SAII-RON

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Z serii: SAII-RON #1
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Heiße Tränen sammelten sich unter meinen geschlossenen Lidern.

Die fremden Reiter hatten sie alle wie Vieh abgeschlachtet, nur um diesen Kristall in die Finger zu bekommen. Ich zog die dünne Decke schützend enger um mich und drehte mich leicht in Richtung der streitenden Stimmen.

Krischan musste mich mit zu sich genommen haben, auch wenn ich mir nicht erklären konnte wie er das geschafft hatte. Immerhin war der Weg über die Berge lang und er hätte mich ja auch noch tragen müssen. Außer natürlich wir waren mit Tchais Hilfe hier hergekommen. Für einen Drachen stellten die Berge mit Sicherheit kein Hindernis dar. Ich ließ den Gedanken vorerst fallen, denn ein dumpf pochender Schmerz auf meiner Brust zwang mich blinzelnd meine Augen zu öffnen.

Die Dämmerung war der Nacht gewichen. Durch das kleine Fenster im Raum fiel silbriges Mondlicht und ließ die Umrisse eines kleinen Tisches, eines Stuhles und einer Kommode erkennen. Durch die Tür auf der anderen Seite des Zimmers fiel schwacher Lichtschein. Ich ließ meine rechte Hand prüfend über die verwundete Haut gleiten. Ich war tatsächlich einen Pakt mit einem Drachen eingegangen. Das ganze Ausmaß meiner Handlung wollte noch immer nicht in meinen Kopf hinein.

Vielleicht konnten Krischan und Tchai mir morgen alles in Ruhe erklären und mit Sicherheit würde es nicht lange dauern bis ich zum Turm der Drachen aufbrechen würde.

Ich berührte den kleinen Anhänger an der Kette um meinen Hals.

Durch dieses kleine Geschenk war ich erst einmal in Sicherheit vor den Angreifern von heute Morgen. In Sicherheit vor ihm!

Solange ich sie nicht abnahm, würde meine Anwesenheit vor den Fremden verborgen bleiben. Mein Blick huschte zu dem flackernden Lichtschein, der unter der Tür hindurchdrang.

Die mittlerweile leisen Stimmen weckten meine Neugier.

Langsam schlug ich die dünne Decke zurück und stand auf. Vorsichtig, damit die Holzdielen unter meinen nackten Füßen nicht knarzten, schlich ich zur anderen Seite des Zimmers.

„Krischan, ich wiederhole mich jetzt bestimmt zum tausendsten Mal, aber wir können Saii-ron nicht unbewacht einfach hier lassen. Du glaubst doch nicht wirklich, das dieses Kind ihm gewachsen ist. Es ist zu gefährlich. Diese Bastarde von heute früh wussten, dass der Kristall hier ist und du siehst was sie angerichtet haben!“, entgegnete Tchai aufgebracht.

„Layra ist nicht mehr alleine. Sie hat dich an ihrer Seite, einen besseren Schutz gibt es momentan nicht. Natürlich ist es von Melissa unverzeihlich das es so weit kommen konnte. Sie hätte besser auf Saii-ron achten müssen. Es muss ihr irgendeine Unachtsamkeit zum Verhängnis geworden sein, denn wie hätten sie sonst den Kristall finden sollen?“

Bei der Erwähnung meiner Mutter krallte ich meine Finger verzweifelt in den einfachen Stoff meines Nachthemdes.

Es war nicht ihre Schuld, das die Fremden unser Dorf überfallen hatten! Warum gaben sie meiner Mutter die Schuld?

Ich riss mich zusammen, um nicht laut aufzuschluchzen, doch die nächsten Worte trafen mich erneut wie ein Schlag.

„Der Frieden ist schon zerstört. Zumindest ist ein nicht zu verleugnender Riss, in dem ach so gut durchdachten, Plan entstanden. Wer konnte schon damit rechnen, das die nächste Hohepriesterin, nicht gut genug in den Lehren des Kristallrates unterrichtet wird. Anscheinend hat ihre Mutter ihre Aufgabe nicht besonders ernst genommen. Oder kannst du mir erklären Krischan warum ich heute Abend nach hunderten von Jahren vor dir stehe und mich mit dir über ein ungezogenes Kind unterhalten muss?“

„Tchai beruhige dich, du weckst noch Layra! Das ihr Drachen immer so aufbrausend sein müsst. Es ist nur zum Teil Melissas Schuld, der Rest ist vom Schicksal bestimmt. Außerdem Tchai mein Lieber, tue nicht so, als ob dich meine Gesellschaft so stören würde“

„Glaube mir ich werde sie nicht mehr lange in Anspruch nehmen. Ich habe Besseres zu tun, als bei dir alter Mann zu sitzen und über unser unverhofftes Wiedersehen zu reden! Etwas Gutes hat diese gesamte Entwicklung. Immerhin sitze ich nicht mehr in dieser trostlosen Leere fest, in die ihr mich verbannt habt!“

Tchais Temperament drang durch die Tür bis zu mir.

Es war, als würde eine unaufhaltsame Welle über mich hereinbrechen. Meine Beine fühlten sich zunehmend schwächer an und ich rutschte an der Wand entlang zu Boden. Erschöpft ließ ich meinen umherwirbelten Gedanken freien Lauf.

Wieso nur haben wir nie etwas von dem brüchigen Frieden mitbekommen? Weil wir Bauern aus einem kleinen Dorf sind, nein waren! Und keinen dort hat es wirklich interessiert, was in den großen Städten vor sich geht. Wir haben einfach nur unser Leben gelebt.

Meine Gefühle gerieten immer mehr in Aufruhr und am liebsten hätte ich laut aufgeschrien.

„Du warst genauso damit einverstanden dich mit Saii-ron …“

„Krischan Du, mein Vater und der Kristallrat habt mich sehr gekonnt davon überzeugt diesen Pakt mit Saii-ron einzugehen. Viel Entscheidungsfreiheit hatte ich nicht“, zischte Tchai wütend.

„Wie dem auch sei, deine Strafe ist nun zum Teil vergolten. Du hättest auch noch weitere tausende von Jahren damit zubringen können dich in Langeweile zu vergehen. Ich verstehe nicht ganz, warum du jetzt so wütend bist. Layra ist ein gutes Mädchen und du wirst dich mit ihr perfekt ergänzen. Ihr braucht beide etwas Zeit. Aber da du der Erfahrenere von euch beiden bist, überlasse ich es dir sie auf ihre Aufgabe richtig vorzubereiten“.

Ich hörte wie Tchai hinter der Tür hin und her stapfte und dabei leise Flüche ausstieß. Abwesend glitt meine Hand wieder zu den eingebrannten Zeichen auf meiner Haut. Ein Gefühl unbekannter Angst und Hilflosigkeit breiteten sich in mir aus. Mit einem Mal begann mein Körper zu zittern und ich kauerte mich noch stärker zusammen.

Was ist nur los mit mir?

Das Geräusch einer sich öffnenden Tür ließ mich erschrocken aufblicken. Ich erkannte Tchais Umriss und meinte ein kurzes Aufblitzen seiner grünen Augen, trotz des dämmrigen Lichtes, zu sehen. Mit zwei großen Schritten war er bei mir und hob mich mit einer einzigen, fließenden Bewegung hoch. Er schien mein Gewicht gar nicht wahrzunehmen. Für einen kurzen Moment ließ ich den Kopf an seine Brust sinken und seltsamerweise fühlte ich mich geborgen.

„Prinzesschen über deine Manieren müssen wir noch reden, denn ich glaube nicht das es sich gehört hinter der Tür zu lauschen!“

Der leichte Tadel in seiner Stimme war nichts im Vergleich zu der Wut, die noch vor wenigen Minuten spürbar war. Ganz im Gegenteil, Tchais Stimmung hatte sich gebessert und auch mich ergriff wieder eine innere Ruhe. Tchai überbrückte die wenigen Meter zu meinem Bett mit drei großen Schritten und ließ mich auf die fellbedeckte Matratze gleiten.

„Warte einen kurzen Moment. Ich werde dir etwas Wasser bringen, du musst fast umkommen vor Durst.“

Mit diesen Worten ließ er mich zurück und verschwand wieder in das angrenzende Zimmer. Kurz hörte ich, wie Tchai ein paar unverständliche Worte mit Krischan wechselte und im nächsten Moment tauchte er auch schon wieder in der Tür auf.

„Hier nimm.“

Er reichte mir ein Glas Wasser und ich nahm es dankend an. Als die ersten Tropfen meinen Hals hinunterrannen, merkte ich erst, wie durstig ich wirklich war. Plötzlich umgriff Tchais Hand meine und entzog mir mit Bestimmtheit das Glas, sodass ich einen empörten Laut ausstieß.

„Nicht so viel auf einmal sonst übergibst du dich noch. So und nun rutsche ein bisschen! Du bist eiskalt. Ich werde mich etwas zu dir legen.“

„Das musst du nicht tun. Du kannst wieder zu Krischan gehen.“

„Keine Angst ich will dich nur etwas aufwärmen, sonst nichts! Ich werde mich nicht ausziehen. Außerdem hast du nicht einmal etwas annähernd Anziehendes auf mich, wenn du auf das hinaus willst!“

Bei Tchais Worten schoss mir die Röte ins Gesicht und ich war froh, das ich die Bettdecke schon bis über die Nase gezogen hatte.

Er wollte wirklich mit mir ins Bett! Hier zu mir! Das glich einer Untat, denn ich konnte doch nicht zusammen mit einem Mann im selben Bett liegen. Was sollte ich denn nur machen?

Ich musste ihn überzeugen, das mit mir alles in Ordnung war. Bevor ich jedoch handeln konnte, hatte Tchai sich schon in Bewegung gesetzt. Ich rutschte im Bett etwas nach hinten. Mit der Wand im Rücken fühlte ich mich sicherer, doch Tchai schüttelte belustigt den Kopf. Ohne ein weiteres Wort stieg er über mich hinweg, schlug die Bettdecke zurück und legte sich hinter mich. Starr vor Entsetzen spürte ich, wie ich in eine feste Umarmung gezogen wurde. Tchais Nähe betäubte meine Sinne und ich konnte mich kein bisschen mehr rühren. Mein Kopf ruhte auf seinem rechten Oberarm und sein linker Arm hielt mich fest an sich gedrückt. Er hatte die Bettdecke wieder über uns gezogen und langsam merkte ich, wie die Wärme in meine kalten Glieder zurückkehrte.

„Entspann dich Prinzesschen du wirst merken, das es dir gleich besser geht.“

Tchais Stimme an meinem Ohr bescherte mir einen kurzen Schauer. Sein leises Lachen daraufhin ließ mich verschämt die Lippen aufeinander pressen.

„Wenn du weiter so verklemmt bist, werde ich später mit dir keine großen Probleme haben.“

„Was meist du damit?“, fragte ich unsicher.

„Das wirst du, wenn es so weit ist, schon noch merken. Und jetzt lass mich mal deine Schmerzen etwas lindern!“

Bevor ich wusste, wie mir geschah, schob Tchai seine Hand unter mein Nachthemd und legte sie auf die Stelle zwischen meinen Brüsten.

„Entspann … dich! Du bist so starr wie ein Brett! Glaub mir, in meinem Leben habe ich schon bei unzähligen Frauen gelegen und ich kenne alle kleinen Geheimnisse von ihnen. Wie gesagt du bist noch nicht einmal halb so weit, dass du einen Mann erregen könntest.“

 

Ich spürte, wie ich noch röter wurde, obwohl ich stark bezweifelte das dies überhaupt noch möglich war. Mein nackter Hintern berührte Tchais Bauch und ich fühlte den rauen Stoff seines Hemdes.

Warum nur hatte man mir ein Nachthemd angezogen. Wer hatte mich überhaupt aus meinen alten, zerrissen Kleidern geholt?

Ich hoffte, das es Krischan war und nicht Tchai.

Warum kommt Krischan nicht und erklärt mir das alles?

„Prinzesschen Krischan kann dir hierbei nicht helfen. Du musst mit mir vorlieb nehmen. Ab heute sind wir zwei eine Einheit. Du kannst dich vor mir nicht verstecken, deine Gefühle verleugnen oder mich anlügen. Ich werde immer genau wissen was in dir vorgeht.“

Tchais geflüsterte Worte wirkten ein kleines Wunder, genauso wie seine Hand auf meiner Haut. Mein innerer Aufruhr und meine Schmerzen verschwanden zunehmend. Geborgen in Tchais Umarmung merkte ich, wie meine errichteten Mauern zu bröckeln begannen.

„Danke Tchai.“

Diese zwei Worte schienen ewig im Raum zu verklingen, bis der Mann hinter mir sprach.

„Du musst mir nicht danken. Du konntest dir dein Schicksal genauso wenig aussuchen wie ich.“

„Aber ich hätte diesen Beutel einfach nicht öffnen sollen. Ich hätte nur auf meine Mutter hören müssen, dann wäre all das nicht passiert.“

„Prinzesschen, wenn sich hier einer bedanken muss, dann ich. Immerhin hast du mich vor weiteren, vielleicht endlosen Jahren der Einsamkeit bewahrt. Eines musst du mir jedoch verraten! Was genau hat der fremde Reiter zu dir gesagt?“

Ich schloss müde die Augen. Ich hatte gehofft zumindest heute nicht noch einmal zu den Geschehnissen des Morgens zurückkehren zu müssen, doch ich war Tchai eine Antwort schuldig. Mit wenigen Worten berichtete ich ihm von der Begegnung mit dem Reiter und warum jetzt, am Ende dieses furchtbaren Tages, ein gestaltwandelnder Drache sich an meinen Rücken schmiegte.

Bei der Erwähnung des Fremden spürte ich wieder ein Gefühl des Aufruhrs in mir aufsteigen, doch sobald Tchai einmal kurz aber tief Luft geholt hatte, legte es sich wieder.

„Du darfst diese Kette niemals abnehmen Layra. Hast du mich verstanden?“

Ich hielt kurz den Atem an, als ich meinen Namen aus Tchais Mund hörte. Die enthaltene Warnung aus seinen Worten verfehlten ihre Wirkung nicht, denn ich drückte mich unbewusst tiefer in Tchais schützende Umarmung.

„Wer ist er?“

Tchai antwortete nicht sofort und als er es tat, schwang ein gefährlicher Unterton und eine erneute Warnung darin mit.

„Er ist unberechenbar Prinzesschen und ich hatte gehofft das sich unsere Wege nicht all zu schnell wieder kreuzen. Vielleicht haben wir ja auch dank Krischans kleinem Amulett hier, etwas mehr Zeit dich auf ihn vorzubereiten. Denn eines ist sicher. Er hat dich gesehen, er weiß von Saii-ron und er wird jeden töten, der ihm im Weg steht.“

„Er will Saii-ron?“

„Ich befürchte, das sich seine Priorität etwas verlagert hat.“

„Was meinst du damit?“

Ich spürte, wie Tchai sich leicht anspannte. Er begann mit seinem Finger leichte Kreise auf meiner Haut zu ziehen. Trotz der ungewohnten Berührung blieb ich still liegen. Langsam fasste ich Vertrauen in Tchai und die Situation war sowieso schon seltsam genug.

„Deine Mutter hat dir anscheinend tatsächlich nichts über ihre Vergangenheit verraten. Ich denke jedoch, dass es besser ist, wenn Krischan dir davon erzählt.“

„Bitte Tchai!“

„Nur das wichtigste Prinzesschen, verstanden? Du wirst mir danach keine Fragen mehr stellen, auch dann nicht, wenn noch mehr dadurch entstehen!“

Ich zögerte kurz, doch dann nickte ich leicht.

„Also schön! Unser Land wird durch unzählige Allianzen und Handelsabkommen zusammen gehalten. Die Mächtigsten unter ihnen bilden den Kristallrat. Zu ihm zählt unter anderem auch mein verhasster Vater als Vertreter der Drachenwandler, genauso wie deine Mutter als Hohepriesterin der zehnten Generation. Zur Zeit der vierten Hohepriesterin wurde der Friedensvertrag zwischen den Drachenwandlern, Menschen, Dämonen und Magiern geschlossen. Saii-ron. Da die Hohepriesterin als besonders rein galt, übertrug man ihr die Aufgabe Saii-ron zu beschützen und den Frieden zu wahren. Der Kristallrat aber wusste, das die Gegner des Vertrages, nichts unversucht lassen würden, um den mühsam errichteten Frieden zu zerstören. Somit stellten sie der Priesterin einen weiteren Abgesandten zur Seite, um Saii-ron zu schützen. Unglücklicherweise fiel ihre Wahl damals auf mich und ich hatte keine schlagkräftigen Argumente mich dagegen zu stellen. Bevor du jetzt auf die Idee kommst, mich zu fragen was ich angestellt habe, um in eine Verbannung geschickt zu werden, lass es mich gleich abkürzen. Ich werde dir darauf keine Antwort geben. Um also Saii-ron von Innen zu stärken, verbannte man mich in den Kristall. Jeder der folgenden Hohepriesterinnen wurde es unter Strafe verboten, Saii-ron in seiner wahren, reinen Form anzusehen. Nur in einer Zeit der Gefahr und Not ist es der Hohenpriesterin erlaubt, denn sie kann dadurch den Bann brechen und mit mir einen tieferen Pakt zum Schutze des Kristalls eingehen. Nun, um auf deine ursprüngliche Frage zurückzukommen, der fremde Reiter von heute Morgen verfolgt seine eigenen Ziele. Seine wahren Beweggründe kann ich dir auch nicht sagen. Ich weiß nur, dass es alles komplizierter machen wird.“

Tchai verstummte und die darauffolgende Stille weckte ein Gefühl der Beklommenheit in mir. Warum hatte meine Mutter mir das alles vorenthalten? Es war ein Teil meines Lebens und ich ahnte noch nicht einmal etwas davon. Wie hatte sie sich unsere Zukunft vorgestellt? Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn mir nicht Krischan und letztendlich auch Tchai zur Hilfe gekommen wären.

Einen kleinen Teil meiner Vergangenheit schloss sich in meinem Herzen ein, ein anderer war für immer verloren. Ich würde das Versprechen, das ich meiner Mutter gab einhalten und dafür sorgen das Saii-ron in Sicherheit war. Ich verstand zwar noch nicht warum ich Saii-ron zum Turm der Drachen bringen sollte, wenn meine Mutter damals vor dem Kristallrat von dort geflohen war. Vielleicht war die Gefahr, die mit den schwarzen Reitern hereingebrochen war, größer als wir ahnten.

Durch Tchai in meinem Rücken fühlte ich mich sicher. Ich spürte zwar das er etwas vor mir zurückhielt, doch ich hatte ihm versprochen nicht weiter nachzufragen. Morgen war schließlich auch noch ein Tag und ich würde Krischan und Tchai nicht in Ruhe lassen bis alle meine Fragen beantwortet waren.

Ich schloss erschöpft die Augen und sofort tauchte das Gesicht des Fremden in meinen Gedanken auf. Wer war er nur wirklich, dass selbst ein Drachenwandler ihm gegenüber vorsichtig war?

„Tchai ich weiß ich habe dir versprochen nichts mehr zu fragen“, murmelte ich leise.

Tchais leises Lachen erklang an meinem Ohr, doch in seiner Stimme war kurz darauf nichts mehr davon zu hören.

„Lass ihn nicht deine Gedanken beherrschen Prinzesschen! Wenn du ihm das nächste Mal begegnest, wirst du stärker sein. Bis dahin sind Krischan und ich an deiner Seite und diese kleine, nützliche Kette.“

Tchais Worte wurden immer leiser und ich ergab mich endgültig dem willkommenen Schlaf. Das Letzte, das ich noch hörte, war ein einziges, geflüstertes Wort, das ewig im Raum nachzuhallen schien.

Dazai!

3

Acht Jahre! Genau vor acht Jahren geschah dieser furchtbare Tag, an dem sich mein Leben vollständig änderte und nichts mehr so war wie zuvor. Die tiefe Trauer, die mich damals in ihrem Griff hatte, verging im Laufe des ersten Jahres. Krischan und Tchai hatten den Großteil dazu beigetragen. Ohne die Beiden wäre ich verloren gewesen. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch.

Krischan war ein sehr guter und vor allem geduldiger Lehrer.

Durch ihn hatte ich alles über die Gesetze, Allianzen und Handelsabkommen unseres Landes gelernt. Genauso wie die Herkunft der einzelnen Völker und ihre Entwicklung bis zum heutigen Tag. Vor allem die Geschichte der Hohepriesterin mit all ihren Verpflichtungen und Riten hatte mir Krischan eingetrichtert.

Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht all das nachzuholen, was meine Mutter versäumt hatte mir beizubringen. Krischan war zu einem Vater- und Muttersatz für mich geworden.

Tchai dagegen war ein furchtbarer Lehrer. Er hatte meine Kämpferische Ausbildung übernommen. Zumindest hatte er es versucht. Ich legte seit dem brutalen Überfall keinen großen Wert mehr auf das Kämpfen. All den Kriegern aus meinem Dorf hatte es nicht geholfen. Tchai ließ das leider nicht gelten. Er meinte, dass ich mich wenigstens verteidigen können sollte.

So geduldig und einfühlsam Krischan in seinen Lehren war, so nervenaufreibend war das Training mit Tchai.

Seine aufbrausende, alles beherrschende Art trieb mich oft an meine Grenzen. Er schonte mich nicht im Geringsten und ich kam an unzähligen Abenden mit blutigen Schrammen und Kratzern zu Krischan nach Hause. Meinen Körper zeichneten blaue Flecken an Stellen, an denen ich nie gedacht hätte, dort einen bekommen zu können. Tchais Temperament überstieg meines bei weitem und es passierte oft genug, das wir uns beide in die Haare bekamen.

Unser gemeinsamer Pakt fesselte uns aneinander und aus zwei Hälften wurde in den vergangenen Jahren ein Ganzes.

Ich konnte mir mein Leben ohne Tchai nicht mehr vorstellen. Egal ob in seiner menschlichen Gestalt oder in der eines Drachen, wir verstanden uns blind und ich vertraute ihm bedingungslos.

Die berauschendsten Momente mit ihm waren, wenn er mich auf seinen Rücken mitfliegen ließ. Dort fühlte ich mich richtig frei und alles was ich mir wünschte war, das es niemals aufhörte.

Leider sind manche Wünsche nicht dazu gedacht in Erfüllung zu gehen. Ich seufzte und strich mit meinem Finger sachte über die Wasseroberfläche des Waldsees. Heute vor acht Jahren hatte ich das erste Mal Saii-ron in den Händen gehalten. Damals hatte ich den Wunsch das Versprechen gegenüber meiner Mutter einzuhalten.

Ich wollte Saii-ron zum Turm der Drachen bringen, jedoch überzeugten mich Krischan und Tchai vom Gegenteil. Sie wollten abwarten, welche Auswirkungen Saii-rons Auftauchen haben würde. Krischan war der Ansicht, das der Kristallrat schon handeln würde, wenn sie es für notwendig hielten. Nun ich hatte keine Eile diesen Leuten zu begegnen. Meine Mutter hätte mich bestimmt verstanden und wäre glücklich darüber das ich ein neues Zuhause gefunden hatte.

Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Ich nahm einen kleinen Stein vom Waldboden hoch, den ich langsam zwischen meinen Fingern hin und her rollte. Die Sonne schickte vereinzelte Strahlen durch das Laubdach über mir und hinterließ funkelnde Punkte auf dem Wasser des kleinen Waldsees. Ich liebte diesen Ort und verbrachte hier die meiste meiner freien Zeit.

Der See lag versteckt mitten im Wald, nicht weit von Krischans Hütte entfernt. Duftenden Büsche säumten seinen Rand und Seerosen in den verschiedensten Farben trieben auf seiner Oberfläche.

„Worauf wartest du noch? Anstatt deinen Gedanken nachzuhängen, solltest du endlich baden gehen! Die Dämmerung setzt bald ein und ich habe heute Nacht noch eine Verabredung.“

Ich blickte böse über meine Schulter zu dem im Gras liegenden Drachenwandler. Tchai hatte sich der Länge nach ausgestreckt, seine Arme hinter dem Kopf verschränkt und beobachtete mich nun aus einem halb geöffneten Auge.

„Warum bist du überhaupt mitgekommen?“

Ich stand von dem kleinen Stein am Ufer des Sees auf, stemmte meine Arme in die Hüften und funkelte ihn herausfordernd an.

Sein Lachen glitt provozierend über mich hinweg und ich atmete einmal genervt durch. Ich wusste, worauf er anspielte und er brachte mich jedes Mal damit zur Weißglut. Seine Verabredung heute Nacht endete garantiert damit das er schnurrend wie eine Katze und bis in die Haarspitzen befriedigt wieder Zuhause auftauchte.

Mit seinem Aussehen und seinem Körper war es nicht schwer jede Nacht eine andere Frau zu finden, die das Bett mit ihm teilte.

Nur mit seiner schwarzen Hose bekleidet lag er halb schlafend im Schatten eines Baumes. Mein Blick glitt wie von selbst über seinen gut trainierten Oberkörper und verweilte kurz auf seinem alterslosen Gesicht. 896 Jahre!

Wie konnten 896 Jahre so spurlos an einem vorbeigehen?

Nun ja, wenn man ein Drachenwandler war, dann zählte man sowieso zu den langlebigen Völkern. Die Ältesten von ihnen waren mehrere tausende von Jahren alt.

 

„Prinzesschen bewunderst du mich schon wieder?“

Ich verdrehte abermals genervt die Augen und wandte mich wieder dem kleinen Waldsee zu. Entschlossen zog ich mir meine bequeme Tunika über den Kopf, der kurz danach meine Hose und Unterwäsche folgten.

Meine langen blauschwarzen Haare verhüllten den Großteil meines Körpers, als ich langsam das Ufer zum Wasser hinunterging.

Ich bemerkte aus dem Augenwinkel, wie sich Tchai etwas aufrichtete und mich nun seinerseits musterte.

„Weißt du, das ich froh bin, das du dein Schamgefühl abgelegt hast.“

„Ja Tchai, du hast mir ja keine andere Wahl gelassen“, merkte ich säuerlich an.

„Was auch nicht schlecht war! Sieh dich nur an. Du bist eine wunderschöne Frau geworden. Zum Glück haben wir damals nicht darum gewettet! Ich verliere äußerst ungern.“

Ich verkniff mir meine bissige Antwort, denn ich wusste, das es Tchai liebte, mich zu ärgern. Doch heute hatte ich keine Lust dazu. Ein ungutes Gefühl beschlich mich schon den ganzen Tag. Ich war mir nicht sicher, ob es wegen des heutigen Jahrestags war, oder wegen etwas anderem, mir noch Unbekanntem.

Meine Zehenspitzen berührten das kalte Wasser des Sees. Augenblicklich überzog mich eine Gänsehaut und meine Brustwarzen stellten sich auf. Ich griff nach dem kleinen, achtförmigen Anhänger an der Kette um meinen Hals.

Die gleiche Anzahl an Jahren die seitdem vergangen war, als sie mir Krischan damals zu meinem Schutz vor ihm gegeben hatte. Dazai!

Immerhin konnte ich meinem persönlichen Albtraum einen Namen geben. Seine schiefergrauen Augen verfolgten mich oft genug in meinen Träumen.

„Lass ihn nicht deine Gedanken bestimmen, Prinzesschen!“

Tchais Warnung kannte ich schon auswendig. Gerade wenn es um diesen fremden Reiter ging, bröckelnden meine innerlich errichteten Mauern und es war ein Leichtes für Tchai meine Gefühle und Gedanken zu lesen.

„Willst du nicht endlich zu deiner Verabredung? Lass mich in Ruhe baden und wir sehen uns morgen. Ich bin groß Tchai! Ich kann auf mich aufpassen! Mein Schwert liegt griffbereit am Ufer und falls etwas sein sollte sag ich dir einfach Bescheid.”

Ich ahnte schon das mein Versuch in zu überreden, mich alleine zu lassen, scheitern würde.

„Ich warte auf dich.“

Er hatte sich schon wieder zurückgelegt und die Augen geschlossen. Sturer Ochse! Ich wusste, dass er meine Gedanken belauscht hatte, denn ein breites Grinsen lief über sein Gesicht.

Leicht verärgert wandte ich mich um, atmete einmal tief durch und ließ mich in die Knie sinken. Das kalte türkisfarbene Wasser hüllte mich ein wie ein eiskaltes Tuch.

Mit ein paar Schwimmzügen hatte ich die Mitte des Sees erreichte und tauchte unter. Langsam öffnete ich in der Stille des Wassers die Augen. Funkelnde Sonnenstrahlen durchbrachen die Oberfläche, ließen das Wasser türkisfarben schimmern und verzauberten mich immer wieder aufs Neue. Es wirkte alles so friedlich.

Wie eine in sich geschlossene Welt der Ruhe.

Als ich wieder auftauchte, schwamm ich Richtung Ufer, bis ich wieder den Boden unter meinen Füßen spürte. Ich riss eine der Seerosen ab und steckte sie mir ins nasse Haar.

Erst jetzt bemerkte ich, das ich mich fast am entgegengesetzten Seeufer befand.

Mir war gar nicht bewusst gewesen so weit geschwommen zu sein. Durch die Baumkronen konnte ich die Rotfärbung des Abendhimmels erkennen.

Wie lange bin ich denn schon im Wasser?

Fröstelnd rieb ich mir über meine Arme und watete langsam das Ufer hinauf. Der Gedanke den See zu umrunden anstatt wieder hindurch zu schwimmen gefiel mir nicht wirklich. Aber mir war zu kalt um nochmals in das Wasser zu steigen. Die Dämmerung setzte langsam ein und ich hatte weder meine Kleider noch meine Waffe dabei.

Warum hatte Tchai denn nicht gesagt das es schon so spät war? Sonst hielt er sich doch auch nicht mit seinen Ermahnungen zurück.

„Tchaikor?“

Ich rief ihn auf unserem gemeinsamen Gedankenweg. Es kam selten vor das er nicht antwortete und heute schien einer dieser Tage zu sein. Meistens ignorierte er mich, wenn er gerade seinen Spaß hatte. Vielleicht war er doch schon zu seiner nächtlichen Verabredung aufgebrochen. Andererseits hätte er mir mit ziemlicher Sicherheit Bescheid gegeben, wenn er mich alleine lassen würde.

Verdammt! Mir blieb nichts anderes übrig als nackt den ganzen Weg am Ufer zurückzulaufen. Mit jedem Schritt, den ich ging, schwang mein nasses Haar über meinen Körper und mir wurde immer kälter.

Plötzlich stockte ich mitten im Schritt. Mir war, als hätte ich hinter mir ein Geräusch gehört, das nichts mit den normalen Waldgeräuschen zu tun hatte. Ein mulmiges Gefühl ergriff mich und ich drehte mich langsam um. Nirgends war etwas Ungewöhnliches zu sehen. Vielleicht war es nur ein Tier, dessen Ruhe ich gestört hatte.

Seit wann war ich nur so schreckhaft? Es musste mit dem heutigen Jahrestag zusammen hängen. Entschlossen wollte ich weiter gehen, doch ich kam genau drei Schritte weit. Abermals hörte ich dieses Geräusch und diesmal konnte ich es einordnen. Trockene Zweige die unter schwerem Gewicht brachen!

„Tchaikor! Es ist nicht lustig, wenn du dich vor mir versteckst und ich mich tropfnass durch den Wald zurückkämpfen muss!“

Ich ballte wütend meine Hände zu Fäusten und starrte den Weg zurück, den ich gekommen war.

„Layra egal was du siehst oder hörst. Dreh dich um und renne. Ich komme dir entgegen. Sie haben mich, wie auch immer, überlistet!“

Angst breitete sich in mir aus und ich rannte los. Wer hatte die Macht einen Drachenwandler zu überlisten? Tchai zu überlisten?

Mit einem Mal fand ich mich im Gedanken wieder. Damals vor acht Jahren floh ich genauso durch den Wald. Flüchtete vor ihm.

Doch jetzt wusste ich nicht einmal, vor welcher Bedrohung ich davon lief. Ich sprang über Baumwurzeln und rannte über spitze Steine.

Kleinere Äste peitschten gegen meine nackte Haut und mein Haar verfing sich mehrmals in den Verzweigungen der Sträucher am Uferrand. Vor mir sah ich es kurz weiß aufblitzten, dann schoss auch schon Tchai an mir vorbei.

„Bleib nicht stehen. Ich kümmere mich darum.“

Wer sich auch immer dort hinter mir befand, hatte jetzt einen wütenden Drachenwandler vor sich. Seinem Befehl befolgend rannte ich weiter und erreichte nach einer gefühlten Ewigkeit endlich den Baum, unter dem meine Sachen lagen. Eilig zog ich meine Kleider über und ergriff mein Schwert, das noch immer wartend am Baumstamm lehnte.

„Tchaikor?“

„Sie sind nicht mehr da! Wir müssen zurück zu Krischan. Layra bleib wo du bist, ich komme zurück, dann können wir … Verdammt! Bei allen Gehängten, was ist denn das für …“

„Tchaikor?“

Er antwortete wieder nicht auf meinen Ruf. Unentschlossen blickte ich über den See und suchte das Ufer ab. Sollte ich auf Tchai hören und hier warten oder lieber zurück zur Hütte gehen?

Krischan ahnte noch nichts von der Bedrohung, die sich in der Dämmerung an uns heranschlich. Hoffentlich war er noch nicht vom Kräuter sammeln von den Bergen zurück. Ich hielt mein Schwert fester und ging zügig los. Unzählige Gedanken geisterten durch meinen Kopf. Das Wahrscheinlichste war, das es sich um eine Räuberbande handelte.

Ich konnte an einer Hand abzählen, wie oft wir hier Fremde zu Gesicht bekamen. Seitdem mein Dorf ausgelöscht wurde, galt die Gegend vor den Bergen als verflucht. Niemand bereiste die Route über die Berge oder ließ sich hier freiwillig nieder.

Wenn es eine Räuberbande war, dann hatten sie sich den falschen Ort ausgesucht, denn bei Krischan gab es nichts zu holen.

Ich erreichte den schmalen Waldpfad, der zu unserer Hütte führte. Mir fielen sofort die verräterischen Spuren auf dem trockenen Boden auf. Wer auch immer sich der Hütte genähert hatte, legte keinen Wert darauf unentdeckt zu bleiben. Vorsichtig überquerte ich den Pfad, um auf der anderen Seite wieder leise ins Dickicht zu gleiten. Einen Schritt vor den anderen setzend schlich ich auf die Rückseite unsere Hütte zu. Mein Schwert hatte ich halb erhoben, denn ich wollte auf einen eventuellen Angriff vorbereitet sein.