 Metern, eine Ader, die der alte Sage entdeckt hatte; und die hatte er Farinet schließlich gezeigt. Die Zeit verging; der alte Sage hatte keine Kinder, keine Familie, er sagte sich: «Er kann mein Sohn sein. Ich vermache ihm mein Haus und zeige ihm, wo ich mein Pulver finde.» Und Farinet begann nun auch, sich Pulver zu holen. Nur begnügte sich der alte Sage damit, sein Gold zu horten, viele kleine Scheiben und gelbe Kiesel, so wie sie waren, in ein Kästchen einzuschließen, Farinet war an­schlägiger, er verfiel darauf, eine Gipsform zu basteln und ein Lötrohr zu kaufen. Und als der Alte gestorben war, hatte er angefangen, seine Stücke in Umlauf zu setzen. Es gab ganz in der Nähe, in der Schlucht der Salenche, eine schöne trockene Höhle, die mit dem Keller des Hauses in Verbindung stand; dort hatte er seine Werkstatt eingerichtet, um vor Überraschungen sicher zu sein. Er war beliebt bei den Leuten, weil sie seinem Gold trauten und weil er freigebig war.

Nur hatte er einmal zu seinem Unglück die Grenze überschritten, als er viele Münzen abzusetzen hatte; weil sie einen ziemlich großen Betrag ausmachten, hatte er zu seinem Unglück gemeint, er würde sie in Aosta leichter um­wechseln können, auf italienischem Boden, jenseits des Großen Sankt Bernhards.

In Aosta hatten sie ihn erwischt.

Die Polizei hatte keine Nachsicht gezeigt, der Richter erst recht nicht. Er war zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt worden: Mehr als zwei davon hatte er abgesessen, bevor er entweichen konnte.

Er erinnerte sich, wie hart und schwierig die Rückkehr gewesen war. Eine ganze Nacht und einen ganzen Tag hatte er sich durch Geröll und durch Schneemulden vorangearbeitet, über der Vegetationsgrenze, und hatte nirgend etwas zu essen gefunden.

Er hatte sich ins Gebirge halten müssen, hoch über dem bewachten Pass, den er schließlich am Nachmittag ge­sichtet hatte, mit seinem kleinen See und mit dem Hospiz, mehrere hundert Meter unter ihm; er verbarg sich hinter einem Felsblock, glitt am Boden hin zum nächsten, während Eiswasser unter allen Steinplatten hervorquoll; er hatte die Knie und die Hände im Wasser, und in jeder Vertiefung lag Schnee, obwohl es Hochsommer war. Er hatte seit dem Vorabend nichts gegessen; und nichts zeigt sich hier, was einem hungrigen Mann helfen konnte: kein Strauch, nicht die kleinste Beere, nichts, was die Erde hervorbringt. Was ihn aufrecht hielt, war die Aussicht, zur Nacht daheim an­zukom­men, wo er sich den Bauch füllen und ausschlafen konnte; und warm würde er haben und ein Dach (denn jetzt lag er draußen ganz nah bei den Wolken, er hätte sie mit der Hand berühren können, wenn sie vorbeizogen); und er sah auf dem Weg unten, am Ufer des kleinen Sees, zwei Mönche in schwarzen Kutten spazieren und etwas weiter vorn das Zollhäuschen, und davor stand ein Zöllner, nicht größer als der kleine Finger. Ah, er musste sich schon da verstecken, er muss­te vorsichtig sein! Er kriecht weiter auf seiner Felshöhe, ja auf dem Grat des Berges, weit von begangenen Stellen, und befiehlt seinem Magen, still zu sein; und so, bald verborgen, bald auftauchend und wieder verschwindend, hatte er sich an den Abstieg gemacht, er war immer hoch über dem Weg geblieben, in der großen Steinwüste zuerst, dann am Rand, wo es grün wird; endlich war der Abend gekommen.

Er hielt sich in der Höhe über dem Dorf, es lag genau unter ihm.

Er hatte sich so postiert, dass er gleich zu ihrem Haus kommen musste. Er hatte gewartet, bis es Nacht wurde. Er brachte seinen Magen zum Schweigen, indem er die Hand darauf legte, doch er sagte zu sich: «Nur noch einen Augenblick.» Es war dunkel geworden, man hatte ein Licht im Stallfenster gesehen. Dann hatte er sich genähert; er hatte seinen Bruder Antoine erkannt. Er hatte ihm gerufen. Da hatte aber Antoine den Mund ganz weit aufgesperrt vor Überraschung und hatte gesagt:

«Du bist’s … Wo kommst du her?»

«Hör», sagte Maurice, «versteck mich schnell … Ich erzähle dir später …»

Und er ging auf die Haustür zu, aber Antoine sagte:

«Geh nicht hinein … Komm mit mir.»

Er hatte ihn zu einem alten Gaden geführt, gleich da­neben.

So schwach und so müde war Farinet, dass er sich nicht widersetzt hatte. Er sagte:

«Hast du etwas zu essen?»

Antoine hatte ihm etwas zu essen und etwas zu trinken geholt.

Und während Farinet im Heu saß und aß, sagte An­toine:

«Es ist besser, wenn du nicht hineingehst … Alles kommt hier durch, der Ort ist voll von Landjägern … Du wärst hier nicht sicher. Iss und ruh dich aus, dann …»

Farinet aß, darum sagte er nichts …

«Oh, man hat es in den Zeitungen gelesen», sagte An­toine. «Du kommst von dort unten?»

Er machte eine Kopfbewegung, um auf die andere Seite der Grenze zu deuten.

«Da hast du also entwischen können? … Jetzt musst du einen Ort finden, wo du besser versteckt bist als hier, denn hier …»

Farinet aß immer noch, darum sagte er nichts. Dann lässt er sich ins Heu sinken.

Er sagt nur:

«Und die Mutter?»

«Oh – sie steht schon lang nicht mehr auf.»

«Und Apolline?»

«Verheiratet.»

«Und Léonie?»

«Auch.»

«Und Jérôme?»

«Hat eine Stelle.»

Da hatte er alles begriffen, obwohl er schon halb einge­schlafen war. Antoine war jetzt der Herr im Haus, und er hatte auch im Sinn, es zu bleiben. Denn er fing wieder an:

«Verstehst du, seit du dich nicht mehr hast blicken lassen, wie lang ist es her?, da ist hier allerhand passiert …»

«Das macht nichts», sagte Maurice, «ich hätte nur der Mutter Guten Tag sagen wollen.»

 

Aber Antoine sagte:

«Besser nicht. Es würde sie aufregen. Und weil du so­wieso gleich wieder fortmusst …»

Farinet schlief schon; er hatte ihn nicht weiterreden gehört. Und auch am nächsten Morgen hatte Antoine ihn ein paar Mal schütteln müssen; er hatte ihm Kleider gebracht, frische Wäsche und zwanzig Franken. Er hatte Kleider und Wäsche gewechselt. Er hatte die zwanzig Franken genommen.

Ja, er erinnerte sich gut an die Rückkehr nach Bourg-Saint-Pierre, am Ende des mühsamen Weges über die Hö­­hen; da war er nun bei Tagesanbruch wieder droben im Gebirge gewesen; aber vielleicht war das besser so, er sag­te sich: «Wir wären nicht miteinander ausgekommen. Und dann hätte er mich anzeigen können, um mich loszuwer­den …»

Nur, was sollte er jetzt tun? Es gab zwei Lösungen. Er konnte entweder nach Mièges zurückkehren, wo er seine Höh­­­­­le und die ganze Einrichtung zum Goldmachen hatte und gut versteckt wäre; oder er konnte auch nach Sion ge­­hen, das ist der Hauptort, also eine Stadt, viele Bewohner mit vielen Häusern, er würde da nicht auffallen. In Mièges würde man sofort wissen, dass er zurück war. In Sion würde niemand etwas wissen, und das war für den Augenblick besser (denn sicher hatte die italienische Regierung die Walliser Regierung schon benachrichtigt). Sein Bart begann zu wachsen, er würde ihn wachsen lassen, den Bart. Er hatte jetzt Kleider, wie man sie hierzulande trug; er war aus der Gegend, er sprach wie die Hiesigen … Er hatte sich schließlich für Sion entschieden.

Niemand hatte ihn erkannt.

Alles war gut gegangen, nur hatte er schon nach drei oder vier Tagen kein Geld mehr gehabt; da war er aufgebrochen, an einem Abend, und hatte den Weg von Sion nach Mièges in weniger als drei Stunden zurückgelegt, um von den Geldstücken zu holen, die dort versteckt waren, aber im Haus lag alles drunter und drüber, weil man es durchsucht hatte. Er war mitten in der Nacht gekommen und gleich wieder weggegangen, denn er hatte Angst bekommen; eine der Mün­zen hatte er in den Geldbeutel gesteckt und die anderen in ein Ledertäschchen, das er unter dem Hemd trug. Er hatte sich gleich auf den Rückweg gemacht und sich abseits, im Schatten des zerklüfteten Berges, über die Wiesen oder durch die Weinberge vorgepirscht und war im Morgengrauen wieder in Sion gewesen.

Zu der Zeit wurden die Cafés eben erst geöffnet; er suchte eines, ein ruhiges, abgelegenes; denn er hatte Hunger und Durst. Er war dabei in ein Gässchen gekommen, wo ein kräftiges Mädchen, er hatte sie zuerst nur von hinten gesehen, gerade die Läden von einem Fenster wegnahm, über dem mit gelben Buchstaben auf einem Schild geschrieben war: «Café de la Croix-Blanche». Sie hob die Arme, um die Bretter von den Scheiben abzunehmen, eines nach dem andern.

Er hatte gesagt:

«Kann man hier etwas bekommen?»

«Natürlich», hatte sie gesagt, ohne sich umzudrehen. «Sie sehen doch, dass hier offen ist.»

Er hatte zuerst festgestellt, dass niemand drinnen im Café war; er hatte sich hinten hingesetzt in dem Raum, der schmal und lang war, und hatte erst noch darauf Acht gegeben, dass er der Tür den Rücken zukehrte.

Das kräftige Mädchen kam wieder herein.

«Geben Sie mir einen halben Liter Fendant mit einer Portion Brot und Käse.»

Er hatte sie noch immer nicht angesehen, aber sie hatte im Weggehen ihn angesehen; und sie hatte nichts gesagt, sondern hatte den Wein geholt, ein Glas, einen Teller und ein Messer, dann auf einem zweiten Teller ein dickes Stück Brot und eine Portion Käse; und als sie wieder da war, hatte sie noch einen Topf mit Senf auf den Tisch gestellt; und jedes Mal hatte sie die Gelegenheit benützt, ihn verstohlen anzusehen.

Er senkte vorsichtig den Kopf; er hatte den Hut aufbehalten, vom Gesicht konnte man nicht viel mehr sehen als den Bart, der nachwuchs.

Er schwieg ganz von selber, er musste nur seinen Ap­petit reden lassen. Er schnitt mit dem Messer an dem Brot herum; er leerte das Glas auf einen Zug. Er schnitt den Käse in Würfel, die er gleichzeitig mit einem Stück Brot zum Mund brachte. Er hatte sich wieder eingeschenkt, er hob den Ellbogen. Dann fuhr er sich mit der Hand über den kurzen Schnauz und aß weiter.

So hatte er nicht gesehen, wie ihn die Kellnerin immer noch beobachtete, wie ihre geübten Finger sich unterdessen allein im Wollgarn und mit den Nadeln zurechtfanden, die ein helles kleines Geräusch machten. Sie saß beim Zahltisch, zu ihm gekehrt. Und als er jetzt fertig war mit Essen und aufblickte, jetzt in demselben Augenblick hatte er sie erkannt, und im selben Augenblick hatte er gesehen, dass sie auch ihn erkannte.

Er hat nichts gesagt.

Er war nur halb schon aufgestanden, er dachte bloß daran, sich aus dem Staub zu machen. Aber als ihm einfiel, dass er seine Zeche nicht bezahlt hatte, ließ er sich auf den Stuhl zurücksinken. Denn es blieb ihm nichts übrig, als mit einem seiner Goldstücke zu bezahlen.

Er hatte seinen Geldbeutel hervorgeholt; er tat, als such­­­­­­­te er darin, und fragte dann, ohne aufzublicken:

«Fräulein, könnten Sie mir vielleicht zwanzig Franken wechseln?»

Er hatte sie antworten gehört:

«Oh, ich glaube schon.»

Er hatte die Münze neben sich auf den Tisch gelegt.

Er hat gehört, wie sie kam, wie sie die Münze nahm.

Er hatte gefürchtet, nun würde sie zunächst einmal un­tersucht, seine Münze; aber nein, sie wurde kaum angesehen; und jetzt hörte er das Mädchen aus dem Lokal gehen, durch eine Tür hinter dem Zahltisch.

Nun war er in seiner Angst sofort aufgesprungen. Er hatte sich überlegt, dass er auf der Straße sein würde, bis das Mädchen zurückkam. Dann hatte er sich doch wieder hinge­setzt, denn er sagte sich, wenn er so davonliefe und das Geld zurückließe, würde er sich erst recht verraten. Das Mädchen brauchte nur zu rufen, und man würde hinter ihm her sein. Es war jedenfalls besser, er wartete, auf gut Glück.

Und da war auch die Kellnerin schon wieder da; sie hatte gesagt:

«Das macht einen Franken siebzig …»

Dann legte sie die Geldstücke, eins nach dem anderen, vor ihn hin:

«Das sind zwei, und einer sind drei, und einer, vier, und einer, fünf … Und fünf, das macht zehn … und fünf, fünfzehn, und fünf, zwanzig … Danke schön …»

Nickel- und Silberstücke, die er mit einem Blick zusammengerechnet hatte. «Stimmt», sagte er; er hatte den Geldbeutel wieder aufgemacht und alle Münzen hineinfallen lassen bis auf ein Zwanzigrappenstück, das er in der Hand behielt.

Er war aufgestanden, hatte den Stuhl zurückgeschoben.

«Das ist für Sie …»

«Oh, Herr Farinet …»

Er hatte seinen Namen gehört; er saß wieder.

«Ach nein, Herr Farinet, bitte nicht, ich freue mich so schon …»

Eine leise, etwas traurige Stimme; und er hatte gesehen, wie sie die zwanzig Rappen zu ihm zurückschob; da hatte er sie angeschaut:

«Wie …»

Sie wandte den Kopf. Er hatte gesagt:

«Wie … Sie wissen …?»

«Oh, ich habe Sie gleich erkannt.»

Er sagt:

«Ich glaube, ich kenne Sie auch.»

«Joséphine Pellanda … Erinnern Sie sich nicht: in Mièges … Bei Crittin … Ich war dort eingesprungen … Es ist bald drei Jahre her …»

«Ach», sagt er, «sind Sie das; jetzt weiß ich wieder.»

Und dann fragt er gleich:

«Und Sie wissen …?»

«Klar», sagt sie, «jeder weiß es. Man hat von Ihnen in den Zeitungen gelesen …»

«Dann muss ich jetzt gehen», sagt er.

«Ach nein», sagt sie, «warum? Wenn Sie’s nicht eilig haben … Sie sind hier bei Freunden. Ihr Goldstück, wis­-

sen Sie, das behalte ich. Ich habe mir schon lang eins ge­-

wünscht …»

Da war ein riesiges Gewicht ihm von der Brust genommen worden, wie wenn ein Mann unter einen Baumstamm geraten ist, und man kommt mit der Hebewinde.

«Wirklich?»

«Oh ja. Und es geht vielen wie mir. Weil man schon weiß, dass das Gold ist, weil man schon weiß, dass Sie die Leute nicht anschwindeln.»

«Ja», sagt er, «und das ist auch wahr.»

Sie stand immer noch neben ihm, und er saß: so dass er den Kopf heben musste und sie jetzt auf ihn herabsah – ein großes Mädchen, nicht mehr ganz jung, etwas voll, in einem dunkelgrauen Mieder mit hochgeschlossenem schwarzem Samtkragen, Sommersprossen im Gesicht, die Haare sauber nach hinten gestrichen.

Und es war leicht zu sehen, dass sie selbst auch die Wahrheit sagte; so wurde er wieder ruhig und war gleichzeitig geschmeichelt; er sagte – denn so war er eben – zu ihr:

«Wenn Sie noch eine wollen, von meinen Münzen, das ist keine Sache, ich habe jetzt welche; grad heut Nacht hab ich geholt …»

«Oh», sagte sie, «heute Nacht!»

Und er nestelte inzwischen unter dem Hemd.

«Oh, Herr Farinet, nein …»

«Doch», sagt er, «als Andenken und weil Sie mich so gut aufgenommen haben … Da.»

Er hatte ein zweites Goldstück auf den Tisch gelegt.

Sie waren ein wenig zu gelb, seine Münzen, oder ein wenig zu hellgelb.

Sie waren nicht so rötlich wie die Münzen der Regierung. Aber das bewies gerade ihre Güte – sagte er, und man glaubte es ihm –, weil die Münzen der Regierung ein Ge­misch aus Kupfer und Gold waren und seine aus Silber und Gold.

Sie sagte:

«Oh, das darf ich doch nicht …»

Er sagte:

«Sie machen mir eine Freude …»

«Dann lassen Sie mich aber eine Flasche holen», sagte sie.

«Ist das nicht unvorsichtig? Der Patron …»

«Oh, er kommt nie vor neun Uhr … Und auch wenn er käme … Ich glaube wohl …»

«Ah», sagte Farinet.

«Ja, er kennt Sie, dem Namen nach. Er hat oft von Ihnen gehört. Er ist auch einer von Ihren Freunden … Sie haben ja Freunde, Herr Farinet, wirklich …»

«Aber wenn Gäste kämen?»

«Die könnten schon kommen.»

Das Goldstück war auf dem Tisch liegen geblieben. Joséphine hatte Wein geholt, den besten Flaschenwein, den sie hatten. Sie hatte zwei Fußgläser gebracht.

Sie war schüchtern und vorlaut zur gleichen Zeit. Sie sagte zu ihm:

«Der Bart steht Ihnen gar nicht.»

«Mag sein, aber er macht, dass man mich nicht er­kennt.»

«Man kennt Sie trotzdem.»

«Nein – Sie vielleicht, aber die anderen nicht, die Polizisten … Und wenn ein Steckbrief kommt …»

Sie hatte ihn gefragt:

«Wo wohnen Sie?»

Er sagte:

«Nirgends. Ich bin jeden Tag umgezogen, bis jetzt.»

Sie sagte:

«Hören Sie, wenn Sie bei uns wohnten … Wir haben Zimmer auf den Hof hinaus.»

«Ich habe ja keine Papiere.»

«Das macht nichts», sagte sie. «Sie sind doch von hier. Und der Patron, wissen Sie, ich bin sicher, dass es ihm recht ist … Ich muss nur mit ihm reden, das ist klar …»

Sie hatten abgemacht, dass er am Nachmittag wiederkommen würde.

Danach war alles leicht gegangen, zu leicht, in jener ersten Zeit nach seiner Flucht aus dem Gefängnis von Aosta. Man hatte ihn nicht nur beschützt, man hatte auch für ihn gesorgt und ihn verwöhnt. Sie war nicht mehr ganz jung und nicht sehr schön, sagte er sich, aber sie war gut. So hatte er es ge­­schehen lassen, hatte sich beschützen und verwöhnen lassen und hatte mit seinen Goldstücken für das Zimmer gezahlt. Im Einvernehmen mit dem Wirt gab er sich als Vetter Joséphines aus.

Und er war anfangs vorsichtig gewesen, und dann war er es nicht mehr. In den ersten Wochen hatte er sich erst nach dem Einbruch der Dunkelheit in der Stadt gezeigt. Als aber niemand ihn zu bemerken schien, hatte er angefangen, zu jeder Tageszeit auszugehen, und war zwei- oder dreimal bis nach Mièges vorgestoßen. Er hatte sich gesagt, man müsse ihn wohl beim Gericht vergessen haben. So war er zweimal, trotz der Warnungen Joséphines, mit seinen Freunden zur Jagd gegangen, und das hatte ihn schließlich sogar auf den Jahrmarkt geführt, der in Sion zur Zeit der Weinlese, Mitte September, stattfindet. Da wurden hölzerne Becher verkauft, Lärchenkufen, Ziegenbälge und Kalbsfelle, Maultiergeschirr und alles, was man für die Traubenlese, für das Keltern, für das Einkellern braucht. Broschen für die Mädchen wurden angeboten, Seidentücher, Schuhe. Auf dem großen Platz war das Vieh ausgestellt, das man jetzt von den Alpen getrieben hatte, dort waren bis Mittag viele Leute gewesen; später wa­­ren in den Cafés viele Leute gewesen.

Und da war es schief gegangen. Farinet sah nachher ein, dass er mit daran schuld war. Er hätte doch wissen müssen, dass er gesucht wurde.

 

Und gerade da, wenn überhaupt, wäre einige Vorsicht am Platz gewesen, wegen all der Unbekannten, die das Lokal in der Croix- Blanche füllten. Aber zwei Monate Freiheit und allzu ruhiges Leben hatten Farinet sicher gemacht, er dachte nicht daran, sich verborgen zu halten, und war vom Mittag an in der Croix-Blanche zu sehen, wo er ganz offen an einem der Tische mit seinen Freunden Charrat und Ardèvaz aß und trank.

An den Nachbartischen waren Leute aus Mièges gesessen, die ihm zuriefen: «He, Farinet, Sie sind da! Wie geht’s Ihnen denn?»

Sie tranken auf sein Wohl, sie sagten:

«Auf Ihr Wohl, Farinet!»

Sie sagten zu ihm:

«Was machen Sie denn hier? Warum kommen Sie nicht zu uns? Sie werden erwartet.»

Und der Name, laut ausgesprochen, ja mehrmals gerufen, war durch das ganze Café gegangen, man kannte ihn nun schon, auch weiter herum, wegen der Zeitungsartikel.

Farinet war allerdings nicht mehr ganz nüchtern gewesen. Er hatte den Nachmittag hindurch in der Croix-Blanche getrunken, zwar an einem der hinteren Tische, um doch im Notfall nach rückwärts verschwinden zu können. Aber die Polizisten sind erfahrene Leute. Sie kamen gleichzeitig von der Straße und vom Hof herein. Auf einmal standen zwei an der Hintertür und zwei an der Vordertür. Farinet hielt sich also im Hintergrund des Lokals, den Rücken zum Eingang gekehrt; aber da war nun die andere Tür aufgegangen, und ein Wachtmeister mit Goldtressen auf den schwarzen Ärmeln und mit einem Revolver am Gürtel war erschienen.

Er hatte salutiert. Er hatte gesagt: «Niemand rührt sich!»

Das Reden und Lachen war plötzlich leiser geworden und schließlich verstummt.

Der Wachtmeister war vorgetreten; es war ganz still im Café. Ein anderer Polizist ohne Tressen hatte sich hinter ihm in der offenen Tür gezeigt.

Der Wachtmeister war grade auf Farinet zugegangen:

«Können Sie sich ausweisen?»

Farinet war aufgestanden.

«Ich weiß schon Bescheid.»

Das war Mitte September gewesen.

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