Flügelschatten

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Z serii: Flügelschatten #1
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8


Alles in Ordnung mit dir?«

Ich schlage die Augen auf. Das Erste, was ich sehe, ist die Zimmer­decke. Ich brauche ein paar Momente, bis ich verstehe, warum eine Wand über mir ist und nicht die Wipfel der Bäume oder ein weites Stück Himmel. Da war dieser Mann. Diese Villa …

Elijah beugt sich über mich und reicht mir besorgt seine Hand. Ich ignoriere sie bewusst und stehe selbst auf. Zum Glück dreht sich nichts mehr, meine Beine fühlen sich indes schrecklich instabil an, als könnten sie mich jeden Moment im Stich lassen und unter mir zusammenbrechen. Nervös sehe ich mich in dem Raum um, wenngleich er nicht länger vor meinen Augen verschwimmt. Trotzdem sitzt mir der Schreck noch in den Gliedern, wieder und wieder spielt sich die Szene in meinem Kopf ab, die ich gerade noch so lebendig gesehen habe, als würde sie eben erst geschehen. Als würde ich sie in ebenjenem Augenblick durchleben.

Elijahs unruhiger Blick ruht weiterhin auf mir.

»Du wurdest auf einmal ohnmächtig«, klärt er mich mit hochgezogenen Brauen auf, während er mich aufmerksam und durchdringend mustert. Ich zucke betont gleichgültig mit den Schultern. Auf keinen Fall darf ich mir anmerken lassen, wie sehr mich das, was gerade geschehen ist, mitnimmt. Meine Gedanken rasen durcheinander und ich könnte vor Wut aufschreien, dass mir das Bild dieser Augen derart schnell entgleitet. Trotz dass er mich vorhin so direkt angeblickt hatte, weiß ich jetzt nicht einmal mehr, welche Farbe sie hatten. Waren sie braun? Nein. Grün vielleicht?

»Geht es dir wirklich gut?«

Sei still! Ich muss mich konzentrieren!

Doch je stärker ich versuche, die Szene aufrechtzuerhalten und mir die Details ins Gedächtnis zu rufen, desto mehr verblasst sie, bis sie schließlich ganz verschwindet und ich nicht mehr weiß, was ich gesehen habe und was meiner bloßen Einbildung entspringt.

Mit zusammengepressten Zähnen nicke ich.

Ganz gleich, wie bekannt Elijah mir vorkommt, ich kann mit ihm nicht darüber reden, was da passiert ist, ich weiß es ja selbst nicht einmal!

Und ich weiß nicht, ob ich ihm überhaupt trauen kann. Einen Moment lang beobachtet er mich unschlüssig, schließlich muss er allerdings einsehen, dass ich nicht darüber reden werde. Nicht mit einer Silbe.

»Also schön. Es dämmert bereits, wie wäre es also, wenn Celdon dir eines der Gästezimmer zeigt?«

Ich mustere ihn unsicher. Suche ein letztes Mal in seinem vernarbten Gesicht nach einem Anzeichen, dass er mich auch erkennt. Nach irgendeiner kleinen Regung. Doch da ist nichts. Er lächelt nur freundlich.

Ein wenig erschöpft nicke ich. Es behagt mir nicht recht, in diesem Haus zu verweilen, mit Elijah habe ich jedoch erstmals eine Spur in die Vergangenheit. Ich kann sie noch nicht aufgeben. Er nickt mir zu.

»Dann werde ich ihn rufen, ich selbst habe noch eine Verabredung. Ich wünsche dir eine gute Nacht.«

Damit verschwindet er, dreht sich in der Tür um, winkt und setzt ein Lächeln auf. Mein linker Mundwinkel hebt sich kurz und unbeholfen. Wer wohl Celdon ist? Hoffentlich nicht der Idiot von der Tür!

Natürlich ist es der Idiot von der Tür. Lässig lehnt er im Türrahmen und mustert mich von oben bis unten. Dann starrt er mir direkt in die Augen, sodass ich eine Gänsehaut bekomme. Sein Blick hat etwas Merkwürdiges an sich. Als würde er einem in den Kopf sehen können, oder gar durch einen hindurch. Es ist ein nicht gerade freundlicher Blick.

»Hier lang«, brummt er nun kurz angebunden, dreht sich um und geht schnurstracks die Treppe runter in den zweiten Stock. Ganz anders als Elijah. Irgendwie beruhigt es mich gleichzeitig, dass er so barsch ist, das kommt mir typischer für menschliche Wesen vor und ich kann mit seiner Schroffheit leichter umgehen als mit Elijahs Freundlichkeit. Ich beeile mich, ihm zu folgen. Diese Dielen verwirren mich, denn ich bin nie auf etwas anderem als Waldboden gelaufen.

Und dann diese Wesen. So nah. Sie sind keine Menschen, das spüre ich. Celdons Ohren laufen eigenartig spitz zu und gegen seine funkelnde Iriden wirken die Augen der Menschen blass wie Farbe, die mit zu viel Wasser verdünnt wurde. Er bewegt sich leichter, fast schon ein wenig tänzerisch. Er ist ein Elf. Elijah ist ein Elf, wie einige andere im Dorf. Ungeachtet dessen ist die Vorstellung, mit ihnen unter einem Dach zu leben, mehr als beängstigend. Alles hier ist auf eine gewisse Weise beängstigend.

Unwillkürlich blicke ich ständig nach links und rechts und erst als dieser Celdon mich verwirrt ansieht, fällt mir auf, dass ich nur auf den Zehenspitzen gehe, als würde ich über glühenden Kohlen laufen.

Ich ärgere mich über mich selbst, wende sofort den Blick von ihm ab und sehe demonstrativ zur Seite, als würde mich das alles hier überhaupt nicht verwirren. Allen voran nicht er mit seinem breiten Rücken, den kräftigen Armen und dem abweisenden Blick. Mein Plan, unbeteiligt und gewöhnlich zu wirken, geht völlig daneben, als ich gegen eine Kommode laufe, aufschreie, zwei Schritte zurückspringe und mich angriffsbereit hinhocke. Celdon prustet los, lässt seine Züge dann wieder rasch verhärten, als ich ihn böse anfunkle.

Sehr witzig! Solche Sachen mitten in den Raum zu stellen ist ja wohl mehr als gefährlich. Nervös sehe ich mich um, ob noch mehr derartige Gefahren irgendwo auf mich lauern, bereit, mir in den Weg zu springen. In diesen Häusern kann man ja nie wissen.

»Hey! Es geht hier um dein Zimmer. Also kannst du ruhig herkommen.«

Ich runzle die Stirn und tapse vorsichtig zu ihm hin. Er hält eine Tür auf. Unschlüssig bleibe ich stehen und blicke von ihr zu ihm und wieder zurück.

»Du musst schon reingehen.« Seine Stimme klingt genervt, als wollte er das alles nur schnell hinter sich bringen und mich dann endlich los sein. Gleichzeitig spüre ich, wie er mich beobachtet. Wie sein Blick die ganze Zeit auf mir ruht, als stellte er sich die gleichen Fragen, was mich betrifft, die ich auch an ihn habe: Wer ist er? Wieso sieht er so seltsam aus?

Ich bewege mich weiterhin nicht. Ich kann nicht. Die entsetzliche, eiskalte Angst sitzt in meinem Nacken und lähmt meine Glieder. Es ist der Fußboden, der nicht weich und moosbedeckt ist, wie ich es gewohnt bin. Es ist der geschlossene Raum, der mich einengt, weil ich das Gefühl habe, die Wände würden stetig weiter auf mich zurücken und mich zwischen ihnen zerquetschen. Es ist die hohe Decke, das Dach über mir, das den Himmel ausschließt und von oben auf mich niederdrückt. Es ist dieser Celdon mit seinem durchdringenden Blick. Jetzt zuckt sein Mundwinkel fast unmerklich.

»Du brauchst dich nicht zu fürchten.«

Ich fahre zusammen und sehe zu ihm auf, meine Augen müssen die stumme Frage herausschreien, sodass er seine Schultern hebt. »Man kann es riechen.«

Ertappt weiche ich seinem Blick aus. Er kann meine Emotionen auf diese Weise wahrnehmen? Wie unheimlich! Ich überlege. Wie wahrscheinlich ist es, dass ich flüchten und einen anderen Ort finden kann? Sehr gering. Dass ich in diesem gruseligen Haus keinen weiteren Elfen oder Menschen begegnen muss? Gleich null. Also bleibt mir die Möglichkeit, weiterhin draußen zu schlafen oder hierzubleiben. Und dann ist da noch Elijah.

Ich seufze tief.


Zaghaft macht sie einen Schritt auf das Zimmer zu und sieht mich dann erneut an. Ich zeige mit einer eindeutigen Geste, wie sinnlos ich das Ganze finde, indem ich sarkastisch die Arme ausbreite und die Brauen hebe. Was soll denn das ganze Theater?!

Endlich schleicht sie zögerlich in den Raum. Ihre Bewegungen sind vorsichtig, misstrauisch. Sie streckt die Arme aus, als hätte sie Angst, die Wände würden sich um sie schließen. Es ist eine Bewegung, die mir ein leichtes Ziehen in der Brust entlockt. Als Elf ist mir Platzangst mehr als bekannt. Gerade wir können enge Räume, Tunnel oder Höhlen nicht sonderlich gut leiden. Dass die junge Frau keine Elfe ist, ist jedoch mehr als offensichtlich.

Ich folge ihr mit genügend Abstand. Sie hat echt ein hübsches Zimmer bekommen. Das mit dem riesengroßen Fenster, dem Himmel­bett mit den Spitzenvorhängen, den weißen Kissen und dem weichen cremefarbenen Teppich in der Mitte. Der rot lackierte Kleider­schrank steht links, die Tapete ist hell. Alles in allem sehr freundlich und gemütlich.

Um ehrlich zu sein, frage ich mich, wieso Elijah ausgerechnet ihr eins der schönsten Zimmer im Haus gibt. Sie muss es sich nicht einmal mit jemandem teilen!

Es ist ja nicht so, als wären wir hier eine Art Gaststätte oder etwas Derartiges. Ich für meinen Teil würde ebenfalls gern meine Ruhe haben, aber bitte, vielleicht ist es auch besser, wenn sie einen eigenen Raum hat. Sie wirkt jedenfalls nicht gerade wie jemand, der gern Personen um sich hat, und mich beschleicht das Gefühl, dass auch die anderen hier ihr eher misstrauisch gegenübertreten werden. Kein Wunder, bei den Flügeln! Es kribbelt mich in den Fingern, sie einmal zu berühren. Sie sehen kräftig und dennoch filigran aus. Gleichzeitig flammt ein kurzer Stich der Eifersucht in mir auf und meine Hand zuckt kaum merklich zu meinem Rücken.

Wenigstens bemüht sie sich, sie eng an ihren Körper zu pressen, sodass es aussieht, als könnte sie die Schwingen einklappen. Ansonsten würde sie auch sämtliches Mobiliar auf der Stelle umschmeißen.

Staunend sieht sie sich um und ich beobachte sie verstohlen dabei. Meine anfängliche Abneigung ihr gegenüber verblasst langsam, als ich sehe, wie sie durch den Raum wandert. Ihr Mund ist leicht geöffnet, den Kopf hat sie in den Nacken gelegt, als hätte sie etwas wie dieses Zimmer noch nie gesehen. Und gesprochen hat sie auch bisher kein Wort. Ein bisschen komisch ist sie ja schon, irgendwie gibt sie mir dennoch das Gefühl, als müsste sie jemand beschützen vor all diesen Sachen, die sie nicht kennt. Ihre linke Hand streicht über die weiche Decke und sie dreht sich um und setzt sich auf die Bettkante. Die Matratze gibt nach, sie umklammert verschreckt ihre Beine. Ihr gesamter Körper versteift sich. Ich muss beinahe lachen, denn sie sieht schlichtweg albern aus, wie sie sich vor dem Bett fürchtet. Ihre schmutzigen Füße wirken neben dem ganzen Weiß noch dreckiger, als sie sich jetzt langsam entspannt, sich vor das Bett stellt und sich rücklings, mit ausgebreiteten Armen in die Kissen fallen lässt. Ein zartes Lächeln umspielt ihre Lippen. Ich muss grinsen, beiße mir im nächsten Moment auf die Lippe. Kann ich nicht schon längst gehen? Sie weiß Bescheid und es ist sicher nicht meine Aufgabe, für sie hier das Kindermädchen zu spielen. Doch seltsamerweise rühre ich mich nicht vom Fleck.

 

Sie ist so eigenartig mit ihren kalten Augen und den verdreckten Sachen, und je länger ich sie anstarre, umso mehr Dinge fallen mir an ihr auf, die ich betrachten kann. Dass ihre Haut vollkommen frei von Muttermalen oder Narben ist, zum Beispiel. Sie ist einfach rein und weiß und schimmert ein wenig. Oder dass ihre Lippen im Gegensatz zu dieser blassen Haut fast schon unheimlich rot leuchten.

Die junge Frau setzt sich auf und hüpft ein bisschen. Mit einem Mal fällt ihr ein, dass ich noch da bin, und ihr flüchtiges Kichern endet abrupt. Blitzschnell springt sie auf, zieht die Schultern hoch und sieht mich mit diesem verschlossenen und misstrauischen Blick an, den sie schon die ganze Zeit über draufhat.

Ich habe ohnehin keine Lust, länger hier herumzustehen, wende mich ab und gehe zurück in mein Zimmer. Kaum dass ich die Tür geschlossen habe, höre ich das Bett nebenan quietschen. Schöner Mist, jetzt schläft sie ausgerechnet neben mir und hüpft die ganze Nacht herum. Mann, schon als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich, dass mit ihr was nicht ganz rund läuft, und mit jemandem, der sich derart über ein Bett wundert, kann etwas nicht stimmen. Hoffentlich bleibt sie nicht allzu lange hier. Am besten gar nicht. Wir haben schon genug Sorgen …


Das ist ja herrlich!

Ich grinse breit und tolle ausgelassen auf dem Bett herum. Es ist Wahnsinn! Ein richtig kuscheliger Wahnsinn, so unglaublich weich, und es macht mehr als nur Spaß, darauf herumzuhüpfen. Ich albere eine ganze Weile herum, dann krieche ich unter die Decke, kuschle mich in die Kissen und fühle mich wie auf Wolken gebettet. Dank des großen Fensters komme ich mir nicht allzu eingeengt vor. Aber die Bettdecke ist schwer, die Matratze im Gegensatz zu dem Ast, auf dem ich sonst schlafe, fast schon zu weich, alles schlichtweg ungewohnt. Die Waldgeräusche fehlen, keine Eule ruft, kein Wind rauscht durch die Blätter, nichts raschelt. Es ist unerträglich still.

Ich brauche lange, bis ich einschlafe, und träume schlecht.

Bilder zischen an mir vorbei, Momentaufnahmen, nur kurze Ausschnitte, und bevor ich sie richtig sehe, sind sie auch schon wieder weg und ich kann mich an fast keines erinnern. Mit einem Mal wird alles schwarz, ich höre einen wütenden Schrei und sehe schlagartig wieder das Fenster zersplittern, sehe wieder die Scherben fliegen, das Sonnenlicht bricht sich darin. Ein Schrei, ich wirble herum, ein Arm rutscht von meiner Schulter. Ich sehe in seine Augen. Vertraute Augen. Dann rieche ich es. Mein Blick wandert zu seiner Wange, auf der ein langer Riss prangt …

Schweißgebadet fahre ich hoch. Das Laken klebt an meiner Haut, panisch wühle ich mich aus den Deckenschichten, die sich um mich schlingen, als wollten sie mich erwürgen, und stehe zitternd da. Der Boden ist kalt und hart. Verzweifelt sinke ich auf die Knie, presse die Hand auf die Dielen und versuche, die Finger in sie hineinzu­krallen. Natürlich geschieht nichts, außer dass ein Fingernagel abbricht. Solange ich denken kann, war da der weiche Waldboden, die schützenden Bäume, die Tiere.

Es fühlt sich an, als würde ich den Verstand verlieren, und ich unterdrücke ein Wimmern, hämmere auf den Boden, in der Hoffnung, dass er nachgibt. Unter meinem Aufschluchzen höre ich, wie im Zimmer nebenan jemand aufstöhnt. Sollen sie doch alle aufwachen.

Panik ergreift mich beim Gedanken an die Wesen um mich herum. Was alles passieren könnte! Und ich liege hier in einem Bett herum und schlafe bloß! Es könnte eine Falle sein, vielleicht wollen sie mich in Sicherheit wiegen, nur um dann anzugreifen, wie die Männer im Wald. Selbst wenn sie nicht so wirken, könnte das lediglich eine Tarnung sein.

Ich beiße auf meine eigene Faust, um still zu sein, krieche an die Wand, zitternd vor Schreck.

Diese seltsame Traumszene will nicht aus meinem Kopf verschwinden, dieselben Bilder, wie sie mich heute auch im Flur überkamen. Was könnten sie bedeuten?

Es war … ich weiß nicht. Ein Gesicht. Ich kenne ihn nicht. Doch, schon, ich kenne ihn, nur kann ich mich nicht erinnern. Wieder entgleitet mir das Bild, je stärker ich versuche, es an die Oberfläche meines Bewusstseins zu ziehen. Die Konturen verblassen und verschwimmen, als würde ich mich im Wasser befinden und krampfhaft die Augen aufreißen, um etwas zu erkennen, aber je länger ich das tue, umso mehr beginnen sie zu brennen, bis ich schließlich gar nichts mehr sehen kann.

Ich schniefe und wische mir grob über das Gesicht. Ist es nicht albern, wie ich hier herumschreie und alle aufwecke, noch dazu bloß, weil ich einen merkwürdigen Traum habe? Die erklären mich für verrückt! Wenngleich mir die Meinung der Menschen und Elfen oder wer sonst noch hier lebt, gleichgültig sein könnte, habe ich vor, eine Weile zu bleiben, und da ist es von Vorteil, wenn sie mich nicht schon von der ersten Nacht an nicht leiden können.

Ich muss leise sein, unauffällig.

Gehetzt springe ich auf, laufe zum Fenster und reiße die beiden Flügel auf, sodass kühle, frische Luft hereinströmt und mir durch die Haare fährt. Es regnet schon wieder und die Tropfen prasseln mir in das Gesicht. Es macht mir nichts. Im Gegenteil. Ich schließe die Augen und atme tief den Geruch nach Regen und Nacht ein. Langsam beruhige ich mich wieder.

Dennoch dauert es, bis ich erneut einschlafen kann. Ich rolle mich dieses Mal vor dem Bett zu einer Kugel zusammen, die Arme um meinen Körper geschlungen.

Ich spüre den harten Boden überdeutlich unter mir und das besänftigt mich, so wie auch der leichte Wind, der sanft über mein Gesicht streicht und mich so in den Schlaf wiegt.

Den Rest der Nacht verbringe ich zu meiner Erleichterung traumlos und am nächsten Morgen wecken mich die Sonnenstrahlen, was mir wenigstens etwas von dem Gefühl aus meiner Heimat vermittelt. Schlagartig reiße ich die Augen auf und blinzle in das helle Tageslicht. Langsam richte ich mich auf. Das Bettzeug ist zerwühlt, die Kissen liegen auf dem Boden.

Ich seufze und richte es halbwegs. Bei Tageslicht betrachtet wirkt der Raum ganz anders, das Bett ist nicht mehr derart riesig und bedrohlich und durch die großen Fenster ist es glücklicherweise offen und hell. Es ist ein recht großes Zimmer, wenn auch zu klein für meinen Fluchtinstinkt. Doch bei der Führung durch den Rest der Villa habe ich gesehen, dass es noch deutlich schmalere Räume mit deutlich mehr Betten gibt und deshalb sollte ich wohl zufrieden sein.

Unsicher ziehe ich die Schultern hoch und streiche über meine Arme, überlege, was ich wohl als Nächstes machen soll oder was von mir erwartet wird. Was machen Menschen am Morgen?

Frühstücken?

Darf ich mit ihnen frühstücken? Ich glaube, ich will gar nicht bei ihnen sein. Was essen sie überhaupt? Vielleicht sollte ich mir selbst etwas suchen. Draußen. Ich muss an die frische Luft, davon bekomme ich einen klaren Kopf und kann viel besser nachdenken. Doch weiter als mich umzudrehen komme ich gar nicht, denn im nächsten Moment fliegt etwas durch den Türspalt auf mich zu, zer­zaust meine Haare und ich schreie auf.

»Hey!«

»Huhu!«

»Hallo!«

»Wir sind Layla.«

»Leolynn.«

»Lindariel.«

»Und wir werden …«

»… dich …«

»… jetzt erst mal hübsch machen!«

»Na, was sagst du?«

Mir klappt der Mund auf und mein Blick fliegt zwischen meinen drei Besuchern hin und her. Verängstigt presse ich mich gegen die Wand und starre sie entgeistert an. Wer oder was sind sie und was wollen sie von mir?!

Weg von hier!

Ja, sofort!

Auch wenn die Sprecherinnen nicht gerade groß sind, gelingt es ihnen, mich weiterhin an die Wand gedrückt zu halten, indem sie ganz nah vor meinem Gesicht mit ihren Armen herumfuchteln und wie wild auf mich einplappern.

»Na ja, eigentlich musst du nichts sagen. Oder tun.«

»Ja, wir machen das alles schon.«

»Halt einfach still!«

»Nein, sie muss erst mitkommen!«

»Genau, komm, wir zeigen dir, wo es langgeht.«

»In Ordnung?«

Sie grinsen mich allesamt begeistert an, sodass ich noch weiter zurückweichen will. Schlagartig ist die Furcht zurückgekehrt und meine Knie beben, unschlüssig, ob sie davonstürzen oder einfach unter mir nachgeben sollen. Die drei Plappertanten sind ungefähr so groß wie meine Hand plus Finger, haben kleine, zarte, durchsichtige Flügel auf dem Rücken, bis auf eine, deren Zöpfe auf und ab wippen. Sie sehen merkwürdiger aus, als ich es mir vorstellen könnte. Layla, die größte, trägt ein langes gelbes Kleid, das aus einzelnen Blüten­blättern gefertigt ist und mit einem breiten braunen Gürtel zusammen­gehalten wird. Dazu sitzt ein riesiger Sommerhut auf ihrem Kopf, so groß, dass er ihr ständig ins Gesicht rutscht. Zu meinem Entsetzen leuchten sowohl ihre Haare als auch ihre gesamte Haut in einem ausgesprochen kräftigen Grün.

Die zweite, Leolynn, hat zartviolette, zu zwei Zöpfen gebundene Haare, mit denen sie sich in der Luft hält, indem ihre langen Zöpfe auf und ab flattern. Der Rock zu dem gleichfarbigen Oberteil sieht wie eine umgestülpte Glockenblume aus und auch die Haut dieses kleinen Mädchens hat einen ungesunden Ton – ein bläuliches Violett.

Die dritte und kleinste, Lindariel, hat sich in schillernden silbrigen Stoff gehüllt, genau wie auch ihre Haut mit diesem schimmernden Staub bedeckt ist. Nur ihre wunderschön gelockten Haare stechen deutlich hervor, denn sie leuchten in allen Farben des Regenbogens.

Sie reden mit hohen aufgeregten Stimmen und noch dazu in einer Geschwindigkeit, dass ich für einen Moment sprachlos bin.

Ich versuche einen Ton herauszubekommen, doch mein Hals kratzt schrecklich dabei, sodass ich mich erst mal räuspern muss.

»Auf jeden Fall sollten wir dich ein bisschen hübsch und ordentlich machen, weißt du?«

»Wir sind schließlich Feen«, verkündet Leolynn nun und dreht sich mit ausgestreckten Armen einmal um sich selbst, als wäre nun alles klar. Feen … ich spüre, dass da etwas in meinem Kopf ist, das sich an diesen Namen erinnert. Es dauert, wie bei den Elfen auch. Mir ist gar nicht klar, was für verschiedene Wesen in dieser Welt leben. Die drei bemerken wohl, wie verwirrt ich den Kopf schräg lege, und wechseln nachdenkliche Blicke.

»Wir wohnen in Blumen.«

»Wir sind Blumen.«

»Ja, ich bin eine Sonnenblume, schau!« Layla flattert aufgeregt auf und ab. Tatsächlich erinnert sie mich mit dem gelben Kleid und der grünen Haut an die entsprechende Blume.

»Unsere Kleidung ist auch aus Blüten gemacht, nur …

»… uns wurde das zu langweilig. Wir haben ganz viele tolle Sachen.«

»Immer nur eine bunte Tupila zu sein – nein danke.« Lindariel verdreht die Augen und ich versuche rasch, mir die entsprechende Pflanze mit einer Blüte, die in allen Farben des Regenbogens schillert, vorzustellen.

»Also, dann wollen wir uns mal an die Arbeit machen, oder? Das Bad ist gleich um die Ecke!«

»Oh, und deine Klamotten …« Leolynn verzieht das Gesicht und zeigte auf meine zerrissene Hose.

»… tust du einfach auf einen Haufen, wir waschen das.«

 

»Unterwäsche ist im Schrank!«

»Beeile dich, wir lassen schon mal ein Bad ein.«

»Oh, das wird der Knüller, deine Haare werden viel besser aussehen, wenn wir uns darum gekümmert haben!«

»Mach dir keine Sorgen, wir bekommen das schon alles hin!«

Damit verschwinden sie wieder, noch bevor ich blinzeln kann. Verwirrt starre ich ihnen hinterher. Dieser Besuch hat mich aus dem Konzept gebracht, so aufgedreht, wie die Feen waren, ständig auf und ab flatterten und mir mit ihren schrillen Stimmen in das Ohr quietschten. Gleichzeitig sind sie auf ihre Weise liebenswürdig. Sie wirken viel zu aufrichtig, um sich zu verstellen und mich in die Falle zu locken.

Am besten ich halte mich daran, was sie gesagt haben, schaden kann es ja zunächst nicht.

Ich ziehe mir den groben Stoff über den Kopf und werfe ihn in eine Ecke. Kurze Zeit später folgt die Hose, die inzwischen schon ganz starr vor Dreck ist. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals andere Kleidung besessen zu haben. Jetzt trete ich zu dem Schrank an der Wand gegenüber und öffne zögernd und ehrfürchtig die Türen. Der Anblick lässt mich scharf die Luft einziehen.

Wunderschöne Kleider, aufgereiht auf ihren Bügeln, fließende, unfassbar weiche Stoffe in allen erdenklichen Farben, gefaltet und geordnet – leider nichts, was mir gefällt oder in meiner Größe vorhanden ist. Ich ziehe schon die Möglichkeit in Betracht, splitterfasernackt über den Flur zu laufen, andererseits kommt mir das irgendwie komisch vor, schließlich bin ich nicht wie im Wald das einzige menschliche Wesen. Also krame ich zusammenpassende flieder­farbene Unterwäsche hervor, streife sie über, öffne mit Schwung die Tür, renne raus und stoße prompt mit jemandem zusammen.

Vor Schreck keuche ich auf und stolpere ein gutes Stück zurück. Erst dann wage ich es, die Person mir gegenüber anzusehen, und mir wird ganz heiß. Ausgerechnet der eingebildete Kerl von gestern steht, nur mit einem Handtuch um die Hüften geschlungen, vor mir und hebt die dichten Brauen.

»Ich schätze, sie haben mich wegen dir rausgeworfen?«, knurrt er und nickt zu einer Tür weiter hinten. Ist da das Bad? Was hat Elijah noch gesagt? Ich würde am liebsten im Boden versinken, so unangenehm ist das alles.

Leider kann ich nicht einmal leugnen, dass er gut aussieht, zumindest bin ich mir sicher, dass der große Typ mit den kräftigen Oberarmen, über denen sich die sonnengebräunte Haut spannt, und mit dem flachen Bauch, auf dem sich die Muskelstränge abzeichnen, vieles ist, indes ganz sicher nicht unansehnlich.

Beiläufig streicht er sich eine dunkle Locke aus dem Gesicht, seine haselnussbraunen Augen blitzen auf. Ich versuche mit aller Kraft, nicht auf seinen durchtrainierten Oberkörper zu starren, und fluche in Gedanken darüber, dass es mir schwerfällt. Das darf nicht wahr sein!

Gerade weil er es mit einem frechen Grinsen bemerkt, könnte ich mich selbst dafür ohrfeigen, ihn dermaßen anzustarren. Es sollte besser verboten sein, so auszusehen, das ist ja gemeingefährlich.

Sag irgendwas, geh weiter!

Ich reiße meinen Blick los und sehe ihm ins Gesicht. Nicht gerade besser. Ein selbstsicheres und amüsiertes Schmunzeln umspielt seine Mundwinkel.

»Zufrieden?«, fragt er, grinst mir noch einmal frech zu und schiebt sich dann seelenruhig an mir vorbei, um in der Tür am hinteren Ende des Ganges zu verschwinden.

Ich klappe den Mund auf und zu, bringe jedoch keinen Ton heraus. Verflixt! So hatte ich mir das ganz bestimmt nicht vorgestellt, ausgerechnet ihm wollte ich sicherlich nicht als Erstes in die Arme laufen!

Die Feen, ein halb nackter junger Mann, dem ich nur in Unterwäsche begegnet bin, und das alles am ersten Morgen! Ich muss hier weg.