Handbuch Ius Publicum Europaeum

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

IV. Abschließende Notiz zur nationalen Identität

149

Die Bestimmung der nationalen Identität überschreitet im Grunde die Kernkompetenz des Verfassungsrechtlers und vermutlich auch die der Vertreter anderer Wissenschaftsdisziplinen, weil insofern ein nur schwer auflösbares Konglomerat von (völker-)psychologischen, gesamtgesellschaftlichen, historischen wie kulturellen Phänomenen eine Rolle spielt.[510] Und doch kann man der Frage mit Blick auf den Europäischen Unionsvertrag (EUV) nicht einfach ausweichen. Wenn Art. 6 Abs. 3 EUV von der Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten spricht, wird diese einerseits als bereits irgendwie gegeben bzw. vorgegeben vorausgesetzt; wenn Art. 6 Abs. 1 EUV die Union selbst auf die Grundsätze der Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet und ergänzend erklärt, dass diese allen Mitgliedstaaten gemeinsam seien, so sind andererseits schon gewichtige inhaltliche Vorgaben für sie markiert. Nun mag die nationale Identität in vielen Mitgliedstaaten an ganz andere Kristallisationspunkte anknüpfen als an die Prinzipien des Art. 6 Abs. 1 EUV oder deren Entsprechungen in den nationalen Verfassungen. In Deutschland hingegen ist es wegen der hier vorfindlichen (ebenso oft kritisierten wie positiv konnotierten) starken Fixierung von Politik und Gesellschaft auf das Grundgesetz als einem identitätsstiftenden Zentrum ganz naheliegend, in struktureller Analogie zur Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 GG (vgl. oben, Rn. 116) die nationale Identität in den zentralen verfassungsrechtlichen Verbürgungen zu suchen – vorzugsweise in jenen, die sich durch ihren fundamentalen, grundsätzlichen Charakter ebenso auszeichnen wie durch den hohen Bestandsschutz (vgl. oben, Rn. 28), den die Verfassung selbst diesen Bestimmungen verleiht. Auf diese Weise rücken die Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG und die von ihm erfassten Regelungen in das Zentrum der Betrachtung. Es kann daher nicht überraschen, dass in der deutschen Kommentarliteratur zu Art. 6 Abs. 3 EUV auf die Verfassungsprinzipien (Republik, Sozialstaat, Bundesstaat, Demokratie, Rechtsstaat) ebenso verwiesen wird wie auf die Grundrechte, die Menschenwürde und den Vorrang der Verfassung generell.[511] Und ebenso wenig überrascht es, dass der dem Thema „Die Identität der Verfassung“ im Handbuch des Staatsrechts gewidmete Beitrag in weiten Teilen im Grunde eine Kommentierung des Art. 79 Abs. 3 GG darstellt.[512] Was nun aber – die föderalen Aspekte einmal beiseitegelassen – wiederum hinter dieser zentralen Klausel und auch in manchen Aspekten des nicht minder wichtigen Konzeptes der „streitbaren Demokratie“ (vgl. oben, Rn. 29) steht, ist ein entschiedener Anti-Totalitarismus. Das Grundgesetz signalisiert damit seinen starken Geschichtsbezug und seinen dezidierten Willen, aus den schrecklichen Erfahrungen des Nationalsozialismus zu lernen (vgl. oben, Rn. 46ff.). Demgemäß hat man den Sinn des Art. 79 Abs. 3 GG darin gesehen, „einen Rückfall unseres Landes in Diktatur und Barbarei auszuschließen“[513]. Als deutsche Besonderheit und für die nationale Identität möglicherweise genauso bedeutsam dürfte schließlich der Sozialstaatsgedanke einzustufen sein.[514] Aufgrund langer Traditionen sozialer Fürsorge wäre in Deutschland eine strikt neoliberale Wirtschaftspolitik nach dem Muster der Thatcher-Ära in Großbritannien nicht nur rein tatsächlich unwahrscheinlich, sondern würde auch gegen ein weitverbreitetes Empfinden von (wie auch immer bestimmter oder bestimmbarer) sozialer Gerechtigkeit und gebotener mitmenschlicher Solidarität verstoßen.

150

Manche Phänomene einer Verfassungszentrierung gehen darüber freilich noch hinaus. So hat ein ebenso scharfsichtiger wie scharfzüngiger Beobachter in einem Überblick über die Rechtsentwicklung der ersten vier Nachkriegsjahrzehnte eine „quasireligiöse Aufwertung der Verfassung“[515] diagnostiziert. In der Tat gibt es Anzeichen und im Grundgesetz selbst liegende Gründe dafür, dass es „in der geistigen Welt der Legalität [...] eine Art von säkularem Ewigkeitscharakter“[516] zu gewinnen scheint; auch lässt sich anhand des politischen Diskurses beobachten, dass das Grundgesetz oft als eine Art „Moralsubstitut“[517] fungiert. Und schließlich sei daran erinnert, dass nicht nur die Feierstunden zu den 30er, 40er oder 50er Jubiläen des Grundgesetzes zuweilen durch einen pastoral hochgestimmten Ton geprägt waren, sondern selbst die massiv antiklerikalen Protagonisten der Französischen Revolution vor mehr als 200 Jahren auf Anleihen aus dem religiösen Bildprogramm der großen monotheistischen Religionen für die Präsentation der Menschenrechtserklärung nicht verzichten mochten und sich an Moses’ Gesetzestafeln orientierten.[518]

151

Gegenüber derartigen Sakralisierungstendenzen bleibt nüchtern festzuhalten, dass die Verfassung als rechtliche Grundordnung des politischen Gemeinwesens Menschenwerk und als solches fehlbar und vergänglich ist. Sie kann gerechte politische wie gesellschaftliche Verhältnisse anstreben und Vorkehrungen für deren Realisierung treffen, muss dabei aber stets die pluralistische Vielfalt der Auffassungen und Werthaltungen der Bürger in Rechnung stellen, auf deren Annahme und Akzeptanz sie mehr als auf alles andere angewiesen ist. Ohnehin kann die Verfassung immer nur vorletzte Fragen regeln, entscheiden oder einer (temporären) Lösung zuführen. Für die letzten Fragen nach dem guten, gelingenden Leben und seinem Sinn hat jeder, um Max Webers dramatische Wendung zu gebrauchen,[519] seinem eigenen Dämon zu folgen.[520]

§ 1 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Deutschland › Bibliographie

Bibliographie


Peter Badura/Horst Dreier (Hg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, 2 Bde., 2001.


Hartmut Bauer, Die Verfassungsentwicklung des wiedervereinigten Deutschland, in: HStR3 I, § 14, S. 699–789.


Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes – Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts (Würzburger Vorträge zur Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie, Bd. 4), 1986.


Brun-Otto Bryde, Verfassungsentwicklung. Stabilität und Dynamik im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1982.


Klaus-Berto v. Doemming/Rudolf Werner Füsslein/Werner Matz (Bearb.), Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR n.F. 1 (1951).


Horst Dreier, Kontexte des Grundgesetzes, DVBl. 1999, S. 667–679.


ders. (Hg.), Grundgesetz-Kommentar (siehe Abkürzungsverzeichnis).


Michael F. Feldkamp, Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Die Entstehung des Grundgesetzes, 1998.


Dieter Grimm, Das Grundgesetz nach vierzig Jahren, NJW 1989, S. 1305–1312.


Konrad Hesse, Die Verfassungsentwicklung seit 1945, in: HdbVerfR, § 3, S. 35–52.


ders., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 201995.


Hasso Hofmann, Verfassungsrechtliche Perspektiven. Aufsätze aus den Jahren 1980–1994, 1995.


ders., Die Entwicklung des Grundgesetzes von 1949 bis 1990, in: HStR3 I, § 9, S. 355–421.


Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts (siehe Abkürzungsverzeichnis unter HStR).


Klaus Kröger, Die Entstehung des Grundgesetzes, NJW 1989, S. 1318–1324.


Hartmut Maurer, Staatsrecht I. Grundlagen, Verfassungsorgane, Staatsfunktionen, 42005.


Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. I: 2004, Bd. II: 2006.


Reinhard Mußgnug, Zustandekommen des Grundgesetzes und Entstehen der Bundes republik Deutschland, in: HStR3 I, § 9, S. 315–354.


Bodo Pieroth (Hg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung, 2000.


ders./Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 212005.


Klaus Schlaich/Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht. Stellung, Verfahren, Entscheidungen, 62004.


Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I: 21984; Bd. II: 1980; Bd. III/1: 1988; Bd. III/2: 1994; Bd. IV/1: 2006; Bd. V: 2000.


Dietmar Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, 52005.


Edgar Wolfrum, Die Bundesrepublik Deutschland 1949–1990 (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. 10., völlig neu bearbeitete Auflage, Bd. 23), 2005.

Anmerkungen

[1]

 

Diese zündende Wendung geht zurück auf B. A. Ackerman, We the People. Bd. 1: Foundations, 51998, S. 230ff., 266ff., besonders S. 272ff.

[2]

Vertiefend zum Folgenden: W. Benz, Die Gründung der Bundesrepublik. Von der Bizone zum souveränen Staat, 51999; M. F. Feldkamp, Die Entstehung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland 1949. Eine Dokumentation, 1999; R. Mußgnug, Zustandekommen des Grundgesetzes und Entstehen der Bundesrepublik Deutschland, in: HStR3 I, § 8 Rn. 1ff., 33ff.

[3]

Die Präambel lautete bis zu ihrer Veränderung im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung: „1Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern, um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben, kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. 2Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. 3Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.“

[4]

Art. 146 GG lautete bis zu seiner Veränderung im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung: „Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“ Die Änderung des Jahres 1990 bestand darin, dass nach den ersten beiden Worten folgender Relativsatz eingeschoben wurde: „das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt“.

[5]

Der Terminus begegnet bereits im Bericht des Herrenchiemseer Verfassungskonventes (Parl. Rat II, S. 507); siehe auch K. (= Carlo) Schmid, Die politische und staatsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, in: Matz (Hg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und Besatzungsstatut, 1949, S. 1, 3f.; vgl. auch K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 2000, S. 1245 (m.w.N. zur zeitgenössischen Debatte).

[6]

Die entscheidenden Stationen waren die Londoner Sechsmächtekonferenz im Frühjahr 1948 sowie die Übergabe der so genannten Frankfurter Dokumente an die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder am 1. Juli 1948 (Abdruck der Dokumente in: Parl. Rat I, S. 30ff.); zu ihnen W. Sörgel, Konsensus und Interessen, 21985, S. 39ff.; B. Blank, Die westdeutschen Länder und die Entstehung der Bundesrepublik. Zur Auseinandersetzung um die Frankfurter Dokumente vom Juli 1948, 1995; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 52005, § 42 I 1 u. 2, S. 422ff.

[7]

Solche Interventionen betrafen zumeist das Bund-Länder-Verhältnis und die Finanzverfassung, weil insbesondere die Amerikaner eine zu starke Zentralisierung fürchteten. Freilich darf man nicht verkennen, dass es dem Parlamentarischen Rat oft gelang, flexibel auf solche Interventionen zu reagieren und letztlich eigene Positionen erfolgreich zu verteidigen. Weniger um ein striktes Diktat, eher um Aushandlungsprozesse handelte es sich, zumal weder die Westmächte noch die deutsche Seite jeweils in sich völlig homogene Positionen vertraten. Aufschlussreich insofern die Dokumente in: Parl. Rat VIII (insb. die einführende Übersicht S. VII ff., XXVIII ff.).

[8]

Davon ist zwar im Normtext des Art. 144 GG nicht die Rede, weshalb hier die Anforderungen an die Annahme des Grundgesetzes in unvollständiger Weise genannt werden (H. Dreier, in: ders., GGK III, Art. 144 Rn. 13). Aber einen solchen Vorbehalt hatten die Alliierten schon in den so genannten Frankfurter Dokumenten von 1948 und kurz zuvor im Schlusskommuniqué der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz formuliert (Text: Dreier, ebd., Art. 144 Rn. 2 mit Fn. 7 und 8).

[9]

Einen guten und konzentrierten Überblick über die Arbeit des Parlamentarischen Rates sowie die Debatte zu den einzelnen Normen gibt nach wie vor die Darstellung von K.-B. v. Doemming/R. W. Füsslein/W. Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR n.F. 1 (1951), S. 1ff. Maßgeblich für die wissenschaftliche Arbeit heute ist die mehrbändige Sammlung „Der Parlamentarische Rat“ (1975ff.), im Folgenden zitiert als „Parl. Rat“ mit Bandangabe; vgl. zu den bibliographischen Angaben das Abkürzungsverzeichnis am Anfang dieses Beitrages. – Noch im Aufbau begriffen ist die von H.-P. Schneider editierte Sammlung „Das Grundgesetz. Dokumentation seiner Entstehung“ (1995ff.).

[10]

Dieser „Verfassungsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz der westlichen Besatzungszonen“, bestehend aus den elf Delegierten der Länder und weiteren rund 20 Mitarbeitern und Fachleuten, erarbeitete auf der Herreninsel im Chiemsee in einem sehr kurzen Zeitraum (10. bis 23. August 1948) einen ersten Entwurf für das zu schaffende Grundgesetz (Gesamtdarstellung und Abdruck der Dokumente: Parl. Rat II). Dieses Dokument war als Arbeitsgrundlage wichtig und strukturierte die folgenden Beratungen oft entscheidend vor, ohne dass es vom Parlamentarischen Rat in irgendeiner Weise als verbindlich betrachtet worden wäre. Knappe Darstellung bei Feldkamp (Fn. 2), S. 28ff.; vgl. auch die Beiträge in März/Oberreuther (Hg.), Weichenstellung für Westdeutschland, 1999.

[11]

Übersichtliche Darstellung: Feldkamp (Fn. 2); ferner K. Niclauß, Der Weg zum Grundgesetz. Demokratiegründung in Westdeutschland 1945–1949, 1998, S. 211ff.; Stern (Fn. 5), S. 1277ff.

[12]

Gemäß einem Modellgesetz, das in den Landtagen und Bürgerschaften verabschiedet wurde, kam auf 750000 Einwohner ein Abgeordneter, jedoch mindestens einer pro Land. Im Einzelnen Mußgnug (Fn. 2), § 8 Rn. 33ff.

[13]

Der 8. Mai 1945 gilt als der Tag der vollständigen und bedingungslosen Kapitulation der deutschen Streitkräfte. Tatsächlich erfolgte die erste Erklärung dieser Art am 7. Mai 1945 u.a. durch Generaloberst Jodl im Hauptquartier der Westalliierten in Reims. Die Unterzeichnung der deutschen Kapitulation gegenüber der Roten Armee der Sowjetunion unter Marschall Schukow in Berlin-Karlshorst erfolgte unter dem Datum des 8. Mai; tatsächlich wurden die Dokumente aber erst nach Mitternacht, also schon am 9. Mai unterzeichnet. Textabdruck bei Rauschning (Hg.), Rechtsstellung Deutschlands: Völkerrechtliche Verträge und andere rechtsgestaltende Akte, 21989, Nr. 2, S. 4f. – Näher M. Stolleis, Besatzungsherrschaft und Wiederaufbau deutscher Staatlichkeit 1945–1949, in: HStR3 I, § 7 Rn. 23f.

[14]

Die Abstimmung im Parlamentarischen Rat ergab 53 Ja- und 12 Nein-Stimmen. Die Nein-Stimmen entfielen auf die CSU (6), das Zentrum (2), die Deutsche Partei (2) und die KPD (2). Vgl. Parl. Rat IX, S. 617 (Schlußabstimmung), 703ff. (Mitgliederliste).

[15]

Art. 144 Abs. 1 GG: „Dieses Grundgesetz bedarf der Annahme durch die Volksvertretungen in zwei Dritteln der deutschen Länder, in denen es zunächst gelten soll.“

[16]

Dazu etwa J. Heideking, Die Verfassung vor dem Richterstuhl. Vorgeschichte und Ratifizierung der amerikanischen Verfassung 1787–1791, 1988, S. 156ff., 556ff.; zur Funktion der Konvente auch G. S. Wood, The Creation of the American Republic 1776–1787, 1969, S. 532ff.

[17]

Parl. Rat I, S. 1ff., 30ff. (Zitate S. 4, 5 und 32). – Die wichtigsten Passagen auch bei Dreier (Fn. 8), Art. 144 Rn. 2 mit Fn. 8 und 9.

[18]

Zum Beratungsverlauf im Einzelnen und zu den innenpolitischen Gründen für das Abgehen vom Referendumsmodell vgl. O. Jung, Grundgesetz und Volksentscheid. Gründe und Reichweite der Entscheidungen des Parlamentarischen Rates gegen Formen direkter Demokratie, 1994, S. 252ff.; Stern (Fn. 5), S. 1230ff.

 

[19]

Dreier (Fn. 8), Art. 144 Rn. 4ff.

[20]

Vollständiger Text des Genehmigungsschreibens bei Rauschning (Fn. 13), Nr. 8a, S. 37ff.; die wesentlichen Passagen auch bei Dreier (Fn. 8), Art. 144 Rn. 15 mit Fn. 92. – Die Genehmigung erfolgte unter Vorbehalten, von denen der wichtigste der „Berlin-Vorbehalt“ war, wonach Berlin vom Bund nicht regiert werden durfte. Das am gleichen Tage erlassene Besatzungsstatut (Abdruck bei Benz [Fn. 2], S. 167ff.) sah u.a. vor, dass jede Verfassungsänderung der Zustimmung der Besatzungsbehörden bedurfte und auch Bundesgesetze erst in Kraft treten konnten, wenn sie nicht innerhalb von 21 Tagen von den Besatzungsbehörden abgelehnt wurden (hierzu H. Hofmann, Die Entwicklung des Grundgesetzes von 1949 bis 1990, in: HStR3 I, § 9 Rn. 37).

[21]

So der scharfsichtige Hinweis von H. Quaritsch, Kirchen und Staat, Der Staat 1 (1962), S. 175, 179. Gegen die Auffassung der westdeutschen Ministerpräsidenten, die Landtage könnten dem Grundgesetz ebenso Legitimität vermitteln wie eine Volksabstimmung, auch Mußgnug (Fn. 2), § 8 Rn. 99.

[22]

Nur der Bayerische Landtag lehnte es nach einer Marathonsitzung ab, fasste aber sogleich danach den Beschluss, die Rechtsverbindlichkeit des Grundgesetzes anzuerkennen, wenn es in zwei Dritteln der Länder angenommen wird. Vgl. im Einzelnen und m.w.N. Dreier (Fn. 8), Art. 144 Rn. 19.

[23]

Das war wiederum ein symbolträchtiges Datum, da am 23. Mai 1945 die Gefangennahme der Mitglieder der Reichsregierung Dönitz in Flensburg-Mürwik erfolgte.

[24]

Näher G. Stourzh, Vom Widerstandsrecht zur Verfassungsgerichtsbarkeit, 1974, S. 18ff.; H. J. Boehl, Verfassunggebung im Bundesstaat, 1997, S. 15ff., 25ff.

[25]

Siehe insb. E. J. Sieyes, Was ist der dritte Stand?, 1789, abgedruckt in: ders., Politische Schriften, Schmitt/Reichardt (Hg.), 21981, S. 117ff., 164ff. Zu Sieyes’ Lehre von der verfassunggebenden Gewalt nach wie vor wichtig E. Zweig, Die Lehre vom Pouvoir Constituant, 1909, S. 115ff., 136ff., 404ff.; aus der späteren Literatur H. Hofmann, Repräsentation (1974), 42003, S. 406ff.; H. Dreier, in: ders., GGK2 I, Präambel Rn. 64ff.

[26]

So hatte es auch die Paulskirchenverfassung sowie die Weimarer Reichsverfassung gehalten. Bismarcks Reichsverfassung von 1871 hingegen beruhte auf einem kunstvollen Geflecht von völkerrechtlichen Verträgen und unterschiedlichen Zustimmungsverfahren in den einzelnen und ganz überwiegend monarchischen Staaten (vgl. H. Maurer, Entstehung und Grundlagen der Reichsverfassung von 1871, FS für Klaus Stern, 1997, S. 29ff.), so dass sich der Rekurs auf die verfassunggebende Gewalt des Volkes naturgemäß verbat.

[27]

Vgl. K. Loewenstein, Verfassungslehre, 1957, S. 138f.; W. Henke, Die verfassunggebende Gewalt des deutschen Volkes, 1957, S. 36, 40; weitergehende Differenzierung bei C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 84ff.; E.-W. Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes. Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts, 1986, S. 20ff.; E. G. Mahrenholz, Die Verfassung und das Volk, 1992, S. 15ff.

[28]

Zu den daraus resultierenden Besonderheiten und Schwierigkeiten etwa J. Isensee, Idee und Gestaltung des Föderalismus im Grundgesetz, in: HStR IV, § 98 Rn. 297f.

[29]

G. Mann, Der verlorene Krieg und die Folgen, in: Richter (Hg.), Bestandsaufnahme. Eine deutsche Bilanz, 1962, S. 29, 45, spricht von einem „Homunkulus“.

[30]

Diese plastische Kennzeichnung stammt von J. Isensee, Schlußbestimmung des Grundgesetzes: Artikel 146, in: HStR VII, § 166 Rn. 32ff.

[31]

Siehe nur H. v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, 1953, S. 32; W. Geiger, Zur Genesis der Präambel des Grundgesetzes, EuGRZ 1986, S. 121, 124.

[32]

H. Rumpf, Der ideologische Gehalt des Bonner Grundgesetzes, 1958, S. 17. – Weitere Nachweise älterer Kritik bei P. Schoepke, Die rechtliche Bedeutung der Präambel des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, Diss. Tübingen 1965, S. 150ff.; B.-O. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 230 mit Fn. 34.

[33]

H. Meyer, Das ramponierte Grundgesetz, KritV 76 (1993), S. 399, 424.

[34]

Mußgnug (Fn. 2), § 8 Rn. 98.

[35]

Bei Quaritsch (Fn. 21), S. 179 findet sich der richtige Hinweis, dass niemand dem Parlamentarischen Rat seine Rolle streitig machte und die verfassunggebende Gewalt für sich reklamierte.

[36]

Dazu D. Murswiek, in: BK, Überschrift (Zweitb. 1986), Rn. 9; Dreier (Fn. 25), Präambel Rn. 82.

[37]

Das kann als weitgehender Konsens in der Staatsrechtslehre gelten: vgl. H.P. Ipsen, 40 Jahre Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, JöR n.F. 38 (1989), S. 1, 9f.; K. Hesse, Die Verfassungsentwicklung seit 1945, in: HdbVerfR, § 3 Rn. 17; H. Hofmann, Zur Verfassungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, StWStP 6 (1995), S. 155, 159.

[38]

A. Hollerbach, Ideologie und Verfassung, in: Maihofer (Hg.), Ideologie und Recht, 1969, S. 37, 46.

[39]

Diese Wendung bei F. Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2006, S. 53.

[40]

So E. Friesenhahn, Die politischen Grundlagen des Bonner Grundgesetzes, in: Recht, Staat, Wirtschaft, Bd. 2, 1950, S. 164. Ausführlich zu diesem doppelten zeitgeschichtlichen Bezug F. K. Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz, 1967, S. 1ff., 184ff.

[41]

So M. R. Lepsius, Das Erbe des Nationalsozialismus und die politische Kultur der Nachfolgestaaten des „Großdeutschen Reiches“, in: ders., Demokratie in Deutschland, 1993, S. 229, 230ff., der diesen Bezug für die Bundesrepublik, die DDR und Österreich durchdekliniert. Vergleichbar in Richtung und Intention ist die Rede vom NS-System als dem „politischen Layout“ der Bundesrepublik (G. Roellecke, Der Nationalsozialismus als politisches Layout der Bundesrepublik Deutschland, Der Staat 28 [1989], S. 505ff.).

[42]

Dieser scharfe Kontrast machte den Aufbau einer neuen staatlichen Ordnung insofern leichter, als er nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war. Denn anders als seinerzeit gab es nicht den beharrlichen Entwertungsdruck eines idealisierten Vorgängersystems, keine Dolchstoßlegende, keine Verklärung des untergegangenen Reiches. Der Nationalsozialismus hatte sich durch seine Taten und deren Folgen vollständig entlegitimiert (vgl. H. Lübbe, Deutschland nach dem Nationalsozialismus 1945–1990, in: ders., Modernisierung und Folgelasten, 1997, S. 284, 286f.).

[43]

Vgl. etwa G. Roellecke, Konstruktionsfehler der Weimarer Verfassung, Der Staat 35 (1996), S. 599ff.

[44]

Von daher sollte man die Weimarer Reichsverfassung nicht pauschal als „negative Folie“ (so E. Wolfrum, Die Bundesrepublik Deutschland 1949–1990 [= Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Aufl., Bd. 23], 2005, S. 78) bezeichnen. Sie war viel stärker eine Orientierungshilfe, in manchem Vorbild, in manchem Mahnung, immer Ansporn zur Verbesserung.

[45]

Dieser Zusammenhang ist praktisch unbestritten. Vgl. nur G. Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, AöR 81 (1956), S. 117ff.; H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, AöR 118 (1993), S. 353, 354; B. Pieroth, Geschichte des Grundgesetzes, in: ders. (Hg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung, 2000, S. 11, 13; H. Dreier, in: ders., GGK2 I, Art. 1 I Rn. 39.

[46]

Vgl. Parl. Rat I, S. 31: „[…] eine demokratische Verfassung […], die Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält.“

[47]

Transparente Darstellung in v. Doemming/Füsslein/Matz (Fn. 9), S. 41ff.; siehe auch Mußgnug (Fn. 2), § 8 Rn. 55.

[48]

Vgl. Parl. Rat II, S. 89.

[49]

Die zentralen Sätze lauten (zitiert nach Parl. Rat IX, S. 37): „Als drittes Erfordernis für das Bestehen einer demokratischen Verfassung gilt im allgemeinen die Garantie der Grundrechte. In den modernen Verfassungen finden wir überall Kataloge von Grundrechten, in denen das Recht der Personen, der Individuen, gegen Ansprüche der Staatsraison geschützt wird. [...] Die Grundrechte müssen das Grundgesetz regieren [...]. Diese Grundrechte sollen nicht bloße Deklamationen, Deklarationen oder Direktiven sein, nicht nur eine Garantie der Länder-Grundrechte, sondern unmittelbar geltendes Bundesrecht, auf Grund dessen jeder einzelne Deutsche, jeder einzelne Bewohner unseres Landes vor den Gerichten soll Klage erheben können.“

[50]

Bergsträßer war SPD-Mitglied aus Hessen und Historiker. Abdruck des Referates in: Parl. Rat V, S. 29ff.

[51]

Parl. Rat V, S. 28.

[52]

Diese Aufzählung ist rein illustrativ und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, zumal es einen festen oder gar verbindlichen Kanon solcher Rechte nicht gibt.

[53]

Namentlich die vorgrundgesetzlichen Landesverfassungen (etwa Bayern, Bremen und Hessen) sowie die nach der deutschen Wiedervereinigung in den „neuen“ Ländern verabschiedeten Dokumente kennen „soziale“ Grundrechte ebenso wie Regelungen über das Wirtschafts- und Sozialleben. Materialreicher Überblick bei A. Brenne, Soziale Grundrechte in den Landesverfassungen, 2002. Der internationale Rechtsvergleich ergibt ein paralleles Bild: B. Schulte, Soziale Grundrechte in Europa, 2001.

[54]

Dazu Hinweise bei H. Dreier, Die Zwischenkriegszeit, in: HGR I, § 4 Rn. 1ff., 54ff., 63, 70, 71ff.

[55]

Zinn, Parl. Rat V, S. 34.

[56]

Zum Folgenden eingehend Dreier (Fn. 54), § 4 Rn. 8ff., 12ff.

[57]

Zitat bei G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 141933, Vorb. vor Art. 109, S. 505, 514.

[58]

Auch dazu näher Dreier (Fn. 54), § 4 Rn. 20ff., 38ff.

[59]

So die berühmte Wendung von R. Thoma, Über die Grundrechte im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, in: Wandersleb (Hg.), Recht – Staat – Wirtschaft, Bd. 3, 1951, S. 9.

[60]

H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GGK2 I, Art. 19 IV Rn. 35ff.

[61]

Vergleichbare Vorläuferbestimmungen gab es nicht. Die Weimarer Reichsverfassung schwieg (nicht anders als die der USA, der Schweiz und Österreichs), die Lehre war gespalten. Bei L. Gebhard, Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reiches, 1932, S. 444 fand sich allerdings bereits eine Art Vorwegnahme der späteren grundgesetzlichen Regelung. Vgl. näher H. Dreier, in: ders., GGK2 I, Art. 19 III Rn. 7ff. (Genese), 26ff. (allgemeine Bedeutung).

[62]

Zur Deutung statt vieler W. Heun, in: Dreier, GGK2 I, Art. 3 Rn. 128.