Violet Socks

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Kapitel 6

MOM

Ich mache heute Spinatpizza. Meinst du, es reicht eine oder soll ich gleich zwei machen? Deine Mutter.

Ich lege stöhnend den Kopf in den Nacken, als ich die Nachricht von Mom auf meinem Handy sehe, während ich mit Benja, Hardy, Charly und Carla in der Cafeteria der Schule sitze und sie sich über das kommende Wochenende unterhalten.

Schnell schreibe ich zurück, damit Mom bloß nicht auf komische Gedanken kommt.

Spinatpizza? Das klingt schon wieder viel zu gesund. Wie wäre es mit Pizza überbacken mit Käse über

dem Käse?

„Aber die Musik dort ist immer so schrecklich", sagt Charly, während sie sich die wabbeligen Pommes der Cafeteria in den Mund schiebt. „Außerdem waren Discos noch nie unser Ding."

„Aber diesmal soll ein echt guter DJ da sein", versucht Hardy, sie zu überreden. „DJ Mäh."

Benja hebt skeptisch eine Braue. „DJ was zur Hölle?"

„Es könnte auch DJ Muh sein", sagt Charly wieder. „Ich werde nicht gehen. Zu so doofen Discos könnt ihr alleine gehen."

MOM

Ich habe schon alles vorbereitet. Es wird gut schmecken, versprochen. Also eine oder zwei? Deine

Mutter.

„Ich finde, wir könnten dort mal hingehen", sagt nun Carla, während sie sich ihre schwarzen Haare zu einem Zopf bindet. „Wir sind immer auf irgendwelchen Partys, eine Disco wäre mal was anderes."

„Eben", meint Hardy. „Und wenn es euch nicht gefällt, können wir auch zu mir. Ich habe sturmfrei."

Ich antworte meiner Mom:

Es wird gut schmecken - das hast du bei den letzten hundert Versuchen auch gesagt. Rosy wird

noch eine Lebensmittelvergiftung von deinem Jamie Oliver Essen bekommen. Willst du das?

„Du hast sowieso immer was zu meckern", sagt Benja zu Charly. „Diesmal passt du dich uns an und nicht andersrum, du Diva."

Charly verdreht die Augen. „Ich wette, wir werden nicht länger als zwölf Uhr dort sein. Das lohnt sich nicht, denn im Nachhinein sind Klubs immer ätzend."

Ich klinke mich in die Konversation ein, während ich die nächste Nachricht von Mom lese. „Jetzt stell dich mal nicht so an. Das ist nur ein Abend."

„Ein Abend, der meine kostbare Zeit verschwenden könnte."

MOM

Violet, ich diskutiere nicht schon wieder mit dir. Ein oder zwei Pizzen? Ich will eine klare Antwort oder

ich mache direkt drei, damit wir morgen noch etwas davon essen können. Deine Mutter!

„Man, Mom", meckere ich leise vor mich hin, derweil ich meine Antwort eintippe.

Du willst also wirklich, dass Rosy irgendwann an einer Lebensmittelvergiftung krepiert. Ist akzeptiert. Sie stört sowieso unser geselliges Familienleben. Mach eine Pizza, das sollte reichen, um das Gift in ihrem Körper zu verteilen. Übrigens musst du nicht immer schreiben, dass du meine Mutter bist. Ich weiß, dass du meine Mutter bist. Deine Tochter

„Hast du mich gerade Mom genannt?", fragt mich Charly empört.

Ich sehe durcheinander von meinem Handy zu ihr und dann wieder zu meinem Handy. „Nein, ich habe nur – also – egal." Ich lege mein Handy weg. „Also gehen wir nun dieses Wochenende ins Red Flags oder nicht?"

Benja nickt. „Jap. Charlys Meinung zählt mittwochs nicht."

Wiederholt rollt Charly die Augen.

Ich will gerade etwas sagen, doch eine samtig weiche, zum dahinschmelzende Stimme taucht hinter mir auf und nimmt meine komplette Aufmerksamkeit ein.

„Violet."

Der ganze Tisch schweigt und alle sehen hinter mich, wo wahrscheinlich der hübscheste Junge der Schule steht.

Ich drehe mich mit wild klopfendem Herzen zu ihm um und blicke direkt in seine nussbraunen Teddybäraugen, die einem Fels in der Brandung gleichen. Gemischt mit seinem goldenen Haar wirkt er wie ein Prinz. Nein, wie ein König! Ein wunderschöner König, der bereit ist, mich durch Tal und Schlucht zu führen, um mich vor den bösen Drachen zu retten.

Sein Lächeln ist so rein und seine vollen Lippen so perfekt geformt, dass ich mich beherrschen muss, meinen Mund nicht direkt auf seinen zu pressen. Ich liebe es, wie perfekt seine Nase ist, und ich liebe sogar sein kleines Muttermal über der rechten Augenbraue.

Ich kann ihn sogar riechen.

Er riecht nach Mann. Nach echtem Mann.

Und ich stehe voll drauf.

„Violet!", zischt Charly mir zu, die mir auf den Oberarm haut.

Ich wache aus meiner Starre auf, in der ich mit Sicherheit schon begonnen habe, zu sabbern, während ich Brandon von hier unten betrachtet habe.

Brandon lacht sanft auf, als ich rot anlaufe und mich sofort gerade hinsetze.

„Ä-Ähm", stottere ich nervös und wische meine schwitzigen Hände an dem Saum meines Rocks ab. „Hi Brandon. Was gibt's?" Ich klinge lockerer, als ich dachte. Der Schauspielunterricht im Theaterkurs bringt es also doch.

Brandon lächelt wieder und steckt seine Hände in die Taschen seiner Jeans, sodass nur seine Daumen rausgucken. Es sieht so verdammt maskulin und heiß aus, ich will ihn ablecken. „Ich wollte wissen, ob du am Freitag zu DJ Mäh ins Red Flags gehst", fragt er mich.

Ich schwöre, mein Herz hört für eine Sekunde auf zu schlagen. Oder vielleicht doch für zwei Sekunden.

Fragt mich Brandon aka Brandon Adonisprachtkörper mit den Adonishaaren tatsächlich nach einem Date?

Oder Moment mal. Er hat mich doch nur gefragt, ob ich am Freitag ins Red Flags gehe, und nicht, ob ich mit ihm dort hingehe. Verdammt, ich wusste, ich mache mir viel zu viele Gedanken. Sogar gerade jetzt mache ich mir viel zu viele Gedanken.

Mit kratziger nervöser Stimme antworte ich: „J-Ja. Warum?"

Wie kann ein Kerl nur so schön sein wie er? Ich will, dass er mich hier und jetzt auf dem Tisch nimmt.

Ich halte den Atem von meinen eigenen Gedanken an. Was, zur Hölle, denke ich hier?

Brandon steht noch immer lässig vor mir und ist das komplette Gegenteil von mir. Wenn er nur wüsste, was ich denke und wie er mich zum Schwitzen bringt. „Cool", sagt er. „Ich auch. Hast du Bock, mit mir gemeinsam dort hinzugehen? Ich bekomme freien Eintritt, weil mein Cousin Barkeeper ist."

Wenn ich könnte und es nicht unpassend wäre, würde ich meinem Körper erlauben, das Bewusstsein zu verlieren und geradewegs von der Bank nach hinten zu kippen.

Er fragt mich tatsächlich nach einem Date. Brandon. Brandon fragt mich einem ... Oh, Gott, gleich kippe ich wirklich weg.

Weil ich mal wieder wie eingefroren bin und ihn nur verdutzt anstarre, antwortet Benja für mich: „Ja, sie geht gerne mit dir dorthin!" Er sieht mich mahnend an. „Nicht wahr, Violet?"

Brandon sieht von Benja zu mir und scheint gar nicht zu verstehen, warum ich nicht selbst antworten kann, aber wenn er nur in meinem Körper stecken würde, wüsste er es so was von. Von mir aus kann er gerne in meinem Körper stecken.

Um Himmels willen. Östrogene, hallo!

„Okay?", sagt Brandon etwas verwirrt über mein Verhalten. „Dann, äh, okay, cool. Ich hole dich um acht Uhr ab, wenn dir das passt."

Ich nicke langsam, weil meine Kehle noch immer zugeschnürt ist.

Bitte steck in meinem Körper, Brandon.

Brandon lächelt mir ein letztes Mal zu, was mich zum Schlucken bringt. „Dann bis dann."

Wir alle sehen ihm hinterher, als wäre er eine Gottheit. Oh, stimmt ja, er ist ja eine Gottheit. Gott der Liebe. Nein, Gott der Verführung. Oder nein! Gott der Geilheit.

„Was war das denn?", unterbricht Carla zuerst die Stille und ich beobachte, wie Brandon sich wieder an den Tisch setzt, an dem er mit seinen Freunden sitzt. Ich kann sogar Harry irgendwo dazwischen erkennen.

„Ich glaube, Brandon aka Sexgott hat Vy gerade nach einem Date gefragt", sagt Charly mindestens genauso überfordert mit der Situation wie ich.

Carla kichert. „Wahrscheinlich wollte er nach dem Englischkurs unbedingt mal seinen heimlichen Stalker kennenlernen."

Ich erwache aus meiner Starre und kneife Carla in den Unterarm. „Hey, das war nicht witzig."

„Es war zum Schreien", lacht Charly und Benja sagt: „Sei doch froh. Du hast ein Date mit Brandon!"

Ich seufze glücklich und grinse wie ein Vollidiot. „Hach, ja ... Das liegt bestimmt an dem neuen Rock, den ich trage."

Benja verdreht die Augen. „Ja, genau, es liegt mit Sicherheit nur an dem Rock. Vielleicht mag er dich auch einfach ohne den Rock."

Mein verknalltes Grinsen wechselt zu einem schmutzigen. „Er kann mich Freitag gerne ohne Rock mögen."

Charly sieht mich entsetzt an. „Wie bitte? Du willst doch nicht am Freitag mit ihm schlafen, oder?"

Auch Carla scheint total geschockt. „Wir haben doch unseren Schwur!"

Ich verdrehe die Augen und stopfe mir eine von Charlys Wabbelpommes in den Mund. „Macht mal halblang, das war doch nur ein Spaß. Ich werde schon nicht mit ihm schlafen."

Die beiden beruhigen sich wieder. Das Thema Sex ist in unserer Runde immer ein heikles Thema. Wir alle haben uns gegenseitig geschworen, erst mit jemandem zu schlafen, den wir wirklich lieben und daran halten wir uns. Benja war der erste, der den Schwur brechen durfte, denn dass er und Hardy sich lieben, steht mehr als fest.

Zwar hatte Charly schon Sex, aber sie bereut es, weswegen wir diesen Schwur überhaupt erst aufgestellt haben. Nachdem sie mit fünfzehn mit einem zwanzigjährigen Kerl geschlafen hat, von dem sie dachte, sie liebt ihn, passt sie bei uns allen extrem darauf auf, dass wir auch ja den Richtigen für unser erstes Mal finden.

 

Als ich Mom wieder eine Nachricht geschrieben habe und mein Handy hinlege, fällt mein Blick ungewollt nach vorne, wo ich Harry sehe, der gerade seine Wasserflasche in die Pfandkiste stellt. Florence hängt an seinem Arm wie ein Klammeräffchen.

Mit ihm hatte ich früher auch einen Schwur, aber dass dieser heute keine Bedeutung mehr hat, steht mehr als fest. Ich weiß noch, wie wir damals immer sagten, wir würden niemand anderen heiraten außer uns. Klar, wir waren Kinder und wussten noch nicht, was das zu bedeuten hatten, aber selbst als wir älter wurden, hat Harry immer aufgepasst, mit welchen Jungs ich Kontakt hatte und hat mir auch gesagt, wenn er sie blöd fand.

Meine Mundwinkel senken sich automatisch, während ich beobachte, wie er mit Florence im Schlepptau die Cafeteria verlässt. Ich muss ihn nur eine Sekunde sehen und direkt bekomme ich schlechte Laune, obwohl ich das nicht sollte. Ich sollte mich auf Brandon konzentrieren und nicht auf ihn.

„Zehn Minuten zu spät", sind die ersten vier Worte, die ich zu Harry sage, als er den Klassenraum betritt, indem wir nachsitzen müssen.

Vor mir habe ich schon jede Menge Blätter Unterlagen ausgebreitet, mit denen ich Harry beim Lernen helfen will. Misses Heath meinte, dass sie gute Noten bei ihm sehen will, und ich will keinen Ärger dafür bekommen, dass er diese ganzen Sachen nicht verstanden hat, weil ich zu unfähig war, sie ihm zu verklickern.

Harry schließt desinteressiert die Tür und setzt sich mir gegenüber an das Lehrerpult, auf dem ich die ganzen Sachen verteilt habe. „Was zur Hölle soll das alles sein?", fragt er mit gekrauster Stirn und mustert die ganzen Zettel.

Ich ziehe aus meiner Schultasche noch einen Ordner und lege ihn auf den Tisch. „Das, was wir heute lernen werden."

Er lacht ungläubig auf und nimmt sich einen der Zettel. „Ist das dein Ernst? Integralfunktionen? Du weißt schon, dass ich um einiges besser in Mathe bin als du?"

Ich ziehe ihm den Zettel aus der Hand und lege ihn wieder auf den Tisch. „Ach ja, wirklich? Dann würdest du ja nicht auf Fünf stehen und ich nicht auf Drei."

„Oh, du stehst auf Drei. Glückwunsch, du gehörst zum Durchschnitt."

Ich hebe amüsiert eine Braue. „Was ist das denn für ein Spruch? Und du bist besser als ich, weil du auf Fünf stehst und dadurch nicht zum Durchschnitt gehörst?" Ich lache. „Glückwunsch, Jermaine-René, du hast es unter den Durchschnitt geschafft."

Harry lehnt sich genervt zurück und verschränkt die Arme. „Ich kann den Dreck. Das hier ist Zeitverschwendung."

„Wenn du es können würdest, hättest du keine Fünf in Mathe, du Genie."

„Ich habe eine Fünf in Mathe, weil Heath mich hasst."

Wen wundert das? Mich nicht. „Nein", erwidere ich jedoch. „Du hast eine Fünf, weil du schlechte Noten schreibst und nicht aufpasst."

„Woher willst du wissen, ob ich aufpasse? Wir sind nicht im selben Kurs."

Ich runzle die Stirn und sehe ihn an. „Was? Wir sind schon seit der fünften Klasse im gleichen Kurs."

Jetzt hebt sich Harrys rechter Mundwinkel ein wenig und ein gehässiger Ausdruck schleicht sich auf sein Gesicht. „Oh. Du fällst mir nicht auf."

Beleidigt kneife ich die Augen zusammen und funkle ihn an. Ich falle ihm nicht auf? Idiot. Am liebsten würde ich den Spruch irgendwie kontern, doch mir fällt nichts Intelligentes ein. Stattdessen reiche ich ihm einen Zettel mit Matheaufgaben, die ich für ihn vorbereitet habe. Ich lege den Zettel genau vor ihn.

„Hier", sage ich, schon lange nicht mehr so gelassen wie vor dreißig Sekunden. „Wenn du das ja alles so gut kannst, dann mach diese Aufgaben."

Harry sieht auf den Zettel und ich auf die Uhr an der Wand. „Du hast zehn Minuten, keine Sekunde länger."

Er richtet sich auf und nimmt sich einfach so einen Stift aus meinem Mäppchen, den ich ihm jedoch sofort wieder aus der Hand ziehe.

„Hey, du hast deine eigenen Stifte", meckere ich und presse den Stift vor meine Brust. „Und außerdem kannst du noch ein wenig Freundlichkeit aufbringen und mich fragen, wenn ich schon bereit bin, dir zu helfen."

Harry atmet nur genervt auf und schnappt sich wieder den Kugelschreiber in meiner Hand. „Du bist nicht bereit, mir zu helfen, du musst mir helfen. Und es ist nur ein verdammter Stift, also mach keinen Aufstand, als würde es um eine Niere gehen."

In mich hineinknurrend beobachte ich ihn, wie er beginnt zu schreiben. Mit meinem violetten Kugelschreiber, der zufällig mein Lieblingskugelschreiber ist. Aber ab heute nicht mehr. Jetzt muss ich ständig daran denken, dass Mister Obercool ihn in den Händen gehalten hat.

Ich lehne mich zurück, während er die Matheaufgaben macht. „Du siehst echt schwul mit dem pinken Kugelschreiber aus."

Harry schreibt weiter und lässt sich nicht von mir ablenken. „Und du siehst aus wie ein Förster mit deinem braunen Rock."

Ich schweige und presse die Lippen aufeinander. Immer hat er etwas an meinen Klamotten auszusetzen, wenn wir uns sehen. Charly und ich haben uns den Rock gemeinsam gekauft und das erst letztes Wochenende. Jetzt will ich ihn nie wieder tragen. Dank Harry.

Ich schüttle mich. Nein, stop, ich werde ihn weiterhin tragen. Ich lasse mir doch von Harry nichts einreden. Dieser Rock ist absolut bombe und das lasse ich mir nicht versauen.

Deswegen sage ich: „Mit deinen engen Jeans könntest du Mitglied einer Boyband der Neunziger sein."

„Immer noch besser als auszusehen wie ein Förster."

„Du wärst das Boybandmitglied, über den jeder spekuliert, ob er wirklich schwul ist oder nicht."

Er schnalzt unbeeindruckt mit der Zunge. „Immer noch besser als ein Förster."

Nach ein paar Momenten reicht er mir den Zettel und ich sehe verdutzt darauf. „Schon fertig?"

Selbstgefällig zuckt er mit der Schulter. „Was? Dachtest du, schwule Boybandmitglieder können kein Mathe, Förster Lotta?"

Wieder knurre ich. Blitzschnell reiße ich ihm den Zettel aus der Hand und klatsche ihn vor mich auf das Pult. Ich werde jede kleinste Rechnung nach Fehlern absuchen und ich werde eiskalt und gnadenlos sein. Er kann das unmöglich in so kurzer Zeit gepackt haben, gerade mal Ching Noi, unser asiatisches Mathegenie würde das packen, aber doch nicht Harry Perlman. Er ist dumm.

Ich überfliege schwer nachdenkend jede kleinste Ziffer und ärgere mich mit jeder Sekunde mehr, dass er keinen Fehler hat. Egal, wie oft ich nachsehe. Mein Finger, mit denen ich den roten Marker in meiner Hand halte, jucken schon, weil sie etwas anstreichen wollen, doch es scheint einfach nicht nötig zu sein.

Während ich die Aufgaben genauestens kontrolliere, sagt Harry irgendwann: „Brandon Brown, hm?"

Ich suche weiterhin auf dem Zettel nach Fehlern, um sie Harry mitten ins Gesicht drücken zu können. „Was ist mit ihm?", frage ich ihn nebenbei.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Harry sich auf dem Holzstuhl zurücklehnt und seine Hände hinter dem Kopf verschränkt. „Er hat erzählt, ihr geht am Freitag zusammen zu DJ Mäh."

„Ja, und? Willst du ihn mir jetzt schlechtreden?"

„Kein Stück. Ich musste es nur mit eigenen Ohren hören."

„Nun tu mal nicht so, als wäre es das siebte Weltwunder. Anscheinend mag mich Brandon nun mal."

„Es heißt achtes Weltwunder", korrigiert Harry mich. „Und doch, es ist das achte Weltwunder."

Ich lege verzweifelt den roten Stift beiseite und stemme meinen Kopf in die Hände. Er hat tatsächlich keinen einzigen Fehler gemacht. Jede Rechnung ist einwandfrei. Wäre das hier eine Arbeit, hätte er ein glattes A. Wieso zur Hölle kann er das?

„Was?", fragt Harry mich mit süffisantem Grinsen. „Kein Fehler gefunden?"

Ich schüttle hoffnungslos den Kopf. „Ich verstehe das nicht", sage ich und sehe mir weiterhin die fehlerfreien Aufgaben an. „Wieso kannst du das?"

„Ich bin ein geheimes Mathegenie und eigne mir insgeheim so viele Mathekenntnisse an, wie ich kann, damit ich irgendwann die Weltherrschaft übernehmen kann."

„Was?", krächze ich.

Worauf Harry anfängt zu lachen und sich wieder aufrichtet. „Ich kann das einfach, Violet. Mathe war schon immer mein stärkstes Fach."

Stimmt. Ich erinnere mich an die Zeit zurück, in denen Harry noch kein Arsch war. Er war früher immer gut in der Schule und ja, Mathe war definitiv sein stärkstes Fach, während ich in Englisch besser war. Wir konnten uns immer gegenseitig helfen, das war sehr praktisch.

Deswegen runzle ich fragend die Stirn. „Wenn du das kannst, wieso hast du dann im Zeugnis eine Fünf?"

Er zuckt mit einer Schulter und nimmt sich den Zettel, um ihn zusammenzuknüllen. „Keine Ahnung, es ist einfach so."

Etwas überfordert damit, wie schnell er plötzlich seine Laune geändert hat, sehe ich zu, wie er sich wieder seine Jacke anzieht. „Willst du gehen?"

Er sieht auf die Uhr seines Handys und steckt es dann wieder weg. „Ja, ich muss weg."

„Du musst weg? Wir sitzen nach, schon vergessen?"

„Mir egal, ich sitze mindestens dreimal die Woche nach. Heath wird das schon verstehen."

Ich stehe auf, als er aufsteht und sich seinen Rucksack nimmt. „Du kannst doch jetzt nicht einfach gehen! Ich werde Ärger bekommen, wenn du abhaust!"

Harry jedoch ignoriert meine Beschwerde und geht zur Tür. „Mir egal, ich habe schon genug Stress wegen dir bekommen. Sag Heath einfach, dass mir schlecht geworden ist oder so."

„Harry, du …''

Mir wird das Wort abgeschnitten, denn er schmeißt schon die Klassenzimmertür hinter sich zu und lässt mich einfach zurück. Ich bin mir nicht sicher, ob ich wütend oder erleichtert sein soll, dass er gegangen ist. Einerseits kann ich nichts dafür, dass er geht, und andererseits kann ich auch einfach gehen und meinen Tag produktiver nutzen.

Deswegen schnappe ich mir meine Sachen und verschwinde genauso wie Harry. Morgen werden wir dafür Ärger bekommen, aber es ist immer noch nicht meine Schuld, sondern Harrys. Heath wird das schon nachvollziehen können.

Kapitel 7

Schon seit geschlagenen drei Minuten halte ich vorsichtig die Gardine vom Wohnzimmer zur Seite, damit ich den perfekten Blick auf die Straße vor unserem Haus habe. Jeden Augenblick könnte Brandon mit seinem Auto kommen, um mich abzuholen. Denn heute ist Freitag und das bedeutet, heute ist endlich unser lang ersehntes Date. Ich habe die ganze Woche kaum noch was gegessen, damit ich bloß keinen Blähbauch habe, wenn wir unterwegs sind. Zwar musste ich dadurch auf ein paar Tortenstücke von Tante Giselas Geburtstag verzichten, aber das war es mit Sicherheit wert. Ich fühle mich dünn und gut. Zumindest so gut, wie es geht, denn ich bin extrem nervös.

„Oh, Gott, er kommt!", kreische ich auf, als ich Brandons weißen Wagen sehe, der vor unserem Gartenzaun hält. Schnell schiebe ich die Gardine wieder vor und renne zum Spiegel im Flur.

Mom kommt hektisch aus der Küche gelaufen. „Okay, hast du alles? Tampons, Puder, Kondome?"

Ich sehe sie mit riesigen Augen an, während ich meinen Dutt noch mal richte. „Mom! Ich sagte doch, dass ich heute noch nach Hause komme!"

Sie ist nicht weniger nervös als ich, so wie immer, wenn es um Kerle geht. Vor allem, wenn es um einen Kerl wie Brandon geht. „Ich will doch nur, dass du auf Nummer sicher gehst, Liebling!"

Es klingelt.

Hektisch atmend sehen wir uns an.

Und plötzlich überkommt mich eine riesige Angst. „Oh, Gott", flüstere ich verzweifelt. „Mom, ich werde das nicht packen! Ich werde mich hundert pro blamieren oder ihm ein Getränk über den Schoß kippen!"

Doch Mom schiebt mich zur Tür. „Nein, wirst du nicht. Du wirst einen tollen Abend mit diesem Jungen haben und ihr werdet Spaß haben."

Noch bevor ich die Tür öffnen kann, drehe ich mich zu ihr und umarme sie schnell. „Ich hab dich lieb, Mom."

Sie lächelt. „Ich hab dich auch lieb, mein Schatz. Du siehst toll aus und deswegen schnappst du dir jetzt diesen Hengst."

Ich werde wieder rot. „Mom!"

Sie lacht und geht in die Küche. „Viel Spaß!"

Ich öffne mit flatterndem Herzen die Tür und grinse breit, als ich den hübschesten Kerl der Schule sehe, der lässig am Türrahmen angelehnt auf mich wartet und sein coolstes Lächeln auf den Lippen trägt.

„Hi", grüßt Brandon mich mit seiner samtigen Stimme und mir fällt auf, dass seine Haare heute anders gestylt sind. Sie sind etwas nach hinten hinter seine Ohren gewischt und ich liebe es.

 

Mein Grinsen ist wie festgetackert und ich atme aus, weil ich ständig die Luft anhielt. „Hi."

Er stützt sich von dem Türrahmen ab und hält mir seine Hand hin. „Komm, lass uns gehen."

Überglücklich ergreife ich seine Hand. Brandon ist so verdammt anziehend, es macht mich irre.

„Du siehst übrigens hübsch aus", sagt er beiläufig, als wir Hand in Hand zu seinem Auto laufen.

Ich lächle zu ihm nach oben, weil er ungefähr einen Kopf größer ist als ich. „Danke. Du, äh, auch."

Brandon lacht leise und gleichmäßig heben sich seine Mundwinkel. „Danke, Viv… Violet."

Er öffnet mir wie ein wahrer Gentleman die Tür seines Autos und ich erröte noch mehr, weil ich so aufgeregt bin. Brandon Brown öffnet mir die Tür zu seinem Auto. Das Nichtessen die ganze Woche hat sich definitiv gelohnt.

„Danke", sage ich mit einer für meine Verhältnisse zu hohen Stimme und steige in sein Auto.

Er schmeißt die Tür wieder zu und mir kommt sofort ein ungewöhnlicher Geruch entgegen. Es riecht scharf, ein wenig nach Spirituosen. Ich kann es nicht genau zuordnen, aber ich denke mal, dass ihm hier drin wohl mal ein Getränk umgekippt sein muss. Es riecht nicht nach Kokos wie bei Harry, aber ich denke, bei keinem wahren Kerl riecht es nach Kokos.

Als Brandon die Tür zu Fahrerseite öffnet, wird mir klar, dass ich schon wieder Brandon mit Harry verglichen habe. Verdammt soll Harry sein. Ich will mich nur auf Brandon konzentrieren, nicht auf ihn und seinen seltsamen Fetisch, alles nach Kokos duften zu lassen.

Brandon fährt los und er schaltet das Radio aus.

„Wieso machst du die Musik aus?", frage ich ihn verwirrt.

Die Lichter der Laternen spiegeln sich in seinem Gesicht während er fährt und ich genieße jede Sekunde, in der ich sein schönes Profil betrachten kann. „Weil ich mich mit dir unterhalten möchte", sagt er. „Und Musik würde unsere Konversation stören."

Innerlich seufze ich schmachtend auf. Hach, Gott, Brandon. Für dich würde ich auch die nächsten zwanzig Jahre nichts essen.

„Dann sollten wir uns wohl unterhalten", sage ich und versuche, lockerer zu sein, denn sonst bin ich auch nicht so schüchtern.

Er schmunzelt. „Du hast recht. Erzähl mir etwas von dir, ich kenne dich ja kaum. Erklär mir doch mal, wieso du Gedichte von Goethe auswendig kannst."

Vor Scham halte ich mir die Hand vor die Augen und lehne den Kopf zurück. Er hat das alles im Englischkurs also doch mitbekommen. „Oh, ähm, ja ... Also ich stand schon immer total auf Epos und Lyrik und so was, weißt du? Literatur, Gedichte schreiben war schon immer voll mein Ding."

Beeindruckt nickt er. „Interessant. Also nehme ich an, dass ich eine wahre Poetin neben mir sitzen habe?"

Ich zucke schüchtern mit den Schultern und knibbel an meinen frisch lackierten Nägeln rum. „Ich weiß nicht. Wenn du es so nennen magst."

„Ich würde es gerne so nennen."

Ich sehe zu ihm. Er ist noch netter, als ich dachte. Er sieht nicht nur gut aus, sondern weiß auch noch, wie man freundlich und zuvorkommend ist. Der Abend verläuft besser, als ich dachte. Gerade wäre ich mit niemand anderem lieber hier als mit ihm.

„Was ist mir dir?", traue ich mich zu fragen. „Was machst du in deiner Freizeit?"

Brandon fährt sich wie ein Vogue-Model durch die blonden Locken. „Ich habe nicht sonderlich viel Freizeit. Mein Vater ist vor ein paar Jahren gegangen und seitdem muss ich oft auf meine kleine Schwester aufpassen, weil meine Mutter viel arbeitet."

„Oh", sage ich und fühle direkt mit ihm. „Ich kenne das. Mein Vater hat uns auch verlassen, als ich acht war und ich muss oft auf meine kleine Schwester aufpassen."

„Dann teilen wir ja sozusagen das gleiche Schicksal. Es ist schön, jemanden zu treffen, der einen versteht."

Ich lächle warm. „Ja, das ist es wirklich. Ich wette, du bist ein ausgezeichneter großer Bruder."

Kurz lächelt er mir zu. „Und ich wette, du bist eine ausgezeichnete große Schwester."

Brandon parkt neben dem Klub, wo ich schon von Weitem meine Freunde sehen kann. Charly, Benja, Oscar, Carla und Hardy stehen schon erwartungsvoll vor dem Eingang zwischen weiteren Leuten. Sie stechen überall heraus. Man sieht ihnen – bis auf Hardy – einfach an, dass sie hier nicht hingehören.

Als ich gerade die Autotür öffnen will, springt Brandon schon nach draußen und öffnet sie mir, bevor ich überhaupt dazu komme. Wieder grinse ich breit und mein Puls geht schneller. Er ist so verdammt zuvorkommend, dass es beinahe unwirklich ist.

„Danke", sage ich wieder zu schüchtern für meine Art und steige aus, passe aber gleichzeitig auf, dass mein Rock nicht zu hoch rutscht. Er ist ebenfalls neu. Zwar ist er in einem Schwarz, doch ich wollte mich nicht seltsam anziehen, wenn ich schon mal mit Brandon unterwegs bin. Er soll denken, ich bin elegant und erwachsen. Dazu trage ich noch meine typischen Kniestrümpfe, ebenfalls in Schwarz und einen hautfarbenen Pullover. Allerdings mussten meine Boots ausreichen, denn hohe Schuhe besitze ich nicht und Charlys Schuhgröße habe ich nicht.

„Liebend gerne", lächelt Brandon und schließt die Autotür hinter mir. Er kommt zu mir und legt seinen Arm um meine Taille, um mich zum Klub zu bringen, was mein Bauch ein wenig zum Prickeln bringt.

Ich wusste gar nicht, dass er schon so in die Offensive geht, und das beim ersten Date. Aber mir soll es recht sein. Ich schmachte ihn seit Ewigkeiten an, besser kann es für mich kaum laufen.

Charly und die anderen entdecken uns auch endlich, als wir zum Eingang laufen, und winken heftig. Ich muss mir ein Lachen verkneifen, denn sie wirken wie Bauerntrampel im Gegensatz zu den anderen. Aber ich liebe es, denn ich bin einer von ihnen.

„Da sind meine Freunde", sage ich zu Brandon, der wohl genauso wie ich Benja und die anderen entdeckt hat. „Sie wollen mit uns reingehen."

Jedoch hat Brandon einen anderen Plan, denn er zieht mich geradewegs an ihnen vorbei, ohne auch nur einen Blick zu ihnen zu werfen.

Verdutzt sehe ich von ihm zu Charly, die mir einen genauso verwirrten Blick zuwirft. Ich zucke nur mit den Schultern als Zeichen dafür, dass ich eigentlich gerne zu ihnen gekommen wäre, doch es heute nicht anders geht. Sie winkt daraufhin nur lässig ab und wendet sich an die anderen. Sie verstehen mich schon. Die Sache mit Brandon ist mir sehr wichtig.

„Wir werden den Abend mit meinen Freunden verbringen", sagt Brandon, als er einfach so gelassen an dem Türsteher vorbeigeht, denn er hat ja freien Eintritt.

„Oh." Ich bin etwas enttäuscht, allerdings ist es heute in Ordnung. Es stört mich nicht, neue Leute kennenzulernen, solange sie nett zu mir sind.

Brandon sieht zu mir. „Wenn das für dich in Ordnung ist, natürlich."

Ich nicke und versuche mein Widerstreben zu verstecken. „Ja, ist in Ordnung."

Er sieht wieder geradeaus und führt mich dann durch ein paar Leute in einen abgesperrten Bereich, wo ich schon Gesichter sehe, die ich nur ungern um mich habe. Clarissa, die Braue, chillt mit Florence auf einer weißen Couch und trinkt Sekt. Daneben ein paar Kerle, die ich zwar schon oft in der Schule gesehen habe, aber nie gesprochen habe. Sie sind eher die Partie Ethan und Harry, wenn ich mir ansehe, wie sie Florence und Clarissa anschmachten.

Die Musik ist auch nicht mein Geschmack und ich wette, Charly hätte jetzt genau das Gleiche gesagt. Diese Technobässe sind absolut nicht unser Ding und ich wünschte, es würde etwas Ruhigeres oder wenigstens etwas mit mehr Rock laufen. Aber damit muss man sich wohl in einem Klub zufriedengeben.

„Moment mal", sagt Florence, als Brandon und ich uns auf die weiße Couch zu den anderen in den Kreis setzen und er mich nahe an sich heranzieht. Sie zeigt missbilligend auf mich und lacht. „Berry-Loser ist dein Date?"

Brandon verstärkt seinen Griff um meine Hüfte. „Ja, ist sie. Das hat dich nicht zu interessieren, Florence."

„Natürlich hat mich das zu interessieren. Du kannst nicht einfach irgendeine deiner komischen Freundinnen hierherschicken und dann erwarten, dass wir das akzeptieren."

„Sie ist nicht eines meiner komischen Freundinnen. Und es ist mir eigentlich ziemlich egal, ob ihr das akzeptiert oder nicht. Ich sorge für die Getränke und den VIP-Bereich, also hast du es zu akzeptieren, ansonsten kannst du gehen."