Die Collide-Lovestory

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Kapitel 5

Mitternachtsausflug? Aiden hat definitiv nicht mehr alle Tassen im Schrank.

Er erscheint einfach hier mitten in der Nacht und verlangt ernsthaft von mir, dass ich ihn jetzt irgendwohin begleite. Und das auch noch an dem Tag, an dem ich ihm eigentlich gesagt habe, dass ich 'so etwas' nicht tue. Das kann er sich abschminken.

"Mitternachtsausflug? Du hast eine Meise" Ich tippe mit meinem Finger an meine Stirn.

"Nein und jetzt komm einfach mit. Gleich ist Mitternacht, bis dahin will ich draußen sein." Aiden geht auf meinen Kleiderschrank zu und wühlt darin herum.

"Was wird das denn?" Ich sehe ihm mit gerunzelter Stirn zu, wie er eine Jeans und einen Hoody aus dem Schrank zieht.

"Du stehst immer noch stocksteif im Zimmer rum und wenn jetzt nicht bald was passiert, schaffen wir es nicht mehr rechtzeitig bis Mitternacht." Er macht den Schrank wieder zu und geht zur Tür. "Ich warte vor der Tür auf dich. Komm dann einfach raus, wenn du fertig bist." Aiden grinst mich ein letztes Mal triumphierend an, als wüsste er, dass ich sowieso mitkomme und spaziert aus meinem Zimmer.

Ich schaue fassungslos auf die Klamotten. Mal wieder überdenke ich meine Möglichkeiten in meinem Kopf. Entweder ich ziehe mich jetzt um und gehe mit Aiden mit ... oder ich lasse ihn draußen stehen und lege mich wieder schlafen. Mein Instinkt sagt nein. Aber irgendetwas bringt mich doch dazu diese doofen Jeans und den Hoody anzuziehen und zu Aiden auf den Flur zu spazieren. Sein Grinsen wird breiter, als er mich aus der Tür herauskommen sieht.

"Ich hoffe für dich, dass du einen Meteoritenschauer beim Universum bestellt hast, um mich zu wecken", flüstere ich ihm zu, als wir schnellen Schrittes aus dem Gebäude gehen.

"Nicht ganz, aber so ähnlich." Er führt mich zu seinem Auto.

Ich bin mehr als überrascht, als da ein schwarzer Range Rover steht. Das Teil muss ein Vermögen gekostet haben. Sind seine Eltern reich? Oder arbeitet Aiden nebenbei?

Wir steigen beide ins Auto und sofort kommt mir wieder dieser Geruch entgegen. Moschus, Aiden und Jasmin ... hier drinnen könnte ich Stunden verbringen.

"Okay, wir haben noch genau vier Minuten, also schnall dich besser an." Er startet den Motor und fährt rückwärts aus der Parklücke.

Mein Herz macht einen kleinen Hüpfer, jedoch nicht vor Angst. Schon seit ich klein war, hab ich schnelle Autofahrten geliebt. Aber auch nur, weil mein Dad am Steuer saß und ich wusste, dass er keinen Unfall baute. Bei Aiden bin ich mir noch nicht sicher. Ein kleines Grinsen kann ich mir dennoch nicht verkneifen. Meine Unsicherheit gegenüber Aidens Fahrkünsten verfliegt dann auch schnell, als ich merke, wie sicher er am Steuer ist. Volle Pulle fahren wir durch die Straßen Londons. Zum Glück haben wir mitten in der Nacht und es sind keine anderen Autofahrer unterwegs. Wer fährt auch schon so spät herum? Ach so, stimmt ja, Aiden!

Ich schaue auf die Uhr. 11.58 Uhr.

Aiden hält an einer Kirche auf einem hohen Berg. Von hier oben hat man einen schönen Blick auf London.

"Schnell, noch eine Minute!" Aiden steigt aus und joggt zu der Kirche vor uns.

Ich schnalle mich schnell ab und folge ihm. Aiden bleibt vor dem Eingang stehen und kramt etwas aus seiner Tasche. Einen Schlüssel? Er hat einen Schlüssel für die Kirche? Ich glaub es ja nicht. Schnell schließt er auf und zieht mich mit hinein.

Mir bleibt nicht viel Zeit die Kirche von innen zu betrachten, da Aiden mich auch schon die Treppen hoch in den Turm zerrt.

"Gleich haben wir's geschafft!", freut er sich, als wir schon die riesige Glocke von unten erkennen können.

Wenige Augenblicke später kommen wir total außer Puste oben an.

"Oh, Gott, nie mehr." Ich keuche und lehne mich gegen die Turmwand.

"Komm her", sagt Aiden und winkt mich zu einem Fenster ohne Glas, durch das man problemlos in den Himmel gucken kann.

Ich schaue hinaus und mir stockt der Atem. Überall Sternschnuppen. Etliche Sternschnuppen. Eine nach der anderen erscheint am Himmel. So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen. Das kommt einem Meteoritenschauer definitiv sehr nahe.

"Und? Hat es sich gelohnt?", fragt Aiden nach einem kurzen Moment der Stille, während er immer noch in den Himmel schaut.

"Ich, ähm ..." Momentan bin ich einfach so baff, dass ich kaum ein Wort heraus bekomme. Es ist einfach so schön. Sternschnuppe über Sternschnuppe.

"Okay, das reicht mir schon als Antwort."

Ich kann es kaum fassen, dass ich wirklich hier bin. Mit Aiden! Es ist für mich einfach unbegreiflich, wieso er mich mitten in der Nacht aus dem Bett schmeißt, um mir das hier zu zeigen. Das macht er doch eh mit jeder anderen auch, bilde dir bloß nichts ein, faucht meine innere Stimme. Wahrscheinlich hat sie Recht. "Ist das deine Masche? Bekommst du so die Mädchen rum?"

"Ich weiß nicht, sag du's mir." Er sieht mich von der Seite an.

"Na ja, bist wohl so ein hoffnungsloser Romantiker."

Er lacht. "Ganz bestimmt nicht."

"Wieso hast du mich dann hier her gebracht?"

Er sieht mich ernst an und kaut nachdenklich an seiner Innenwange. "Weil ich dir zeigen werde, dass 'so Etwas' Spaß machen kann."

Ich ziehe meine Augenbraue hoch und sehe ihn an.

"Und ich denke jetzt nicht an Liebschaften oder andere Arten von Zärtlichkeit, sondern einfach nur Freundschaften. Ich hab zwar keine Ahnung, wieso du Beziehungen zu Menschen so verachtest, aber ich denke, ich kann dich umstimmen."

"Aiden ..."

"Ich meine es ernst, ich -"

Ich schüttle den Kopf, trete zwei Schritte von dem Fenster zurück und hebe die Hand, um ihm zu verstehen zu geben, dass er aufhören soll zu reden. "Nein, stop. Ich hab dir heute, beziehungsweise gestern gesagt, dass ich das nicht will und daran wird auch ein Sternenschauer nichts ändern."

Er geht jetzt auch vom Fenster weg und sieht mich an. "Aber sag mir doch wieso."

"Weil ich mir so etwas momentan einfach nicht leisten kann, Aiden."

Er sieht mich fragend an.

"Ich bin hier auf das College gekommen, um endlich englische Literatur zu studieren und endlich Erfolg zu haben, in dem was ich tue. Ich will Schriftstellerin werden. Aber ich will nicht irgendeine Schriftstellerin werden, ich will eine gute Schriftstellerin sein, verstehst du? Ich will endlich von den Menschen beachtet werden und angesehen, dafür, dass ich etwas sehr gut kann. Mein ganzes Leben lang arbeite ich auf nichts Anderes hin als auf das. Schon immer war ich so. Ich wollte keine Freunde oder Beziehungen haben und ich will es heute noch immer nicht, bis ich endlich das erreicht habe, was ich möchte. Ich will auch endlich den Erfolg genießen, ein Buch zu veröffentlichen und Signierstunden zu geben. Und daran wirst auch du nichts ändern, Aiden."

Aiden sieht sichtlich schockiert von meinen Worten aus.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich jetzt schlecht oder gut fühlen soll. Einerseits ist es doch nur die Wahrheit. Schon immer wollte ich Erfolg haben und dafür habe ich viele Opfer gebracht, wieso sollte ich das also jetzt aufgeben? Andererseits fühle ich mich Aiden gegenüber wie der letzte Vollidiot. Ich komme mir gerade vor wie eine absolut unerträgliche, karrierefixierte Frau. Mein Gedanken sind total durcheinander.

Aiden öffnet den Mund, um etwas zu sagen, schließt ihn dann aber wieder und lässt die Schultern hängen. Er hat jetzt einen sehr resignierten Blick in den Augen. "Okay." Es scheint, als wäre kein Leben mehr in seiner Stimme. Okay? Einfach nur 'Okay'? Ich sehe ihn fragend an. Aiden sieht von mir weg und geht zur Treppe.

Ich stehe immer noch stocksteif und absolut verwirrt im Turm. Stirnrunzelnd sehe ich ihm hinterher. Er geht einfach?

"Kommst du?" Er sieht erwartungsvoll zu mir, als er merkt, dass ich mich nicht von der Stelle bewege. Ich entdecke absolut keine Emotion mehr in seinem Gesicht. Er scheint wie ausgewechselt. Eben war er doch noch der gut gelaunte Aiden.

Ich nicke nur stumm und folge ihm die Treppen hinunter. Durch meinen Kopf schwirren so viele Gedanken. Ich hab keinen Schimmer, was jetzt auf mich zukommt. Will er jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben? Lässt er mich in Zukunft in Frieden? Ich hoffe es doch. Oder auch nicht... Ach, ich bin so verwirrt. Ich wünschte, ich hätte den Anblick der Sternschnuppen noch länger betrachtet. Es war wirklich schön.

Wir steigen wortlos in sein Auto und er fährt ohne ein weiteres Wort los. Die Musik vom Radio ist ausgeschaltet, weshalb die Situation noch um einiges unangenehmer ist. Am Campus angekommen, parkt er auf dem Parkplatz. Die Situation wird immer unangenehmer.

"Also...", traue ich mich zu sagen und sehe ihn auffordernd an.

Er sieht mich wieder mit diesem Blick an, in den man einfach rein gar nichts reininterpretieren kann. Etwas sagen tut er aber trotzdem nicht.

"Ich versteh schon, du willst nicht mehr mit mir reden. Ist auch gar nicht nötig." Pampig schnalle ich mich ab und steige aus. Mit einem lauten Knall schmeiße ich die Tür zu und stampfe davon.

"Ravely!"

"Was ist?" Aufgebracht drehe ich mich zu ihm um.

Seinen Kopf hat er aus dem Fenster gestreckt. "Ich gebe dir nur das, was du möchtest." Und er fährt weg.

Eigentlich hat er doch Recht. Er gibt mir das, was ich möchte. Ich sollte endlich froh sein, dass ich ihn los bin. Dieses College hat mich innerhalb von zwei Tagen schon zu Dingen gebracht, die ich normalerweise nie machen würde und dadurch habe ich jede Menge Zeit verloren. Ich weiß jetzt schon, dass ich morgen im Unterricht unausgeschlafen und unkonzentriert sein werde, dank Aidens Mitternachtsausflug. Außerdem bringt Aiden meinen Kopf fast zum Platzen. Ich sollte ihn einfach aus meinem Leben verbannen und mich auf das Wesentliche konzentrieren.

 

Mit Kopfschmerzen komme ich in mein Zimmer und bin erleichtert, als ich Aby in ihrem Bett schlafen sehe. Irgendwie mag ich sie, auch wenn sie merkwürdig sein kann.

"Rave?", jauchzt Aby und dreht sich zu mir, als ich mir gerade die Schuhe ausziehe.

"Hm?"

"Alles klar? Wo warst du?" Sie reibt sich verschlafen die Augen.

"Ich war nur kurz weg. Etwas hat mich aus dem Schlaf gerissen." Und schon wieder sind meine Gedanken bei Aiden, weshalb meine Laune sichtlich sinkt.

"Alles okay bei dir? Du siehst ganz schön ... irgendwie traurig aus". Aby setzt sich an die Bettkante und betrachtet mich skeptisch.

Ich atme einmal tief ein und gehe zum Schreibtisch, auf der meine Schlafsachen liegen. "Nein, ja, alles in Ordnung." Schnell ziehe ich mich um und lege mich in mein Bett. Mir entgeht jedoch der misstrauische Blick von Aby nicht. Ich ziehe mir die Decke bis zu den Ohren und schließe die Augen. Ich will jetzt nicht mit Aby reden. Ich will einfach die Nacht heute vergessen und schlafen.

"Na ja, okay." Sie schaltet das Licht aus. "Aber wenn du etwas hast, worüber du reden möchtest, kannst du mit mir reden. Dafür sind Freunde da."

Mit dem Wort „Freunde“ im Hinterkopf und dem Versuch, Aiden aus meinen Gedanken zu drängen, schlafe ich ein.

Ich träume in dieser Nacht von Sternschnuppen und Schmetterlingen.

Am liebsten würde ich heute nicht zu den Kursen gehen. Ich bin, wie erwartet, todmüde und ich habe absolut keine Lust, auf Aiden zu treffen. Vor allem, weil ich nicht weiß, wie er reagieren wird. Wahrscheinlich nicht anders als sonst. Wir haben uns bisher immer während der Kurse ignoriert, also würde sich jetzt nicht viel ändern. Trotzdem wäre es ein Fehler nicht zu gehen, nur weil ich ihn nicht sehen möchte. Ich sollte mich von so etwas nicht ablenken lassen. Irgendwann habe ich ihn sowieso komplett vergessen, hoffe ich zumindest.

Ich entscheide mich heute, mich in die erste Reihe zu setzen, um nicht in Versuchung zu kommen, Aiden auch nur anzusehen. Professor Snow beginnt den Unterricht und ich frage mich, ob Aiden hier ist. Immerhin sehe ich von hier vorne niemanden. Ich drehe mich kurz um und sehe ihn in der letzten Reihe sitzen. Blondie sitzt wieder neben ihm. Ich bereue es, zurück geschaut zu haben und drehe mich sofort wieder nach vorne. Ich bekomme nur nebenbei mit, dass wir in Partnerarbeit eine Argumentation über Gott verfassen sollen.

Partnerarbeit. Super. In meiner alten Schule hatte ich immer Scar, die das mit mir gemacht hat, aber hier habe ich niemanden. Die Pärchen in der Klasse haben sich gebildet. Als ich mich nach den übrig gebliebenen Kommilitonen umsehe, erkenne ich, dass Aiden mit Blondie Partnerarbeit macht.

"Miss Green, wie ich sehe, haben Sie noch keinen Partner." Professor Snow kommt auf mich zu.

Ich nicke und er sieht sich suchend in der Klasse um. "Möchte vielleicht jemand Miss Green in seine Gruppen einbinden?"

Niemand sagt etwas und ich starre nervös auf meine Finger. Das ist dann also der Preis dafür, wenn man sich bei allem enthält. Nicht einmal Leon meldet sich. Ich fühle mich unheimlich ungewollt.

"Niemand?", hakt Snow nochmal nach. Das ist mir alles mehr als unangenehm. Die Klasse ist immer noch still und Snow sieht mich entschuldigend an. "Dann schreiben Sie eben allein. Ist doch sowieso viel besser, weil man sich mit niemandem über irgendwelche Argumente streiten muss." Er lächelt mir väterlich zu.

Wieder nicke ich nur stumm. Ich bin froh, wenn ich endlich aus diesem Kurs fliehen kann. Das heute war wirklich eine reine Folter. Früher hat es mich gefreut, wenn ich etwas alleine machen durfte, aber heute... ich weiß nicht, ich habe mich einfach ausgegrenzt gefühlt. Wo kommen denn auf einmal diese Zweifel her? Genau das wollte ich doch. Allein sein.

Ich beschließe kurzerhand die anderen Kurse sausen zu lassen, da ich diese als nicht für wichtig empfinde.

Ich laufe durch London, um mich abzulenken. Durch meine Kopfhörer höre ich You Are Your Mother's Child von Apsiden Down Mountain und Erinnerungen an meine Kindheit strömen durch meinen Kopf. Haben mich die andere Schüler damals auch gehasst, dass ich so war wie ... na, ja, wie ich heute immer noch bin? Hätten sie mich genauso ausgeschlossen, bei der Partnerarbeit, wie es heute alle getan haben? Auf einmal fange ich an, darüber nach zu denken, ob ich nie wirklich gegen jemanden etwas hatte, vielleicht alle anderen etwas gegen mich hatten.

Passend zu meiner Stimmung beginnt es nun zu regnen. Ich halte mir meine Jacke über den Kopf und laufe in ein Café. Ich schüttle mir die Tropfen von den Schultern und sehe mich um. Anscheinend ist die Idee, sich vor dem Regen in einem Café zu verstecken nicht ganz so unbeliebt, denn es ist randvoll.

Ich sehe mich nach einem freien Sitzplatz um und entdecke einen an einem Tisch, an dem eine Frau - ungefähr Ende vierzig - sitzt. Man sieht ihr sofort an, dass sie viel arbeitet. Sie trägt einen engen Stiftrock mit Blazer und ich würde wetten, dass ihre Schuhe nicht weniger als fünfhundert Pfund gekostet haben. Ihr Make-up sitzt perfekt und ihre braunen Harre sind zu einem strengen Dutt nach hinten gekämmt. Sie hält sich ein Telefon ans Ohr, während sie ein wenig Milch in ihren Kaffee schüttet.

Ich gehe auf sie zu und zeige fragend auf den Stuhl ihr gegenüber.

Sie nickt nur und telefoniert weiter. "Nein, Hank, du verstehst das nicht. Dieses Meeting ist extrem wichtig und ich kann nicht bei diesem Wetter dorthin laufen“, redet sie ins Telefon. Sie scheint gestresst zu sein.

Eine Bedienung nimmt meine Bestellung, einen Kaffee mit Milch. Ich betrachte die Frau mir gegenüber, möglichst unauffällig, ein wenig mehr. Erst von Nahem kann man ihre Falten und einige graue Haare an ihrem Haarschopf entdecken. Auch ihre Augen strahlen etwas Kaltes aus.

"Hank, bitte. Tu mir den Gefallen", sagt sie wieder ins Telefon. Ihr ist die Verzweiflung deutlich anzusehen. "Du bist meine letzte Chance hier weg zu kommen - Nein, Yasmin und Diana habe ich schon angerufen." Sie stützt ihre Stirn mit der Hand auf dem Tisch ab. Ich schütte ein wenig Milch in den Kaffee und versuche, ihr nicht das Gefühl zu geben, dass ich sie belauschen würde. Jetzt sieht sie mich an und dreht sich ein wenig von mir weg, als würde sie bemerken, dass ich ihr zuhöre. Sie flüstert in ihr Handy: "Du bist mein Bruder ... ich hab doch sonst niemanden." Die Person am Telefon sagt noch etwas und schließlich legt die Frau schnaufend auf und schmeißt ihr Handy auf den Tisch. "Scheiße". Sie stöhnt und legt ihr Gesicht in ihre manikürten Hände. Als ich ihr erneut kurz ins Gesicht schaue, sehe ich, dass ihre Augen gerötet sind. Weint sie?

"Ist, ähm ... ist alles in Ordnung bei Ihnen? Ich will nicht aufdringlich sein, aber ..." Ich versuche möglich leise zu reden, damit die anderen Kunden uns nicht hören.

"Dann sei es nicht." Sie sieht mich mit bebenden Nasenlöchern an.

Ich schnappe erschrocken nach Luft und wende meinen Blick sofort wieder auf meinen Kaffee. Sie hat wirklich etwas sehr Dominantes an sich.

Sie schnieft einmal und wischt sich mit ihrer Serviette die Tränen aus den Augen. "Tut mir leid, es war nicht so gemeint."

Ich nicke und sehe sie mitleidig an.

"Ich hab nur eigentlich jetzt ein sehr wichtiges Meeting und ich kann dort nicht mit nassen Klamotten und zerzausten Haaren auftauchen."

Kurz wundere ich mich, wieso sie mir das erzählt, fange mich dann aber wieder. "Und Sie haben niemanden, der Sie hinfahren könnte?" Ich möchte ihr auf keinen Fall zu nahe treten.

Sie atmet einmal tief ein. "Nein ... Nein, habe ich nicht."

Ich werde neugierig. "Wo arbeiten Sie denn, wenn ich fragen darf?"

"Ich bin CEO in einer Verlagsfirma." Sie rührt ihren Kaffee um.

"Wow, das ist beeindruckend." Ist es definitiv. Das erklärt ihr selbstbewusstes Auftreten. Bis na ja, bis sie anfing zu weinen.

Sie blickt kurz auf und sieht mich mit ihren geröteten Augen an. "Ich wünschte, ich wäre es nicht." Sie wünschte, sie wäre es nicht? Wer wäre nicht gerne Chef in seiner eigenen Firma? "Reichtum und Karriere sind nichts, wenn man alles andere nicht hat." Sie trinkt von ihrem Kaffee.

"Wie meinen Sie das? Sie haben anscheinend viel für Ihren Erfolg getan. Wieso sollten Sie das nicht mehr wollen? Sie haben Dinge erreicht, die kaum ein Mensch jemals schaffen wird. Ich wäre sehr glücklich, so eine Karriere erreichen zu können, wie Sie." Ich runzle verwirrt die Stirn.

"Kleine, du willst nicht so sein wie ich. Ich habe jede Menge Geld, ja, ich habe sogar eine beschissene Villa auf einem abgeschotteten Berg. Ich trage Klamotten, von denen man zig Autos kaufen könnte." Wow, eine Villa auf einem abgeschotteten Berg. Das wollte ich schon immer. "Aber ich habe niemanden. Keinen Mann, keine Kinder. Ich habe nicht mal jemanden, der mich zu diesem beschissenen Meeting fahren will!" Zum Ende hin wird sie immer lauter.

Manche Kunden drehen sich zu uns um.

"Das eben war mein Bruder und nicht mal der will mich abholen. Normalerweise ist Familie doch das Wichtigste, nicht wahr? Tja, meine Familie hasst mich! Genau wie meine Kollegen und wenn ich Freunde hätte, würden die mich mit höchster Wahrscheinlichkeit auch hassen." Ihre Augen füllen sich wieder mit Tränen und ihr Griff um den Kaffeebecher wird fester.

Ich bekomme kein Wort heraus. Ich starre sie nur mitleidig an.

"Wenn du glücklich sein willst, dann hab´ Spaß, Kleines. Häng mit deinen Freunden so oft wie möglich ab, mache Unsinn und sammle Erfahrungen. Denn das tat ich nie und ich bereue es in jeder Sekunde meines Lebens." Sie steht auf und wirft sich ihre Arbeitstasche um die Schulter. "Tu alles, aber werde bloß nicht so wie ich." Sie lächelt am Ende noch leicht und verlässt dann das Café.

In meinem Kopf schwirren so viele Gedanken herum. Und dann wird es mir klar.

Vor mir saß gerade mein Zukunfts-Ich.

Kapitel 6

Innerhalb von Minuten hat sich alles geändert. Mir tut auf einmal so vieles Leid. Zum Beispiel Scar ... Wie ich sie früher immer abgeblockt habe, wenn sie mit mir spielen wollte. Mein Dad, weil er mir so viele Spielsachen gekauft hat, die ich nie angerührt habe. Er wollte immer, dass ich eine ganz normale Kindheit und Spaß habe. Wie oft ich mich bloß mit ihm deswegen gestritten habe. Dabei wollte er doch nur mein Bestes. Ich muss an Aiden denken und wie ich ihn letzte Nacht angemeckert habe, weil er mir zeigen wollte, wie schön manche Dinge sein können.

Ich wünschte, ich hätte all diese Dinge nicht getan.

Ich verlasse mit neuem Bewusstsein das Café und gehe zurück zum Campus. In meinem Leben muss sich drastisch etwas ändern. Nur wie?

"Rave, warte mal!" Ich drehe mich zu der Stimme um, die mich gerufen hat. Noah kommt grinsend auf mich zu gejoggt.

"Hey, Noah." Ich lächle.

"Hey." Er streicht sich durch die blonden, durchnässten Haare. "Heute Abend machen wir bei uns im Studentenwohnheim eine kleine Party und ich wollte dich fragen, ob du auch kommen willst." Wird er gerade rot?

Instinktiv will ich nein sagen, denke dann aber an meinen neuen Beschluss. Spaß haben, Unsinn machen, wie es die Frau gesagt hat. "Ja, liebend gerne."

Sein Grinsen wird breiter. "Super! Um neun Uhr beginnt das Spektakel, Aby kommt auch, ihr könnt ja zusammen fahren oder so."

Aby kommt? Dann kommt Aiden mit Sicherheit auch. Sofort ist meine Laune wieder im Keller. "Kommt, ähm ... kommt Aiden auch?" Ich bin mir nicht sicher, über welche Antwort ich mich freuen würde.

"Ja, er kommt auch, wieso?"

"Nur so."

Noah umarmt mich zur Verabschiedung und ich gehe in mein Zimmer. Aiden kommt auch ... Ich fühle noch so viel Reue ihm gegenüber, dass ich fast hoffe, dass ihm etwas dazwischenkommt und er nicht erscheinen kann. Auf jeden Fall sollte ich immer noch versuchen ihn aus meinen Gedanken zu verbannen. Auch, wenn ich jetzt versuche, mehr Spaß in meinem Leben zu haben, weiß ich nicht, ob Aiden eine der Personen ist, mit denen ich meinen Spaß teilen möchte. Er lässt mich komische Dinge fühlen und es fühlt sich definitiv nicht gut an. Er war mir bestimmt nicht ohne Grund von Anfang an unsympathisch.

 

Als ich meine Zimmertür öffne, glaube ich meinen Augen kaum. Aby und unser Matheprofessor liegen splitterfasernackt auf dem Boden! Nicht, dass es schon merkwürdig genug ist, dass Aby mit einem Lehrer unserer Schule schläft, nein - auch noch auf unserem Zimmerboden! Und das nur ein Meter weiter ein Bett steht! Ein Meter!

"O Gott!", rufe ich aus und halte mir die Hände vor die Augen.

"Rave, ähm, ich wusste nicht, dass du schon so früh kommst", quietscht Aby, während sie sich die Decke um ihren nackten Körper wickelt.

Langsam komme ich wieder zur Besinnung und schließe die Tür hinter mir, halte mir weiterhin die Hand vor die Augen. "Wenn ich gewusst hätte, dass du es hier mit unserem Matheprofessor treibst, wäre ich nicht gekommen, glaub mir."

Cam steht immer noch total unbeholfen im Raum und sieht beklommen zwischen Aby und mir hin und her.

"Baby, sie weiß Bescheid. Zieh dir bitte was an." Aby zieht sich etwas über und sieht Cam auffordernd an.

Das ist definitiv zu viel nackte Haut für mich, auch wenn Cam einen ansehnlichen Körper hat. Ich kann schon nachvollziehen, wieso Aby ihm verfallen ist. Definierter Oberkörper und dazu noch ein schönes Gesicht. Cam nickt völlig verdattert und zieht sich, während ich weggucke, eine Boxershorts über. Ich setze mich auf mein Bett und hoffe insgeheim, dass sie es hierauf nicht getrieben haben. Ich glaube, wenn es so wäre, könnte ich hier keine weitere Nacht verbringen.

Aby verabschiedet sich von Cam und er schüttelt mir noch die Hand zum Abschied. Ihm ist das wahrscheinlich noch unangenehmer als Aby und mir zusammen. Verständlich. Immerhin ist er Lehrer und Aby seine Schülerin. Und ich weiß jetzt schon, dass die nächsten Mathekurse ziemlich peinlich werden.

"Ihr müsst echt besser aufpassen. Es hätte sonst wer sein können", warne ich sie.

"Ich hab gehört, du kommst heute Abend auch zur Party von Noah?" Sie ignoriert meine Mahnung einfach und setzt sich auf das Bett mir gegenüber.

"Ja, er hat mich vor nicht mal fünf Minuten abgefangen. Wie kannst du das so schnell wissen?"

"Er schreibt mir grade." Sie zeigt auf das Handy in ihren Händen.

Ich nicke.

"Ich hätte nicht gedacht, dass du zusagst. Ich dachte die ganze Zeit, dass du eher ein Mäuschen bist, das lieber im Zimmer sitzt und Bücher liest, oder lernt oder so."

"Nein, nein. Ist voll mein Ding", behaupte ich. Dass das gelogen ist, bleibt lieber mein Geheimnis. Muss ja nicht gleich jeder wissen. Vielleicht finde ich ja Gefallen an Partys, wer weiß.

"Ich freu mich. Noah hat schon ein Auge auf dich geworfen, vielleicht wird das ja heute was zwischen euch." Sie zwinkert vielversprechend.

Was? Noah steht auf mich oder hat ein Auge auf mich geworfen?. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Noah ist süß, aber ich weiß nicht ... Ich merke, wie mir die Röte ins Gesicht schießt.

"Wie meinst du das, 'Etwas werden'?", frage ich verunsichert.

"Na, etwas werden halt. Rummachen oder so. Vielleicht sogar Sex." Sie sagt das so locker, als wäre es das Normalste der Welt mit einem Typen ins Bett zu steigen, den man gerade mal ein paar Tage kennt.

Ich verschlucke mich an meiner Spucke. Wie bitte? Sex? Rummachen? Oh Gott. Ich hatte bisher nur einmal etwas mit einem Jungen und das ist schon fast drei Jahre her. Und eigentlich dachte ich, dass es auch noch ein wenig dauern wird, bis sich das wiederholt. Versteht man das heute unter Spaß? Wenn Aby das macht und Spaß dabei hat, dann könnte ich vielleicht ... ich bin mal wieder total überfordert.

"Ich, ich weiß nicht." Ich räuspere mich. "Vielleicht." Mir ist das sichtlich unangenehm.

"Was ziehst du an?" Aby hat anscheinend gemerkt, dass ich mich unwohl fühle und wechselt das Thema.

"Ich denke meine normale Jeans mit einem schwarzen T-Shirt, du?"

"Was? Du kannst doch nicht so langweilig zu einer Party gehen!"

"Doch kann ich und werde ich." Was meine Klamotten angeht, pfuscht mir keiner dazwischen. Nur, weil andere Mädchen und Frauen meinen, sich wie Prostituierte an Partys kleiden zu müssen, heißt das nicht, dass ich das auch machen muss.

Dass Aby eine dieser Frauen ist, merkt man sofort, nachdem sie fertig gestylt vor mir steht. Sie trägt ein knappes, trägerloses Kleid mit mega Ausschnitt. Wenigstens hat es keine herausstechende Farbe, sondern ist einfach schwarz.

Gemeinsam kommen wir um zwanzig nach neun bei der Party an. Aby überragt mich jetzt um fast zwanzig Zentimeter, da sie im Gegensatz zu mir extrem hohe Schuhe anhat. Ich fühle mich neben ihr noch mickriger als ich sowieso schon bin. Meine Haare fallen mir einfach mit ihren natürlichen Wellen über die Schultern.

"Da drüben sind Lucas und Leon", schreit Aby mir ins Ohr und deutet auf das andere Ende des Raumes.

Die Musik ist so laut, dass mir Abys Geschrei nicht mal in den Ohren wehgetan hat.