Flügelschatten

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Z serii: Flügelschatten #1
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Ich muss mit jemandem darüber sprechen! Wäre sie ein gewöhnliches Kind, könnte ich glauben, sie habe ihre Eltern bei einer misslungenen Flucht verloren, denn es gibt genug, die weiter hierher in den Süden flüchten, um der Gefahr aus dem Norden zu entkommen. Unsere Beziehungen zu den Hexen sind gut, viele Männer sind bereit, sich der Königin anzuschließen und für sie zu kämpfen. Sie ist im klaren Vorteil und nimmt ein Gebiet nach dem anderen ein – zweifels­ohne können auch wir davon profitieren. Die Hexen und anderen Kreaturen, die sie unterstützen, liefern zusätzlich überzeugende Argumente, warum wir uns nicht gegen sie stellen sollten.

Aber das, was mir dort begegnet ist, das war kein unschuldiges Kind. Nicht mit diesen Augen! Sie muss besessen sein, verzaubert oder Schlimmeres. Auf jeden Fall ist sie eine Gefahr, solange eine Kreatur wie sie im Wald haust. Deshalb habe ich mit einigen Kaufleuten auf dem Markt gesprochen und wir beschlossen, uns in den Wald vorzuwagen.

Die Geschwindigkeit, mit der dieses Wesen sich vorwärtsbewegt hat, war unfassbar. Sie zu verlieren absehbar.

»Ihre Augen haben sicherlich etwas mit schwarzer Magie zu schaffen!«, keucht Kial nun hinter mir. »Damit will ich nichts zu tun haben.«

»Dann verzieh dich, Feigling!«, fahre ich ihn unwirsch an und halte auf das Dorf zu. »Wenn es stimmt, dann ist es noch besser, Veith von diesem kleinen Biest unterrichten«, füge ich überzeugt hinzu. Sagte nicht ebenjener Hexenmeister, mit dem wir in Kontakt stehen, wir müssen gerade in dieser Zeit nach allen Auffälligkeiten Ausschau halten?

Ob das tatsächlich die beste Idee ist, stelle ich wenig später infrage, als ich unruhig die Hände knete und von einem Bein auf das andere trete. Natürlich konnten wir nicht mit dem Hexenmeister persönlich reden. Ein viel zu wichtiger Mann und auch viel zu beschäftigt, um sich um Lappalien zu kümmern. Das sagten jedenfalls die beiden Hexen, die sich zurzeit in der Nähe unseres Dorfes aufhalten und den Kindern Angst einjagen, nachdem wir auf sie zugestürmt sind.

Da half es auch nichts, dass ich mit stolz geschwellter Brust meinte, dass ihn das, was wir entdeckt haben, sicher interessieren wird. Die beiden Boten hoben nur unbeeindruckt die Schultern. Um ehrlich zu sein, traue ich diesen Hexen nicht so recht. Sie sind mir ein wenig unheimlich mit ihren dunklen, fast schwarzen Augen, dem heim­tückischen Grinsen, das stets verschlagen in ihren Mundwinkeln lauert, und den seltsamen Kleidern, die sie tragen. Sie tauchen in kleinen Gruppen auf und tuscheln und ich werde das Gefühl nicht los, dass sie uns immerzu aufmerksam beobachten.

Dieser Veith, ihr Meister, hat es zwar als ein Angebot ausgedrückt, dass wir uns dem Kampf anschließen, trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass es eher eine Drohung war. Sie brauchen Rekruten. Und ich zweifele nicht daran, dass sie uns mächtige Probleme bereiten könnten, wenn ihre Armee sich tatsächlich dermaßen weit in den Süden durchschlagen kann.

Doch die Hexen sind nicht so bereit, uns zu helfen, wie wir es uns erhofft hatten. Mit undurchdringlichen Mienen beobachten sie uns, seitdem wir sie am Rande des Dorfes entdeckt haben und auf sie einreden.

»… dann ist sie davongestürmt und wir versuchten ihr zu folgen, verloren jedoch ihre Spur. Sie war viel zu schnell!«, schließe ich. Die beiden Hexen wechseln ernste Blicke und wiegen dann in stillem Einvernehmen ihre Köpfe hin und her.

»Was auch immer das ist, es ist eine Gefahr für uns alle! Wir müssen etwas unternehmen«, fügt Horan mit wackliger Stimme hinzu. Noch haben wir unseren Frauen und Kindern nichts erzählt, denn sie sollen sich keine Sorgen machen. Allein bei dem Gedanken an das Mädchen überkommt mich eine Gänsehaut. Wer weiß, in was für einer Gefahr wir schweben?!

Nun tritt eine der Hexen einen Schritt vor und deutet auf mich.

»Du«, stößt sie hervor und ich fahre verschreckt zusammen, versuche es rasch zu überspielen. Ein wenig unsicher weiche ich dem Blick aus den pechschwarzen Augen aus. »Wir werden dich zu Veith bringen. Er wird entscheiden, was zu tun ist.«

Man beäugt mich von oben bis unten. »Und wehe dir, deine Geschichte sollte nicht bis ins kleinste Detail stimmen …«

Ich schlucke und schüttele rasch den Kopf.

»N-nein, es ist alles wahr, es ist alles genau so, wie ich sagte!«, presse ich erstickt hervor. Ein Knoten zieht sich bei dem Gedanken, dem Obersten Hexenmeister persönlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, in meinem Magen zusammen. Wieder blicken die Hexen sich an und die vordere packt mich grob am Arm. »Wir werden sehen.«

6


Es ist warm. Sehr warm sogar, als ich am nächsten Tag weiter­wandere. Es kostet mich reichlich Überwindung, den ersten Schritt zu machen, und kaum dass diese Entscheidung gefällt ist, gibt es kein Zurück mehr für mich, und ohne mich noch einmal umzu­sehen, mache ich mich auf den Weg ins Ungewisse.

Eine leichte Brise weht mir um die Nase und es ist viel stiller als im Wald, keine zwitschernden Vögel, kein durchs Unterholz huschende Tier, nicht das Geräusch der Äste, wie sie sich im Wind wiegen, kein Knacken, nichts. Nur das Gras rauscht sanft, wenn der Wind mit seinen Fingern hindurchfährt. Trotzdem bin ich froh, dass nicht auch auf dieser Seite der Wald an ein Dorf grenzt. Es wird sich zwar sicherlich nicht vermeiden lassen, eins zu betreten, ungeachtet dessen ist es mir lieber, wenn ich das hinauszögern kann. Viel, viel lieber!

Es tut gut, allein unterwegs zu sein, niemandem zu begegnen, nicht einmal einem kleinen Tier. Da bin nur ich und ich genieße es zu spüren, wie meine Muskeln sich bewegen, wie meine Beine sich fügen, wie ich einen Fuß vor den anderen setze und wie mein ganzer Körper arbeitet.

Schon nach kurzer Zeit bereue ich zutiefst, dass ich die letzte Nacht mit Schlafen verschwendet habe. Es ist unerträglich heiß geworden, was meinem wunden Hals und meiner ausgetrockneten Kehle nicht gerade guttut. Im Schatten der Bäume war es angenehm kühl, jetzt brennt die Sonne erbarmungslos auf mich nieder und versengt meine Haut. Meine Zunge fühlt sich an wie Sandpapier, mein Magen knurrt schon eine ganze Weile vor sich hin. Schade, dass ich Gras nicht essen kann, davon hätte ich genug.

Kraftlos schleppe ich mich weiter vorwärts, den Blick starr geradeaus gerichtet. Bald schon ist mir schlecht vor Hunger und ich sehe Dinge, die unmöglich da sein können. Zumindest bin ich mir sicher, dass es keine fliegenden Fische gibt, die vor meinen Augen auf und ab flattern.

Das letzte Mal, dass ich Blut getrunken habe, ist nicht lange her, dennoch sehne ich mich danach. Die Sonne schwächt mich, und je länger sie unerbittlich auf mich niederbrennt, desto schlapper werde ich.

Mein Kopf ist schwer und meine Glieder schmerzen bei jeder Bewegung. Immer wieder denke ich, dass das der letzte Schritt sein muss, für den ich überhaupt Kraft habe, stur treibe ich mich trotzdem weiter voran.

Das Flackern wird stärker, die ganze Welt schwankt und meine Knie zittern so heftig, dass ich nicht glaube, dass sie mich noch einen Moment länger tragen können. Da entdecke ich sie.

Zuerst traue ich meinen Augen kaum, denn es ist so wunderschön, dass es kaum wahr sein kann. Zahlreiche Apfelbäume stehen nah aneinander und das Allerschönste: eine Regentonne. Das Gras wächst dort höher, die Bäume wirken wie eine Abtrennung zu etwas anderem und für mich ist es regelrecht eine Art Energieschub. Ich reiße mich zusammen und stürze zu der Tonne. Begierig stütze ich mich am Rand auf, was den letzten Rest meiner Kraft verbraucht. Das Wasser steht hoch und ich mache mir gar nicht erst die Mühe, es mit den Händen zu schöpfen, sondern tauche einfach mit dem Kopf unter und trinke in großen Zügen, verschlucke mich fast. Das Wasser ist angenehm kühl durch die schattenspendenden Baum­kronen und macht meinen Kopf herrlich klar, erfrischt mich bis in die Haar­spitzen, dringt in jede Pore und gibt mir neue Kraft. Als ich endlich genug habe, sehe ich mich weiter um. Es handelt sich um einen Obstbaumgarten – eine vergessene Sense liegt auf dem Boden und ich wäre fast hineingetreten. Geschickt klettere ich an einer der Strickleitern nach oben, strecke mich und erwische einen Apfel. Es kracht laut, als ich die Zähne hineinschlage, ich genieße jeden Bissen und habe ihn bald bis auf das Kerngehäuse abgenagt. Noch zwei weitere Äpfel werden bis auf ihren Stiel reduziert, dann bin ich etwas gestärkt und komme dazu, mir meine Umgebung näher anzusehen. Hinter den Obstbäumen erstreckt sich ein kleiner Waldabschnitt, zwischen den Bäumen wuchern wilde Beeren und das Sonnenlicht tanzt zwischen den saftig grünen Blättern hindurch. Es sieht idyllisch aus. Ruhig. Mein Blick wird jedoch von etwas ganz anderem angezogen und langsam richte ich mich auf, lege meinen Kopf staunend in den Nacken, während meine Augen groß werden. Hoch oben in den Baumkronen entdecke ich eine Art von Behausungen. Aus den Zweigen hat man Baldachine geflochten und kleine Hütten errichtet. Sie sind mit Brücken verbunden, die aus Seilen und Gehölz geknüpft wurden und sich wie ein Netz durch die Baumkronen spannen. Diese sind größer und üppiger, als ich es je gesehen habe – die Äste sind derart mächtig, dass ich mich plötzlich winzig klein wie ein Schmetter­ling fühle. Ich könnte ohne Schwierigkeiten über sie balancieren und zu einer der Behausungen gelangen. Dutzende von ihnen befinden sich weit über dem weichen Waldboden. Bunte Tücher, wie Vorhänge vor den Eingängen, flattern in einer sanften Brise. Es sieht aus wie eine kleine Siedlung.

 

Doch sie ist verlassen.

Kein Geräusch dringt aus den Häusern zu mir und als ich mich zu einem von ihnen hinauf wage, bemerke ich, dass sie wirken, als wären die Einwohner hastig verschwunden – keine persönlichen Gegenstände oder Ähnliches, nur Betten aus Gräsern und Kissen aus Blättern und Blüten, die achtlos über den Boden verstreut wurden. Ein zerbrochener Krug liegt auf Holzdielen, eine gewebte Tasche hängt über einem Zweig, der in das Haus ragt. Sie ist eingerissen, als hätte man sie mitnehmen wollen und wäre hängen geblieben.

Ich stutze. Könnten das Wesen wie ich sein, wenn sie auch oben auf Bäumen leben? Es kann sich nicht um Menschen handeln, die würden das nicht tun! Nur, wenn das Behausungen sind – wo sind dann ihre Bewohner?! Wieso sieht es aus, als wären sie überstürzt von hier fortgegangen?

Neugierig klettere ich die mächtigen Äste weiter empor – ihre Größe und die vielen Strickleitern machen es mir einfach, durch das Blätterdach zu stoßen und in die Ferne zu blicken. Mein Herz rast und überschlägt sich förmlich, als ich erkenne, was hinter den Obststreifen und dem kleinen Waldabschnitt liegt.

Ein Dorf. Natürlich.

Vielleicht ist es anders? Vielleicht sind die Wesen, die einst hier gelebt haben, dorthin gegangen? Nur warum?

Ich seufze stumm, zwinge mich dazu, ein paar Früchte einzu­stecken und den Baum wieder hinunterzuklettern, um auf das Dorf zuzuhalten. Meine Neugier ist größer als meine Furcht. Zu meiner Enttäuschung und großen Sorge handelt es sich allerdings ebenfalls um Menschen, wenn auch, wie mir diesmal auffällt, einige von ihnen anders zu sein scheinen. Da gibt es menschenähnliche Wesen mit intensiv leuchtenden Augen in einem satten Moosgrün oder blitzendem Silberton. Ihre Ohren laufen spitz zu und sie bewegen sich viel geschmeidiger und eleganter, als die Menschen es vermögen. Ich spüre eine Art seltsame Energie, die von ihnen ausgeht. Sie ist sehr stark wahrnehmbar, beruhigend und sanft plätschernd wie ein Bach. Wenn ihre Füße die Erde berühren, sprießen herrlich bunte Blüten an diesen Stellen aus dem Boden empor und ich habe das Gefühl, als wäre ihre Haut von einem leicht goldenen Schimmer überzogen.

Diese Wesen sind keine Menschen, sie sind überlegt und still, trotzdem können sie mit den Menschen offenbar koexistieren, versuchen es zumindest.

Abgesehen davon bin ich mir sicher, dass ich sie in dem Ort, den ich vor langer Zeit im Wald besucht habe, nicht antreffen konnte.

Kommen sie aus den Baumsiedlungen?

Ich ziehe mich in eine Hausnische zurück und versuche, mein weiteres Vorgehen zu planen: Den Ort schnell durchqueren und so weit wie möglich hinter mir lassen? Andererseits werde ich noch durch viele andere Dörfer gehen müssen, also bringt es nichts, wenn ich es rasch verlasse, denn das nächste wird nicht lange auf sich warten lassen. Ich sollte mich besser darin üben, mich mit anderen menschen­ähnlichen Wesen zu umgeben …

Also trete ich nach einem kurzen Zögern in das Sonnenlicht.

Das Dorf unterscheidet sich nicht sehr von dem, in dem ich vorher war, grundlegend sehen sie sich sogar ziemlich ähnlich, nur dass die Straßen und Häuser ein wenig anders aussehen und anders angeordnet sind, trotzdem kommt mir das Ganze wie ein schreckliches Déjà-vu vor. Geduckt schleiche ich auf die Straße und bemühe mich, mich wie sie zu verhalten, indem ich die Leute, die an mir vorbeigehen, verstohlen und verschreckt beobachte, indes sie kaum eine Notiz von mir nehmen, sie sind viel zu beschäftigt. Es ist eine bunte Mischung aus Menschen und diesen eigenartigen anderen Wesen, deren Name mir nicht einfallen will. Doch ich bemerke sie.

Ein Mädchen, das eine Handvoll Kieselsteine in die Luft wirft, die sich in schillernde Seifenblasen verwandeln, oder eine alte Frau mit silbriger Haut und endlos langen Haaren, ein Mann mit Stiefeln, die bei jedem Schritt die Farbe wechseln. Aber was sie sind, fällt mir nicht mehr ein …

Elfen.

Richtig! Ich spüre die Magie in ihren Adern fließen, die Aura, die sie umgibt, und ich kann fühlen, dass die Stimme in meinem Kopf recht hat. Sie sind Elfen. Und mitten unter ihnen: ich. Meine Augen sind trotz allem eine Seltenheit, genau wie meine Flügel. Noch dazu sind meine Haare völlig verfilzt, meine Füße nackt und dreckig, meine Beine schmutzig, meine Kleidung zerrissen, mein Gesicht zerkratzt. Obendrein schleiche ich angespannt herum. Sehr unauffällig.

Guck ein bisschen freundlicher, so misstrauisch wie jetzt ziehst du nur die Blicke auf dich!

Es kommt mir vor, als hätte ich mir das schon öfter sagen müssen, als wäre ich schön öfters in Dörfern gewesen und hatte mich verstellen müssen, um nicht aufzufallen. Wann soll das gewesen sein? Mir ist aufgefallen, dass es kleinere Menschen gibt, jüngere, ich kann mich jedoch nicht erinnern, einmal wie sie gewesen zu sein. Da war nur Dunkelheit. Geht es den Menschen auch so?

Es frustriert mich, dass ich mir die immer gleichen Fragen stellen muss und nie eine Antwort darauf habe. Nie eine Antwort darauf bekomme.

Angestrengt versuche ich meine Angst zu verbergen und ein Lächeln aufzusetzen. Ein kleiner Junge wirft mir einen irritierten Blick zu, zieht am Rock seiner Mutter und zeigt auf mich. Schnell sehe ich zur Seite.

Geh nicht so gebückt, nimm den Kopf etwas hoch, bewege dich lockerer.

Ich bemühe mich angestrengt, alle Anweisungen zu befolgen, und straffe vorsichtig meine Schultern. Meine Gelenke knacken kurz und leise, als sie sich in eine andere Position bewegen. Mein Rücken schmerzt und es fühlt sich unangenehm und schutzlos an, aufrecht herumzulaufen. Nervös will ich mich umsehen, reiße mich energisch zusammen.

Der Ort ist groß und schließlich geht die Sonne langsam am Horizont unter, wobei sie die Straßen in ein feuriges Licht taucht. Dann beginnt es zu regnen. Plötzlich und stark. Menschen und Elfen eilen über das holprige, ausgetretene Kopfsteinpflaster, um sich in ihre trockenen Häuser zu retten. Mit hochgezogenen Schultern laufen sie an mir vorüber, um ja schnell den Tropfen zu entgehen, und wenn ich vorhin kaum blinzeln konnte, so beklemmend war das Gefühl, inmitten der Menge zu gehen, stehe ich jetzt mit einem Mal allein und verlassen auf der gepflasterten Straße. Ich hebe den Kopf zum Himmel und genieße das Gefühl, wie die Regentropfen sanft auf mich niederprasseln, eine zarte Berührung. Der Geruch von warmem Sommerregen breitet sich in der Luft aus und ich schließe die Augen, obwohl meine Sachen schon bald klitschnass sind und mir am Körper kleben.

Irgendwo werde auch ich mich in Sicherheit bringen müssen, denn der Regen wird heftiger, fast schon schmerzhaft prasseln die Tropfen bald auf mich nieder und der Himmel ist grau und wolken­verhangen. Das Sonnenlicht schwindet und schnell ist es dunkel geworden. Die nun leer gefegten Gassen erscheinen mir noch größer und endloser und die Gebäude zu ihren Seiten ragen bedrohlich über mir auf, sodass ich mich unter dem Blick ihrer dunklen Fenster ängstlich ducke.

Pfützen bilden sich in den Löchern auf dem Weg und das Wasser spritzt zu allen Seiten, wenn ich hineintrete. Ich ziehe mir meine Jacke über den Kopf und beginne zu laufen, Selbst wenn es gar nicht der Regen ist, der mich dazu treibt. Ich habe das Gefühl, mich bewegen zu müssen, schnell rennen zu müssen, jetzt, wo Platz dafür ist. Ich verlasse die alte Straße und klettere Schutz suchend unter eine der vielen kleinen Brücken, die sich bogenförmig über einen Fluss spannen. Sie sind ebenfalls aus blassem Sandstein und mit schwarzen Laternen gesäumt, deren Kerzen noch niemand entzündet hat.

Ich kauere mich in das Gras am Uferrand und ziehe die Beine an, schlinge die Arme um meine Knie und blicke zu der Unterseite der Brücke über mir auf. Nass werde ich nun zwar nicht mehr, dennoch schaffe ich es nicht, irgendein anderes Gefühl in mir zu spüren als eine traurige Leere. Wie ich plötzlich die Einzige war, die auf der Straße stand, weil ich keinen Ort hatte, an den ich gehen könnte, das lässt mich nachdenklich werden. Muss ich nicht auch irgendwohin gehören? Nur wohin?

Ich sehe auf den grauen Fluss vor mir, der langsam und still vor sich hin fließt. Er verliert sich in einiger Entfernung zwischen den Häusern, hinter denen er langläuft, ehe er eine schmale Biegung macht.

Mit einem Seufzen versuche ich es mir ein wenig bequem zu machen. In der Nacht werde ich weiterwandern können, denn dann schlafen die Menschen und sicher auch die Elfen in diesem Dorf und ich muss ihnen nicht begegnen. Ich lausche auf die Tropfen, die auf die Brücke über mir klopfen, und will gerade die Augen schließen, als ich Schritte wahrnehme. Sie nähern sich, lange Schritte, leicht­füßig und überlegt. Ein wenig hastig. Ich versteife mich, doch schnell stellen meine geübten Ohren fest, dass die Person sich auf der Brücke befindet und somit nichts von mir ahnt, mich von dort oben auf keinen Fall sehen kann.

Die Schritte halten an. Eine Schuhsohle scharrt über den Boden, als wäre jemand nervös, ungeduldig. Sein Herz klopft schneller.

Ein zweites Paar Schritte beginnt jetzt über die Erde zu trippeln. Ebenfalls leicht und nicht so stampfend, wie ich es von den Menschen gewohnt bin – vermutlich handelt es sich um Elfen, diese sind überlegter, sanfter. Glaube ich zu wissen. Wieder einmal erschrecke ich darüber, wie gut mein Gehör ist, denn es dauert überraschend lange, bis auch diese Schritte über mir auf der Brücke widerhallen und die Gestalten einander offenbar erreicht haben.

Auch diese Füße halten an. Sie scheinen also aufeinander zu warten. Warum sind sie nicht in ihren Häusern wie alle anderen?

Auch über das Prasseln des Regens kann ich noch ihre Stimmen vernehmen – männlich und dunkel.

»Gibt es Neuigkeiten?«, fragt die erste.

»Nicht wirklich. Es wurden keine weiteren Späher gesehen in den letzten Tagen.«

Späher? Ich blicke neugierig unter der Brücke hervor. Die Tropfen kommen inzwischen mit solch einer Heftigkeit auf dem Fluss auf, dass sie von dort wieder ein kleines Stück zurück in die Luft springen.

»Das ist gut.«

»Glaubt Ihr, sie werden sich zurückziehen?«

Forsch klettere ich ein Stück unter dem Brückenboden hervor, presse mich weiterhin nahe an das Gemäuer. Das Gras wuchert hoch und der Regen übertönt meine Schritte. Es ist inzwischen schon sehr dunkel geworden und ich bin meinen scharfen Augen dankbar, dass ich dank ihnen noch etwas erkennen kann. Zum Beispiel die Nischen in der Steinwand, in die meine Füße passen würden …

»Fürs Erste vielleicht, aber bestimmt nicht für lange Zeit. Sie werden zurückkommen.«

Ich ziehe mich vorsichtig an dem Gemäuer der Brücke empor. Die Steine sind rutschig und ich klammere mich gut an ihnen fest. Vorsichtig schiebe ich mich nach oben, um unauffällig über den Rand der Brüstung zu lugen. Das Gespräch der Elfen macht mich stutzig, genau wie die Tatsache, dass sie sich hier im strömenden Regen treffen.

Jetzt erkenne ich sie. Die Gestalt, die als Erstes gekommen ist, steht mit dem Rücken zu mir, die Arme verschränkt und einen dunklen Mantel über die Schultern geworfen. Sie trägt keine Kapuze, weshalb die dunklen Haare an ihrem Kopf kleben. Ihr Gegenüber ist nicht so hochgewachsen und kräftig, ein etwas älterer Mann mit funkelnden grünen Augen und Haaren in der Farbe von Weizen, die er sich aus dem Gesicht gebunden hat. Er blickt ernst und besorgt drein.

Ein Glück, dass sie in ihr Gespräch vertieft sind und sich besorgt anblicken, und ein Glück, dass es in Strömen regnet, auf diese Weise kann ich mich ein Stück weiter an sie heranwagen.

»Was können wir tun?«, fragt der Mann mit dem mir zugewandten Gesicht, während sein Gegenüber seufzt. Er klingt erschöpft und müde. Resigniert.

»Nicht viel. Unsere Möglichkeiten sind begrenzt – Flucht oder Angriff. Am meisten sorge ich mich darum …« Er schüttelt den Kopf und sieht sich um. »Die größte Gefahr ist die Angst. Und auch wenn sie noch nicht hier sind, sie eilt ihnen voraus. Die Angst müssen wir schon jetzt bekämpfen.«

Grimmig nickt der andere Mann und ich kauere mich hinter der Steinmauer zusammen, nur mit meinen Augen spähe ich verstohlen über die Brüstung und versuche, mir einen Reim auf diese seltsamen Worte zu machen. Wer kommt?

Als die Männer einander wie zum Abschied zunicken, ducke ich mich verschreckt.

Der ältere Mann verschwindet mit wehendem Mantel, während der mit den dunklen Haaren einen Moment länger auf der Brücke verweilt. Schließlich dreht auch er sich zu mir herum, um davonzustapfen.

Und in dem Augenblick, als er sich umwendet, bleiben meine Gedanken für einen Moment entsetzt stehen. Gleichzeitig jagen zuckende Impulse durch meinen Körper und ich spüre, wie meine Finger verkrampfen und ich beinahe rücklings von der Mauer gefallen wäre.

 

Ungläubig reiße ich die Augen auf, doch selbst durch den dichten Regenschleier ist es nicht zu leugnen. Sein Anblick trifft mich heftig und unvorbereitet wie ein Fausthieb in die Magengrube. Ich keuche auf. Es ist nur ein kurzer Moment, kaum länger als ein Blinzeln, ehe er sich zur Seite dreht und den Kragen seines Mantels hochschlägt, dennoch bin ich mir sicher. Das Bild brennt sich in mein Gedächtnis und vermischt sich dort mit einem Erinnerungsfetzen, der gestochen scharf urplötzlich aus den schwarzen Fluten auftaucht.

Das Gesicht das Mannes verschwimmt hinter den Tropfen, die stahlblauen Augen jedoch, die in dem Grau der Abenddämmerung aufblitzen, die markanten und harten Wangenknochen, die blasse Hautfarbe und die zahlreichen Narben – ich kenne dieses Gesicht.