Die Verdammten Reiche

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Kyran sah mich nicht wirklich überzeugt an, aber er beließ es dabei und auch Rieel schwieg. Najem seufzte und schüttelte leicht den Kopf.

„Es tut mir leid Najem. Vielleicht ist es wirklich besser du bleibst hier. Ich werde zurechtkommen und alleine bin ich um einiges schneller“, meinte ich und hoffte, dass ich überzeugend genug klang.

Ich hätte Najem nur zu gerne dabeigehabt, aber ich verstand auch Rieels Argumente. Sollte wirklich ein Angriff über Kassathor hereinbrechen, dann wurde er hier dringend gebraucht.

Ich stand auf, bevor ich mich selbst noch umentschied. Der Gedanke Viktor zu hintergehen lastete dummerweise schwerer auf meinem Gewissen, als mir lieb war. Das ich überhaupt einmal ein Gewissen gegenüber einem Dämon haben würde, war schon seltsam genug.

„Wo willst du überhaupt hin?“, fragte Rieel und beobachtete, wie ich aufstand und sich langsam immer mehr helle Lichter um mich sammelten.

„Nach Latherra“, erwiderte ich mit einem schiefen Lächeln, während meine Gestalt langsam verschwamm und das Tier in mir zum Vorschein kam.

„Da hättest du gleich in Keross bleiben können. Latherra ist noch zwielichtiger und verkommener. Ich hätte mir gleich denken können das sich euer Tor dort befindet.“

Bevor ich ihn danach fragen konnte, woher er von dem Tor wusste, stand ich schon auf meinen vier Beinen. Rieel griff überraschend in mein Nackenfell und zog mich zu sich heran.

„Pass gefälligst auf dich auf, sonst wird Viktor Kassathor ganz von alleine zerstören und für unsere Meisterin gäbe es dann auch keine Rettung mehr“, raunte er mir zu.

Ich knurrte leise und hoffte er würde das als Zustimmung sehen. Nach einem letzten Blick auf Najem, der mir zunickte, trabte ich zur Tür. Kyran hielt sie mir auf und musterte mich mit einem ungewöhnlich ernsten Gesicht.

„Pass auf, Viktor ist zurück, nicht das du wieder angeleint wirst!“

Ayaz zog seinen Bruder gerade noch rechtzeitig zurück, als ich nach ihm schnappte. Diese verfluchten Zwillinge!

Doch Kyran hatte nicht Unrecht. Ich durfte auf gar keinem Fall Viktor über den Weg laufen.

Vorsichtig lief ich die Treppen zur Eingangshalle hinab und witterte prüfend. Noch konnte ich Viktors Geruch nirgends wahrnehmen, geschweige denn diesen Dämon hören oder sehen. Trotzdem beschlich mich eine gewisse Vorahnung und ich beeilte mich weiterzukommen.

Ich durchquerte gerade die Eingangshalle, als sich von einem Moment zum Nächsten die Luft um mich herum veränderte und eine überwältigende, dunkle Aura meine Sinne flutete.

Verdammt, mein Glück hatte nicht lange angehalten!

„Hübscher, erklärst du mir einmal, was genau du da vorhast?“

Mein Herz pochte laut in meiner Brust und anstatt stehenzubleiben, sprang ich in wenigen Sätzen zu dem großen Eingangstor.

„Zacharias!“

Viktors harscher, wütender Befehlston hätte mich fast erstarren lassen, aber ich zwang mich, mich auf gar keinen Fall zu ihm umzudrehen, sondern drückte meine Schulter gegen das alte Holz.

„Zacharias ich warne dich! Bleib sofort stehen!“

Ich spürte, wie Viktors dämonische Bannsiegel auf mich zuhielten und fast panisch zwängte ich mich nach draußen. Etwas in mir zog sich schmerzhaft zusammen und ich zögerte kurz.

War es wirklich richtig so Hals über Kopf davon zu laufen?

Vielleicht könnte ich Viktor meinen Plan ganz vernünftig erklären? Vielleicht würde er mir zustimmen und wir könnten gemeinsam nach Ellysa suchen? Vielleicht ließ er ja wirklich mit sich reden?

Doch dann krachte hinter mir das Eingangstor mit einem gewaltigen Knall an die Außenmauern und Viktors dämonische Aura hielt mit einer Intensität auf mich zu, die mir Angst einjagte. Mit einem Satz sprang ich die Treppen hinunter und zwang mich zu einem schnelleren Tempo.

„ZACHARIAS!“

Ich rannte wie ein Wahnsinniger, preschte über den gepflasterten Weg und tauchte mit einem Sprung in das Dickicht des schwarzen Waldes ein. Ich war Viktor entkommen – zumindest vorerst.

2. Kapitel

Ellysa

Der Duft von Essen stieg mir in die Nase und ließ meinen Magen kläglich knurren. Es roch so gut, das es die reinste Qual war. Doch wie die Male zuvor würde ich es nicht anrühren. Es war nicht so, das ich nicht wollte, sondern eher, dass ich nicht konnte. Mir schnürte sich die Kehle zu, sodass es unmöglich war auch nur einen einzigen Bissen hinunter zu bekommen.

Panische Angst und Hilflosigkeit hielten mich in einer gefährlichen Spirale gefangen. Einer Spirale, aus der es kein Entkommen gab.

Wie hatte ich nur zulassen können das es soweit gekommen war?

Eingesperrt in den Verdammten Reichen, umringt von toten Seelen und Dämonen.

Wie hatte ich mich nur aufgeben können?

Denn das hatte ich getan – irgendwie.

Ich schlang meine Arme um die Knie und wippte leicht vor und zurück. Die Kälte der Wand in meinem Rücken kroch in mich hinein und ließ mich zusätzlich erzittern.

Raue Steine schrammten über den dünnen Stoff des Kleides und hinterließen ihre Spuren auf meiner Haut. Meine Augen huschten zu dem Bett, an der Wand gegenüber und ich verfluchte mich selbst. Zumindest was diese Sache betraf, könnte ich es mir einfach machen, aber meine Sturheit und mein Selbsthass hinderten mich daran, mich auf die einladenden Decken zu legen. Seit mich Akesh in die Verdammten Reiche gebracht hatte, hatte ich keine einzige Nacht darin geschlafen.

Wie lange war das jetzt her?

Tage, Wochen, Monate?

Ich wusste es nicht, aber seit jenem Vorfall in Keross hatte ich Akesh, den Herrn dieser Hölle hier, nicht mehr gesehen.

Als ich an Keross zurückdachte, stieg neu Übelkeit in mir auf und mein Magen drehte sich erneut um. Schnell beugte ich mich zur Seite und würgte, doch zum Glück kam nichts hoch. Sarkastisch verzog ich den Mund.

Was hätte ich auch erbrechen sollen?

Zitternd lehnte ich mich zurück an die Wand. Keross war mein Untergang gewesen, die Selbstaufgabe meines Ichs, das Ende meiner Seelen.

Wie viele Tote hatte ich in der zerstörten Stadt hinterlassen? Wie viel Leid verursacht?

Leid, das ich nie wieder gut machen konnte.

Meine weiße Seele krümmte sich bei dieser Wahrheit schmerzhaft zusammen und ich würgte bittere Galle hinunter. Tränen stiegen mir in die Augen und zerrten mich weiter in einen dunklen Abgrund aus tiefster Verzweiflung. Ich fühlte mich verloren und wusste, das ein Teil von mir das auch wahrhaftig war. Meine schwarze Seele war verschwunden. Ich spürte nicht einmal mehr einen Hauch von ihr. Ich war unvollständig und meine weiße Seele nutzte diese Tatsache vollkommen aus. Sie füllte mich mit ihrer Reinheit, ihrer Güte und konfrontierte mich im gleichen Zuge mit meinem Selbsthass, der genau aus ebenjenen Gründen entsprang. Ich war das reinste, seelische Frack. Ich kam mir vor wie ein Blatt im Wind. Mitgerissen von einem Sturm, den ich selbst entfesselt hatte und dessen Willkür ich nun ausgesetzt war.

Ich war nicht mehr die, die ich einmal war, auch wenn ich noch nicht sagen konnte, was genau das für mich bedeutete.

Ich hörte das Klacken des Schlüssels im Schloss und schnell wischte ich mir die Tränen von den Wangen. Noch hatte ich soviel Stolz um niemanden, auch keinem noch so abartigen Dämon, meine Schwäche zu zeigen. Das dieser Dämon, sie allerdings nur zu gut kannte, war etwas anderes.

Meine Tür wurde aufgeschoben und ein schwarzer Koloss trat ein. Funkelnde rot-geschlitzte Augen stierten mich an, huschten kurz zu dem unberührten Essen und dann wieder zurück zu mir. Die Gestalt vor mir war überwältigend schön, wie fast jeder Dämon, aber leider genauso gefährlich. Graues Zwielicht umgab mich und ich war froh, das es nicht heller war, denn ich wollte nicht, dass mich mein Wärter genauer betrachten konnte. Ich wollte nicht, das er die Angst auf meinem Gesicht sah, die aus reiner Hoffnungslosigkeit geboren war. Diese Genugtuung wollte ich ihm nicht geben.

Seit mir meine schwarze Seele genommen worden war, fühlte ich mich ängstlicher und angreifbarer als zuvor. Mir hatten Dämonen und sonstige Kreaturen nie Angst eingejagt. Im Gegenteil, sie fürchteten sich vor mir. Doch jetzt, jetzt war alles anders.

Mein Gefängniswärter stieß ein Grollen aus, schnappte sich den Teller mit dem Essen und kniete sich vor mich hin.

„Wenn du jetzt nichts isst, werde ich dir mindestens zwei Tage nichts mehr bringen.“

Aelos, mein persönlicher Gefängniswärter, hielt mir den Teller direkt unter die Nase und schlagartig überkam mich eine neue Welle Übelkeit. Ich zuckte zurück, stieß mir den Kopf an der Wand und drehte mich gerade noch rechtzeitig zur Seite. Mein ganzer Körper krampfte sich zusammen, als ich wieder nichts als Galle hervorwürgte.

„Vielleicht sollte ich es dir einfach in den Rachen stopfen, immerhin bin ich es, der einen Kopf kürzer gemacht wird, wenn du stirbst.“

Aelos erhob sich, packte meine Haare und zog mich mit einem Ruck nach oben. Ich schrie auf und versuchte seine Hände wegzuschlagen. Meine weiße Seele zeigte sich in silbrig glänzenden Fäden und waberte um mich herum. Doch sie war ein Hauch von nichts, in all der Dunkelheit, die mich umgab und Aelos schien sie nicht im Geringsten zu stören.

„Lass mich verdammt nochmal los!“

„Wirst du dann etwas essen?“, fragte er mit seiner Reibeisenstimme und musterte mich mit einem gefährlichen Glitzern in seinen roten Augen.

„Ich kann nicht“, stieß ich hervor und starrte stur zurück.

 

Ein hinterhältiges Grinsen erschien auf seinem Gesicht und entblößte eine Reihe spitzer Zähne.

„Ich könnte dich auch einfach ficken, so wie wir es mit allen lebenden Frauen tun, die sich hierher verirren. Vielleicht hättest du dann ja Hunger?“

Seine Augen wanderten tiefer und ich wusste genau, dass er nun auf meine Brüste stierte, die sich durch das Kleid hindurch nur zu deutlich abzeichneten.

„Lass mich in Ruhe!“, zischte ich und versuchte meine gepeinigte Kopfhaut nicht zu beachten.

„Noch bist du sicher Hübsche, aber sobald dich Akesh fallen lässt, bist du Freiwild und glaube mir, mir und meiner Art ist es egal, ob du dabei halb tot bist oder nicht.“

Aelos ließ mich los und ich landete unsanft auf meinem Hintern. Ohne ein weiteres Wort stand er auf und ging Richtung Tür. Ich unterdrückte ein Schluchzen und rappelte mich auf. So gern ich mich auch in einer der dunklen Ecken dieses Verlieses verkriechen wollte, so hinderte mich noch ein klitzekleiner Rest meiner Selbstachtung daran.

„Wo ist er? Wo ist Akesh? Warum hat er mich hier eingesperrt und warum lässt er sich nicht blicken? Sag deinem Herrn das ich ihn sprechen will! Hol ihn her!“

Aelos drehte sich mit einem Stirnrunzeln zu mir um. Anscheinend hatte mein kleiner Wutausbruch ihn beeindruckt. Immerhin war es der erste, seit ich hier war.

„Du bist nicht in der Lage zu befehlen Hübsche. Akesh hat sich um wichtigere Dinge zu kümmern als um dich.“

Ich ballte die Fäuste und versuchte meine zitternden Beine unter Kontrolle zu halten. Meine weiße Seele gewann an Kraft und ich fühlte mich besser. Entschlossen tat ich einen Schritt nach vorne.

„Ich will ihn sprechen!“, forderte ich ungerührt.

Aelos beachtete mich nicht weiter. Für ihn war ich nur lästiges Ungeziefer, das nicht tat, was er verlangte. Er machte Anstalten die Tür meines Gefängnisses wieder zu schließen und mich erneut in der Dunkelheit zurückzulassen. Endlich spürte ich einen Anflug von Kampfgeist und dieser reichte aus, um mich handeln zu lassen. Ich betete zu den weißen Göttern, das meine kraftlosen Beine durchhielten und rannte los. Ich erreichte die Tür, schlüpfte unter Aelos Armen hindurch und raste los. Das ich Aelos mit meiner Aktion überraschte bekam ich postwendend zu hören, als das Tablett hinter mir scheppernd zu Boden fiel und ein ungestümer Fluch erklang.

„Verfluchtes Weib! Warte bis ich dich in die Finger bekomme!“

Aelos wütende Rufe verfolgten mich, als ich wie eine Irre den Gang entlang rannte. Ich hörte, wie er hinter mir her sprintete und hoffte, das ich weit genug kam, um … ja um was zu tun eigentlich?

Verflucht ich war in den Verdammten Reichen!

Wohin sollte ich fliehen?

Ich stolperte und spürte keinen Augenblick später einen mörderischen Ruck an meinem Arm. Ich schrie auf und gleichzeitig wich die Kraft aus meinen Beinen. Mit einem schmerzhaften Krachen schlug ich ungebremst auf dem harten Steinboden auf.

„Das war eine ganz dumme Idee!“

Aelos schlang einen seiner stahlharten Arme um meine Taille und berührte dabei wie zufällig meine Brust. Sofort erstarrte ich und gab meinen Widerstand auf.

„Anscheinend hast du doch noch genügend Energie. Ich werde dich an die Wand ketten und die nächsten Tage hungern lassen. Vielleicht stirbst du dann ja endlich und ich kann es als unglücklichen Unfall darstellen und wieder meinen eigentlichen Aufgaben nachkommen“, zischte mir Aelos gehässig ins Ohr.

„Ich habe dich nicht darum …“

Meine Stimme versagte, als sich seine Hand um meine Kehle legte und zudrückte. Ich bekam keine Luft mehr und panisch zerrte ich an seinem Arm. Aber genau wie zuvor schon, konnte ich nicht das Geringste gegen ihn ausrichten. Meine weiße Magie strömte hervor und konnte mir doch nicht helfen. Sie war viel zu schwach. Ohne meine schwarze Seele war ich machtlos. Schwarze Punkte blitzen vor meinen Augen auf und ich spürte, wie meine Kraft unaufhaltsam schwand.

„Aelos was treibst du da?“

Diese Stimme! So ruhig, so kalt, so gefährlich. Ich hob meinen Blick und versank in den nur zu bekannten amarantfarbenen Tiefen von Akeshs Augen. Endlich, endlich zeigte er sich!

„Herr. Ich gehe nur dieser unliebsamen Aufgabe nach, die ihr mir aufgetragen habt. Ihr geht es gut“, grollte Aelos, ließ meinen Hals los und zog mich auf die Beine.

Das ich fast nicht von alleine stehen konnte schien niemanden zu interessieren.

„Sie erweckt nicht den Eindruck das es ihr gut geht. Anscheinend musst du noch etwas sorgfältiger an deine Aufgabe herangehen Aelos.“

Gebannt beobachtete ich, wie Akesh näher kam. Seine abgrundtief schwarze Aura flutete über mich hinweg und sie kam mir noch mächtiger vor als bisher. Vielleicht hatte es etwas damit zu tun, das wir uns in seinem Reich befanden.

Er beugte sich zu mir hinab und unfähig auch nur ein Wort über die Lippen zu bekommen hielt ich den Atem an.

„Vielleicht hätte ich dich doch töten sollen“, flüsterte er und mein Herz geriet ins Stolpern.

Er griff nach meinem Kinn und zwang mich meinen Kopf zu heben. Sein Daumen strich über meine Unterlippe und ich konnte ein Zittern nicht unterdrücken.

„Warum hast du es nicht getan?“, hauchte ich und wollte seine Antwort eigentlich gar nicht hören.

Kurz meinte ich eine sonderbare Regung auf seinem Gesicht zu sehen, doch dann zeigte er mir wieder seine kalten, undurchdringlichen Gesichtszüge.

„Vielleicht tue ich es ja noch.“

Ich biss mir auf die Unterlippe und starrte ihn weiterhin an. Das Rot in Akeshs Augen nahm eine dunklere Nuance an und mein Herzschlag beschleunigte sich.

„Ich bringe sie zurück“, meinte Aelos plötzlich und riss mich aus meiner Starre.

„Nein warte! Ich will mit dir reden!“, forderte ich und hoffte, Akesh würde mich vor meinem kargen Verlies bewahren.

„Tut mir Leid Liebes, aber ich bin beschäftigt“, entgegnete er mit einem süffisanten Lächeln und trat einen Schritt zurück.

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Akesh wollte nicht mit mir reden und mir blieb keine andere Wahl, als das zu akzeptieren. Ich war nicht in der Position Bedingungen zu stellen.

„Sei ein braves Mädchen und iss etwas. Du bist zu dünn geworden.“

„Sie weigert sich hartnäckig“, warf Aelos dazwischen und Akeshs Blick verbrannte mich regelrecht.

„Dann zwing sie dazu!“

Mit diesen Worten und einem hinreißenden Lächeln drehte er sich um und ging.

„Du elendiger Bastard!“, stieß ich hervor und wollte ihm hinterherlaufen, aber Aelos hielt mich zurück.

„Genug ist genug!“, knurrte er, packte mich grob am Oberarm und zog mich zurück zu meiner Zelle.

Ich konnte nicht mehr als hilflos zusehen, wie meine Chance mit Akesh zu reden ungenutzt verstrich.

Unbarmherzig zog mich mein Gefängniswärter zurück zu meiner Unterkunft, schmiss mich regelrecht hinein und verschloss mit einem dumpfen Laut die Tür.

Ich war wieder alleine. Alleine mit meinen zermürbenden Gedanken, den Schuldgefühlen und der Dunkelheit.

Wie lange würde ich noch durchhalten, bevor ich mich vollständig aufgab? Warum hielt mich Akesh weiterhin gefangen? Wollte er mich quälen? Mich für meine Sünden bestrafen? Warum tötete er mich nicht einfach, anstatt mich in diesen unvollkommenen Zustand zurückzulassen?

Ich kauerte mich wieder an der kalten Mauer zusammen und krallte die Finger in meine Haare. Der einsetzende Schmerz war das einzige Zeichen dafür, das ich noch lebte. Tränen sammelten sich in meinen Augen und Kälte breitete sich in mir aus. Niemand war hier oder würde kommen, um mir zu helfen. Meine Hoffnung das Akesh mit sich reden ließ war verschwunden. Meine weiße Magie zog sich in mein tiefstes Innerstes zurück und verstummte und ich fühlte mich einsamer denn je.

Irgendwann, nach Minuten oder Stunden, erlag ich der endgültigen Erschöpfung. Ich kippte haltlos zur Seite und spürte schon nicht mehr den Aufprall. Die Dunkelheit, die mich umfing, war ein größerer Trost, als alles bisherige und zufrieden ergab ich mich ihr.

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Das Erste, das ich wahrnahm, war der kalte Steinboden, unter meiner Wange. Das Zweite, war die überwältigende, schwarze Aura, die das kleine Verlies zu sprengen drohte.

„Wieder auferstanden von den Toten?“

Akeshs dunkle Stimme strich über meine Haut und hinterließ einen ungewollt wohligen Schauer.

Ich war zu schwach um zu antworten und am liebsten hätte ich wieder die Augen geschlossen und mich der alles verschlingenden Schwärze hingegeben.

„Kleine Hexe, wenn ich schon mit dir rede, verlange ich von dir, dass du mich ansiehst!“

Akeshs Stimme zog mich zurück aus meiner Betäubung und mit verschwommenen Blick sah ich zu der großen Gestalt auf, die direkt vor mir hockte.

„So ist es brav. Was mache ich nur mit dir? Du weigerst dich zu essen und bereitest Aelos Schwierigkeiten. Deinetwegen musste er zwanzig Peitschenhiebe über sich ergehen lassen.“

Ich zog die Augenbrauen zusammen, denn ich konnte seinen Anschuldigungen nicht ganz folgen.

„Das nächste Mal, wenn er dir Essen bringt, wird er seinen Unmut an dir auslassen. Somit schließt sich der Kreis der Bestrafung wieder.“

Ich sah noch, wie Akesh sich wieder erhob, bevor abermals schwarze Ränder mein Blickfeld trübten und sich immer enger zusammen zogen.

Wie sollte ich essen, wenn ich selbst zum Reden zu schwach war? Konnte er mich nicht einfach in Frieden sterben lassen?

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Das Nächste was mich aus meiner Bewusstlosigkeit riss, war ein brennender Schmerz auf meiner Wange. Betäubt riss ich die Augen auf, konnte aber nur wogende Schwärze um mich herum erkennen. Eine sonderbare Dunkelheit, in dessen Tiefen zwei eisblaue Feuer leuchteten. Meine Lider wurden schwerer und ich dämmerte wieder davon. Vielleicht hatte ich mir den Schmerz auch nur eingebildet. Meine Gedanken zerstoben und lösten sich auf. Waren so schwer zu fassen, wie Sand, der einen durch die Finger rinnt.

Plötzlich fühlte ich mich sonderbar leicht, so als würde ich schweben und schon im nächsten Moment, spürte ich göttliche Wärme an meinem Körper. Zufrieden schmiegte ich mich näher und ergab mich diesem wunderbaren Gefühl.

Wie lange hatte ich mich nicht mehr so geborgen gefühlt? War ich vielleicht endlich gestorben und die weißen Götter hatten gnädigerweise ihre Pforten für mich geöffnet?

Dass dem nicht so war, wurde mir bewusst, als ich eine entfernt bekannte, dunkle Stimme hörte. Sie holte mich aus den Tiefen des Vergessens zurück und hieß mich im Hier und Jetzt willkommen. Ein leises Seufzen kam über meine Lippen, doch für mehr war ich viel zu müde.

„Sei still! Ich will nicht das er vorzeitig weiß, das ich hier bin!“

Trotz der leisen Rüge dämmerte ich wieder davon und ergab mich zufrieden einem traumlosen Schlaf, bis mich etwas unvermittelt weckte. Benommen öffnete ich die Augen und blinzelte mehrmals. Um mich herum herrschte rötlich, graues Zwielicht und erst nach einigen Augenblicken wurde ich mir bewusst, das ich nicht mehr auf dem kalten Steinboden meines Verlieses lag, sondern in einem riesigen, weichen Bett. Ein rabenschwarzer Baldachin spannte sich über meinem Kopf und es kam mir vor, als würde ich erneut in der Dunkelheit versinken. Meine Glieder fühlten sich bleischwer an, als ich mich langsam auf die Seite drehte. Allmählich gewöhnten sich meine Augen an das spärliche Licht und ich konnte immer mehr Einzelheiten erkennen. Ein mächtiger, kunstvoll verzierter Schrank, dicke Teppiche auf dem Boden, eine Truhe neben einem bodentiefen Fenster. Gegenüber des Bettes befand sich ein Durchgang und ein Stück daneben ein weiterer. Vorsichtig richtete ich mich auf und verharrte. Von irgendwo außerhalb dieses Zimmers vernahm ich eine Stimme und keinen Augenblick später erklang der leise Schrei einer Frau. Gänsehaut breitete sich auf meiner Haut aus und mit klopfendem Herzen überlegte ich, was ich jetzt tun sollte.

Das erste was ich herausfinden musste war, wo ich mich überhaupt befand und warum mich Akesh aus meinem Verlies geholt hatte? Was wiederum die Frage aufwarf, was er sich davon erhoffte?

Entschlossen rutschte ich an den Rand des Bettes und zum Glück fühlte ich mich nicht mehr ganz so schwach wie zuvor. Meine nackten Füße berührten den weichen Teppich und nach einem weiteren kurzen Moment wagte ich es aufzustehen. Meine Beine fühlten sich noch etwas schwach an, aber immerhin besaß ich genügend Kraft um überhaupt stehen zu können.

 

Leises Wispern und Raunen drang aus Richtung des Durchgangs zu meiner Rechten und neugierig ging ich näher. Akeshs dunkle Präsenz war nirgends zu spüren, doch dafür eine andere, die mir irgendwie bekannt vor kam. Leider ließ mich mein Gedächtnis noch immer im Stich. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen und einzig meine innere Stimme riet mir, mich

lieber unter den Decken des Bettes zu verkriechen, als weiterzugehen.

Je näher ich dem Durchgang in das angrenzende Zimmer kam, desto lauter klopfte mein Herz. Ich hatte das Gefühl direkt in eine Falle hineinzulaufen.

Warmer Kerzenschein, der unter einer angelehnten Türe hervorschien, erleuchtete den kurzen Flur. Auf Zehenspitzen schlich ich weiter, jeden Moment darauf gefasst, plötzlich Akesh vor mir aufragen zu sehen. Meine weiße Magie zeigte sich in hauchzarten Schlieren an meinen Fingerspitzen und versuchte mich zu beruhigen. Mit einem Mal vermisste ich meine schwarze Seele so sehr, das es weh tat. Ich war nicht mehr ich, ich war unvollständig, die Hälfte meines früheren Ichs.

Als ich die Tür erreichte schob ich sie vorsichtig einen Spalt breit auf und erinnerte mich daran, das es das letzte Mal nicht gut geendet hatte, als ich mich in einer ähnlichen Situation befand. Wie so oft war jedoch meine Neugier einfach stärker als meine Vernunft und keinen Herzschlag später stockte mir der Atem.

Das so sanfte Kerzenlicht stand in starken Kontrast zu der ansonsten beklemmend kalten Atmosphäre. Lederne Handschellen umschlossen zarte Handgelenke und hielten die beiden nackten Körper aufrecht an der Wand. Langes Haar, einmal braun, einmal blond verbarg die Gesichter der Frauen, die seltsam ruhig in ihrer Fesselung hingen. Mit Erschrecken sah ich, das sie nicht die einzigen waren. Eine weitere Frau lag ausgestreckt auf einem großen Bodenkissen, ihre Beine unanständig weit geöffnet und ihre linke Brustwarze zwirbelnd zwischen den Fingern. So gern ich auch weggesehen hätte, so konnte ich doch nicht meine Augen von der Szene vor mir nehmen. Erst recht nicht, als eine vierte Frau sich der am Boden liegenden näherte und sich lasziv auf sie setzte. Ein leises Seufzen entschlüpfte der Liegenden, als die andere spielerisch mit ihrem Finger über ihre Scham strich.

Plötzlich bemerkte ich eine Bewegung auf der anderen Seite des Zimmers. Eine blonde Frau schälte sich aus den dort herrschenden Schatten und als das Licht der überall verstreut stehenden Kerzen ihr Gesicht erreichte, sog ich zischend den Atem ein.

Arlana! Arlana war hier, hier in den Verdammten Reichen.

Bei allen Göttern hatte sie dieser Magier tatsächlich umgebracht?

Ich versuchte mich an die Nacht in Akeshs Bibliothek zurückzuerinnern und ich war mir sicher, das Arlana dort noch gelebt hatte.

Hatte sie der Magier womöglich zurückgelassen und meine Magie hatte sie letztendlich getötet?

Genau wie so viele andere in Keross?

„Ich dachte, du kannst deine Anwesenheit nicht vor ihm verbergen“, meinte Arlana vorsichtig und drehte sich zu dem Schatten in ihren Rücken um.

„Du sollst nicht denken Arlana und vor allem sollst du dich nicht in Dinge einmischen, die dich nichts angehen. Mein Bruder weiß mit ziemlicher Sicherheit das ich hier bin. Ich hätte ihn vielleicht nur vorwarnen sollen, dass ich ihm einen Besuch abstatte, denn wie du weißt, mag er keine Überraschungen.“

Ich unterdrückte einen verräterischen Laut und presste mir die Hand vor den Mund. Diese Stimme! Ich hatte sie tatsächlich schon einmal gehört. Ungläubig beobachtete ich, wie sich Arlana einen Becher von einem goldenen Tablett nahm und sich auf ein weiteres großes Bodenkissen setzte. Sie sah einen Moment den beiden nackten Frauen bei ihrem Liebesspiel zu und verzog dann ergeben den Mund.

„Ich bin noch keinen Schritt weiter gekommen. Akesh lässt nicht mit sich reden.“

„Warum sollte er auch? Glaubst du, er hört auf so ein armseliges Weib wie dich?“

Arlana schwieg, doch ich sah ihr an, das sie am liebsten etwas darauf erwidert hätte.

Ketten klirrten leise und meine Augen huschten zu der braunhaarigen Frau an der Wand. Sie hatte ihr Gesicht zur Decke gehoben und ich sah den glücklich, entrückten Ausdruck darin. Die reinste Ekstase hatte von ihr Besitz ergriffen, sie schien nicht im Geringsten die engen Fesseln wahrzunehmen.

Plötzlich geriet Bewegung in den Schatten auf der anderen Seite und als ich die große Gestalt neben Arlana aufragen sah, wurde mir endgültig schlecht. Bittere Galle stieg mir in den Hals und ich schluckte krampfhaft. Meine Finger krallten sich in das Holz der Tür und ich wich einen Schritt zurück. Ich war tatsächlich verflucht worden! Das konnte unmöglich wahr sein! Es war, wie ein Albtraum der einen verfolgte, obwohl man wach war.

Genau neben Arlana stand der Magier von jener verhängnisvollen Nacht. Diesmal kam mir seine Aura noch gefährlicher, noch mächtiger vor.

Zu meiner Übelkeit gesellte sich Angst, Trauer und Wut. Der Mörder meiner Gefährten stand direkt vor mir. Nur wenige Schritte trennten mich von ihm und doch war ich unfähig für sie Rache zu nehmen. Wieder einmal!

Wie als hätte er meine Gedanken gehört schweifte sein Blick in meine Richtung und ich wich hastig weiter in die Dunkelheit des Flurs zurück. Ein wölfisches Lächeln teilte seine Lippen und entsetzt hörte ich seine nächsten Worte.

„Weißt du Arlana, so wie Akesh meine Anwesenheit spüren kann, so kann auch ich eine unliebsame Gegenwart spüren. Eine, von der ich eigentlich dachte, mein Bruder hätte sie ausgelöscht.“

Aufgrund meiner wachsenden Angst, zeigte sich auch immer mehr meiner weißen Magie, die in silbrigen Wirbeln unruhig um mich herum strich. Seit dem Verlust meiner schwarzen Seele, fühlte ich mich angreifbarer als jemals zuvor. Damals hatte ich mich gegen den Magier nur dank meiner schwarzen Seele behaupten können, doch jetzt stand ich ihm wehrlos gegenüber.

„Was meinst du?“

„Wir werden belauscht Arlana.“

„Wer sollte so dumm sein …“

„Die weiße Hexe.“

Mit einem erstickten Laut wirbelte ich herum und wollte zurück in den Raum mit dem Bett fliehen, aber es blieb bei einem Versuch. Ich kam nur wenige Schritte weit.

Heiß, brennender Schmerz schlang sich um meine Taille, mein rechtes Handgelenk und meinen Hals. Es fühlte sich an, als würden sich tausende, spitze Nadeln in meine Haut bohren. Panisch griff ich mit meinen Fingern nach der magischen Schlinge, die mir die Luft raubte, in dem vergeblichen Versuch sie zu lösen. Ich stolperte und schlug hart auf dem Steinboden auf. Immer mehr meiner weißen Magie strömte aus meinem Innersten hervor und endlich lockerte sich die glühende Schlinge, die mir den Atem nahm. Dafür zogen sich die beiden anderen enger zusammen und ich schrie gepeinigt auf. Schlagartig hüllte mich silbrige Helligkeit ein, in einer Intensität, die ich so noch nie erlebt hatte. Meine weiße Magie schwoll an und rauschte einer wilden Gischt gleich über mich hinweg. Sie löste die beiden verbliebenden magischen Fäden und erleichtert biss ich die Zähne zusammen. Panisch versuchte ich meinen rasenden Herzschlag zu beruhigen, denn ich musste wieder auf die Beine kommen um von hier zu fliehen. Einen weiteren Angriff seitens des Magiers würde ich nicht überstehen. Verbissen drückte ich die Beine durch, doch ich hatte keine Kraft mehr mich zu bewegen. Eine bleierne Schwere hatte sich meiner bemächtigt und unfähig mich auch nur das kleinste bisschen zu bewegen lauschte ich hilflos den näher kommenden Schritten.

Eine Welle aus Furcht und Verzweiflung brach über mich herein, denn ich ahnte, das wenn er mich erreichen sollte, mir neben dem brennenden Schmerz noch etwas viel Gefährlicheres drohte.

Meine weiße Seele verdichtete sich zu einer silbrig schimmernden Barriere und schloss mich vollständig ein. Sofort konnte ich leichter atmen und die Schmerzen ebbten ab. Absolute Stille umgab mich. Nichts was jenseits dieser Barriere war, schien mir etwas anhaben zu können. Ich fühlte mich geschützt, geborgen und losgelöst. Ich war mir sicher, das die Kraft des Magiers nicht ausreichen würde, bis zu mir durchzudringen. Er würde mir nichts mehr anhaben können. Ich musste es nur schaffen aufzustehen und von hier zu verschwinden.