Violet Socks

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Kapitel 3

Misses Heath die Idee, dass Harry nun wirklich in meiner Theatergruppe Mitglied sein soll, aus dem Kopf zu reden, ist unmöglich. Sie scheint richtig begeistert davon zu sein. Als wäre das die perfekte Strafe für so Rebellen wie ihn.

Und genau deswegen schleichen Harry und ich durch die Flure zum Schauspielraum. Er läuft zwei Meter hinter mir und ich höre seine Füße bis zu mir schlurfen, weil er genauso wenig Lust auf diese Sache hat wie ich. Nun muss ich ihn wirklich jeden Tag sehen. Und auch noch zweimal die Woche mit ihm arbeiten! Verdammte Misses Heath.

Als Harry nun schon zum dritten Mal durchatmet, weil er mir indirekt verklickern will, wie genervt er von meiner Präsenz ist, sage ich, als wir vor der Theatertür angekommen sind: „Hey, ich habe mindestens genauso wenig Lust darauf, dass du mir die nächsten Wochen um die Ohren springst, wie du, also stell dich nicht so an."

„Ich stelle mich an?" Er sieht mich böse an, als ich meine Tasche nehme, die noch vor der Tür lag. „Schon vergessen, dass ich ohne Grund hier bin? Du hättest Heath sagen sollen, dass ich deine verdammten Zettel nicht zerrissen habe, genauso wenig wie deine scheiß Socke."

„Du hättest Ethan ja sagen können, dass er das lassen soll, und vielleicht hätte ich dann die Wahrheit gesagt." Aber nur vielleicht.

Harry lacht auf und wendet sich ab. „Wohl kaum."

„Siehst du? Also hast du es dir doch selbst eingebrockt."

„Du hättest ihn ja nicht so dumm anmachen müssen."

„Wie bitte? Er macht mich fast täglich dumm an. Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich mir das gefallen lasse."

Jetzt verdreht er die Augen, was mich fast zum Ausrasten bringt. „Öffne einfach nur die Tür, damit wir das schnell hinter uns bringen können."

Ich werfe ihm einen bösen Blick zu, doch tue ich, was er sagt. „Du solltest es hier mit deiner Coolness nicht so übertreiben, denn die ‚Loser' sind nun in der Überzahl."

Er folgt mir in den Raum, wo nur die Bühne vorne beleuchtet ist. „Schon klar", höre ich ihn murren.

Mein Blick fällt auf die paar Leute, die schon vorne verteilt auf der Bühne oder im Raum stehen. Wir sind nicht sonderlich viele Leute in der Theatergruppe, aber immer genug, dass wir jedes Jahr ein ganzes Stück auf die Beine stellen. Benja und ich haben die Gruppe vor drei Jahren selbst gegründet und sie kam immer gut bei den Eltern an. Die Stücke schreiben wir hauptsächlich selbst, was unsere Auftritte noch besonderer macht, jedoch auch mehr Arbeit für mich bedeutet, denn ich bin der alleinige Schreiberling.

Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob die anderen sich so sehr über Harrys Anwesenheit freuen werden. Hier sind nämlich nur Menschen wie Benja, Charly und ich und keine oberprotzigen Machokerle, die jeden Tag Collegejacken tragen. Man könnte uns die Gruppe der Verlassenen nennen. Wir sind gemeinsam die Außenseiter.

Benja entdeckt Harry und mich auch schon, als wir an den Publikumsstühlen vorbeilaufen. Er runzelt die Stirn, was bedeutet, dass er sich nicht denken kann, wieso ich gerade Harry Perlman im Schlepptau habe. Auch Benja ist kein sonderlich großer Fan von ihm.

Und als hätte Benja ein stummes Signal gesendet, hören alle auf, die Bühne aufzubauen oder ihre Kostüme anzuprobieren. Wir werden regelrecht angestarrt. Beziehungsweise der Kerl hinter mir.

„Hallo Leute", unterbreche ich deswegen die Stille und schmeiße meine Tasche achtlos auf einen Stuhl neben der Bühne. „Tut mir leid für die Verspätung, aber Misses Heath hat mich aufgehalten."

Wahrscheinlich interessiert niemanden, wieso ich zu spät gekommen bin, sondern einfach nur, was Harry hier will.

„Ähm", macht Benja und kommt mit schnellen Schritten auf mich zu. Er zieht mich etwas weiter weg von Harry. „Vy, was zur Hölle sucht dieser Typ hier?" Heimlich sieht er zu Harry, der desinteressiert durch die Gegend guckt.

„Heath hat ihn für die nächsten drei Wochen dazu verdonnert, den Bühnenbauern zu helfen, weil Andre krank ist."

Benja macht große Augen. „Das kann sie doch wohl nicht ernst meinen. Der bringt die anderen nur durcheinander." Er blickt zur Gruppe hinter mir. „Vor allem Lara ... Sie bekommt bei gut aussehenden Kerlen jedes Mal einen Herzkasper."

„Benja." Ich verdrehe die Augen. „Uns bleibt sowieso nichts anderes übrig und mach die Situation nicht schlimmer, als sie sowieso schon ist."

Er atmet tief durch und lässt meinen Arm los. „Nun gut. Aber mach ihm klar, dass er hier nicht den Macho raushängen lassen muss, klar? Er ist jetzt der Außenseiter."

Ich nicke verständig und wir gehen zur Gruppe. Benja begibt sich wieder zu Carla, die sich gerade eine Männerperücke aufziehen will, um ihr zu helfen.

Widerwillig stelle ich mich in die Mitte, damit alle wissen, dass ich die Situation aufklären werde. Denn Harry wird noch immer angestarrt.

„Okay", sage ich lauter und sehe zu Harry, der gerade seine Schultasche neben die Bühne fallen lässt. „Wahrscheinlich wundert ihr euch, weshalb er hier ist."

Alle nicken perplex.

„Tja, die Sache ist die ... Harry ist ein Trottel, das wissen wir alle. Deswegen hat Heath ihn gezwungen, für die nächsten drei Wochen Mitglied in unserer Theatergruppe zu sein, weil er sonst …''

„Was?", meckert Carla, während Benja an ihrer Perücke herumzieht. „Wir können doch nichts dafür, wenn er ständig Mist baut!"

„Ja!", versuche ich, die Situation zu beschwichtigen. „Ich kann verstehen, dass das nicht alle toll finden werden, und ich kann auch verstehen, dass sich jeder fragt: Warum gerade er? Hätte es nicht Brandon mit den schönen blonden Locken sein können?"

Ein paar Mädchen seufzen schmachtend. Ja, Brandon ist wirklich ein Sahneschnittchen.

„Aber es ist nicht Brandon", komme ich direkt zum Punkt und deute auf Harry, der noch immer gelangweilt an der Bühne lehnt. „Er ist nun hier und außerdem wollen wir nicht schuld daran sein, dass er von der Schule fliegt, oder?"

„Auf gar keinen Fall", ruft James sarkastisch, der mit verschränkten Armen auf einem Stuhl sitzt. „Ich wette, es fällt mir leicht, die Tatsache zu verdrängen, dass er mir in der neunten Klasse die Freundin ausgespannt hat."

„Oder meinen Geldbeutel aus meiner Sporttasche geklaut", beschwert sich ein Mädchen.

"Oder mir auf Klassenfahrt im Schlaf die Haare abgeschnitten!", ruft ein weiteres Mädchen.

Ich verziehe nachdenklich den Mund. Es ist aber auch wirklich nachvollziehbar, dass hier niemand Harry ausstehen kann. Er hat sich aus vielen Gründen bei uns unbeliebt gemacht, auch wenn wir nicht sonderlich viele sind. Wieso musste er auch immer so viele Gemeinheiten fabrizieren?

Doch ich fühle mich, als wäre es meine Pflicht, ihn ein wenig in Schutz zu nehmen, obwohl er es nicht verdient. „Das mag ja alles sein, aber trotzdem bleibt uns nichts anderes übrig. Ich bin mir sicher, er wird euch nicht auf die Pelle rücken."

„Das will ich schwer hoffen", wütet James erneut und blickt Harry böse an. „Hier bist du nicht mehr der Beliebte, klar? Hier bist du mickrig. Vergleichbar mit einer Ameise, die man jeden Moment zertreten kann."

„Keine Sorge", sagt Harry und hebt leicht die Hände. „Ich werde mich benehmen. Das mit deiner Freundin tut mir übrigens leid."

James schnaubt und sieht weg. „Lass stecken. Damals hat es dir auch nicht leidgetan, als du ihr die Zunge in den Hals gesteckt und sie danach fallen gelassen hast."

Wieder schweigt Harry und ich kann nicht anders, außer die Brauen zu heben. Er sagte, er werde sich benehmen und noch dazu hat er sich für damals entschuldigt? Meine Güte. Anscheinend kapiert er früher als gedacht, welchen Platz er hier hat. Nämlich den letzten.

„Es wäre besser für dich, dich wirklich zu benehmen", sagt nun Benja ernst zu Harry und lässt seine Finger von Carlas Perücke. Doch er sagt es nicht, als wäre es eine Warnung, sondern eher ein gut gemeinter Rat. Benja war nie jemand, der direkt in die Offensive geht und ist der liebevolle Mensch. Und das anscheinend auch gegenüber Harry, obwohl Benja weiß, was für ein Idiot er ist.

Harry nickt langsam und nach ein paar Sekunden löse ich die qualvolle Stille auf. „Okay, das war's, genug nur dumm rumgestanden. Das mit den Dialogen wird heute übrigens nichts, deswegen müssen wir die alten Szenen üben. Fangt schon mal an, ich zeige Harry vorher noch alles."

Alle nicken und machen sich wieder an ihre Arbeit. Ich deute Harry, dass er mir folgen soll und dann kommt er auch schon zu mir. Ich laufe mit ihm hinter die Bühne, wo die ganzen Dekorationen für die Auftritte stehen, zum Beispiel Bäume aus Pappe oder Steine.

„Unsere Hintergründe sind meistens sehr eintönig", erkläre ich und laufe bis zum Ende der Requisiten. „Viel Arbeit hast du theoretisch nicht. Auch wenn ich es dir wirklich gegönnt hätte, mal ganz nebenbei."

Harry verdreht hinter mir die Augen, während er mir folgt.

Ich bleibe vor zwei Bäumen stehen. „Eigentlich kannst du die gleich mal auf die Bühne schleppen und ich zeige dir, wie du sie anordnest, damit du alles richtig machst."

Man sieht ihm an, wie es ihm widerstrebt, nach dem Baum zu greifen und ihn zur Bühne zu tragen. „Ich tue das nur, weil ich es muss", raunt er, als er mit dem Baum im Arm zur Bühne läuft.

Ich winke ab und stelle mich inmitten der Bühne. „Jaja, mir egal, tu's einfach. Also ..." Ich zeige auf die Stelle, auf der der Baum immer steht. „Da muss er hin. Und die Blätter müssen zum Publikum zeigen, nur damit du ihn nicht falsch herum aufstellst. Eine braune Pappe will ja niemand sehen."

 

Harry presst gestresst von mir die Kiefer aufeinander und stellt den Baum unsanft auf den Fleck, den ich ihm gezeigt habe.

Gespielt nachdenklich reibe ich mir das Kinn. Das Gute an der Sache ist, dass ich ihm jeden Befehl geben kann und er muss ihn ausführen, weil ich mir sicher bin, dass er nicht von der Schule fliegen will. Und das nutze ich so was von aus.

„Was ist?", fragt Harry mich nach einer Weile, in der ich skeptisch den Baum betrachte.

Ich zeige auf die andere Ecke der Bühne. „Stell ihn mal hier hin. Ich glaube, das Licht ist hier besser."

Genervt stöhnt er auf und stellt den Baum in die andere Ecke. Er richtet sich wieder auf und sieht mich erwartungsvoll und gleichzeitig warnend an.

Wieder reibe ich mir das Kinn. „Hm ... Komisch. Irgendwas stimmt heute nicht. Das sieht immer noch so falsch aus. Stell ihn mal dort hin." Ich zeige in die andere Ecke der Bühne.

Wieder greift Harry sich den Baum und stellt ihn diesmal in die andere Ecke. Ich kann schwören, dass uns der halbe Kurs zuguckt, doch das scheint keiner von uns beiden richtig zu merken.

Jetzt zufrieden?", fragt Harry zischend, als er den Baum abstellt.

Ich nicke schmunzelnd. „Ja, diesmal ist wirklich alles okay. So steht er perfekt."

„Ist auch besser so", höre ich ihn vor sich hin knurren und er will gerade wieder hinter die Bühne, als ich ihn aufhalte.

„Oder warte mal! Ich glaube, der Baum steht noch immer nicht ganz richtig. Mir fällt gerade auf, dass manche Schauspieler gestört werden könnten, wenn der Baum ganz vorne steht. Stell ihn bitte hinten links hin."

Ich grinse, als Harry mit geballten Fäusten zu dem Baum geht, ihn sich aggressiv schnappt, dann nach hinten links in die Ecke der Bühne läuft und ihn unsanft auf den Boden fallen lässt. Er stellt sich daneben und verschränkt sauer die Arme. „Und stört noch was? Zieht es hier hinten zu viel oder ist der Winkel zu schief? Vielleicht könnte ja ein Erdbeben einsetzen und weil hier der Boden am unebensten ist, würde der Baum sofort umfallen und das Stück ruinieren. Also. Sag schon!"

Beinahe muss ich auflachen, weil er mich so amüsiert. Ich mag es, endlich mal die Zügel in der Hand zu haben und ihn herumzukommandieren. Er hat in den letzten Jahren nichts anderes getan, außer mich zu ignorieren oder über die dummen Sprüche der anderen zu lachen, also kann ich jetzt auch mal gemein sein. Das hat er einfach verdient. Außerdem fand ich es damals, als wir Kinder waren, schon immer witzig, wie er beleidigt die Arme verschränkt, mit dem rechten Fuß aufstampft und dann meckert. Heute tut er genau das Gleiche, nur ist er jetzt jemand anders.

Zwar weiß ich noch immer nicht, wie all das passieren konnte, denn er hat mir nie eine Erklärung geboten oder war auch nur ein Funken daran interessiert, mit mir darüber zu sprechen, aber das ist mir mittlerweile egal. Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Harry ist der Schuldige. Er fing an, gemein zu werden, ließ zu, dass sich die anderen über mich lustig machten.

Ich muss mir ein breites Grinsen unterdrücken und verschränke genauso wie er die Arme. „Tut mir leid, dass ich das jetzt so sagen muss, aber du hast vollkommen recht. Der Boden dort ist wirklich sehr uneben. Stell den Baum genau dort hin."

Harry wirft die Hände in die Luft. „Genau da stand er doch von Anfang an!"

Resigniert zucke ich mit einer Schulter und mache mich auf den Weg hinter die Bühne. „Ich achte nun mal auf Perfektion. Nun los."

Noch wütender als vorher reißt er den Baum vom Boden und stellt ihn mit einem lauten Knall auf den rechtmäßigen Platz.

Als ich ihn gerade anweisen will, den Stein auf die Bühne zu tragen, höre ich seine schweren Schritte hinter mir in dem dunklen Flur, in dem wir stehen.

„Okay", sagt er, als er aufgebracht auf mich zukommt und anderthalb Meter von mir entfernt stehen bleibt. „Du hältst dich echt für superwitzig, aber das bist du nicht, klar? Es mag sein, dass ich hier wegen der Rektorin bin, aber glaub ja nicht, dass ich mir diesen Unfug für die nächsten Wochen lang gebe!"

Unbeeindruckt hebe ich eine Braue. „Wow, ich dachte, du hältst länger durch. Das waren gerade mal fünf Minuten, Mister Obercool."

Harry wird wütender. „Mister Obercool? Ich gebe dir gleich deinen scheiß Mister Obercool! Du weißt ganz genau, dass ich nichts getan habe, also zieh nicht so einen Dreck ab!"

Jetzt schüttle ich den Kopf, als ich amüsiert aufschnaube. Er soll nichts getan haben? Er hat die ganzen letzten vier Jahre was getan und das sieht er nicht mal. Anscheinend hat Harry sich wirklich so sehr verändert, dass er seine Fehler nicht mehr sehen kann.

„Wieso, zur Hölle, findest du das witzig?", keift er mich an. „Hier ist absolut gar nichts witzig!"

Ich werfe mir ein paar weiße Bänder über die Schulter, die den Schnee am Baum darstellen sollen und laufe ruhig an ihm vorbei. „Ich finde es witzig, dass du denkst, du hättest nichts getan."

Er folgt mir. „Ich habe nichts getan! Ethan hat deine Zettel zerrissen und ich habe auch mit deinem kaputten Strumpf nichts zu tun!"

Locker lasse ich die Bänder über die Äste des Baums fallen. Es macht keinen Sinn, mit ihm zu sprechen. Eigentlich will ich das auch gar nicht. Er ist mir vollkommen egal. „Wie auch immer", sage ich, als ich meine innere Ruhe gefunden habe, und laufe wieder an ihm vorbei in den Flur. „Du hast recht, du hast nichts getan. Ich will dich sowieso nicht in diesem Kurs haben, genauso wie jeder andere."

Wieder folgt er mir. „Was soll das denn heißen? Du willst mich rausschmeißen?"

Wiederholt nehme ich mir ein paar Bänder. „Sieh es als Bitte. Du willst doch sowieso nicht hier sein und ich denke, ich kann Heath die Situation so erklären, dass sie es versteht, dass du nicht hier bist."

Harry lacht auf. „Ich glaube es nicht. Du willst mich ernsthaft rausschmeißen? Ich werde von dieser Schule fliegen, ist dir das bewusst?"

„Das ist dein Fehler, nicht meiner. Du hättest dich auch einfach immer benehmen können."

„Ich habe, wie gesagt, nichts Falsches getan! Ich habe nicht …''

„Ich rede nicht von meinen Zetteln oder dem Strumpf", unterbreche ich ihn und sehe ihn an. „Du bist schon seit längerer Zeit kurz davor, von der Schule zu fliegen, und trotzdem baust du jedes Mal Mist. Lernst du denn nicht daraus?"

Er sagt nichts.

"Noch dazu scheinst du nicht zu kapieren, dass du jedes Mal Mist baust, indem du über andere lachst oder sie niedermachst. Und das passiert oft. Deswegen, ja, denke ich, dass du es verdient hast."

Harry schweigt. Es liegen ihm Worte auf der Zunge, doch er spricht sie nicht aus. Seine Fäuste sind geballt und er ist angespannt, doch er starrt mich nur an.

„Na ja", sage ich seufzend und gehe wieder an ihm vorbei. „Du kannst gehen. Ich werde Heath die Situation erklären."

Als ich gerade die letzten Bänder über den Baum hänge, merke ich, wie er noch kurz in dem Flur steht, doch dann stampft er von der Bühne. Ich drehe ihm weiterhin den Rücken zu, als ich höre, wie er sich aggressiv seinen Rucksack neben der Bühne nimmt und zum Ausgang geht. Die Tür schmeißt er so laut zu, dass ein unglaublich lauter Knall durch die kleine Halle ertönt und alle schweigen schlagartig.

Gedankenverloren zupfe ich die Bänder zurecht und ignoriere die Stille. Jeder wird sich fragen, was eben vorgefallen ist, und ich gebe nur ungern eine Antwort darauf, denn, um ehrlich zu sein, weiß ich es selbst nicht so genau. Zwischen Harry und mir gab es nun mal schon jahrelang diese Spannung, obwohl wir nie miteinander geredet haben, und jetzt reden wir miteinander und nun scheint alles zu explodieren.

Doch ich finde es gut, dass er endlich weg ist. Ich genieße seine Anwesenheit nicht. Es plagt mich die Tatsache, dass dieser liebe Harry von früher sich so sehr verändert hat, dass ihn heute jeder normaldenkende Mensch als Arsch sieht. Auch ich. Früher hätte er nie James die Freundin ausgespannt oder Lara die Haare im Schlaf abgeschnitten, geschweige denn irgendwem Geld geklaut. Und am allerwenigsten hätte er es zugelassen, wie ich mit zerrissener Socke auf dem Boden liege, während Ethan mich beleidigt. Aber er hat es getan.

„Hey."

Ich schrecke auf und blicke nach links in Benjas Augen, die mich mitfühlend mustern. Ich habe gar nicht bemerkt, wie er näher gekommen ist und dass ich tatsächlich schon eine ganze Weile an den Bändern rumzupfe.

„Wieso ist Harry gegangen?", fragt Benja mich.

Ich versuche, mir meine schlechte Laune nicht ansehen zu lassen, und steuere den Flur an. „Hach, du weißt doch. Er ist ein Idiot und nur weil er sich nicht anstrengen kann, kam es zu Reibereien."

„Verstehe", sagt Benja und betrachtet mich skeptisch, als ich wieder mit einer anderen Requisite die Bühne betrete. „Und mehr war es nicht? Er hat nichts Böses gesagt oder so?"

Ich zucke mit den Schultern. „Nichts, was mich interessieren könnte."

„Okay." Er hilft mir, einen Stein richtig auszurichten. „Und wird er wiederkommen? Ich meine, Heath wird das wahrscheinlich nicht gutheißen, dass er einfach abgehauen ist."

„Ich habe ihm gesagt, er soll gehen. Er würde uns sowieso nur stören."

„Alles klar ... Wahrscheinlich hast du recht."

Ich spüre Benjas Blick weiterhin auf mir und ich weiß ganz genau, dass er versucht, mehr aus mir herauszubekommen. Er ist einer der wenigen Menschen, die mir sofort anmerken, wenn ich schlechte Laune habe.

„Ich hoffe, du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst", sagt er nach einer Weile. „Auch über ihn."

Ich schürze die Lippen. Er erinnert sich an die vielen Tage und Nächte, die ich bei ihm zu Hause verbrachte, nachdem Harry einfach beschlossen hatte, ein Idiot zu werden. Damals weinte ich sehr viel, wirklich sehr, sehr viel. Ich war immer eine starke Persönlichkeit und so schnell bekommt mich nichts klein, aber die Sache mit Harry steckte mir damals sehr lange in den Knochen. Auch wenn wir gerade mal dreizehn Jahre waren. Ich kenne ihn von Geburt an und er war immer mein bester Freund, er wusste alles über mich und ich über ihn. Sogar heute weiß ich noch viele Dinge, die ich nie jemandem erzählen würde.

Aber so schnell ändern sich Dinge eben. Das ist das Leben. Ihn hat die Pubertät zu sehr geändert und damit muss ich klarkommen, was ich mittlerweile auch tue. Er ist nicht mehr der, der er einmal war. Ich vermisse nur sein früheres Ich, aber ihn, heute, kein Stück. Harry kann mir gestohlen bleiben.