Das lachende Baby

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Ein Witz auf Kosten der Wissenschaftler

In meiner liebsten Studie aus der Zeit, als ich mit meiner Doktorarbeit beschäftigt war, wurde eine ähnliche frühe Fähigkeit von Neugeborenen untersucht. 1977 veröffentlichten Andrew Meltzoff und Keith Moore (Meltzoff und Moore 1977) einen bemerkenswerten kurzen Artikel, in dem es darum ging, dass Neugeborene kleine Witzbolde sind. Ihr Artikel enthielt eine wunderbare Bilderserie, die den Kern des Experiments zum Ausdruck brachte. Die erste Reihe zeigte drei Bilder von Meltzoff, wie er die Zunge herausstreckte, den Mund weit öffnete und die Lippen zurückzog. In der Reihe darunter waren drei Bilder von drei sehr kleinen Kindern zu sehen, die ihn nachahmten. Die Kinder waren zwischen 14 und 17 Tage alt, und alle schienen ein Blitzen in den Augen zu haben. Ich hatte das Bild lange als Hintergrundbild auf meinem Computer. Ein Blick darauf hob unweigerlich meine Laune. Leider hat die Studie den Test der Zeit nicht gut bestanden.

Es schien, als wären Meltzoff und Moore über Johnson und Morton hinausgegangen und hätten gezeigt, dass Babys noch viel erstaunlichere Dinge tun, als ihre Köpfe einem Gesicht zuzuwenden. Die Babys von Meltzoff und Moore ahmten einen Erwachsenen nach. Sie konnten Gesichtsausdrücke imitieren, ohne jemals ihr eigenes Gesicht gesehen zu haben und lange bevor sie aus positivem Feedback etwas gelernt haben konnten. Die ursprüngliche Studie setzte auch ungewöhnliche Gesten mit der Hand ein. Die Babys schienen die Gesten zu imitieren wie kleine Möchtegern-Rapper, die Gang-Symbole zeigen.

Die Ergebnisse waren immer umstritten, weil es um sehr viel mehr ging als nur darum, Gesichter zu erkennen. Die Fähigkeit, auf diese Weise nachzuahmen, erfordert nicht nur einen einfachen Schaltkreis für die Gesichtserkennung, sondern einen Gehirnbereich, der in der Lage ist, mehrere Gesichtsausdrücke oder Gesten zu identifizieren. Und all das müsste dann in den Genen verankert sein. Verschiedene Erklärungen in dieser Richtung wurden vorgetragen, zum Beispiel wurde auf »Spiegelneuronen« verwiesen oder auf ein spezielles Gehirnmodul für soziale Imitation.

Einige Experimente schienen die Ergebnisse zu bestätigen, darunter eines mit neugeborenen Schimpansen. Andere konnten die Effekte nicht reproduzieren. Eine aktuelle Übersicht über alle veröffentlichten Studien zu dem Thema (Oostenbroek, Slaughter, Nielsen und Suddendorf 2013) kam zu dem Schluss, dass sich nur das Herausstrecken der Zunge konstant reproduzieren ließ. Das muss keine Nachahmung sein; möglicherweise strecken Babys ihre Zunge heraus, wenn sie aufgeregt sind, oder es ist einfach ein Reflex, der verschwindet, wenn sie älter werden. Die letzte Erklärung erscheint am ökonomischsten.

Neugeborene haben eine Reihe von einfachen Reflexen. Wir haben bereits über den Suchreflex oder Breast-Crawl-Reflex gesprochen, durch den sie die Brustwarze für ihre erste Mahlzeit finden. Sie haben auch einen Schreitreflex. Wenn man ein Neugeborenes über eine ebene Unterlage hält, machen die Füßchen ein paar winzige Schritte, die an Gehen erinnern. Und sie haben einen Greifreflex. Sie packen zu und lassen nicht mehr los. Dass ein Neugeborenes in der Lage ist, sich an Mamas Fell festzuklammern, ist für Primaten lebenswichtig, damit sie nicht vom Baum fallen. Alle Affenarten können das, und bei Menschenbabys hat sich dieser Reflex erhalten. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, dass ich in Denis Mareschals Kurs im Grundstudium gelernt habe, man könne ein Neugeborenes an der Wäscheleine baumeln lassen, so fest sei sein Griff. Ich habe allerdings noch nie jemanden kennengelernt, der das ausprobiert hat, und ich empfehle es auch nicht. Wenn Babys das Gefühl haben zu fallen, breiten sie die Arme aus und ziehen sie dann wieder eng heran. Damit vermindern sie erst die Gefahr, zu stürzen, und dann sorgen sie dafür, dass sie besser zupacken können. Dieser sogenannte Moro-Reflex, der Menschenbabys nichts nützt, ist ein angeborenes Überbleibsel aus unserer Primatenvergangenheit.

Im Anschluss an ihre kritische Übersicht beschlossen Oosten broek und Kollegen, eine endgültige Studie zu kindlicher Nachahmung durchzuführen, um zu überprüfen, ob es sich ebenfalls um einen Reflex handelte. Sie zeigten Neugeborenen zu unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen einer und neun Wochen nach der Geburt elf verschiedene Gesten (Oostenbroek u. a. 2016). Dazu gehörten das Öffnen des Mundes, das Herausstrecken der Zunge, glückliche und traurige Gesichter, einige Fingerbewegungen und ein paar einfache Töne. Die Babys imitierten keine davon. Mit gleich hoher Wahrscheinlichkeit zeigten sie die entsprechenden Gesten oder nicht. Die Forscher stellten fest, dass das Herausstrecken der Zunge, das Öffnen des Mundes, glückliche Gesichtsausdrücke (Lächeln) und »mmm«-Laute häufig vorkamen. Die Analyse zeigte, dass die Muster früherer Experimente reproduziert werden konnten, wenn nicht alle mög lichen Alternativen eingeschlossen wurden. Aber das ist kein Hinweis auf Nachahmung. Zum Beispiel konnte man die Babys am besten zum Lächeln bringen, indem man »mmm«-Laute vormachte, und nicht, indem man sie anlächelte.

Das Hauptargument, warum eine so frühe Fähigkeit zur Nachahmung vielleicht doch nicht existierte, war wohl, dass ein starker Effekt beim Lächeln ausblieb. Wenn Sie Mutter Natur wären und entscheiden müssten, welche gewinnenden Nachahmungseffekte ein neugeborenes Baby zeigen sollte, worauf würde Ihre Wahl wohl fallen? Mit einem Lächeln würden Babys vom ersten Tag an Freunde finden und Menschen für sich einnehmen. Aber die Studien förderten das nicht zutage. Sehr bald nach der Geburt lächelten die Babys und streckten ihre Zungen heraus, jedoch nicht als Reaktion darauf, dass jemand anderer das auch tat.

Ich finde das sehr interessant, weil es dafür spricht, dass das erste Lächeln kein Zeichen von Höflichkeit ist, sondern ein Zeichen von Freude. Babys können schon früh lächeln, aber nur, wenn sie es wollen. Im Übrigen ist das echte Lächeln eines Babys als solches erkennbar. In der Erwachsenenforschung unterscheidet man zwischen Lächeln aus Freude und sozialem Lächeln. In der Psychologie wird das echte Lächeln aus Freude als Duchenne-Lächeln bezeichnet nach dem französischen Wissenschaftler Guillaume-Benjamin Duchenne, der es zuerst beschrieben hat. Beim sozialen Lächeln lächelt der Mund, aber die Augen lächeln nicht mit. Beim Duchenne-Lächeln leuchtet hingegen das ganze Gesicht. Nicht nur der Mund zeigt ein breites Grinsen, sondern ein Muskel rund um die Augenhöhle, der sogenannte Augenringmuskel, sorgt für Fältchen seitlich an den Augen. Das lässt sich schon in den pausbäckigen, verblüfften Gesichtern neugeborener Babys erkennen und auf den Ultraschallbildern von Nadja Reissland.

Wenn man im Internet den Suchbegriff »lächelnde Neugeborene« eingibt, findet man viele hinreißende Beispiele. Ein berühmtes Bild zeigt eine lächelnde Mutter mit ihrem lächelnden Neugeborenen im Arm. Laut Bildunterschrift ist das Baby gerade sieben Sekunden auf der Welt. Ich verwende dieses Bild oft bei meinen Vorträgen. Die Originalquelle habe ich nie gefunden, aber das Lächeln ist unmissverständlich. Und ich habe mich gefreut, von meiner Forscherkollegin Francesca Cornwall zu erfahren, wie kindliches Lachen in der Ausbildung von Betreuungskräften für kleine Kinder helfen könnte. Sie kennt den Unterschied zwischen echtem und sozialem Lächeln. Natürlich hat sie genau hingeschaut, als ihr Sohn mit drei Wochen zum ersten Mal lächelte. Es war ein breites Grinsen mit voller Aktivierung des Augenringmuskels. Als gewissenhafte Wissenschaftlerin machte sie ein Foto.

Obwohl bei einem echten Lächeln zwölf Muskeln beteiligt sind und bei einem sozialen Lächeln nur zehn, ist das echte Lächeln leichter und kommt früher. Ein echtes Lächeln ist spontan und unwillkürlich, es signalisiert echte Freude oder Zufriedenheit. Das soziale Lächeln ist schwieriger, weil es eine absichtliche Handlung darstellt, etwas, zu dem wir uns entschließen müssen. Und die Misserfolge der Untersuchungen zur Nachahmung sprechen dafür, dass neugeborene Babys das noch nicht können.

Das unterstreicht, wie wichtig Lächeln und Lachen sind. Es sind keine sozialen Nettigkeiten. Babys sind von Anfang an sozial, aber der Anfang ist langsam und beginnt mit Authentizität. Das Lächeln, das man auf Bildern aus dem Mutterleib sieht, ist echt. Das erste Lächeln, das Eltern sehen, ist ein echtes Lächeln, es zeigt, dass das Baby glücklich ist. Aber wenn Neugeborene lächeln, weil sie glücklich sind, lautet die nächste Frage: Was macht sie glücklich?


Kapitel drei
Die kleinen Vergnügungen

Ich bin völlig vernarrt in ein Wesen, das nur aus Gefühl und Gedärm besteht.

Anne Enright, Ein Geschenk des Himmels, 2005

Betrunken von Milch

Wenn Sie einmal pure Seligkeit sehen wollen, dann schauen Sie sich ein Baby an, das ganz betrunken von der Milch in den Armen seiner Mutter liegt. Wenn Sie wissen wollen, wo Sie solche Bilder finden, dann gehen sie auf Instagram und scrollen durch den Hashtag #MilkDrunk. Laut dem Blog Milk Drunk Diaries gibt es fast 100.000 solche Bilder, jedes zeigt den unmissverständlichen Zustand schläfriger, glückseliger Zufriedenheit, in den kleine Babys geraten, wenn sie es warm haben und bis zum Platzen voll frischer Milch sind.

Die Begründerin des Blogs, Sophia Walker, hatte maßgeblichen Anteil an der Verbreitung des Hashtags. Aber seinen großen Erfolg verdankt er der Tatsache, dass alle jungen Eltern die Situation erkennen – zumindest wenn sie wissen, was sie bedeutet. Bei Sophia Walker funktionierte das nicht auf Anhieb. Wie sie in einer ihrer Kolumnen schreibt, war die erste Woche zu Hause mit dem Baby ziemlich nervenaufreibend. Sie und ihr Mann googelten jedes Zucken, jedes Schlucken und jeden Laut ihres neugeborenen Sohns, um zu überprüfen, ob alles so war, wie es sein sollte. Und dann passierte es: »Eines Abends, mitten beim Stillen, sackte mein Baby weg und wurde ganz schlaff in meinen Armen. Mein Mann war so alarmiert, dass er den ärztlichen Notdienst rufen wollte, aber Dr. Google kam genau rechtzeitig zu Hilfe und klärte mich auf, was mit meinem Baby los war: Es war betrunken von der Milch!«

 

Das beschreibt sehr schön einen deutlich erkennbaren Zustand sehr junger Säuglinge. Sie können glückselig betrunken sein, töricht, sabbernd, besinnungslos betrunken, wabbelig oder auch ärgerlich betrunken. Wie Sophia der Presse sagte, als dieses jüngste Babyphänomen über sie hinwegschwappte: »Es gibt nichts Herrlicheres als ein zufriedenes, benommenes Baby mit vollem Bauch und einem Milchbart! Das Bild schlägt so ein, weil alle Eltern das kennen und lieben. Es ist fast so, als gehörte man zu einem besonderen Klub!«

Sophias Geschichte erzählt viel über das Auf und Ab in den ersten Wochen nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus. Für die Eltern wird das Leben nie mehr so sein wie zuvor. Selbst wenn jemand sämtliche Elternratgeber gelesen hat, ist er oder sie auf die Elternrolle nicht vorbereitet. Wie beim Schwimmenlernen bereitet einen die Lektüre eines Buchs nicht auf die praktischen Vorgänge oder den Schock des ersten Mals vor, wenn der Kopf unter Wasser taucht. Und für Eltern geht es die nächsten 18 Jahre so weiter.

Für die Babys sind die ersten Monate außerhalb des Mutterleibs nicht viel anders als das Leben drinnen. Um ein Baby in diesem Stadium zu beruhigen, wickeln wir es ein und wiegen es sanft und versuchen so, die vertraute Umgebung des Mutterleibs wiederherzustellen. Das ist das »vierte Trimester«. Die meiste Zeit geht es um Schlafen, Essen und Wachsen. Aber es geht auch um sogenannte »Rohgefühle« und darum, Nähe zu den Betreuungspersonen aufzubauen. Die Nabelschnur wurde durchtrennt, und an ihre Stelle sind eine neue Abhängigkeit und ein neues Gefühl der Handlungsfähigkeit getreten. Diese beiden Dinge hängen zusammen und sind wichtig, um die ersten Monate zu verstehen. Jetzt, wo das Baby nicht mehr in einem stetigen Strom mit Nahrung versorgt wird, ist die Spannbreite des Erlebens viel größer. Es hat Hunger. Es hat Durst. Es ist ärgerlich. Es erschrickt. Und es lernt, dass es etwas dagegen tun kann. Mit Unterstützung der Betreuungspersonen ist das der Beginn des emotionalen Lebens und des Selbstgefühls und der Beginn des Glücks.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, innerhalb einer Stunde nach der Geburt mit dem Stillen zu beginnen und es so lange wie möglich fortzuführen. Eine große Überblicksstudie mit dem Titel »Stillen im 21. Jahrhundert«, die 2016 in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet erschien, kam zu dem Ergebnis, dass Stillen für Mutter und Baby das Beste ist. Es schützt die Kinder vor Infektionen, Diabetes und Übergewicht. Die Mütter schützt es vor Brustkrebs, und es kann das Risiko für Diabetes und Eierstockkrebs verringern. Auch das Risiko eines plötzlichen Kindstods wird durch Stillen reduziert, hingegen scheint es keine positive Wirkung hinsichtlich Allergien oder Asthma zu haben (Victora u. a. 2016).

In Ländern mit geringen Einkommen sind die Vorzüge des Stillens seit Langem bekannt. Von 1982 an verfolgten Cesar Victora und Fernando Barros, wie es mehr als 4500 Babys erging, die in ihrer Heimatstadt Pelotas im Süden Brasiliens zur Welt gekommen waren. Sie fanden noch nach 30 Jahren Unterschiede zwischen Babys, die gestillt worden waren, und solchen, die Fertigmilch erhalten hatten; unter anderem hatten die gestillten Babys höhere IQs und höhere Einkommen (Victora u. a. 2015). Ihre Untersuchung belegte zahlreiche Vorzüge des Stillens und trug dazu bei, die Einstellung zum Stillen in Brasilien und in anderen Ländern zu verändern. In den reichen Ländern sind die Vorzüge jedoch womöglich nur gering. Meine Kollegin Sophie von Stumm hat das in Großbritannien in einer großen Studie mit vielen Teilnehmern untersucht und kam zu dem Schluss, »Stillen hat wenig Vorteile für die Intelligenz in den frühen Jahren und das kognitive Wachstum vom Kleinkindalter bis zur Adoleszenz« (Stumm und Plomin 2015).

Die in The Lancet veröffentlichte Untersuchung, eine Zusammenfassung von 28 Überblicksartikeln, plädiert nachdrücklich für das Stillen: Es habe in reichen und armen Ländern gleichermaßen Vorteile. Der Co-Autor Simon Murch, ein britischer Kinderarzt, wird mit der Aussage zitiert: »Muttermilch ist die ultimative personalisierte Medizin für kleine Kinder.«

Saugen = Essen = Wohlbefinden

Das Wichtigste beim Stillen ist jedoch die Zeit und nicht die Nahrung. Stillen bedeutet Wohlbefinden und Sicherheit. Für ein Baby liegt das Glück im Land von Milch und Mami.

Vor allem ganz am Anfang. In ihren ersten Lebenswochen müssen Babys lernen, »Saugen ist Essen, und wenn ich esse, geht’s mir gut«. Dieses Mantra formuliert Penelope Leach in ihrem Buch Die ersten Jahre deines Kindes, einem modernen Klassiker unter den Elternratgebern, von dem über drei Millionen Exemplare verkauft wurden. Wenn Sie einen praktischen Ratgeber von einer Frau lesen wollen, die sich auch in der Wissenschaft auskennt, ist das meine erste Empfehlung. Das Buch erschien ursprünglich 1977 und wurde viele Male überarbeitet und neu aufgelegt, es ist ein würdiger Nachfolger von Dr. Benjamin Spocks Säuglings- und Kinderpflege aus dem Jahr 1946. Penelope Leach trägt Spocks Gedanken weiter, dass entspannte, souveräne Eltern es leichter haben und glückliche Babys aufziehen. Ihre Ratschläge orientieren sich immer am emotionalen Erleben des Kindes.

Ein Grund, warum Mütter das Stillen aufgeben, ist, dass das Baby Zeit braucht, um die Situation zu verstehen. Ein hungriges Baby weiß nicht, dass es Hunger hat oder dehydriert ist. Es kann quengelig oder apathisch sein oder wütend und unkooperativ. Das ist verständlich – auch wir Erwachsene werden manchmal unleidlich, wenn wir eigentlich nur eine Tasse Tee und einen Keks bräuchten. Für ein Baby erfüllt die Muttermilch den gleichen Zweck. Die Vormilch, die beim Stillen zuerst kommt, ist relativ wässrig. Sie löscht rasch den Durst. Die Nachmilch, die danach kommt, ist fettreicher. Sie bewirkt, dass das Baby sich am Ende satt und zufrieden fühlt, auch wenn das Ziel nicht immer einfach zu erreichen ist. Ein sehr aufgeregtes Baby kann nicht saugen. Das regt wiederum die Mutter auf, und die Stresshormone können die Milchproduktion hemmen. Beide müssen ruhig und miteinander verbunden sein, damit es mit dem Stillen klappt. Deshalb schärft Dr. Leach ihren Leserinnen und Lesern eines ein: dass Essen für Babys Gefühl bedeutet. Die kindlichen Gefühle sind so komplex, dass die Mahlzeiten kompliziert werden können.

Mit dem Stillen beginnt die Bindung. Bindung ist mehr als die wachsende Liebe der Eltern zu dem Baby, Bindung geht in beide Richtungen. Professor Ruth Feldman von der israelischen Bar-Ilan-Universität erforscht die Eltern-Kind-Beziehung seit den frühen 1990er-Jahren. Sie sagt, das Herz der Beziehung in den ersten Monaten sei, wie die reifen physiologischen Systeme der Eltern die unreifen Systeme des Kindes bei der Regulierung unterstützen. Und nach Professor Feldmans Ansicht hängt alles am Oxytocin.

Oxytocin ist alt. Es kommt bei vielen Spezies vor, deren letzter gemeinsamer Vorfahr vor 600 Millionen Jahren lebte. Seit damals gibt es Oxytocin, und es hat sich nicht verändert. Daraus können wir folgern, dass es sehr wichtig ist. Bei Menschen hilft es, die frühe Ausbildung der Verbindungen im Gehirn zu koordinieren, es ist zugleich ein Hormon und ein Neurotransmitter. Als Hormon gehört es zum endokrinen System und hat eine allgemeine Wirkung auf viele Organe und Bereiche des Gehirns. Als Neurotransmitter interagiert es mit Dopamin in unserem Belohnungszentrum und spielt eine zentrale Rolle in der Amygdala, dem emotionalen »Herz in unserem Kopf«.

Bei der Mutter sendet Oxytocin nicht nur Signale an die Brust, Milch fließen zu lassen (der sogenannte Let-Down-Reflex), es verändert auch das Gehirn. Direkt nach der Geburt eines Babys ist das Gehirn der Mutter so plastisch und anpassungsfähig wie nie mehr in ihrem Erwachsenenleben. Ein »Babygehirn« existiert tatsächlich und ist nützlich. Eine junge Mutter fühlt sich vielleicht vergesslich und unkonzentriert, aber sie wird empathischer, ist besser in der Lage, Gefühle zu spiegeln und zu regulieren. Oxytocin wirkt auch bei Vätern. Je mehr sie sich an der Betreuung des Kindes beteiligen, desto mehr verändert sich ihr Verhalten (R. Feldman 2012). Der Anstieg des elterlichen Oxytocinspiegels führt dazu, dass auch beim Kind der Spiegel ansteigt; allerdings ist die Wirkung bei Babys schwieriger zu messen, weil es keinen nicht-invasiven Test für Oxytocin gibt. Aber wir wissen, dass eine vorzeitige Geburt und Umgebungsstress den Oxytocinspiegel senken und einfühlsame Pflege ihn steigen lässt. Synchronie spielt bei der Einfühlung eine zentrale Rolle. Professor Feldman hat untersucht, wie Eltern und Babys durch Berührung, Augenkontakt, geteilte Gefühle und die Töne, die jeder macht, aufeinander reagieren. Diese Verbindungen sind am stärksten, wenn ein Baby trinkt. Und dabei spielt es keine Rolle, ob es an der Brust trinkt oder die Flasche bekommt.

Wenn ein Neugeborenes trinkt, wird es eng am Körper gehalten, genau im richtigen Abstand, dass es den Herzschlag der Pflegeperson hört und ihr Gesicht sieht. Die Synchronie zwischen Elternteil und Baby ist eine Feedback-Schleife. Je stärker synchronisiert Elternteil und Baby von Anfang an sind, desto besser wird das Baby in der Lage sein, seinen Teil der Interaktion zu regulieren. Das verbessert die Qualität der Interaktion, und dadurch sind Elternteil und Kind noch stärker im Einklang. Emotionale Stabilität hilft dem Kind, mit der Welt zu interagieren, und die Effekte sind langfristig.

Professor Feldman hat viele Babys ab einem Alter von drei Monaten bis zur Adoleszenz beobachtet. Einige Kinder aus ihren Untersuchungen sind inzwischen 20 Jahre alt. Sie hat festgestellt, dass die aufmerksame Versorgung durch die Eltern in den ersten Jahren bewirkt, dass die Kinder als Teenager und auch später sozialer sind und mehr Empathie zeigen (R. Feldman 2007, 2015). Natürlich kann auch das Gegenteil passieren: Ein schlechter Anfang kann alles noch schwieriger machen. Aber die hoffnungsvolle Botschaft lautet, dass diese Systeme nicht starr sind und graduelle Verbesserungen sich ansammeln. Mehr Aufmerksamkeit heute macht die Dinge morgen leichter, und so weiter.