Vom Kriege

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Viertes Kapitel: Von der Gefahr im Kriege

Gewöhnlich macht man sich, ehe man sie kennengelernt hat, eine Vorstellung davon, die eher anziehend als zurückschreckend ist. Im Rausche der Begeisterung sturmschritts auf den Feind eindringen - wer zählt da die Kugeln und die Fallenden! -, die Augen wenige Momente zugedrückt, sich dem kalten Tode entgegenzuwerfen, ungewiß, ob wir oder andere ihm entrinnen werden - und dies alles dicht am goldenen Ziel des Sieges - dicht vor der labenden Frucht, nach welcher der Ehrgeiz durstet –, kann das schwer sein? Es wird nicht schwer sein, und noch weniger wird es so scheinen. Aber solcher Momente, die dennoch nicht das Werk eines einzigen Pulsschlages [83] sind, wie sie gedacht werden, sondern wie arzneiliche Mischungen mit Zeit verdünnt und verdorben genossen werden müssen - solcher Momente, sagen wir, gibt es nur wenige.

Begleiten wir den Neuling auf das Schlachtfeld. Wenn wir uns demselben nähern, so wechselt der immer deutlicher werdende Donner des Geschützes endlich mit dem Heulen der Kugeln, welches nun die Aufmerksamkeit des Unerfahrnen auf sich zieht. Kugeln fangen an, nahe vor und hinter uns einzuschlagen. Wir eilen zu dem Hügel, auf welchem der kommandierende General mit seinem zahlreichen Gefolge hält. Hier wird das nahe Einschlagen der Kanonenkugeln, das Zerspringen der Granaten schon so häufig, daß der Ernst des Lebens sich durch das jugendliche Phantasiebild hindurchdrängt. Plötzlich stürzt ein Bekannter - es schlägt eine Granate in den Haufen und bringt einige unwillkürliche Bewegungen hervor -, man fängt an zu fühlen, daß man nicht mehr völlig ruhig und gesammelt ist; auch der Bravste wird wenigstens etwas zerstreut. - Jetzt einen Schritt in die Schlacht hinein, die vor uns tobt, fast noch wie ein Schauspiel, zum nächsten Divisionsgeneral; hier folgt Kugel auf Kugel, und der Lärm des eigenen Geschützes mehrt die Zerstreuung. - Vom Divisions- zum Brigadegeneral. - Dieser, von anerkannter Tapferkeit, hält vorsichtig hinter einem Hügel, einem Hause oder hinter Bäumen; - ein sicherer Exponent der steigenden Gefahr - Kartätschen rasseln in Dächern und Feldern, Kanonenkugeln sausen in allen Richtungen an und über uns weg, und schon stellt sich ein häufiges Pfeifen der Flintenkugeln ein; - noch ein Schritt zu den Truppen, zu der im stundenlangen Feuergefecht mit unbeschreiblicher Standhaftigkeit ausharrenden Infanterie; hier ist die Luft erfüllt von zischenden Kugeln, die ihre Nähe bald durch den kurzen scharfen Laut verkünden, womit sie zollweit an Ohr, Kopf und Seele vorüberfliegen. Zum Überfluß schlägt das Mitleiden über den Anblick der Verstümmelten und Hinstürzenden mit Jammerschlägen an unser klopfendes Herz.

Keine dieser verschiedenen Dichtigkeitsschichten der Gefahr wird ein Neuling berühren, ohne zu fühlen, daß das Licht der Gedanken sich hier durch andere Mittel bewege und in andern Strahlen gebrochen werde, als bei der spekulativen Tätigkeit; ja, es müßte der ein sehr außerordentlicher Mensch sein, der bei diesen ersten Eindrücken nicht die Fähigkeit zu einem augenblicklichen Entschluß verlöre. Es ist wahr, die Gewohnheit stumpft diese Eindrücke sehr bald ab; nach einer halben Stunde fangen wir an, gleichgültiger gegen alles zu werden, was uns umgibt, der eine mehr, der andere weniger; aber bis zur völligen Unbefangenheit und zur natürlichen Elastizität der Seele bringt ein gewöhnlicher Mensch es immer nicht - und so mag man denn erkennen, daß mit Gewöhnlichem hier wieder nicht auszureichen ist, welches um so wahrer wird, je größer der Wirkungskreis ist, der ausgefüllt werden soll. Enthusiastische, stoische, angeborene Bravour, gebieterischer Ehrgeiz oder auch lange Bekanntschaft mit der Gefahr, viel von allem dem muß da sein, wenn nicht alle [84] Wirkung in diesem erschwerenden Mittel hinter dem Maß zurückbleiben soll, welches auf dem Zimmer als ein gewöhnliches erscheinen mag.

Die Gefahr im Kriege gehört zur Friktion desselben, eine richtige Vorstellung davon ist zur Wahrheit der Erkenntnis notwendig, und darum ist ihrer hier Erwähnung geschehen.

Fünftes Kapitel: Von der körperlichen Anstrengung im Kriege

Wenn niemand ein Urteil über kriegerische Ereignisse anders fällen dürfte, als in dem Augenblick, wo er von Frost erstarrt oder vor Hitze und Durst verschmachtend, von Mangel und Müdigkeit niedergedrückt ist: so würden wir zwar noch weniger Urteile haben, die objektiv richtig wären, aber sie würden es wenigstens subjektiv sein, d. h. sie würden das Verhältnis des Urteilenden zum Gegenstande genau in sich enthalten. Man erkennt dies schon, wenn man sieht, wie billig herabstimmend, ja schlaff und klein das Urteil derjenigen über die Resultate schlimmer Fälle ist, welche Augenzeugen waren, besonders solange sie sich mitten darin befanden. Dies sei unsere Anschauung, ein Maß des Einflusses, den die körperliche Anstrengung übt, und der Rücksicht, die sie beim Urteil verdient.

Unter den vielen Dingen im Kriege, für deren Gebrauch keine Polizeitaxe ein Maß festsetzen kann, gehört hauptsächlich die körperliche Anstrengung. Vorausgesetzt, daß sie nicht verschwendet wird, ist sie ein Koeffizient aller Kräfte, und niemand kann genau sagen, wie weit sie getrieben werden darf. Das Merkwürdige aber ist, daß, so wie nur ein starker Arm des Schützen die Sehne des Bogens schärfer spannen kann, so ist auch nur von einem starken Geist zu erwarten, daß er im Kriege die Kräfte seines Heeres höher spannen werde. Denn ein anderes ist es, wenn infolge großer Unglücksfälle ein Heer, von Gefahren umgeben, sich wie niederstürzendes Gemäuer in Trümmer auflöst und seine Rettung nur in der höchsten Anstrengung seiner körperlichen Kräfte finden kann; ein anderes, wenn ein siegreiches Heer, allein von stolzen Empfindungen fortgezogen, von seinem Feldherrn nach freier Willkür geleitet wird. Dieselbe Anstrengung, die dort höchstens Mitleiden erregen könnte, müßte uns hier Bewunderung einflößen, weil sie viel schwerer zu erhalten war.

Es tritt also hiermit für das ungeübte Auge einer der Gegenstände ans Licht, die den Bewegungen des Geistes gleichsam im Dunkeln Fesseln anlegen und die Kräfte der Seele im geheimen verzehren.

[85] Obgleich hier eigentlich nur die Rede ist von der Anstrengung, die der Feldherr vom Heere, der Führer von seinen Untergebenen fordert, also von dem Mut, sie zu begehren, von der Kunst, sie zu erhalten: so darf doch die körperliche Anstrengung des Führers und des Feldherrn selbst nicht übergangen werden; wir müssen, nachdem wir die Analyse des Krieges ehrlich bis zu diesem Punkt getrieben haben, auch das Gewicht dieser zurückgebliebenen Schlacken in Betrachtung ziehen.

Von der körperlichen Anstrengung ist hier am Ort hauptsächlich deshalb die Rede, weil sie wie die Gefahr zu den vornehmsten Ursachen der Friktion gehört, und weil ihr unbestimmtes Maß sie der Natur elastischer Körper ähnlich macht, deren Reibung sich bekanntlich schwer berechnen läßt.

Daß von diesen Betrachtungen, von diesem Ermessen der erschwerenden Bedingungen des Krieges kein Mißbrauch gemacht werde, dazu hat die Natur unserem Urteil einen leitenden Führer in unserer Empfindungsweise gegeben. So wie ein einzelner sich auf seine persönliche Unvollkommenheit nicht mit Vorteil berufen wird, wenn er beschimpft und gemißhandelt ist, wohl aber dann, wenn er die Beschimpfung glücklich abwies oder glänzend rächte, so wird kein Feldherr und kein Heer den Eindruck einer schimpflichen Niederlage verbessern durch Darstellung derselben Gefahr, Not und Anstrengung, die den Glanz eines Sieges unendlich erhöhen würden. So verbietet uns eine anscheinende Billigkeit, zu der unser Urteil geneigt sein würde, unser Gefühl, welches aber nur ein höheres Urteil ist.

Sechstes Kapitel: Nachrichten im Kriege

Mit dem Worte Nachrichten bezeichnen wir die ganze Kenntnis, welche man von dem Feinde und seinem Lande hat, also die Grundlage aller eigenen Ideen und Handlungen. Man betrachte einmal die Natur dieser Grundlage, ihre Unzuverlässigkeit und Wandelbarkeit, und man wird bald das Gefühl haben, wie gefährlich das Gebäude des Krieges ist, wie leicht es zusammenstürzen und uns unter seinen Trümmern begraben kann. - Denn daß man nur sicheren Nachrichten trauen solle, daß man das Mißtrauen nie von sich lassen müsse, steht wohl in allen Büchern, ist aber ein elender Büchertrost und gehört zu der Weisheit, zu welcher System- und Kompendienschreiber in Ermangelung von etwas Besserem ihre Zuflucht nehmen.

Ein großer Teil der Nachrichten, die man im Kriege bekommt, ist widersprechend, ein noch größerer ist falsch und bei weitem der größte einer ziemlichen Ungewißheit unterworfen. Was man hier vom Offizier fordern kann, [86] ist ein gewisses Unterscheiden, was nur Sach- und Menschenkenntnis und Urteil geben können. Das Gesetz des Wahrscheinlichen muß ihn leiten. Diese Schwierigkeit ist nicht unbedeutend bei den ersten Entwürfen, die auf dem Zimmer und noch außer der eigentlichen Kriegssphäre gemacht werden, aber unendlich größer ist sie da, wo im Getümmel des Krieges selbst eine Nachricht die andere drängt; ein Glück noch, wenn sie, einander widersprechend, ein gewisses Gleichgewicht erzeugen und die Kritik selbst herausfordern. Viel schlimmer für den Nichtgeprüften, wenn ihm der Zufall diesen Dienst nicht erweist, sondern eine Nachricht die andere unterstützt, bestätigt, vergrößert, das Bild mit immer neuen Farben ausmalt, bis die Notwendigkeit uns in fliegender Eile den Entschluß abgedrängt hat, der - bald als Torheit erkannt wird, so wie alle jene Nachrichten, als Lügen, Übertreibungen, Irrtümer usw. Mit kurzen Worten: die meisten Nachrichten sind falsch, und die Furchtsamkeit der Menschen wird zur neuen Kraft der Lüge und Unwahrheit. In der Regel ist jeder geneigt, das Schlimme eher zu glauben als das Gute; jeder ist geneigt, das Schlimme etwas zu vergrößern, und die Gefährlichkeiten, welche auf diese Weise berichtet werden, ob sie gleich wie die Wellen des Meeres in sich selbst zusammensinken, kehren doch wie jene ohne sichtbare Veranlassung immer von neuem zurück. Fest im Vertrauen auf sein besseres inneres Wissen muß der Führer dastehen wie der Fels, an dem die Welle sich bricht. Die Rolle ist nicht leicht; wer nicht von Natur mit leichtem Blute begabt oder durch kriegerische Erfahrungen geübt und im Urteil gestärkt ist, mag es sich eine Regel sein lassen, sich gewaltsam, d. h. gegen das innere Niveau seiner eigenen Überzeugung, von der Seite der Befürchtungen ab auf die Seite der Hoffnungen hinzuneigen; er wird nur dadurch das wahre Gleichgewicht erhalten können. Diese Schwierigkeit richtig zu sehen, welche eine der allergrößten Friktionen im Kriege ausmacht, läßt die Dinge ganz anders erscheinen, als man sie gedacht hat. Der Eindruck der Sinne ist stärker als die Vorstellungen des überlegenden Kalküls, und dies geht so weit, daß wohl noch nie eine einigermaßen wichtige Unternehmung ausgeführt worden ist, wo der Befehlshaber nicht in den ersten Momenten der Ausführung neue Zweifel bei sich zu besiegen gehabt hätte. Gewöhnliche Menschen, die fremden Eingebungen folgen, werden daher meistens unschlüssig an Ort und Stelle, sie glauben die Umstände anders gefunden zu haben, als sie solche vorausgesetzt hatten, und zwar um so mehr, da sie auch hier sich wieder fremden Eingebungen überlassen. Aber auch der, welcher selbst entwarf und jetzt mit eigenen Augen sieht, wird leicht an seiner vorigen Meinung irre. Festes Vertrauen zu sich selbst muß ihn gegen den scheinbaren Drang des Augenblickes waffnen; seine frühere Überzeugung wird sich bei der Entwicklung bewähren, wenn die vorderen Kulissen, welche das Schicksal in die Kriegsszenen einschiebt, mit ihren dick aufgetragenen Gestalten der Gefahr weggezogen und der Horizont erweitert ist. - Dies ist eine der großen Klüfte zwischen Entwerfen und Ausführen.

 

Siebentes Kapitel: Friktion im Kriege

Solange man selbst den Krieg nicht kennt, begreift man nicht, wo die Schwierigkeiten der Sache liegen, von denen immer die Rede ist, und was eigentlich das Genie und die außerordentlichen Geisteskräfte zu tun haben, die vom Feldherrn gefordert werden. Alles erscheint so einfach, alle erforderlichen Kenntnisse erscheinen so flach, alle Kombinationen so unbedeutend, daß im Vergleich damit uns die einfachste Aufgabe der höheren Mathematik mit einer gewissen wissenschaftlichen Würde imponiert. Wenn man aber den Krieg gesehen hat, wird alles begreiflich, und doch ist es äußerst schwer, dasjenige zu beschreiben, was diese Veränderung hervorbringt, diesen unsichtbaren und überall wirksamen Faktor zu nennen.

Es ist alles im Kriege sehr einfach, aber das Einfachste ist schwierig. Diese Schwierigkeiten häufen sich und bringen eine Friktion hervor, die sich niemand richtig vorstellt, der den Krieg nicht gesehen hat. Man denke sich einen Reisenden, der zwei Stationen am Ende seiner Tagereise noch gegen Abend zurückzulegen denkt, vier bis fünf Stunden mit Postpferden auf der Chaussee; es ist nichts. Nun kommt er auf der vorletzten Station an, findet keine oder schlechte Pferde, dann eine bergige Gegend, verdorbene Wege; es wird finstere Nacht, und er ist froh, die nächste Station nach vielen Mühseligkeiten erreicht zu haben und eine dürftige Unterkunft dort zu finden. So stimmt sich im Kriege durch den Einfluß unzähliger kleiner Umstände, die auf dem Papier nie gehörig in Betrachtung kommen können, alles herab, und man bleibt weit hinter dem Ziel. Ein mächtiger, eiserner Wille überwindet diese Friktion, er zermalmt die Hindernisse, aber freilich die Maschine mit. Wir werden noch oft auf das Resultat kommen. Wie ein Obelisk, auf den die Hauptstraßen eines Ortes zugeführt sind, steht, in der Mitte der Kriegskunst gebieterisch hervorragend der feste Wille eines stolzen Geistes.

Friktion ist der einzige Begriff, welcher dem ziemlich allgemein entspricht, was den wirklichen Krieg von dem auf dem Papier unterscheidet. Die militärische Maschine: die Armee und alles, was dazu gehört, ist im Grunde sehr einfach und scheint deswegen leicht zu handhaben. Aber man bedenke, daß kein Teil davon aus einem Stücke ist, daß alles aus Individuen zusammengesetzt ist, deren jedes seine eigene Friktion nach allen Seiten hin behält. Theoretisch klingt es ganz gut: der Chef des Bataillons ist verantwortlich für die Ausführung des gegebenen Befehls, und da das Bataillon durch die Disziplin zu einem Stück zusammengeleimt ist, der Chef aber ein Mann von anerkanntem Eifer sein muß, so dreht sich der Balken um einen eisernen Zapfen mit wenig Friktion. So aber ist es in der Wirklichkeit nicht, und alles, was die Vorstellung Übertriebenes und Unwahres hat, zeigt sich [88] im Kriege auf der Stelle. Das Bataillon bleibt immer aus einer Anzahl Menschen zusammengesetzt, von denen, wenn der Zufall es will, der unbedeutendste imstande ist, einen Aufenthalt oder sonst eine Unregelmäßigkeit zu bewirken. Die Gefahren, welche der Krieg mit sich bringt, die körperlichen Anstrengungen, die er fordert, steigern das Übel so sehr, daß sie als die beträchtlichsten Ursachen desselben angesehen werden müssen.

Diese entsetzliche Friktion, die sich nicht wie in der Mechanik auf wenig Punkte konzentrieren läßt, ist deswegen überall im Kontakt mit dem Zufall, und bringt dann Erscheinungen hervor, die sich gar nicht berechnen lassen, eben weil sie zum großen Teil dem Zufall angehören. Ein solcher Zufall ist z. B. das Wetter. Hier verhindert der Nebel, daß der Feind zu gehöriger Zeit entdeckt wird, daß ein Geschütz zur rechten Zeit schießt, daß eine Meldung den kommandierenden Offizier findet; dort der Regen, daß ein Bataillon ankommt, daß ein anderes zur rechten Zeit kommt, weil es statt drei vielleicht acht Stunden marschieren mußte, daß die Kavallerie wirksam einhauen kann, weil sie im tiefen Boden steckenbleibt usw.

Diese paar Detailzüge nur zur Deutlichkeit, und damit Verfasser und Leser zusammen bei der Sache bleiben, denn sonst ließen sich von solchen Schwierigkeiten ganze Bände voll schreiben. Um dies zu vermeiden und doch einen deutlichen Begriff von dem Heere kleiner Schwierigkeiten hervorzubringen, womit man im Kriege kämpft, möchten wir uns in Bildern erschöpfen, wenn wir nicht zu ermüden befürchteten. Aber ein paar werden uns auch diejenigen noch zugute halten, die uns längst verstanden haben.

Das Handeln im Kriege ist eine Bewegung im erschwerenden Mittel. Sowenig man imstande ist, im Wasser die natürlichste und einfachste Bewegung, das bloße Gehen, mit Leichtigkeit und Präzision zu tun, sowenig kann man im Kriege mit gewöhnlichen Kräften auch nur die Linie des Mittelmäßigen halten. Daher kommt es, daß der richtige Theoretiker wie ein Schwimmeister erscheint, der Bewegungen, die fürs Wasser nötig sind, auf dem Trocknen üben läßt, die denen grotesk und übertrieben vorkommen, die nicht an das Wasser denken; daher kommt es aber auch, daß Theoretiker, die selbst nie untergetaucht haben oder von ihren Erfahrungen nichts Allgemeines zu abstrahieren wissen, unpraktisch und selbst abgeschmackt sind, weil sie nur das lehren, was ein jeder kann - gehen.

Ferner: jeder Krieg ist reich an individuellen Erscheinungen, mithin ist jeder ein unbefahrenes Meer voll Klippen, die der Geist des Feldherrn ahnen kann, die aber sein Auge nie gesehen hat, und die er nun in dunkler Nacht umschiffen soll. Erhebt sich noch ein widriger Wind, d. h. erklärt sich noch irgendein großer Zufall gegen ihn, so ist die höchste Kunst, Geistesgegenwart und Anstrengung da nötig, wo dem Entfernten alles von selbst zu gehen scheint. Die Kenntnis dieser Friktion ist ein Hauptteil der oft gerühmten Kriegserfahrung, welche von einem guten General gefordert [89] wird. Freilich ist derjenige nicht der beste, der die größte Vorstellung davon hat, dem sie am meisten imponiert (dies gibt jene Klasse von ängstlichen Generalen, die unter den Erfahrenen so häufig zu finden sind), sondern der General muß sie kennen, um sie zu überwinden, wo dies möglich ist, und um nicht eine Präzision in den Wirkungen zu erwarten, die eben wegen dieser Friktion nicht möglich ist. - Man wird sie übrigens theoretisch nie ganz kennenlernen, und könnte man es, so würde jene Übung des Urteils immer noch fehlen, die man Takt nennt, und die allemal in einem Felde voll unendlich kleiner und mannigfaltiger Gegenstände nötiger, ist als in großen entscheidenden Fällen, wo man mit sich und andern Konzilium hält. So wie den Weltmann nur der fast zur Gewohnheit gewordene Takt seines Urteils immer passend sprechen, handeln und sich bewegen läßt: so wird nur der kriegserfahrene Offizier bei großen und kleinen Vorfällen, man möchte sagen bei jedem Pulsschlage des Krieges, immer passend entscheiden und bestimmen. Durch diese Erfahrung und Übung kommt ihm der Gedanke von selbst: das eine geht, das andere nicht. Er wird also nicht leicht in den Fall kommen, sich eine Blöße zu geben, was im Kriege, wenn es häufig geschieht, die Grundfeste des Vertrauens erschüttert und äußerst gefährlich ist.

Die Friktion, oder was hier so genannt ist, ist es also, welche das scheinbar Leichte schwer macht. Wir werden in der Folge noch oft auf diesen Gegenstand zurückkommen, und es wird dann auch klar werden, daß außer Erfahrung und einem starken Willen noch manche andere seltene Eigenschaften des Geistes zum ausgezeichneten Feldherrn erforderlich sind.

Achtes Kapitel: Schlußbemerkungen zum ersten Buch

Wir haben mit der Gefahr, den körperlichen Anstrengungen, den Nachrichten und der Friktion diejenigen Gegenstände genannt, welche sich als Elemente in der Atmosphäre des Krieges zusammenfinden und dieselbe zu einem erschwerenden Mittel für alle Tätigkeit machen. Sie lassen sich also in ihren hindernden Wirkungen wieder unter dem Gesamtbegriff einer allgemeinen Friktion zusammenfassen. - Gibt es nun kein milderndes Öl für diese Reibung? - Nur eins, und dieses eine steht dem Feldherrn und dem Kriegsheer nicht nach Willkür zu Gebote: es ist die Kriegsgewohnheit des Heeres.

Gewohnheit stärkt den Körper in großen Anstrengungen, die Seele in großen Gefahren, das Urteil gegen den erstem Eindruck. Überall wird [90] durch sie eine kostbare Besonnenheit gewonnen, welche vom Husaren und Schützen bis zum Divisionsgeneral hinaufreicht und dem Feldherrn das Handeln erleichtert.

Wie das menschliche Auge im finsteren Zimmer seine Pupille erweitert, das wenige vorhandene Licht einsaugt, nach und nach die Dinge notdürftig unterscheidet und zuletzt ganz gut Bescheid weiß: so der geübte Soldat im Kriege, während dem Neulinge nur die stockfinstere Nacht entgegentritt.

Kriegsgewohnheit kann kein Feldherr seinem Heere geben, und schwach ist der Ersatz, den Friedensübungen gewähren; schwach im Vergleich mit der wirklichen Kriegserfahrung, aber nicht im Vergleich mit einem Heere, wo auch diese Übungen nur auf mechanische Kunstfertigkeiten gerichtet sind. Die Übungen des Friedens so einzurichten, daß ein Teil jener Friktionsgegenstände darin vorkomme, das Urteil, die Umsichtigkeit, selbst die Entschlossenheit der einzelnen Führer geübt werde, ist von viel größerem Wert, als diejenigen glauben, welche den Gegenstand nicht aus Erfahrung kennen. Es ist unendlich wichtig, daß der Soldat, hoch oder niedrig, auf welcher Stufe er auch stehe, diejenigen Erscheinungen des Krieges, die ihn beim erstenmal in Verwunderung und Verlegenheit setzen, nicht erst im Kriege zum erstenmal sehe; sind sie ihm früher nur ein einziges Mal vorgekommen, so ist er schon halb damit vertraut. Das bezieht sich selbst auf körperliche Anstrengungen. Sie müssen geübt werden, weniger, daß sich die Natur, als daß sich der Verstand daran gewöhne. Im Kriege ist der neue Soldat sehr geneigt, ungewöhnliche Anstrengungen für Folgen großer Fehler, Irrungen und Verlegenheiten in der Führung des Ganzen zu halten und dadurch doppelt niedergedrückt zu werden. Dies wird nicht geschehen, wenn er bei Friedensübungen darauf vorbereitet wird.

Ein anderes, weniger umfassendes, aber doch höchst wichtiges Mittel, die Kriegsgewohnheit im Frieden zu gewinnen, ist das Heranziehen kriegserfahrener Offiziere anderer Heere. Selten ist in Europa überall Frieden, und nie geht der Krieg in den anderen Weltteilen aus. Ein Staat, der lange im Frieden ist, sollte also stets suchen, von diesen Kriegsschauplätzen sich einzelne Offiziere, aber freilich nur solche, die gut gedient haben, zu verschaffen, oder von den seinigen einige dahin zu schicken, damit sie den Krieg kennenlernen.

Wie gering auch die Anzahl solcher Offiziere zur Masse eines Heeres erscheinen möge, so ist doch ihr Einfluß sehr fühlbar. Ihre Erfahrungen, die Richtung ihres Geistes, die Ausbildung des Charakters wirken auf ihre Untergebenen und Kameraden, und außerdem sind sie auch dann, wenn sie nicht an die Spitze eines Wirkungskreises gestellt werden können, als der Gegend kundige Männer zu betrachten, die man in vielen einzelnen Fällen befragen kann.