Zu zweit auf See

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AUF DEN SPURENDER HISCOCKS

Von Johannes

Zum ersten Mal haben wir nicht wirklich etwas zu tun. Kein Programm. Die Vorbereitungen, die Abfahrt, die Hatz nach IJmuiden und dann weiter nach Ramsgate, dort eine weitere Runde Arbeitscamp mit unseren Oberndorfer Nachbarn Bert und Marlene, die zufällig dort mit ihrem Schiff liegen und eine voll ausgestattete Werkstatt an Bord haben … Und nun sind wir auf uns allein gestellt. Wir können uns aussuchen, was wir machen. Ein verrücktes Gefühl. Und es soll noch Monate dauern, bis ich das permanente schlechte Gewissen der Faulheit ablege, das sich sofort meldet, wenn ich länger als fünf Minuten irgendwo herumsitze, ohne an irgendwas zu arbeiten.

Am nächsten Morgen setzen wir Segel und bergen sie auch bald wieder, denn es herrscht absolute Flaute. Unter Motor passieren wir das wegen der Fähren berüchtigte Seegebiet vor Dover, das ich allerdings noch nie so wirklich schlimm fand. Der Strom schiebt. Eine neue App macht es so einfach wie nie zuvor, die Änderungen der Gezeitenströme in die Navigation einzurechnen. Zum Ende schiebt das Wasser dann aber wieder von vorn, und wir motoren in die Nacht hinein nach Brighton.

Die Strömung setzt im Mündungsbereich des Hafens stark quer, doch es gelingt uns, ohne Schrammen an den Steg zu gehen. Über den Aluminiummasten der Yachten leuchtet hell und weit ein Stahlmast mit einem leuchtenden »M«. Das Restaurant »Zur goldenen Möwe«. Und ich habe Heißhunger auf einen Burger. Die Internetrecherche ergibt, dass der Laden sogar noch offen ist. Aber wie kommen wir hier raus? Denn ich erinnere mich vom letzten Mal noch an ein großes Tor im Yachthafen, durch das man nur mit einem Code gelangt. Normalerweise gibt es im Innenteil der Marinas immer einen großen Knopf, mit dem man die Tür entriegelt, aber hier findet sich nur eine Edelstahlplatte, auf die man offenbar eine Chipkarte legen muss. Wir rütteln an der Tür, aber kommen nicht raus. Ich bin deprimiert: »Die Burger so nah, aber doch unerreichbar.« Also gibt es Nudeln und ein kaltes Bier.

Am nächsten Morgen komme ich immer noch nicht aus dem Hafenbereich. Dabei muss ich doch beim Hafenmeister einchecken und bezahlen. Doch die Tür geht nicht auf, und ich habe keine Chipkarte. Irgendwann kommt ein anderer Segler, und ich warte darauf, dass er die Tür öffnet. Doch anstatt eine Karte auf die Platte zu legen, drückt er einfach mit dem Finger darauf. Eine Kontaktplatte! Wie blöd kann man sein …

Am nächsten Tag soll es weiter zur Isle of Wight gehen. Als wir um 8 Uhr aufwachen, regnet es leicht. Der Wind heult über Deck. Das Schiff schaukelt in den Wellen von der Seite. Und wir haben beide nicht wirklich Lust, aufzustehen. Missmutig schauen wir uns an. Doch dann kommt mir eine Idee, die erst völlig abstrus scheint, aber doch Sinn ergibt: »Wollen wir einfach morgen weiterfahren?«, frage ich. Unfassbar, dass wir darauf nicht schon früher gekommen sind. Wann hatten wir die letzten Jahre den Luxus, einfach mal einen Hafentag einlegen zu können? Cati freut sich, dreht sich um und ist zwei Minuten später wieder eingeschlafen.

Die nächste Etappe führt uns also nach Yarmouth. Dort bin ich gerade ein halbes Jahr zuvor gewesen, um die Nichte der Blauwasserpionierin Susan Hiscock zu treffen. Bereits in den 1930er-Jahren hatte deren Mann Eric erste Langfahrttörns rund Schottland und Irland unternommen. Doch mit der Hochzeit der beiden in den frühen 1940er-Jahren gingen die Abenteuer erst richtig los. Zwischen 1952 und 1955 umsegelten sie die Welt das erste Mal mit ihrer Holzyacht WANDERER III, ein zweites Mal von 1959 bis 1962. Ihre Reisen begannen und endeten in Yarmouth auf der Isle of Wight. Hier schrieb Eric in den Wintermonaten seine Reisegeschichten, die zu den ersten und meistverkauften der Segelliteratur gehören. Sein Buch Cruising under sail war ein Standardwerk für alle Langfahrtsegler. Später verkaufte das Paar sein Haus und lebte fortan nur noch auf seinen Schiffen WANDERER iv und WANDERER v. Ständig berichteten sie weltweit in den Segelmagazinen von ihren Reisen. Doch dann starb Eric 1986 mit 78 Jahren in Neuseeland. Susan konnte sich ein Leben auf dem Schiff ohne ihn nicht vorstellen und kehrte nach England zurück. Hier verlief sich die Geschichte.

Ein Yacht-Leser hatte mir berichtet, dass Susan Hiscock die letzten neun Jahre ihres Lebens wieder in Yarmouth verbracht hatte, in einem kleinen Cottage direkt am Hafen. Ich bekam Kontakt zu ihrer Nichte und buchte zwei Flüge, für meinen Lieblingsfotografen Andreas und mich. Per Auto fuhren wir von London nach Lymington und setzten mit der Fähre über nach Yarmouth.

Dort öffnete uns die Nichte Janice Aslin die Tür zu einem Haus, in dem die Zeit stehen geblieben war. »Nach Susans Tod haben wir das Haus nur einmal im Jahr für einen Urlaub genutzt. Die übrige Zeit stand es leer und wir haben es so erhalten wie es zu Susans Zeiten war.« Ein unglaublich spannendes Erlebnis, diesen Lebensraum zu entdecken. All die Bilder, die ich aus den Büchern der Hiscocks kannte, hingen hier an der Wand oder klebten als Originale in den Fotoalben, die Janice aus Kisten kramte. »All die Bilderrahmen, die ein Loch im oberen Teil haben, waren an Bord einer WANDERER verschraubt«, erklärte sie uns. In einer alten Munitionskiste lagerten gut 20 Logbücher, beginnend in den 1930er-Jahren, in denen ich begeistert und mit vor Staunen offenem Mund blätterte. Geschichten aus längst vergangenen Tagen, teils über 40 Jahre vor meiner Geburt. Was mich faszinierte: Die Blätter waren alle schneeweiß, die Schrift sah aus, als hätte Eric seine Notizen gestern erst hier am Schreibtisch gemacht. Wenn ich die Eintragungen mit meinen verglich, irgendwo bei rauer See zwischen Reffen und Essenkochen ins Logbuch gepinselt … Erics Schrift war unheimlich akkurat. Keine Streichungen, keine Abrutscher mit dem Stift. Er musste hoch konzentriert vor dem Logbuch gesessen und genau überlegt haben, was er da zu Papier brachte.

Ich war total überwältigt und wusste gar nicht, was ich zuerst anschauen, welche Seite ich aufblättern sollte. Ich schlug auf, wo die beiden an meinem Geburtstag gesegelt waren. Und was sollte ich alles fragen? Gut, dass Janice von sich aus erzählte wie ein Wasserfall und mein Tonbandgerät alles aufnahm. Völlig aus dem Häuschen war ich, als sie mich hinauf ins Schlafzimmer führte und unter dem Bett eine Kiste voller Seekarten herauszog mit den Kurslinien der diversen WANDERER. Darauf Ansteuerungen der Inseln der Karibik und noch interessantere Atolle im Pazifik.

Wir erfuhren spannende Dinge über Susan und Eric, die in keinem Buch standen. Beispielsweise, dass Susan mit Mitte 70 in Yarmouth noch mit dem Jollensegeln begonnen und sogar mal eine Regatta gewonnen hatte. »Die meisten Leute kennen Eric nur von den Bildern in den Büchern, als alten, weißhaarigen Mann«, erzählte uns Janice. »Doch was kaum jemand weiß: Eric hatte schon als junger Mann weiße Haare. Er war ein Albino. Deshalb musste er auf den Segelreisen immer sehr aufpassen, nicht in der Sonne zu verbrennen.«

Wir checken beim Hafenmeister ein und erkunden den Ort, der vor etwa 900 Jahren gegründet worden ist. Er hat eine Menge zu bieten. Urige Pubs zum Beispiel, eine tolle Seebrücke und sogar ein altes Schloss von Heinrich VIII. Von Susan und Erics berühmtestem Schiff, der WANDERER iii, hängt im Yachtclub sogar noch ein Modell an der Wand – direkt neben den Medaillen, die die beiden für ihre fantastischen Abenteuer bekommen haben. In dem Bootsladen, in dem Eric in den 1950er-Jahren seine WANDERER iii ausgerüstet hat, kaufen wir zwei emaillierte Müslischalen. So was hat uns bisher auf See immer gefehlt. Und mich würde es nicht wundern, wenn genau solche Schalen auch schon bei Susan und Eric an Bord Verwendung gefunden hätten. Der Laden sieht nicht aus, als hätte er sein Programm in den letzten 60 Jahren geändert. Anschließend führt uns der Weg zur kleinen St James’ Church, die gerade Platz für etwa 80 Menschen bietet. Hier haben Susan und Eric 1941 geheiratet. Wir stellen uns vor, wie das wohl ausgesehen haben mag.

Der nächste Morgen beginnt früh. Für die Mädels – wir haben Besuch von Catis alter Freundin Inga, die jetzt in Wales lebt – noch vor dem Aufstehen. Aber ich treibe meine Crew an, denn der Schlag nach Portland wird lang. Wir wollen und müssen Meilen machen. Wir haben den zweiten Oktober, und der Herbst kommt näher. Der Wetterbericht sieht mau aus. Also verholen wir gegen 9 Uhr an die Tankpier und füllen 60 Liter nach. Als ich die Maschine starte, fällt mein Blick auf den Separ-Filter mit seinem Schauglas, und ich bekomme einen Schreck: »Nein, nein! Wir haben Heizöl getankt! Der Filter verfärbt sich von Gelb auf Rot!« Schnell google ich nach den Einfärbungen des Sprits in den verschiedenen Ländern und finde heraus: Alles gut, Diesel in England ist rot. »Das wird ein Spaß, dem Zoll in Deutschland zu erklären, warum unser Sprit rot ist …«, sage ich. Aber das soll jetzt nicht unsere Sorge sein. Denn bis wir wieder zu Hause in Deutschland einlaufen, tanken wir sicher noch oft nach.

Der Tag bleibt flau, und wir motoren. Die ganze Strecke. Inga bekommt ihre erste Stunde im Schiffsteuern. Denn Cati und ich machen das ziemlich ungern. Inga auch, wie wir schnell feststellen. Doch irgendwer muss ans Rad, solange kein Wind weht und wir nicht die Windsteueranlage anklemmen können. Unser elektrischer Radpilot funktioniert schon seit Brighton nicht mehr. Auch nicht bei glatter See. Klang nach Getriebeschaden, also habe ich das Getriebe abgebaut und mich bestätigt gesehen: Die Plastikzahnräder fielen mir einfach entgegen.

Glatte See und Motorfahrt sind jedoch hervorragende Verhältnisse, um ein bisschen mit den GoPros zu spielen, die uns das Kamerateam mit auf die Reise gegeben hat. Sie lassen sich sogar mit dem iPad verbinden und fernsteuern, cool. Nur unter Wasser funktioniert das WLAN natürlich nicht, was ich mir hätte denken können. Ein Selfiestick müsste her, um die Kamera mit ihrem extremen Weitwinkel vor das Boot zu bekommen. »So eine Idiotenantenne kaufst du dir auf keinen Fall«, verbietet mir Cati. Also muss ich erfinderisch werden und montiere die GoPro an eine lange Alustange, die irgendwie vom Bootsumbau übrig geblieben ist. Damit gelingen mir tolle Aufnahmen von der Bugwelle.

 

Über den Hafen in Portland wissen wir genau so viel, wie in der Seekarte steht: ein Wort. Er ist von einer gigantischen Mole umgeben, die mehrere Seemeilen lang zu sein scheint. Mitten im Hafenbecken sind neun blaue Kreise zu sehen. »Jetzt erinnere ich mich«, rufe ich. »Bert hat von dem Hafen erzählt. Das ist ein alter Marinehafen.« Das macht Sinn. »Und die Mauer muss in der Tat gewaltig sein. Denn die Kreise, das sind Schwoikreise für Flugzeugträger.«

DARTMOUTH

Von Johannes

Die Sonne ist noch nicht zu sehen, als wir früh am nächsten Morgen lostuckern. Doch sie wird sich auch den ganzen Tag nicht blicken lassen. Es bleibt grau in grau. Typisch britisch. Dafür ist der Wind zurückgekehrt, und wir setzen gleich nach dem Passieren des Leuchtturms am Portland Bill die Segel. Für Inga ist das der erste Segeltörn überhaupt. Und sie weiß noch nicht so recht, ob er ihr gefällt oder ob sie langsam seekrank wird. Hoch am Wind preschen wir quer über die große Bucht hinüber auf die andere Seite, zur Grafschaft Devon. Unser Ziel ist Dartmouth. Ein langer Ritt. Daher ist es fast 21 Uhr, als wir im Dunkeln in den Mouth des River Dart einbiegen. Erst sind wir uns gar nicht so recht sicher, dass es da irgendwo hineingeht, denn bis kurz vor dem Eingang liegt das Land als dunkler Haufen in unserem Norden. »Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragt Cati. Der Fluss und die Stadt waren vor langer Zeit Ausgangshafen für zahlreiche Entdeckerfahren und außerdem Stützpunkt der Royal Navy. Deshalb vermutlich so gut getarnt. Wir motoren an gewaltigen Felswänden vorbei, biegen um die Ecke, und plötzlich sehen wir die gelb beleuchteten Häuser an den Berghängen kleben. Ein wahnsinnig schönes Bild. Auf der linken Seite erkennen wir schemenhaft die Umrisse des Dartmouth Castle, das um 1481 errichtet wurde, um die Flussmündung zu überwachen. Denn trotz der geschützten Lage war es den Franzosen im Hundertjährigen Krieg zweimal gelungen, die Stadt zu plündern.

Wir hingegeben bekommen nach Inga erneut willkommenen Besuch: Unser Kamerateam kommt an Bord. Schon bevor uns die drei morgens um 8:30 Uhr die Hand schütteln, haben sie aus den Bergen eine Totale des Yachthafens gedreht und ein paar Details der Dampflok im Kasten, die alle paar Stunden neben dem Yachthafen hält. Das ist die normale Zugverbindung hierher nach Dartmouth, wo die Zeit ohnehin stehen geblieben zu sein scheint. Wir beginnen mit Aufnahmen einer Frühstückssituation im Salon der MAVERICK TOO, verlassen das Schiff und fahren mit der Fähre hinüber in die Altstadt. Das bedeutet Kameraaufnahmen vom Umfeld der Fähre, Details von einer Seerobbe, die um die Fähre schwimmt, Aufnahmen, wie wir an der Fähre ankommen, wie wir die Gangway hinunterlaufen, wie wir an Deck der Fähre sitzen und bedächtig in die Ferne schauen … In Dartmouth schauen wir uns einen Andenkenladen an und spielen für die Kamera, dass Cati da gerne reinmöchte, ich aber lieber weiter. Wir besichtigen den Ort, an dem vor 400 Jahren die Pilgerväter mit der MAYFLOWER abgelegt haben, flüchten vor dem Regen in eine britische Telefonzelle und sitzen in einem Café und essen eine typische britische Pastries.

Kurz vor Feierabend will Arne dann noch unsere Abfahrt nachstellen. Also Maschine an, Ölzeug auch, Leinen los. Wir tuckern bis zum Castle und setzen die Segel, um sie dann gleich wieder zu bergen und zu unserem Liegeplatz zurückzukehren. Am Abend kehren wir dann erschöpft von dem langen Tag im Regen in eine Fish-and-Chips-Bude ein. Alle Aufnahmen sind im Kasten. Punktlandung, denn bei mir kündigt sich eine Erkältung an. Ich bin erleichtert, dass ich das Tagesprogramm mit sonorer Stimme, rotziger Nase und tierischen Gliederschmerzen noch hinbekommen habe. Jetzt zieht der Körper einen Schlussstrich und sucht nach dem Druckabfall durch den Stress der letzten Monate und Jahre ein Ventil. Es war einfach alles zu viel gewesen.

Mit dem Schiff in der Werft und einem alten Haus hatten wir über die vergangenen zwei Jahre zwei Baustellen: Das Haus sollte soweit hergerichtet werden, dass wir eine Wohnung vermieten könnten – und das Schiff bedurfte einer Grundüberholung, vor allem einer Osmosebehandlung. Es war eine Heidenarbeit.

Soziale Kontakte waren während der ganzen Zeit auf null heruntergeschraubt. Während Cati eher die groben Aufgaben erledigte und nach dem Spachteln sowohl das komplette Unterwasserschiff als auch das Deck schliff, ging ich später über zu Zimmermannsarbeiten und Elektrik. Es wurde ALLES getauscht. Einzig Rumpf und der hölzerne Innenausbau blieben. Ein Neubau gefangen in einem GFK-Klassiker.

Mein monatliches Gehalt hätte der Verlag auch direkt an die Ausrüster überweisen können. Aber selbst das hätte nicht ausgereicht, denn die Ausgaben waren immer viel höher als das Gehalt. Also musste ich mehr Geld verdienen. Noch eine Vortragstour über die Einhand-Atlantikreise. Inzwischen hatte ich über 170 Vorträge gehalten.

Doch ich war weiterhin ein schlechter Geschäftsmann, dankbar für jeden Euro. Später bekam ich in vielen Fällen heraus, dass andere Segler das doppelte Honorar herausgeschlagen hatten, weil sie sich besser verkaufen konnten. Leute, die viel langweiligere Reisen im Kielwasser hatten. Neben dieser Lebenserfahrung sammelte ich also eine Menge Autobahnkilometer. Einige Male nahm ich mir einen Tag frei, um abends einen Vortrag in München zu halten und verbrachte den ganzen Tag auf der Autobahn zu einem Land-Rover-Autohaus. Nach dem Vortrag war ich um 22:30 Uhr wieder auf der Autobahn nach Norden, um 8 Uhr in Hamburg und um 9 Uhr im Büro. Jeder Euro zählte und war die kräftezehrende Tour wert. Es ist immer alles gut gegangen. Aber oft war die Klimaanlage auf dem Rückweg eiskalt eingestellt, damit ich nicht einschlafe.

Die Abende in den Autohäusern, Dorfgemeinschaftshäusern, Kinos und bei Buchhändlern waren toll. Doch die Kohle reichte immer noch nicht. Also suchte ich mir noch mehr Nebenjobs und begann nachts für Profi-Segler Boris Herrmann zu arbeiten. Boris segelte damals zusammen mit einem Amerikaner ein Rennen nonstop um die Welt, das Barcelona World Race. Eigentlich sollte ich als Webmaster nur dafür verantwortlich sein, Pressebilder in seine Website einzupflegen, ab und zu mal eine Meldung zu posten, die Boris während des Rennens an Bord seines Open 60 schrieb. Doch am Ende postete ich täglich eine Rennzusammenfassung mit Hintergrundinformationen, Wetterberichten, Aussichten, gepaart mit den Berichten direkt von Bord. Boris’ Tastatur war im Southern Ocean kaputtgegangen und viele Tasten lösten mehrfach aus. Eine Heidenarbeit, überflüssige Buchstaben auszumisten und daraus als Ghostwriter einen veröffentlichungsfähigen Text zu machen. Die Leser der Website und Fans von Boris waren begeistert von den täglichen Posts, bezeichneten mich als »dritten Mitsegler« an Bord. Und ich arbeitete doppelt: Nachts, üblicherweise bis 3 Uhr, schrieb ich neue Meldungen auf Boris’ Seite, tags darauf dann Online-Meldungen darüber für die Yacht. Für 500 € im Monat.»Deine Entlohnung steht in keinem Verhältnis zur Leistung«, entschuldigte Boris sich wiederholt, »aber das Budget ist zu knapp.« Boris und sein Manager versprachen mir, mich später wieder zu engagieren und »vernünftig zu bezahlen«, sollte es eine Vendée Globe Kampagne geben. Mit dieser Aussicht gab ich mein Bestes. Doch als es Jahre später zu einem Vendée Globe Rennen kam, war Boris nicht dabei.

Ich suchte mir weitere Nebenjobs, übersetzte nachts Bücher, Schiffs-Exposés und Pressetexte. Der Körper wehrte sich schon damals immer mehr gegen all den Stress und Schlafmangel. Zweimal war ich wegen rasendem Herzen beim Arzt. Ich war aufgebraucht, überarbeitet. Und dann forderte auch noch überraschend das Finanzamt Steuern für die Vorträge nach – ein Großteil des beiseite gelegten Geldes war wieder weg. Es schien immer hoffnungsloser, je wieder lossegeln zu können. Während vieler Mittagspausen saß ich in der Redaktion vor dem Rechner, las Blauwasserblogs und betete »Herr, lass mich so was nur noch einmal erleben.«

Während der Pendelei im Zug schaffte ich es manchmal, ein Buch zu lesen. Eines fesselte mich: Adrift. Autor Tristan Jones sprach mir aus der Seele: Er ist gerade von einer tollen Reise zum Titicaca-See, die wegen politischer Unruhen viel Kraft gekostet hatte, nach England zurückgekommen. Seine kleine, 7 Meter lange SEA DART hat er per Frachter nach England geschickt Dort möchte er eigentlich nur das Schiff abladen und etwas Frieden unter Segeln finden. Doch der Zoll verlangt Einfuhrsteuern. Geld, dass der Mann nicht mehr hat. Also bleibt das Schiff im Zollhafen an der Kette, während Jones über den Winter als Kohleschipper bei Harrod’s Geld verdient.

»Der hatte es wenigstens warm«, dachte ich. Denn wenn ich nach Hause kam, war das Haus kalt. Ich sparte Geld, schaltete im Winter die Dieselheizung tagsüber ab. Wenn ich um 20 Uhr nach Hause kam, dauerte es immer 1,5 Stunden, bis die Wohnung langsam durch den Holzofen aufgewärmt worden war. Um 23 Uhr ging ich ins Bett, weil ich um 6:45 Uhr schon wieder das Haus verlassen musste. Sinnlose, einsame Winter auf dem Land.

Jones gelingt es irgendwann, mit Gelegenheitsjobs genug Geld aufzubringen, um sein Schiff zurückzubekommen und endlich wieder die Segel zu setzen. Für mich hoffte ich ebenfalls auf ein Happy-End. Ich wollte so gern los, aber war im Leben an Land mit all seinen Verbindlichkeiten gefangen. Deshalb wechselte ich oft das Thema, wenn wieder einmal jemand auf einer Bootsmesse oder nach einem Vortrag die immer gleiche Frage stellte: »Und, wann geht’s wieder los?« – Was sollte ich antworten? Die Wahrheit war: »Ich weiß es nicht.«